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Die Erforschung der neurobiologischen Aspekte von Suchterkrankungen dient dem Verständnis der Krankheitsursachen, deren spezifischer Behandlung und der Entstigmatisierung der betroffenen Menschen. Der Band stellt die Leitsymptome von Abhängigkeitserkrankungen vor, bezieht diese auf ihre neurobiologischen Grundlagen und diskutiert die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Suchterkrankungen. Ausführlich werden Störungen im sog. dopaminergen Belohnungssystem und ihre Auswirkungen auf die GABAerge und glutamaterge Neurotransmission beschrieben. Weiterhin werden Störungen der serotonergen Neurotransmission und ihre Bedeutung für die Affektivität ebenso wie Veränderungen der Opioidrezeptoren diskutiert. Kapitel zu den genetischen Grundlagen der jeweiligen Suchterkrankungen und den therapeutischen Implikationen der neurobiologischen Befunde runden das Buch ab.
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Seitenzahl: 418
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Die Erforschung der neurobiologischen Aspekte von Suchterkrankungen dient dem Verständnis der Krankheitsursachen, deren spezifischer Behandlung und der Entstigmatisierung der betroffenen Menschen. Der Band stellt die Leitsymptome von Abhängigkeitserkrankungen vor, bezieht diese auf ihre neurobiologischen Grundlagen und diskutiert die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Suchterkrankungen. Ausführlich werden Störungen im sog. dopaminergen Belohnungssystem und ihre Auswirkungen auf die GABAerge und glutamaterge Neurotransmission beschrieben. Weiterhin werden Störungen der serotonergen Neurotransmission und ihre Bedeutung für die Affektivität ebenso wie Veränderungen der Opioidrezeptoren diskutiert. Kapitel zu den genetischen Grundlagen der jeweiligen Suchterkrankungen und den therapeutischen Implikationen der neurobiologischen Befunde runden das Buch ab.
Prof. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte (Berlin). Prof. Anil Batra, Leiter der Sektion Suchtforschung und Suchtmedizin, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Tübingen. Prof. Norbert Scherbaum, Direktor der Klinik für abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, LVR-Klinikum Essen, (Universität Duisburg-Essen). Prof. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Leitung der LVR-Klinik Köln, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Lehrkrankenhaus der Universität zu Köln.
Andreas Heinz Anil Batra Norbert Scherbaum Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank
Neurobiologie der Abhängigkeit
Grundlagen und Konsequenzen für Diagnose und Therapie von Suchterkrankungen
Unter Mitarbeit von Christian A. Müller, Ulrich Lutz, Chantal Mörsen, Katrin Charlet und Jan Reuter
Verlag W. Kohlhammer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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1. Auflage 2012
Alle Rechte vorbehalten © 2012 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: Druckerei W. Kohlhammer GmbH + Co. Stuttgart Printed in Germany
ISBN 978-3-17-021474-3
E-Book-Formate
pdf:
978-3-17-023564-9
epub:
978-3-17-027438-9
mobi:
978-3-17-027439-6
1 Einleitung: Wozu dient die Kenntnis der neurobiologischen Grundlagen der Alkohol-, Nikotin- und Drogenabhängigkeit?
1.1 Das neurobiologische Verständnis der Abhängigkeit – Ein Novum?
1.2 Wie häufig sind Abhängigkeitserkrankungen von Alkohol, Nikotin und illegalen Drogen?
1.3 Wesen und Definition der Abhängigkeit
1.4 Sind Abhängigkeiten von Alkohol, Nikotin und anderen Drogen Krankheiten wie andere auch?
1.5 Kontrollminderung – Verlust des freien Willens?
1.6 Zusammenfassung
2 Was macht Substanzen wie Alkohol, Heroin, Kokain und Nikotin zu Drogen?
2.1 Lernmechanismen in der Entstehung und Aufrechterhaltung abhängigen Verhaltens
2.2 Störungen der Verhaltenskontrolle und zwanghafter Suchtmittelkonsum – mögliche neurobiologische Korrelate
2.3 Zusammenfassung
3 Alkoholabhängigkeit – diagnostische Kriterien und ihre neurobiologischen Korrelate
3.1 Schädliche Folgen des Alkoholkonsums: Hirnatrophie und ihre psychopathologischen Korrelate
3.2 Toleranzentwicklung und Entzugssymptomatik
3.3 Konditionierter Entzug
3.4 NMDA-Rezeptoren und ihre Bedeutung für Lernmechanismen
3.5 Zusammenfassung
4 Nikotinabhängigkeit – diagnostische Kriterien und ihre neurobiologischen Korrelate
4.1 Nikotin – pharmakologische Eigenschaften
4.1.1 Die psychopharmakologischen Wirkungen von Nikotin
4.1.2 Geschlechtsspezifische Wirkungen des Nikotins
4.2 Schädliche und nützliche Folgen des Nikotinkonsums
4.2.1 Neuropsychiatrische Krankheitsbilder
4.2.2 Zusammenfassung
5 Opiatabhängigkeit – diagnostische Kriterien und ihre neurobiologischen Korrelate
5.1 Heroin – pharmakologische Eigenschaften
5.2 Biologische Mechanismen der Entwicklung der Opiatabhängigkeit
6 Die angenehmen Wirkungen von Alkohol, Nikotin und anderen Drogen und das dopaminerg-opioiderge Verstärkungssystem
6.1 Evolutionäre Bedeutung des dopaminergen Verstärkungssystems
6.2 Neuroanatomie des dopaminergen Verstärkungssystems
6.3 Bedeutung unterschiedlicher Dopaminrezeptortypen für die Entstehung und Aufrechterhaltung abhängigen Verhaltens
6.4 Kortikale dopaminerge Projektionsbahnen und ihre Interaktion mit der striären Dopaminfreisetzung
6.5 Interaktionen zwischen Amygdala und frontalem Kortex beeinflussen die striäre Dopaminfreisetzung
6.6 Folgen drogeninduzierter Dopaminfreisetzung – Psychomotorische Aktivierung, Belohnung oder Verlangen nach der Substanz?
