Nicht mit mir - Ein Polizeichef widersetzt sich der Macht - Wolfgang Isenrath - E-Book

Nicht mit mir - Ein Polizeichef widersetzt sich der Macht E-Book

Wolfgang Isenrath

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Beschreibung

Jakob Isenrath (1878-1951) war in den 1920er und 30er Jahren Polizeichef in Recklinghausen, Hagen und zuletzt in Mönchengladbach-Rheydt. Konsequent und couragiert lehnte er sich 1923 zunächst gegen die Ruhrinvasion der Franzosen und Belgier auf und geriet ein Jahr lang in französische Gefangenschaft. Seine ebenso präzise geschilderten als auch erschütternden Erlebnisse brachte er zehn Jahre später zu Papier. Dem aufkommenden Nationalsozialismus versuchte er ebenfalls, sich konsequent zu widersetzen. Mit weit reichenden Folgen für seine Karriere, seine Familie und seine Gesundheit. Glücklicherweise wurden nun alle Aufzeichnungen des ersten Polizeipräsidenten von Mönchengladbach-Rheydt aufgefunden, so dass das vollständige Leben und Wirken von Jakob Isenrath nachvollzogen werden kann. Dieses Buch schildert eindrucksvoll das Leben eines Mannes, der sich stets für Gerechtigkeit und Frieden und gegen Unterdrückung einsetzte. Wolfgang Isenrath (geb. 1958 in Neuss) hat seinen Großvater nicht persönlich kennen gelernt. Die erst jetzt im Nachlass gefundenen Unterlagen machten ihn neugierig, so dass er intensiv in das Leben seines Großvaters eintauchte und dieses Buch zusammenstellte. Die Dokumente wurden ergänzt um Daten, Fakten und Hintergründe, so dass eine nachvollziehbare und lesbare Lektüre entstand. Ein Stück Zeitgeschichte aus einer ganz eigenen Sicht.

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Nicht mit mir

Ein Polizeichef widersetzt sich der Macht

Von Wolfgang Isenrath

Transkription der handgeschriebenen Originalbriefe:

Michael Nülken, Magdeburg

Titelgestaltung:

Nina Isenrath, Neuss

Textauszug Seite 25 und 26 mit freundlicher Genehmigung von Dr. Christoph Waldecker, Limburg

Bildnachweis:

Umschlag sowie Seite 5, 24, 27, 48 privat

Hinweis:

Die mit * gekennzeichneten Namen wurden geändert.

© 2019 Wolfgang Isenrath

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7497-4308-7

Hardcover:

978-3-7497-4309-4

e-Book:

978-3-7497-4310-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Jakob Isenrath undatiert

Inhalt:

Mit einer Tüte voll Akten fing es an

Die Zeit als katholischer Arbeitersekretär und kurze Kriegsdienst – Unterbrechungen

Isenrath wechselt in den Polizeidienst, die „Ruhrinvasion“ der Franzosen beginnt

Ein begehrter Polizeichef

Polizei - Aufbauarbeit in Mönchengladbach

Hitler in MG – Rheydt unerwünscht – kein Rederecht für Hitler

Isenrath wird als Polizeipräsident abgesetzt

Umzug nach Erkrath, Nächtlicher Überfall der SA

Familie Isenrath in finanzieller Notlage

Ein „Heil Hitler“ aus Verzweiflung

Resignation, Verzweiflung, Krankheit

Das Versehen ist entschuldbar – die Arroganz der Behörden

Ringen um Wiedereinstellung bei der Polizei

Erneute verzweifelte Versuche nach Kriegsende

Keine Hilfe im bürokratischen Dschungel der Alliierten

Sorge um die berufliche Laufbahn des Sohnes Anton

Die Akte Schubert* – Daun*

Untermieterin Frau Müller*

Der siebzigste Geburtstag

Was bleibt von Jakob Isenrath?

Anhang:

Vor 10 Jahren: Erlebnisse beim Ruhrkampf 1923/24 von Jakob Isenrath

Mit einer Tüte voll Akten fing es an

Als mein Vater im Mai 2016 starb, hinterließ er mir und meinen beiden Brüdern einen ziemlich ungeordneten Nachlass, bestehend aus alten Möbeln, Teppichen, Büchern, Akten, Schallplatten usw. Das für ihn viel zu große Reihenhaus war vom Keller bis zum Dach vollgestopft. Wir ließen eine auf Entrümpelungen spezialisierte Firma das gesamte Inventar abholen und verwerten bzw. entsorgen. Zuvor haben wir jedoch Unterlagen, die uns verwertbar erschienen oder nach persönlichen Briefen und Dokumenten aussahen, entnommen und erst einmal bei mir und meinen Brüdern zu Hause gelagert.

