Neuanfang sucht Umzugshelfer - Lili B. Wilms - E-Book

Neuanfang sucht Umzugshelfer E-Book

Lili B. Wilms

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Beschreibung

Fiona hat alles, was sie braucht: ihre Familie, ihre Freunde, ihre Arbeit. Als sie es auf Drängen ihrer Schwester wagt, aus ihrer Komfortzone hinauszutreten, ist sie sich sicher, das kann nur schiefgehen. Dass sich ein One-Night-Stand jedoch als derartiger Reinfall entpuppen würde, konnte sie nicht ahnen. Und als besagter Kerl dann auch noch überall auftaucht, wo er nichts zu suchen hat, macht dies ihr bislang schön geordnetes Leben nur umso turbulenter. Der Umzug zurück in seine beschauliche Heimatstadt bringt Ben zwar erneut in den Wirkungskreis seines intriganten Vaters, doch Ben ist reifer geworden und kann sich der politischen Instrumentalisierung seiner Familie entziehen – dachte er zumindest. Die Nähe zu seinen alten Freunden soll ihm außerdem dabei helfen, sein Leben neu zu ordnen. Würde sie zumindest, gäbe es da nicht diese Frau, die ihm plötzlich nicht mehr aus dem Kopf geht. Fiona allerdings scheint Ben alles andere als sympathisch zu finden. Was hat er nur verbrochen, dass er der Einzige zu sein scheint, bei dem sie ihre lebensfrohe Art gegen eine Miene aus Eis eintauscht? Es wäre doch gelacht, könnte Ben dieses nicht zum Schmelzen bringen. Doch gerade als Fiona und er sich annähern, drohen ungeborene Babys, intrigante Väter und ausgewanderte Ex-Ehemänner das zarte Band zwischen ihnen zu zerreißen …

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Neuanfang sucht Umzugshelfer

 

 

 

 

Lili B. Wilms

 

 

 

Rainbow Romance Roman

 

My Love

Für Dich

Inhaltsverzeichnis
Kapitel Eins: Fiona
Kapitel Zwei: Ben
Kapitel Drei: Fiona
Kapitel Vier: Ben
Kapitel Fünf: Fiona
Kapitel Sechs: Ben
Kapitel Sieben: Fiona
Kapitel Acht: Fiona
Kapitel Neun: Ben
Kapitel Zehn: Fiona
Kapitel Elf: Ben
Kapitel Zwölf: Fiona
Kapitel Dreizehn: Ben
Kapitel Vierzehn: Fiona
Kapitel Fünfzehn: Ben
Kapitel Sechzehn: Fiona
Kapitel Siebzehn: Ben
Kapitel Achtzehn: Fiona
Kapitel Neunzehn: Ben
Kapitel Zwanzig: Fiona
Kapitel Einundzwanzig: Ben
Kapitel Zweiundzwanzig: Fiona
Kapitel Dreiundzwanzig: Ben
Epilog

 

Nachwort
Leseprobe

Kapitel Eins

Fiona

 

Der Lärm breitete sich wie eine Welle durch die Wohnung aus, bis er das Badezimmer erreichte. Wumms! Erschrocken zuckte Fiona zusammen und fuhr sich mit dem Kajalstift einmal quer übers linke Augenlid, bis er schmerzhaft im äußeren Augenwinkel zum Stehen kam. Irritiert blickte sie durch ihr tränendes Auge auf das verschwommene Spiegelbild. Ihr Herz schlug noch wie wild, als sie angestrengt auf weitere Geräusche lauschte. Im Regelfall galt in einem Haushalt mit kleinen Zwillingen: je lauter, umso geringer das Risiko schwerer Verletzungen. Sie sah zur Tür und gerade als sie ansetzte, nach ihrer Schwester zu rufen, hörte sie leises Gekicher.

»Tante Pi hat das Puppenhaus umgeschmissen.« Etwas gedämpft vernahm sie nun auch ihre kleine Schwester Pia: »Alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen. Wir spielen nur.«

Vermutlich war das mit dem Ausgehen keine gute Idee. Fiona ließ den Kajalstift, der immer noch vor ihrem Gesicht schwebte, sinken. Entschlossen nahm sie das Fläschchen mit dem Make-up-Entferner und ein kleines Wattepad zur Hand. Mit energischen Strichen wischte sie sich über das linke Auge und blickte ihr Spiegelbild skeptisch an. Die Kinder sind eh noch zu klein. Vermutlich ist wieder was, sodass es sich gar nicht lohnt, wegzugehen. Als sie das letzte Mal ausgegangen war …

Nachdenklich legte sie ihre Stirn in Falten, bis ihr wieder einfiel, wann sie zuletzt aus gewesen war. Pia hatte ihr letztes Date eingefädelt. Diese hatte versucht, sie mit einem Arzt aus dem Krankenhaus zu verkuppeln. Was für ein Reinfall. Jörg. Nein, Jürgen. Nee, Jochen? Egal. Irgendwie hatte der Arme etwas anderes erwartet. Aber so sehr sich Fiona bemühte, sie konnte sich für seine ausschweifenden Erzählungen über seine vergangenen Reisen und Erlebnisse auf den Partyinseln vor Thailand nicht begeistern. Dass Elli plötzlich anfing zu fiebern und Pia sie anrief, da ihre Tochter sich nicht beruhigen ließ, war letztendlich ein Segen. Ihrem Date – Johan? – hatte man die Erleichterung angesehen, als sie noch vor dem Dessert fluchtartig das Lokal verlassen hatte. War das jetzt schon wieder über ein halbes Jahr her? Oder noch länger? Es war definitiv vor Weihnachten gewesen. Egal – wahrscheinlich war sie auch noch gar nicht bereit, sich auf etwas Neues einzulassen. Tom hatte sie verlassen, als die Zwillinge knapp ein halbes Jahr alt gewesen waren. Somit war das schon drei Jahre her. Jedoch war die Babyzeit mit den Zwillingen so intensiv gewesen, dass sie sich in keiner Weise um sich selbst hatte kümmern können. Ihre Freunde hatten versucht, für sie da zu sein. Aber ohne ihre Schwester hätte sie das nicht geschafft. Tom war nicht nur weg. Er war richtig weit weg. Sie schüttelte sich, um die negativen Gedanken loszuwerden. Sie war nicht auf dem Weg zu einer romantischen Verabredung. Ihr guter Freund Henry hatte sie und wahrscheinlich ihren gesamten gemeinsamen Freundeskreis, die halbe Nachbarschaft und ein Viertel der Stadt zu seinem jährlichen Sommerfest eingeladen. Auch wenn sie diese Feiern in den letzten Jahren verpasst hatte, wusste sie, dass diese nicht nur gutes Essen, sondern vor allem viel Spaß versprachen. Wenn sie sich nur dazu aufraffen könnte. Henry würde schon verstehen, wenn sie noch kurzerhand absagte. Entschlossen griff sie zu den Wattepads, um sich vollständig die kläglichen Reste ihres Make-ups abzuschminken.