6.7 Ist dopaminerge Stimulation angenehm oder verlockend?
6.8 Empirische Argumente für und gegen den hedonischen Charakter der dopaminergen Stimulation
6.9 Dopaminerge Neurotransmission und Neugierverhalten
6.10 Dopaminerge Dysfunktion in der Disposition und Aufrechterhaltung der Alkoholabhängigkeit
6.11 Psychopathologische Korrelate der dopaminergen Dysfunktion bei Alkoholabhängigen
6.12 Sensitivierung im dopaminergen Belohnungssystem?
6.13 Störung von Lernvorgängen durch Neuroadaptation im dopaminergen Belohnungssystem
6.14 Glutamaterge, opioiderge und serotonerge Stimulation der striären Dopaminfreisetzung
6.15 Das dopaminerge System und seine Bedeutung für die Nikotinabhängigkeit
6.16 Die klinische Bedeutung des dopaminergen Systems bei der Nikotinabhängigkeit
6.17 Die nikotinbedingte Stimulation des dopaminergen Systems über andere Neurotransmittersysteme
6.18 Zusammenfassung
7 Drogeninduzierte Psychosen – diagnostische Kriterien und ihre neurobiologischen Korrelate
7.1 Psychotische Rauschverläufe: die sog. Drogenpsychosen
7.2 Drogeninduzierte Psychosen
7.3 Können Drogen eine Schizophrenie auslösen?
7.3.1 Die Hypothesen der Selbstmedikation und Affektregulation
7.3.2 Die Social-Drift-Hypothese
7.3.3 Das Modell der Psychoseinduktion durch den Drogenkonsum
7.3.4 Das Supersensitivitätsmodell
7.3.5 Das Modell gemeinsamer ätiologischer Faktoren
7.4 Zusammenfassung
8 Serotonerge Funktionsstörungen in Bezug auf die Entstehung und Aufrechterhaltung abhängigen Verhaltens
8.1 Serotonerge Funktionsstörung in Verbindung mit impulsiver Aggressivität und der Disposition zur Alkoholabhängigkeit
8.2 Bildgebende Untersuchungen zur serotonergen Dysfunktion und ihrem Bezug zur Disposition zur Alkoholabhängigkeit
8.3 Genetische und Umweltfaktoren, die die serotonerge Neurotransmission beeinflussen
8.4 Psychopathologische Korrelate der zentralen serotonergen Funktionsstörung: Impulsivität oder negative Verstimmungszustände?
8.5 Serotonerge Funktionsstörungen und negative Stimmungszustände
8.6 Genetische Wirkungen auf Serotonintransporter im Bereich der Raphekerne
8.7 Serotonerge Funktionsstörung und die akuten Wirkungen des Alkoholkonsums
8.8 Nikotinabhängigkeit und das serotonerge System
8.9 Zusammenfassung
9 Der „Nikotinrezeptor“
9.1 Acetylcholinrezeptoren
9.2 Die Rezeptordesensibilisierung
9.3 „Up-Regulation“ – Kennzeichen der Abhängigkeit?
9.4 Wie spezifisch sind diese Befunde?
9.5 Welche klinische Bedeutung haben diese Befunde?
10 Genetische und Umweltfaktoren in der Disposition und Aufrechterhaltung der Abhängigkeit
10.1 Genetik der Nikotinabhängigkeit
10.1.1 Vererbungsmodus der Nikotinabhängigkeit
10.1.2 Genetische Grundlagen der Nikotinabhängigkeit
10.1.3 Molekulargenetische Grundlagen
10.1.4 Ergebnisse von Kopplungsstudien bei der Nikotinabhängigkeit
10.1.5 Kandidatengene im Dopaminsystem
10.1.6 Gene des serotonergen Systems und BDNF
10.1.7 Gene des Nikotinrezeptors und neuropsychiatrische Störungsbilder
10.1.8 Die Genetik des Nikotinmetabolismus
10.1.9 Pharmakogenetik
10.1.10 Probleme bei der Suche nach dem „Nikotingen“
10.2 Genetik der Alkoholabhängigkeit
10.2.1 Impulsives Verhalten als disponierender Faktor für Abhängigkeitserkrankungen?
10.2.2 Toleranz gegenüber akuten Alkoholwirkungen als disponierender Faktor
10.2.3 Soziale Isolation und die Disposition zur Alkoholabhängigkeit
10.2.4 Neurobiologische und genetische Korrelate der Aufrechterhaltung abhängigen Verhaltens
10.3 Zusammenfassung und Konsequenzen
11 Konsequenzen für die Praxis
11.1 Argumente gegen die Stigmatisierung abhängig kranker Patienten
11.2 Erkenntnisse für die Prävention der Alkohol- und Nikotinabhängigkeit
11.3 Konsequenzen für die Therapie der Nikotin- und Alkoholabhängigkeit
11.4 Konsequenzen für die Therapie der Opiatabhängigkeit
11.5 Prävention und Therapie von Störungen durch Cannabis und Stimulanzien
Literatur
Abbildungsnachweis
Stichwortverzeichnis
