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Die wahre Macht der deutschen Waffenindustrie
Die Skandale zum deutschen Handel mit der tödlichsten Waffengattung unserer Zeit, den Kleinwaffen, finden kein Ende. Wie kommen deutsche Waffen in so großem Umfang immer wieder in die Hände verbrecherischer Regime, brutaler Paramilitärs und rivalisierender Bürgerkriegsparteien? Auf der Spur dunkler Geschäfte folgen Daniel Harrich, Jürgen Grässlin und Journalistin Danuta Harrich-Zandberg dem Weg der Waffen in die Krisenregionen dieser Welt. Anhand umfassender Recherchen belegen sie, wie diese fragwürdigen Waffenlieferungen zustande kommen, und entlarven die Hintermänner.
Ein Politthriller, wie ihn nur die Wirklichkeit hervorbringt. Die Hintergründe des schmutzigen Geschäfts mit deutschen Waffen – mit sensationellen neuen Erkenntnissen und bisher unveröffentlichten Beweisen.
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Seitenzahl: 373
Die wahre Macht der Waffenindustrie
Die Skandale um den Handel mit der tödlichsten Waffengattung unserer Zeit – Maschinengewehre, Sturmgewehre, Pistolen: die sogenannten Kleinwaffen – finden kein Ende. Wie kommen deutsche Waffen in so großem Umfang immer wieder in die Hände verbrecherischer Regime, brutaler Paramilitärs und rivalisierender Bürgerkriegsparteien?
Auf der Spur dunkler Geschäfte folgen die Autoren dem Weg der Waffen in die Krisenregionen dieser Welt. Anhand umfassender Recherchen belegen sie, wie diese fragwürdigen Waffenlieferungen zustande kommen – und wie ausgerechnet jene Behörden das Geschäft mit der Gewalt fördern, die es eigentlich kontrollieren sollen.
Ein Politthriller, wie ihn nur die Wirklichkeit hervorbringt – bestens belegt durch Fakten, interne Dokumente und Aussagen von Zeugen aus dem innersten Kreis der Akteure.
Hinweis:
In Originaldokumenten sowie Interviews und anderen aufgezeichneten persönlichen Stellungnahmen wurde – um die Authentizität zu wahren – die Grammatik und Rechtschreibung nicht verbessert oder verändert.
Bei sämtlichen Klarnamen, die vollständig abgekürzt wurden, wurde zusätzlich der Anfangsbuchstabe geändert.
JÜRGEN GRÄSSLIN
DANIEL HARRICH
DANUTA HARRICH-ZANDBERG
NETZWERK
DES
TODES
BLUTIGER HANDEL – DIE KRIMINELLEN VERFLECHTUNGEN VON WAFFENINDUSTRIE UND BEHÖRDEN
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
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Originalausgabe 09/2015
Copyright © 2015 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Thomas Bertram
Umschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN: 978-3-641-18226-7V002
www.heyne.de
Für meine Eltern und Daniel Harrichs Großeltern. Sie waren der Hölle entkommen und gaben uns mit auf den Weg: Jeder, der Krieg erlebt hat, ganz gleich auf welcher Seite er stand, sollte seinen Kindern erklären: Nie wieder Krieg.
DANUTA HARRICH-ZANDBERG UND DANIEL HARRICH
Gewidmet unseren Kindern Sandra und Philipp, die wir in Liebe gewaltfrei erzogen haben und die uns so viel von ihrer Liebe schenken.
JÜRGEN GRÄSSLIN
Inhalt
Vorwort
Hochbrisante Rüstungsexport-Skandale
Kapitel 1
Globus der Kleinwaffen
Deutschland in den Top Five der Kleinwaffenexporteure
Die Rechtslage: Keine Kriegswaffenexporte außerhalb von NATO und EU
Die deutsche Kleinwaffenindustrie: Heckler & Koch, Sig Sauer, Carl Walther und andere
Immer wieder Heckler & Koch
Sig Sauer kommt nicht aus den Schlagzeilen
Auch Carl Walther unter Verdacht
Die besondere Rolle der Maschinen- und Werkzeugfabrik Fritz Werner
Das Unternehmen Fritz Werner und der Kooperationspartner Rheinmetall AG
Deutsche Waffen in verfeindeten Ländern
Kapitel 2
Tatort Kolumbien – deutsche Waffen im Einsatz gegen Menschenrechte
Die Opfer
Carl Walther und Sig Sauer in Kolumbien?
Strafanzeige: Walther-Pistolen »Made in Germany« widerrechtlich im Bürgerkriegsland Kolumbien?
»Strengstens verboten«: 65000 Pistolen ins Bürgerkriegsland Kolumbien – Strafanzeige gegen Verantwortliche bei Sig Sauer
Kapitel 3
Tatort Mexiko – legal, grenzlegal, illegal
Deutsche Waffen in den Händen der Mafia
Heckler & Koch – Gewehre und Maschinenpistolen für Mexiko
Heckler & Koch im Porträt
Strafanzeige gegen H&K wegen des Verdachts illegaler G36-Exporte nach Mexiko
Strategiewechsel der H&K-Kritiker – Strafanzeige wegen widerrechtlichen Waffenhandels mit Mexiko
Die Strafanzeige im April 2010 löst eine Lawine aus
Heckler & Koch im Visier der Ermittlungsbehörden
Gescheiterte Heckler & Koch-Strategie der Bauernopfer
Der gesetzliche Rahmen
Kapitel 4
Chronologie des illegalen Mexiko-Deals oder: Die wahre Geschichte
Die H&K-Kriegswaffenexportgenehmigung für Mexiko
Das Netzwerk funktioniert
Entspannung bei den Waffenhändlern
Die Endverbleibserklärungen
Denn sie wissen, was sie tun
Business as usual
Mehr geliefert als offiziell genehmigt?
Die Lex Heckler & Koch
Mexikoreisen, Präsentationen und Waffenvorführungen
Urkunden für alle
Der FX-05-Lizenz-Deal – Technologietransfer, das Schlupfloch der deutschen Rüstungsexportkontrolle
Zweite Erweiterung der Strafanzeige: Mexiko erhält weit mehr G36-Gewehre als von der Bundesregierung genehmigt
Technologietransfer für das G36/FX 05-Gewehr – eine Strafanzeigenerweiterung wird aufgewertet
Opfer in Mexiko: 43 Studenten und sechs weitere Opfer
Kapitel 5
Legal, illegal – Lücken im Gesetz
Mit welchen Methoden H&K neue Absatzmärkte erschließt
Der Weg der Waffe
Drei Seriennummern, drei Verträge, drei Lieferchargen
Das Netzwerk
Kapitel 6
Das Netzwerk der Bundeswehr mit Heckler & Koch – juristischer Doppelschlag
Die Qualitätsdiskussion
Verteidigungsministerium soll den MAD einschalten
Das Projekt »Infanterist der Zukunft« – der Megadeal
Schaden in Millionenhöhe – Strafanzeige gegen de Maizière und von der Leyen
Strafanzeige gegen Heeschen und Newton
Schwerwiegende Vorwürfe: Untreue, Betrug und die Gefährdung des Lebens von Soldaten
Kapitel 7
Dabeisein ist alles
Grenzenlose Waffenexportpolitik, professionelle Medienstrategie
Deutschlands Waffenexporte im Vorfeld der Olympischen Spiele 2016 in Brasilien
Katar 2022 – Fußballweltmeisterschaft mit florierendem Waffenbasar
Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Staaten, pars pro toto Algerien
Auf halber Strecke verendet: Die neuen Grundsätze der Bundesregierung für die Lieferung von kleinen und leichten Waffen
Kapitel 8
Handeln gegen Waffenhandel
Entstehung der Filme gegen Waffenhandel: Waffen für die Welt, Meister des Todes und Tödliche Exporte von Daniel Harrich
Nachwort
Bundesregierung und Justiz müssen handeln, damit sie nicht weiter Handlager der Rüstungsindustrie bleiben
Dank
Anhang mit Grundlagentexten
Auszüge zum Thema Waffenhandel
Wichtige Websites
Glossar
Abkürzungen
Bibliografie
Anmerkungen
Verzeichnis der Interviews
Personenregister
Stichwortregister
Vorwort
Hochbrisante Rüstungsexport-Skandale
Der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel hatte sich große Ziele gesetzt. Kriegswaffenexporte seien »kein Mittel der Wirtschaftspolitik«. Er wolle deshalb die Rüstungsexportpolitik restriktiver gestalten, erklärte Gabriel am Anfang seiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister, in dessen Zuständigkeit die Bewilligung deutscher Waffenexporte fällt.
