Never love a Rockstar 1 - Tina Keller - E-Book

Never love a Rockstar 1 E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

Nick ist ein erfolgreicher Rockmusiker, der nichts anbrennen lässt. Er ist erotisch, sexy, ein Bad Boy, dem die Frauen scharenweise hinterher laufen. Und er macht von diesem Angebot oft und gerne Gebrauch. Ausgerechnet mit ihm verbringt die völlig unerfahrene Ann ihre erste Liebesnacht und erlebt grenzenlose Ekstase und pure Leidenschaft, die sie völlig aus der Bahn wirft. Sie verfällt Nick mit Haut und Haaren und will nur eins: diese Ekstase immer wieder erleben. Nick wiederum entdeckt mit Ann etwas, das er nie hatte und nach dem er sich in der Tiefe seines Herzens unendlich sehnt: bedingungslose Liebe. Doch genau davor scheint er Angst zu haben. Die Beiden beginnen eine stürmische Beziehung, die sie durch Himmel und Hölle führt. Sie lieben sich, bekämpfen sich, trennen sich, doch verlieren sich niemals. Doch wann ist genug genug und wann zerstört Nicks exzessiver Lebensstil auch die größte Liebe?

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Inhaltsverzeichnis

London, Großbritannien, 1984

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 6

Kapitel

DAVID

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

NICK

DAVID

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel 12

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

NICK

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Impressum

London, Großbritannien, 1984

Mitten im wilden Rock'n'Roll Tourleben

Als wir drei Wochen durch England getourt waren, fand eine große Party statt. Kevin hatte das stolze Alter von 28 Jahren erreicht, und das musste natürlich gefeiert werden. Wie immer bei solchen Partys ging es vor allem darum, eins der jungen, halbnackten Mädchen aufzureißen, die mit hungrigen Blicken herumliefen und nach ihren Stars Ausschau hielten.

Serena und ich amüsierten uns darüber, wie sich die Mädchen förmlich um die Musiker stritten und fast aufeinander losgingen. Auf dem Weg zur Bar stieß ich mit einem Mann zusammen, den ich hier am wenigsten erwartet hatte.

„Hey, kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?“, fauchte ich. „Bist du blind oder bekifft oder einfach nur blöd?“

Wahrscheinlich mal wieder ein Kerl, der die Augen nicht von den Brüsten eines Groupies nehmen konnte und vor lauter Gier alle Leute über den Haufen rannte. Verärgert blickte ich hoch.

Ich erstarrte und ließ vor Schreck mein Glas fallen, denn vor mir stand – Nick. Ich sah ihn an wie einen Geist. Hatte ich Halluzinationen? Was machte Nick in England?

Ich hatte ihn seit mehr als einem Jahr nicht gesehen und mir eingebildet, über ihn hinweg zu sein. Aber da mein Herz klopfte wie ein Trommelwirbel, hatte ich mir ganz offensichtlich nur etwas vorgemacht.

„Du brauchst dich bei meinem Anblick doch nicht so zu erschrecken“, lachte Nick. „Sehe ich so furchtbar aus? Ich glaube nicht.“

Ich sah ihn stumm an. Seine Haare waren kürzer und nur noch schulterlang, was ihm aber verdammt gut stand. Er sah genauso fantastisch aus wie immer. Kaum sah ich ihn, haute er mich schon wieder um. Es hatte sich überhaupt nichts geändert.

„Was machst du denn hier?“, brachte ich mühsam heraus, während meine Knie weich wie Butter wurden.

„Wahrscheinlich dasselbe wie du: Ich feiere Kevins Geburtstag“, teilte Nick mir mit. „Wir waren letzte Woche zu einer TV-Show eingeladen und sind deshalb in England. Bis auf den Fraß hier finde ich es eigentlich ganz nett. Gestern habe ich mich für Tee bedankt, dabei war es Kaffee.“ Er grinste.

Dann fixierte er mich von oben bis unten, und ich war froh, dass ich mich heute besonders in Schale geworfen hatte. Darin stand Nick mir in nichts nach: Er trug eine edle, schwarze Lederjacke mit vielen silbernen Reißverschlüssen, die sicher speziell für ihn angefertigt worden war. Dazu eine schwarz-silbrig glänzende Hose aus einem undefinierbaren Stoff.

Nick war immer ein Hingucker. Aber es waren nicht nur die Klamotten. Es war einfach seine Ausstrahlung. Es war unmöglich, mit ihm in einem Raum zu sein und ihn nicht zu bemerken. Auch das hatte sich nicht geändert. Er strahlte so viel geballte Erotik aus, dass jede Frau sich von ihm angezogen fühlte und mit ihm ins Bett wollte.

„Es ist kaum zu glauben, aber du bist noch schöner geworden”, behauptete er und verschlang mich mit seinen Blicken.

Ich lächelte schwach. Das war eine glatte Lüge. Ich war fix und fertig und sah auch so aus.

Nick blickte mich eine Weile aus seinen dunklen, glühenden Augen an. Es war, als würde er mich mit seinem lodernden Blick überall streicheln.

„Darf ich dich zur Begrüßung umarmen?“, fragte er artig.

Ich nickte und mein Herz klopfte wie wild.

Oh ja, bitte! Und dann lass mich nie wieder los.

Nick stellte sein Glas ab, kam auf mich zu und legte seine starken Arme um mich. Es war, als käme ich nach einer langen Reise endlich zurück nach Hause. Mir kamen die Tränen und ich schloss schnell meine Augen.

Ich sog seinen Geruch ein, spürte seine raue Wange an meiner, fühlte seine Muskeln. Es war, als seien wir nie getrennt gewesen. Meine Liebe zu ihm flammte sofort wieder auf. Er zog mich noch fester an sich.

Am liebsten hätte ich mich an ihm festgeklammert und ihn nie wieder losgelassen. Sandy hatte Recht: Ich verzieh ihm alles. Ich liebte ihn einfach. Aber das durfte ich mir keinesfalls anmerken lassen.

„Du spürst das auch, oder?“

Nicks Stimme klang belegt. Er sah mir so tief in die Augen, dass ich fast ohnmächtig geworden wäre.

„Was?“, tat ich unwissend, während glühende Lava durch meinen Körper floss und sich in meiner Körpermitte sammelte.

„Diese alles verschlingende Glut. Sobald ich dich sehe, setzt mein Herz aus. Du ziehst mich an wie ein Magnet. Und dir geht es mit mir genauso.“

Nicks Stimme war heiser, seine Augen wurden noch dunkler. Mein Herz schien mir aus der Brust zu springen, direkt zu Nick.

„Hast du vielleicht ein bisschen zu viel getrunken? Oder gekokst?“

Ich bemühte mich zu lachen, doch es klang unecht.

Jetzt nur nicht umkippen! Ich war so lange tapfer gewesen und wollte nicht mein Leben ruinieren, nur weil ich einen Moment lang schwach wurde.

Nick lachte. Leider sah er dadurch noch viel anziehender aus.

„Das auch, aber das hat damit nichts zu tun. Du weißt sehr genau, was zwischen uns abläuft. Du kannst mir nicht widerstehen, genauso wenig, wie ich dir. Das war schon immer so, und das wird auch immer so sein. Diese grenzenlose Ekstase können wir nur miteinander haben, mit niemandem sonst, und das wird uns für immer aneinander binden.“

„Ich habe das letzte Jahr ganz gut ohne diese 'grenzenlose Ekstase' gelebt“, behauptete ich und bemühte mich, nicht an Nicks vor Erregung verzerrtes Gesicht zu denken; an seine Wollust, seine Gier, sein Verlangen, das meines widerspiegelte.

„Und vor allem ohne die seelischen Schmerzen. Ehrlich, Nick, ich vermisse nichts.“

„So?“

Nick verzog den Mund zu einem süffisanten Grinsen. Dann presste er mich so fest an sich, dass ich die Härte zwischen seinen Beinen spüren konnte. Ich schnappte nach Luft.

„Hast du das nicht vermisst? Hast du es nicht vermisst, wie wir uns gegenseitig immer höher treiben, bis zum Inferno? Hast du es nicht vermisst, von mir gefickt zu werden, hart und fest? Hast du meine Zunge nicht vermisst, meine Hände, meinen Schwanz?“

Meine Kehle wurde trocken. Er sollte aufhören. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was sein Körper mit meinem alles angestellt hatte. Ich wollte nicht an diesen Rausch denken, den ich nur mit ihm erlebt hatte – warum auch immer. Ich wollte nicht darüber nachdenken, dass Nick der Eine für mich war, the one in a million.

An all das wollte ich nicht denken, weil es einfach nicht ging. Es funktionierte trotz aller Leidenschaft nicht mit uns.

„Kannst du mal damit aufhören?“, blaffte ich ihn an und schob ihn von mir weg.

„Warum? Weil du Angst vor der Wahrheit hast?“

Nicks Augen glühten. So glühten sie auch, bevor er den Gipfel der Ekstase erreichte.

„Die Wahrheit ist, dass wir schon lange nicht mehr zusammen sind“, stellte ich klar.