»Ah ah ah!«, tönte es neben ihr an der Tür. Erneut zuckte Fiona zusammen. Verdammt, wieso war sie auch so fürchterlich schreckhaft? »Oh, nein, Fräulein«, fuhr ihre Schwester fort, »du greifst jetzt in dein Schminktäschchen und bringst zu Ende, was du hier so halbherzig begonnen hast. Hopp, hopp!«

Mit zusammen gezogenen Augenbrauen sah Fiona skeptisch zu ihrer Schwester. »Ich denke, es ist besser, wenn ich hierbleibe. Wer weiß, was du hier sonst noch alles anstellst. Und schleich dich nicht immer so an!«

Pia nahm ihr grinsend die Wattepads aus der Hand. »Keine Ausreden, Fiona. Wir haben darüber geredet. Du gehst zu Henrys Feier. Er freut sich so, dich wiederzusehen, den Kindern geht’s blendend und du – du brauchst das auch. Du musst mal raus hier. Sieh’s ein!«

Fiona schloss kurz die Augen und nickte. Pia hatte recht. Sie blickte auf ihr neues gelbes Sommerkleid, das sie sich zu diesem Anlass gekauft hatte. Beherzt griff sie erneut zum Kajal.

Pia packte den Saum des Kleides, das auf einem Bügel an der Dusche hing, und zog es nach unten.

»Schön tiefer Ausschnitt, Schwesterherz. Hast du sonst noch was vor?«

Die Hände immer noch voll Schminksachen, boxte Fiona ihre kleine Schwester leicht auf den Unterarm. »Lass mich in Ruhe! Du willst doch, dass ich ausgehe, also verunsichere mich jetzt nicht.«

Pia lachte los. »Ich zieh dich nur auf. Ein bisschen Sex würde dir nicht schaden.«

Empört musterte Fiona sie über die Reflexion im Spiegel. »Ha. Was soll das bitte heißen?«

Pia umarmte sie von hinten, legte ihr Kinn auf Fionas Schulter ab und beobachtete sie beide im Spiegel.

»Nichts, Fi. Nur, dass du es verdient hättest, ein bisschen auf deine Kosten zu kommen und zu entspannen. Wenn sich die Gelegenheit bietet, halte dich nicht zurück – ich bin die ganze Nacht hier. Treib es so bunt und mit wem du willst.«

Bevor ihr Fiona noch einen Schubser geben konnte, hatte sich ihre jüngere Schwester von ihr weggedrückt.

»Im Ernst, immer nur Arbeit und Kinder tut niemandem gut! Nimm dir heute mal frei.«

Trotz der Neckereien wusste Fiona, dass Pia ihr Wohl am Herzen lag und sie sich immer auf sie verlassen konnte. Sie wusste auch, dass Pia recht hatte. Es war an der Zeit, ihre eigenen Akkus aufzuladen.

 

Als sie ihr Auto an der Straße vor Henrys Zuhause geparkt hatte, sah sie nachdenklich in den riesigen Garten zu seiner Villa hinüber. Vermutlich handelte es sich um eine Villa. Ein großes Haus war ein großes Haus, aber die Räumlichkeiten, die von diesem Gebäude beherbergt wurden, entsprachen wohl eher einer Villa. Durch die wuchtige Ligusterhecke hindurch konnte sie lediglich einen vagen Blick auf die Terrasse erhaschen, von der aus man in die formidablen Räumlichkeiten hineinsehen konnte. Tief in Gedanken versunken kräuselte sie ihre Stirn. Ob sie überhaupt noch jemanden kannte? Vielleicht hatte Henry seinen Freundeskreis gewechselt – sie hatte ihn überhaupt nicht gefragt, wer zugesagt hatte. Fiona nagte an ihrer Lippe. Wann war sie das letzte Mal allein auf eine Feier gegangen? Nun kam sie sich doch komisch vor. Aber Henry wusste, dass sie ohne Begleitung erscheinen würde. Er hatte ihr sogar versichert, dass die Party heute ungezwungen und sie nicht der einzige Solo-Gast sein würde. Nervös zupfte sie am Ausschnitt ihres Kleides herum. Sie hatte es sich versprochen – und Pia. Was die sagen würde, wenn sie jetzt wieder zu Hause auftauchte, wollte sie erst gar nicht wissen. Mit einem tiefen Seufzer stieß sie die Tür auf, um aus dem Wagen zu steigen. In letzter Sekunde, bevor die Tür mit ihm kollidieren konnte, sprang jemand aus dem Weg und hielt sich an der Autotür fest. Entsetzt schlug Fiona sich die Hand vor den Mund.

»Das war knapp«, entfuhr es dem Mann, während er in das Wageninnere auf sie sah. »Hallo! Hast du ein Attentat auf mich vor?« Er grinste Fiona an.

Mit weit aufgerissenen Augen versuchte sie zu erkennen, ob sie den an ihrer Türe hängenden Typen verletzt hatte. »Es tut mir so, so leid. Ich war total in Gedanken und hab nicht aufgepasst.«

»Das habe ich gemerkt.« Ungeniert musterte er sie von oben bis unten, bis Fionas Herz nicht mehr wegen des Beinahe-Zusammenstoßes pochte, sondern weil sich im Gesichtsausdruck des Fremden widerspiegelte, dass er das, was er da vor sich auf dem Fahrersitz sah, durchaus ansprechend fand. Er streckte ihr die Hand entgegen und sein Grinsen wurde noch breiter.

»Ich bin Ben. Und ich habe es selten so bedauert, heute schon eine Verabredung zu haben.«

Fiona blickte nur kurz auf die ihr entgegengestreckte Hand und nahm sie, ohne wirklich darüber nachzudenken in die ihre, um sich daran aus dem Auto zu ziehen. Nur um besser zu sehen, ob er tatsächlich unversehrt war. Natürlich.