Der Rüstungsexportbericht 2014, der erste, für den Sigmar Gabriel vollumfänglich verantwortlich zeichnet, erweckt zunächst den Anschein, als habe der amtierende Wirtschaftminister Wort gehalten. »Im Jahr 2014 ging der Gesamtwert der Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern erheblich zurück«. Das Gesamtvolumen der 2014 genehmigten Exporte beträgt 3,97 Milliarden Euro, im Jahr davor waren es 5,85 Milliarden Euro. 3,97 Milliarden Euro – das ist in der Tat der niedrigste Wert seit 2007. Ein Grund zur Freude, insbesondere auch weil laut Rüstungsexportbericht 2014 deutlich weniger sogenannte Kleinwaffen ausgeführt wurden. Kleinwaffen oder Kleinfeuerwaffen seien die tödlichsten aller Waffen, sagen Menschenrechtsorganisationen, sie kosteten in Kriegen viele Opfer, zivile wie miltärische. »Ich möchte nicht, dass deutsche UN-Soldaten irgendwann unseren eigenen Kleinwaffen in den Händen von Terroristen oder autoritären Regimen gegenüberstehen«, hatte Sigmar Gabriel gesagt. Nun, 2014, hat sich der Wert der Ausfuhr von Kleinwaffen gegenüber dem Vorjahr auf 47,43 Millionen Euro halbiert. Im Bericht heißt es, die Bundesregierung habe die »Genehmigungen für Klein- und Leichtwaffen für bestimmte Länder ausgesetzt und bestimmte Unternehmen einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen«. Die Exporte in Entwicklungsländer seien insgesamt von 9,6 Prozent im Vorjahr auf 5,5 Prozent zurückgegangen. Die Regierung suche nach Möglichkeiten, das gegenwärtige System der Endverbleibskontrolle zu verbessern, Arbeitsplätze seien erhalten geblieben.
Nach Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI ist Deutschland durch die rückläufigen Zahlen seit 2013 vom drittgrößten Waffenexporteur der Welt – hinter den USA, Russland und nun China – auf den vierten Platz gerückt. Das aber ist summa summarum nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn in Wirklichkeit stieg der Gesamtwert der abgelehnten Rüstungsexportanträge nur minimal von 9,72 auf 10,04 Millionen Euro. Die Einbußen der deutschen Rüstungsindustrie sind folglich kaum nennenswert. Zum anderen offenbart der Bericht eine Realität, die den moralisch-ethischen Prinzipien der Bundesrepublik Deutschland sowie deren Verpflichtungen gegenüber den europäischen Mitgliedstaaten nach wie vor auf eklatante Weise widerspricht: Mit 60,5 Prozent – Kritiker halten diese Zahl noch für deutlich zu niedrig – werden immer noch deutlich mehr als die Hälfte bzw. drei Viertel aller Rüstungsexportgüter in Staaten, die nicht zur Europäischen Union und nicht zur NATO gehören und keine militärischen Verbündeten sind, exportiert. In vielen dieser Länder toben bewaffnete innere Konflikte und/oder Kriege an den Grenzen zu den Nachbarstaaten, bei denen häufig auf beiden Seiten deutsche Waffen im Einsatz sind. Die Belieferung dieser Drittländer, vielfach Diktaturen, mit Waffen erreichte in der CDU/CSU/FDP-Vorgängerregierung ihren Höhepunkt. Zuvor waren solche Exporte eher die Ausnahme gewesen.
Aus rechtlicher Sicht sind Waffenexporte in sogenannte Drittstaaten allenfalls in begründeten Ausnahmenfällen erlaubt. Eine Bundesregierung, die den Ausnahme- zum Regelfall macht, bricht damit deutsches Recht. Nicht von ungefähr spielten sich illegale Waffendeals jahrzehntelang abseits der Öffentlichkeit im Verborgenen ab. Erst die jüngste Zeit brachte ein wenig Licht ins Dunkel. Qualitativ untaugliche Waffen wurden in hohen Stückzahlen an die eigenen Streitkräfte und in die ganze Welt verkauft. Kritiker der damit verbundenen Gefahren sollen bespitzelt und mundtot gemacht werden. Von Bestechungsgeldern an Amtsträger im In- und Ausland ist die Rede. Von deutschen Waffenschmieden, die Exportgenehmigungen mit manipulierten Endverbleibszertifikaten erhalten. Von Regenten fragwürdiger Empfängerstaaten, die der Bundesregierung garantieren, deutsche Waffen nicht weiterzuverkaufen und die sich nicht an die Abmachungen halten. Von deutschen Waffen, die in den Händen von Terrormilizen, Todesschwadronen, von der Mafia beeinflussten Polizisten und Militärs landen.
Der Bundeswirtschaftminister will aus den Skandalen Konsequenzen ziehen. Nach dem Vorbild der USA und der Schweiz sollen künftig sogenannte Post-Shipment-Kontrollen vor Ort prüfen, ob gelieferte Rüstungsgüter beim Empfänger verblieben sind. Angehörige der deutschen Botschaften sollen diese Aufgabe übernehmen.
Wird das allein genügen? Sind wirklich nur gefälschte Endverbleibserklärungen die Wurzel des Übels? Wie konnten und können Kriegswaffen ungehindert in Kriegsgebiete, in miteinander verfeindete Staaten, in Länder mit jahrzehntelangen Bürgerkriegen geliefert werden – ohne ein gut funktionierendes Netzwerk im Hintergrund?
Laut Grundgesetz entscheidet der geheim tagende Bundessicherheitsrat über die Bewilligung jedes Waffenexportantrags. Bestehen Zweifel an dem vom Empfängerstaat garantierten Endverbleib, lehnt das Gremium den Antrag ab. Vorher werden die Genehmigungsanträge einschließlich Endverbleibserklärung von den zuständigen Ministerien geprüft. Doch die Praxis sieht in vielen Fällen anders aus: Ausfuhranträge werden bereits im Vorbereitungsausschuss auf Staatssekretärebene entschieden, Bedenken von Mitarbeitern in den Behörden, beispielsweise wegen eklatanter Menschenrechtsverletzungen im jeweiligen Empfängerland, wieder fallen gelassen, Argumente umgedreht, unbequeme »Bedenkenträger« in die Schranken gewiesen, Genehmigungen auf Zuruf erteilt.
Dieses Buch deckt ein System auf, das über Jahre die vermeintlich undurchlässigen Grenzen für illegale Kriegswaffenexporte in die ganze Welt geöffnet hat. Interne Dokumente legen nahe, dass Beteiligte auf allen Ebenen von den dubiosen Waffenexporten wussten. Zugleich widerlegen die Akten die Annahme, Rüstungsfirmen müssten sich problematische Ausfuhrgenehmigungen erschleichen. Im vorliegenden Fall haben alle mitgewirkt: die Ministerien, die Ämter und die Waffenhersteller. Dabei hat sich die Recherche auf Kleinwaffen konzentriert, denn entgegen der These, Kriege würden mit Panzern, Flugzeugen und Raketen geführt, sterben die meisten Menschen in Kriegs- und Unruhegebieten im Kugelhagel von Maschinen- und Sturmgewehren. »Der durch Kleinwaffen geforderte Blutzoll stellt den aller anderen Waffensysteme in den Schatten. Wir sorgen uns oft um Massenvernichtungswaffen. Aber das große Töten – ob in Darfur, im Kongo oder anderswo – geschieht durch Kleinwaffen«, sagte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan. Sein Nachfolger Ban Ki Moon drückte es so aus: »Nuklearwaffen sorgen zwar für die Schlagzeilen. Aber es sind die konventionellen Waffen, die jeden Tag Menschen töten.«
Im Jahresbericht 2015 weist das Small Arms Survey (SAS), ein unabhängiges Forschungsprojekt am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf, auf die Spitzenposition der Bundesrepublik hin. Deutschland rangierte 2012 nach den USA und Italien auf Platz 3 der Weltwaffenexporteure im Bereich der Kleinwaffen. Auch bei den Importen von Kleinwaffen belegte Deutschland Rang drei, diesmal nach den USA und Kanada. Bedenklich auch die Zahl der weltweit Getöteten. Laut SAS starben im Zeitraum von 2007 bis 2012 durchschnittlich 508000 Menschen pro Jahr eines gewaltsamen Todes – die meisten von ihnen durch den Einsatz von Kleinwaffen. Ein kleiner Lichtblick: Immerhin starben jährlich damit 18000 Menschen weniger als in der Fünfjahresperiode von 2004 bis 2009.