„Wir sind immer zusammen.“ Nick holte tief Luft. „Du lebst in mir und ich in dir. Da ist ein Band zwischen uns, das nichts und niemand zerstören kann.“

Spöttisch sah ich ihn an.

„Nick, heb dir das lieber für deine Songs auf.“

Nick lachte.

„Habe ich schon. Du wirst erstaunt sein, wie viele Songs auf unserer nächsten Platte mit uns beiden zu tun haben. You can't run away from our love zum Beispiel.“

„Schön, dass ich dich inspiriere. Du hast mich auch inspiriert. Mein Song heißt Love is pain“, entgegnete ich.

Nick fand das offenbar amüsant.

„Lass uns tanzen“, schlug er vor.

Tanzen ist wie Liebe machen, fiel mir ein. So, wie jemand mit dir tanzt, behandelt er dich auch im Bett.

Nick zog mich fest an sich. Ich fühlte mich wie Wachs in seinen Armen. Er bewegte sich geschmeidig im Takt der Musik. Mir wurde ganz schwindlig. Es war tatsächlich fast so, als würden wir Liebe machen. Und dann kam auch noch der passende Song dazu.

It will take a long time

Until your love will come back to me

I will be waiting for you

Forever

Our endless love will rescue me

Some day

Ich schluckte. Das passte ja wie die Faust aufs Auge. Ich hörte diesen Song nicht zum ersten Mal, aber mit Nick dazu zu tanzen, war schon sehr berührend. Der Text schien wie für uns gemacht.

Nick schlang seine muskulösen Arme um mich und ließ seine Hände über meinen Rücken wandern. Seinen Körper so dicht an meinem zu spüren, war fast zu viel. Er machte mich total willenlos. Am liebsten hätte ich ihm die Klamotten vom Leib gezerrt und mich auf ihn gestürzt. Es hatte sich wirklich absolut nichts verändert. Weder die Zeit noch unsere Trennung konnten unseren Gefühlen etwas anhaben.

Please forgive me

All the things I’ve said and done

Please forgive me

You are still the only one

I will always love you

Forever

Let us start all over again

You and me, forever

„Ich könnte es nicht besser ausdrücken. Ich wünschte wirklich, wir könnten noch mal von vorne anfangen“, sagte Nick, als der Song mit einem bombastischen Gitarrensolo endete.

„Meinst du nicht auch?“

Ich schluckte. Einerseits die Ekstase und Liebe, andererseits aber auch die Hölle, durch die Nick mich gejagt hatte. Eins schien nicht ohne das andere zu funktionieren. Wollte ich das wirklich noch mal haben?

Ich war völlig durcheinander und sagte lieber erst mal gar nichts. Nick seufzte und zog seine schicke Jacke aus. Ich stellte fest, dass er extrem muskulöse Oberarme bekommen hatte. Außerdem hatte er ein paar neue Tattoos.

„Na, gefällst du dir?“

Er deutete auf eine Stelle seines Arms und ich erkannte – mich! Er hatte sich tatsächlich mein Gesicht auf seinen Oberarm tätowieren lassen. Jetzt war ich wirklich sprachlos.

„Alles andere ist hartes Training“, grinste er und spannte seinen Bizeps an. „Ich verbringe fast mehr Zeit in meinem Fitnessraum als im Tonstudio.“

Er sah kräftig, athletisch und einfach umwerfend aus. Das wusste er auch; er war sich immer seiner Ausstrahlung bewusst gewesen. Es war kein Wunder, dass die Weiber ihm scharenweise hinterherliefen. Und genau das war unser Problem. Selbst, wenn er nichts für sie empfand: Er konnte ihnen nicht widerstehen. Und damit würde ich niemals leben können.

„Es gefällt mir, was ihr aus Forever lost gemacht habt“, sagte er unvermittelt. „Ich habe den Song letztens im Radio gehört, und er ist wirklich gut. Mit dem Erfolg eurer Tour könnt ihr auch voll und ganz zufrieden sein. Ich habe euch übrigens bei eurem Abschlusskonzert in L.A. gesehen und war echt begeistert.“

„Du warst bei unserem Konzert?“

Ich erstarrte. Das war ausgerechnet das Konzert gewesen, bei dem ich beschlossen hatte, etwas sexier auszusehen. Das war aber ein merkwürdiger Zufall. Als ob ich geahnt hätte, dass Nick da sein würde.

„Na klar. Du weißt doch, dass ich für dich bis ans Ende der Welt gehen würde. Einmal quer durch die Stadt ist da gar nichts.“ Nicks Blick hatte es in sich.

Ich schloss die Augen. Ich könnte ihn haben. Ein Wort von mir genügte, und ich konnte das haben, was ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gehabt hatte: wilden Sex, grenzenlose Ekstase, Wollust, Gier, Leidenschaft.

Nicks Augen glänzten wie im Fieber. Er presste mich so fest an sich, dass ich spürte, wie erregt er war. Und ich war es auch. Ich wollte ihn. Ich wollte ihn wie sonst nichts auf der Welt.

You and me, forever. Das war wohl unser Schicksal.

Kapitel 1

Wie alles begann ...

Zwei Jahre vorher, anno 1982, im öden Oelde, Westfalen

„Du spinnst”, war der kurze, knappe, aber doch sehr deutliche Kommentar meiner Mutter, als ich meiner Familie von meiner neuesten Idee erzählte: Ich wollte nach Kalifornien auswandern.

„Das ist bei dem Blag ja mittlerweile an der Tagesordnung”, mischte sich mein sieben Jahre älterer Bruder Robert ungebetenerweise ein.

„Den ganzen Tag hört es dieses nervtötende Hardrock-Gebrüll, davon muss man zwangsläufig bescheuert werden.”

In mir flammte lodernder Hass auf. Wie konnte Robert es wagen, von mir als „es” zu reden? Ich war doch schließlich kein Gegenstand!

„Genau wie du von deinem ätzenden Orgelgedudel”, gab ich boshaft zurück. „Man braucht dich nur anzugucken und weiß, was für einen Schrott du hörst.”

Mein angeblicher Bruder hörte und spielte nämlich ausschließlich Orgelmusik und begleitete jeden Sonntag unentgeltlich die Messe in der Kirche. Außerdem arbeitete er als Bankkaufmann, hatte noch nie eine Freundin gehabt und ließ sich allen Ernstes von meiner Mutter die Haare waschen. Ich zweifelte stark daran, dass er mein leiblicher Bruder war. Wahrscheinlich war ich als Baby im Krankenhaus vertauscht worden und in Wirklichkeit das Kind einer Rockmusikerin, die sich jetzt mit einem spießigen Teenager herumärgern musste.

„Sei nicht so frech zu deinem Bruder”, zischte mein Vater und sah mich strafend an. „Du erlaubst dir einiges zu viel.”

„Ach, und er kann sich mir gegenüber wohl alles rausnehmen, was?”, empörte ich mich und verschluckte mich vor lauter Wut an meiner Kartoffel. „Dabei bin ich jetzt 18 und damit erwachsen.”

Robert fing schallend an zu lachen. Am liebsten hätte ich dieses sommersprossige Ungeheuer mit meiner Gabel aufgespießt. Wieso wohnte er überhaupt noch hier? Konnte er sich mit 25 nicht endlich eine eigene Wohnung suchen? Oder war es zu viel verlangt, seine fettigen Haare mal selbst zu waschen?

„Du bist ein vorlauter, etwas weltfremder Teenager und sonst gar nichts”, knurrte mein Vater und erhob sich. „Ich wäre wirklich heilfroh, wenn du so vernünftig wie dein Bruder wärst, aber du hast nur Flausen im Kopf.“

„Dann sei doch froh, wenn du mich bald los bist.“

Wütend knallte ich das Besteck auf den Teller. Wenn ich hier nicht erwünscht war, wieso regten sie sich dann so auf, dass ich abhauen wollte?

Mein Vater schüttelte genervt den Kopf und suchte das Weite. Seine Welt war einfach eine völlig andere als meine. Er stammte aus eher ärmlichen Verhältnissen und hatte sich schon als kleiner Junge vorgenommen, dass es ihm materiell einmal besser gehen sollte. Demzufolge hatte er viel gearbeitet, eine Softwarefirma gegründet und das erreicht, was er hatte erreichen wollen: finanzielle Sicherheit. Er hatte ein Haus im Grünen, ein dickes Auto und eine Familie, von der die Tochter allerdings ziemlich „aus der Art schlug“. Er war gesettled und hatte einen gewissen Wohlstand erreicht, auf den er stolz war. Und er wollte, dass seine Kinder eine ähnliche Laufbahn einschlugen.

Bei meinem Bruder Robert hatte er das auch geschafft. Der artige Sohnemann war voller Freude und Dankbarkeit gewesen, als mein Vater ihm durch Beziehungen eine Lehrstelle in einer Bank vermittelt hatte. Natürlich war er nach der Lehre dort geblieben und strebte nun die Position als Filialleiter an. Mein Vater war mächtig stolz auf seinen Filius.