»Das macht gar nichts, da ich auch schon etwas vorhabe«, antwortete sie auf seine letzte Anmerkung. Sie stieg etwas zu schwungvoll aus, sodass sie einen Zusammenstoß gerade noch vermeiden konnte und dennoch plötzlich viel zu nahe vor ihm stand. Sie blickte auf, in ein mit schwarzen Stoppeln versehenes Gesicht, auf ein kantiges Kinn, amüsiert verzogene Lippen, auf eine gerade Nase und aquamarinblaue Augen, die von dunklen Brauen umrahmt waren. Sein schwarzes Haar über dem markanten Gesicht modern gestylt.

»Das hätte beinahe noch einen Zusammenstoß gegeben«, bemerkte Fiona atemlos.

Die ungewöhnlichen Augen blitzten amüsiert auf und Fiona wollte einen Schritt zurücktreten. Doch Ben hielt ihre Hand an seine Brust gedrückt fest.

»Gegen diese Art von Zusammenstößen habe ich nichts«, stellte er noch immer grinsend fest, während er sie mit amüsiertem Blick ansah.

Ihre Wangen wurden warm und sie spürte leichtes Rot darüber aufziehen, was Ben noch mehr zu begeistern schien. Schließlich schaute er über sie hinweg auf Henrys Zuhause.

»Kann es sein, dass wir dasselbe Ziel haben?«

»Viel.. vielleicht?«, wisperte Fiona.

»Falls nicht«, gab Ben zu bedenken, »könntest du mich zu meinem alten Freund Henry Müller begleiten. Wenn wir hier fertig sind, begleite ich dich, wohin immer du willst.«

Fiona lachte leise auf und trat endlich etwas von Ben zurück. »Das wird nicht nötig sein, da auch ich zu meinem alten Freund Henry gehe.«

»Wie wunderbar! Wir haben das gleiche Ziel!« Ben zwinkerte Fiona zu und hielt ihr seinen Arm hin. »Wollen wir?«

Fiona schlug die Autotür zu und verschloss ihren Wagen, bevor sie sich bei Ben einhakte. »Wir wollen!«, erwiderte sie und zwinkerte ihm ebenfalls zu, gefolgt von Hitze, die über ihren Nacken in ihre Wangen wanderte. Was machte sie nur? Sie hatte in ihrem Leben noch nie flirten können. War das Flirten? Mit einem Fremden? Es war so aufregend. Das Tor, das die Einfahrt versperrte, wurde nach kurzem Klingeln, von einem leisen Summton begleitet, geöffnet. Arm in Arm schritten sie hindurch, den gepflasterten Weg entlang auf die Doppeltür zu. Fiona sah zu Ben und musterte ihn.

»Hast du hinter mir geparkt?«

»Nein, ich bin mit dem Taxi gekommen. Lohnt sich heute nicht selbst zu fahren.«

»Wieso?«

»Nun, so konnte ich schon ein bisschen vorfeiern.« Er zwinkerte ihr wieder zu.

Abwägend blickte Fiona ihn an. Betrunken wirkte er nicht. Aber das konnte auch täuschen. Wortlos gingen beide auf die große Eingangstür zu, die bereits offen stand.

Henry strahlte sie schon von Weitem an. »Hallo ihr zwei! Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt.«

»Tun wir auch nicht!« Fiona lachte und Ben ließ ihren Arm los, um Henry fest an sich zu drücken.

Fiona betrachtete erstaunt die innige Umarmung. Wieso hatte sie noch nie von diesem Ben gehört? Sie versuchte sich zu erinnern, ob Henry jemals von einem so engen Freund erzählt hatte. Vor allem, wieso hatte sie ihn in der ganzen Zeit, in der sie Henry kannte, nie gesehen?

»Viel zu lang, Mann, viel zu lang!« Bens Stimme hörte sich fast zitternd an.

»Ich weiß«, entgegnete Henry, »aber wir lassen es nicht mehr so weit kommen. Kommt rein.« Er schob Ben von sich weg, um Fiona ein Küsschen auf die Wange zu geben.

»Fiona, du siehst umwerfend aus.«

Noch bevor sie etwas entgegnen konnte, schlang eine große, dunkelhaarige Schönheit ihre Arme um Henry und lachte über seine Schulter.

»Henry, halt unsere Gäste nicht auf. Kommt rein.«

Das war also Milena. Soweit Fiona wusste, stellte Henry sie heute nicht nur ihr zum ersten Mal vor.

»Ah, die zukünftige Frau Müller!«, tönte Ben und Henry lief rot an, während Milena viel zu laut los kicherte.

»So ein Charmeur! Du musst Ben sein«, sagte sie und hielt ihm die Hand mit gespreizten Fingern entgegen. Ben tat, wie ihm geheißen, ergriff die Hand und küsste Milenas Finger. Fasziniert betrachtete Fiona das Spektakel. Henry stand in seiner typischen Zurückhaltung daneben und ließ die beiden leicht amüsiert gewähren.

»Nach euch.« Ben schwang seinen Arm in Richtung Garten und verbeugte sich leicht vor Henry und Milena. Diese nahm Henrys Arm und zog ihn den weiten Flur entlang.

Ben wandte sich wieder an Fiona und bot wieder seinen Arm an. »Wollen wir, Fiona? Ein schöner Name übrigens!«

»Gerne und danke!« Sie hakte sich unter.

»Ich geb den beiden maximal noch ein halbes Jahr«, flüsterte er ihr zu. Erschrocken über seine Dreistigkeit sah sie zu ihm auf. Henry und Milena schienen ihn nicht gehört zu haben. Er blickte sie herausfordernd an. Mit hochgezogener Braue nickte er fragend in Richtung des vor ihnen gehenden Pärchens. Fiona sah ihnen hinterher und konnte nicht umhin, der unterschwelligen Vermutung Bens zuzustimmen. Henry machte nicht den Eindruck, sonderlich involviert in die Beziehung zu sein. Er hatte Milena noch kein einziges Mal angesehen, geschweige denn berührt, seit sie sich an ihn gehängt hatte. Das war im Regelfall Anzeichen genug, dass seine Beziehung ein natürliches Ende finden würde. Milenas Bemühungen würden vermutlich vergebens bleiben. Fiona schaute nach vorne und zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht auch nur noch fünf Monate« murmelte sie vor sich hin. Ben lachte laut auf, während sie auf dem dicken Teppich, vorbei an der ausladenden Marmortreppe, die in den ersten Stock führte, in den großen Empfangsraum gingen. Dieser war mit zahlreichen Blumenarrangements auf delikaten Möbelstücken geschmückt. Der ganze Raum duftete trotz der geöffneten Flügeltüren nach süßen Rosen und Nelken. An den Seiten standen Couchgarnituren, die bei schlechtem Wetter zum Verweilen in den lichtdurchfluteten Räumen einluden. Die riesigen Glaswände gaben den Blick auf den parkähnlichen Garten frei. Heute waren die Glasfronten geöffnet. Ben nahm Fionas Finger, die um seinen Arm lagen und legte seine Lippen leicht auf ihren Handrücken. Ein elektrisches Kribbeln flimmerte ihren Arm entlang, sodass sie erstaunt zusammenzuckte. Als Ben seinen Mund von ihr löste, konnte sie die Stelle, an der er sie berührt hatte, wie einen Abdruck nachfühlen.