Kapitel 1
Globus der Kleinwaffen
Deutschland in den Top Five der Kleinwaffenexporteure
Kleinwaffen haben eine extrem tödliche Wirkung, es sind die Massenvernichtungswaffen der Neuzeit. Immer wieder gibt es Bestrebungen, den globalen Handel mit deutschen Kleinwaffen einzuschränken. Fakt ist aber: Das Geschäft mit Kleinwaffen boomt. Deutsche Kleinwaffenhersteller konnten die Exporte in den vergangenen Jahren in Rekordhöhen schrauben. Deutschland hat es zur Nummer zwei unter den europäischen Kleinwaffenherstellern geschafft und ist unter den Top Five weltweit. Allein im Jahr 2012 hat sich die Zahl der Ausfuhrgenehmigungen für Kleinwaffen im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Laut Rüstungsexportbericht verkauften deutsche Waffenschmieden im Jahr 2011 34768 Maschinengewehre, Karabiner, Maschinenpistolen, Pistolen etc. rund um den Globus. Im Jahr 2012 waren es bereits 66955. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Zum einen genießen deutsche Waffen weltweit einen hervorragenden Ruf, zum anderen hat sich die Art der Kriegführung geändert. Straßenkämpfe und Guerillakriege erfordern Beweglichkeit und leichte Waffen. Laut BICC, dem internationalen Zentrum für Konversion in Bonn, starben in den vergangenen Jahren 90 Prozent aller Kriegsopfer durch Kleinwaffen.
Der Begriff Kleinwaffen klingt weitaus harmloser als das, was man darunter versteht. Kleinwaffen sind Kriegswaffen, wie tragbare Raketenwerfer, Handgranaten und Mörser, Maschinenpistolen und Sturmgewehre, auch Revolver und Pistolen gehören dazu. Es gibt halbautomatische und vollautomatische Waffen.
Kleinwaffen, laut UNICEF die Massenvernichtungsmittel unserer Zeit, sind unverwüstlich, überleben jeden Krieg und wandern von einem Einsatzort zum nächsten. Nach Schätzungen sollen etwa 900 Millionen Kleinwaffen weltweit in Umlauf sein. Und überall, wo gekämpft wird, in Afrika, Südostasien, im Nahen Osten, in Mittel- und Südamerika, auch dort, wo es das Gesetz verbietet, tauchen deutsche Waffen auf. Es muss also Grauzonen, Schlupflöcher, kriminelle oder zumindest halb kriminelle Geschäftpraktiken geben.
Aber wie funktioniert die Branche? Wer bestimmt die Regeln? Wer kontrolliert die globalen Waffengeschäfte? Gibt es überhaupt effektive Kontrollmöglichkeiten? Die dringlichste Frage lautet: Wie können deutsche Kleinwaffen trotz der angeblich restriktiven Kriegswaffenexportgesetze und strenger Ausfuhrkontrollen in Kriegs- und Unruheregionen gelangen?
Die Antwort könnten die Rüstungsunternehmen geben. Rheinmetall, Fritz Werner/MAN Ferrostaal, Krauss-Maffei Wegmann, Thyssen-Krupp, Heckler & Koch, Sig Sauer, Carl Walther wurden um Antworten gebeten. Keine der Firmen war zu einem Gespräch bereit. Die Branche gilt als verschwiegen. Schweigen ist, wie es scheint, Teil des Geschäftkonzepts.
Die Rechtslage: Keine Kriegswaffenexporte außerhalb von NATO und EU
Die Entscheidung für oder gegen Kriegswaffenexporte in Drittländer – Staaten, die nicht zur EU- oder NATO gehören – liegt im Ermessen der Bundesregierung. Bevorzugt werden Genehmigungen an Rüstungsunternehmen erteilt, die als »besonders zuverlässige Ausführer« gelten. Wichtige Entscheidungskriterien sind außerdem die Menschenrechtslage im Empfängerland und die Frage, ob das Land zu einer Krisenregion gehört. Wie aber können Regierungen gleich welcher parteipolitischen Couleur dann Waffenlieferungen in Staaten wie Algerien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, Pakistan, Indien, Indonesien befürworten?
Waffenausfuhrgenehmigungen fallen in das Ressort des Wirtschaftsministeriums. Zu den Aufgaben des Auswärtigen Amtes gehört die Beurteilung der Menschenrechtslage in einem potenziellen Empfängerland. Außenminister Frank-Walter Steinmeier rechtfertigt auf der Website seiner Behörde etwa Waffenlieferungen in den Irak zur Bekämpfung der IS-Terrormilizen mit der internationalen Verantwortung Deutschlands. Und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel unterstützt ihn: »Ich warne davor, jeden Export von Rüstungsgütern per se zu skandalisieren.«
Georg Wilhelm Adamowitsch, Cheflobbyist der deutschen Waffenhersteller, sagt, die deutschen Unternehmen machten das, was das deutsche Gesetz erlaube. Staatsanwälte und Fahnder sagen, es sei nicht möglich, die Wege der Waffen im Ausland zu verfolgen. Dafür reichten die operativen Möglichkeiten, die bislang geltende internationale Abkommen und Regelungen bieten, nicht aus. Der Waffenhandel sei ein komplexes, unkontrollierbares Netzwerk. Außerdem sei die Waffenbranche eine verschwiegene Branche. Der Zoll sagt, wegen des riesigen Aufkommens könnten nur maximal drei Prozent der Exporte kontrolliert werden.
Interview mit Prof. Dr. Michael Brzoska
(vormals u.a. wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI und seit 2006 an der Universität Hamburg, Fachgebiet Friedensforschung und Sicherheitspolitik)
Wie steht die deutsche Rüstungsindustrie im internationalen Vergleich da?
M.B.: Ein Problem, wenn man über den internationalen Waffenhandel spricht, ist, dass wir eigentlich keine exakten Zahlen haben. Die wenigsten Länder veröffentlichen Zahlen, und selbst bei den Ländern, die Zahlen veröffentlichen, muss man oft große Fragezeichen dahinter machen. Wir wissen also nicht so ganz genau, wie viel zum Beispiel aus Russland exportiert wird. Wir wissen auch nicht so ganz genau, was aus der Europäischen Union exportiert wird. Deswegen muss man hier Schätzungen zugrunde legen, und die Schätzungen sagen, je nach Quelle, Deutschland ist in der Gruppe der Staaten, die zu den größten Rüstungsexporteuren weltweit gehören.
War es nicht so, dass nach dem Zweiten Weltkrieg keine Waffen mehr in Deutschland gebaut werden sollten?