Seine Tochter hingegen war leider etwas missraten. Obwohl durchaus nicht unintelligent, interessierte sie sich nicht die Bohne für die Schule. Lieber schrieb sie Geschichten, Briefe und Songtexte, hörte laute Musik und spielte E-Gitarre. Damit konnte mein Vater so gar nichts anfangen. Für ihn war das alles nur Krach und Zeitverschwendung.

Wir schrieben das Jahr 1982, und damals tickten die Uhren anders als heute, besonders auf dem platten Land. Wer sein Hobby zum Beruf machen wollte, der hatte nicht alle Tassen im Schrank. Alles, was Spaß machte, war Freizeitvergnügen und kein Job.

Niemand wusste, warum ich so geworden war, wie ich nun mal war. Meine Eltern waren sich keiner Schuld bewusst. Sie hatten mir immer wieder gepredigt, wie wichtig es sei, einen „ordentlichen Beruf“ zu ergreifen. Aber es hatte überhaupt nichts genützt. Manchmal waren sie richtig depressiv, weil ich so uneinsichtig und stur war.

Tja, was war nur schief gegangen? Irgendwann hatte ich etwas über die Großmutter meines Vaters aufgeschnappt, die mit einem Jahrmarkt Schausteller durchgebrannt war und fortan seine Partnerin beim Messerwerfen gewesen war. Sie hatte parallel eine Liaison mit dem Löwen-Dompteur gehabt und drei Kinder von drei verschiedenen Männern bekommen. Über all das wurde allerdings nie wirklich gesprochen. Meinem Vater war seine Großmutter offensichtlich mehr als peinlich. Ich hingegen fand die Geschichte äußerst spannend. Bestimmt hatte ich die Gene meiner Urgroßmutter geerbt. Schade, dass ich sie nie kennengelernt hatte. Sie hätte mich bestimmt in meinem Vorhaben bestärkt.

Ich kehrte erst in die Gegenwart zurück, als meine Mutter wutentbrannt auf den Tisch haute, so dass das Geschirr klapperte.

„Hörst du mir überhaupt zu?“, riss mich ihre schrille, wie immer leicht hysterische Stimme aus meinen Träumen.

„Ann-Kathrin, damit das ein für alle Mal klar ist: Du gehst auf keinen Fall ins Ausland, sondern bleibst hier und machst eine Lehre.“

Die Augen meiner Mutter flackerten gefährlich.

„Das Wichtigste im Leben ist, dass man einen anständigen Beruf erlernt. Du kannst ja Musik machen, aber nur als Hobby. Alles andere ist völliger Tinnef, und wenn du wirklich erwachsen sein willst, dann musst du das auch begreifen.“

Ich setzte ein blasiertes Gesicht auf und stellte meine Ohren sicherheitshalber auf Durchzug, denn die nun folgende Ansprache kannte ich zur Genüge:

Mach brav deine Ausbildung, vergeude dein Leben in einem stumpfsinnigen Büro, heirate einen langweiligen Spießer, und kümmere dich dann um die plärrenden Kinder, die dich in den Wahnsinn treiben. Erwarte nichts vom Leben, dann wirst du auch nicht enttäuscht.

Ich bekam panische Angstzustände, wenn ich mir vorstellte, dass dies mein Lebensweg sein sollte. Und da die erste Sprosse dieser zweifelhaften Karriereleiter „Lehre” hieß, durfte ich mich keinesfalls dazu überreden lassen. War ich erst mal in dieser Mühle gefangen, würde es umso schwerer sein, da wieder herauszukommen.

Nein, ich wollte von Anfang an meinen Weg gehen: Ich wollte Musik machen, und zwar Hardrock. Niemand von meiner Familie nahm meinen Traum ernst, aber ich dachte an nichts anderes. Ich war regelrecht besessen von dem Gedanken, eine Mädchenband zu gründen und in die Hardrock-Domäne der Männer einzubrechen. Ich wollte es einfach wie nichts sonst auf der Welt.

Vor vier Jahren hatte ich mir eine Gitarre zugelegt und sogar konventionellen Unterricht genommen, der mich nach kurzer Zeit jedoch tödlich gelangweilt hatte. Anhand von Notenheften hatte ich mir das Spielen dann selbst beigebracht.

Später war ich auf den Bass umgestiegen, weil der so schön in den Bauch ging und ich die tiefen Töne einfach liebte. Ich drehte meinen Verstärker zum allgemeinen Ärger immer so laut auf, dass die Tassen in den Schränken wackelten. Meistens stellte Robert dann einfach den Strom ab, und ich stand plötzlich in aller Stille im Dunkeln.

Ich hasste diesen Typen. Alle Mädchen wollten einen älteren Bruder haben, aber ich nicht. Ich wünschte mir, er würde sich mitsamt seiner beknackten Orgel in Luft auflösen.

Vor ein paar Monaten hatte ich mich drei Jungs angeschlossen und probte seitdem zur Erleichterung meiner Familie in einem weit entfernten Übungsraum. Die punkmäßig angehauchte Musik gefiel mir jedoch überhaupt nicht, und ich fühlte mich von den Jungs auch nicht ernst genommen. Sie lasen sich meine Songtexte nicht einmal durch, und ich hatte das Gefühl, dass sie mich lediglich als ihr Aushängeschild betrachteten. Anno 1982 war es noch recht ungewöhnlich, dass ein Mädchen Bass spielte. Doch etwas Passenderes würde ich hier in unserem Dorf nie finden, das war klar.

Also musste ich weg von hier, und wenn schon, dann nicht nur in die nächste Großstadt, sondern gleich über den großen Teich. Aus irgendeinem Grund war ich fest davon überzeugt, dass Kalifornien, insbesondere Los Angeles, genau der richtige Ort für meine Band war.

Meine großen Idole, Scream, kamen nämlich aus Kalifornien, und das allein war schon ein Grund, dort hinzuziehen. Ich wollte sie unbedingt kennenlernen. Und sowieso war Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das mich schon lange faszinierte. Ich wollte endlich etwas von der Welt sehen und nicht in diesem Kaff versauern!

Trotz allem Optimismus – ich war viel zu jung, um mir ernsthafte Sorgen über meine Zukunft zu machen – ahnte ich, dass es hart werden würde. Gerade in L.A. gab es unzählige Bands, die auf eine Chance warteten. Die Tatsache, dass es Mädchen waren, die Hardrock spielten, brachte anfangs zwar mehr Publicity, aber letztendlich riss sie auch keinen mehr vom Stuhl. Im Gegenteil, nach der ersten Begeisterung hatten Musikerinnen es generell schwerer und mussten mindestens doppelt so gut mit ihren Instrumenten umgehen können wie die Männer.

Dennoch hatte ich keine Bedenken, ob das, was ich tat, richtig war. Ich wusste nur, dass ich es tun musste, dass meine imaginäre Band, von der ich seit so vielen Jahren träumte, mein Lebensziel war und ich auf alles verzichten würde, nur auf eins nicht: Musik. Ich wollte Musik machen, und genau das würde ich auch tun – ganz gleich, welche Steine man mir auch in den Weg legen würde.

Meine Familie konnte für meine Pläne wenig Verständnis aufbringen. In den nächsten Wochen bekam ich von der gesamten Verwandtschaft zu hören, dass ich nun wohl völlig übergeschnappt sei, nachdem meine Eltern sie von meiner „Schnapsidee” unterrichtet hatten.

Onkel und Tanten, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte oder überhaupt nicht kannte, standen plötzlich mit ernsten Mienen vor mir und hielten sich offenbar für brillante Redner und Lebensberater. Die düsteren Prophezeiungen, ich würde in Amerika in der Gosse landen, nahmen kein Ende.

Wahrscheinlich waren sie insgeheim nur neidisch, weil sie selber nichts aus ihrem Leben gemacht hatten. Sie gönnten es mir nicht, dass ich ins sonnige Kalifornien entschwand, während sie in dieser Ödnis blieben. Jeden Tag saßen sie ihr Leben in einem muffigen Büro ab und ärgerten sich darüber.

Und damit es mir nicht besser erging als ihnen, sollte ich es genauso machen. Aber das kam überhaupt nicht in die Tüte. Ich würde ein Rockstar werden – und dann wollte ich ihre blöden Gesichter mal sehen.

Der letzte Anwärter, der sich den Mund fusselig redete, war ein entfernter Verwandter, der sich Onkel Herbert nannte. Bei Onkel Herbert war alles geregelt. Der Urlaub wurde zwei Jahre im Voraus geplant, die Hecke mit der Nagelschere geschnitten und die Haare der vier Kinder ebenfalls. („Pottschnitt” nannten wir das gehässig). Besonders viel Spaß schien ihm sein Leben allerdings nicht zu machen, wie der knötterige Gesichtsausdruck vermuten ließ.

„Deine Eltern haben mir von deiner Schnaps... äh, Idee erzählt.” Schwer atmend ließ er sich auf meine Couch sinken.

„Ann-Kathrin, was geht eigentlich in deinem Kopf vor?”

Er schüttelte bekümmert seinen eigenen.

