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Beschreibung

Naturphilosophie - von der Antike bis in die Gegenwart Was ist Natur oder was könnte sie sein? Diese und weitere Fragen sind grundlegend für Naturdenken und -handeln. Das Lehr- und Studienbuch bietet eine historisch-systematische und zugleich praxisbezogene Einführung in die Naturphilosophie mit ihren wichtigsten Begriffen, Strömungen und Diskursen. Es nimmt den pluralen Charakter der Wahrnehmung von Natur in den philosophischen Blick und ist auch zum Selbststudium bestens geeignet.

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Naturphilosophie

Ein Lehr- und Studienbuch

Herausgeben von: Thomas Kirchhoff, Nicole C. Karafyllis, Dirk Evers, Brigitte Falkenburg, Myriam Gerhard, Gerald Hartung, Jürgen Hübner, Kristian Köchy, Ulrich Krohs, Thomas Potthast, Otto Schäfer, Gregor Schiemann, Magnus Schlette, Reinhard Schulz, Frank Vogelsang

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

Inhaltsverzeichnis

AbkürzungsverzeichnisZur EinführungSektion I: Geschichte und SystematikI.0 EinleitungI.1.A Kosmos und Universum: Chaos, Logos, Kosmos1. Chaos und Mythos2. Der Kosmos: Die Vorsokratiker und Konfuzius3. Physik und Metaphysik: der Umbruch durch Aristoteles4. Ewige Bewegtheit statt ChaosLiteraturI.1.B Kosmos und Universum: Universum, Raum, Unendlichkeit1. Anfänge der Unendlichkeitsspekulationen bei Nicolaus Cusanus und Giordano Bruno2. Rezeption und Weiterentwicklung des UnendlichkeitsdenkensLiteraturI.2 Natur als Schöpfung1. Ursprünge im Vorderen Orient2. Biblische Traditionen3. Antike und frühe christliche Theologie3.1 Schöpfung aus dem ‚Nichts‘?3.2 Die Schöpfung als Gottes Buch der Natur4. Mittelalter5. Reformation und frühe Neuzeit5.1 Natur und Gnade in reformatorischer Perspektive5.2 Natur als Norm?5.3 Wandlungen im Naturbegriff5.4 Schleiermacher und das 19. Jahrhundert6. Herausforderungen eines christlichen Schöpfungsverständnisses heuteLiteraturI.3 Mathematisierung der Natur und ihre Grenzen1. Mathematisierung der Natur: Galilei, Descartes, Newton1.1 Das Buch der Natur1.2 Experimentelle Methode, Atomismus und mechanistisches Weltbild2. Rationalismus versus Empirismus2.1 Rationalismus2.2 Empirismus3. Natur als Gesetzeszusammenhang der Erfahrung: Kant3.1 Kants Naturbegriff3.2 Naturgesetze3.3 Die Vernunftkritik3.4 Der „regulative“ Gebrauch der Ideen in der Naturerkenntnis4. Grenzen der Mathematisierung4.1 Kant und die Biologie4.2 AusblickLiteraturI.4 Natur und Recht1. Systematische Vorüberlegungen2. Antike: Kosmische Ordnung als Rechtsgrund3. Mittelalter: Göttliche Ordnung als Rechtsgrund4. Neuzeit: Menschliche Ordnungen als Rechtsgrund5. Moderne: Rechtserzeugung als Rechtsgrund6. ZusammenfassungLiteraturI.5 Natur und GeschichteLiteraturI.6 ‚Kampf‘ um die Naturphilosophie1. Ausgang von Schelling2. ‚Kampf‘ gegen die Naturphilosophie3. Metaphysische und kritische Naturphilosophie4. Naturphilosophie als Allgemeinste Naturwissenschaft5. Naturphilosophie als logisches Gewissen der Naturwissenschaft6. Naturphilosophie als Optimierung der Naturwissenschaft7. Naturphilosophie jenseits der Grenzen der NaturwissenschaftLiteraturI.7 Streit um die Deutungshoheit der Natur: Materialismus-, Darwinismus- und Ignorabimus-Streit1. Streitfragen2. Der Materialismus-Streit3. Der Darwinismus-Streit4. Der Ignorabimus-StreitLiteraturI.8 Gegenwärtige Strömungen der Naturphilosophie1. Systematische Naturphilosophie1.1 Theoretische Naturphilosophie1.2 Praktische Naturphilosophie1.3 Naturästhetik2. Historische Forschung3. Naturphilosophie als Lebensstil und WeltanschauungLiteraturI.9 Möglichkeiten und Grenzen einer disziplinären Bestimmung der Naturphilosophie1. Naturphilosophie als Disziplin? Institutionelle Spurensuche2. Naturphilosophie als philosophische Disziplin3. Ein plurales und integratives Verständnis der NaturphilosophieLiteraturSektion II: Grundbegriffe der NaturphilosophieII.0 EinleitungII.1 Natur1. Grundbedeutungen2. Begriffsgeschichte2.1 Aristoteles: physis und techne2.2 Averroës: natura naturans und natura naturata2.3 Descartes: Materie und Geist2.4 Kant: Natur als Inbegriff von Sinneserscheinungen unter Gesetzen2.5 Von Spinoza zu Hegel: Natur als Stufenbau3. Natur versus Geist4. Natur, Technik, KulturLiteraturII.2 Schöpfung1. Was ist mit dem Begriff ‚Schöpfung‘ gemeint?2. Das Verhältnis der Rede von der Schöpfung zur Rede von der Natur2.1 Natur als Quelle und als Bedrohung des Lebens2.2 Wie kann man in der Natur Gott erfahren, wie mit ihm in Kontakt treten?2.3 Wie sollen wir uns in der Natur verhalten?3. Die Rede von der Schöpfung und die naturwissenschaftliche ForschungLiteraturII.3 Kosmos und Welt1. Konzeptionen von Kosmos und Welt1.1 Begriffliche Vorklärungen1.2 Annäherungen an den Kosmos1.3 Einheitlichkeit und Ursprung der Welt2. Die Welt der relativistischen Kosmologie3. Theorien des Kosmos und die Vielfalt der WeltbilderLiteraturII.4 Raum und Zeit1. Philosophische Problematik von Raum und Zeit2. Relativistische Umdeutungen von Raum und Zeit3. Quantenmechanische Umdeutungen der Erfahrung von Raum und Zeit4. Zurück zur Erfahrungswelt?LiteraturII.5 Quanten und Felder1. Teilchen und Wellen1.1 Ist die Natur kontinuierlich oder diskontinuierlich?1.2 Klassische Wellen und Teilchen2. Die Quantenrevolution: Licht ist anders, Materie auch2.1 Die Quantisierung des Lichts2.2 Das Bohrsche Atommodell2.3 Der Dualismus von Welle und Teilchen3. Die Quantenmechanik und ihre Deutungen3.1 Die Wahrscheinlichkeitsdeutung3.2 Kopenhagener Deutung und Bohr-Einstein-Debatte3.3 Berühmte Gedankenexperimente4. Heutiger StandLiteraturII.6 Materie, Kraft, Energie1. Was die Welt im Innersten zusammenhält2. Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik3. Jenseits des StandardmodellsLiteraturII.7 Naturgesetz, Kausalität, Determinismus1. Naturgesetz1.1 Begriffsgeschichte1.2 Gesetzesartige Aussagen1.3 Was sind und warum gelten Naturgesetze?2. Kausalität und Determinismus2.1 Begriffsgeschichte2.2 Heutige Auffassungen der Kausalität2.3 Kausalität, Determinismus und physikalischer ZeitpfeilLiteraturII.8 Struktur, System, Information1. Einführung2. Naturphilosophische Bedeutung3. Grundbegriffe3.1 Struktur3.2 System3.3 Information4. Allgemeine und Biologische Systemtheorie5. Systempassungen: Ökologie, Technik, UmweltmanagementLiteraturII.9 Landschaft1. Rechtlich-territorialer Landschaftsbegriff: Landschaft als rechtliche Raumeinheit2. Ästhetisch-symbolischer Landschaftsbegriff: Landschaft als Bild3. Kausal-systemischer Landschaftsbegriff: Landschaft als individuelles WirkungsgefügeLiteraturII.10 Leben1. Ambivalenzen des Lebensbegriffs2. Lebensphilosophie3. ‚Leben‘ als Terminus der Biologie4. „Biopolitik“ und „Lebenswissenschaften“LiteraturII.11 Mensch1. Der natursystematische Begriff vom Menschen als Homo sapiens in der Naturwissenschaft2. Der Wesensbegriff vom Menschen als homo absconditus in der modernen Naturphilosophie2.1 Selbstverständnis und Naturbegriff2.2 Geist und Leben2.3 Natürliche KünstlichkeitLiteraturSektion III: NaturverhältnisseIII.0 EinleitungIII.1 Leibliche Naturverhältnisse1. Schwimmen als leibliche Erfahrung2. Die Differenz von Körper und Leib3. ‚Leib‘ als Konzept der Naturphilosophie3.1 ‚Leib‘ als Vernunftbegriff3.2 ‚Leib‘ als relationaler Subjektbegriff3.3 ‚Leib‘ als subjektiver Zeitbegriff3.4 ‚Umwelt‘ als erweiterter Leib4. Ausblick: Leib und LebensstilLiteraturIII.2 Ästhetische Naturverhältnisse1. Ästhetische Wahrnehmung2. Die ästhetisch wahrgenommene Natur3. Ästhetische NaturverhältnisseLiteraturIII.3 Theoretische Naturverhältnisse1. Abgrenzung2. Theorie auch außerhalb der Naturwissenschaften3. Theorie und Experiment4. Naturwissenschaftliche Theorie und Natur5. Passung oder Vermittlung zwischen Theorie und Natur6. Theorie und die Frage nach der Einheit der NaturLiteraturIII.4 Experimentelle Naturverhältnisse1. Laborexperiment und Selbstversuch2. Nietzsche: Experimentelle Wirkung versus philosophischer Wahrheit3. Latour: Kollektives Experimentieren4. Kollektive experimentelle NaturverhältnisseLiteraturIII.5 Haushaltende Naturverhältnisse1. Einführung: Der Naturkreislauf als Vorbild des Wirtschaftens2. Ursprünge des oikos im antiken Griechenland3. Haushalt als Staatsbegriff und die Idee der Nachhaltigkeit4. Linnés Oeconomia Naturae als Struktur-Ordnungsprinzip5. Agrar-Haushaltsordnungen und ihre Naturbezüge6. Ökologie als Haushaltslehre der Natur: System, Kreislauf, Gleichgewicht7. Kritische Perspektiven: (Re)Produktion, Monetarisierung, Allmende, PostwachstumLiteraturIII.6 Verstehende Naturverhältnisse1. Einführendes Beispiel: Verstehen und Beunruhigung als didaktisches Prinzip2. Verstehen und Natur3. Verstehen und Erklären4. Praktiken des Verstehens5. Verstehen und der Doppelsinn von ErfahrungLiteraturIII.7 Erzählende Naturverhältnisse1. Rousseau – ein Paradebeispiel für die Bedeutung erzählender Naturverhältnisse2. Was bedeutet und was leistet das Erzählen?3. Naturverhältnisse in Ursprungsmythen, Schöpfungsgeschichten und narrativen Utopien4. Naturkunde als erzählendes Naturerleben5. Erzählende Naturverhältnisse in biographischen Erlebnissen6. Naturgeschichte als ‚große Erzählung‘7. Weiterwirkende KreativitätLiteraturIII.8 Religiöse Naturverhältnisse1. Religion als Verehrung der Natur2. Religiöse und verstehende Naturverhältnisse3. Natur als Auftrag4. Mystische Naturverhältnisse5. Neue religiöse NaturverhältnisseLiteraturIII.9 Geschlechtliche Naturverhältnisse1. ‚Mutter Natur‘ nach indianischem Ritus erfahren?2. Heteronormative Hintergründe aktueller Debatten3. Metaphysik binärer Geschlechterverhältnisse4. Naturverhältnisse als Vergeschlechtlichungen sozialer Verhältnisse5. Konsequenzen für die Wissenschaften6. Streitpunkt Anthropologie: Ist ‚der Mensch‘ Mann?7. Zusammenfassung und Ausblick: Der natürliche Mann?LiteraturIII.10 Jenseits der Naturverhältnisse: Natur ohne Menschen1. Das Beispiel der Dinosaurier: Realität der vergangenen irdischen Natur2. Vergangene kosmologische Natur: Mutmaßliche Kontingenz der Menschheit3. Gegenwärtige Naturen ohne Menschen4. Ökologische und militärische Dystopien5. Transhumanistische Utopien6. Weitere Entwicklung des Universums: Mutmaßliches Ende der MenschheitLiteraturSektion IV: Naturphilosophie in der PraxisIV.0 EinleitungIV.1 Natur in Bildung und Erziehung1. Kind und Natur. Eine naheliegende Verbindung?2. Die Bedeutung von Naturerfahrungen für die psychische Entwicklung3. Natur als Ort für Freizügigkeit und Unkontrolliertheit4. Animistisch-anthropomorphe Interpretationen als Bestandteil bedeutsamer Naturerfahrungen5. Naturerfahrungen und UmweltbewusstseinLiteraturIV.2 Natur essen1. Praktisches Beispiel: Welche Natur wollen wir essend schützen?2. Biophilosophie der Ernährung im Spannungsfeld von philosophischer und biologischer Anthropologie3. Hierarchische Basismodelle von Natur im Spiegel abendländischer Nahrungsbeziehungen3.1 Aristoteles’ Biophilosophie: Die belebte Natur als doppelt teleologische Seelenstufenhierarchie3.2 Natur als Schöpfung: das biblisch-personalistische Modell4. Antihierarchische naturphilosophische Impulse5. Ist der Mensch, was er isst? Ernährungsphilosophie zwischen Natur und KulturLiteraturIV.3 Grüne Gentechnik: Pflanzen im Kontext von Biotechnologie und Bioökonomie1. Können wir es besser als die Natur?2. Grüne Gentechnik: Grundstrukturen der Natürlichkeitsargumente3. Biofakte, Bioökonomie und Biotechnologie4. Begriffspolitik im Zeichen der Natur: ‚Gentechnik‘ oder ‚Neue Züchtungstechniken‘?5. ZusammenfassungLiteraturIV.4 Kein Honigschlecken: Bienen als ‚Ökosystemdienstleister‘ und natürliche Mitwelt1. Die Biene als politisches Tier2. Die Biene in der Philosophie3. Bienensterben: Ursachen, Gründe, Lösungsansätze4. Die Biene als Mitwelt und MediumLiteraturIV.5 Von Wölfen, Hunden und Menschen. Zur Rolle der Naturphilosophie in der Tierethik1. Die Begegnung2. ‚Natürliche‘ und ‚kultürliche‘ Tiere und unsere tierethischen Verpflichtungen3. Natürliche Eigenschaften und Naturkontexte in der Tierethik4. Tierethik ohne Naturphilosophie?5. Tierethik und NaturphilosophieLiteraturIV.6 Von der Sehnsucht nach Wildnis1. Kontroversen um Wildnis2. Begriffsbestimmung ‚Wildnis‘: Natur als Gegenwelt3. Aktuelle Wildnisauffassungen in ideengeschichtlicher Perspektive3.1 Aufklärerische Wildnisbedeutungen3.2 Aufklärungskritische Wildnisbedeutungen3.3 Aktuelle Transformationen klassischer Wildnisbedeutungen4. Wildnis im Anthropozän?LiteraturIV.7 Faszination Kosmologie1. Annäherungen2. Historische Skizze3. Wissensansprüche3.1 Ultimative Horizonterweiterung …3.2 … und ihre Grenzen4. Erklärungsansprüche4.1 Die Gottesfrage4.2 Erklärung der menschlichen Existenz5. Anthropologische Bedeutung5.1 Selbstverortung5.2 Sonderstellung des Menschen?5.3 Urbarmachung des Weltraums6. Ästhetische Einstellung zur Natur7. FazitLiteraturAutorinnen und AutorenPersonenregisterSachregister
[Zum Inhalt]