M.B.: In Deutschland gab es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Verbot der Rüstungsproduktion, es durfte also gar nichts mehr hergestellt werden. Das ist dann Stück für Stück gelockert worden zu Beginn der Fünfzigerjahre. Aber noch bis in die Siebzigerjahre hinein hat die deutsche Rüstungsindustrie, die damals auch überwiegend staatlich war, fast ausschließlich für die Bundeswehr gearbeitet. Und erst in den Siebzigerjahren hat man angefangen, in größerem Umfang zu exportieren. Das lag daran, dass man jetzt die Kapazitäten hatte, weil die Bundeswehr nicht mehr alles kaufte. Es lag aber auch daran, dass in den Siebzigerjahren der Rüstungsexport eigentlich erst zu einem großen Geschäft geworden ist, weil vor allen Dingen im Nahen Osten viele Länder mit Öl viel Geld verdienen konnten. Und ein großer Teil dieses Geldes ist dann wieder in Waffen investiert worden, man hat also ein Öl-gegen-Waffen-Geschäft aufgezogen. Es lag auch daran, dass die USA und Russland, die vorher Waffen überwiegend umsonst abgegeben hatten, auch anfingen, Geld zu verlangen, wodurch es für andere Hersteller leichter wurde, in diesen Markt zu kommen, denn diese Länder konnten nun nicht mehr sagen: Wir brauchen nicht zu kaufen, weil wir alles geschenkt kriegen.
Und wie ist die Situation heute?
M.B.: Heute ist es so, dass Deutschland, nach den USA, Russland und vielleicht auch China zu den größten Exporteuren gehört. Die deutsche Rüstungsindustrie ist allerdings nur in bestimmten Bereichen besonders aktiv, in anderen Bereichen ist sie nicht wirklich auf dem Weltmarkt präsent. Wir haben eine deutsche Rüstungsindustrie, die wirtschaftlich für Deutschland keinen besonders großen Faktor darstellt. Der Anteil am gesamten Export ist sehr klein. Aber natürlich ist Deutschland in einigen Regionen der Welt doch ein wichtiger Lieferant für Rüstungswaren geworden.
Es wäre also falsch zu meinen, die Rüstungsindustrie sei ein wichtiger wirtschaftlicher Sektor für Deutschland?
M.B.: Wir haben bestimmte Partner, wenn man so will, Länder die im größeren Umfang deutsche Waffen kaufen. Wir haben bestimmte Produkte, deutsche Produkte, die international wirklich sehr nachgefragt sind, da kann man als Beispiel etwa die U-Boote nennen. Die meisten konventionellen, also nicht atomgetriebenen U-Boote in den Seestreitkräften der Welt kommen aus Deutschland. Und Ähnliches kann man auch von bestimmten Arten von Kleinwaffen sagen. Deutsche Kleinwaffen sind nicht die meistverbreiteten in der Welt, aber sie sind doch sehr weit verbreitet, wenn man etwa an das Sturmgewehr G3 denkt oder auch an die MP5, eine Maschinenpistole, oder an die Maschinengewehre von Rheinmetall.
Wie problematisch schätzen Sie Exporte von Kleinwaffen in sogenannte Drittstaaten ein?
M.B.: Waffen sind Instrumente, mit denen man Gewalt ausüben kann und mit denen auch Gewalt ausgeübt wird. Insofern ist es immer dort problematisch, wo Gewalt schon ausgeübt wird oder die Androhung von Gewaltausübung sehr naheliegend ist. Das heißt, das sind Staaten, wo die Konfliktsituation schon so brisant ist, dass man befürchten muss, dass es zum Ausbruch etwa eines Krieges kommt. Das sind aber auch Staaten, wo die Konfliktsituation eher so ist, dass staatliche Behörden durch Repression, durch Gewaltanwendung versuchen, etwa die Bevölkerung davon abzuhalten, ihre politischen Rechte einzufordern, wo die Menschenrechtssituation sehr schlecht ist, wo eine ethnische Gruppe über andere ethnische Gruppen herrscht. Das heißt, die innere Lage eines Landes muss ein wichtiges Kriterium dafür sein, ob die Anwendung von Waffen wahrscheinlich ist oder nicht. Aber auch die Situation zwischen Staaten ist ein Indikator dafür, ob eine Waffenbenutzung wahrscheinlich ist. Kleinwaffen sind die Waffen, die in den letzten 20 Jahren überwiegend in innerstaatlichen Bürgerkriegen und zur gewaltsamen Unterdrückung der eigenen Bevölkerung eingesetzt worden sind. Insofern ist der Export von Kleinwaffen besonders problematisch, wenn es um Länder geht, die große Konflikte haben, wo es schwere Menschenrechtsverbrechen gibt, wo insgesamt die Konfliktlage so brisant ist, dass man befürchten muss, dass es zur Anwendung von Gewalt kommt.
Sprechen Sie von Waffen im Allgemeinen oder jetzt speziell von den sogenannten Kleinwaffen?
M.B.: Kleinwaffen sind die Waffen, mit denen in der Mehrzahl der Kriege und bewaffneten Konflikte in den letzten 20 Jahren Menschen getötet wurden. Kleinwaffen sind auch die Waffen, die benutzt wurden, wo immer es Aufstände gab, die dann mit Gewalt unterdrückt wurden. Insofern sind Kleinwaffen nicht unbedingt die teuersten Waffen. Kleinwaffen sind nicht die Waffen, die in großen kriegerischen Auseinandersetzungen benutzt werden, aber es sind die Waffen, die in der täglichen Gewaltanwendung eine besondere Rolle spielen. Deswegen muss man auf Kleinwaffen ein besonderes Augenmerk richten und darauf achten, dass, wenn der Export solcher Kleinwaffen überhaupt erlaubt wird, er auf jeden Fall verboten wird in Staaten, wo Repression an der Tagesordnung ist, wo schwere Menschenrechtsverletzungen geschehen, wo aber auch die Spannungen, die Konflikte innerhalb der Gesellschaft so stark sind, dass man damit rechnen muss, dass es jederzeit zu Gewalt kommen kann.
Die deutsche Kleinwaffenindustrie: Heckler & Koch, Sig Sauer, Carl Walther und andere
Die drei bedeutendsten deutschen Kleinwaffenhersteller sind Heckler & Koch, Sig Sauer und Carl Walther. Jedes der drei Unternehmen ist wiederholt in den Verdacht geraten, dass seine Produkte illegal in Länder geliefert wurden, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind.
Das Sturmgewehr G3 von Heckler & Koch
© Carsten Rehder, dpa
Das Sturmgewehr 36 von Heckler & Koch
Quelle: http://www.heckler-koch.com/de/produkte/militaer/sturmgewehre/g36/g36/produktbeschreibung.html
Die Pistole P99 von Carl Walther
Quelle: http://www.carl-walther.de/cw.php?lang=de&content=products&sub=2&subsub=22&product=815
Die Pistole SP2022 von Sig Sauer
Quelle: https://www.sigsauer.com/CatalogProductDetails/sp2022.aspx
Immer wieder Heckler & Koch
Die Waffenfirma Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar hat es unter die Top Five der Kleinwaffenhersteller der Welt geschafft. Die Firma beschäftigt an die 700 Angestellten und hat Niederlassungen in Großbritannien, Frankreich und den USA.
Der Firma werden gute Kontakte zu Politikern aller großen Parteien nachgesagt. Bekennender Fürsprecher des Unternehmens ist seit vielen Jahren Volker Kauder, in dessen Wahlkreis die Firma ihren Sitz hat. Auf seiner Website schrieb der CDU-Politiker: »Ich unterstütze die heimische Industrie besonders in allen Fragen, in denen der Bund gefragt ist. Bei der Abwicklung von Exportaufträgen helfe ich gerne.«
Man fragt sich, wer hielt seine schützenden Hände über das Unternehmen, wenn Heckler & Koch seine Produkte legal in Staaten exportierte, in denen sie für Verbrechen benutzt wurden? Oder als aufgedeckt wurde, dass die Firma Waffengeschäfte über Verbindungen zur ehemaligen Stasi eingefädelt und auf diese Weise das Waffenembargo im Balkankrieg gebrochen hatte? Obwohl der Firma wiederholt Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen wurden, kam es nur einmal zur Anklage. In dem Verfahren 1993 wurde der damalige Geschäftsführer freigesprochen. Damals stand Heckler & Koch im Verdacht, Waffen ohne Ausfuhrgenehmigung über den Umweg Großbritannien nach Dubai geliefert zu haben. Fragwürdig sind auch Produktionslizenzen von Heckler & Koch in problematischen Staaten wie Iran, Türkei, Saudi-Arabien, Pakistan, Mexiko, Thailand usw.
