Never love a Rockstar 3 - Tina Keller - E-Book

Never love a Rockstar 3 E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

Anns Welt steht kopf: Ihr bester Freund David, der sich vermeintlich das Leben genommen hatte, taucht plötzlich wieder auf. Ann hat David schon immer geliebt, doch nach einem Missbrauch in der Kindheit konnte David sich sexuell nur auf Männer einlassen. Das hat sich nach drei Jahren in Indien geändert. David ist frei und offen für beides. Ann und ihre große Liebe Nick fühlen sich magisch zu David hingezogen. Nick konnte seinem Ex-Freund seine Liebe in seinen benebelten Sex, Drugs & Rock'n'Roll Zeiten nie zeigen. Jetzt kann er es. Will er nur etwas nachholen, als er sich kopfüber in eine wilde Affäre mit David stürzt? Ann ist völlig überfordert, als Nick ihr den Vorschlag unterbreitet, eine Dreierbeziehung zu führen. Doch der Reiz, den beiden Männern beim Sex zuzusehen, ist so stark, dass sie sich zögernd darauf einlässt - und in ein totales Gefühlschaos stürzt. Der Roman enthält detaillierte erotische Szenen sowie Gay Szenen.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Ann

Kapitel 2 – Nick

Kapitel 3 – Ann

Kapitel 4 – David

Kapitel 5 – Nick

Kapitel 6 – Ann

Kapitel 7 – David

Kapitel 8 – Nick

Kapitel 9 – Ann

Kapitel 10 – David

Kapitel 11- Nick

Kapitel 12 – Ann

Kapitel 13 – David

Kapitel 14 – Nick

Kapitel 15 – Ann

Kapitel 16 – Nick

Kapitel 17 – Ann

Kapitel 18 – Ann

Kapitel 19 – Ann

Kapitel 20 – Nick

Kapitel 21 – Nick

Kapitel 22 – Ann

Kapitel 23 - Ann

Kapitel 24 – David

Kapitel 25 – Ann

Kapitel 26 – Nick

Kapitel 27 – David

Kapitel 28 – Ann

Kapitel 29 – Nick

Kapitel 30 – David

Kapitel 31 – Ann

Impressum

Kapitel 1 - Ann

Los Angeles, 1989

Heute wäre sein Geburtstag gewesen. Heute wäre er 33 Jahre alt geworden, wenn er sich nicht vor drei Jahren das Leben genommen hätte.

Ich habe halbwegs gelernt, mit den Selbstvorwürfen zu leben, die mich lange gequält haben, weil ich glaubte, mich nicht genug um ihn gekümmert zu haben. Aber ich werde mich niemals daran gewöhnen, ihn nie wieder zu sehen, ihn nie mehr zu umarmen, nie mehr mit ihm zu lachen und zu weinen, nie mehr in seine wunderschönen blauen Augen zu blicken. Ich werde niemals aufhören, ihn zu vermissen. David, meine große Liebe – vor Nick. Diese Liebe war immer platonisch, aber deshalb nicht weniger tief.

Irgendetwas treibt mich heute zu seinem Haus. Das Haus, in dem ich vor sieben Jahren für ihn gearbeitet habe, als er und Nick noch so etwas wie ein Paar waren. Er hat es mir hinterlassen, aber ich habe mich bisher weder dazu durchringen können, es zu verkaufen, noch, es einer Stiftung zur Verfügung zu stellen. Ich kann es einfach nicht. Es war unser gemeinsames Zuhause, auch später, als Nick mich in den tiefsten Abgrund gestürzt hat und ich zu David zurückgekehrt bin – rein freundschaftlich, denn David konnte nach dem Missbrauch in seiner Kindheit nur Männer lieben.

Doch eigentlich konnte er gar nicht lieben, am wenigsten sich selbst.

„Willst du wirklich allein hingehen?", fragt Nick mich zum ungefähr hundertsten Mal an diesem Tag. „Soll ich nicht lieber mitkommen? Ich mache mir Sorgen um dich. Das nimmt dich doch bestimmt wieder voll mit, wenn du in seinem Haus bist und mit all den Erinnerunge konfrontiert wirst. Da will ich lieber bei dir sein, um dich zu trösten. Findest du das keine gute Idee?"

Ich schüttele den Kopf und lächele. Nick ist so ein lieber, wunderbarer Mensch geworden, nachdem er seine Drogen- und Sexsucht überwunden hat. Ich habe immer gewusst, dass tief in ihm ein goldener Kern ist, der nur unter all dem Dreck verschüttet war. Nachdem ich diesen Kern durch meine Liebe freigeschaufelt habe, sind wir endlich glücklich geworden.

„Na gut, wenn du meinst, du kleiner Sturkopf." Nick seufzt auf und legt den Arm um mich. „Ich hoffe nur, dass dann nicht wieder alles aufplatzt. Du bist auf einem so guten Weg und hast hart an dir gearbeitet. Ich habe den Eindruck, dass die Therapie und die Trauergruppen dir wirklich geholfen haben."

„Ja, das haben sie." Ich gebe Nick einen Kuss. "„Und vor allem hast du mir geholfen. Ohne dich hätte ich Davids Tod nie verkraftet."

Nick lächelt traurig. „Ach, Ann. Ich glaube, so richtig verkraften werden wir das beide nie. Dazu haben wir ihn viel zu sehr geliebt, auch ich. Leider ist mir das viel zu spät klar geworden."

Das beschäftigt Nick noch immer. In der Zeit, als er mit David zusammen war, hat er ihn nicht immer gut behandelt. Das bereut er zutiefst, aber er kann es nicht mehr ungeschehen machen.

Als ich eine Stunde später die Tür zu Davids Haus aufschließe, verschlägt es mir fast den Atem. Tränen schießen in meine Augen, mein Herz brennt und mir wird schwindlig. Ich bin plötzlich in einer Zeitschleife, die mich sieben Jahre zurück beamt. David und Nick stehen vor mir und fragen mich, ob ich als Au-Pair-Girl bei ihnen arbeiten will. Das war der Beginn einer jahrelangen großen Freundschaft und der Beginn einer tiefen Liebe. Zu beiden.

Langsam gehe ich in das Zimmer, das David gehört hat. Seine Möbel stehen immer noch da, aber ich habe sie inzwischen abgedeckt, damit sie nicht einstauben. Zärtlich schiebe ich die Abdeckfolie beiseite und streiche über den dunkelroten Sessel, in dem er so oft gesessen und nachgedacht hat. Er hat viel zu viel nachgedacht.

Dann gehe ich in das Wohnzimmer, in dem wir oft zu dritt auf der riesigen Couch gelegen haben. Wir haben geredet und Musik gehört – und ab und zu sogar miteinander gekuschelt. Damals waren Nick und ich noch nicht zusammen. Es war eine schöne, unbeschwerte Zeit. Ich hatte das große Los gezogen und durfte für zwei berühmte Rockmusiker arbeiten. Damals habe ich noch nicht gewusst, dass auch der Ruhm sie nicht davor geschützt hat, sich selbst zu verlieren. Eher im Gegenteil.

Es ist alles wieder da. Ich bin wieder achtzehn und gerade aus Deutschland nach Amerika gekommen auf der Suche nach dem wilden Leben. Nur David ist nicht mehr hier. Ihn hat das wilde Leben kaputtgemacht.

Ich halte inne. Doch, er ist hier. Ich kann ihn spüren. Ich schiebe die Folie ganz weg und setze mich in seinen Lieblingssessel. Dann schließe ich die Augen.

„David", flüstere ich. „David, ich weiß, dass du hier bist. Ich kann dich fühlen. Ich hoffe, du feierst da oben deinen Geburtstag." Ich versuche, ganz intensiv an ihn zu denken. Vielleicht antwortet er mir.

Ich denke so fest an ihn, dass ich in eine Art Trance falle. Und dann habe ich eine Erscheinung. Als ich die Augen öffne, steht er im Zimmer am Fenster. Er sieht ein bisschen anders aus, als ich ihn in Erinnerung habe. Seine Haare sind kürzer, er ist muskulöser und kräftiger und hat ein paar Falten um die Augen bekommen, was ihm aber echt gut steht. Er sieht männlicher aus, erwachsener, reifer. Ich habe gar nicht gewusst, dass man „dort oben" auch altert.

Die größte Veränderung ist allerdings seine Ausstrahlung. Er hatte immer etwas Melancholisches und Trauriges an sich. Das ist jetzt völlig weg. Er wirkt ruhig, ausgeglichen und in sich ruhend. Jetzt hat er endlich seinen Frieden gefunden. Nur traurig, dass er dafür sterben musste.

„David, du bist hier", flüstere ich. „Ich kann dich sehen."

David antwortet nicht. Er starrt mich nur an. Können Geister sprechen? Sein Blick ist so durchdringend, dass ich die Augen schließen muss, denn ich kann ihm nicht standhalten.