„Du hast dich da in etwas verrannt. Du lebst in einer Art Traumwelt, aber das ist nicht die Realität. Spare, lerne, leiste was, dann hast du, kannst du, bist du was. Nach diesem Motto baut man ein Leben auf, nicht auf Illusionen. Werde vernünftig und mach eine Lehre im Büro, dann hast du etwas in der Hand.”

Mit gerunzelter Stirn ließ er seinen Blick über meine Wände schweifen. Da hingen sie, meine Heldinnen: Scream, die erste weibliche Hardrock-Band. Ich liebte und vergötterte sie, sie waren alles für mich. Meine Klassenkameraden hörten Synthie Pop und Neue Deutsche Welle, aber damit konnte ich mich überhaupt nicht anfreunden. Die Musik musste hart sein, Kraft und Energie haben.

Onkel Herberts starrer Blick blieb an einem Poster hängen, auf dem die blonde Sängerin Mieder und Strapse trug. Wahrscheinlich stellte er sich gerade vor, dass ich demnächst in einem ähnlichen Outfit herumlaufen würde.

„Du willst provozieren”, spielte er nun den Psychologen.

„Das ist in deinem Alter auch ganz normal. Dennoch darf dies nicht dazu führen, dass du die Realität aus den Augen verlierst. Du brauchst jetzt jemanden, der dir den richtigen Weg zeigt. Später wirst du uns einmal dankbar dafür sein.”

Nachdenklich sah ich ihn an.

„Ja, du hast schon irgendwie Recht”, sagte ich.

Ein Leuchten erhellte Onkel Herberts Gesicht. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er hatte es geschafft, „das Kind” zur Vernunft zu bringen, nachdem alle anderen versagt hatten. Ein Familienorden war ihm sicher.

„Onkel Herbert, ich möchte mich bei dir bedanken. Du hast wirklich Recht. Sparen, lernen, leisten – darauf kommt es an im Leben. Warum sollte mir mein Leben Spaß machen? Darum geht es doch gar nicht. Hauptsache, meine Familie ist stolz darauf, dass etwas aus mir geworden ist. Du hast mich gerade noch gerettet. Gleich morgen verkaufe ich meinen Bass, lege mir ein Kostüm zu und bewerbe mich in einer Bank. Vielleicht kann ich sogar mit Robert zusammenarbeiten, wo wir uns doch so gut verstehen.”

Onkel Herberts Miene verfinsterte sich schlagartig. Beim letzten Satz hatte er offenbar kapiert, dass ich ihn auf den Arm genommen hatte. Auch er hatte es nicht geschafft, mich zu bekehren und auf den rechten Weg zurückzuführen. Ich war uneinsichtig und stur. Es würde noch ein böses Ende mit mir nehmen.

Wortlos erhob er sich und rauschte von dannen.

„Das Kind ist ja noch viel verrückter, als ich befürchtet hatte. Es wird noch in der Psychiatrie enden”, waren seine letzten Worte, mit denen er das Haus verließ. Ich sah ihn nie wieder.

Meine Eltern hatten es in den nächsten Wochen nicht leicht. Sie bekamen viel Mitleid, Zuspruch und auch Vorhaltungen, dass sie mich zu lasch erzogen hatten. Immer wieder hörte ich den Satz „Das Kind lässt sich aber auch gar nichts sagen. Es weiß alles besser.”

Ich hasste es, wenn man von mir in der dritten Person Neutrum sprach. Und natürlich wusste ich besser als sie, was gut für mich war. Wer denn sonst?

Endlich fand ich eine Verbündete: Meine Tante Christiane, die als Teenager offenbar selbst ein „wilder Feger” gewesen war, arbeitete beim Arbeitsamt und vermittelte mir die Adresse einer Familie in Los Angeles, die ein Au-Pair-Girl suchte. Wir tauschen Briefe und Fotos aus und dann war es amtlich: Ich würde nach Los Angeles zu Tom und Isabella samt Baby ziehen und dort meine hauswirtschaftlichen Qualitäten erproben.

Jetzt, wo alles konkret geworden war, wurde ich ganz aufgeregt und nervös. Ich konnte den Tag meiner Abreise kaum noch abwarten.

„Du kennst diese Leute doch gar nicht”, jammerte meine Mutter noch auf dem Flughafen und kramte nach einem Taschentuch.

„Ach, Ann-Kathrin, wer weiß, was das für Menschen sind und wie sie dich behandeln.”

Als allererstes würde ich das dämliche „Kathrin” aus meinem bescheuerten Namen streichen. Das ärgerte mich nämlich, seit ich denken konnte. In Amerika hieß ich dann „Ann”, gesprochen Änn, das gefiel mir viel besser.

„Vielleicht wirst du nach dieser Erfahrung wieder normal”, wünschte sich mein Vater, der sich in Grund und Boden schämte, dass ausgerechnet seine Tochter als Einzige der Schulklasse keine Lehre machte. Offenbar hatte er bei meiner Erziehung komplett versagt, und alle wussten es nun.

„Und sei nicht zu stolz, um zu uns zurückzukehren, wenn es nicht klappt, hörst du? Unsere Tür steht dir immer offen, das weißt du. Wir finden sicher auch noch kurzfristig eine Lehrstelle für dich.”

Ja, natürlich.

„Das hättet ihr wohl gerne”, murmelte ich und nahm meine Eltern nun doch etwas wehmütig in die Arme.

Lehrstelle war für mich zu einem Reizwort geworden. Allein die Vorstellung, mich den ganzen Tag lang herumkommandieren zu lassen, war für mich absolut unerträglich. Ich verstand nicht, warum sich meine Klassenkameraden ohne jedes Mucken freiwillig einsperren ließen. Warum waren sie nur so entsetzlich vernünftig? Hatten sie gar keine Lust auf ein Abenteuer? Sie gingen klaglos den Weg, den ihre Eltern ihnen vorschrieben.

Nur ich war renitent und dickköpfig und trieb meine Eltern in den Wahnsinn. Aber immer noch besser, als selbst in ein ödes, langweiliges Leben gepresst zu werden, unter dem ich nur leiden würde.

„Pass auf dich auf”, schluchzte meine Mutter. „Kind, du bist doch noch viel zu jung, um ganz allein in die Staaten zu gehen. Amerika ist so weit weg.”

Trotz aller Sentimentalität musste ich grinsen. Meine Mutter war nie weiter gekommen als bis nach Spanien. Für sie war Amerika ein anderer Planet.

Ich atmete auf, als meine Maschine aufgerufen wurde und ich mich diesen seit Wochen Kräfte zehrenden Diskussionen entziehen konnte. Es wäre schön gewesen, wenn meine Eltern mir ein bisschen mehr zugetraut hätten. Für sie stand fest, dass ich nach zwei Wochen wieder heulend vor ihrer Tür stehen würde, aber das würde ich ganz bestimmt nicht tun – ganz egal, was mich erwartete. Diese Blöße wollte ich mir auf keinen Fall geben. Ich würde es schon irgendwie schaffen.

Kapitel 2

Als ich im Flugzeug saß, wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, dass ich nun völlig auf mich allein gestellt war und niemanden in diesem fremden Land kannte. Wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich schon ein bisschen Angst, ob ich das alles schaffen würde.

Vielleicht hatten sie alle Recht und ich würde nach wenigen Wochen desillusioniert und um ein paar bittere Erfahrungen reicher heimkehren. Vielleicht würde ich mich tatsächlich damit abfinden müssen, ein mittelmäßiges Leben zu führen, so wie alle anderen auch.

Aber bevor ich kampflos aufgab, wollte ich zumindest versuchen, meine Träume zu leben, anstatt mein Leben zu verträumen. Immerhin hatte ich einen Traum. Das unterschied mich von den meisten.

Ich fiel in einen unruhigen Schlaf, träumte allerhand wirres Zeug und war froh, als die Maschine nach über 14 Stunden mit einem Zwischenstopp in London endlich in Los Angeles landete. Jetzt begann das Abenteuer!

Aufgeregt sah ich mir die Schlange der wartenden Menschen an. Schon komisch, dass ich nun bei Leuten wohnen würde, die ich überhaupt nicht kannte. Hoffentlich waren sie so sympathisch wie auf den Fotos. Wo steckten sie denn bloß?

Als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, sie in dem Gewühl jemals zu finden, erblickte ich ein Schild mit der Aufschrift Ann und eilte erleichtert darauf zu.

„Hi, du musst Ann sein”, begrüßte mich eine braun gebrannte junge Frau mit langen schwarzen Haaren und strahlte mich an. Sie trug ein grellbuntes Kleid, türkisfarbene Flipflops und mindestens zehn wuchtige Ketten.

„Herzlich willkommen in Kalifornien. Wir freuen uns wahnsinnig, dass du bei uns bist.”

Mit diesen Worten legte sie mir einen Blumenkranz um den Hals.

„If you're going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair”, begann sie zu singen und lachte.

Was für eine nette Begrüßung! So wurde man auf dem Flughafen in Düsseldorf aber nicht empfangen. Da musste man ja schon froh sein, wenn die Leute überhaupt den Mund aufkriegten.