Sig Sauer kommt nicht aus den Schlagzeilen
Auch gegen Deutschlands älteste Waffenschmiede, das Unternehmen Sig Sauer mit Sitz im schleswig-holsteinischen Eckernförde, werden immer wieder Vorwürfe unter anderem wegen Umgehung des Kriegswaffenkontrollgesetzes laut. Sig Sauer, ursprünglich ein Familienbetrieb in Suhl/Thüringen, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Schleswig-Holstein neu aufgebaut und ist heute einer der wichtigsten Waffenbauer Deutschlands mit zuletzt rund 140 Angestellten.
Die Firma stellt in erster Linie Pistolen und Gewehre her und rüstet auch große Teile der Polizei und Bundeswehr aus. Seit 2000 gehört Sig Sauer zur L&O Holding mit Tochterfirmen unter anderem in der Schweiz und in den USA. Über die US-Tochterfirma Sig Sauer Inc. in New Hampshire soll das deutsche Stammhaus Sig Sauer Tausende Pistolen ohne Ausfuhrgenehmigung in das Bürgerkriegsland Irak geliefert haben. Der Auftrag soll sich auf 1,76 Millionen Dollar belaufen haben. Gegen das Unternehmen wird bereits wegen illegaler Waffenlieferungen an die Schutztruppe des Präsidenten von Kasachstan ermittelt. Ferner ermitteln die Behörden gegen Sig Sauer wegen Korruption. Das Unternehmen soll mithilfe von Bestechungsgeldern Aufträge von der indischen Regierung erhalten haben. Außerdem steht das Unternehmen im Verdacht, Zigtausende Pistolen illegal nach Kolumbien geliefert zu haben.
Auch Carl Walther unter Verdacht
Pistolen des Typs Walther P99 »Made in Germany« in Kolumbien. Die Videoaufnahmen findet man im Internet. Mal mit der Gravur von Indumil, der staatlichen kolumbianischen Waffen- und Munitionsfabrik, auf dem Handgriff, mal mit dem amtlichen Beschusszeichen aus Ulm als deutsche Waffen gekennzeichnet.
Die Firma Carl Walther mit Sitz in Ulm und Arnsberg gehört neben Heckler & Koch und Sig Sauer zu den bekanntesten Schusswaffenherstellern Deutschlands. Mit dem Namen verbindet man seit Jahrzehnten die Polizeipistole Walther PP. Gegründet in Zella-Mehlis, begann Carl Walther als Familienbetrieb und Hersteller von Jagd- und Sportwaffen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Produktion mit Zwangsarbeitern im Konzentrationslager Neuengamme betrieben. Nach dem Krieg ging die Erfolgsgeschichte der Waffenschmiede bereits 1949 in dem neuen Werk in Ulm weiter.
Gegen Carl Walther wurde Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz bzw. Kriegswaffenkontrollgesetz erstattet. Neben H&K und Sig Sauer steht damit auch der dritte große deutsche Schusswaffenhersteller im Visier der Ermittlungsbehörden.
Die besondere Rolle der Maschinen- und Werkzeugfabrik Fritz Werner
Unter Federführung der Firma Fritz Werner entstanden weltweit Produktionsstätten für Waffen und Munition. Im Zweiten Weltkrieg setzte die ursprünglich Berliner Firma Zwangsarbeiter ein. Ungeachtet dessen florierte die Firma bald nach dem Krieg wieder, expandierte und engagierte sich im Ausland. Als dem Unternehmen die Insolvenz drohte, investierten der Bund und der Berliner Senat. Bis zum Verkauf an MAN Ferrostaal 2002 war das Unternehmen zu 90 Prozent im Besitz der Bundesrepublik. Ferrostaal war in den Folgejahren in einen der spektakulärsten Korruptionsskandale der Bundesrepublik verwickelt. Fritz Werner soll eine zentrale Rolle bei den Schmiergeldzahlungen gespielt haben (Quelle: Roman Deckert).
Die Waffen- und Maschinenfirma Fritz Werner mit Sitz im hessischen Geisenheim hat eine lange und unrühmliche Tradition in der Kooperation mit sogenannten Schurkenstaaten. In einem Memorandum schrieb der langjährige Generaldirektor Dr. Rudolf Meyer, Fritz Werner sei die Heimatadresse für Militärs aus der gesamten Dritten Welt.
»Weltweite Erstellung schlüsselfertiger Produktionsanlagen« lautet der Auftrag der Firma. Den ersten großen Boom erlebte das Unternehmen im Koreakrieg von 1950 bis 1953. Produziert wurde in Berlin, exportiert aus Deutschland, obwohl eine deutsche Rüstungsproduktion laut Statuten der Besatzungsmächte illegal war. Und der Koreakrieg war nur der Anfang.
Beispiel Myanmar (Birma). Das Land galt bis vor wenigen Jahren als eine der schlimmsten Militärdiktaturen der Welt. Die Weltgemeinschaft hatte Sanktionen gegen Myanmar verhängt, Fritz Werner arbeitete jedoch mit dem Regime zusammen. Auch als die meisten anderen ausländischen Unternehmen Myanmar verließen, blieb Fritz Werner in dem Land. 1953 entstand in Myanmar die erste Fabrik unter der Ägide von Fritz Werner. Später wurden in weiteren Fabriken in Myanmar Waffen, Munition, Mörsergranaten und Landminen hergestellt. Die Fritz-Werner-Fabrik in Rangun wurde in Zusammenarbeit mit Heckler & Koch zur Fertigungsstätte für das G3-Sturmgewehr. 1960 verkaufte die Bundesregierung die Lizenz zum Nachbau des G3 an Myanmar. Mit G3-Gewehren erschoss die Armee 1988 Tausende Studenten, die gegen die Diktatur auf die Straße gegangen waren. G3-Sturmgewehre waren 2007 im Einsatz, als das Regime einen Aufstand von buddhistischen Nonnen und Mönche niederschlagen ließ. Dem militärischen Informationsdienst Jane’s zufolge gehört das G3 bis heute zur Standardausrüstung der birmanischen Armee (wie übrigens auch das MG3 von Rheinmetall aus pakistanischer Lizenzproduktion).
Aktuelle Aufnahmen von Soldaten in Myanmar (Birma) ausgerüstet mit G3-Sturmgewehren. © Imago
Beispiel Sudan. Der Krieg im Sudan bedeutet jahrzehntelanges Blutvergießen. 1955 haben die Kämpfe begonnen, bis heute schweigen die Waffen nicht. Bombenangriffe, Vertreibungen, Massaker, Folterungen, Vergewaltigungen. In Darfur, im Südsudan, am Blauen Nil, in der Sahelzone. Der Sudan ist das Land mit dem längsten und wahrscheinlich blutigsten Bürgerkrieg Afrikas. Menschenrechtsorganisationen trauen den sudanesischen Machthabern jedes Verbrechen zu. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat den Haftbefehl gegen den ehemaligen sudanesischen Minister Ahmed Harun unter anderem mit der Ausrüstung der als besonders gewalttätig bekannten Janjaweed-Reitermilizen mit G3-Gewehren begründet.
Kindersoldaten im Sudan. © SWR
Der Kleinwaffenexperte und Konfliktforscher Roman Deckert sagt, man baue Fabriken in Staaten, die nicht beliefert werden dürfen. Er bezeichnet diese Strategie »als Schlupfloch«, um gegenüber der Öffentlichkeit sagen zu können: »Wir exportieren keine Waffen. Wir liefern keine Munition. Wir halten uns an die Gesetze.« Dabei werde verschwiegen, »dass man statt Waffen und Munition gleich ganze Waffen- und Munitionsfabriken liefert«. Die von Fritz Werner gebaute Waffen- und Munitionsfabrik in Chechera am Stadtrand von Khartum »befeuert bis heute die Kriege in der gesamten Region«. MIC (Military Industrial Corporation) heißt die neue Produktionsstätte im Sudan für Munition, das G3-Sturmgewehr und die Maschinenpistole MP5.