„Wie geht es dir?", frage ich ihn. „Wie ist es so im Jenseits? Bist du jetzt glücklich? Du siehst so aus. Ach, Dave, ich vermisse dich so, immer noch. Ich werde nie aufhören, dich zu vermissen. Ich würde dich jetzt so gern in meine Arme nehmen."

„Dann tu es doch", höre ich eine raue Stimme. Geister können also doch sprechen!

Ob er sich in Luft auflöst, wenn ich auf ihn zugehe? Ich öffne meine Augen, stehe auf und mache einen Schritt auf ihn zu. Er sieht gar nicht durchsichtig aus; so, wie ich mir das immer bei Geistern vorgestellt habe. Kann ich durch ihn hindurch fassen? Meine Güte, er sieht aber wirklich sehr real aus. So, als ob er tatsächlich vor mir stehen würde. Unfassbar!

Je näher ich komme, desto realer sieht er aus. Plötzlich klopft mein Herz wie ein Trommelwirbel.

Oh, mein Gott – da steht wirklich jemand! Da steht ein echter Mensch aus Fleisch und Blut! Das ist kein Geist! Ich habe keine Erscheinung, sondern da ist wirklich jemand!

„Wer bist du?" Meine Stimme ist schrill vor Angst. Erlaubt sich jemand einen makabren Scherz und ist hier eingebrochen, um mich zu erschrecken?

„Du weißt genau, wer ich bin." Es ist seine Stimme.

Nein. Das kann nicht sein. Es ist unmöglich. David ist vor drei Jahren an einer Überdosis gestorben. Er hat sich den Goldenen Schuss gesetzt, weil er sein Leben nicht mehr ertragen konnte.

„Hör auf damit." Ich fange an zu zittern. Wer auch immer er ist, er ist ein Sadist. Was für ein perfides Spiel spielt er mit mir?

„Ann, ich bin es wirklich. Ich wusste, dass du an meinem Geburtstag hierher kommen würdest."

Ich weiche vor ihm zurück.

„Wie kannst du es wagen!", schreie ich los. „Wie bist du überhaupt hier reingekommen? Verschwinde, hau sofort ab, sonst rufe ich die Polizei!"

„Ann, ich weiß, dass es deinen Verstand jetzt sprengt, aber du siehst weder einen Geist noch verarscht dich jemand. Ich bin David. Ich lebe."

Der Mann sieht mich so seelenvoll an, wie David mich immer angesehen hat. Mein Verstand dreht völlig durch. Ja, da steht David, aber es kann nicht sein. David ist tot. Ich wollte es nie begreifen, aber irgendwann habe ich kapiert, was das bedeutet. Dass es vorbei ist, für immer und ewig. Dass ich ihn niemals wiedersehen werde.

„Du bist nicht David!", schreie ich hysterisch los. „Du kannst es einfach nicht sein! David ist tot, tot, tot, verdammt noch mal!"

„Weißt du noch?"

Es ist Davids Stimme, die ich höre. Es sind Davids Augen, die mich anblicken. Gleich bleibt mein Herz stehen.

„Wir hätten fast miteinander geschlafen an diesem einen Nachmittag auf unserer gemeinsamen Tournee. Es war so eine merkwürdige Stimmung zwischen uns. Es hat geknistert. Wir haben uns geküsst, wieder und wieder. Es hat uns beide angemacht. Aber dann meintest du, du wollest unsere Freundschaft nicht kaputtmachen. Ich habe zu dir gesagt, du seist eine Spaßbremse. Danach sind wir ausgegangen und haben Steve in einer Kneipe getroffen. Der hat dich dann auch noch angebaggert. Erinnerst du dich? Woher sollte ich das wissen, wenn ich nicht David wäre?"

Ich starre ihn an. Das habe ich nie irgendjemandem erzählt. Oder doch?

Egal. Vielleicht hat jemand Wanzen eingebaut oder David sonstwie nachspioniert. Er war ein Superstar, da ist alles möglich. Das ist noch lange kein Beweis.

„Ann, ich weiß, dass es der totale Schock für dich ist. Ich weiß auch, was ich dir damit angetan habe. Ich konnte damals einfach nicht mehr. Ich habe meinen Tod vorgetäuscht, weil ich einfach raus musste aus diesem Scheißleben. Und damals war ich mir nicht sicher, ob ich mich nicht doch noch umbringe. Es hat lange gedauert, bis ich wieder auf die Füße gekommen bin."

Das ist alles nicht wahr. Das träume ich nur. Ich bin gar nicht zu Davids Haus gefahren, sondern liege in meinem Bett und bin eingeschlafen.

Ich spüre zwei Arme, die mich umschlingen, und gleich darauf fühle ich warme, weiche Lippen, die sich auf meine legen. Es fühlt sich genauso an wie damals.

Ich erinnere mich an den sensationellen Kuss, den wir uns vor einer Meute sensationsgieriger Journalisten gegeben haben. Eine Weile haben wir ein Liebespaar gespielt, um zu vertuschen, dass David schwul war. Der Kuss hat mich damals schlichtweg umgehauen. Und David zu seiner eigenen Überraschung auch.

Und eigentlich waren wir tatsächlich ein Liebespaar, wenn auch nur platonisch.

Es fühlt sich verdammt real an. Ich glaube, so real habe ich noch nie geträumt. Ich denke wirklich, ich stehe hier mit David und küsse ihn.

Moment mal. So real kann man gar nicht träumen. Oh mein Gott, ich habe tatsächlich einen Mann geküsst. Aber wen? David kann es ja nicht sein. David lebt nicht mehr. Ein Doppelgänger, der sich einen Scherz erlaubt hat?

Ich öffne die Augen und sehe in diese meeresblauen Augen, in denen ich immer versunken bin. Es sind Davids Augen. Es sind Davids Lippen, die mich geküsst haben.

Das kann nur eins bedeuten: Ich bin gerade dabei, meinen Verstand zu verlieren. Ich werde verrückt. Ich drehe durch. Ich stehe in Davids Haus und werde wahnsinnig. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, an seinem Geburtstag hierher zu kommen.

Ich fange an zu schreien. Blitze zucken durch mein malträtiertes Gehirn, Splitter graben sich in meine Seele. Vergangenheit und Gegenwart kämpfen miteinander, vermischen sich, lösen sich auf. Wer bin ich? Wo bin ich? Was ist real, was bilde ich mir nur ein? Bin ich in einer Art Zwischenwelt? Ich bekomme grenzenlose Panik und laufe wie von Sinnen zur Tür. Bloß weg hier! Nichts wie raus! Ich muss zurück in das reale Leben.

„Ann, du bist nicht verrückt", höre ich hinter mir Davids Stimme. „Ich bin wirklich hier."

„Lass mich in Ruhe!"

Ich flüchte mich in das Gartenhaus, in dem ich damals gewohnt habe und schließe mich mit klopfendem Herzen ein. Vom Fenster aus beobachte ich den Mann, der wie David aussieht.

Es gibt nur eine Möglichkeit: Der Typ verarscht mich, aus welchen Gründen auch immer. Er weiß, dass heute Davids Geburtstag ist und hat sich hier hinein geschlichen, um mit mir ein gemeines Spiel zu spielen. Er hat sich sogar stahlblaue Kontaktlinsen in die Augen gesteckt.

Aber warum? Was bezweckt er damit? Ist es ein durchgeknallter Fan? Ein Stalker?

Plötzlich werde ich stocksauer. Wie kann dieser Typ mir nur so etwas antun! Ich drehe fast durch, und er lacht sich innerlich bestimmt kaputt. Na, warte!

Wutentbrannt reiße ich die Tür auf und stürze auf den David Verschnitt zu.

„Du sagst mir jetzt sofort, wer du bist und was das hier alles soll", schnauze ich ihn an. „Und wenn du mir wieder so einen Müll erzählst, rufe ich die Polizei. Du hast hier Hausfriedensbruch begangen, ist dir das eigentlich klar? Wie bist du überhaupt hier reingekommen?" Ich blicke auf das gusseiserne Tor.

„Ich habe meinen Schlüssel noch." Der Typ klimpert mit einem Schlüsselbund vor meiner Nase herum. Wo hat er das denn her? Hat er es vielleicht David gestohlen?

„Erinnerst du dich daran, als ich dir erzählt habe, dass mich meine eigene Mutter vergewaltigt hat? Ich musste mich auf der Toilette übergeben. Du warst die Erste, der ich es gesagt habe. Nicht mal Nick wusste es. Und dann hast du mich mit einer Spritze im Bad erwischt und ich wollte dir weismachen, es sei eine Vitaminspritze."

Verdammt noch mal, woher weiß dieser Typ das? Einen Moment lang bin ich verunsichert. Doch dann verschränke ich die Arme ineinander. Na gut, dann weiß er es eben. Vielleicht ist er einer von Davids Lovern, und David hat es ihm erzählt. Was weiß ich. Er kann nicht David sein. Das ist völlig unmöglich.

Schluss. Aus. Punkt.

„Was kann ich dir noch sagen, damit du mir glaubst?" Der Typ sieht mich bittend an. Der ist aber wirklich hartnäckig. Na gut, wenn er sich unbedingt blamieren will, werde ich ihm eine Aufgabe geben.