Zweieinhalb Jahre lang habe ich aufgrund einer Erkrankung diese Sachen unberührt gelassen, bis ich Anfang 2019 die durchsichtige Plastiktüte eines Neusser Möbelhauses genauer in Augenschein nahm. In ihr befanden sich auffallend alte Handakten, aus denen am oberen Rand vergilbte Papiere herausragten. Nachdem ich die erste Akte geöffnet hatte, begann ich darin zu lesen und bemerkte, dass ich soeben einen Schatz geborgen hatte. Bis spät in den Abend hinein ließen mich die in der Akte enthaltenen Briefe nicht mehr los. Es handelte sich um private Unterlagen meines Großvaters Jakob Isenrath, dem Vater meines Vaters, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel wusste. Ich wusste nur, dass er wohl mal bei der Polizei gewesen ist und auch Polizeipräsident war, dass er sieben Kinder hatte und 1951, also sieben Jahre vor meiner Geburt, gestorben ist. Als Kind entdeckte ich mal auf dem Speicher in einer Kiste ein Fernglas, einen Locher und einen alten Schlagstock aus Holz – Gegenstände aus dem Nachlass meines Großvaters.

Die in den Akten enthaltenen Briefe sind zum großen Teil mit einer Schreibmaschine getippt, so dass sie sehr gut lesbar sind. Ein Teil der Schriftstücke sind in altdeutscher Schrift, meist sehr sauber mit Füller geschrieben, aber heute wegen der alten Schriftzeichen für die meisten Menschen nicht mehr lesbar. Ich konnte jedoch erkennen, dass es sich bei einem Großteil der handschriftlichen Dokumente um Vorentwürfe der mit Maschine geschriebenen Briefe handelt.

Nach dem Lesen der ersten Dokumente wurde mir klar, dass mein Großvater in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis zu seinem Tod ein sehr bewegtes Leben hatte. Ein Leben, das vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus geprägt war, von Prinzipien und Vaterlandsliebe, aber auch von Sorge um seine Familie, existenziellen Ängsten und Nöten.

Mit diesem Buch möchte ich versuchen, einen Einblick in das Leben von Jakob Isenrath zu vermitteln weil ich glaube, dass er es verdient hat, dass sein Lebenswerk auch Jahrzehnte nach seinem Tod in Erinnerung bleibt.

Die Zeit als katholischer Arbeitersekretär und kurze Kriegsdienst - Unterbrechungen

Jakob Isenrath wurde am 18.März 1879 in Erkrath bei Düsseldorf geboren. Seine Mutter hieß Johanna Helene Isenrath geb. Weyers, sein Vater war Matthias Johann Isenrath (1845 – 1887). Dass aus Jakob ein tiefgläubiger Katholik geworden ist, lag vermutlich daran, dass sein Vater Küster einer Kirchengemeinde gewesen ist. Jakobs Mutter starb 1881 im Alter von nur 23 Jahren, vermutlich bei der Geburt seiner Schwester Hubertine Gertrud, da war er gerade zwei Jahre alt. Sein Vater heiratete ein zweites Mal, und zwar Elisabeth Schmidt (1855 – 1947). Aus dieser zweiten Ehe gingen drei Kinder hervor, die zu Halbgeschwistern von Jakob wurden: Maria Christina Isenrath (1883 – 1962), Johann Heinrich Isenrath (1891 – 1938) und Franz Wilhelm Isenrath (1886 – 1964).