Beispiel Kolumbien. Der Überfluss an Waffen ist eine Katastrophe für das Land, die ständige Hochrüstung hat zu einer Eskalation der Gewalt geführt und Hunderttausende Menschen das Leben gekostet. Kolumbien ist auch heute noch weltweit das Land mit den meisten außergerichtlichen Hinrichtungen, die Bevölkerung ist der Willkür aller an den Auseinandersetzungen beteiligten Parteien – dem korrupten Militär und der für ihre Brutalität berüchtigten Policia National, den Drogenbanden, den rechtsgerichteten Todesschwadronen und der ebenso gewalttätigen linksgerichteten Guerillatruppe FARC – schutzlos ausgeliefert. Die Zona Militar, die militärische Sperrzone nahe der Hauptstadt Bogotá, ist Sitz der Waffenfabrik FAGECOR, Fábrica General Cordoba. Der Rüstungskonzern ist Teil von Indumil (Industria Militar) und gehört dem Staat. Die Geschäfte von Indumil seien völlig undurchsichtig, sagen Waffenexperten. Im Land gebe es Waffen aus der ganzen Welt. Keiner wisse, wie Indumil die Waffen ins Land bringt.
Auf ihrer aktuellen Homepage wirbt die sudanesische Waffenfabrik MIC (Military Industrial Corporation) mit Waffen aus deutscher Lizenzproduktion. Quelle: www.mic.sd/idex/en/products
Auch die Fabrik von Indumil hat das deutsche Rüstungsunternehmen Fritz Werner gebaut – 1955, zu einem Zeitpunkt, als La Violencia, der Bürgerkrieg, bereits seit Jahren tobte. Es gebe handfeste Beweise, dass damals Schmiergelder von Fritz Werner an kolumbianische Generäle flossen, sagt Roman Deckert. In der Fabrik werden auch heutzutage noch mit der Technik von Heckler & Koch und Fritz Werner Waffen und Munition hergestellt. Roman Deckert: »Aus einem Brief von H&K an das Auswärtige Amt von 1975 geht hervor, dass Indumil auch die Lizenzen für G3, MP5 und HK21 erwarb.« Offiziell konnte die Bundesregierung ihren moralischen Grundsätzen treu bleiben, zugleich aber auch hier mithilfe der Diplomatie »das Schlupfloch im Kriegswaffenkontrollgesetz nutzen«. Gemeint ist die Waffen- und Munitionsfabrik, die mit deutscher Technologie und deutschem Know-how gebaut wurde. Kolumbien wurde dadurch vollkommen unabhängig von Waffen- und Munitionsimporten.
Der kolumbianische Militärhistoriker Colonel Carlos Ardila erklärt: »Wir haben dank Deutschland eine eigenständige Kleinwaffenindustrie. Das ist sehr gut für uns und den Export.« Kolumbien sei mit deutscher Technik und Technologie einerseits autark und könne andererseits sogar die Nachbarländer mit modernsten Waffen beliefern.
FAGECOR, die staatliche kolumbianische Waffen- und Munitionsfabrik nahe der Hauptstadt Bogotá, erbaut von der deutschen Firma Fritz Werner. © diwafilm
Die Liste der Fritz-Werner-Fabriken ist lang. Ob im Iran, in der Türkei, in Griechenland, Nigeria oder Argentinien – die Fritz-Werner-Fabrikationsstätten für Waffen und Munition machen unkontrollierbare Staaten zu Kriegswaffenlieferanten und Kriegswaffenkontrollgesetze zu einer Farce. Nicht nur während der Lizenzzeit, sondern auch danach. Sind die Patentrechte nach 20 Jahren abgelaufen, sind der weltweiten Verbreitung deutscher Waffenmodelle keine Grenzen mehr gesetzt. Die Waffen können dann völlig legal nachgebaut werden. Das Know-how und die Maschinen sind vorhanden, Ersatzteile liefert weiterhin Fritz Werner, denn das gehört zur Erfüllung von Altverträgen – auch in Staaten, in denen ein Waffenembargo gilt, zum Beispiel im Iran.
1967 begann die Bundesrepublik, die Armee des Schahs von Persien aufzurüsten. Fritz Werner bekam den Auftrag, in der Nähe von Teheran mehrere Fabrikanlagen zur Produktion des H&K-G3-Sturmgewehrs und des MP5 von Heckler & Koch sowie zur Herstellung von Munition zu errichten. Das Regime hatte von Westdeutschland die erforderlichen Lizenzen erworben. Die Aufträge umfassten ein Volumen von rund 700 Millionen Mark. Wie Aufzeichnungen im Verteidigungsministerium belegen, wurden damals Bestechungsgelder von bis zu 20 Prozent des Auftragvolumens gezahlt. Laut Roman Deckert gibt es Hinweise darauf, dass sogenannte Kick-Backs, verdeckte Provisionen, in die Taschen von Fritz-Werner-Managern flossen: »… und all das kontrolliert von Beamten, Spitzenbeamten des Wirtschaftsministeriums.«
Später sollten sich »die langfristigen Kundendienstverträge« als besonders gewinnbringend für die deutsche Rüstungsfirma erweisen. Nach der islamischen Revolution 1979 stellten die meisten internationalen Rüstungsunternehmen ihre Tätigkeit im Iran ein. Nicht aber Fritz Werner. Trotz der Sanktionen gegen das Land erbrachte Fritz Werner weiterhin seine Dienstleistungen aus den Altverträgen. Der Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs wurde für das deutsche Unternehmen besonders lukrativ. Die Firma, die für beide Kriegsparteien tätig war, baute nach den Bombardements jeweils zerstörte Produktionsanlagen in beiden Ländern wieder auf.
Kritik am Bau von Fritz-Werner-Produktionsanlagen in Ländern mit einer fragwürdigen Haltung in Menschenrechtsfragen bezeichnete Werner Schoeltzke, der Geschäftsführer des Rüstungsunternehmens als »völlig übertrieben«. Für ihn sei eine Waffen- wie eine Nähmaschinenfabrik, nämlich »ein rein mechanisches Produkt«1. Die Bundesregierung bewilligte 2000 den Bau einer Munitionsfabrik in der Türkei durch Fritz Werner. Mitte 2008 wurde der Grundstein für eine G36-Fertigungsanlage in Saudi-Arabien gelegt, gebaut hat die Firma Fritz Werner. Die Kooperation geht nahtlos weiter: Auch in diesem Fall ist Fritz Werner als Vertragspartner für die Munition vor Ort.
Dabei nennt das Kriegswaffenkontrollgesetz klare Bedingungen für die Neuvergabe von Produktionslizenzen. Außerdem ist eine Genehmigung zum Rüstungsexport laut Gesetz nachträglich zu widerrufen, »wenn einer der Versagungsgründe offenbar geworden ist«. Die Verletzung von Menschenrechten und/oder die »negative Einflussnahme auf die sicherheitspolitische Stabilität einer Region« sind beispielsweise Gründe für den Widerruf einer Waffenexportgenehmigung. Die Realität sieht jedoch anders aus: Interessierte Kunden und deutsche Anbieter müssen nicht lange nach Lücken in der Gesetzgebung suchen. Die schlüsselfertigen Produktionsanlangen von Fritz Werner bieten die geeigneten Schlupflöcher, um die Rüstungsbeschränkungen in problematischen Regionen zu umgehen.
Fritz Werner behauptet, in den letzten Jahren ausschließlich für zivile Zwecke produziert zu haben, was Experten bezweifeln und interne Fachberichte und der Kriegswaffenexportbericht widerlegen.