„David hat manchmal ein Amulett getragen und es an einem besonderen Ort aufbewahrt", fällt mir ein. Ich blicke Davids Zwilling auffordernd an.

Der Typ runzelt die Stirn. Tja, jetzt ist er wohl am Ende mit seinem Latein. Das hat er wohl nicht drauf.

Doch dann nickt er, lächelt und geht wieder ins Haus. Ich folge ihm mit klopfendem Herzen. Meine Knie geben nach, als er tatsächlich zum Küchenschrank geht und eine Kaffeedose öffnet.

„Es ist ja noch da", freut er sich. „Das hänge ich mir gleich um. Ich hatte es tatsächlich hier vergessen. Ist meine Uhr auch noch in der Butterbox?"

Ich starre ihn an. Okay, das kann jetzt echt niemand wissen. Niemand außer David. Wer bewahrt schon seinen Schmuck in Kaffee- und Butterdosen auf?

„Nick hat seinen Stoff immer gleich daneben geparkt", grinst der Typ. „Weißt du noch? Ich habe einmal tatsächlich Kaffeepulver hineingefüllt und Nick hätte fast Kaffee gesnieft."

Ich fange an zu zittern. Woher zum Teufel weiß der Typ das alles? Ist er tatsächlich David? Das gibt es doch gar nicht. Das kann einfach nicht wahr sein. Er kann nicht David sein. Oder doch? Mein Verstand sagt nein, mein Herz sagt ja. Mein Verstand dreht komplett am Rad. Mein Herz will sich freuen, traut sich aber nicht, weil der Verstand es auslacht und verhöhnt.

Drei Jahre lang habe ich um David getrauert. Ich habe mich gegeißelt und gequält, ich habe unendlich gelitten und Depressionen bekommen. Ich habe nächtelang nicht geschlafen und nur noch geweint. Ich habe nach ihm geschrien und den Himmel angefleht, er möge doch wiederkommen. Ich bin durch die Hölle gegangen, wieder und wieder. Und das alles völlig ohne Grund? Ich bin krepiert, weil ich dachte, er sei tot, und er lebt?

„Du Mistkerl!" Ich renne auf ihn zu und fange an, wie von Sinnen auf ihn einzuschlagen.

„Weißt du eigentlich, was ich durchgemacht habe? Hast du auch nur die blasseste Ahnung, wie sehr ich gelitten habe? Dass ich fast draufgegangen wäre? Wie konntest du mir das antun? Warum hast du mir nicht wenigstens ein Zeichen gegeben? Das werde ich dir nie verzeihen. Ich hasse dich. Ich will dich nie wiedersehen. Geh zur Hölle, David."

Und dann heule ich los, wie ich noch nie geheult habe. Das ganze Leid und Elend der letzten drei Jahre bricht aus mir heraus. All die langen Nächte, in denen ich mich verzweifelt hin und her gewälzt und mich nach ihm gesehnt habe. All die tiefen Stiche in meinem Herzen, wenn ich an ihn gedacht habe. All die Schuldgefühle, weil ich mich mehr um meine Karriere als um ihn gekümmert habe. Alles kommt raus. Ich liege an seiner Brust und weine sein T-Shirt klatschnass. Dann sinke ich erschöpft zu Boden. Ich kann einfach nicht mehr.

Er hält mich fest und zieht mich wieder hoch. Dann nimmt er mich auf seine Arme und trägt mich zu dem Sofa, auf dem wir so oft mit Nick gelegen haben.

Ich kann gar nichts mehr denken. In meinem Kopf ist nur noch eine große Luftblase, die sicher gleich platzt. Ich bin fix und fertig.

Ich taste nach seiner Hand. Dann streiche ich über seine Arme, seine Schultern, sein Gesicht, seine Brust. Ich blicke in seine wunderschönen Augen, die mich vom ersten Augenblick an fasziniert haben.

David lässt es geschehen und lächelt. Dann zieht er meinen Kopf zu sich heran und küsst mich ganz sanft und zärtlich. Ich werde fast ohnmächtig. Dieser Kuss ist magisch, so wie damals, obwohl er nur meine Lippen berührt. Ich stehe komplett unter Strom.

„Jetzt können wir endlich zusammen sein", murmelt er und streicht über meine Wange. Ich verstehe nicht, was er damit meint, aber ich will auch nicht nachfragen. Ich will diesen kostbaren Moment mit ihm einfach nur mit allen Sinnen genießen.

Ich höre sein Herz schlagen, spüre die Wärme seiner Haut, seinen Atem. Und plötzlich kapiere ich es: Es ist wahr! Er lebt! Er ist hier! Ich kann ihn anfassen. Es ist kein Traum! Verdammt noch mal, es ist kein Traum!!!

„Oh mein Gott!" Ich stürze mich auf ihn, presse mich fest an ihn und fange an, ihn von oben bis unten abzuknutschen. Er ist es wirklich! Ich kreische wie eine Verrückte los und bin völlig außer mir. Dann breche ich in hysterisches Lachen aus. Ich verliere wirklich den Verstand. Aber diesmal vor lauter Freude. Ich lache, weine und schreie wie eine Irre herum. Wenn mich jetzt jemand sehen würde, würde er mich auf der Stelle in die Psychiatrie einweisen und ich hätte für die nächsten Wochen ein nettes Zuhause in einer Gummizelle.

Es dauert lange, bis ich mich so weit beruhigt habe, dass wir miteinander reden können. Ich starre ihn immer noch an wie einen Geist und habe Angst, dass er sich im nächsten Moment in Luft auflöst oder es doch nur ein Traum ist. Dazu ist es einfach zu irreal. Drei Jahre lang habe ich geglaubt, David sei tot. Mein Gehirn kann nicht von einer Sekunde zur anderen umschalten und speichern, dass er plötzlich wieder lebt. Das ist schlichtweg unmöglich, und so hat es mein Gehirn auch abgespeichert. Tot ist tot, und zwar für immer. Mein Gehirn ist noch nicht so weit wie mein Herz, das jubelt und juchzt und in einem fort schreit: Er ist wieder da! Juchu, er ist wieder da!

Ich muss ihn anfassen, um wenigstens ansatzweise zu begreifen, dass ich wirklich nicht im Bett liege und nur träume. Seine Haut ist samtig und weich, und er ist noch brauner geworden. Vor allem sieht er glücklich und ausgeglichen aus. Die Melancholie und Traurigkeit ist völlig weg. So habe ich ihn nur in den Momenten auf der Bühne gesehen, aber nie im wirklichen Leben.

„Ich war vor drei Jahren in einer Ausnahmesituation", beginnt David und drückt meine Hand. „Es ist irgendwie alles zusammengebrochen. Der ewige Druck seitens unseres Managements, das uns durch die ganze Welt hetzen wollte, um noch mehr an uns zu verdienen. Die Aids Diagnose, die zum Glück nur eine Fehldiagnose war. Dieses ständige Verbiegen, weil ich so tun musste, als sei ich hetero. Und dann wurde ich auch noch erpresst, weil jemand Bilder von einer Orgie gemacht hatte und die an die Öffentlichkeit bringen wollte. Es war alles zu viel. Ich war am Ende, Ann. Ich konnte einfach nicht mehr."

Mir laufen Tränen die Wangen hinunter. Es ging ihm so verdammt schlecht, und ich war nicht da, um ihm zu helfen.

„Es tut mir so leid", flüstere ich. „Ich habe mich überhaupt nicht mehr um dich gekümmert. Das habe ich mir nie verzeihen können. Ich habe immer mit den Schuldgefühlen gelebt, dass ich eine Mitschuld an deinem Tod trage."

David zieht mich fest an sich. Ich kann nicht glauben, dass ich wirklich in seinen Armen liege. Es fühlt sich so verdammt gut und gleichzeitig total unwirklich an.

„Nein", sagt er, und es ist wie eine Befreiung für mich. „Niemand hat Schuld. Vielleicht hätte es etwas länger gedauert, vielleicht wäre die Situation eine andere gewesen, aber ich hätte diesen Schritt auf jeden Fall gemacht. Das Leben, das ich führte, war einfach falsch. Es hat mich fix und fertig gemacht. Ich habe es gehasst, eine öffentliche Person zu sein und durch die ganze Welt gejagt zu werden."

Er löst sich von mir und steht auf. Ich kann es immer noch nicht fassen. So lange habe ich es mir gewünscht. So sehr habe ich mich nach ihm gesehnt. Immer wieder habe ich gedacht, dass ich alles dafür geben würde, wenn er noch leben würde. Und jetzt lebt er. Aber ich denke immer noch, dass ich träume. Ich kann es einfach nicht glauben. David ist zu mir zurückgekehrt!

Er zündet sich eine Zigarette an und inhaliert tief.

„Ann, ich wollte mich damals umbringen." Seine Stimme ist rau.