|VII|Abkürzungsverzeichnis

Querverweis auf andere Buchbeiträge

2

Angabe der Auflage von Werken

a.

articulus

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abschn.

Abschnitt

Abt.

Abteilung

ART

Allgemeine Relativitätstheorie

Art.

Artikel

ATLAS

A Toroidal LHC ApparatuS

Aufl.

Auflage

Bd.

Band

Bde.

Bände

BfN

Bundesamt für Naturschutz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BMBF

Bundesministerium für Bildung und Forschung

BMUB

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

BRD

Bundesrepublik Deutschland

Bt

Bacillus thuringiensis

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

CERN

Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire

chin.

chinesisch

CMS

Compact Muon Solenoid

CRISPR

clustered regularly interspaced short palindromic repeats

DDT

Dichlordiphenyltrichlorethan

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

dies.

dieselbe/n

DK

Diels/Kranz

DL

Diogenes Laertius

DNA

deoxyribonucleic acid

doi

digital object identifier

dt.

deutsch

ebd.

ebenda

EG

Europäische Gemeinschaft

engl.

englisch

Einl.

Einleitung

EPR

Einstein, Podolsky, Rosen

|VIII|et al.

et alii/aliae [und andere]

etc.

et cetera [und die übrigen (Dinge)]

EU

Europäische Union

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

frz.

französisch

geb.

geboren

ggf.

gegebenenfalls

griech.

griechisch

GVO

genetisch veränderter Organismus

h

Stunde [lat. hora]

hebr.

hebräisch

Hg.

Herausgeber/in(nen)

HGP

Human Genome Project

HWPh

Historisches Wörterbuch der Philosophie

i.d.R.

in der Regel

insb.

insbesondere

ital.

italienisch

jap.

japanisch

Jh.

Jahrhundert

Jhs.

Jahrhunderts

Kap.

Kapitel

km

Kilometer

lat.

lateinisch

LHC

Large Hadron Collider

MEW

Marx Engels Werke

Mio.

Million/en

Mrd.

Milliarde/n

n. Chr.

nach Christus

o.ä.

oder ähnliches

o.g.

oben genannte/es/en

o.J.

ohne Jahr

PETA

People for the Ethical Treatment of Animals

prop.

propositio

q.

quaestio [methodische Frage]

RNA

ribonucleic acid

s.

siehe

S.

Seite

SEP

Stanford Encyclopedia of Philosophy

s.o.

siehe oben

sog.

sogenannt/e/es/en

so genannt/e/es/en

Sp.

Spalte

SRT

Spezielle Relativitätstheorie

|IX|s.u.

siehe unten

u.

und

u.a.

unter anderem/ggf.: und andere/s

u.a.m.

und andere mehr

UN

United Nations

u.ö.

und öfter

USA

United States of America

usw.

und so weiter

v.

von (aber: „vor“ in „v. Chr. “)

v. a.

vor allem

v. Chr.

vor Christus

vgl.

vergleiche

z.B.

zum Beispiel

zit. n.

zitiert nach

z.T.

zum Teil

[Zum Inhalt]

|XI|Zur Einführung

Natur ist im Trend, Natur ist überwunden, Natur ist elementar, Natur ist bedroht, Natur ist lebenswichtig, Natur ist ideologisch – diese aktuellen Aussagen zeigen exemplarisch, wie vielfältig Auffassungen von Natur sein können und wie wichtig es ist, sich über Natur und Naturbegriffe zu verständigen. Hierzu möchte dieses naturphilosophische Lehr- und Studienbuch einen integrativen Beitrag leisten. Im Zuge dessen wird die selbstreflektierende Frage gestellt, welchen Bereich die Naturphilosophie innerhalb der Philosophie, aber auch in interdisziplinären wie lebensweltlichen Kontexten umfasst und umfassen könnte.