Das Unternehmen Fritz Werner und der Kooperationspartner Rheinmetall AG
Rheinmetall Defence mit Sitz in Düsseldorf ist das lukrativste deutsche Rüstungsunternehmen und verkauft als Global Player weltweit Militärfahrzeuge, Munition und Kriegswaffen bzw. deren Bestandteile, zum Beispiel die Glattrohrkanone für den Kampfpanzer Leopard 2 von Krauss-Maffei Wegmann. Rheinmetall beliefert mehr als 80 Staaten mit Rüstungsgütern. Der amtierende Vorstandsvorsitzende Armin Papperger sagt: »Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Wir verurteilen Waffenexporte – gerade an menschenrechtsverletzende Staaten – als unmoralisch und unethisch!«2
Doch mit Zustimmung der jeweiligen Bundesregierung gehen problematische Rüstungsexporte der Rheinmetall AG in Staaten außerhalb von NATO und EU. Zu den Kunden zählen unter anderem Algerien, Kuwait, Ägypten, Indien und Pakistan. Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien wollen unabhängig von ausländischen Waffenimporten sein. Sie wollen ihre Waffen selbst herstellen. 2010 nahm Rheinmetall die erste Munitionsfabrik in den Vereinigten Arabischen Emiraten in Betrieb. Für diese Rüstungsgeschäfte holte sich das Unternehmen einen weltweit erfahrenen Kooperationspartner: MAN Ferrostaal. Gebaut wurden die Rüstungsfabriken von der MAN-Ferrostaal-Tochter Fritz Werner.
Diese unheilvolle Allianz steht in seltsamem Kontrast zu dem anspruchsvollen Bekenntnis des Rheinmetall-Vorstandsvorsitzenden Papperger. In Anbetracht der desaströsen Menschenrechts- und Sicherheitslage in den oben genannten Ländern wäre die Rücknahme der Exportbewilligungen durch die Bundesregierung juristisch gesehen nicht mehr als eine Formalie.
Deutsche Waffen in verfeindeten Ländern
Der bewaffnete Konflikt zwischen Pakistan und Indien tobt bereits seit Jahrzehnten. Grund ist der Streit um die Region Kaschmir. Seit ihrer Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft 1947 haben Indien und Pakistan mehrmals Kriege um Kaschmir geführt. Die Regierungen der beiden Atommächte werfen sich gegenseitig vor, für die Gewalt an der umstrittenen Grenze verantwortlich zu sein. Ein seit 2003 bestehender Waffenstillstand wird immer wieder verletzt. Kaschmir ist geteilt, beide Länder beanspruchen die Region jedoch komplett für sich. Beide Länder sind aus Sicht von internationalen Menschenrechtsorganisationen überaus problematisch.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Laut Amnesty International fallen in Pakistan zahlreiche Menschen willkürlichen Inhaftierungen und dem »Verschwindenlassen« zum Opfer, darunter auch Journalisten. Wieder freigelassene Personen berichten von Folterungen und Misshandlungen. »Die für ungesetzliche Tötungen Verantwortlichen kamen nach wie vor straffrei davon«, so Amnesty International. Auch im Nachbarland Indien ist die Todesstrafe nicht abgeschafft. Die Anwendung der Sicherheitsgesetze führt zu »willkürlichen Verhaftungen und Folterungen«. Personen, die für frühere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, »genossen nach wie vor Straffreiheit«, konstatiert die Menschenrechtsorganisation.
Im Jahr 2006 drohten die Konflikte zwischen den beiden Nachbarstaaten erneut zu eskalieren, was die CDU/CSU-SPD-Bundesregierung nicht davon abhielt, beide Seiten mit deutschen Waffen auszurüsten. Pakistan rückte laut Rüstungsexportbericht 2006 sogar um weitere drei Plätze nach oben und rangierte nunmehr auf Platz zehn der Liste der Empfänger deutscher Rüstungsgüter. Die pakistanischen Militärs erhielten unter anderem deutsche Waffen im Wert von 134,7 Millionen Euro, darunter Luftaufklärungssysteme, Kommunikationsausrüstung, Radaranlagen, Lkws und Teile für Lkws. Indien – im Vorjahr noch nicht unter den Top 20 der Empfängerländer deutscher Waffen – erhielt 2006 deutsche Waffen im Wert von 107,9 Millionen Euro und stieg damit auf Platz 13 auf.
In Indien gibt es in 17 von 29 Bundesstaaten bewaffnete Konflikte zwischen staatlichen Sicherheitskräften und verschiedenen bewaffneten Gruppen. Eine Studie von »terre des hommes« dokumentiert massive Kinderrechtsverletzungen in den Bundesstaaten Manipur und Assam in Nordostindien sowohl durch die nichtstaatlichen Gruppen als auch durch die indische Armee. Beide Seiten rekrutieren Kinder, töten Kinder in Gefechten, es kommt zu Vergewaltigungen, die Zivilbevölkerung wird gewaltsam vertrieben. Deshalb müssen Kinder monate- und jahrelang in heruntergekommenen Flüchtlingslagern leben, oft ohne Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Immer wieder kommt es vonseiten der indischen Armee zu willkürlichen Verhaftungen von Kindern, die dann als vermeintliche oppositionelle Kämpfer der Öffentlichkeit präsentiert und anschließend inhaftiert werden, in manchen Fällen für mehrere Jahre.«
Ungeachtet dieser Berichte liefert Deutschland weiterhin Waffen an Länder wie Indien und Pakistan. Laut einem Bericht des UN-Generalsekretärs von 2015 rekrutieren bewaffnete Gruppen in Indien und Pakistan ebenso Kindersoldaten wie islamistische Kämpfer in Syrien, die von Saudi-Arabien mit Waffen beliefert werden. Indien und Saudi-Arabien haben 2013 Tausende moderner deutscher Sturm- und Maschinengewehre importiert.
Trotz der innen- und außenpolitisch problematischen Situation des Landes warb Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Neu-Delhi im Frühjahr 2015 für deutsche Rüstungsexporte nach Indien. Der Hintergrund: Das Land ist der größte Rüstungsimporteur der Welt. In den vergangenen fünf Jahren gingen demnach 15 Prozent der weltweiten Waffeneinfuhren in das südasiatische Land – dreimal so viel wie nach China oder Saudi-Arabien.
Interview mit Jan Grebe vom Bonn International Center for Conversion, BICC,
Wie streng muss Waffenhandel kontrolliert werden?
JG: Waffen sind kein normales Handelsgut, das heißt, hier bedarf es einer speziellen Kontrolle, weil sie eben dafür gedacht sind, auch Menschen zu töten. Sie sind ein Gewaltmittel, und Gewaltmittel bedürfen einer speziellen Kontrolle. Von daher ist es Aufgabe des Staates, hier eine spezielle Kontrolle sicherzustellen, und diese Kontrolle muss überwacht werden.
Es gibt oftmals das Gefühl, dass Kontrolle eigentlich gar nicht möglich ist.
JG: Kontrolle ist immer schwierig, denn viele dieser Geschäfte passieren im Dunkeln, hinter verschlossenen Türen. Und viele der Händler, seien es Rüstungsunternehmen in Deutschland, in Europa oder auch Händler auf dem Schwarzmarkt in der ganzen Welt haben kein Interesse, sichtbar zu werden. Das heißt, diese Waffenströme sind schwer nachzuvollziehen, und dadurch ist die Kontrolle erschwert. Aufgabe eines Instituts wie BICC ist es, mehr Transparenz herzustellen oder die Regierung aufzufordern, mehr Transparenz herzustellen, damit eine breite öffentliche und auch politische Kontrolle sichergestellt werden kann.
Gibt es Erkenntnisse über den illegalen Markt von Waffenhändlern, Zwischenhändlern usw.?
JG: Man kennt zwar gewisse Ströme weltweit, zum Beispiel einen Strom von Mauretanien, der Sahelzone bis in den Nahen und Mittleren Osten, dort findet sich eine Vielzahl von illegalen Märkten, wo man Waffen kaufen kann, und die wirklich zu kontrollieren ist faktisch unmöglich. Viele der Waffen, die sich heute weltweit in Krisenherden oder Konfliktgebieten befinden, wurden vormals legal gehandelt. Die wurden aus Europa oder der Sowjetunion, auch aus ehemaligen Staaten der Sowjetunion nach Afrika oder Lateinamerika exportiert. Und häufig verschwanden diese legal gehandelten Waffen aus den staatlichen Beständen und fanden ihren Weg auf den illegalen schwarzen Markt. Das kann im Zuge von Konflikten passieren, wo staatliche Waffenbestände einfach geklaut und dann weiterverkauft werden, oder ein einzelner Soldat meint vielleicht, er verdient nicht genug, und versucht, über den Verkauf von legalen Waffen noch etwas hinzuzuverdienen. Auf diese Weise gelangen immer mehr Waffen auf den illegalen Markt, und die Waffenhändler orientieren sich dann an den Konfliktherden in der Welt und verkaufen dort diese vormals legal gehandelten Waffen.