„Ich wollte es wirklich tun, so verzweifelt war ich. Aber plötzlich kam mir ein abstruser Gedanke: Was, wenn ich nur so tun würde, als sei ich tot? Im Grunde wollte ich nicht tot sein, ich wollte nur aus diesem gottverdammten Leben raus. Ich habe mir einen Doc gesucht, der mir den Totenschein ausgestellt hat. Es war erschreckend einfach. Dann bin ich nach Indien gegangen."

Ich stehe ebenfalls auf und gehe auf ihn zu. Ich muss ihn ständig anfassen, um sicherzugehen, dass er wirklich da ist.

„Was wolltest du denn in Indien?", frage ich verwirrt.

David lacht und zuckt mit den Schultern.

„Auf weißen Elefanten reiten. Es war ganz seltsam: Ich habe immer von Indien geträumt und bin einfach meiner inneren Stimme gefolgt. Und es war richtig. Ich habe dort mein Karma gereinigt, viele merkwürdige Dinge gemacht und bin geheilt worden. Jetzt bin ich endlich ganz. Und ich bin frei."

Er strahlt eine unendliche Ruhe aus. Er hat eine ganz neue, wunderbare, faszinierende Ausstrahlung. Ich kann meine Augen keine Sekunde von ihm abwenden. Wenn ich ihn nicht schon lieben würde, würde ich mich spätestens jetzt unsterblich in ihn verlieben.

„Du wirkst ganz anders als früher." Ich streiche über seinen Arm. „Ruhig, ausgeglichen, zufrieden. So warst du früher nie. Du bist bei dir selbst angekommen."

„Ja, das bin ich, Ann." David nimmt ein paar Züge und lächelt. „Ich musste wirklich erst sterben, um zu leben. Heute geht es mir besser als jemals zuvor. Besser, als ich es mir jemals hätte vorstellen können."

„Was hast du denn genau in Indien gemacht?", erkundige ich mich.

David grinst. „Du würdest mich für verrückt erklären. Ich habe viel meditiert, wochenlang geschwiegen, eine Seelentrennung von meiner Mutter machen lassen, meine Chakren wurden gereinigt, Anteile meiner Seele wurden von einem Schamanen zurückgeholt und all solche merkwürdigen Dinge. Ich wurde praktisch ganz neu zusammengesetzt. All das Elend wurde von mir abgekratzt, damit die Essenz, die mein Wesen ausmacht, endlich zum Vorschein kommen konnte. Jetzt bin ich der David, der ich gewesen wäre, wenn ich diesen Missbrauch nicht erlebt hätte."

Verwundert höre ich zu. Viel verstehe ich nicht von dem, was er mir erzählt. Aber wir haben ja noch jede Menge Zeit, damit er mir das alles genauer erklären kann. Wir bekommen tatsächlich noch einmal Zeit geschenkt. Es ist das größte Wunder meines Lebens.

Kapitel 2 – Nick

So habe ich Ann noch nie gesehen. Als sie nach etlichen Stunden von Davids Haus zurückkommt, ist sie völlig durch den Wind. Sie sieht aus, als hätte sie alle möglichen Drogen eingeworfen. Ihr Blick ist wirr, ihre Augen glänzen wie im Fieber, ihre Haut ist gerötet, sie ist total aufgeregt und nervös. Wie eine Irre auf Speed rennt sie auf und ab und steht nicht eine Sekunde lang still. Oh Mann. Ich habe ja gewusst, dass es keine gute Idee war, sie allein dort hinfahren zu lassen.

„Komm mal her." Ich ziehe sie in meine Arme und drücke sie fest an mich. „Das scheint dich ja sehr mitgenommen zu haben, meine Kleine."

Zu meinem Erstaunen schüttelt sie ihren Kopf und löst sich von mir.

„Nick, es ist so absolut irre, dass du es nicht glauben wirst." Ihr Blick wird noch irrer. Hat sie im Haus irgendwelche Drogen gefunden, die sie genommen hat? Vielleicht habe ich im Küchenschrank tatsächlich damals was liegenlassen.

„Beruhige dich mal etwas", sage ich sanft, doch Ann hört überhaupt nicht zu.

„Ich beruhige mich gar nicht, und du wirst auch gleich einen Herzschlag kriegen", prophezeit sie mir, doch sie sieht sehr munter dabei aus. „Am besten, du setzt dich hin."

„Ich stehe eigentlich ganz gut", erwidere ich. „Was ist denn los? Mal raus mit der Sprache. Du weißt, dass ich keine Ratespiele mag."

„Nick, ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll." Aufgeregt zappelt Ann vor mir herum. Oh Mann, sie ist echt voll auf einem Trip.

„Sag es einfach", ermuntere ich sie. Sie verträgt ja schon keinen Alkohol. Ein einziges Glas und ich kann sie nach Hause tragen. Wenn sie irgendwelche Drogen gefunden hat, werden wir sicher tagelang Spaß haben.

„Du glaubst es sowieso nicht." Ann fängt hysterisch an zu lachen. „Ich kann es auch nicht glauben, aber es ist wahr. Wirklich. Es ist wirklich, wirklich wahr. Wahr, wahr, wahr. Es ist wa-aa-ahr." Jetzt fängt sie auch noch an zu singen. Ich seufze auf. Kaum bin ich clean, fängt meine Freundin mit den Drogen an. Das ist ja wirklich ganz toll.

„David lebt!", schreit Ann plötzlich wie von Sinnen los und schlägt auch noch auf mich ein. „Nick, er lebt! Ich habe ihn gesehen! Ich habe ihn angefasst! Ich habe mit ihm gesprochen!"

Oh mein Gott. Das ist ja schlimmer, als ich dachte.

„Er war in seinem Haus. Er hat seinen Tod damals nur vorgetäuscht, weil er seine Ruhe haben wollte. Dann ist er nach Indien gegangen und hat da irgendeine Seelenreinigung gemacht, und jetzt ist er geheilt. Oh, Nick, wir haben unseren David wieder!" Sie fällt mir um den Hals und fängt an zu weinen.

Ich dachte eigentlich, sie wäre langsam darüber hinweg. Sie schien so gute Fortschritte gemacht zu haben. Aber das hier ist ja wohl der totale Rückfall. Ich hätte sie nicht allein zu Davids Haus fahren lassen sollen. Ich muss mich auch mal durchsetzen, verdammt noch mal. Das habe ich jetzt davon.

„Ann, alles wird gut", rede ich sanft auf sie ein. „Das war ein bisschen viel für dich heute, mein Schatz. Du legst dich jetzt erstmal ins Bett, und morgen ist ein neuer Tag. Du bist sicher müde."

„Ich bin nicht müde. Ich bin hellwach. Ich war noch nie so wach." Anns Lachen wird noch hysterischer und lauter. „Du glaubst mir nicht. Natürlich glaubst du mir nicht. Ich würde dir auch nicht glauben, wenn du mir so was erzählen würdest."

„So ist es." Ich schiebe sie zur Tür. „Ich stecke dich jetzt ins Bett, okay?"

„Nick, ich habe ihn mitgebracht. Er ist im Wohnzimmer." Plötzlich wirkt Ann ganz klar.

Ich zucke zusammen. Wen zum Teufel hat sie in ihrem Drogenwahn in unser Haus geschleppt? Wahrscheinlich räumt der Typ gerade unser ganzes Wohnzimmer aus. Wie der Blitz sprinte ich aus meinem Studio nach oben und renne ins Wohnzimmer. Na, warte, das Bürschchen werde ich mir greifen und hochkantig rauswerfen! Eine Unverschämtheit, Anns Zustand so auszunutzen!

„Was zum Teufel soll das?", fluche ich und reiße den Typen, der mit dem Rücken zu mir gewandt am Fenster steht, herum.

Im nächsten Moment platzt mein Herz und ich bekomme spontanes Ohrensausen. Mir werden sämtliche Eingeweide rausgerissen.

Es ist David. Verdammte Scheiße, es ist David.

Kein Zweifel möglich.

Ich starre ihn an. Er starrt mich an. Er sieht richtig gut aus und strahlt förmlich von innen heraus. So hat er noch nie ausgesehen, außer auf der Bühne. Ich kann nicht aufhören, ihn anzustarren.

Das gibt es doch nicht! Das kann er nicht sein. Unmöglich.

Aber er ist es. Doch möglich? Mein Hirn rattert. Nein. Doch. Nein. Doch. Wirklich? Mein Kopf platzt gleich. Ich habe das Gefühl, ich verliere den Verstand.

In mir tobt alles durcheinander. Unbändige Freude. Unbändige Wut, weil er uns das angetan hat. Schmerz, Trauer, Glück, das ganze Programm. Ich werde von allen möglichen widersprüchlichen Gefühlen übermannt und weiß nicht, welchem ich den Vorzug geben soll. Die Welt steht kopf. Ich werde verrückt. Das gibt es doch gar nicht!

Das gibt es nicht. David ist zurück! Er lebt!

Mir schießen Tränen in die Augen und ich reiße ihn in meine Arme. Dann fangen wir beide an zu heulen. Wir haben so viel miteinander erlebt. Nicht nur Positives.

