Nichts wie weg -  - E-Book

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Beschreibung

"Nichts wie weg - die besten Texte aus dem Geschichtenwettbewerb der Lahntalschule" versammelt alle Siegertexte aus dem gleichnamigen Literaturwettbewerb der Lahntalschule in Biedenkopf.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Die Erzählugen der Preisträgerinnen

Laudatio auf die Erzählung von Lea Maria Scherer ‒

Andreas Hutt

Nichts wie weg ‒

Lea Marie Scherer

Laudatio auf die Erzählung von Hanna Friedrich ‒

Franziska Lienaerts

Nichts wie weg aus der Zukunft ‒

Hanna Friedrich

Laudatio auf die Erzählung von Lara Graf ‒

Felix Gräff-Störmer

Nichts wie weg ‒

Lara Graf

Sonderpreis für die beste Geschichte zum Thema „Ausbruch aus dem Alltag“ ‒ Laudatio auf die Erzählung von Hanna Wolf

‒ Daniela Heiner

Nichts wie weg ‒

Hanna Wolf

Sonderpreis für die beste Pferdegeschichte ‒ Laudatio auf die Erzählung von Amelie Ochs ‒

Britta Mehren- Vogt

Die Magie der Wildpferde ‒

Amelie Ochs

II. Alle weiteren Erzählungen des Wettbewerbs in alphabetischer Reihenfolge

Kleine Mörderin in Hamburg ‒

Leticia Fenner

Die Höhle des Grauens ‒

Mina Charlotte Liebig

Nichts wie weg ‒

Kim Lara Loch

Nichts wie weg ‒

Vjosa Maliqi

Einfach weg ‒

Ylvi Möschl

Omas dunkles Geheimnis ‒

Lena Reibert

Nichts wie weg! ‒

Elisabeth Scherer

Nichts wie weg ‒

Marlene Schwedhelm

Nichts wie weg ‒

Martha Wagner

Vorwort

Andreas Hutt

EIN arabisches Sprichwort besagt, dass ein Buch ein Garten sei, den man in der Tasche trägt.

Wenn man bei diesem Bild bleibt, haben wir ‒ die Jury des ersten Lahntalschul-Geschichtenwettbewerbs Britta Mehren-Vogt, Franziska Lienearts, Daniela Heiner, Felix Gräff-Störmer und Andreas Hutt ‒ den Boden bereitet für diesen Garten. Mit Hilfe unseres Mottos „Nichts wie weg“ haben wir Samen an die Schulgemeinschaft ausgegeben, der bei der einen oder anderen Schülerin (es haben tatsächlich nur Mädchen teilgenommen) auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Es entstanden Geschichten, die sich mit der Magie der Wildpferde befassten, in denen kleine Mörderinnen in Hamburg ihr Unwesen trieben, Kürbishäuser bewohnt wurden, angehende Leibwachen in einer unmenschlichen, dystopischen Gesellschaft den Dienst verweigerten oder Schülerinnen und Schüler ihr Zuhause verließen, um sich jenseits schulischen Leistungsdrucks selbst zu verwirklichen. Die Ideen, die dieses Motto auslöste, waren vielfältig und mal eher fantasievoll, mal eher realistisch.

Wir haben die Geschichten unserer Schülerinnen als Keimling entgegengenommen und in diese Anthologie gepflanzt. Hier können sie dauerhaft gedeihen. Die Schülerinnen haben so eine bleibende Erinnerung an unseren Geschichtenwettbewerb. Man vermag ihre Texte zu kaufen und zu verschenken. Wie in einem richtigen Garten kann man als Leser umhergehen, schauen und sich seine Lieblingsblumen aussuchen, die eigene Lieblingsgeschichte immer wieder lesen und sich daran erfreuen, denn ein Buch ist ein Garten, den man in der Tasche trägt.

Teil I.

Die Erzählugen der Preisträgerinnen

Laudatio auf die Erzählung von Lea Maria Scherer

Andreas Hutt

WENN man viele belletristische Texte ‒ Kurzgeschichten oder Romane ‒ liest, hat man häufig das Gefühl, dass man die beschriebenen Situationen bereits in vorherigen Erzählungen kennengelernt hat. Eine Kunst beim Schreiben besteht also darin, den Alltag so in eine Geschichte einfließen zu lassen, dass er zum einen das Problem repräsentiert, das der Autor/die Autorin gerade beschreiben möchte, aber dass zum anderen die Realität auf originelle Weise geschildert wird.