Isabella nahm mich herzlich in ihre Arme. Ich mochte sie sofort. Sie strahlte viel Wärme aus und eine Leichtigkeit, die ich von zu Hause her überhaupt nicht kannte. The American Way of Life eben.

Auf dem Weg zu ihrem Auto erzählte sie mir, wie froh sie über meine Ankunft war und dass sie alles tun würde, damit ich mich wohl fühlte. Ich war natürlich mehr als geschmeichelt. Isabella führte sich auf, als würde ein Weltstar bei ihr einziehen und nicht ein blasses Mädchen aus einer piefigen Kleinstadt in Deutschland. Vielleicht erkannte sie ja schon jetzt mein Potenzial.

Ihr Auto entpuppte sich als ein kleiner Bus und war genauso bunt wie ihre Klamotten. Wir fuhren über breite Straßen, die links und rechts von Palmen gesäumt waren. Der Himmel war tiefblau, und die Sonne strahlte. Ich kam mir vor wie im Urlaub und konnte mich gar nicht sattsehen an dieser Pracht. Und hier würde ich nun leben! Ich hatte meinen Traum tatsächlich wahr gemacht: Ich war im sonnigen Kalifornien.

Isabella und Tom wohnten in Santa Monica, einem noblen Vorort von Los Angeles. Ich schnappte nach Luft, als ich das Haus sah. Es war eine richtige Villa mit Türmchen und runden Zimmern. Ich war hin und weg. Das war ja wohl etwas ganz anderes als unser langweiliges Reihenhaus im öden Oelde.

Als ich das Haus von innen sah, kriegte ich den Mund gar nicht mehr zu. Die Möbel waren merkwürdig geformt und sahen aus wie die Kulisse für einen Science Fiction Film. Es gab eine riesige offene Küche, Glastüren, die in der Wand verschwanden und ein Bad, bei dem man die Wasserhähne erst suchen musste. Von der Badewanne aus blickte man direkt in den Himmel. Was für ein Luxus!

„Tom ist Möbeldesigner”, erklärte Isabella, als ich vor Begeisterung fast kollabierte. „Darum wechselt unsere Einrichtung alle paar Monate. Bis vor ein paar Wochen hatten wir die barocke Phase. Als nächstes steht Ägypten auf dem Programm.”

Mein Zimmer verschlug mir endgültig die Sprache. Es war ganz in schwarz und weiß eingerichtet. In der Mitte prangte eine überdimensionale, wellenförmige Zebra-Couch. Das schwarz lackierte Bett stand auf einem Podest. Man gelangte über glitzernde, beleuchtete Stufen hinein. Als Krönung hatte ich ein eigenes Bad mit einem Whirlpool.

Mir wurde ganz schwindlig vor lauter Glück. Nachdem ich gerade mal zehn Minuten in diesem Luxus-Haus war, fühlte ich mich schon total heimisch. Hier blieb ich doch sehr gerne. Das passte alles viel besser zu mir als mein enges Zimmer mit den schrecklichen Blumentapeten und der grün-braunen Schrankwand.

„Ich hoffe, es gefällt dir.”

Isabella blickte mich fragend an. Machte sie Witze?

„Es ist umwerfend”, sagte ich mit glühenden Wangen. „Ich habe noch nie etwas so Tolles gesehen. Ich kann gar nicht glauben, dass ich hier wohnen darf. Die Einrichtung ist der pure Wahnsinn.”

„Das ist aber süß, dass du das sagst.”

Isabella lächelte. Sie war wirklich ganz bezaubernd; davon hätten sich die sturen Westfalen ruhig mal eine Scheibe abschneiden können.

„Jetzt stelle ich dir Tom und das Baby vor.”

Tom wirkte etwas wild mit seinen zerzausten Haaren und einer merkwürdig geformten Brille. Er hatte ein Baby auf dem Arm, das mich misstrauisch beäugte und sich dann demonstrativ von mir abwandte. Na, das fing ja gut an.

„Hi, Ann”, begrüßte mich der Möbeldesigner und streckte mir die Hand entgegen. „Wir sind überglücklich, dass du bei uns bist.”

„Das Baby wohl nicht”, rutschte mir heraus.

Tom lachte und winkte ab.

„Keine Sorge, sie ist bei Fremden zuerst immer etwas scheu, aber das legt sich”, behauptete er und strich zärtlich über den flaumigen Kopf.

Das misstrauische Baby hieß Cinderella. Es würde offenbar meine Hauptaufgabe sein, mich um die kleine Prinzessin zu kümmern. Ich konnte nur beten, dass es gut ausging. So wirklich viel Erfahrung mit Babys hatte ich nämlich nicht. Wenn ich ehrlich war, überhaupt keine. Das hatte ich in dem Fragebogen natürlich etwas anders dargestellt. Naja, ich würde den Winzling schon nicht umbringen.

In den ersten Tagen sah es allerdings so aus, als würde der Winzling mich umbringen. Das Prinzesschen schrie jedes Mal wie am Spieß, wenn es mich nur von weitem sah, dabei hatte ich ihm gar nichts getan. Isabella wirkte etwas verzweifelt, denn bis jetzt war ich ihr keine große Hilfe. Im Gegenteil, ohne mich wäre Cindy bestimmt sehr viel ruhiger gewesen.

Als ich mich schon damit abgefunden hatte, dass das verwöhnte Baby mich nicht leiden konnte und ich deshalb meinen Job verlieren würde, geschah ein Wunder. Eines Morgens beglückte Cindy mich mit ihrem zahnlosen Lächeln und streckte ihre Ärmchen nach mir aus. Verwirrt nahm ich sie auf den Arm und konnte es nicht fassen. Sie mochte mich!

Von diesem Tag an schrie Cindy nie wieder, wenn sie mich sah. Im Gegenteil, sie strahlte mich unentwegt an, und ich strahlte zurück. Ein bisschen verliebten wir uns sogar ineinander. Ich durfte bleiben.

Nun fühlte ich mich erst recht wohl in meinem neuen Zuhause. Isabella war einfach reizend, malte verrückte Bilder und legte leidenschaftlich gern Karten. Damit verdiente sie auch ihr Geld. Jeden Tag erschienen zwei bis drei Leute, denen sie die Zukunft voraussagte. Mir hatte sie eine große musikalische Karriere und eine „obsessive Liebe zu einem faszinierenden, aber schwierigen Mann” prophezeit.

Meine Hauptaufgabe bestand darin, mich um das Baby zu kümmern. Gewöhnlich übergab Isabella sie mir morgens um zehn und empfing dann ihre Klienten, denen sie in einem abgedunkelten Zimmer die Karten legte.

Ich fütterte und wickelte Cindy, trug sie stundenlang durch die Gegend oder fuhr sie im Kinderwagen spazieren. Sie war ein süßes, pflegeleichtes Baby und ich hatte keine Probleme mit ihr.

Mittags kochte ich für Isabella und mich etwas Schnelles zu essen, und ab 16 Uhr hatte ich frei. Samstags putzte ich vier Stunden lang das Haus und des Rest des Wochenendes hatte ich zur freien Verfügung. Dafür gab es freie Kost und Logis und fünfhundert Dollar Taschengeld. Für mich war es einfach perfekt.

Tom war ein echter Workoholic und kam nie vor 22 Uhr nach Hause. Auch am Wochenende arbeitete er viel, und manchmal hörte ich, wie sich Isabella und Tom stritten, weil er praktisch nie zu Hause war.

Ich freundete mich mit Marcia, dem spanischen Au-Pair-Girl der Nachbarfamilie, an und verbrachte einen Großteil meiner Freizeit mir ihr. Meistens waren wir am Santa Monica Pier und tummelten uns am Strand oder wir schlenderten durch die Einkaufsmeile. Kalifornien war hell, sonnig und heiter, so wie auch die Menschen. Jeder war gut drauf, jeder nannte jeden Darling, alle waren freundlich zueinander. Ich fand es wunderbar und vermisste die sturen Westfalen so gar nicht.

Abends gingen wir oft in eine Disco oder hingen am Strand herum. Ich fand es abgefahren, jederzeit am Strand sein zu können. Das war mir in Deutschland gerade mal zwei Wochen im Jahr vergönnt gewesen.

Marcia war immer gut gelaunt und äußerst kontaktfreudig, so dass wir eine Menge Leute kennenlernten – übermütige, harmlose Teenager. Wir hatten eine schöne, lustige Zeit, und ich genoss sie. Zu Hause hatte ich nie viele Freunde gehabt und war immer ein Außenseiter gewesen. Es gefiel mir, dass es hier anders war.

Nachdem Cindy mich akzeptiert hatte, war Isabella oft unterwegs zu irgendwelchen esoterischen Veranstaltungen, während ich mit dem Baby allein zu Hause blieb. Meistens saßen wir im Garten, und ich dachte mir neue Songtexte aus. Das, was ich am liebsten getan hätte, war allerdings nicht möglich: Bass spielen, denn den hatte ich nicht auch noch mitnehmen können. Meine Eltern, die ich anbettelte, wollten nichts davon wissen, mir mein geliebtes Instrument zu schicken.