Die Naturphilosophie gehört zweifellos zu den ältesten Denkrichtungen der Philosophie. Entsprechend groß ist ihr theoretisches wie praktisches Potenzial – nicht zuletzt wegen der zentralen Bedeutung, die der Begriff ‚Natur‘ in zahlreichen Diskursen und Debatten hat. Sich naturphilosophisch zu bilden ist deshalb in fast jedem Fach relevant. Für Studierende und Lehrende bietet die Naturphilosophie einen reichen Schatz an Analysewerkzeugen für das Naturdenken wie -handeln. Naturphilosophische Kenntnisse helfen aber auch beim Verständnis gesellschafts- und wissenschaftspolitischer Entwicklungen: von Naturschutzprojekten und Tourismuskonzepten bis hin zu Debatten um die Relevanz von Teilchenbeschleunigern angesichts deren hoher Kosten.

Hinweise auf Natur können Probleme, aber auch Problemlösungen markieren. Abhängig von der Verwendung kann ‚Natur‘ auf argumentative Differenz oder Einheit abzielen. Natur ist gleichsam überall, war vor uns da und wird es womöglich auch nach uns sein; sie ist Innen und Außen und „hat weder Kern noch Schale“. (Auf jene allgemeineren Deutungen kommen wir unten noch zurück.) Aber theoretisch wird Natur – und dies nicht nur in den Naturwissenschaften – immer mehr vereinzelt, verdinglicht und fachspezifisch bearbeitet und rückt dadurch letztlich in ein Nirgendwo. Vielleicht ist so das immer häufiger beklagte Desinteresse junger Menschen am Studium der Naturwissenschaften mitverursacht worden. Denn Natur wird eher dann als langweilig erachtet, wenn man sie – aus guten Gründen – als etwas immer schon Gesetzmäßiges oder Bekanntes darstellt. Man mag sich hier an Heraklit erinnern: „Die Natur liebt es, sich zu verbergen“ (DK 22 B123). Um wieder Lust an der Entdeckung und Erforschung der Natur zu haben, sollte sie immer auch als plural, vielfältig situiert, rätselhaft und spannend verstanden werden können. Nicht nur darin haben Naturphilosophie und Naturwissenschaft ein gemeinsames Anliegen.

In dieser Situation hat die gegenwärtige Naturphilosophie die Aufgabe, die Pluralität von Naturwahrnehmungen und Naturdeutungen mit ihren historischen Fundierungen im Spiel zu halten und zugleich, im Sinne von Orientierungswissen, Strukturen und Relationen des Naturwissens und Naturdenkens aufzuzeigen. Die Naturphilosophie markiert wirkmächtige Spuren, von denen in diesem Buch fast ausschließlich die sog. westlichen verfolgt werden konnten. Jene Spuren leiten die philosophische Suche nach |XII|Einheit in der Vielheit der Naturzugänge an – bei gleichzeitigem Wissen und Wollen, dass das Streben nach Einheit nur als Aufgabe verstanden werden kann und nicht als absolut zu erreichendes Ziel.

Zu dieser Aufgabe gehören auch kritische Hinweise auf sog. naturalistische Tendenzen. Damit sind Vereinheitlichungen von Naturbegriffen gemeint, etwa die Aufhebung von individuell, gesellschaftlich und kulturell unterschiedlichen Naturbegriffen durch Termini der Physik und der Biologie. Nicht selten werden derartige Homogenisierungen mit weitreichenden Deutungsansprüchen verbunden, die ganze Gesellschaften oder sogar die Menschheit an sich betreffen. Zwei theoretische Sollbruchstellen fallen dabei besonders ins Auge: erstens die Gleichsetzung des Begriffs ‚Geschichte‘ mit dem Begriff der (z.B. kosmo-, geo- oder biologischen) ‚Vergangenheit‘. Denn ‚Geschichte‘ bedeutet mehr als nur den Anfang eines abstrakten Zeitpfeils, der in die Zukunft gerichtet ist. „Geschichte ist die geistige Form, in der sich eine Kultur Rechenschaft über ihre Vergangenheit gibt“ (Johan Huizinga). Diese Aussage gilt nicht nur für die Philosophie und die Geschichtswissenschaft, sondern für alle Geisteswissenschaften, insofern sie sich immer auch als historische Wissenschaften verstehen. Die Naturphilosophie hat entsprechend die vordringliche Aufgabe, Natur in Form von Kategorien des Geistes abzuhandeln, d.h. als Idee, Begriff, Objekt, experimentell erzeugte Tatsache usw. Damit legt sie immer auch Rechenschaft über ihre eigene Vergangenheit ab und schreibt an ihrer Geschichte. Für das Nachdenken über Natur bleibt die Naturphilosophie auf überlieferte und aktuelle Texte ebenso angewiesen wie sie dafür sorgt, geschärfte Naturbegriffe und strukturierte Argumente zum Naturwissen für die Texte und das Nachdenken anderer Disziplinen zur Verfügung zu stellen; zuvorderst für die Naturwissenschaften, von deren Erkenntnissen sich die Naturphilosophie wiederum bewusst begeistern wie herausfordern lässt. – Die zweite theoretische Sollbruchstelle ist die Gleichsetzung des Menschen und seiner Existenz mit der biologischen Art Homo sapiens – einer Spezies, die ggf. sogar technisch überwunden werden könnte (Trans- bzw. Posthumanismus). Durch diese Verkürzung wird der Mensch, den vom Tier maßgeblich unterscheidet, dass ihm sein Menschsein zu verwirklichen wesentlich als Aufgabe gestellt ist, letztlich nur noch als oberstes der Säugetiere verstehbar. Er teilt dann mit den Tieren eine ‚natürliche‘ Vergangenheit, aber noch keine Geschichte/n mit anderen Menschen. So wird nicht zur Sprache gebracht, wie unterschiedlich der Mensch sich – qua Geist und Vernunft, qua Denken, Fühlen und Handeln – in ein Verhältnis zur Natur gesetzt hat, dies heute tut und auch in Zukunft zu tun gedenkt. Wichtig ist: Erst in Kombination jener beiden reduktionistischen Vorannahmen zu ‚Mensch‘ und ‚Natur‘ und damit auch zur Konstitution von ‚Welt‘ würde es vielleicht möglich zu denken, dass Natur auch nach uns da sein wird – weshalb wir im betreffenden Satz oben das vorsichtige „womöglich“ hinzu gesetzt haben. Die so zum Ausdruck gebrachte Vorsicht ist auch eine Anspielung auf den Titel desjenigen Buches, das in jüngster Zeit wie kein anderes zur internationalen philosophischen Debatte um den Naturbegriff und das dominierende Weltbild der Naturwissenschaften beigetragen hat: Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist (engl. 2012, dt. 2013) von Thomas Nagel. Die beiden o.g. theoretischen Sollbruchstellen stehen dort im Fokus.

|XIII|Jener Argumentationskomplex soll wegen seiner Aktualität und gerade mit Blick auf jüngere und/oder mit Science Fiction-Erzählungen vertraute Leserinnen und Leser dieses Buches kurz erläutert werden. Dabei werden die eingangs genannten Aussagen über Natur z.T. kritisch wieder aufgegriffen. Denn wenn Natur „im Trend“ ist, dann stellt sich dabei stets die Frage, in welchen Weisen sie das ist. Angenommen, Teile der bisherigen Menschheit würden die Erde für immer verlassen und extraterrestrisch als Menschen weiterleben, so bliebe Natur zumindest elementar in irgendeiner Form da, z.B. wenn jene Menschen in sog. ‚Life-Support-Systemen‘ mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt würden. Natur wäre auch in dieser reduzierten Form lebenswichtig oder genauer: überlebenswichtig. Den extraterrestrischen Menschen blieben vielleicht auch Naturfotografien, die sie an die Geschichte der irdischen Vergangenheit ihrer Vorfahren erinnerten – wenngleich sich dies etwa so anfühlen würde, wie wenn wir heute Bilder historischer Landschaften betrachten. Wir erkennen sie als Spuren unserer eigenen Geschichte, ohne den zugehörigen Sinnhorizont, der für die Menschen in früheren Zeiten galt, wirklich verstehen zu können. Um sich diesen Sinnhorizont wenigstens annähernd zu erschließen, bedarf es Quellen und zugehöriger Geschichten, die vom Gewesenen Zeugnis ablegen und sinnstiftend für das Verständnis der Gegenwart sind. Im Falle des tiefgründigen Bedeutungshorizonts von Natur und der mit ihr verbundenen Begriffe und Ideen sind dies z.B. historische Quellen zu Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Wetterveränderungen und Überflutungen (inklusive Fossilien), zur vorindustriellen Landwirtschaft, zum japanischen Zen-Garten und Englischen Garten, zur jüdisch-muslimischen Medizin des Mittelalters, zur antiken Legitimation der Sklaverei, zur Entstehung von Albert Einsteins Relativitätstheorien, zur Schönheit von Landschaft und zur Erhabenheit des Himmels.

Aber die These, dass Natur, so wie wir sie bislang in all ihrer Pluralität verstanden haben, auch nach „uns“, d.h. nach der Menschheit, da sein und nicht ‚nur‘ sein würde, widerspricht folgender Annahme: Über Natur kann nur im Rahmen von Mensch-Natur-Verhältnissen und Mensch-Welt-Verhältnissen (wozu auch wissenschaftliche, technische und philosophische Verhältnisse gehören) nachgedacht werden. Dieser naturphilosophische Impetus findet sich von den Vorsokratikern und Aristoteles bis in die Neuzeit, z.B. bei Georg W.F. Hegel, Edmund Husserl, Ludwig Wittgenstein, Hannah Arendt, Paul Feyerabend und Thomas Nagel. Entsprechend kann von Natur in eben dieser gewohnten Weise auch nur von Menschen erzählt und können die Erzählungen auch nur von Menschen hinreichend verstanden werden. Das schließt nicht prinzipiell aus, dass mögliche andere Lebensformen Geschichten über Natur erzählen, aber weist darauf hin, dass es wohl keine mehr von „unserer“ Natur und dem plural gestalteten Verhältnis zu ihr sein werden. Betroffen wären davon auch die Ursprungs- und Schöpfungserzählungen in Mythos, Religion und Wissenschaft, die in vielfältiger Übereinstimmung davon ausgehen, dass es vor dem Menschen im Kosmos und auf der Erde etwas gegeben hat, was man in Bezug zum Begriff ‚Natur‘ setzen kann: das Chaos, das Tohuwabohu, den Himmel, das Wasser, die Pflanzen und Tiere, die Sonne, die Uratmosphäre, die Archaeen (von griech. arché für: Anfang), die Dinosaurier usw. Dass Natur vor uns da war ist deshalb, wenngleich nicht unproblematisch, eine weitaus weniger strittige Aussage, als dass sie nach uns (noch) da sein wird. Hinter diesen |XIV|Überlegungen verbirgt sich eine seit der Antike vieldiskutierte Problematik, die als sog. homo-mensura-Satz von Protagoras zu den Gründungsdokumenten der abendländischen Naturphilosophie zählt und aus dem 5. Jh. vor Christus stammt: „Aller Dinge Maß ist der Mensch, der seienden, daß (wie) sie sind, der nicht seienden, daß (wie) sie nicht sind“ (DK 80 B1).