In der Erzählung „Nichts wie weg“ von Lea Marie Scherer läuft die Protagonistin Elaine an den Strand, um ihrer Wut über unbefriedigende und stressige unbewältigte Konflikte innerhalb ihrer Familie Ausdruck zu verleihen. Die Figur zeigt damit ein Leiden, das sie nicht anders artikulieren kann. Die Heldin, die aufgrund der angespannten Lage zu Hause bereits angreifbar ist, fühlt sich darüber hinaus von ihren Schulfreundinnen ‒ allen voran Sabrina ‒ unter Druck gesetzt, die ihr zu patzig begegnet oder ihre Vorlieben für bestimmte Filme zu herablassend kommentiert. Jean-Paul Satre hat es einmal zugespitzt so formuliert: Die Hölle, das sind die anderen. Jetzt ist der Begriff „Hölle“ für die Geschichte von Lea Marie Scherer sicherlich zu hoch gegriffen, aber wir bekommen in diesem Text vorgeführt, wie ein unsicherer, ungefestigter Mensch in einer belastenden Grundsituationen unter subtilen, von Mitmenschen ungeschickt gesetzten Nadelstichen leidet. Das gelingt Lea Marie Scherer dadurch, dass sie Bilder für dieses Gefühl des Ungenügens findet, die gerade nicht abgegriffen, schon zu oft in belletristischen Texten angeführt worden sind: Die Gruppenarbeit in der Schule, den Kinobesuch, bei dem man sich nicht auf einen Film einigen kann, das Plätzchenbacken der Schwester usw.

Auf diese Weise vermag es Lea Marie Scherer zu schildern, wie sich ihre Heldin weiterentwickelt: Von einem unsicheren Mädchen, das erkennt, worin ihr Problem besteht, nämlich im Mangel, die eigenen Bedürfnisse artikulieren zu können, hin zu jemanden, der es zu sagen schafft, was ihn stört, und auf dessen Gesicht sich zum Ende der Geschichte zurecht ein Lächeln legt. Dafür, dass das Motto unseres Geschichtenwettbewerbs „Nichts wie weg“ gelungen in sein Gegenteil verkehrt wird, haben wir den Text von Lea Marie Scherer mit einem der drei Hauptpreise bedacht.

Nichts wie weg

von Lea Marie Scherer

SO schnell ich konnte, rannte ich den Steg zum Strand hinunter. Im weichen Sand zu laufen war mühsam, doch ich blieb erst stehen, als die heranrollenden Wellen fast meine schwarzen Lederstiefel berührten. Der Strand war menschenleer, nur in der Ferne sah ich die Lichter der Kleinstadt, in der ich wohnte.

Wie sonst auch wartete ich darauf, dass das gleichmäßige Rauschen der Brandung seine beruhigende Wirkung entfalten würde. Es half mir, meine Sorgen zumindest für einen Moment zu vergessen. Früher war ich selten hergekommen, besonders im Winter war es hier wegen des starken Windes sehr kalt. Doch mittlerweile machte ich fast jeden Tag einen Abstecher zum Strand, denn es war die einfachste und zugleich wirkungsvollste Möglichkeit, um die andauernden Streitereien in der Schule und zu Hause zu verdrängen. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um. „Lenny, was machst du denn hier?“, begrüßte ich meinen besten Freund überrascht. „Ich will meine Oma besuchen und bin deshalb ganz entspannt die Abkürzung am Strand entlanggelaufen, als auf einmal eine Person mit wilden, schwarzen Locken an mir vorbei zum Meer gestürmt ist“, erwiderte er grinsend. „Blödmann“, gab ich lachend zurück, wurde aber schnell wieder ernst. Lenny schien meinen Stimmungsumschwung bemerkt zu haben, denn er sah mich aufmerksam an. „Elaine, was ist los?“ „Ach“, antwortete ich seufzend. „Eigentlich nichts Besonderes.“ Fragend zog er eine Augenbraue hoch, eine Fähigkeit, um die ich ihn glühend beneidete. „Naja, ich hatte schon wieder Streit mit meinem Vater. Er hatte anscheinend einen stressigen Tag auf der Arbeit und hat mich dann wegen Kleinigkeiten angeschrien.“ „Das tut mir echt leid. Seit deine Oma in Reha ist, ist es noch schwieriger geworden, oder?“ Nickend stimmte ich ihm zu. Meine Oma war vor zwei Wochen schlimm gestürzt und hatte jetzt einen Platz in einer Rehaklinik, circa zwei Stunden entfernt von hier, bekommen. Für meine Eltern, die ohnehin meistens angespannt waren, bedeutete das noch mehr Stress. Sie kümmerten sich um Opa, der jetzt sehr einsam war, besuchten Oma und mussten zusätzlich ihren Berufsalltag bewältigen. Doch bereits vor dem Sturz war die Stimmung bei uns zu Hause angespannt gewesen.