Schließlich heulen wir zu dritt und es dauert eine Weile, bis wir uns so weit gefangen haben, dass wir wieder sprechen können.

Und David erzählt. Von seiner Situation damals, die sich so zugespitzt hatte, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah, als seinen eigenen Tod zu fingieren. Ganz schön makaber. Ich bin ziemlich geschockt.

„Ich wäre da einfach nicht rausgekommen." Er schüttelt den Kopf. Meine Güte, er sieht wirklich fantastisch aus; er leuchtet richtig von innen. Ich bin hin und weg von seiner Ausstrahlung.

„Ich hatte keine Kraft mehr, um den Kampf aufzunehmen. Eine Welttournee, die ständigen Lügen, dann noch die Erpressung ... Es ging nicht mehr. Ich war einfach am Boden. Ich habe keine andere Lösung gesehen. Es tut mir unendlich leid, dass ihr so gelitten habt."

Wir schweigen eine Weile. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Ich kann es immer noch nicht fassen. Träume ich oder bin ich wach? Passiert das hier wirklich? Es ist so irreal. Das habe ich nich mal auf meinen Trips erlebt!

„Ich glaube, es gibt einfach Situationen im Leben, da kann man nicht an die anderen denken", sage ich schließlich. „Du hast sicher viel mehr gelitten als wir, sonst hättest du diesen Schritt nicht gemacht. Du hast alles aufgegeben, auch die Annehmlichkeiten. In Indien hast du sicher nicht in einem Palast gelebt."

„Nein", bestätigt David und lacht. „Ich habe wochenlang auf einer Pritsche geschlafen. Aber das war nicht entscheidend. Ich habe meinen Seelenfrieden gefunden, und das ist viel mehr wert als aller materieller Luxus. Das kannst du mit keinem Geld der Welt bezahlen."

Wow. Man sieht ihm echt an, dass er seinen Frieden gefunden hat. So hat er noch nie ausgesehen. Das ist einfach Wahnsinn. Ich bin völlig benebelt. Ich komme mir vor wie in einem Film. Ich kapiere überhaupt nicht, dass das hier alles wirklich real ist.

Ist es real? Oder träume ich einfach nur sehr real? Wache ich gleich auf? Eigentlich möchte ich aus diesem Traum gar nicht aufwachen.

„Brauchst du Geld?", will Ann eifrig wissen. „Ich habe noch alles, was du mir hinterlassen hast, auch dein Haus. Du kannst es sofort haben. Es gehört alles dir, das ist ja klar."

David schüttelnd lachend den Kopf.

„Nein, ich brauche es nicht, Darling. Ich habe damals einiges gerettet. Das wird reichen. Und was ist bei euch so passiert? Ihr seid jetzt tatsächlich ein glückliches Paar?"

„Und wie", bestätige ich. „Du wirst es nicht glauben, aber ich habe mein Sex und Drogen Leben komplett aufgegeben. Seit zwei Jahren bin ich ein treuer Beziehungspartner. Das ist wahrscheinlicher noch weniger zu glauben als deine mystische Auferstehung."

David grinst. Er sieht anziehender und besser aus als jemals zuvor.

„Stimmt. Das hätte ich dir echt nicht zugetraut. Wie hast du das denn hingekriegt?"

Ich zucke mit den Schultern. „Es war viel Arbeit. Reha, Therapie, Selbststudium. Ich habe mich eben viel mit mir beschäftigt. Und natürlich Ann. Anns Liebe hat mir die Kraft zu allem gegeben."

Ich lege den Arm um mein Baby.

„Das hört sich echt schön an. Ich freue mich total für euch beide." David streckt sich auf der Couch aus.

„Leute, auch, wenn ihr mich immer noch für einen Geist haltet – auch Geister haben Hunger. Habt ihr was zu essen da?"

Ich seufze auf. „Nein, aber die Nummer von hundert Lieferdiensten. Kann man eigentlich mit dir ausgehen oder bist du inkognito hier?"

„Offiziell bin ich tot", erinnert David mich. „Ausgehen wäre im Moment keine so gute Idee."

„Und wie willst du das in der Zukunft machen?", fragt Ann. „Du willst dich doch nicht ewig verstecken."

„Ich habe einen neuen Pass und eine neue Identität", gibt David Auskunft. „Eigentlich müsstet ihr mich Evan nennen."

„Wir bleiben lieber bei David", bestimme ich. „Aber wenn du eine neue Identität hast, kannst du dich doch draußen bewegen, oder?"

David wiegt den Kopf hin und her.

„Ja, schon, aber es besteht natürlich immer die Möglichkeit, dass mich jemand erkennt. Dem möchte ich erst mal aus dem Weg gehen. Ich bin ja erst seit drei Wochen wieder hier. Mal sehen, wie sich alles entwickelt. Ich habe noch keine Pläne gemacht. Es wird sich schon alles fügen. Es fügt sich immer alles so, wie es richtig ist. Man muss nur die Zeichen erkennen."

Aha, unser guter Dave ist also unter die Esoteriker gegangen. Damit kann ich ja nicht so viel anfangen, ehrlich gesagt. Aber egal. Hauptsache, er ist wieder da.

Er ist wirklich wieder da! Oh mein Gott!!!

Ich blicke ihn an und plötzlich flenne ich schon wieder los. Ich wusste gar nicht, dass ich eine solche Heulsuse bin. Aber es übermannt mich einfach gerade. Ich bin völlig neben der Spur. David steht auf, geht um den Tisch herum und kommt auf mich zu. Dann setzt er sich neben mich und legt den Arm um meine zuckenden Schultern.

„Du hast dich wirklich verändert“, sagt er leise. „Früher hättest du deine Gefühle nicht so offen gezeigt. Da warst du der harte, starke Mann. Ich finde es sehr schön, dass du jetzt auch deine weiche Seite zeigen kannst.“

Ich fahre mir über das Gesicht. Einerseits ist es mir schon etwas peinlich, dass ich hier schon wieder los heule. Andererseits: Es ist einfach eine zu abgefahrene Situation. Drei Jahre lang habe ich geglaubt, David sei tot - und jetzt sitzt er plötzlich neben mir. Da kann man schon mal ausflippen, oder?

„Du musst dich nicht schämen." Davids Hand streicht leicht über meine Schulter. Ich zucke zusammen, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen.

„Im Gegenteil, ich finde es sehr liebenswert, dass du so sensibel geworden bist.“

„Ich war schon immer sensibel, aber ich habe es nicht oft gezeigt“, stelle ich richtig und blicke David in seine tollen, stahlblauen Augen.

„Und überhaupt habe ich dir vieles nicht gezeigt, das ich für dich empfunden hatte. Ich hatte einfach Angst. Ich hatte Angst vor meinen eigenen Gefühlen. Angst, von diesen Gefühlen überschwemmt zu werden. Immer, wenn es besonders nah zwischen uns wurde, habe ich mich zurückgezogen. Jedes Mal, wenn die Gefühle für dich tiefer wurden, habe ich mich erst recht in irgendwelche Affären gestürzt, damit es nicht zu eng wurde. Ich habe diese Nähe einfach nicht ertragen. Ich konnte damit nicht umgehen.“

Das alles sprudelt ohne Punkt und Komma aus mir heraus. In Gedanken habe ich das David schon so oft gesagt. Es ist eine absolute Befreiung, dass ich ihm all das jetzt tatsächlich sagen kann. Es lag mir schon so lange auf der Seele.

„Ich weiß, Nick.“ Davids Augen blicken mich voller Wärme an. Es jagt mir einen wohligen Schauer den Rücken hinunter.

„Ich habe in Indien viel dazugelernt, auch über dich. Ich weiß, dass du immer Angst vor Nähe hattest. Aber mir ging es auch nicht anders. Genau deshalb haben wir uns ja auch so sehr zueinander hingezogen gefühlt. Wir waren uns ziemlich ähnlich.“

Ich schüttele den Kopf.

„Nein, es lag an mir. Ich hatte schon das Gefühl, dass du durchaus in der Lage warst, mehr zuzulassen. Aber ich habe es jedes Mal zerstört. Das tut mir unendlich leid.“

„Es ist okay, Nick.“ David sieht mich gütig an. „Es ist vorbei und damit nicht mehr wichtig. Nur das Heute zählt. Du hast jetzt die Möglichkeit, dich anders zu verhalten.“

„Ja, das werde ich auch tun.“ Ich beiße mir auf die Lippe. Ich werde mich David gegenüber ganz sicher anders verhalten. Respektvoll, liebevoll, fair. So, wie er es verdient hat.

Oh mein Gott, ich habe ihn damals wirklich geliebt. Jetzt, wo er lebendig neben mir sitzt, wird mir das so klar wie niemals zuvor. Ich habe ihn geliebt, konnte diese Liebe aber aus lauter Angst nicht leben. Wie tragisch. Ich habe uns einige sehr schöne Momente genommen.