»Es hat mich sehr gefreut, dich kennen zu lernen.«

Sobald sie durch die riesigen Glastüren auf die Terrasse geschritten waren, wurde Ben mit einem großen Hallo von einer bunt gemischten Gruppe begrüßt. Mit einem kurzen Lächeln, das er an Fiona richtete, wandte er sich von ihr ab und ging auf seine Freunde zu. Geschockt von der Wirkung der kurzen Berührung sah sie ihm hinterher, während ihre Haut weiter zu vibrieren schien.

 

Fiona lehnte sich entspannt auf ihrem Stuhl zurück und blickte über den Garten. Auf der Rasenfläche waren Tische verteilt, an denen jeweils etwa fünf bis sechs Leute saßen. Die Tische waren in Weiß und mit den anscheinend obligatorischen Blumenarrangements eingedeckt, auch wenn diese kleiner waren als im Empfangszimmer. Der Cateringservice hatte den letzten Gang serviert und sie war mehr als satt. Etliche Gäste standen bereits an der Bar und unterhielten sich angeregt. Aus den versteckten Lautsprechern drang angenehme Musik, die aber nicht sonderlich zum Tanzen anregte. Pia hatte recht gehabt: Es tat gut, unter Leuten zu sein. Gespräche, die sich nicht um Kinder und den Alltag zwischen Kindergarten und Arbeit drehten, taten ihr gut. Auch wenn sie viele Gesichter nicht kannte, fühlte sie sich doch wohl. Daniel, der neben ihr saß, war ein Bekannter aus Henrys Fußballverein.

»Interessierst du dich für Fußball?«, fragte Daniel sie.

»Leider gar nicht« gab Fiona bedauernd zu.

»Das tut mir leid, wir sollten das Thema wechseln«, meinte Daniel entschuldigend.

Aber Fiona wollte nichts davon hören und versicherte, dass die Anekdoten, die er und seine Freunde erzählten, mehr als unterhaltsam für sie waren.

Mit Ben hatte sie den gesamten Abend nicht mehr gesprochen. Wie ein Schmetterling schwirrte er von einer Gruppe Gäste zur nächsten. Es schien, als kenne er jeden auf der Party. So sehr sie sich auch bemühte, ihn nicht zu beobachten, ertappte sie sich doch immer wieder dabei, wie ihre Blicke den Weg zu Ben zurückfanden. Sie beobachtete, wie er einem Kumpel freundschaftlich auf die Schulter schlug oder einer weiblichen Bekanntschaft den Arm um die Hüften legte. Doch obwohl er anscheinend locker von Grüppchen zu Grüppchen schlenderte, schien er nie richtig dort anzukommen. Er machte den Eindruck, sich nicht wirklich an den Gesprächen zu beteiligen und teilweise sah er an den Leuten um sich herum vorbei ins Nichts. Mit hochgezogenen Schultern wirkte er angespannt, nur um dann aber zum richtigen Zeitpunkt über irgendetwas zu lachen, das jemand sagte. Seltsam. Obwohl er immer freundlich und charmant war, sah es aus, als ob er gar nicht richtig präsent war. Dass er beliebt war, war offensichtlich. Jeder begrüßte ihn herzlich und war bemüht, ihn bei sich zu halten. Und immer, wenn Fiona das Gefühl hatte, er hätte sie komplett vergessen, sah er sie aus dem Augenwinkel oder auf dem Weg zur Bar an und lächelte ihr zu. Ertappt schlug sie dann die Augen nieder, um nur kurze Zeit darauf den Blickkontakt wieder zu suchen. Verdammt. Wenn sie ein Typ, mit dem sie absolut gar nichts zu tun hatte, so aus dem Konzept brachte, sollte sie sich vielleicht wirklich mehr unter Menschen mischen. Sie sollte Pias Rat folgen und sich einen Typen schnappen, um sich abzulenken.

Henrys Gästeschar war sehr gemischt. Neben Fionas Freunden befand sich dort eine Vielzahl von Personen, die sie noch nie gesehen hatte. So gut sie auch immer dachte, Henry zu kennen, er tanzte auf vielen Hochzeiten. Als Steuerberater kam er immer wieder mit neuen Menschen in Kontakt; darüber hinaus war es ihm schon immer leichtgefallen, Freunde zu finden oder sich jeder sozialen Begebenheit anzupassen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, kein anderer Gast konnte ihr Interesse halten wie Ben. Sein Hemd hatte er inzwischen um einen weiteren Knopf geöffnet und dies ließ den Blick – nicht nur für sie – nun bis unter sein Brustbein zu. Von ihrem Platz aus konnte sie nicht sehen, ob seine Brust ganz glatt oder mit Brusthaar versehen war. Sicher war aber, dass sich unter dieser Jeans, die sich eng an Po und Oberschenkel schmiegte, ein fantastischer Hintern befand. Irritiert von sich selbst wand sie sich wieder ihrem Tischgespräch zu. Wieso hielt Ben sie so in seinen Bann gezogen? War sie mittlerweile zum Heimchen am Herd mutiert, sodass die geringste Aufmerksamkeit irgendeines Typen sie derart durcheinanderbrachte? Sie kräuselte leicht die Nase bei dem Gedanken. Nein. Es war sicher nur die Stimmung des Abends.

Tief seufzend blickte sie sich auf der Suche nach Ben – schon wieder – um. Diesmal aber ergebnislos. Es war spät geworden und sie konnte den Gesprächen nicht mehr richtig folgen. Sie würde ihr Auto auch hierlassen und nicht mehr selbst fahren; auch wenn sie nur leicht angetrunken war. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Rotweinglas, das sie zwischen ihren Fingern balancierte. Ihr Blick schweifte über den Garten, der mit kleinen romantischen Feenlichtern geschmückt war. Entlang der gepflasterten Wege standen Feuerschalen und das natürliche Licht tauchte den gesamten Garten in eine heimelige Atmosphäre.