Doch selbst, wenn man im Gedankenexperiment Außerirdische mit einschlösse in ein zukünftiges „Wir“, gälte es zu bedenken: Es gibt keinen archimedischen Standpunkt im Weltall, von dem aus das Verhältnis von Natur, Mensch und Welt im wahrsten Sinne des Wortes begreiflich gemacht werden könnte – so schon 1958 Hannah Arendt in Vita activa (Kap. 37). Er ist ein Nirgendwo, weshalb das oben gewählte Wort „womöglich“ (wird Natur nach uns da sein) in Bezug auf die Aussage sogar sinnlos sein könnte. Hinzu kommt der philosophische Zweifel an einer temporal ungebrochenen Kontinuität von Natur als innerlich und dabei gleichzeitig äußerlich Vorgestelltes. Denn wenn die Natur des Menschen in den Gedankengebäuden des Transhumanismus als überwunden oder zumindest überwindbar postuliert wird, entsteht die Frage, wieso dies nicht auch die Vorstellung von der äußeren Natur, z.B. als Umwelt oder Landschaft, betreffen sollte. Transhumanistische Existenzen würden ja, wenn, dann eine andere körperlich-leiblich-geistige und somit auch eine andere innere Natur haben und deshalb wohl auch eine andere äußere Natur konzipieren – und umgekehrt. Und während wir uns von diesem Gedanken faszinieren lassen, der mit dem dystopischen Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? (engl. 1968) von Philip K. Dick Teil der Weltliteratur geworden ist, gilt trotzdem: Die innere Natur des Menschen, das Selbstempfinden und -bewusstsein, ist alles andere als verstanden. Meist wird unterschätzt, dass „wir große, komplizierte Fälle von etwas sind, das objektiv physikalisch von außen und subjektiv mental von innen ist“ (Thomas Nagel). – Bezogen auf die berechtigte Mahnung, dass Hinweise auf ‚Natur‘ und auch ‚Mensch‘ als Vehikel von politischen Ideologien dienen oder dienen könnten, wäre demnach zu ergänzen: Umgekehrt sind unterlassene Hinweise auf ‚Natur‘, insb. in Verbindung mit der Vision von der Überwindung des Menschen, derselben Gefahr ausgesetzt. Von dieser Warnung ist auch der jüngere Ökologie-Diskurs nicht auszunehmen, insofern er sich die Metapher vom „Raumschiff Erde“ teilweise zu eigen gemacht hat, um allerdings gerade darauf hinzuweisen, dass die globale Natur bedroht ist – womit Krise und Fortschritt in einem Ausdruck vereint worden sind.

Und schließlich ergibt sich in jenem Argumentationskomplex ein logisches Problem: Wenn ‚die Natur‘ ‚die Welt‘ bedeuten und diese ‚das Weltall‘ als Ganzes meinen soll, wie kann es dann überhaupt noch eine Um-Welt geben? So bewahrheitet sich Johann W. von Goethes berühmte Aussage „Natur hat weder Kern noch Schale“ auch angesichts von zeitgenössischen Kosmologien und ihren Modellierungen, die im Spannungsfeld von Materialität und Virtualität stehen. Aus naturphilosophischer Sicht bleibt also fraglich, ob mit den immer populärer werdenden Visionen von einer transhumanistischen Existenzweise im All, d.h. mit einer die bisherige Natur ablösenden Lebensform nach Maßgabe der Technik, etwaige Entsprechungen zu Mensch-Natur-Verhältnissen auch nur annähernd begründet werden könnten. Gleichwohl erscheint es den Herausgeberinnen und Herausgebern dieses Lehrbuchs wichtig, im Angesicht |XV|jener aktuellen Visionen und Deutungen zu philosophieren und sie als Optionen des Nachdenkens über Natur nicht auszuschließen.

Dieses Unterfangen ist gerade deshalb ambitioniert, weil auch die Philosophie von den modernen Fragmentierungs- wie Homogenisierungstendenzen nicht verschont geblieben ist, ja sie sogar mit befördert hat. Die westliche Philosophie des 20. Jhs. wurde – auch jenseits von Deutschland – damit konfrontiert, dass ihre altetablierten Lehrstühle für Naturphilosophie entweder verschwanden oder bevorzugt in solche für Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften, alternativ auch für Erkenntnistheorie bzw. Philosophie des Geistes, umgewidmet wurden. Dabei sind klassische Problemstellungen der Naturphilosophie, wie die schon in der Antike wichtigen Fragen nach Welt, Raum und Zeit, in alternative Denkarchitekturen eingeordnet worden. Die Folgen zeigen sich nun im 21. Jh. verstärkt. Sie wären nicht zu beanstanden, wenn bei jenen Transformationen die naturphilosophisch etablierten Begriffe und Konstellationen an die wichtigen Traditionen ihrer Genese und Verwendung anschlussfähig gehalten worden wären. Diese Begriffe und Konstellationen sind nämlich zum großen Teil bis in die Gegenwart bedeutsam: und zwar von Weltbildern bis zu Naturrechtsdebatten, von Materiekonzepten bis zum physikalischen „Teilchenzoo“, von Körperpraktiken bis zu Ernährungsstilen, von ästhetischen Naturidealen bis hin zum Konzept eines regulierbaren Naturhaushalts. Sie werden auch gebraucht zur Erfassung der noch nicht historisch sedimentierten Mensch-Natur-Verhältnisse etwa bezüglich der Antarktis und der Tiefsee, die jüngeren Datums sind und eine hohe Dynamik aufweisen.

Aber wenngleich das naturphilosophische Erbe an zahlreichen Hochschulen durchaus inhaltlich bearbeitet wird und teilweise nur unter anderem Namen figuriert, z.B. unter Philosophische Anthropologie, Ästhetik, Wissenschaftsphilosophie oder Tierethik, ist doch eine Vakanz historisch-systematischer Überblicksdarstellungen zur Naturphilosophie entstanden. Benötigt werden insb. Überblicksdarstellungen, welche die Historie mit einem aktuellen Frage- und Problemhorizont der Auseinandersetzungen um Natur und ‚Natur‘ verknüpfen. Vor allem in der schulischen und universitären Lehre macht sich diese Leerstelle seit längerem bemerkbar.

Aufgrund dieser Desiderate in Lehre und Forschung haben sich die Herausgeberinnen und Herausgeber vor einigen Jahren versammelt, um in einer ständigen Arbeitsgruppe miteinander in Dialog zu treten und dieses Lehrbuch für den Unterricht, aber auch zum Selbststudium zu entwickeln. Als Autorinnen und Autoren wurden auch ausgewiesene Experten jenseits des Herausgeberkreises eingeladen. Für die beabsichtigte Vielstimmigkeit war und ist die Überzeugung leitend, dass die Naturphilosophie mit ihrer reichhaltigen Vergangenheit ihrerseits Zukunft hat. Sie kann ihr Potenzial auch für Fächer jenseits der Philosophie entfalten, z.B. für die Pädagogik, die Soziologie, die Psychologie, die Literaturwissenschaft, die Kunstgeschichte, die Theologie, die Mathematik und – nur scheinbar selbstverständlich – für die Naturwissenschaften. Umgekehrt tragen all jene und weitere Wissenschaften dazu bei, die Naturphilosophie immer wieder neu herauszufordern. Deshalb wurde dieses Lehr- und Studienbuch zwar vorwiegend, aber keineswegs ausschließlich von Philosophinnen und Philosophen geschrieben.

 

|XVI|Das Buch ist in vier Sektionen gegliedert:

Sektion I „Geschichte und Systematik“ bietet anhand repräsentativer Konstellationen und Personen Einblick in die reichhaltige Tradition der westlichen Naturphilosophie von der Antike bis in die Gegenwart. Dabei wird die Verschränkung von Geschichte und Systematik der Naturphilosophie deutlich.

In Sektion II „Grundbegriffe der Naturphilosophie“ werden ausgewählte fundamentale Begriffe mit ihren Bedeutungstraditionen und gegenwärtigen Semantiken vorgestellt. Das Spektrum der Grundbegriffe reicht dabei von ‚Natur‘ bis ‚Mensch‘. Es bildet einen perspektivischen Horizont für die Frage, welche Begriffe zu welcher Zeit und aus welchen Gründen ihre Bedeutung eher in wissenschaftlichen oder eher in nichtwissenschaftlichen Kontexten erlangen. (Zu weiteren Begriffen s. www.naturphilosophie.org.)

Sektion III rückt „Naturverhältnisse“ in den Mittelpunkt, d.h. den relationalen Charakter des Sprechens über, des Umgangs mit und des Verstehens von Natur sowie der damit verbundenen Beziehungs- und Deutungsmuster. Natur wird in Form von gesellschaftlichen Naturverhältnissen verhandelt, die von leiblichen und ästhetischen über u.a. experimentelle und erzählende bis hin zu geschlechtlichen und religiösen Naturverhältnissen reichen – und zuletzt das Mensch-Natur-Verhältnis als solches in Frage stellen.