Die Frage scheint auf den ersten Blick rhetorisch. Ist es denn nicht an und für sich sinnvoll, etwas über die biologischen Grundlagen der Krankheitsbilder zu wissen, an denen in Deutschland pro Jahr immerhin etwa 140.000 Menschen sterben (DHS, 2010)? Aber es geht hier um mehr als wissenschaftliche Kenntnis per se. Viele Menschen glauben, dass Alkohol-, Nikotin- oder Drogenabhängigkeit eine Charakterschwäche ist, die nicht mit einer unverschuldeten Erkrankung wie beispielsweise einem Colonkarzinom verglichen werden kann. Daher verweigern immer noch die meisten privaten Krankenversicherungen die Erstattung von Behandlungskosten, die aus Abhängigkeitserkrankungen entstehen, soweit sich diese auf die Behandlung der Suchterkrankung und nicht nur auf die lebensrettenden Maßnahmen zur Therapie der Entzugssymptomatik oder des Delirs beziehen. Dagegen wird oft angeführt, dass die Alkohol-, Nikotin- und Drogenabhängigkeit Erkrankungen mit biologischen Grundlagen sind, die zum Teil genetisch bedingt sind und die die Funktionsweise des Gehirns so entscheidend beeinflussen, dass die Abhängigkranken nicht für ihre gesundheitlichen Probleme verantwortlich gemacht werden können und dieselbe Unterstützung durch die Solidargemeinschaft der Versicherten verdienen wie Menschen, die unter anderen Krankheitsbildern leiden. Es lohnt sich, diesen Argumentationsstrang genauer zu untersuchen. Denn in ihm sind viele Annahmen zum Wesen einer Krankheit, zur Verantwortlichkeit der Erkrankten und zur Bedeutung biologischer Befunde und Korrelate des Krankheitsgeschehens enthalten, die gesondert diskutiert werden müssen. Erst dann kann die Frage beantwortet werden, ob oder wie die Kenntnis der biologischen Grundlagen der Abhängigkeitserkrankungen den Umgang mit Abhängigkranken beeinflusst.
Die neurobiologische Grundlage von Abhängigkeitserkrankungen hat in der medizinischen, psychiatrischen und suchttherapeutischen Literatur bis vor wenigen Jahrzehnten noch keine große Beachtung erfahren – im Vordergrund stand eine mehr oder weniger moralische Sichtweise des süchtigen Verhaltens, beispielsweise des „Morphinismus“ oder der „Trunksucht“, die mit Eigenschaften des Charakters, der Persönlichkeit, allenfalls mit äußeren Faktoren, sozialen Bedingungen oder Lebensschicksalen, nicht jedoch mit einer biologischen Disposition in Verbindung gebracht wurden.
Psychiatrische Lehrbücher (z. B. das „Lehrbuch der Geisteskrankheiten“ von Bumke, 5. Auflage 1942) stellten das Problem des Alkoholismus als Folge der „Giftigkeit“ des Äthylalkohols dar. Das Störungskonzept beschränkte sich auf die charakterliche Würdigung des Betroffenen: „... Am besten geht man wohl von der Willensschwäche der Kranken aus und stellt die Trunksucht damit den übrigen ‚Suchten‘ an die Seite. Der Trinker ist danach wie der Morphinist ein konstitutionell abnormer Mensch, den ein krankhaftes Bedürfnis, ein ‚Reizhunger‘, immer wieder zu allmählich sich steigernden Ausschweifungen treibt.“
Auch Nikotin ist in der Wahrnehmung dieser Zeit ein „Gift“, wenngleich in seiner Bedeutung als psychotrope Substanz nachrangig den Substanzen Alkohol, Morphin oder Kokain.
Das biologische Verständnis der Abhängigkeitserkrankungen, und dies gilt sowohl für illegalen Drogen-, Alkohol- als auch den Tabakkonsum, wurde mit den Kenntnissen der drogen-, alkohol- oder tabakassoziierten Folgeerkrankungen gleichgesetzt. Alkoholbedingte zerebrale Einschränkungen, der Rausch, delirante Zustände, die Wernicke-Encephalopathie, Halluzinationen oder demenzielle Entwicklungen und Wesensveränderungen waren Teil der alkoholbedingten Pathologie der Alkoholkranken. Sie wurden jedoch nicht mit einer spezifischen neurobiologischen Wirkung der Substanz auf definierte Hirnstrukturen, sondern allein mit den substanzbedingten zerebralen Organschädigungen in Verbindung gebracht.
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