Sie entdeckte Ben und Henry am Rande der Feier tief in ein Gespräch versunken. Beide blickten ernst und Henry redete eindringlich auf Ben ein. Dieser schien abzuwinken, was Henry auch immer zu sagen hatte. So ernst und verbissen hatte sie Ben heute noch nicht gesehen. Sie kannte ihn nicht, aber er schien um Fassung ringend die Zähne zusammen zu beißen. Sein Kiefer mahlte merklich. Er schüttelte den Kopf und schob sein Kinn energisch vor. In der Hand hielt er erneut ein Bier. Das wievielte konnte Fiona nicht mehr nachvollziehen. Henry war mit seiner Tirade anscheinend noch nicht fertig. Es schien, als würde Ben leicht wanken und Henry hielt ihn am Arm fest.

»Schluss!«, rief Ben überraschend laut. Fiona war sich nicht sicher, ob irgendjemand den Disput überhaupt bemerkte. Er riss sich von Henry weg und sah ihr direkt ins Gesicht. So als ob er sich selbst zustimmen würde, nickte er kurz vor sich hin und marschierte los. Mit ausladenden Schritten lief er über den Rasen auf sie zu. Fest hielt er sie mit seinen Augen gefangen und ließ seinen Blick nicht von ihr weichen. Sie kam sich wie ein Stück Beute vor, welches von einem Raubtier ins Visier genommen worden war. Wenig verführerisch, eher bedrohlich. Henry, der hinter Ben zurückblieb, schüttelte nur den Kopf und beachtete sie nicht weiter. An einer kleinen Tischgruppe blieb Ben kurz stehen, nahm einen Stuhl mit, um ihn sodann mit einem ordentlichen Knall neben ihr abzusetzen. Daniel, der neben ihr saß, sah ihn nur fragend an und rutschte auf, damit Ben den Gartenstuhl weiter an den Tisch zwischen ihn und Fiona schieben konnte.

Bens Aftershave schien intensiver zu duften als zu Beginn des Abends. Hatte er es nochmals aufgetragen? Oder war es etwas anderes? Fiona beugte sich leicht zu ihm und atmete tief ein. Eine Mischung von verbrannter Vanille, herbem Wald und purer Männlichkeit stieg ihr in die Nase und seine Wirkung breitete sich sofort in ihr aus. Der Duft rief eine Woge der Erregung hervor und sie konnte nicht umhin, näher an Ben heran zu rutschen.

»Ich hatte gehofft, dass du noch da bist«, raunte er ihr ins Ohr. Eine Gänsehaut zog sich über ihre Schultern und Fiona ergriff unwillkürlich ihre Arme. Ben legte den Arm um ihre Stuhllehne und ließ seine Finger leicht über ihre Schulter auf die Oberarme tanzen.

»Dir ist kalt, hast du keine Jacke dabei?«

Fiona schüttelte nur verneinend den Kopf. »Mir ist nicht kalt.«

Bens Finger strichen weiter über die aufgerichteten Härchen auf ihren Armen. »Woher kommt dann diese Gänsehaut?«, fragte er und blickte ihr fest in die Augen. »Kann es sein, dass dir gefällt, was du neben dir siehst?«

Fiona erwiderte seinen Blick und sah keinen Grund, seine Vermutung zu leugnen. Benebelt von seinem Duft und der selbstbewussten Art hatte sie auch keine Lust, sich gegen ihn zu wehren.

»Also was schlägst du vor?«, fragte sie forsch.

Über Bens Gesicht zog sich ein breites Grinsen, das aber seine Augen nicht erreichte.

»Ich schlage vor, dass wir jetzt nach drinnen gehen und dich aufwärmen.« Er musterte sie nochmals und murmelte zu sich selbst: »Ja, du bist genau das, was ich jetzt brauche.«

Fiona spürte einen Hauch von Enttäuschung. Sie war für ihn nicht mehr als eine kurzfristige Ablenkung. Sie schüttelte diesen Gedanken schnell von sich ab. Das war genau das, was sie wollte. Dies war perfekt. Eine kurze Zerstreuung und eine kleine Entspannung für sie.

»Kennst du dich im Haus aus oder soll ich den Weg weisen?«, fragte sie kokett.

Ben nahm die Flasche Rotwein, die fast voll auf dem Tisch stand und setzte sie an den Mund, um einen großen Schluck daraus zu nehmen. Die anderen Gäste am Tisch sahen ihn ungläubig an. Mit der Flasche in der Hand stand er auf.

»Ich bin ein Gentleman. Selbstverständlich sagst du, wo es lang geht.«

Ben wankte leicht nach hinten und er musste mit der leeren Hand an Fionas Stuhl greifen, um das Gleichgewicht zu halten. Fragend sah Fiona ihn an. Er war betrunkener als sie angenommen hatte.

Sein atemberaubendes Lächeln ließ sie ihre Bedenken jedoch sofort wieder vergessen und sie stand auf und griff nach seiner Hand. »Komm mit.«

Auf dem Weg ins Haus konnte sie nicht verhindern zu bemerken, wie sehr er sich an ihr festhielt. Zögerlich schritt sie die Marmortreppe ins Obergeschoss hinauf. Ben hatte seine Hand an ihren unteren Rücken gelegt und lenkte sie zu den Gästezimmern, in denen sie schon oft mit den Zwillingen übernachtet hatte. Zielstrebig ging sie auf das größte zu. Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, drängte Ben sie an die Wand und drückte seinen Mund auf ihren. Seine Lippen streiften über ihre und seine Zunge suchte eifrig Zutritt in ihren Mund. Er küsste sie heftig. Ungeduldig. War das Leidenschaft? Aber es fühlte sich so gut an, endlich wieder begehrt zu werden. Fiona fuhr mit ihren Händen über seine Schultern, zurück über seine definierte Brust, fasziniert vom Muskelspiel unter ihren Fingern. Er griff in ihr Haar, strich über ihre lange Mähne, über ihren Rücken. Seine Hände machten sich auf die Reise und erkundeten jede Kurve und jedes Tal ihres Körpers. Sie gab sich der Berührung hin und schwelgte in dem Kontakt, der ihre Nervenenden befeuerte. Ben fuhr über ihre Arme, umfasste ihre Schultern und zog sie zu sich, um seine Hände über ihre Brüste nach unten gleiten zu lassen. Mit nassen Küssen leckte und nippte er ihren Hals entlang.

»Du bist so heiß! Ich will dich schon den ganzen Abend«, hauchte er ihr ins Ohr und stützte sich mit beiden Händen an der Wand hinter ihr ab. Fiona verschränkte ihre Hände in Bens Nacken und zog sich näher an ihn, auf der Suche nach noch mehr Kontakt. Er kam ihrer stummen Aufforderung nach, seine Hände glitten direkt zu ihrem Po und er griff kräftig zu.