Nach dem Besuch der Volksschule machte er eine Böttcherlehre. Am 1. Oktober 1906, also mit 27 Jahren, wurde er der erste Arbeitersekretär in Osnabrück. Später ging er nach Herne und danach übernahm er das Katholische Arbeiter- und Volksvereinssekretariat in Hamm / Westf. Katholische Arbeitervereine wurden seit 1884 nach dem Vorbild des Priesters Adolf Kolping (1813 – 1865) in Deutschland vermehrt gegründet als Reaktion auf die immer stärker gewordene Industrialisierung sowie die komplizierteren Rechtsgrundlagen im Arbeitsrecht und in der kürzlich eingeführten Sozialversicherung. So bestand die Aufgabe eines Arbeitersekretärs im Wesentlichen aus der Beratung der Mitglieder in arbeitsrechtlichen Fragen. Insgesamt war Isenrath von 1906 bis 1922 sechzehn Jahre lang als Arbeitersekretär tätig.

Unterbrochen wurde seine Arbeit durch die Einberufung zum Kriegsdienst am 15.03.1915 zum Fuß-Artillerie - Regiment Nr. 10 nach Straßburg. Nach fünf Monaten, am 10.08.1915 wurde er vorläufig entlassen, um am 09.09.1916 für gut drei Monate erneut eingezogen zu werden. Seine kurze Kriegsdienstzeit erklärt sich dadurch, dass der Oberbürgermeister von Herne beim Generalkommandant des VII. Armeekorps die Entlassung beantragte, da Isenrath aufgrund seiner umfangreichen Kontakte maßgeblichen Einfluss besaß und in der Lage war, beruhigend auf die infolge der Kriegsnot erregte Stimmung der einheimischen Bevölkerung zu wirken. In einem Brief von ihm an den Preußischen Innenminister in Berlin, in dem es eigentlich um ein Gesuch bezüglich der Anrechnung seines ruhegehaltsfähigen Dienstalters ging, schrieb er wörtlich:

Vor dem Eintritt in den Staatsdienst war ich vom 1.10.1906 Sekretär der kath. Arbeitervereine und des Volksvereins für das kath. Deutschland in Osnabrück, dann in Herne und später in Hamm i.W. Am 15.3.1915 wurde ich zum Kriegsdienst eingezogen bei dem Fuß-Artl. Rgt. Nr. 10 in Straßburg i.E. durch Verfügung des stellv.Generalkommandos des VII. Armeekorps wurde ich am 10.8.1915 wieder entlassen; erneut wurde ich am 9.9.1916 zum Armierungs-Batl. 139 eingezogen, von wo ich am 20.12.1916 wieder auf Verfügung des Generalkommandos zur Entlassung gelangte. Beide Male erfolgte meine Entlassung auf Antrag des Oberbürgermeisters von Herne, der meine Anwesenheit in Herne und Umgebung im dringenden vaterländischen Interesse für notwendig hielt, weil ich bei der Arbeiterschaft der dortigen Gegend weitgehenden Einfluß besaß und in der Lage war, beruhigend auf die infolge der Kriegsnot erregte Stimmung der arbeitenden Bevölkerung zu wirken. Meinem Einfluß ist es gelungen mehreren Bewegungen unter der Bergarbeiterschaft des Herner Bezirks, die sich schon zu Arbeitseinstellungen ausgewachsen hatten, zu steuern und im vaterländischen Interesse die Bergarbeiter zur Weiterarbeit zu bewegen. Weiter war ich in den Kriegsjahren Vorsitzender der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Herne und hatte als solcher viel Gelegenheit mich für das Gemeinwohl zu betätigen.

Es zeigt sich, dass Isenrath in seiner Funktion als Arbeitersekretär bestens vernetzt war. Er muss in Herne so großen Einfluss auf die Menschen in dieser Krisensituation gehabt haben, dass er vom eigentlich durch ihn zu leistenden Kriegsdienst zurückgezogen wurde.

Privat war Jakob Isenrath ein Familienmensch. Er heiratete mit 25 Jahren am 13.04.1904 die in Dortmund geborene Emilie Theresia Meyer, die zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt war. In schneller Folge kamen die ersten vier Kinder Paul (1906), Anton (1907), Maria (1908) und Luise (1910) zur Welt. In Herne wurde 1914 Johanna geboren, vier Jahre später Elisabeth. Nachzügler war der zuletzt geborene Karl – Leo, er kam im Jahr 1924 zur Welt, da war Jakob bereits 45 und die Mutter Emilie auch schon 42 Jahre alt. Jakob bemühte sich redlich, seinen Kindern eine gute Ausbildung zu teil werden zu lassen. Der älteste Sohn Paul wurde Maler (Künstler), Anton schlug eine Verwaltungslaufbahn ein und Maria wurde Weißnäherin. Die Weißnäherin, deren Beruf heute ausgestorben ist, bearbeitete die vorwiegend aus weißem Stoff bestehende Aussteuer wie Bett- und Tischwäsche vor der Hochzeit einer Braut. Luise machte eine kaufmännische Ausbildung, Johanna wurde Krankenschwester und Elisabeth Säuglings- und Krankenschwester. Der Jüngste Karl – Leo machte eine Maschinenschlosser – Lehre.