„Für das Geld, das die Luftfracht kostet, kannst du dir doch einen neuen kaufen”, war ihre unqualifizierte Meinung.

„Außerdem bist du sowieso bald wieder zu Hause.”

Das war ihre Lieblingsidee, von der sie durch nichts abzubringen waren. Sie hatten immer noch die Hoffnung, dass ich mich plötzlich nach einer „anständigen, ehrlichen Arbeit“ sehnen würde und mir die Flausen im Kopf vergehen würden.

Da waren sie jedoch komplett schief gewickelt. Ich fühlte mich so wohl in meiner neuen Umgebung, dass ich gar nicht daran dachte, nach Deutschland zurückzukehren. Ich war mehr als je zuvor davon überzeugt, dass Los Angeles genau die richtige Stadt für meine Band war. Eines Tages würde ich Amerika erobern, ich wusste es ganz genau!

Kapitel 2

Ich war jetzt seit zwei Monaten in Kalifornien und hatte mich bestens eingelebt. Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich nicht den Anflug von Heimweh und vermisste nichts und niemanden. Im Gegenteil, ich fand alles hier viel besser. Mir gefiel der American Way of Life, die lockere, unbeschwerte Art der Amerikaner. Und das Wetter und die traumhafte Umgebung sowieso.

Die Menschen hier waren alle etwas schräg drauf, sehr offen und herzlich. Meine Sprachkenntnisse hatten sich enorm verbessert, manchmal dachte ich sogar schon in Englisch. Kein Wunder, ich sprach ja kein Wort Deutsch mehr.

Als ich mir noch überlegte, was ich wegen meiner Band unternehmen sollte und wie ich zu einem Bass samt Verstärker kommen könnte, passierte etwas, mit dem ich so gar nicht gerechnet hatte.

Isabella weilte wieder einmal bei einer spirituellen Sitzung in Long Beach. Ich hatte Cindy ins Bett gebracht und ihr meinen neuesten Song vorgesungen, den sie wohl ziemlich langweilig fand, denn sie schlief sofort ein. Jetzt wollte ich die Küche aufräumen und mich dann vor den Fernseher setzen.

Ich hörte einen Schlüssel in der Tür, und Tom stand zu meiner Überraschung vor mir. Er sah noch zerzauster aus als sonst.

„Heute habe ich einen Superdeal abgeschlossen”, freute er sich. „Ich habe einem schwulen Millionärspärchen die ganze Villa eingerichtet. Davon können wir mindestens ein Jahr lang leben. Das muss gefeiert werden.”

Fröhlich schwenkte er eine Flasche vor meiner Nase herum.

„Wann kommt Isabella zurück?”

„Sie ist auf einem Workshop und kommt erst morgen Abend wieder“, gab ich Auskunft und wunderte mich, dass Tom das nicht selbst wusste. Sprachen die Beiden denn gar nicht miteinander?

Tom verzog das Gesicht. Dafür, dass er schon 37 war, sah er noch richtig gut aus. Aber leider liefen er und Isabella sich nur selten über den Weg. Immer, wenn er da war, war sie weg und umgekehrt. Unter einer Beziehung stellte ich mir eigentlich etwas anderes vor.

„Leistest du mir dann wenigstens Gesellschaft? Ich habe eine Flasche vom besten Champagner besorgt.”

Tom lachte mich fröhlich an. Ich nickte erfreut. Den besten Champagner bekam ich schließlich nicht alle Tage.

„Ich finde, Isabella übertreibt es etwas in letzter Zeit”.

Tom öffnete geschickt die Flasche. Dann goss er ein Sektglas voll, das die Form einer Posaune hatte. Ich bekam eins, das einen Delphin darstellte.

„Womit?”, fragte ich und stieß mit ihm an.

„Sie ist dauernd bei diesen merkwürdigen Sitzungen und kaum noch zu Hause”, beschwerte Tom sich und trank seine Posaune in einem einzigen Zug aus, um sie sofort wieder zu füllen. Auch das zweite Glas stürzte er in Nullkommanichts herunter.

„Ich meine, es ist ja schließlich ihr Baby. Im Grunde kümmerst du dich mehr um Cindy als sie selbst. Irgendwann wird Cindy sie nicht mal mehr erkennen. Ganz abgesehen davon, dass du viel mehr arbeitest, als du eigentlich müsstest. Das ist ihr Job, nicht deiner.”

Eine steile Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. Oje, da herrschte wohl dicke Luft. Wobei er ja noch viel öfter weg war als seine Frau.

„Um mich musst du dir keine Sorgen machen”, winkte ich ab.

„Ich mache das wirklich gerne.”

Und das entsprach der Wahrheit. Ich liebte Cindy und empfand es überhaupt nicht als Arbeit, sie zu knuddeln und herumzutragen. Selbst das Wickeln ging mir leicht von der Hand. Tatsächlich hätte ich es nie für möglich gehalten, dass mich ein Baby dermaßen verzaubern konnte. Aber genauso war es.

„Ja, ich weiß.“ Tom lächelte. „Du bist wirklich ein außergewöhnliches junges Mädchen. Deine Eltern sind sicher sehr stolz auf dich.“

Erstaunt sah ich Tom an. Warum sollten meine Eltern stolz auf mich sein? Was für einen Grund sollte es geben?

Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass die Amerikaner viele nette und freundliche Dinge sagten, die sie in Wirklichkeit gar nicht so meinten. Es waren eher Floskeln, aber ich nahm sie natürlich ernst und hinterfragte sie auch noch. Damit konnten die Amis wenig anfangen.

„Meine Eltern sind total sauer, dass ich keine Berufsausbildung mache“, erklärte ich Tom die Lage. „Sie sind überhaupt nicht stolz auf mich. Sie finden es unmöglich, dass ich einfach nach Amerika gegangen bin.“

Tom runzelte die Stirn.

„Verstehe ich nicht. Das ist doch cool. Es ist immer gut, wenn junge Leute was von der Welt sehen wollen. Was genau meinst du mit Berufsausbildung?“

Ich erfuhr, dass es in Amerika so etwas wie eine Lehre mit Prüfungen und dem ganzen Schnickschnack gar nicht gab. Man fing einfach irgendwo an zu arbeiten, und das war dann die Ausbildung. Es war sehr viel weniger formalisiert als in Deutschland. Also konnte ich hier immer noch im Büro Akten hin und her schieben, wenn es mit der Karriere als Rockmusikerin nicht klappen sollte. Sehr beruhigend.

Dann kam Tom zu wesentlich spannenderen Themen, nämlich meiner Band.

„Und du willst unbedingt eine rein weibliche Band auf die Beine stellen?”, vergewisserte er sich und kippte den letzten Rest Schampus in sich hinein. Er hatte fast die ganze Flasche alleine getrunken.

„Ja, das will ich”, sagte ich aus tiefster Seele. „Ich will es wie nichts sonst auf der Welt.”

„Und warum nur Mädchen?”

Tom schlug mit den Fingern gegen seine Posaune.

Ich zuckte mit den Achseln. So genau wusste ich das selbst nicht.

„Weil ich es den Männern einfach zeigen will.”

Vielleicht war ich eine verkappte Feministin, ohne es zu wissen.

„Wieso?” Tom legte den Kopf schief. „Hast du was gegen Jungs? Stehst du eher auf Mädchen?”

Seine Stimme klang belegt. Er hatte wohl doch etwas zu viel gebechert.

„Hä?!”

Ich starrte ihn an wie ein Auto.

„Wäre schade”, fand Tom und drehte sein leeres Glas in der Hand. Dabei sah er mich irgendwie komisch an.

„Nein, ich hab nichts gegen Männer”, sagte ich. „Aber ich finde es irgendwie cool, wenn nur Frauen auf der Bühne stehen. Das sieht doch toll aus.”

„Wenn sie alle so hübsch sind wie du, dann ja. Da stehen bei den Männern sicher nicht nur die Beine allein.”

Toms Augen waren glasig, als er aufstand und auf mich zuwankte. Was sollte das denn jetzt? Er war plötzlich rot im Gesicht und atmete schwer. Ich kapierte gar nicht, was eigentlich los war, als er mich in seine Arme zog.

„Du bist echt eine heiße Braut”, raunte er mir ins Ohr. „Seit dem ersten Tag bin ich scharf auf dich. Wenn du dir also nebenbei ein großzügiges Taschengeld dazuverdienen willst ...”

Ich spürte etwas Hartes an meinem Bauch und war so starr vor Schreck, dass ich mich nicht bewegte. Tom deutete das offenbar als Zustimmung und presste seinen Mund auf meinen. Dann begann er, sich an mir zu reiben. Ich wurde steif wie ein Brett.

„Ich will dich ficken“, stöhnte er zu meinem Entsetzen.