»Gib’s zu, du willst mich auch! Kann ich mir vorstellen, dass ich ein guter Fang für dich sein muss. Aber keine Sorge, ich kümmere mich um dich.«

Irritiert hielt Fiona inne: War das Dirty Talk? Es machte sie mit Sicherheit nicht an. Versuchte Ben sexy zu sein? Falls das sexy war, war das nicht ihr Stil. Sofern sie überhaupt einen Stil hatte. Reden im Bett war per se nicht ihre Stärke und so was schon gar nicht. Ben hob sie an ihren Hüften hoch und legte sie schwungvoll aufs Bett. Keuchend neigte er sich über sie und griff unter ihr Kleid. Fiona streifte sich die Ballerinas ab und ließ sie auf den Boden vor das Bett plumpsen. Seine Finger strichen ihre Oberschenkel entlang Richtung Bauch. Ah, das fühlt sich gut an – zielstrebig glitt seine Hand zwischen ihre Beine und er fuhr über ihre vom Höschen bedeckte Scham. Ein lautes Stöhnen entwich Fiona. Ben hakte seine Finger in den Bund und zog ihre Unterwäsche langsam über ihre Hüften. Sie hob ihr Becken leicht an und half ihm, das Höschen ganz über ihre Beine zu streifen.

Ben fand seinen Weg sofort zurück zu ihrer Vulva. »Du bist schon ganz feucht; ihr seid alle gleich.«

Die harschen Worte rissen Fiona aus ihrer Ekstase und sie setzte sich auf. »Hör mal, wenn dir was nicht passt …«

»Was soll mir nicht passen? Es ist alleees perfeekt!«, lallte Ben vernehmlich.

Scheiße, der war betrunkener als sie gedacht hatte. Vermutlich war das keine gute Idee. Und das Kribbeln von vorhin war weg. Hatte sie sich das eingebildet?

»Komm her«, wisperte er in ihr Ohr und küsste ihren Hals entlang. »Ich verspreche dir, du wirst dich gleich ganz gut fühlen.«

Fiona überlegte fieberhaft. Sie hatte ein bisschen Spaß verdient. Sie würde jetzt einfach ausblenden, was Ben von sich gab, sich einen Orgasmus abholen und heimgehen. Argh, wieso war das alles so anstrengend? »Okay. Ich hab ein Kondom …,«, versuchte sie Ben mitzuteilen.

»Oh, nein, nein Fräulein, das kenn ich schon … Hier gibt es keine Babys. Hier verhütet der Mann. Moment, ich hab ein Kondom, glaube ich.« Er richtete sich unter großem Wanken auf die Knie auf und tastete mit unbeholfenen Händen seine Taschen ab.

Entgeistert blickte Fiona auf die Karikatur des Mannes, den sie vor ein paar Stunden kennen gelernt hatte. »Im Bad …«

»Richtig, im Bad«, unterbrach Ben sie. »Henry der alte Schlawiner hat sein ganzes Haus mit Kondomen ausgestattet. Der weiß schon, was er tut … Ihm passiert so was nicht. Verdammte Weiber. Oh, sieh doch … vielleicht könnten wir noch ein Bad nehmen, was meinst du?« Er rappelte sich vom Bett auf und kam wankend auf die Beine.

Er nahm sie bei der Hand und zog sie vom Bett zu sich. » Los, komm mit … Ich besorg’s dir gut.«

Entgeistert beobachtet Fiona, wie Ben in Richtung en suite Badezimmer torkelte und die Tür aufriss; sie im Schlepptau. Er ließ ihre Hand erst los, als er im Badezimmerschrank die Kondompackung gefunden hatte. Er versuchte diese mit einer Hand zu öffnen und griff gleichzeitig mit der anderen Hand zu seinem Gürtel.

»Soll ich dir helfen?« Fiona musste ein Lachen unterdrücken. Ben hatte ein Kondom samt Folie mittlerweile im Mund und seine Jeans geöffnet. Er schob sie samt Boxershorts bis zu seinen Knien und holte sein bestes Stück heraus. Fiona starrte ihn mit großen Augen an, als er, Penis frei schwingend, versuchte die Kondompackung zu öffnen. Ein Triumphschrei tönte durchs Bad, sodass Fiona erschrocken zusammenfuhr.

»Ha! Ich hab’s geschafft!« Stolz hielt Ben ihr das Kondom vors Gesicht.

Fiona zog lediglich die Brauen hoch und Ben musterte sie skeptisch.

»Du dreh dich besser um. Du musst dir mein Gesicht gar nicht einprägen.« Unbeholfen drehte er sie zum Waschbecken, gegen das sie sich gelehnt hatte. Sie beobachtete in der Spiegelreflexion mit steigendem Vergnügen, wie Ben versuchte, das Kondom auf seinem halbharten Schwanz falsch herum abzurollen. Was … natürlich missglückte.

»Du hast es falsch rum …«

»Ah ah ah … du kommst gleich dran; das hier ist Männersache. So leicht kriegt mich hier niemand mehr ran.«

Er griff nach ihrem Kleidersaum und hob ihn an, nur um ihn sofort wieder fallen zu lassen und weiter zu versuchen, das Kondom auf sein viel zu weiches Glied entgegen der Abroll-Richtung zu bekommen.

Fiona drehte sich um und schüttelte amüsiert den Kopf. Was hatte sie sich gedacht? Dass sie einfach auf eine Party ging, um guten Sex zu haben, um danach entspannt und relaxt nach Hause zu gehen? Nein, so lief ihr Leben für gewöhnlich nicht ab.

»Was auch immer dein Problem ist – viel Glück bei der Lösung.« Sie tippte Ben leicht an die Brust und verließ das Badezimmer. Von drinnen hörte sie seine Protestrufe, um die sie sich nicht mehr kümmerte.

Im Schlafzimmer schlüpfte sie schnell in ihre schwarzen, flachen Schuhe. Mit denen sollte ihre Flucht reibungslos klappen. Fieberhaft blickte sie sich auf der Suche nach ihrem Höschen um. Fiona warf die Decke auf dem Bett zurück, konnte es aber nirgends finden. Scheiß drauf. Bevor Ben den Weg durch die Tür doch noch zurückfand, wollte sie weg sein. Eilig strich sie sich über ihr gelbes Sommerkleid und schob einen der breiten Träger ordentlich zurück auf die Schulter. Durch die Schlafzimmertür lief sie eilig hinaus und ließ sie offenstehen.