Isenrath wechselt in den Polizeidienst, die „Ruhrinvasion“ der Franzosen beginnt

Am 17.10.1922 wurde Jakob Isenrath auf Beschluss des Preußischen Staatsinnenministers zum Regierungsrat ernannt und in den Preußischen Staatsdienst berufen. Sechs Tage später begann er seinen Dienst als Leiter des Polizeiamtes Buer, heute Gelsenkirchen Buer.

Über die Umstände der Ernennung zum Regierungsrat ist leider nichts bekannt. Aus heutiger Sicht würde man nicht ohne weiteres als Quereinsteiger in ein so hohes Polizeiamt gelangen, ohne vorher eine entsprechende Laufbahn im Polizeidienst durchlaufen zu haben. Vielleicht war Isenrath aufgrund seiner politischen Aktivität in der Zentrumspartei zu diesem Amt berufen worden. Andererseits sind auch in anderen Städten Persönlichkeiten, die nicht aus den Reihen der Polizei kamen, mit der Leitung von Polizeidienststellen beauftragt worden.

Nur drei Monate nach seinem Amtsantritt begannen die Franzosen am 11.01.1923, in das Ruhrgebiet einzumarschieren. Die sog. Ruhrinvasion nahm seinen Lauf.

Wenige Tage nach Einmarsch der Franzosen in das Ruhrgebiet verhängte Isenrath am 14.01.1923 eine Vorverlegung der Sperrstunde für Gaststätten auf 20 Uhr. Am 06.02.1923 wurde er zum Vertreter des Polizeipräsidenten von Gelsenkirchen ernannt. Diese Aufgabe konnte er jedoch nur einen Monat lang aktiv ausführen, da er am 07.03.1923 durch den französischen General Laignelot verhaftet wurde. Isenrath verhandelte im Auftrag des Regierungspräsidenten Münster mit dem General und erreichte im Ergebnis, dass die Beamten der Schutzpolizei aus dem besetzten Gebiet abziehen konnten, ohne weiter inhaftiert zu werden. Der General nahm ihn daraufhin am gleichen Tag fest und stellte ihn am 29.03.1923 vor ein Kriegsgericht, wo er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Begründet wurde dies mit der „Nichtausführung französischer Befehle“. Die einjährige Haft verbüßte er in verschiedenen französischen Gefängnissen. Die Erlebnisse dort haben Isenrath offensichtlich stark traumatisiert. In verschiedenen später von ihm verfassten Briefen erwähnt er immer wieder die für ihn schlimmen Haftbedingungen. Die genauen Umstände seiner Verhaftung schildert er in dem oben bereits zitierten Brief vom 25.02.1925 an den Innenminister wie folgt:

Ich habe damals schlimme Tage erlebt. Als die Franzosen Ende Februar 1923 das Polizei-Präsidium besetzten und alle vorhandenen Akten beschlagnahmten und gegen die Beamten, insbesondere gegen die Schutzpolizei in rigorosester Weise vorgingen, habe ich im Einverständnis mit dem Regierungs-Präsidenten in Münster mit dem französischen General Leignelot in Recklinghausen verhandelt. Über die Schutzpolizei kam dahin eine Einigung zustande, daß die Beamten aus dem besetzten Gebiet abziehen konnten, ohne weiter verhaftet zu werden. Auch wurdenmir die Akten, Dienstsiegel usw. des Polizei-Präsidiums zur Verfügung gestellt und der Abtransport aus dem besetzten Gebiet genehmigt. Ich selbst aber wurde am 7.3.1923 von dem französischen General verhaftet und am 29.3.1923 von dem Kriegsgericht der 47. französischen Infanterie-Division in Recklinghausen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Erst am 7.3.1924 wurde ich, nachdem ich nacheinander in die von den Franzosen beschlagnahmten Gefängnisse von Recklinghausen, Düsseldorf, Zweibrücken und Germersheim verbracht worden war, wieder entlassen. Die Franzosen ließen mir eine sehr schlechte Behandlung zu teil werden, weil sie in mir voreingenommenerweise den intellektuellen Urheber der Erschießung zweier französischer Offiziere in Buer vermuteten. Im Gefängnis bin ich deshalb monatelang in unwürdigster Weise behandelt worden. Die Franzosen haben mir bei der Verhaftung auch alle mir gehörenden Papiere abgenommen und sie mir auch trotz aller Vorstellungen nicht wieder ausgehändigt. Darum kann ich auch für meine Militärdienstzeit keine Unterlagen beibringen.