Sektion IV schließlich behandelt „Naturphilosophie in der Praxis“ und damit Naturbezüge, die v.a. jenseits des Labors greifen und für weitreichende Debatten sorgen, z.B. wenn in Film und Fernsehen, in Schule und Küche, im Naturschutzgebiet und Waldkindergarten, auf dem Acker und beim Spaziergang Natur sinnstiftend vermittelt, praktisch behandelt und auch immer wieder neu verhandelt wird. Im Lichte naturphilosophischer Reflexionen zeigen sich an diesen Naturbezügen konfliktträchtige, z.T. widersprüchliche und sogar paradoxe Umgangsweisen mit Natur: z.B. die Sehnsucht nach Wildnis und die Faszination für die „unendlichen Weiten“ des Weltalls bei oft gleichzeitiger Unterschätzung der alltäglichen Technisierungen von Natur in Folge von industrialisierter Landwirtschaft und Tierhaltung. Damit wird auch ein kritischer Blick auf aktuelle Ökonomien der Aufmerksamkeit für ‚die‘ Natur gelenkt. In guter philosophischer Tradition mögen die gegebenen Hinweise auf Paradoxien und Widersprüchlichkeiten Anlass zum Nachdenken und zur Selbstreflexion bieten.

Mit diesem Aufbau werden vier unterschiedliche, jedoch miteinander verknüpfte Zugänge zur Naturphilosophie angeboten. Die Lektüre kann in jedem Kapitel des Lehr- und Studienbuches beginnen und von dort, unterstützt durch die Querverweise zwischen den Kapiteln, vertieft und erweitert werden. Weiterführende naturphilosophische Literatur ist, ohne Vollständigkeit anzustreben, jeweils am Ende der Kapitel genannt.

Danken möchten wir den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und ferner dafür, dass sie sich im Rahmen des mehrstufigen Begutachtungsverfahrens auf den aufwändigen Abstimmungsprozess bei der Konzeptualisierung wie auch der |XVII|Finalisierung des Lehr- und Studienbuchs eingelassen haben. Den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern danken wir für ihre wertvollen Kommentare und Hinweise.

Wir danken dem Verlag Mohr Siebeck für die umsichtige Betreuung des Lehrbuchs. Für das sprachliche Lektorat danken wir Ariane Filius. Für umfangreiches Korrekturlesen und/oder Kommentieren sind wir darüber hinaus Alfred Dunshirn, Anna Katharina Göb, Claudia Güstrau, Sascha Kühlein, Uwe Lammers, Jochen Litterst, Sophie Nadolski, Fabian Ott und Steffen Stolzenberger zu Dank verpflichtet.

Das Lehrbuch wurde durch die sechsjährige Arbeitsgruppe „Natur begreifen – Natur schützen“ an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., Institut für interdisziplinäre Forschung (FEST), in Heidelberg konzipiert, die anfänglich von Gerald Hartung, dann von Thomas Kirchhoff geleitet wurde. Als Zwischenergebnis der Arbeitsgruppe und Vorarbeit zu diesem Lehr- und Studienbuch ist 2014 die Anthologie Welche Natur brauchen wir? Analyse einer anthropologischen Grundproblematik des 21. Jahrhunderts erschienen.

Ohne die finanzielle Förderung der obigen Arbeitsgruppe durch die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., Institut für interdisziplinäre Forschung (FEST), in Heidelberg im Rahmen ihrer Grundfinanzierung durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wäre es nicht möglich gewesen, dieses Lehr- und Studienbuch zu konzipieren und herauszugeben.

Das Buch hat reges Interesse in Forschung, Lehre und Medien gefunden, so dass nach nur drei Jahren eine zweite Auflage erscheint. Sie wurde aktualisiert und auf Tippfehler durchgesehen. Unsere Einleitung und mit ihr das Buch sind durch die gesellschaftlichen Entwicklungen mehr denn je aktuell: Über Natur lässt sich nur in Mensch-Natur-Verhältnissen und in Kenntnis von Naturbegriffen sinnvoll nachdenken. Deshalb wurde im letzten Jahr, ergänzend zu diesem Buch, das Projekt „Online Encyclopedia Philosophy of Nature / Online Lexikon Naturphilosophie“ initiiert, an dem zahlreiche Autorinnen und Autoren dieses Buches beteiligt sind und in dem sukzessive frei zugängliche Artikel zu naturphilosophischen Begriffen versammelt werden sollen.

 

Thomas Kirchhoff und Nicole C. Karafyllis für die Herausgeberinnen und Herausgeber

Heidelberg und Braunschweig im Januar 2020

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|1|Sektion I: Geschichte und Systematik

[Zum Inhalt]

|3|I.0Einleitung

Myriam Gerhard, Nicole C. Karafyllis, Gerald Hartung und Kristian Köchy

Versteht man ‚Naturphilosophie‘ in weiter Bedeutung als den Versuch einer sinnstiftenden Betrachtung der Natur, dann gibt es keine Epoche der Philosophiegeschichte, in der die Naturphilosophie nicht präsent gewesen wäre. Über viele Jahrhunderte war sie sogar maßgeblich, z.B. mit der antiken Vorstellung vom Kosmos, die noch das Weltbild des Mittelalters prägte. Der Atomismus lässt sich nahezu durchgängig von den Vorsokratikern bis in die jüngste Gegenwart nachweisen, wenn er auch immer wieder in anderen Konstellationen erscheint. Grundkonzeptionen des Naturbegriffs im Römischen Recht sind bis heute in den interdisziplinären Diskursen um das Naturrecht wirksam. Und wenn in der gegenwärtigen Geologie, Biologie und Anthropologie auf eine ‚Naturgeschichte‘ verwiesen wird, so schließt dies langetablierte philosophische Debatten um das Verhältnis von Natur und Geschichte ein. Dabei wurde Natur auch als Schöpfung verstanden – ein Verständnis, das etwa in aktuellen Bemühungen um den Schutz der Biodiversität wieder aufscheint. Überdies leitete und leitet die naturphilosophische Frage nach der Mathematisierung der Natur und ihren Grenzen nicht nur die Philosophie selbst an, sondern auch die Mathematik, die Naturwissenschaften, die Ökonomie, die Mechanik und sogar die junge Informatik.

Die Geschichte der Naturphilosophie ist stets auch ein Versuch ihrer systematischen Bestimmung und Verortung gewesen. Diese Verschränkung von Geschichte und Systematik der Naturphilosophie soll in Sektion I dieses Lehrbuchs deutlich werden. Um einen adäquaten Einstieg in die Naturphilosophie zu bieten, wird im Folgenden eine Auswahl historisch bedingter Konstellationen naturphilosophischen Denkens dargestellt, die von der Antike bis in die Gegenwart führt. Ziel ist es, Einblicke in naturphilosophisches Denken zu bieten, die einen systematischen Aufriss der Naturphilosophie im Kontext ihrer eigenen Geschichte aufzeigen. Dabei treten Machtverhältnisse in und zwischen Disziplinen und Denkrichtungen zu Tage: Es gab einflussreiche Streitigkeiten in der Naturphilosophie, die ausgefochten wurden, wie im 19. Jh. der Materialismus-, der Darwinismus- und der Ignorabimus-Streit. In dasselbe Jahrhundert fällt auch der Beginn des ‚Kampfes‘ um die Naturphilosophie an sich – und es beginnt ihre teilweise Ablösung durch die Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften, die sich im 20. Jh. gleichsam manifestiert. In diesem Zeitraum der langen Geschichte der Naturphilosophie spitzt sich die systematische Frage nach ihrem Aufgabenfeld zu: Inwieweit ist ‚Natur‘ noch Gegenstandsbereich der Naturphilosophie? Für die Klärung welcher Fragen kann die Naturphilosophie exklusiv zuständig sein? Parallel wandelt |4|sich die bisherige Naturphilosophie und erscheint in anderem Gewand. Gegenwärtige Strömungen der Naturphilosophie – die nicht alle unbedingt unter dem Namen ‚Naturphilosophie‘ figurieren – beziehen sich auf maßgebliche Konstellationen des philosophischen Nachdenkens über ‚Natur‘ nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Historie. Dabei erzeugt der Blick zurück sowohl eine Identität der Naturphilosophie wie er auch Einblicke in ihre Vielfalt und Vielstimmigkeit freigibt. Entsprechend zeigt der letzte Beitrag dieser Lehrbuchsektion systematische Grenzen und Konturen der Naturphilosophie auf: als Disziplin der Philosophie und im möglichen Wechselspiel mit den Naturwissenschaften, aber auch in Abgrenzung zu diesen.

Die zweifellos existierende Pluralität der naturphilosophischen Konzeptionen ist keineswegs ein Beleg für die Beliebigkeit von Naturphilosophie, sondern vielmehr Indiz für deren Umbrüche, Verdichtungen und Verflüssigungen – und diese Flexibilität ist eine wesentliche Stärke der Naturphilosophie. Um entsprechende Alternativen im Denken und Vorstellen geht es auch in der Darstellung von Konstellationen, die die Geschichte als einen dynamischen, auf die Lösung von jeweils gegenwärtigen Problemen ausgerichteten Prozess begreift; sei es als Geistes-, Ideen-, Wissens- oder Objektgeschichte. Einige Konstellationen erscheinen uns heute aus bestimmten Gründen wichtiger und prägender zu sein als andere: z.B. die Vorstellung einer Naturgeschichte als Entwicklungsgeschichte bzw. Evolution, etwa im Vergleich zu einer Lebenskraft, die alle Natureinheiten durchdringt. Die Wahrnehmung der jeweiligen Wichtigkeit ist aber selbst dem historischen Prozess unterworfen. Von daher gibt es naturphilosophische Positionen der Vergangenheit, die heute eher ein Schattendasein führen, aber vor anderen Problemhorizonten wieder ins Licht treten könnten – gerade auch jenseits der Philosophie.