„Ich will dir meinen Schwanz tief und fest reinschieben und es dir so richtig gut besorgen. Kennst du das eigentlich schon oder bist du noch Jungfrau?“

Mein Herz klopfte wie verrückt. Träumte ich das alles etwa nur? Das konnte doch nicht wahr sein! Tom und Isabella waren so etwas wie meine Ersatz-Eltern – und jetzt machte sich der Typ an mich ran?! Das war wie in einem schlechten Film. Ich konnte nicht glauben, dass mir das hier wirklich passierte.

Endlich kam wieder Leben in meine Glieder, und ich stieß Tom von mir weg. Hatte er den Verstand verloren? War der Alkohol Schuld daran, dass er so etwas tat? Das war doch nicht der Tom, bei dem ich seit zwei Monaten wohnte!

„Hau ab”, schrie ich los. „Fass mich bloß nicht an. Bist du wahnsinnig geworden?”

Ich zitterte am ganzen Körper. Mein ganzes Weltbild brach zusammen. Ich hatte Isabella und Tom blindlings vertraut – und jetzt so etwas!

Seit dem ersten Tag bin ich scharf auf dich – oh mein Gott! Und ich war oft genug leicht bekleidet und sogar in Unterwäsche herumgelaufen und hatte mir überhaupt nichts dabei gedacht. Wie konnte ich nur so naiv sein! Wahrscheinlich hatte Tom sich jedes Mal, wenn er mich so gesehen hatte, einen runtergeholt. Was für eine widerliche Vorstellung!

Meine Eltern hatten Recht: Ich war wirklich noch ein Kind und hatte keine Ahnung vom Leben, von Männern sowieso nicht.

Ich starrte wie hypnotisiert auf die deutliche Ausbuchtung in Toms Jeans. Tom lachte heiser.

„Ja, ich bin wahnsinnig. Wahnsinnig nach dir. Wahnsinnig erregt. Gefällt dir, was du siehst? Siehst du, wie geil ich auf dich bin? Möchtest du ihn ganz sehen? Willst du ihn anfassen?“

Ich wollte weglaufen, aber ich konnte es nicht. Mit einer seltsamen Mischung aus Abscheu und Faszination sah ich Tom dabei zu, wie er über die Beule in seiner Jeans strich.

„Du bist heiß darauf, ihn zu sehen, oder?“

Seine Stimme war kratzig. Ich schüttelte mechanisch den Kopf.

Tom sah mir direkt in die Augen, als er den Reißverschluss ein Stück weit aufzog. Nun konnte ich die Wölbung unter seinem weißen Slip noch deutlicher sehen. Ich schluckte. Es war eklig und gleichzeitig anziehend. Ich war völlig durcheinander.

„Ich habe mich oft gestreichelt, wenn wir zusammen Fernsehen geschaut haben.“

Toms Stimme wurde noch heiserer.

Wie bitte?

Ich dachte daran, dass ich stets in dem großen Plüschsessel gethront hatte, während Tom es sich auf der Couch bequem gemacht hatte. Und da die kalifornischen Nächte kalt waren, hatte er sich in eine Decke gewickelt. Und darunter hatte er heimlich masturbiert? Mir stellten sich sämtliche Körperhaare auf. Warum hatte ich das nicht mal ansatzweise mitgekriegt?

Tom lachte leise.

„Keine Sorge, das Finale habe ich mir immer für später aufgehoben. Ich habe mich nur ein bisschen stimuliert, während ich deine herrlichen Brüste betrachtet habe. Das war sehr anregend.“

Ich war so geschockt, dass ich weder etwas denken noch sagen konnte. Tom strich wieder über die Wölbung in seiner Hose.

„Erinnerst du dich daran, als wir alle im Pool waren? Ich hatte eine mörderische Erektion und musste warten, bis ihr alle aus dem Pool raus wart. Ich wäre fast von selbst gekommen, als du halbnackt vor mir rumgeturnt bist. Fuck, du sahst so heiß aus.“

Ja, ich erinnerte mich. Tom hatte fröhlich gelacht und erklärt, er genieße es noch etwas, bei der heißen Sonne in dem kühlen Wasser zu liegen. Naturgemäß hatte ich nur einen knappen Bikini getragen. Und für meine großen Brüste konnte ich nichts, die fielen immer auf.

„Deine festen Brüste machen mich wahnsinnig.“

Tom rieb nun schneller und atmete heftiger.

„Du bist so jung und knackig und unbeschwert, das törnt mich unheimlich an. Du ahnst gar nicht, wie oft ich einen stehen hatte, wenn ich dich nur gesehen habe. So geil wie jetzt war ich seit Jahren nicht mehr. Seit du hier bist, habe ich einen Dauerständer. Ich mache es mir jeden Tag selbst. So wie jetzt. Schau mir dabei zu.“

Er zog den Reißverschluss noch ein Stück runter, und im nächsten Moment schnellte sein Penis aus der Hose. Mein Herz hämmerte. Ich hatte noch nie dabei zugesehen, wie ein Mann sich selbst befriedigte. Tom strich mit zwei Fingern über seinen zuckenden Schwanz. Dann nahm er ihn in seine hohle Hand und rieb auf und ab. Er begann zu stöhnen und stierte mich mit einem Blick an, der mir Angst machte. Er sah irgendwie wahnsinnig aus.

„Zeig mir deine Brüste.“ Er rieb immer schneller.

„Ich will sie sehen. Ich will auf sie drauf spritzen.“

Nun überwog ganz klar der Ekel. Die Faszination verpuffte schlagartig und mir wurde übel. Ich drehte mich um, riss im Vorbeilaufen meine Jacke vom Garderobenhaken und stürzte aus dem Haus.

Draußen schlug mir ein frischer Wind entgegen und ich spürte, dass mir Tränen über die Wangen liefen. Um Gottes willen! Was war nur geschehen? Die letzten Wochen erschienen plötzlich in einem völlig anderen Licht.

Tom und Isabella waren nicht länger ein entzückendes junges Paar, das mich bei sich aufgenommen hatte. Der Hausherr war ein lüsterner Bock, der sich an meinem Anblick aufgegeilt hatte. Meine Realität war eine völlig andere gewesen als die meiner Gastfamilie. Vielleicht waren Tom und Isabella gar nicht glücklich miteinander. Vielleicht hatten sie keinen Sex mehr, seit das Baby auf der Welt war. Die Vorstellung, dass Tom onaniert und dabei an mich gedacht hatte, nahm mir den Atem. Niemals hätte ich mir das auch nur vorstellen können.

Automatisch lief ich zur nächsten Bushaltestelle. Von hier aus war ich oft nach Downtown Los Angeles gefahren, aber ich hatte keine Ahnung, ob um diese Zeit überhaupt noch ein Bus fuhr. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. In meinem Kopf rauschte es und ich sah ständig Toms erigierten Schwanz vor mir.

Ja, ich war unerfahren. Ich war zwar ein paar Monate mit einem Jungen „gegangen“, aber wir hatten nur zwei Mal versucht, so etwas wie Sex zu haben und es dann bleiben lassen. Es war eher peinlich gewesen. Vor lauter Aufregung hatte es bei Matthias beim ersten Mal nicht geklappt mit einer Erektion, und beim zweiten Mal war er schon gekommen, als er seine Hose nicht mal ausgezogen hatte. Ich war ziemlich genervt gewesen.

Daraufhin war ich in die nächste Großstadt gefahren, hatte mich in einen Beate Uhse Shop geschlichen und mir mit hochrotem Kopf einen schwarzen Dildo besorgt. Aufgeregt hatte ich ihn noch am selben Abend ausprobiert. Es hatte etwas weh getan, doch es war ein angenehmes Gefühl gewesen. Tja, und seitdem war der schwarze Dildo mein ständiger Begleiter, denn er konnte immer und sackte nicht in sich zusammen.

Trotzdem war ich natürlich sehr begierig darauf, zu erfahren, wie es sich mit einem echten Schwanz anfühlte. Toms hatte ja schon ganz interessant ausgesehen. Aber Tom war es einfach nicht und darum war es doch eher eklig als anregend gewesen. Immerhin hatte es eine gewisse Neugierde in mir entfacht.

Tatsächlich kam irgendwann ein Bus und ich stieg ein, ohne zu wissen, wo er überhaupt hinfuhr. Es war mir auch sowas von egal.

Nur weg von hier, weg von Tom. Weg von dem Ort, der für ein paar Wochen mein Zuhause gewesen war. Ich hatte Tom und Isabella vertraut, sie als meine Familie angesehen – und Tom hatte die ganze Zeit nur eins im Sinn gehabt. Und ich hatte nichts davon gemerkt, so naiv war ich. Das schockte mich am meisten.

An der Endhaltestelle stieg ich aus und sah mich um. Ich wusste nicht, wo ich war und ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Ich war mutterseelenallein, es war dunkel, und mir war kalt. Was sollte ich denn jetzt nur machen?

Ich war lange nicht so erwachsen, wie ich mir eingebildet hatte. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind und hätte mich am liebsten in die Arme meines Vaters geflüchtet, der mich beschützen sollte.