Kapitel Zwei

Ben

 

Schmerzen. Unendliche Schmerzen. Ein Pochen über dem linken Auge. Sein Schädel drohte zu platzen. Die Kopfhaut fühlte sich an, als ob tausende Nadeln darin piekten. Und ein Druck, der versuchte seine Schädeldecke zu sprengen, spannte sich über seinen Nacken. Und Schmerzen. Noch viel mehr Schmerzen. Und diese Übelkeit, die ihm gerade in den Hals stieg. Atmen. Ein. Aus. Atmen.

Vorsichtig versuchte Ben, die Augen zu öffnen. Nein. Licht. Keine gute Idee. Mehr Übelkeit. Wo war er? Die Augen zu öffnen, um das herauszufinden, war keine gute Idee. Eine Scheißidee. Genauso eine Scheißidee wie sich volllaufen zu lassen, als ob es kein Morgen gäbe. Fuck.

Mit zusammen gekniffenen Augen versuchte er, seine Umgebung zu erkennen. Umzugskartons. Weiße Wände. Alles unbekannt. Exzellent. Absolut fantastisch. Er hatte keine Ahnung, wo er war. Wenn nur nicht diese Kopfschmerzen und diese Übelkeit wären. Langsam drehte er sich auf die rechte Seite. Weg vom Fenster und dem penetranten Licht, das dahinter hervorkommen wollte. Die Decke um ihn herum rutschte leicht von seinen Schultern. Er trug kein T-Shirt. Verdammt, seine Beine waren auch bar. Seine Hand am Hintern bestätigte, er hatte zumindest seinen Boxerslip an. Hoffentlich – hoffentlich! – lag er allein im Bett. Die Notwendigkeit zu wissen, ob er neben jemandem aufgewacht war, überwog seine Kopfschmerzen und er streckte seine Arme aus. Rechts war das Ende des Bettes erreicht. Links. Unendliche Weiten. Aber auch kein Körper. Das musste erst mal genügen und er rollte wieder zurück und kniff die Augen zusammen. Langsam kamen seine Sinne zurück. Er wusste, wo er war. In seiner neuen Wohnung. Er war gar nicht mehr in Hamburg. Nein, er war in seiner Heimatstadt. Mittelständische Kleinbürgerlichkeit gepaart mit gut gemeinter Besserwisserei, was ihn und seine Familie anging. Er war in einer der Wohnungen seines Vaters. Bevor er gestern zu Henry gegangen war, hatte er nur kurz überprüft, ob das Umzugsunternehmen die Kartons wie geplant abgeliefert hatte. Ein kleiner Erfolg an diesem Morgen. Tag? Wie spät war es? Wie war er von Henrys Feier zurückgekommen? Die einzige Erinnerung, die er noch hatte, war an Alkohol, ein bisschen Gras und … viel Whiskey. Warum hatte er so viel Whiskey getrunken? War letztendlich auch völlig egal. Schlaf. Schlaf würde ihm helfen.

 

Der Signalton seines Handys riss ihn aus seinem Halbschlaf. Wie lange er vor sich hingedöst hatte, konnte er nicht nachvollziehen. Es piepte nochmals und der Geräuschquelle folgend musste es irgendwo am Bettende liegen. Vorsichtig öffnete er die Augen, sah seine Jeans und das Handy aus der Gesäßtasche herausragen. Nach so einer Nacht war es vermutlich besser, seine Nachrichten zu überprüfen. Gequält streckte er sich nach seiner Hose und zog sie zu sich heran. Scheiße, sein Schädel würde ihn noch umbringen. Der Blick auf sein Telefon bestätigte zu viele Mitteilungen und ein paar Nachrichten von Henry. Und von seinem Vater. Mit einem Wischer über die Anzeige öffnete er den Nachrichtenstrang mit seinem Freund, während er jegliche Korrespondenz mit seinem Vater auf unbestimmte Zeit später verlegte.

02:48 Uhr,Henry: Bist du angekommen?

03:09 Uhr, Henry: Yannik hat geschrieben, er hat dich in die Wohnung gebracht. Ich gehe davon aus, das stimmt. Er erwähnte, sie hätten dich ausgezogen? Ich bin nicht sicher was Yannik damit meint. Du kennst ihn. Nein, du kennst ihn nicht. Egal. Aber du wolltest ja unbedingt in deine neue Wohnung. Warum wolltest du eigentlich nicht hier schlafen? Machst du doch sonst auch. Melde dich bitte.

08:11 Uhr, Henry: Guten Morgen! Du warst gestern ziemlich erledigt. Gib mal ein Lebenszeichen.

09:36 Uhr, Henry: OK, ich denke du schläfst noch. Dennoch, wenn ich um 10 Uhr nix von dir höre, komm ich mal vorbei.

Oh, nein. Ben liebte Henry wie einen Bruder, aber ein Besuch in aller Frühe nach einer derartigen Nacht war wirklich nicht das, was er brauchte. Schnell antwortete er auf Henrys letzte Nachricht.

09:41 Uhr, Ben: Mann, chill. Ich hab nen riesen Schädel. Lass mich in Ruhe.

09:42 Uhr, Henry: Wunderbar. Ich denke, ich komme später so oder so vorbei. Brauchst du Hilfe mit deinen Kartons?

Wenn es nicht so weh täte, würde er sein Gesicht zu einem Lachen verziehen. Typisch Henry. Er war sein bester Freund. Und er war mitunter der einzige Grund, wieso der Umzug nach Hause zurück nicht ein totaler Reinfall war. Sie kannten sich seit sie halbstarke Jugendliche waren und dachten, sie wären die Könige der Welt. Mit 14. Ben schnaubte bei der Erinnerung daran. So war zumindest er selbst gewesen. Henry war schon immer vernünftig, entspannt, eine Stimme der Besonnenheit. Wieso Henry sich vom ersten Tag im Internat an mit ihm angefreundet hatte, wusste Ben bis heute nicht. Henry war bereits damals überall und bei jedem beliebt gewesen – im Gegensatz zu Ben. Seine rebellische Art und das Bild, das sein Vater als Politiker gerne nach außen präsentierte, hatten nie zusammengepasst. Als die Konflikte zu häufig wurden, folgte die Einweisung in das Eliteinternat wenige Kilometer von seinem Elternhaus entfernt. Dort fand er in seinem Zimmernachbarn eine neue Familie. Eine Familie voll Wärme und Zuverlässigkeit. Ein krasser Gegensatz zu dem, was er bis dahin als Familie erlebt hatte.