Mit dieser einführenden Sektion kann weder eine vollständige noch eine repräsentative Geschichte naturphilosophischen Denkens und auch keine erschöpfende systematische Bestimmung der Naturphilosophie geleistet werden. Ziel ist es vielmehr, zentrale Begriffe, Kategorien und Topoi in ihren Relationen zu ‚Natur‘ vorzustellen und mit den zugehörigen Denkerinnen und Denkern in ihren Epochen zu verbinden. Dabei wird die historisch-systematische Perspektive für die nachfolgenden Sektionen „Grundbegriffe der Naturphilosophie“ (Sektion II), „Naturverhältnisse“ (Sektion III) und „Naturphilosophie in der Praxis“ (Sektion IV) aufgespannt. Die Möglichkeiten und Grenzen heutiger Naturphilosophie lassen sich nicht losgelöst von früheren naturphilosophischen Reflexionen betrachten; so die Ansicht der Herausgeberinnen und Herausgeber dieses Lehrbuchs. Das bedeutet nicht, dass jeder naturphilosophischen Überlegung eine erschöpfende Analyse der Geschichte der Naturphilosophie vorherzugehen habe. Doch die Frage, welche Konzeptionen und Methoden uns als sinnvoll gelten und welche nicht – welchen Sinn und Zweck ‚Natur‘ erfüllt, erfüllen soll und erfüllen kann – ist nur in Ansehung der historischen Entwicklung der Naturphilosophie adäquat zu beantworten.

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|5|I.1.AKosmos und Universum: Chaos, Logos, Kosmos

Nicole C. Karafyllis und Stefan Lobenhofer

1.Chaos und Mythos[1]

Der griechische Philosoph Epikur (341–271 v. Chr.) habe sich einst der Philosophie zugewandt, weil ihm sein Lehrer den Ausdruck „Chaos“ bei Hesiod nicht erklären konnte (DL X, 2). Mit dieser Anekdote bringt der Philosophiehistoriker Diogenes Laertius (3. Jh.) im Buch Leben und Meinungen berühmter Philosophen ein gängiges Motiv in die Anschauung: Philosophieren beginnt mit dem Staunen über die Welt (vgl. Aristoteles, Metaphysik I 982b11f.). Begleitet wird das Staunen von der Unzufriedenheit mit bestehenden Deutungsversuchen, von der Suche nach vernünftigen Erklärungen. In der Person Epikurs verbindet Diogenes das Thema des Anfangs der Welt im Chaos mit dem Anfang der Philosophie. Dies geschieht auch bildlich, denn das Staunen begegnet uns mit offenem Mund – und das griechische Wort „Chaos“ meint wörtlich einen klaffenden Schlund oder Abgrund. Beim Aussprechen sagt man wie beim Staunen ein langgezogenes „A“ und „O“, was die Bedeutung lautmalerisch unterstreicht und an Anfang und Ende des griechischen Alphabets erinnert. Aber was am Chaos machte Epikur unzufrieden?

Eine Antwort ist: seine Unermesslichkeit und damit die Schwierigkeit, das Chaos vernünftig zur Sprache zu bringen – und somit zum Logos. Denn das Chaos meint, modern ausgedrückt, die Grenze der Dimension. Über sie wird in Hesiods Mythos jedoch nichts gesagt. Der Dichter Hesiod (ca. 700 v. Chr.) hatte einst die Theogonie geschrieben, ein Epos über die Entstehung der Götterwelt, in der das Chaos den Urzustand des Kosmos darstellt. Hesiod lässt die Musen über den Anfang der Weltentstehung (Kosmogonie) singen:

„Wahrlich, als das Allererste [prṓtista[2]] entstand Chaos und danach

Gaia mit ihrer breiten Brust, ein immer sicherer Sitz für alle Gottheiten,

die den Gipfel des schneebedeckten Olymp bewohnen,

und die finsteren Abgründe in der Tiefe der breitstraßigen Erde,

Und Eros, der Schönste unter den unsterblichen Göttern,

Der Gliederlöser, der bei allen Göttern und Menschen,

Bezwingt den denkenden Sinn [nóon] und den verständigen Willen in ihrer Brust.

|6|Aus Chaos entstanden Erebos und schwarze Nacht [Nýx]

Aus der Nacht dann wieder Äther und Tag [Heméra],

Die sie [= Nýx] gebar schwanger vom Erebos, mit dem sie sich in Liebe verband.

Gaia aber brachte zuerst hervor den mit ihr gleich weiten

Uranos, den gestirnten, dass er sie überall einhülle,

Damit er sei den seligen Göttern ein sicherer Sitz für immer.“[3]

Aus dem Chaos entstehen per Spontangeneration die ersten Gottheiten als Ordnungsinstanzen der Natur: Erde (Gaia → III.9), Liebe (Eros), Nyx (schwarze Nacht) sowie Erebos (unterweltliche Finsternis) und Tartaros, das äußerste Ende der Unterwelt.

Epikurs Unzufriedenheit ist verständlich: Ist das Chaos das „Nichts“? Ist es „etwas“? Wie kann aus dem Nichts überhaupt die Welt bzw. der Kosmos entstehen? Ist die Welt wesentlich materiell oder immateriell aufgebaut? Abgesehen von der letzten Frage, die Epikur zugunsten einer materiellen Welt aus ewigen und unteilbaren „Atomen“ beantwortet sehen wird, haben die Philosophen offenbar seit den Mythen von Homer und Hesiod keine zufriedenstellenden Antworten auf die metaphysischen Fragen geben können. Eingedenk der Grundprobleme vom Sein und seinem Anderen – dem Seienden einerseits, dem Nichts andererseits – besteht dieses vermeintliche Manko auch heute noch. Dies gilt trotz der Fortschritte der neuzeitlichen Physik (→ II.3–II.6; IV.7) und trotz der sog. Chaostheorien, d.h. Theorien der Selbstorganisation (→ II.8), weil diese das Problem der Grenze nicht lösen können und deshalb logisch meistens eine erste Innerlichkeit des Alls (ein Selbst) unterstellen. Jenes Problem wird schon deutlich am Begriff ‚Universum‘, der wörtlich „das in Eins Gekehrte“ bedeutet. Und das Gesagte zum Fortbestand der Problematik gilt ferner trotz der Popularität des Ausdrucks „Medium“ im poststrukturalistischen Philosophieren der Gegenwart, in dem das Chaos seine Spur als Wandelndes ohne Grund hinterlassen hat.

Epikur wollte am Anfang seines Philosophierens Hesiods Ausdruck „Chaos“ verstehen, verbarg sich doch dahinter die Frage nach dem Urgrund allen Seins, aber auch die nach dem ewigen Abgrund. Hesiods Sukzessionsmythos von der Weltentstehung als sich abwechselnd zeugende und vernichtende Göttergenerationen macht die zwei gegensätzlichen kosmischen Prinzipien von Liebe und Streit, von Einheit und Differenz erzählerisch verstehbar (→ III.7). Das aus dem Chaos entsprungene Geschwisterpaar Gaia und Eros zeugt Uranos (den Himmel) und Okeanos, den kreisrunden Strom. Damit ist der Horizont als Grenze gebildet. Himmel und Meer umfließen die Erde, die als gebirgige und unterhöhlte Scheibe in einer Weltmitte gedacht ist. Zwei andere Kinder des Chaos, Nyx und Erebos, zeugen die Luft (Aether) und den Tag (Hemera), womit das Dunkle als vorgängig zum Hellen verstehbar wird. Der Kosmos entsteht also schrittweise und ohne das Chaos letztlich zu überwinden oder von der Welt abzulösen.[4] Dabei sind die göttlichen Naturen bereits normativ entlang einer vertikalen Achse von Gut (oben) und Schlecht (unten) geordnet. Eine sich zum Himmel |7|orientierende Oberwelt, die Welt der Schönheit und des Lichts, scheidet sich von der Unterwelt mit ihrer göttlichen Strafe und ewigen Finsternis. Dorthin werden nach dem Kampf der Titanen die Feinde des Zeus verbannt. All dies geschieht lange vor der Schaffung des Menschen.

Die religiöse Strömung der Orphiker liefert eine andere einflussreiche Weltentstehungsgeschichte, die u.a. von Platon (vgl. Philebos 66c) aufgegriffen worden ist. Am Anfang der musikalisch-poetisch („harmonisch“) strukturierten Welt war die Nacht. Darauf entstanden die Zeit (Chronos) und die Zwangsläufigkeit (Ananke), aus denen wiederum Chaos und Aether entstanden. Chronos erschafft im Aether das Weltei, aus dem Phanes (spätantik: Eros) entspringt. Wie immer es auch gewesen sein mag: Die Entstehung der Welt bleibt wörtlich im Dunklen. Dies gilt auch für die zeitlich noch vor Hesiod anzusiedelnden Epen Ilias und Odyssee des Dichters Homer, die vom bereits geordneten Zeus-Kosmos kundtun. Die Götter sind für einzelne Elemente und Naturphänomene zuständig und können sich und die Menschen morphisch wandeln. Dabei ist die göttliche All-Natur nicht scharf von der Natur der einzelnen Götter und Dinge zu trennen. Natur wirkt in Form von göttlichen Über-Naturen und Naturgewalten und ist dabei den Menschen auch Zeichen ihres Schicksals.

Beim Mythos handelt es sich demnach um eine Darlegung religiöser Naturverhältnisse (→ III.8). Weil aber etwa Odysseus mit List (téchnē) die göttliche Natur manchmal zu überwinden vermag und als Individuum frei handelt, wird die Odyssee auch als „Grundtext der europäischen Zivilisation“ und im Sinne aufklärerischen Denkens gesehen (Horkheimer/Adorno 1944/1969), denn der Mythos macht einen Möglichkeitsraum für den Logos auf. So finden sich auch in der heutigen Kosmologie und Elementarteilchenphysik noch symbolische Anklänge an das mythische Chaos: z.B. die Dominanz des Dunkels als hypothetisch angenommene, aber bislang nicht messbare „Dunkle Materie“ (→ II.6); ferner das Weiterbestehen des ursprünglichen „Chaos“ im Kosmos in Form der Mikrowellenhintergrundstrahlung, des ersten Lichts, das relativ kurz nach dem Urknall vor 14 Mrd. Jahren entstanden ist. Und auch bei den physikalischen Aussagen über „Vernichtungsschlachten“ von Materie und Antimaterie am Anfang des Universums mag man an Hesiods Göttergenerationen denken, die sich auf einen einfachen Anfang (Singularität) zurückführen lassen, selbst wenn er heute nicht als Chaos, sondern als Punkt gedacht wird.