Ich bin völlig durcheinander. Hier sitzt Ann, meine große Liebe, und gleichzeitig sitzt David hier, der ebenfalls meine große Liebe war. Mit Ann kann ich diese Liebe nun endlich leben, mit David konnte ich es nicht. Aber wie er schon sehr richtig bemerkte: Das ist vorbei. Nur das Heute zählt. Und das will ich so gut wie möglich leben.

Natürlich machen wir in dieser Nacht kein Auge zu. Wir reden und reden und hören nicht mehr auf. David erzählt von seinem skurrilen Leben in Indien, und wir berichten, was bei uns in den letzten drei Jahren passiert ist. Angefangen von Anns phänomenalem Erfolg mit ihrer Band, die jetzt leider auf Eis liegt, bis hin zu dem Wiedersehen mit meiner grauenhaften Mutter und dem ersten Treffen mit meinem Vater. Von meinem Entzug und meinen langen Kämpfen mit mir selbst, bevor ich zu dem Mensch wurde, der ich heute bin.

David hört aufmerksam zu und gibt hin und wieder einen weisen Spruch zum Besten. Ich merke immer mehr, dass er wirklich bei sich angekommen ist und wie wohl er sich mit sich selbst fühlt. Das ist einfach wunderschön zu sehen. Manche benötigen jahrelange Therapien und viele Klinikaufenthalte, bei David war es ein langer Trip nach Indien.

Er hat es geschafft. Er hat wirklich seinen Seelenfrieden gefunden. Das ist das zweite Wunder nach seiner Auferstehung.

„Auch Geister müssen mal schlafen“, gähnt David um fünf Uhr morgens. „Kann ich hier pennen oder soll ich ins Hotel zurück?“

„Was ist denn das für eine bescheuerte Frage?“ regt sich Ann auf. „Die meinst du ja wohl hoffentlich nicht im Ernst. Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir dich jetzt einfach so gehen lassen. Du bleibst natürlich hier, am besten für alle Zeiten. Willst du nicht bei uns wohnen? Oder möchtest du in dein Strandhaus zurück?“

David lacht. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Im Moment wohne ich im Hotel.“

„Klar kannst du bei uns wohnen“, biete nun auch ich ihm an. „Wir würden uns riesig freuen.“

„Ja, so wie früher.“ Anns Augen glänzen, ihre Wangen sind rosig. Sie sieht aus wie ein Kind kurz vor der Bescherung. Und so ist es ja auch. David ist das schönste Geschenk, das man sich nur vorstellen kann.

„Es war so eine tolle Zeit, als wir drei zusammen gewohnt haben. Es wäre einfach der Wahnsinn, wenn wir das wieder haben könnten. So wie früher, nur besser. Weil wir alle was dazu gelernt haben. Ich fände das wirklich den absoluten Hammer.“

Wir strahlen uns an. Ja, wir sind die drei Musketiere. Wir gehören einfach zusammen.

Ich merke Ann an, dass es ihr sogar widerstrebt, David in einem anderen Zimmer schlafen zu lassen. Wahrscheinlich hat sie Angst, dass es am nächsten Morgen doch nur ein Traum war und er sich in Luft aufgelöst hat. Ich kann sie verstehen.

„Ja, es ist okay“, grinse ich sie an. „Von mir aus kann er auch bei uns im Bett schlafen.“

„Na, wenn du das nicht bereust“, lacht David. „Ich könnte aus Versehen über einen von euch herfallen.“

„Wieso, hattest du in Indien drei Jahre lang keinen Sex?“, erkundige ich mich unverblümt. „Oder gibt es da sowas nicht?“

„Du würdest dich wundern, was ich da alles erlebt habe“, grinst David. „Aber das ist ein weitreichendes Thema, das wir gern ein andernmal diskutieren können. Jetzt muss ich wirklich mal die Augen zumachen.“

„Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann, wenn du neben mir liegst“, seufzt Ann. „Aber wenn du das nicht tust, mache ich erst recht kein Auge zu, weil ich dann immer Angst habe, dass du plötzlich doch wieder weg bist. Ach, David, ich kann es einfach immer noch nicht glauben. Jetzt haben wir stundenlang hier gesessen und gequatscht, und ich fasse es einfach immer noch nicht. Ich denke immer noch, ich bin in einer Fantasiewelt und das ist alles überhaupt nicht wahr.“

Genauso geht es mir auch. Vielleicht sind wir irgendwie in einer Zeitschleife gefangen oder sowas ähnliches. Mein Gehirn weigert sich immer noch, das hier als Realität anzuerkennen. Ich bin wirklich gespannt, was ich vorfinden werde, wenn ich morgen wieder aufwache.

Als ich die Augen aufschlage, fällt mein Blick als erstes auf Ann, die friedlich neben mir liegt und schläft. Sie hat ihren Arm um mich gewickelt und ihren Kopf an meine Brust gebettet. Das ist ihre übliche Schlafposition. Ich wundere mich schon lange darüber, dass wir immer in genau derselben Position aufwachen, in der wir eingeschlafen sind. Ich glaube inzwischen, dass wir uns nachts tausendmal drehen und wenden, nur um dann wieder in unsere ursprüngliche Position zurückzukehren.

Mein nächster Blick wandert über Ann hinweg zur linken Seite, wo sich David am frühen Morgen niedergelassen hat. Die Seite ist leer. Er ist nicht mehr da.

Ich fahre hoch. Also habe ich das alles tatsächlich nur geträumt. David ist nicht zurückgekehrt. Er lebt nicht. Es war alles nur eine Illusion.

Ich spüre, wie es hinter meinen Augen anfängt zu brennen und die Enttäuschung in mir hoch kriecht. Eine unglaubliche Trauer hüllt mich ein und drückt mir die Kehle zu. Es schien so real zu sein. Er war doch hier!

Jetzt schlägt Ann ihre Augen auf und streckt sich ausgiebig. Dann sieht sie mich an und lächelt.

„Guten Morgen, mein Schatz“, begrüße ich sie und drücke ihr einen Kuss auf den Mund. „Na, hast du gut geschlafen?“

„Bestens“, erwidert sie und streckt ihre Arme nach mir aus. Dann werden ihre Augen ganz groß und sie setzt sich ruckartig auf.

„Wo ist David?“, ruft sie voller Panik. „Ich habe das doch nicht nur geträumt, oder? David war doch hier, er hat sogar hier bei uns im Bett geschlafen. Wo ist er? Oh mein Gott, Nick, sag mir, dass es wahr ist und nicht nur ein Traum war.“

Mir fällt ein ganzes Gebirge vom Herzen. Wir werden ja wohl nicht denselben Traum geträumt haben, das ist Quatsch. Also ist es wahr und David schwirrt hier irgendwo im Haus herum. Vielleicht ist er einfach nur auf der Toilette.

„Nein, es war kein Traum“, bestätige ich. „Ich habe das allerdings auch gerade gedacht. David ist bestimmt im Bad. Kommen, wir suchen ihn.“

Wir finden David in der Küche vor, wo er sich gerade einen Kaffee zubereitet und bereits den Tisch liebevoll gedeckt hat. Ann rennt sofort auf ihn zu und stürzt sich in seine Arme.

„Ich dachte schon, du bist wieder verschwunden“, stöhnt sie und klammert sich an ihm fest. „Bleib immer ganz dicht bei uns. Geh nie weiter als einen Meter von uns weg. Ich hatte eben voll die Panik.“

„Das tut mir leid.“ David streichelt sanft über Anns Rücken. Merkwürdigerweise macht mir das gar nichts aus. Im Gegenteil, ich finde es schön, wie liebevoll er mit ihr umgeht.

„Ich wollte euch nicht erschrecken. Demnächst lasse ich einen Zettel da mit der Info, wo ich mich gerade befinde.“ Er lacht.

Er sieht wirklich faszinierend aus, so wahnsinnig gesund und bestens gelaunt. Er war immer ein wunderschöner Mann und seine Traurigkeit hatte natürlich auch einen bestimmten Reiz, aber jetzt strahlt er so von innen heraus, dass es unmöglich ist, sich seiner positiven Ausstrahlung zu entziehen. Er verbreitet einfach sehr viele „good vibrations" und wirkt dadurch extrem anziehend.

Ich nehme neben ihm Platz.

„Bist du jetzt eigentlich erleuchtet?“, will ich wissen. „Bist du ein Guru oder sowas in der Art?“

„Nein, aber ich war lange Zeit bei einem“, berichtet David. „Und ich habe sehr viel von ihm gelernt. Wenn man dann wieder zurück kommt in diese westliche Welt, erscheint einem vieles doch sehr merkwürdig. Dass fast alle Menschen nach materiellem Besitz streben, obwohl jeder weiß, dass das überhaupt nicht glücklich macht.“

„Na, das ist wahrscheinlich eher eine Ablenkung“, mutmaße ich. „Damit man sich nicht mit den wahren Baustellen seines Lebens auseinandersetzen muss.“

„Das stimmt“, bekräftigt David. „Ich sehe, der gute Nick hat viel dazugelernt.“

„Obwohl ich nicht mal in Indien war“, grinse ich. „Aber wenn man sich eine Weile mit sich selbst und den Dingen des Lebens beschäftigt, kommt man auch so darauf.“

„Du scheinst eine ziemliche Wandlung durchgemacht zu haben“, kommentiert David. „Ich bin wirklich beeindruckt. Ich habe dich ganz anders in Erinnerung.“

„Ich dich auch“, lache ich.