„Ich weiß, dass das schwierig für dich ist, aber solltest du nicht vielleicht mal mit deinen Eltern reden? Immer nur wegzulaufen ist auch keine Lösung“, sagte Lenny vorsichtig. Noch am nächsten Tag dachte ich im Geschichtsunterricht über Lennys Worte nach. Natürlich wusste ich, dass Weglaufen und Probleme zu ignorieren nicht richtig war. Aber ich war nun mal eine Person, die jegliche Art von Konfrontation hasste und stets auf Harmonie bedacht war. „Elaine, kannst du nicht aufpassen?“, riss mich Sabrinas strenge Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken blickt ich auf und bemerkte, dass mich alle aus meiner Referatsgruppe erwartungsvoll anschauten. „Tut mir leid, ich habe nicht zugehört. Worüber habt ihr geredet?“, fragte ich zerknirscht. „Typisch. Erst wirfst du uns vor, dass wir nichts machen würden, und dann hörst du nicht zu, wenn wir dir erzählen wollen, was wir gemacht haben.“ Genervt verdrehte Sabrina die Augen.

Ich schluckte. Das war so unfair! Ich hatte in den letzten beiden Stunden fast alle Texte allein geschrieben und hatte deshalb nicht vor, mich heute mit unserer Präsentation zu befassen. Natürlich war es nicht höflich, anderen nicht zuzuhören, aber meine Mitschüler hatten mich in den letzten Stunden auch ignoriert. Außerdem hätte Sabrina mich nicht so anmotzen müssen. Am liebsten würde ich jetzt genau diese Gedanken laut aussprechen, doch wie immer bekam ich keine einzige meiner patzigen Erwiderungen über die Lippen. Von meinen Freunden verteidigte mich auch niemand. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob sie sich einfach an Sabrinas, besonders mir gegenüber oft bissigem, Tonfall gewöhnt hatten, oder ob sie sich nur nicht trauten, etwas zu meiner Verteidigung zu sagen.

Am Nachmittag zog ich gerade meinen Mantel aus, als aus der Küche lauten Stimmen drangen. „Hör sofort auf, noch mehr Zucker in die Schüssel zu kippen, Janina“, vernahm ich die aufgebrachte Stimme meiner kleinen Schwester Sophie. „Dann mach‘s doch selbst, wenn du eh alles besser weißt“, antwortete ihre Freundin Janina wütend. Vorsichtig öffnete ich die Küchentür und blieb wie angewurzelt stehen: Der komplette Tisch war mit Mehl bestäubt und aus der Tüte rieselte noch mehr auf den Boden. In der Spüle stapelte sich das dreckige Geschirr und überall klebten Teigreste.

„Das wäre vielleicht wirklich besser, du verdirbst den ganzen Teig. Nur, weil du das Rezept nicht richtig gelesen hast. Bei dir werden das dann Zucker-Plätzchen“, rief Sophie. „Es ist so unfair“, schrie Janina plötzlich. Erschrocken zuckte ich bei ihrer lauten Stimme zusammen. Wer hätte gedacht, dass eine so kleine Person ein so lautes Organ haben konnte. „Immer kannst du alles besser! Du backst besser, bist beliebter und sportlicher. Ich dachte, dass die Plätzchen bestimmt noch leckerer werden, wenn ich mehr Zucker nehme und dass dann morgen bei der Klassenweihnachtsfeier meine Plätzchen besser schmecken als deine.“ Ich konnte Janina gut verstehen, neben Sophie entwickelte man schnell Minderwertigkeitskomplexe. In diesem Moment klingelte es an der Tür, sodass ich Sophies Antwort nicht mehr hören konnte. Lenny, der mich zum Schlittschuhlaufen abholte, strahlte mir entgegen. „Na, bist du bereit, dass wir uns beide auf dem Eis blamieren?“, fragte er. Lachend setzte ich meine Mütze auf und zog die Haustür hinter mir ins Schloss. „Klar, die Aussicht darauf hat mich heute sogar durch die Doppelstunde Physik gebracht.“