Mythos und Logos bilden verschiedene Weisen des Erklärens und Verstehens (→ III.6), die parallel existieren. Es gibt keine lineare Fortschrittsgeschichte des Denkens, wonach der Mythos durch den Logos eindeutig abgelöst worden wäre. So wird noch lange nach Hesiod das Chaos bevorzugt dichterisch in die Anschauung gebracht. Und auch, wenn der Ausdruck schon im Griechischen als Gegensatz zur geordneten Welt des Kosmos verstanden wurde, wird er doch erst durch den römischen Dichter Ovid (43 v. Chr.–ca. 17 n. Chr.) explizit als Zustand der Unordnung oder Verwirrung (lat.: confusio) besungen (Metamorphosen I, 5–9).

Der Frage nach dem Chaos ausweichen und auf jegliche Metaphysik verzichten zu wollen ist verführerisch, hat aber Konsequenzen. Mit dem Hellenisten Epikur ist bereits ein Denker aufgetreten, der sich von seiner jugendlichen Frage nach dem Chaos ganz verabschiedet und stattdessen die Materie als ungeschaffen und ewig erachtet. |8|Er postuliert die in einem unendlichen Raum unendlich vielen, sich bewegenden „Atome“ (s. Schmidt 2007: 91–118). Dies mutet heute modern an (→ II.7), bedeutete aber für Epikur, auch den griechischen Göttern, die ihn nicht interessierten, eine teilweise materielle Natur zuschreiben zu müssen und somit die Theologie in seine Physik einzugliedern (s. Sedley 2007). Einen umgekehrten Weg beschritt das Christentum. Im lateinischen Kontext wird spätestens seit dem Kirchenvater Aurelius Augustinus (354–430) die Frage nach dem anfänglichen Urgrund in den starren Gegensatz von Form und Materie gezwängt, den es so im griechischen Denken nicht gibt. Er stellt das Chaos gemäß neuplatonisch-christlichem Weltbild als geschaffene Urmaterie dar und belegt es mit den Attributen „confusa et informis“ (zusammengemischt und ungestaltet). Nach Augustinus entstand der Kosmos nicht in der Zeit, sondern durch Gottes Schöpfung mit der Zeit (lat.: cum tempore). ‚Physik‘ wird in eine sog. Natürliche Theologie eingegliedert. So kann man eingedenk der biblischen Schöpfungserzählung der großen Provokation ausweichen, die das mythische Chaos bietet: dass es eine Zeit gegeben haben könnte, in der Gott noch nicht war (weiterführend Lobenhofer 2019).

Für die Philosophie hingegen bietet Hesiods „Chaos“ Anlass zum Aufbruch, um über die Natur von Raum und Zeit und über die Strukturen des Kosmos nachzudenken. Die nun in Abschnitt 2 zu erläuternden Vorsokratiker verbinden die Unklarheit des anfänglichen Grundes mit der Frage nach dem Logos im Rahmen naturphilosophischer Betrachtungen,[5] was für das aristotelische Denken (Abschn. 3 u. 4) erkenntnisleitend wird. Aristoteles wird die Existenz des Chaos zurückweisen, aber auch die eines Schöpfergottes. Die Philosophie trifft damit in ihrem Anfang eine wegweisende Entscheidung: Mit ihrem Ziel, „alles verständlich zu machen“, postuliert sie auch, „dass die Naturvorgänge verständlich sind. […] Sie ist daher gehalten, sich nach dieser Annahme zu richten, sei sie nun wahr oder nicht. Sie ist eine verzweifelte Hoffnung. Aber soweit der Naturprozess verständlich ist, ist der Naturprozess mit dem Vernunftprozess identisch“ (Peirce [1890] 1991: 133).

2.Der Kosmos: Die Vorsokratiker und Konfuzius

Mit dem Begriff ‚Logos‘ wird auf vernunftgemäße Begründungen verwiesen, die auf theologische und mythologische Elemente verzichten sollen. Ziel ist eine auf die Einheit der Vernunft (noûs) abhebende Allgemeingültigkeit der Aussage. Auf die Frage, wann der schlagwortartige Umbruch vom „Mythos zum Logos“ stattfindet, ist die etablierte Antwort: im 6. Jh. vor Christus mit dem Auftreten der Vorsokratiker. Gemeint sind diejenigen griechischen Philosophen und ihre Schulen, die vor der mit Sokrates (469–399 v. Chr.) einsetzenden und durch Platon und Aristoteles fortgeführten klassisch-griechischen „attischen“ Philosophie über eine vernunftgemäße Begründung der Welt nachdachten. Paradigmatisch für die vorsokratische Naturphilosophie ist die Aussage Heraklits (um 520–um 460 v. Chr.): Der Kosmos bzw. das Weltgefüge |9|ist dasselbe für alle Dinge und wurde weder von einem Menschen noch von einem Gott hervorgebracht, sondern es war immer und ist und wird sein (DK 22 B30). Die Feststellung der Ewigkeit des Kosmos markiert den Übergang von der Kosmogonie zur Kosmologie.

Angesichts der bildhaften Deutungen der Welt und der zahlreichen Götterkulte stellen die Vorsokratiker kritische Fragen und betreiben Naturforschung. Den ältesten von ihnen, Thales von Milet (um 624–um 548 v. Chr.), haben Sonnenfinsternisse beschäftigt, in Folge dessen auch die Zeitmessung und kalendarische Ordnung (DL I, 23–27). Erdbeben erklärt er nicht mehr mit dem Wirken Poseidons, sondern begründet: Die Welt schwimmt als Scheibe auf dem Wasser und gerät so bisweilen in Erschütterung. Thales behauptet einen materiellen Anfang der Welt mit dem Wasser als Urgrund (archḗ), der insofern noch mit dem Mythos verträglich ist, als Homer in der Ilias den Gott Okeanos als Ursprung von allem erachtete. Eine Abkehr von göttlichen Über-Naturen der Dinge macht ein Fragment des Xenophanes von Kolophon (um 570–um 475 v. Chr.) deutlich. Er versteht den Regenbogen nicht mehr als Göttin Iris, d.h. nicht mehr analog, sondern als logisch erklärbare Naturerscheinung: „Und was sie Iris benennen, auch das ist seiner Natur nach nur eine Wolke, purpurn und hellrot und gelbgrün zu schauen“ (DK 21 B32).

In mancherlei Hinsicht markieren die Vorsokratiker und ihre später mit dem Titel Perì phýseos (Über die Natur) bezeichneten Schriften nicht nur den Beginn der Naturphilosophie, sondern den der sog. westlichen Philosophie überhaupt. Allerdings führen viele ihrer Grundannahmen nach Persien, nach Babylonien und ins Alte Ägypten (Burkert 2008), weshalb die Philosophie auch im Mittleren Osten, in Indien oder in Nordafrika (vgl. Graness 2016) entstanden sein könnte.

Mit u.a. den folgenden Fragen streben die Vorsokratiker vernunftbegründete Erkenntnis an:

Ist der Kosmos ewig oder hat er einen Anfang in Zeit und Raum?

Gibt es ursächliche Prinzipien bzw. einen anfänglichen Urgrund (archḗ), aus dem der Kosmos entstanden ist (z.B. das Wasser bei Thales, DK 11 A12, oder die „dicke Luft“, aḗr, bei Anaximenes, DK 13 A7)?

Gibt es etwas dem Kosmos Entgegengesetztes, wie das „Nichts“, oder etwas anderes Unbestimmbares, Grenzenloses (etwa das ápeiron bei Anaximander, DK 12 B1)?

Ist der Weltprozess linear oder zyklisch zu denken (letzteres z.B. explizit bei Heraklit und Empedokles)?

Was sind die Elemente des Kosmos, inwieweit sind sie teilbar und mischbar? Gibt es ein ewiges, diskretes Unteilbares (átomos), aus dem die Welt aufgebaut ist (wie die Atomisten Leukipp und Demokrit behaupten, DK 67 A14)?

Gibt es ein Element, das prinzipiell am wichtigsten ist, weil es alles Werden und Vergehen unterhält (z.B. das Feuer bei Heraklit)?

In welchen Formen oder Prozessen wirken die Elemente im Kosmos? Kann man mit den Mischungen aus Erde, Feuer, Wasser, Luft den Wandel, aber auch die Konkretheit der Natur hinreichend beschreiben (vgl. Empedokles’ Vier-Elemente-Lehre, DK 31 B21)?

|10|Mit dem Naturdenken und -beobachten der Vorsokratiker wird eine antike Naturwissenschaft möglich, weil Maßaussagen entstehen, die Prinzipienaussagen befördern (wie später bei Aristoteles). Als frühe Leitwissenschaften für die Etablierung theoretischer Naturverhältnisse (→ III.3) gelten Mathematik, Astronomie, Musik und Medizin (Diätetik). Mit ihnen entstehen zahlenbasierte und regelgeleitete Naturverhältnisse (→ I.3), die praktisch nutzbar gemacht werden und den Instrumentenbau anleiten. Dies meint sowohl Musikinstrumente, deren Töne auf Basis der nach einfachen Zahlenverhältnissen geordneten Intervalle kosmische Harmonie veranschaulichen können (Schule der Pythagoreer), als auch Messinstrumente, z.B. für die Navigation auf See, für die Feldvermessung und für die Erfassung der Zeit. Den Vorsokratikern geht es zwar auch um einheitsstiftende Begriffe von Natur und Welt im Sinne einer All-Natur („die Natur“), v.a. aber um die Bestimmbarkeit von Naturen der Dinge („Natur von etwas“), z.B. der Lebewesen oder der Elemente. Dabei wird der eigentliche Begriff für Natur, phýsis (von phýein für: wachsen lassen) – der nah am Irdischen und Beseelten bzw. Lebendigen steht und damit an dem von Demokrit so bezeichneten „Mikrokosmos“ Mensch (DK 68 B34) – mit dem übergeordneten kosmischen Geschehen, dem später sog. Makrokosmos, in Übereinstimmung zu bringen versucht. Natur als Physis meint keine statische Naturbeschaffenheit, etwa eine stoffliche oder atomare, sondern eine „Eigenwüchsigkeit“, die vor dem „unauffälligen Hintergrund“ des Kosmos „auflebt“ (Buchheim 1994: 93). Sie ist wesentlich dynamisch. Zu ihrem Verständnis muss man sich mit den Grundprinzipien des Kosmos auseinandersetzen.