Wir blicken uns an. Ich glaube, wir haben den Kern im anderen damals schon erahnt. Darum sind wir auch so aufeinander abgefahren. Oberflächlich gesehen war es eine rein sexuelle Anziehungskraft, aber in Wirklichkeit haben wir gespürt, wie der andere im tiefsten Innern war. Seit einiger Zeit glaube ich fest an so etwas. Man zieht immer das an, was man selbst auch ist und ausstrahlt. Das ist einfach das Gesetz der Resonanz. Gleiches zieht Gleiches an.

„Da haben wir uns doch beide zu unserem Vorteil verändert“, findet David. „Also, herzlichen Glückwunsch.“

„Danke, gleichfalls“, gebe ich gut gelaunt zurück. Es macht wirklich Spaß mit David und ich bin so froh, dass er hier ist. Von mir aus kann er sofort einziehen. Ich fühle mich gut in seiner Gegenwart und ich weiß, dass es Ann genauso geht. Sie ist ja schon immer total auf ihn abgefahren. Damals war ich eifersüchtig, jetzt macht es mir überhaupt nichts mehr aus. Im Gegenteil. Ich finde es wunderbar, dass wir drei uns so gut verstehen und werde das bestimmt nicht wieder durch meine blöde Eifersucht kaputt machen. Ich bin so unendlich dankbar dass wir noch eine Chance bekommen. Ich werde sie nutzen.

Kapitel 3 – Ann

Mike, unser Manager, hat uns zu sich zitiert. Wir wissen alle, was dieses Treffen bedeutet. Unser Vertrag ist vor einigen Monaten ausgelaufen und wir haben bisher keinen neuen aufgesetzt. Das ist so gar nicht in Mikes Sinn, denn er möchte natürlich weiterhin an uns eine Menge Geld verdienen. Außerdem kann er es gar nicht verstehen, dass wir auf dem Höhepunkt unserer Karriere plötzlich zu Schnarchnasen werden und nichts mehr machen wollen.

Mir wird ganz wehmütig zumute, als ich vor dem Gebäude stehe, in dem Mike sein Büro hat. Ich erinnere mich daran, wie sehr wir uns damals gefreut haben, als Mike uns einen Vertrag angeboten hat. Wir glaubten, das ganz große Los gezogen zu haben. Und nun sind wir zu richtigen Rockstars aufgestiegen und scheuen uns davor weiterzumachen, weil wir intern zu viele Probleme miteinander haben. Das ist wirklich ganz schön traurig.

Vor allem aber legt sich eine Klammer um mein Herz, weil ich in wenigen Minuten Sandy wieder sehen werde. Ich bin ihr eine Ewigkeit nicht mehr begegnet und habe fast Angst vor diesem Treffen. Das macht mich noch trauriger. Ich kann einfach nicht verstehen, dass zwei Menschen, die sich einmal geliebt haben, nicht mehr in der Lage sind, respektvoll miteinander umzugehen. Ich habe keine Ahnung, wie sie auf mich reagieren wird und wie es ihr überhaupt geht.

Als erstes läuft mir Serena über den Weg, ihr Baby auf dem Arm. Sie hat inzwischen eine kleine Tochter namens Laura und ist ganz vernarrt in die Kleine. Zugegebenermaßen ist sie ein besonders niedliches Baby mit ihren großen Kulleraugen und erobert alle Herzen im Sturm.

Serena hat sich total verändert, seit sie Mutter geworden ist. Obwohl sie kaum mehr als drei Stunden jede Nacht schläft, ist sie munter, ausgeglichen und fröhlich. Das Kind scheint tatsächlich genau das zu sein, was ihr immer zu ihrem Glück gefehlt hat. Ich hätte das nie von ihr erwartet und bin immer noch etwas geschockt, dass ihr ihre musikalische Karriere total egal geworden ist. Es interessiert sie einfach nicht mehr, was aus unserer Band wird, denn sie möchte sich in den nächsten Jahren nur noch um ihre Familie kümmern. Schließlich hat sie selbst keine richtige Familie gehabt und will das jetzt nachholen.

Serena steht vor dem Aufzug, das Baby in einem Wickeltuch dicht an ihre Brust gepresst. Ihre ehemals wilden, langen Haare sind nur noch schulterlang und zu einem Zopf gebunden, die Extensions sind verschwunden. Sie ist völlig ungeschminkt und trägt eine schlichte Jeans und ein schwarzes T-Shirt. So wäre sie früher nicht mal zur Mülltonne gegangen. Ich glaube, wenn sie einer unserer Fans so sehen würde, würde er sie gar nicht erkennen.

„Hi“, begrüße ich sie und schiebe meinen Zeigefinger zwischen die winzigen Finger ihrer Tochter, die sofort zugreifen. Laura lächelt mich zahnlos an und wedelt mit ihren Armen. Verliebt streicht Serena ihrer Tochter über den flaumigen Kopf.

„Sie kann schon Mama sagen“, berichtet Serena stolz. „Und wenn sie Musik hört, wird sie ganz aufgeregt und strampelt mit den Beinchen. Ist das nicht süß? Ich glaube, sie tritt später mal in meine Fußstapfen und wird auch Musikerin. Ich bin jetzt schon verdammt stolz auf sie.“

Ich verdrehe innerlich die Augen. Serena ist genauso bescheuert wie jede andere Mutter auch. Egal, was das Wunderkind macht, es ist immer einzigartig und geradezu überwältigend. Ihre einzigen Gesprächsthemen sind Windeln, Spielzeug, die ersten Zähne und lauter so interessante Sachen, die mich nicht die Bohne interessieren. Von irgendwelchen Songs oder sogar Auftritten will sie nichts hören. Sie hat Mike ganz klar zu verstehen gegeben, dass sie die nächsten drei Jahre nichts von Smash wissen will.

Da wir keine neuen Verträge haben, ist Mike machtlos, will es aber offenbar noch einmal versuchen. Ich weiß schon jetzt, dass er bei Serena auf Granit beißen wird. Und bei Sandys und meinem gespanntem Verhältnis habe ich auch keine Lust, mit der Band weiterzumachen. So tragisch es auch ist: Smash hat sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere aufgelöst. Ich glaube nicht, dass es für unsere Band eine Zukunft gibt.

„Schön, dass Laura später auch mal Musikerin wird“, finde ich. „Und was ist mit dir? Willst du deine musikalische Karriere komplett aufgeben?“

„Vorerst schon“, erklärt Serena und gibt Laura einen sanften Nasenstüber. Die Kleine quietscht vor Vergnügen, was Serena in grenzenlose Ekstase versetzt. Ja, okay, ich muss zugeben, dass das Baby wirklich ganz süß ist. Aber muss man deshalb alles andere komplett über den Haufen werfen? Will Serena tatsächlich nur noch Mutter sein? Ich will die alte Serena zurück!

„Weißt du, so wichtig ist das für mich einfach nicht mehr. Ich habe begriffen, was wirklich im Leben zählt, und das ist auf keinen Fall die Karriere.“

Serena drückt auf einen Knopf, und die Aufzugtür öffnet sich. Sie lächelt beseelt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie ist auf Drogen. Ihre Wandlung ist mir geradezu unheimlich. Ich erkenne sie kaum wieder.

„Hast du nicht mal gesagt, das Wichtigste im Leben sei Liebe?“, erinnert sie mich. „Ja, genau das ist es. Die Liebe zu seinem Kind ist die reinste Form von Liebe und die schönste. Sie endet einfach nie. Ich war noch nie in meinem Leben so glücklich. Endlich weiß ich, wofür ich da bin. Wenn ich nach Hause komme zu Don und meinem Baby, dann ist das einfach das Paradies für mich. Ich habe ein richtiges Zuhause, ein Heim, in das ich jederzeit gerne zurückkehre. Das hatte ich vorher nicht. Vorher hatte ich allenfalls eine Wohnung.“

„Hm“, brummte ich unbestimmt. Meiner Meinung nach braucht man dazu kein Kind. Ich habe auch ein Zuhause, und das besteht aus Nick und Balou.

Während Serena weiterhin zärtlich mit ihrer Tochter flirtet, blicke ich mich um. Ob Sandy und Debbie schon oben sind? Ich bekomme Herzklopfen. Wie wird Sandy auf mich reagieren?

Als wir oben ankommen, sitzt Debbie bereits auf der weißen Couch, die wir alle so gut kennen. Nach einem großen Hallo nehmen wir Platz und stürzen uns auf den Kaffee, den eine hilfsbereite Seele uns bringt.

Mike setzt sich hinter seinen Schreibtisch und sieht uns wachsam an.