Isenrath hat seine Erlebnisse im Zusammenhang mit der Ruhrinvasion und Gefangenschaft zehn Jahre später im Februar 1934 separat zu Papier gebracht. Ein 71-seitiger handgeschriebener Aufsatz beschreibt diese Zeit aus seiner Sicht äußerst detailgenau. In diesem Buch ist dieses wichtige Zeitdokument separat als Anhang beigefügt. Isenrath hatte im Mai 1934 versucht, diesen Aufsatz zu veröffentlichen, jedoch hierfür von der Staatspolizeistelle des Regierungspräsidenten Düsseldorf keine Genehmigung erhalten. So werden die Aufzeichnungen erst jetzt, 85 Jahre später, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Warum es zehn Jahre dauerte, um seine Erlebnisse zu Papier zu bringen, ist nicht bekannt. Vielleicht war er so traumatisiert, dass er so lange brauchte, um das Erlebte zu verarbeiten. Wer den Aufsatz von Jakob Isenrath liest wird feststellen, wie detailgetreu dieser ist. Alle Ereignisse und deren Zeiten, Orte und Namen der Beteiligten Personen sind genauestens aufgeführt. Es ist davon auszugehen, dass er sich während der ganzen Zeit seiner Inhaftierung geheime Notizen gemacht hat, auf die er dann im Jahr 1934, als er den Text verfasste, zurückgreifen konnte.

Ein begehrter Polizeichef

Als Isenrath am 07.03.1924 aus der französischen Gefangenschaft zurückkehrte, lehnten die Franzosen seine Wiederzulassung in den Polizeidienst ab. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt das politische Sagen über große Teile des Ruhrgebietes. Die preußische Regierung beauftragte ihn am 16. Mai 1924 mit der Vorbereitung der Verstaatlichung der Polizei in Hagen / Westf. Diese Aufgabe nahm er dann von Juni 1924 bis März 1927 wahr. Isenrath wohnte mit seiner Familie zu Beginn seiner Amtszeit im Hamm/Westf., Marktstraße 8. Zu seinem Dienstsitz in Hagen hatte er über 50 Kilometer zurückzulegen. Um diese weite tägliche Anreise zu vermeiden, hatte er in Hagen eine Zweitwohnung bezogen. Am 23. März 1925 bemühte sich der Oberbürgermeister von Hagen beim Preußischen Innenminister um Auskunft, ob Isenrath eine Chance hätte, nach erfolgter Verstaatlichung der Polizei in Hagen als Polizeipräsident bleiben zu können. In diesem Falle würde die Stadtverwaltung ihm und seiner großen Familie bei der Suche nach geeignetem Wohnraum verhelfen. In dem Schreiben des Oberbürgermeisters heißt es wörtlich:

Die seit mehreren Jahren bestehende Absicht, die hiesige kommunale Polizei zu verstaatlichen, ist bis heute nicht durchgeführt worden. Es scheint, dass auch zum 1.4. ds. Js. Die Verstaatlichung noch nicht verwirklicht werdenwird. Diese Verzögerung hat die Stadtverwaltung in manchen Beziehungen gehemmt, namentlich auf dem Gebiete der Personal- und Raumfrage. Mittlerweile ist hier der dritte kommissarische Polizeiverwalter tätig und zwar seit dem 1. Juni 1924 der Regierungsrat Isenrath. Die Herren wurden sämtlich von auswärts nach hier versetzt, hatten Familien und waren bei dem Wohnungsmangel genötigt, einen doppelten Haushalt zu führen, wie dies auch bei dem jetzigen Stelleninhaber der Fall ist. Das Auseinanderreißen der Familie auf lange Dauer löst, das braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, manche Unannehmlichkeiten aus, auch auf dienstlichem Gebiete. Es ist naturgemäß, dass der Polizeiverwalter bemüht ist, soweit irgend mit dem Dienst vereinbar, wenigstens Sonntag mit seiner Familie zusammen zu sein. In politisch erregter Zeit bei starkem Gegensatze in der Bevölkerung ist solche Abwesenheit an Sonntagen, da vielfach Versammlungen und Veranstaltungen stattfinden, unerwünscht. Die Stadtverwaltung wäre gerne bereit, dem jetzigen kom. Polizeiverwalter zu einer Wohnung zu verhelfen, wenn nunmehr für die Verstaatlichung der hiesigen Polizei ein naher Termin in Aussicht gestellt werden könnte und weiter die Aussicht bestände, dass Herr Regierungsrat Isenrath, ein durchaus geeigneter und allseits geachteter Beamter, demnächst mit der Weiterführung der staatlichen Polizeigeschäfte betraut werden würde. Herr Isenrath hat es verstanden, sich in der kurzen Zeit seiner Leitung der Polizeigeschäfte des Vertrauens aller Kreise der Bevölkerung zu erwerben. Er hat die Gegensätze zwischen kommunaler Polizei und Schupo zu überbrücken, die Einordnung der kommunalen Beamten zu gemeinsamer Dienstleistung durchzuführen mit Geschick verstandenden und damit den Nachweis seiner Befähigung für das Amt erbracht. Um die nötigen Maßnahmen hinsichtlich der Gestellung einer Wohnung treffen zu können, bitte ich um rechtbaldige Entscheidung.

Ein Jahr später, am 26.03.1926 verfügte das Preußische Reichs-innenministerium über den Regierungspräsidenten in Arnsberg, dass Isenrath ab dem 01.04.1926 Hagen als dienstlichen Wohnsitz für die Dauer seiner dienstlichen Verwendung nehmen müsse.

Interessant ist vielleicht zu sehen, was er in dieser Zeit für ein Gehalt erhielt.

Gehalt gemäß Gehaltsgruppe 11, Stufe 2:

 

Grundgehalt:

412,50

 

RM

 

Ortszuschlag:

90,50

 

RM

 

Frauenbeihilfe:

12,00

 

RM

 

Kinderbeihilfen:

 

 

 

 

1 Kind bis zu 6 Jahren:

18,00

 

RM

 

2 Kinder bis zu 14 Jahren:

40,00

 

RM

 

2 Kinder über 14 Jahren:

44,00

 

RM

 

 

------------

 

 

 

 

617,00

 

RM

 

Örtlicher Sonderzuschlag 10 %

61,70

 

RM

 

bei 1 Kind über 14 Jahre mehr

24,80

 

RM

 

 

------------

 

 

 

Gesamt:

702,90

 

RM

 

 

 

 

Am 01.03.1927 war die Verstaatlichung der Polizei in Hagen vollzogen. Diese ging auf einen Erlass des Preußischen Innenministers vom 25.02.1920 zurück wonach die Bürgermeister bestimmter Städte der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen beauftragt wurden, die Verstaatlichung der Sicherheitspolizei staatlichen Polizeiverwaltern zu übertragen. Schon vor dem erfolgtem Vollzug der Verstaatlichung muss es im Preußischen Innenministerium Beamte gegeben haben, die Isenrath als Polizeileiter in Hagen wieder loswerden wollten. Er hat in seinen Unterlagen die Kopie eines Schreibens eines Mitglieds des Preußischen Landtags, datiert auf den 16.12.1926 und adressiert an einen Abgeordneten Dr. Hess in Berlin. Darin heißt es wörtlich:

Lieber Herr Kollege,ich beeile mich, Ihnen folgendes mitzuteilen:

Wie ich zuverlässig zu wissen glaube, besteht die Absicht, den Leiter der Polizei in Hagen, Herrn Regierungsrat Isenrath, bei der in Kürze zu erwartenden Verstaatlichung von Hagen wegzuschieben. Es ist mir schon lange bekannt, daß Herr Staatssekretär Abegg, kein Freund von I. ist und ich habe die Überzeugung, daß er ihm bitter Unrecht tut.

Zu dieser Frage möchte ich auch als Chef der Hagener Zentrumspartei Stellung nehmen.