Unwillkürlich griff er sich an seinen Hals. An einer Kette trug er dort den Ring mit dem Familiensiegel. Nicht, dass seine eigentliche Familie ein altes Adelsgeschlecht wäre, auch wenn sein Vater dies gerne gehabt hätte. Das alberne Ding war unter seinen Klamotten gut aufgehoben. Er brachte es aber auch nicht über sich, es ganz abzulegen. Kompromisse, Kompromisse. So wie alles, seinen Vater betreffend, ein Kompromiss für ihn war.

Frustriert sah Ben sich in dem Apartment um. Er hatte jahrelang alles getan, um nicht mehr in der Nähe seines Vaters sein zu müssen. Der Abstand zu seiner Familie war das, was ihn angetrieben hatte. Er konnte immer noch nicht fassen, dass er wieder hier war.

Über die Jahre hatte er gelernt, den Stress, der mit den Streitereien einherging, zu vermeiden. Das Leben und Arbeiten in Hamburg, weit weg von sämtlichen familiären Verpflichtungen, dem Familienbetrieb, dem Politikzirkus, war eine Wohltat gewesen. Im Schutze der Distanz hatte er sein Graphikdesignstudium absolviert und das vom Vater geforderte BWL-Studium lediglich im Nebenfach mitgezogen. Jeder Job im Bereich Design war natürlich unter der Familienwürde. Sein Vater konnte nicht verstehen, wieso er nicht in den heimischen Betrieb oder in irgendeinen prestigeträchtigen Schuppen – den er ihm vermitteln würde – einstieg. Was für seinen Vater und älteren Bruder öde und bedeutungslos war, gab Ben die Ruhe und vor allem genügend Zeit, nicht nur zu arbeiten, sondern sich zu entfalten. Er liebte seine Arbeit. Und das familieneigene Bauunternehmen brauchte weder seinen Vater noch ihn. Die Geschäftsführer leiteten es problemlos, seit sein Vater politisch aufgestiegen war.

Doch Bens Oase war leider auch fehlbar gewesen. Denn wie es mit Kompromissen oftmals war: Sie feuerten, ohne einen darauf vorzubereiten, zurück. Sein Vater hatte sich nicht darum gekümmert, was er in Hamburg trieb – so seine Worte –, aber er erwartete, dass sobald sich Ben die Hörner abgestoßen hatte, dieser eine gesellschaftsfähige Frau heiratete, um zumindest so der Familientradition folgend, die politischen Ambitionen seines Vaters zu unterstützen. Diese Forderung war Ben so gleichgültig wie der Dreck auf der Reeperbahn gewesen und er kümmerte sich um die von seiner Familie auserwählte Janina mit gleicher Hingabe, wie er es mit seinen anderen Eroberungen getan hatte. Sie war ein netter Zeitvertreib gewesen. Aber mehr auch nicht. Zunächst nicht. Bis alles ganz anders gekommen war.

Er blickte noch mal auf sein Handy und überlegte, was er Henry zurückschreiben sollte. Mittlerweile leuchtete dort eine weitere Nachricht auf.

09:51 Uhr, Janina: Ich wollte dir nur sagen, dass die Untersuchung gestern gut verlaufen ist. Die Babys sind wohl auf. Es ist jetzt sicher, dass es Mädchen werden.

Er blickte sich kopfschüttelnd in seiner neuen Wohnung um. Das Apartment war der nächste Kompromiss, den er eingegangen war. Wenn er schon nicht die Frau der Wahl seines Vaters heiraten würde, sollte er endlich nach Hause ziehen, um wieder bei seiner Familie zu sein.

Wie auch auf Janinas Nachrichten zuvor, antwortete er nicht. Was sollte er auch sagen? Statt zu diskutieren, griff er lieber zu mehr als zweifelhaften Mitteln, um das Chaos, das er hinter sich gelassen hatte, zu vergessen: Whiskey … ah … genau deshalb hatte er getrunken. Viel zu viel. Das war nicht das erste Mal, seit Janinas Geliebter – oder war er ihr Geliebter gewesen und Nadim ihr Partner? – bei ihnen in Bens Wohnung in Hamburg gestanden hatte und es würde auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Da war er sich sicher. Der Frust stand ihm bis zum Kinn und die Ungewissheit fraß ihn schier auf.

Er musste Henry fragen, ob er sich gestern aufgeführt hatte. Manchmal war so ein Filmriss nicht schlecht. Aber er lebte hier nun. Mal sehen, bei wem er sich heute entschuldigen musste.

Nachdem er Henry geantwortet hatte, schwang er die Beine über den Bettrand. Fuck, war ihm schwindlig. Er blickte sich in der unvertrauten Umgebung um. Wasser. Die Küche war sicher leicht wieder zu finden.

 

Nachdem er eine Stunde später halbwegs rehydriert war und geduscht hatte, machte er sich daran, die ersten Kartons auszupacken. Ein paar Klamotten hatte er in einer Reisetasche verstaut, damit hatte er zumindest Wechselwäsche bei der Hand. Sein Vater hatte einen Innenarchitekten engagiert, der wollte im Laufe des Tages anrufen. Aber das Notwendigste musste er bereits jetzt auspacken. Er konnte nicht tagelang in demselben Paar Jeans und Hemd rumlaufen. In drei Wochen sollte er hier seinen neuen Job aufnehmen. Er musste sich bis dahin organisieren.

Sein neuer Job – auch ein Lichtblick.

Kapitel Drei

Fiona

 

Nach Henrys Party zu Hause angekommen, schaffte Fiona es, ins Schlafzimmer zu schleichen und dankte demjenigen, wer auch immer dafür verantwortlich war, dafür, dass ihre Schwester schon eingenickt war. Dieser Frieden währte jedoch nur kurz und schon beim Frühstück wurde sie eines ausführlichen Verhörs unterzogen. Nachdem Fiona ihr die bizarren Geschehnisse des vorangegangenen Abends geschildert hatte, wurden Pias Augen immer größer und besorgt griff sie nach Fionas Hand:

»Bist du okay? Hat er …?«

Fiona winkte ab. »Nein, er hat nichts getan, was ich nicht wollte. Er … hätte mehr tun können, aber er konnte wirklich nicht mehr.« Sie lachte, als sie sich das Bild von Ben im Badezimmer vor ihr inneres Auge rief. »Ich meine, ab einem gewissen Punkt war der Ofen aus, aber er hat mich zu nichts gezwungen.«

Pia nickte zufrieden.