G3-Sturmgewehre in einem Waffendepot im Südsudan. © diwafilm
Das muss für Sie doch enorm frustrierend sein, wenn Sie sehen, dass diese Waffen immer unkontrollierbarer werden?
JG: Das ist ein großes Problem […] Ein weiteres großes Problem ist, dass der Munitionshandel immer noch nicht so gut kontrolliert wird wie der eigentliche Waffenhandel. Es gab auf der Ebene der Vereinten Nationen den weltweiten Waffenhandelsvertrag, der von 50 bis 60 Staaten beschlossen und auch ratifiziert wurde und in Kraft trat. Aber Munition wird in diesem Vertrag gesondert behandelt, was sehr problematisch ist. Die Munition sollte genauso kontrolliert werden wie der Waffenhandel. Denn sie ist letztlich dafür verantwortlich, dass eine Waffe einsatztauglich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass inzwischen neben den großen Rüstungsproduzenten auch viele Staaten über Munitionsfabriken verfügen und die Munition selber herstellen können.
Beispiel Libyen, wo eben genau das getan wurde, wo die Rebellen aufgerüstet wurden. Wie sieht man das jetzt im Nachhinein?
JG: Aus Libyen hat man sicherlich den Schluss gezogen, dass die Aufrüstung nach dem Ende des Waffenembargos 2003, 2004 schon an sich ein Fehler war, weil man dort einen Autokraten mit Waffen belieferte, von dem man nicht wusste, auf wessen Seite er letztlich steht und wie vertrauenswürdig er ist. Und nach dem Ausbruch des Konflikts sind viele Waffen dann aus den staatlichen Beständen verschwunden, entweder geklaut oder von Soldaten an verschiedene Akteure im Land verkauft, und diese Waffen finden sich heute wieder in den Konfliktgebieten.
Kapitel 2
Tatort Kolumbien – deutsche Waffen im Einsatz gegen Menschenrechte
Die Opfer
Bogotá. In einem Versteck, das Padre Alberto Franco organisiert hat, haben zwei Männer aus einem Grenzdorf im Amazonasgebiet Schutz gefunden. Ihre Familien sind tot. Ehefrauen, Kinder, Brüder, Schwestern, Eltern, Großeltern wurden von Todesmilizen der Paramilitärs erschossen. Die Familien, Kleinbauern, hatten sich geweigert, ihr Land aufzugeben. Die beiden Männer sind noch immer auf der Flucht vor den Paramilitärs. Denn solange sie leben, könnten sie eines Tages in die Heimat zurückkehren und ihren Besitz fordern. Darum stehen die Männer auf den Todeslisten.
Vertreibung ist das Kernproblem des bewaffneten Konflikts in Kolumbien. Über 85 Prozent der Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen in Kolumbien wurden vertrieben. Ganze Landstriche wurden im Auftrag von Großgrundbesitzern, Unternehmen, Drogenhändlern von der angestammten Bevölkerung »gesäubert«, um dann eigene Leute bzw. mit den rechten Paramilitärs zusammenarbeitende Bauern anzusiedeln. Nach UN-Angaben wurden in Kolumbien etwa vier Millionen Menschen von Soldaten, Paramilitärs oder der Guerilla vertrieben. Padre Alberto Franco, bei dem Vertriebene seit mehr als 20 Jahren Zuflucht finden, zitiert eine aktuelle Statistik: »Für 47 Prozent der Vertreibungen sind die Paramilitärs verantwortlich, für 35 Prozent die Guerilla, für acht Prozent die Armee – bei zehn Prozent der Fälle war es nicht feststellbar.« Für die Menschen, die es betrifft, sei es völlig egal, wer sie bedroht und ihnen ihre Existenz rauben will.
Sie seien ein Leben lang traumatisiert, weil sämtliche Gruppen auch vor grausamsten Massakern nicht zurückschreckten, berichtet Padre Alberto, auf den selbst immer wieder Anschläge verübt werden. Sein gepanzertes Auto weist zwei Einschusslöcher in der Windschutzscheibe auf.
Padre Alberto Franco im Gespräch mit zwei Flüchtlingen, die der kolumbianische Geistliche vor den Todesschwadronen an einem geheimen Ort nahe der Hauptstadt Bogotá versteckt. © diwafilm
»Nach so einem Mord ist einem alles egal,« sagt Martin. »Später, wenn man darüber nachdenkt, schämt man sich dafür. Aber wenn man gemordet hat, kann man sich nicht mehr reinwaschen. Das zeichnet dich für dein ganzes Leben.« Martin lebte in einem Armenviertel von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Er war 13 Jahre alt und begeistert von der Guerillabewegung FARC. Die bewaffneten Milizen rekrutieren Kinder und Jugendliche mit Werbevideos. Das sind die Lockrufe für Kinder wie Martin, die in dem Land mit dem längsten Bürgerkrieg der Welt kaum etwas anderes kennen als Gewalt. Einmal in die Fänge der FARC geraten, ganz gleich, ob freiwillig oder von den Milizen entführt, werden die Kinder zu Kindersoldaten gedrillt, missbraucht, zum Töten und zur Prostitution gezwungen.
Kaum 13-jährig meldete sich Martin freiwillig bei der Guerillatruppe. Noch am selben Tag wurde ihm eine Waffe in die Hand gedrückt. Auch er lernte das Töten. Ohne nachzudenken drückte er ab. Fortan gehörte Martin zu einer der Milizen der FARC. Irgendwann jedoch ertrug er die Gewalt und das Töten nicht mehr. Er wollte weg und konnte entkommen.
Der ehemalige Kindersoldat Martin, 15, im Kinderschutzprojekt Benposta/ Kolumbien. © diwafilm
Heute ist Martin 15. Doch auch in dem Kinderschutzprojekt Benposta, das von »terre des hommes« und anderen deutschen Hilfsorganisationen unterhalten wird, findet er nicht zur Ruhe. Der ehemalige Kindersoldat versteckt sich vor der FARC und fürchtet, die Guerillas könnten Rache an seiner Familie nehmen. Den anderen Kindern hier geht es nicht anders. Sie sind zwischen acht und achtzehn Jahre alt und können niemandem trauen. Sie sind traumatisiert, verletzt, haben Tag und Nacht Angst. Sie alle stehen auf Todeslisten und würden außerhalb des Projekts nicht überleben. Der Kinderschutzbeauftragte Ralf Willinger sagt, viele der Kinder denken an Selbstmord, weil sie die Erlebnisse weder vergessen noch verarbeiten können.
David ist heute elf Jahre alt. Auch er wird in Benposta versteckt. Ein Jahr zuvor musste der Junge mitansehen, wie sein Vater von Paramilitärs erschossen wurde. David kommt aus Buenaventura. Der Küstenort galt früher als aufstrebende Stadt, heute ist er vor allem für seine desolate soziale Lage und für Gewalt bekannt. Über 85 Prozent der Bevölkerung sind Afrokolumbianer. Ein Großteil der Menschen lebt in Armut. Die Stadt ist ein Zentrum von Schmuggel und Drogenhandel. Davids Vater war Kommunalpolitiker und engagierte sich für Bildung und soziale Projekte, besuchte mehrmals Veranstaltungen der FARC-Guerillas. Er und seine Familie standen darum auf den Todeslisten der rechtsgerichteten Paramilitärs. David war allein mit seinem Vater, als die Todesschwadronen kamen. Der damals Zehnjährige hatte sich unter einem Bett verkrochen und sah den Vater auf dem Boden neben sich verbluten. David entkam, irrte wochenlang zu Fuß durch die Wälder, ehe eine Familie ihn bei sich aufnahm und für ihn ein Versteck in Benposta, Tausende Kilometer von Buenaventura entfernt, fand. Der Junge steht nach wie vor auf den Todeslisten der Paramilitärs. David träumt davon, eines Tages eine Waffe zu besitzen und den Tod des Vaters zu rächen.