1. Wir lassen uns unter gar keinen Umständen gefallen, daß an Stelle von Isenrath etwa ein Demokrat – wie das in Absicht Abeggs liegt – kommt. (…)

2. In Hagen befinden sich etwa 15 Behörden. Sämtliche Ämter werden von Protestanten geleitet. Die Polizeibehörde ist die einzige, die von einem Katholiken geleitet wird. Wir sind in den letzten Monaten bei der Besetzung der Stelle des Landgerichtspräsidenten, die uns zustand, aus politischen Gründen übergangen worden. Einen zweiten solchen Fall ertragen wir nicht.

3. Alle Parteien – D-Natl, D.Vp., Dem., und S.P.D. – haben mich autorisiert, in Berlin zum Ausdruck zu bringen, daß man die Ernennung Isenraths wünscht.

4. Isenrath ist m.W. seit etwa 5 Jahren von seiner großenFamilie – er hat 6 Kinder – getrennt. Die Stadt Hagen ist gerade dabei, ihm die Dienstwohnung herzurichten. Ihn jetzt wieder zu versetzen, würde ich für eine Brutalität halten.

Seien Sie bitte so gut und sorgen dafür, daß die Dinge in unserem Sinne geregelt werden. Andernfalls dürfen Sie mit einem großen Spektakel rechnen.

Mit bestem Gruß, Ihr …

Wie sich aus diesem Brief unschwer entnehmen ließ, gab es verschiedene Gründe, eine Leitungsposition bei der Polizei zu besetzen. Parteizugehörigkeit und Konfession spielten eine große Rolle. Der in dem Schreiben erwähnte Staatssekretär Philipp Friedrich Wilhelm Abegg (1876 – 1951) war übrigens als linksliberaler Staatssekretär im preußischen Innenministerium bis kurz vor seiner Emigration 1933 der Begründer und Leiter der modernen preußischen Polizei nach dem Ersten Weltkrieg. Warum er Isenrath aus Hagen „wegschieben“ wollte, kann eigentlich nur aus daran gelegen haben, dass Isenrath konservativer Zentrumsabgeordneter war und Abegg eher linksgerichtet. Gemeinsam war beiden der Ehrgeiz, die Polizei zu reformieren und später, sich gegen den Nationalsozialismus zu stellen.

Polizei - Aufbauarbeit in Mönchengladbach

Zum Jahresbeginn 1927 wurde es konkreter. Die Gerüchte, dass Isenrath von Hagen nach Mönchengladbach versetzt werden sollte, um dort wie in Hagen die Verstaatlichung der Polizei voran zu führen, verdichteten sich. Isenrath schrieb am 10.02.1927 einen Brief an den damaligen Oberbürgermeister von München-Gladbach, wie es damals noch hieß, heute heißt es ja Mönchengladbach:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!

Für die freundlichen Bemühungen, mir möglichst bald dort eine Wohnung zu verschaffen, sage ich Ihnen meinen verbindlichen Dank. Gerne würde ich in der nächsten Woche hierüber kommen, um an Ort und Stelle die Verhandlungen weiterzuführen, doch ist mir der Zeitpunkt meiner Verssetzung nach M.= Gladbach noch nicht bekannt. Wohl schrieb mir dieser Tage Herr Dr. Hess, dass meine Einberufung nach dort ganz sicher sei. Auch der neue Oberbürgermeister Finke von Hagen sagte mir, dass ihm im Innenministerium Mitteilung von meiner demnächstigen Versetzung nach M.= Gladbach gemacht worden sei. Selbst habe ich aber noch nichts in Händen.

Ich möchte Sie bitten, bei Ihrer Anwesenheit in Berlin dort einmal feststellen lassen zu wollen, wann ich mit meiner dienstlichen Übersiedlung nach M.= Gladbach rechnen kann. Freuen würde ich mich, bald mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen. Jetzt schon glaube ich der Hoffnung Ausdruck geben zu können, dass unser Zusammenarbeiten beiderseits sich zur vollsten Zufriedenheit gestalten wird. Haben Sie nochmals vielen Dank für Ihre freundlichen Bemühungen und halten Sie mich bitte auf dem Laufenden .