„Sollen wir auf Sandy warten oder schon mal anfangen?“, will er wissen.

„Wir fangen schon mal an“, bestimmt Serena. „Ich habe nicht viel Zeit. Wir wollen heute einen neuen Kinderwagen kaufen und dann zu einem Seminar, wie ein Kleinkind stressfrei laufen lernt.“

Wir starren sie alle an. Was ist denn das für ein Blödsinn?

„Deine Prioritäten haben sich ja ziemlich verschoben“, stellt Mike fest, doch er lächelt dabei nicht. Ich ahne schon, dass es kein nettes Plauderstündchen geben wird.

„Und das ist auch schon genau der Punkt“, fährt er mit einer steilen Falte zwischen seinen Augenbrauen fort.

„Offensichtlich habt ihr überhaupt kein Interesse mehr an eurer Karriere. Ich muss sagen, das enttäuscht mich über alle Maßen. Ihr wart damals so enthusiastisch und wolltet die ganze Welt erobern. Und jetzt, wo sie euch tatsächlich zu Füßen liegt, tretet ihr sie mit denselben. Ich verstehe das überhaupt nicht.“

Er wirkt richtig sauer. Klar, er hat eine Menge für uns getan und unsere Karriere mächtig vorangetrieben. Und jetzt, wo wir wirklich an der Spitze sind, sind wir bockig und wollen nicht weitermachen. Kein Wunder, dass er das nicht versteht. So richtig verstehen wir es ja selber nicht.

„Ich kann mir den Grund schon denken. Wie bei den meisten weiblichen Bands werden es interne Rivalitäten und Streitereien sein. Darum kommen die All-Girl-Bands auch nicht weit. In eurem Fall ist das allerdings besonders tragisch, da ihr bereits sehr weit gekommen seid. Ihr seid an der Spitze, und die Welt wartet auf ein neues Album und eine Tour, aber ihr hängt bräsig in der Hängematte und zuckt nicht mal mit der Wimper. Dabei geht es doch jetzt eigentlich erst los! Habt ihr schon genug? Reicht euch das schon? Habt ihr gar keinen Ehrgeiz?“

Mike sieht aus, als verstünde er die Welt nicht mehr. Nervös trommelt er mit seinem Kugelschreiber auf dem Tisch herum. Er könnte so viel Geld an uns verdienen, und wir stellen uns quer. Das ärgert ihn natürlich. Er hat eine Menge in uns investiert und jetzt, wo es sich für ihn auszahlen könnte, lassen wir ihn im Stich.

„Okay, dann mal ganz konkret: An wem von euch liegt es, dass es mit Smash nicht weitergehen soll?“, erkundigt Mike sich, als wir alle stumm bleiben.

„Serena, wir könnten für dich einen Babysitter organisieren, der auf der Tournee mitkommt und dir die Kleine abnimmt. Du hast alle Annehmlichkeiten, die du haben willst. Wäre das nicht eine Option?“

Serena streichelt Lauras Wange und lächelt.

„Nein, nicht solange Laura noch so klein ist. Ich will etwas von ihr haben und sie nicht an irgendeine Kinderfrau abgeben, die sie dann aufwachsen sieht. Ich bin ihre Mutter und ich bin für sie verantwortlich. Diese kostbare Zeit mit ihr kommt nie wieder. Ich will sie so oft wie möglich bei mir haben und diese Zeit genießen. Ich bin eigentlich auch nur hergekommen, um das noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen. Die nächsten drei Jahre wird es die Band für mich nicht geben. Keine Studioaufnahmen, keine Tournee, keine Fernsehauftritte, keine Interviews, gar nichts. Ich will mich auf meine Familie konzentrieren. Danach können wir ja immer noch weiter sehen.“

„Ja, wenn sich dann noch jemand für euch interessiert“, blafft Mike genervt. „Drei Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Vielleicht hat man euch bis dahin schon vergessen.“

Serena zuckt mit den Schultern. „Und wenn schon. Irgendetwas wird sich schon ergeben, da mache ich mir gar keine Sorgen.“

„Ja, du kannst Baby Nummer Zwei kriegen.“ Mike seufzt theatralisch auf. Es ist ihm deutlich anzumerken, was er denkt.

„Wäre es für den Rest der Band eine Option, eine andere Gitarristin zu suchen?“ Er sieht Debbie und mich hoffnungsvoll an.

„Na klar“, kommt es wie aus der Pistole geschossen von Debbie und sie wirft Serena einen triumphierenden Blick zu. Vielleicht hat sie insgeheim schon lange auf diese Chance gewartet. Sie hat von Anfang an darunter gelitten, dass Serena sich stets als Star der Band aufgespielt und Debbie nicht mal ein Solo gegönnt hat. Vielleicht wäre sie sogar ganz froh, wenn Serena die Band verlassen würde und sie selbst endlich zum Zuge käme.

Serena lächelt nur milde. Ihr ist es offenbar wirklich egal, was mit ihrem Platz innerhalb der Band passiert. Sie ist in einem ganz anderen Film.

„Gibt es noch weitere Probleme?“, erkundigt Mike sich. „Eine neue Gitarristin zu finden, dürfte machbar sein. Was hält euch sonst davon ab, endlich wieder durchzustarten?“

Ich hole tief Luft.

„Sandy und ich kommen nicht mehr miteinander klar“, gestehe ich. „Ich weiß nicht, ob du das damals mitgekriegt hast, aber wir waren eine Weile ein Paar. Sie kann es nicht verkraften, dass ich jetzt wieder mit Nick zusammen bin.“

Mike sieht mich höchst überrascht an.

„Nein, das habe ich tatsächlich nicht gewusst.“ Er hebt die Augenbrauen.

„Aber könnt ihr nicht irgendeinen Weg finden, Privates und Musikalisches zu trennen?“

Ich schüttele den Kopf.

„Nein, das klappt einfach nicht. Und in dieser angespannten Atmosphäre ist es unmöglich, kreativ zu sein. Wir können nicht zusammen Musik machen, wenn unser Verhältnis dermaßen zerrüttet ist.“

Mir sitzt ein dicker Kloß im Hals. Es tut so verdammt weh, aber es ist die Wahrheit. Um neue Songs zu schreiben, muss man sehr eng zusammen arbeiten und die Stimmung untereinander muss entspannt sein. Das ist sie aber absolut nicht. Es würde überhaupt keinen Spaß machen, sondern wäre eine Qual. Und das würde das Publikum merken. Wir würden einfach nicht mehr gut sein.

Mike schweigt eine Weile und scheint nachzudenken.

„Naja, da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder du verlässt die Band oder Sandy tut es.“

Ich zucke zusammen. Er spricht das aus, worüber ich nicht einmal nachzudenken wage.

„Warum soll ich die Band verlassen, nur weil diese Schlampe wieder mit diesem Bastard fickt?“

Wir fahren alle herum. Sandy steht wie ein Racheengel in der Tür. Ich erschrecke mich richtig, als ich sie sehe. Ihre Haare sind strähnig und ungepflegt, ihre Augen glasig, ihr Gesichtsausdruck wirr. Sie sieht aus, als hätte sie mindestens eine Woche lang nicht mehr geschlafen, sondern die ganze Zeit gesoffen.

Instinktiv drückt Serena ihr Baby an sich. Debbie reißt ihre Augen weit auf und starrt Sandy entsetzt an. Auch Mike sieht leicht geschockt aus.

„Sie ist schuld“, keift Sandy los und deutet mit dem Finger auf mich. Ihre Hände zittern.

„Wenn jemand die Band sprengt, dann sie. Es hätte alles so schön sein können. Wir waren so glücklich. Aber nein, sie lernt es ja einfach nicht. Sie macht denselben Fehler immer und immer wieder. Und ich muss es ausbaden. Nur, weil ich keinen Schwanz habe. Das ist doch alles, was uns gefehlt hat.“

Der Kloß in meinem Hals wird größer. Das ist ein Albtraum. Das ist nicht mehr meine Sandy, die ich so bewundert und in die ich mich verliebt habe. Ist es wirklich meine Schuld, dass sie so geworden ist?

„Ich glaube, was dir fehlt, ist etwas ganz anderes“, sagt Mike ruhig „Hast du schon mal über einen Klinikaufenthalt nachgedacht?“

„Ach, halt doch die Fresse, du blöder Wichser!“, schreit Sandy wie von Sinnen los.

„Also, das tue ich mir und meinem Baby nicht an.“ Resolut steht Serena auf. „Das sind ganz schlechte Schwingungen, die Laura schaden und ihre Entwicklung behindern können. Ich gehe.“

Sandy beachtet sie gar nicht, sondern stürzt auf Mike zu.

„Du hast doch überhaupt keine Ahnung. Du weißt nicht, worum es geht. Du wusstest es nie. Du hast doch damals sogar geglaubt, dass Ann mit David zusammen ist. Du hast gar nichts geblickt. David war schwul! Und Ann war mit mir zusammen, mit mir! Wir waren verliebt und glücklich.“