Die in Abschnitt 1 gestellten Fragen bezüglich des Chaos, d.h. die nach Seiendem, Nichts und Grenze, sind dafür erkenntnisleitend. Zusammen mit Thales und Anaximenes ist es der aus Milet stammende Anaximander (um 610–546 v. Chr.), der den Aufbruch der ionischen Naturphilosophie markiert. Er soll auch als erster die geordnete Welt mit „Kosmos“ bezeichnet haben. Ihr Gegenteil, das er „Apeiron“ nennt, bestimmt er wie folgt:

„Anfang und Ursprung der seienden Dinge ist das Apeiron (das grenzenlos-Unbestimmbare). Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung.“ (DK 12 B1)

Das Apeiron ist das Maßlose und Unermessliche, das selbst weder Raum noch Zeit ist (→ II.4). Thomas Buchheim (1994: 61) begründet, dass das ‚Apeiron‘ Anaximanders dem ‚Chaos‘ Hesiods ähnelt, insofern beide Begriffe auf Grenzziehungen verweisen, die nicht Grenzen von oder an etwas sind. Das selbst undimensionierte Apeiron eröffnet eine Dimension, in der die werdenden und vergehenden Dinge sich nach Rechtsverhältnissen („Schuldigkeit“) gegenseitig bedingen. Anaximander postuliert mit dem Apeiron, anders als Thales mit dem Wasser, einen immateriellen Urgrund. Die Erde stellt er sich als einen in einer Sphäre, d.h. in einer Kugelgestalt, unbewegt schwebenden Zylinder vor. Er geht von drei Himmeln oder Sphären aus (um Sterne, Mond und Sonne), womit nach der Überlieferung des Aristoteles-Schülers Eudemos von Rhodos der „logos von Größen und Distanzen“ in die Philosophie eingebracht wurde (Burkert 2008: 71). Anaximenes (ca. 585–528 v. Chr.) korrigiert die Darstellung |11|dahingehend, dass der Mond näher an der Erde ist als die Sterne. Für Anaximander ist das irdisch vorrangige Element das Wasser, aus dem alles Leben entsteht, während das kosmisch wichtigste Element das Feuer ist, das als ein äußerster Ring die Hüllen der Welt umgibt. Feuer und Wasser ergeben schon am Anfang des Kosmos Maßverhältnisse von heiß/kalt und trocken/feucht, die auch auf der Erde wirken und Werden und Vergehen gleichsam ‚machen‘. Das Werden geschieht ausgehend von einem zentralen Urkeim (gónimon) des Kosmos, der ein zeugender Gegenbereich zum dimensionierenden Apeiron ist. Anaximander hat noch kein Materiekonzept, versucht aber das stoffliche „Woraus“ (etwas entsteht) zu fassen, das er in der Weltmitte ansiedelt.

Heraklit von Ephesos will die All-Einheit der Welt begründen, indem er sie mit der Idee eines allumfassenden und alldurchdringenden Weltgesetzes (Logos) verbindet (Reckermann 2011: 60–68). Demnach gilt: hén pánta, „eins ist alles“. Im Logos ist Gegensätzliches vereint wie etwa, dass Natur sowohl ist als auch wird, d.h. nicht ist. Die prozessuale Identität von Einheit und Gegensatz ist in Heraklits Flussfragmenten überliefert, z.B. in der berühmten Aussage, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann. Grundsätzlich steht der Logos als eine Form des Denkens allen Menschen offen. Aber gleichzeitig betont Heraklit, dass obwohl der Logos ewig ist und immer gilt, die Menschen ihn nicht verstehen (DK 22 B1; vgl. entsprechend Platon, Timaios 51e). Die verschränkte Einheit von Gegensätzen bringt er sprachlich durch bewusste Doppeldeutigkeit zum Ausdruck, weshalb er von Georg W.F. Hegel (1770–1831) als Vordenker der Dialektik und spekulativen Naturphilosophie gefeiert werden wird: „Hier sehen wir Land; es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen“ (Hegel [1833] 1986, Bd. 18: 320). Für Heraklit ist die Naturbeobachtung Grund der logischen Vernunfterkenntnis, das Erkennen der Naturgemäßheit steht in Verbindung mit der Weisheit bzw. dem umfassenden Bescheid-Wissen (sophía) über die Verhältnisse (DK 22 B112). Damit grenzt Heraklit den Erkenntnisweg der Philosophen ab von dem üblichen Meinen „der Vielen“ – eine typische Attitüde der Vorsokratiker. Auf der kosmologischen Ebene entspricht dem Logos das Weltfeuer, das alles anfacht und sich stets nach anderem verzehrt. Das Feuer ist ein umfassendes, auch erkenntnistheoretisch wirksames Wandlungsprinzip.

Heraklits Sicht, dass man zum Verständnis eines sich im stetigen Wandel befindenden Seins, d.h. des Werdens, ein Nicht-Sein voraussetzen müsse, findet eine Gegenposition erstens in der Schule des Parmenides von Elea (um 510–um 450 v. Chr.). Dieser zufolge gibt es nur ein ewiges und wahres Sein (DK 28 B6), während das Werden eine Scheinwirklichkeit darstellt – eine Position, die Platon maßgeblich beeinflusst hat. Zweitens sind es die Atomisten mit Demokrit (um 460–um 370 v. Chr.), die das Konzept der Leere (kenós) an die Stelle des Nicht-Seins setzen, weshalb ihrer Ansicht nach ein leerer Raum („Vakuum“ → II.4) existieren müsse.

Wie für Parmenides ist es auch für Empedokles (um 485–425 v. Chr.) unmöglich, dass aus Nicht-Seiendem etwas entsteht und ebenso, dass Seiendes völlig verschwindet (DK 31 B12). Empedokles nimmt ein ewiges Sein der Natur an, das auf vier Wurzelgestalten (rhizṓmata) beruht, welche geflechtartig miteinander verwoben sind: Feuer, Wasser, Erde, Luft (DK 31 B6). Damit hat er dem Begriff nach die vier Elemente gedacht, das Wort „Elemente“ (stoicheîa) schreibt ihm erst Aristoteles zu. Die Elemente |12|des Empedokles mischen und trennen sich gemäß den Prinzipien von Liebe und Streit, wie er im Lehrgedicht Über die Natur schreibt (Primavesi 2008). Die durch Wechselseitigkeit bestimmbaren Elemente interagieren nicht wie beim Wettkampf, sondern wie beim Tauschhandel: Jeder Tauschpartner gibt und nimmt etwas, jeder tut und erleidet etwas. Die Elemente sind stofflich gedachte Grundverhältnisse. Der Kosmos und mit ihm die Natur hat somit nicht einen Ursprung, sondern Vielursprünglichkeit. Ein Anklang an das ursprüngliche Chaos findet sich dahingehend, dass am Anfang der Welt die vier göttlichen Grundstoffe nur als „Nebeneinander des Mehreren“, d.h. ungeordnet, vorlagen. Die Liebe (éros) verband sie dann miteinander, aber machte sie gleichzeitig sterblich (Reckermann 2011: 180, Anm. 131). Im Physischen sind die vier Grundstofflichkeiten zyklisch als Werden und Vergehen gedacht, d.h. die Ursprünge kehren immer wieder zu sich zurück und fangen wieder neu an, Mischungen zu bilden. „Mischung“ hat hier eine doppelte Bedeutung: „Werden des Vielen zu Einem und Werden des Einen zu Vielem“ (ebd.: 75). Der Wechsel dieses Seins ist ewig und unbewegt (DK 31 B17). Empedokles’ Vier-Elemente-Lehre beeinflusst die Alchemie und Medizin (Vier-Säfte-Lehre) bis ins Mittelalter und zuvorderst die Naturphilosophie des Aristoteles (s.u.).

Zeitlich parallel zu den Vorsokratikern entwickelt sich im Klassischen China durch Konfuzius (551–479 v. Chr.) eine philosophische Lehre (Konfuzianismus), die fernöstlichen Philosophien bis heute zugrunde liegt. Für Konfuzius ist der Himmel (chin. Tian) das oberste Prinzip der Welt. Der Himmel hat eine eigene metaphysische Wesenheit, die als Weltgesetz für kosmische Harmonie sorgt und den Menschen ihre Sitten und Tugenden vorgibt. Dieser Gedanke wird auch im Daodeking (chin. Dao für: Weltgesetz; De für: Weg) durch Laozi (ca. 3–6. Jh. v.Chr.) und entsprechend im Daoismus wirksam.[6] Das Dao folgt seiner eigenen Natur (chin. Ziran, wörtlich: von selbst so sein) und ist wesentlich einfach, spontan und wortlos. Mensch, Erde, Himmel und Dao werden im Zusammenspiel ihrer Naturen als harmonische All-Einheit konzipiert, die spirituell zugänglich ist. Später entwickelt sich dies unter Einschluss vorkonfuzianischer Denkweisen zu verschiedenen Lehren von Yin und Yang, den zwei bipolaren Prinzipien oder Kräften, welche sich gegenseitig ergänzen und die sich stets wandelnden Naturen (‚von etwas‘) der All-Einheit hervorbringen. Im Gegensatz zur westlichen Lehre von den vier Elementen beruhen fernöstliche Philosophien auf der Maßgabe von fünf Elementen (Wu Xing), die als Kräfte kosmischen Wandlungsprozessen entsprechen: Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Allerdings begleitet auch die abendländische Geschichte das Spiel mit einem fünften Element bzw. einer Quintessenz; zuvorderst bei der Suche nach einer außerirdisch angesiedelten Qualität von ‚luftigem‘ Licht (aithḗr) oder ‚beseeltem Atem‘ (pneûma), das/der bis auf die Erde durchscheint und der kosmischen Macht der Nacht als ewigem Dunkel entgegengesetzt ist (Böhme/Böhme 1996: 143–145). In der aktuellen Kosmologie wird die Quintessenz als Energiedichte eines sich zeitlich langsam entwickelnden Skalarfeldes diskutiert, um gleichsam Licht in den sog. „dunklen Sektor“ des Universums zu bringen.

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