Mit freundlichem Gruß bin ich Ihr ganz ergebener …

Oberbürgermeister Gielen kümmerte sich eifrig darum, dass Isenrath eine angemessene Wohnung in München – Gladbach erhielt. Es gab ein Angebot einer großen Wohnung in der Kaiserstraße 95, in der jedoch ein Herr Frese von der Westdeutschen Landeszeitung ebenfalls vorübergehend untergebracht ist. Es blieben jedoch noch neun bis zehn Räume für Familie Isenrath übrig.

Ein weiteres Angebot gab es von Prälat Dr. Otto Müller. Sein Objekt lag in der Rubensstraße 53. Dieses Haus wurde bisher durch Oberwachtmeister Wagner* bewohnt, ein Polizeibeamter der Schutzpolizei.

Auch in Rheydt erhielt Isenrath Wohnungs- bzw. Hausangebote. Nur konnte er aufgrund der ihm fehlenden Ortskenntnis überhaupt nicht einschätzen, für welchen Standort er sich entscheiden solle. Dies, sowie damalige Ungereimtheiten bezüglich seines Gehaltes, aber auch Informationen über die Situation seiner Familie, geht aus folgendem Brief an den Oberbürgermeister von München – Gladbach vom 13. März 1927 hervor:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!

Nehmen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank entgegen für die mir bewiesenen Freundlichkeiten sowohl in der Wohnungsfrage als auch betreffs der Übernahme meines Sohnes in die dortige Stadtverwaltung.

Um Sie über meinen Wohnungsbedarf genau zu informieren, erlaube ich mir Ihnen ergebenst mitzuteilen, dass außer meiner Frau und mir meine Familie sieben Kinder aufweist im Alter von 20 bis 2 Jahren. Immerhin müsste die mir zugewiesene Wohnung neben der Küche noch sechs Zimmer und ein Mansardenzimmer umfassen. Am liebsten wäre mir eine Wohnung in einem vor dem Kriege erbauten Hause, da ich bei der grossen Familie nicht in der Lage bin, die exorbitant hohen Mieten für Neubauten aufzubringen. Es scheint mir auch, dass manche dortigen Hausbesitzer für Altwohnungen Mieten fordern, die durchaus nicht mit den Bestimmungen des Reichsmietengesetzes und den dazu erlassenen preußischen Ausführungsbestimmungen im Einklang stehen. Bei meiner Vermögenslosigkeit und der andererseits durch die große Familie bedingten Belastung bitte ich nochmals dringlichsich meiner besonders anzuschauen.…

Mir wäre gedient, wenn evtl. die Stadt M.=Gladbach das Haus, das Herr Prälat Dr. Otto Müller an der Hand hat, es handelt sich um Rubensstraße 53, kaufte, und mir dann zu etwa den gleichen Bedingungen weiter vermietete, die der Oberwachtmeister Wagner von der Schutzpolizei zu tragen hat. Der Letztgenannte hat infolge der eigenartigen Bestimmungen über die Dienstzeitberechnungen ein bedeutend höheres Diensteinkommen als ich und dabei nur ein Kind zu unterhalten. Dabei ist er ein mir unterstellter Beamter, für dessen dienstliche Handlungen ich nach der Verstaatlichung der Polizei der vorgesetzten Behörde gegenüber die volle Verantwortung zu tragen habe und der nur ausführendes Organ des Polizeipräsidenten ist. Ich erwähne dies nur, um den eigenartigen Zustand zu kennzeichnen, der darin liegen würde, wenn für mich nicht wenigstens die gleiche Unterbringungsmöglichkeit geschaffen werden könnte, wie für Herrn Wagner.

Mir sind die örtlichen Verhältnisse fremd. Die Stadt Rheydt lies mich nun wissen, dass ich dort eine meinen Wünschen entsprechende Wohnung erhalten könnte. Nun weiß ich aber nicht, wie es mit meinen dienstlichen Obliegenheiten auskäme, wollte ich in Rheydt Wohnung nahmen. In Unkenntnis dieser ganzen Lage wende ich mich nun vertrauensvoll an Sie und bitte um Ihren erfahrenen Rat, ob ich evtl. auf das Angebot von Rheydt eingehen kann.

Indem ich um Ihren gütigen Rat bitte, bin ich mit ausgezeichneter Hochachtung und ergebenen Grüssen

Ihr …

Familie Isenrath 1928 vor dem Wohnhaus in Mönchengladbach - Rheydt