Leckerer Plätzchenduft stieg mir in die Nase, als ich ein paar Stunden später nach Hause kam. Schnell schnappte ich mir in der Küche einen Zimtstern. „Das Backen hat dann wohl doch noch geklappt?“, nuschelte ich mit vollem Mund. Sophie, die gerade hochkonzentriert alle Plätzchen in einer hübschen Weihnachtsdose verstaute, sah mich strafend an. „Ich habe euren Streit mitbekommen“, fügte ich erklärend hinzu. „Achso, ja, wir haben uns wieder vertragen. Ich hatte keine Ahnung, dass Janina denkt, ich wäre in allem besser, dabei versteht sie doch zum Beispiel Mathe und Chemie viel leichter als ich. Aber es war wirklich gut, dass wir das jetzt geklärt haben. Ich hatte schon länger das Gefühl, dass sie irgendetwas beschäftigt, aber sie ist meinen Fragen immer ausgewichen. Jetzt konnte ich ihr klarmachen, dass auch sie vieles besser kann und alles ist wieder gut.“ Fröhlich summend ging Sophie aus der Küche und ließ mich nachdenklich zurück.

Der Geruch von Popcorn kam mir mit einem Schwall warmer Luft entgegen, als ich eine Woche später das Kino am Marktplatz betrat. Olivia und Sabrina standen winkend neben einem kleinen Tannenbaum vor der Tür zu den Kinosälen. „Habt ihr euch schon für einen Film entschieden?“, fragte ich. „Also ich bin für Big Adventures“, stellte Olivia klar. „Da spielt dieser eine süße Schauspieler mit, das wird bestimmt super.“ „Ich würde lieber“, begann ich, wurde aber von Sabrina unterbrochen. „Der ist Elaine doch sowieso zu spannend, oder? Schließlich könnten wir vielleicht eine Leiche sehen.“ Tatsächlich hätte ich lieber einen romantischen Weihnachtsfilm geguckt - wenn nicht im Dezember, wann dann? Aber mich ärgerte es, dass Sabrina immer wieder meine Abneigung gegen jegliche spannenden oder brutalen Filme lächerlich machte. „Natürlich habe ich nichts dagegen. Von mir aus können wir den Film gerne sehen“, erwiderte ich schnippisch. „Okay, dann let's go.“ Fröhlich zog Olivia uns hinter sich her zur Kasse.

Tatsächlich war der Film nicht so schlimm gewesen, wie ich erwartet hatte. Trotzdem ärgerte mich, dass ich mich vorhin wieder nicht verteidigt hatte. Auf der Busfahrt zurück nach Hause wartete ich, bis Olivia ausgestiegen war. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und drehte mich zu Sabrina um. „Ich fand das eben nicht besonders nett von dir“, begann ich zögernd. Verwirrt hob Sabrina den Kopf. „Was meinst du?“ „Dein Verhalten im Kino“, half ich ihr auf die Sprünge. Weil sie nichts antwortete, fügte ich hinzu: „Du machst dich ständig darüber lustig, dass ich alle Filme zu spannend fände. Ich finde das aber überhaupt nicht witzig. Außerdem...“ Genau wie eben fiel mir Sabrina ins Wort: „Aber...“ „Jetzt hör mir erst mal richtig zu! Die Situation im Kino war kein Einzelfall. Besonders in letzter Zeit kommentierst du mich, egal, was ich sage oder tue. Und das machst du nicht humorvoll, sondern meistens ziemlich gemein.“ Aufatmend ließ ich mich nach hinten gegen die Sitzlehne sinken. Erleichterung durchströmte mich. „Aber das war doch alles nur Spaß“, verteidigte sich Sabrina. „Du bist einfach total empfindlich, die anderen in der Schule finden so etwas doch auch nicht schlimm.“ „Mich verletzt dein Verhalten aber trotzdem. Wenn du das lustig findest, dann such dir doch jemand anderen, der mit dir über deine Späße lachen kann.“ „Du stellst dich echt an.“ Mit diesen Worten drehte sich Sabrina um und stieg an ihrer Haltestellte aus.

Auf dem Weg nach Hause fing es leicht an zu schneien. Immer mehr weiße Flocken fielen vom Himmel und ein Lächeln legte sich auf mein Gesicht. Endlich hatte ich mich getraut, jemandem meine Meinung zu sagen und hatte nicht versucht, das Problem zu verdrängen. In Zukunft würde ich das auch bei Streitereien mit meinen Eltern probieren. Denn Weglaufen war keine Lösung.

Laudatio auf die Erzählung von Hanna Friedrich

Franziska Lienaerts

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