Plötzlich wollte ich nach Hause, zum ersten Mal, seit ich hier war. Es war doch alles nur eine Illusion: Ich hatte kein Zuhause, denn das Haus, in dem ich wohnte, gehörte nicht mir. Ich hatte keine Familie; Tom und Isabella waren fremde Menschen, die mich dafür bezahlten, dass ich mich um ihr Baby kümmerte. Ich selbst besaß gar nichts, außer meinen Träumen.

Mist, jetzt liefen mir tatsächlich die Tränen runter, und ich hatte kein Taschentuch bei mir. In der Ferne sah ich ein paar Leuchtreklamen und lief darauf zu. Plötzlich wusste ich, wo ich war: Ich stand vor dem Whiskey a Go Go, dem berühmten Rock Club auf dem Sunset Strip in North Hollywood. Hier war ich schon ein paar Mal gewesen, und offenbar hatte ich intuitiv hergefunden. Wie immer war Musik meine letzte Zuflucht.

Ich zog meine Nase hoch und wischte mir über die Augen. Ich musste furchtbar aussehen.

Kapitel 3

„Hallo, kann ich dir helfen?”, hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich reflexartig um. Ein blonder, langhaariger Typ mit den strahlendsten blauen Augen, die ich jemals gesehen hatte, lächelte mich an. Er sah aus wie ein typischer braun gebrannter Surfer mit von der Sonne gebleichten Haaren.

„Hast du vielleicht ein Taschentuch?“, fragte ich hoffnungsvoll. Der Typ nickte und fingerte in den Taschen seiner schwarzen Lederjacke herum. Dann reichte er mir ein Papiertuch.

„Vielen Dank.“

Ich schnäuzte mich geräuschvoll. Zu meinem Erstaunen verschwand der Typ nicht, sondern blieb neben mir stehen.

„Ist noch was?“, wollte ich wissen.

„Das frage ich dich.“

Der Mann mit den unfassbar schönen Augen kramte erneut in seinen Taschen herum und beförderte schließlich eine zerknüllte Zigarettenschachtel zutage.

„Du siehst so aus, als könntest du Hilfe gebrauchen.“

Er hielt mir die Packung vor die Nase, aber ich schüttelte den Kopf. Er zuckte mit den Achseln und zündete sich eine Kippe an. Dann streckte er mir seine Hand entgegen.

„Ich bin David, und du?“

„Ann.“

Ich ergriff seine Hand. Er hielt sie eine kurze Weile fest und strich mit dem Daumen leicht über meinen Handballen. Mein Herz begann zu flimmern und in meinem Kopf explodierte irgendetwas. Er ließ meine Hand nur ganz langsam los. Dabei sah er mich genauso verwirrt an, wie ich mich gerade fühlte. Er fuhr sich durch sein Gesicht und nahm ein paar Züge.

„Äh ... bist du elektrisch aufgeladen?“

Jetzt grinste er und sah dadurch noch viel anziehender aus. In meinem Bauch schwirrten plötzlich tausend Schmetterlinge umher. So ein Gefühl hatte ich noch nie gehabt. Alles um mich herum drehte sich.

David schüttelte den Kopf, als könne er nicht glauben, was gerade passiert war.

„Okay, Miss Hunderttausend Volt, ich mache dir einen Vorschlag.“ Er sah immer noch ganz perplex aus.

„Wir gehen jetzt in die Kneipe da drüben, und du erzählst mir, was los ist. Einverstanden?”

Ich nickte. Ich wäre mit David überallhin gegangen. Ich kannte ihn nicht, aber mein Herz flog ihm nur so zu.

Schweigend trottete ich neben ihm her und sah ihn scheu von der Seite an. Er sah toll aus, aber das war es nicht allein. Er strahlte irgendetwas aus, das mich magisch anzog.

Die „Kneipe” entpuppte sich als elitärer Club mit Gesichtskontrolle, und ohne David wäre ich sicher nicht hineingelassen worden. Er schien hier Stammgast zu sein, denn er wurde von einem Model-Mädchen mit Namen begrüßt.

Ich fühlte mich mehr als unwohl, als ich das Ambiente sah. Wuchtige, schwarze Ledersessel standen an zierlichen Chromtischen, an der Decke hingen gigantische Kronleuchter, der Boden glitzerte und funkelte und sah aus, als bestände er aus lauter Edelsteinen.

Die Menschen, die an der hell erleuchteten Bar standen oder in den Ledersesseln saßen, passten gut zu der luxuriösen Einrichtung. Die Frauen waren aufgebrezelt wie Hollywood Diven, und den Männern in den schicken Designer Anzügen sah man an, dass sie bis zum Hals in Geld steckten.

Verschämt blickte ich an mir herunter. Ich trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt, genau wie David übrigens. Wir waren sozusagen im Partnerlook. Zudem war ich ungeschminkt, verheult und alles andere als glamourös. Ich fühlte mich völlig fehl am Platz.

David schien zu spüren, wie unbehaglich ich mich fühlte. Er lächelte mir aufmunternd zu und ergriff wieder meine Hand. Augenblicklich ging es mir besser. Seine körperliche Nähe gab mir Sicherheit.

Ein zweites Model führte uns zu einem Tisch an der Ecke, eine Art Separé. Man konnte sogar einen Vorhang zuziehen. David nickte ihr zu und bedeutete mir mit einem Kopfnicken, Platz zu nehmen. Wow, der hatte ja richtig Manieren!

Ich setzte mich und sah mich mit großen Augen um. Der Luxus in diesem Etablissement erschlug mich fast. Dann studierte ich die Getränkekarte und bekam fast einen Herzschlag. Die Preise waren gigantisch.

„Äh ... Cola gibt es hier nicht?“, fragte ich schüchtern.

David grinste.

„Es gibt Wasser zum Cocktail. Ich empfehle Sex on the Beach.“

Das war irgendwie kein gutes Stichwort. Ich zuckte zusammen.

„So, und jetzt sagst du mir, was passiert ist.“

David lehnte sich zurück. Es war seltsam, aber ich vertraute ihm. Ich kannte ihn überhaupt nicht, aber ich hätte ihm sofort meine ganze Lebensgeschichte erzählt. Nun gut, so viel gab es da bisher noch nicht zu erzählen.

Ich holte tief Luft, bevor ich mit meiner Ansprache begann.

„Ich komme aus Deutschland und arbeite seit zwei Monaten als Au-Pair-Girl bei einer Familie, mache den Haushalt und versorge das Baby. Ich habe mich dort richtig zu Hause gefühlt und war total glücklich. Und heute hatte der Mann, Tom, wohl etwas zu viel getrunken und wollte mir an die Wäsche. Und nicht nur das.“

Ich schluckte und sah wieder Toms Ständer vor mir.

„Er hat mir gesagt, dass er schon die ganze Zeit scharf auf mich war. Ich habe das überhaupt nicht gemerkt. Ich war so naiv. Weißt du, ich hatte für ein paar Wochen ein Zuhause. Zumindest dachte ich das. Und jetzt erfahre ich, dass dieser Typ die ganze Zeit Phantasien mit mir hatte, die einfach nur widerlich sind.“

Mir kamen wieder die Tränen. Warum musste ich nur immer heulen? Ich war doch kein Baby mehr!

David stand auf, ging um den Tisch herum und setzte sich neben mich. Er sah mir tief in die Augen. Dann legte er den Arm um mich und drückte mich liebevoll an sich. Es fühlte sich so verdammt gut an. Augenblicklich fühlte ich mich beschützt. Ich lehnte den Kopf an seine Schulter und wurde langsam ruhiger. David nahm meine Hand und streichelte sie.

„Du fühlst dich verloren, weil du kein Zuhause mehr hast. Glaub mir, ich weiß genau, wie es dir jetzt geht”, sagte er leise. Seine blauen Augen sahen plötzlich sehr traurig aus.

„Du fühlst dich verraten und benutzt von einem Menschen, dem du vertraut hast. Ich kenne das. Du musst da weg. Am besten ziehst du noch heute aus.”

„Und wo soll ich hin?”, fragte ich leicht hysterisch. „Noch dazu mitten in der Nacht?”

David fuhr sich mit dem Finger über die Unterlippe und schien zu überlegen.

„Natürlich könnte ich dich mit zu mir nehmen”, sagte er langsam. „Aber ich weiß nicht, ob das gut wäre. Ich kann dir das jetzt nicht erklären. Es ist zu kompliziert. Ich glaube auch nicht, dass du nach diesem Erlebnis große Lust hast, bei einem Mann zu übernachten.“

Bei dir schon.

Seltsam. David zog mich unglaublich an, aber es war nicht sexuell. Ich wollte nicht mit ihm schlafen, sondern bei ihm. Ich wollte mich in seine Arme kuscheln und darin einschlafen. Er sollte mich beschützen.

„Ich habe eine andere Idee.“ David nippte an seinem Sex on the Beach Cockail. „Ich fahre dich nach Santa Monica zurück, du packst deine Klamotten und dann quartieren wir dich in einer Pension ein”, bestimmte er meinen weiteren Lebensweg.

„Und wovon soll ich die Pension bezahlen?”, erkundigte ich mich. „Ich habe doch überhaupt kein Geld.”

„Das übernehme ich”, winkte David ab.