Norden und Süden - Elizabeth Gaskell - E-Book

Norden und Süden E-Book

Elizabeth Gaskell

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Beschreibung

Der wunderschöne viktorianische Klassiker liebevoll und zeitgemäß übersetzt: Nachdem ihr Vater der Kirche Englands aus Gewissensgründen den Rücken gekehrt hat, ist die junge und behütet aufgewachsene Margaret Hale gezwungen, mit ihrer Familie vom idyllischen Süden in den industriell geprägten Norden des Landes zu übersiedeln. Sie freundet sich rasch mit dem gewerkschaftlich engagierten Weber Nicholas Higgins an und ist zutiefst schockiert ob des ständig schwelenden Konflikts zwischen den ausgebeuteten Industriearbeitern und den wohlhabenden Baumwollfabrikanten. Schon bald gerät die dickköpfige Margaret mit dem jungen und charismatischen Spinnereibesitzer John Thornton aneinander, der all das verkörpert, was sie abgrundtief verabscheut: die Industrie, die Macht des Geldes und das aufstrebende Händlertum. Trotz ihrer spröden Art verliebt er sich in sie. Als im August ein Generalstreik die Stadt lahmlegt und Margarets Mutter schwer erkrankt, werden sie hineingezogen in den Strudel der Ereignisse... Wird es ihnen gelingen, über ihren eigenen Schatten zu springen und zueinanderzufinden? Inklusive der Antwort auf die wohl brennendste aller Fragen: Wer war der echte John Thornton und wie verlief sein Leben?

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Diese Übersetzung widme ich

meinem Großvater Franz und meiner Großmutter Martha,

beide Zeit ihres Lebens Arbeiter in einer lokalen Papierfabrik,

in der die „Hülsen“ für die Pottendorfer Spinnerei hergestellt wurden,

sowie meiner Mutter Martha,

lange Zeit Arbeiterin in der metallverarbeitenden Industrie.

Wie schön die Vergangenheit auch immer gewesen sein mag

und wie sehr wir es uns auch immer wünschen mögen,

es führt kein Weg zurück.

Aber manchmal holt die Vergangenheit uns ein

und lehrt uns, unsere Zukunft anzupacken.

Die Übersetzerin

Elizabeth Cleghorn Gaskell

Norden und Süden

Illustrierte Sonderausgabe

Übersetzung aus dem Englischen von Roswitha Geyss Februar-Juni 2014

Einschließlich des Nachworts

„Leben und Werk der Elizabeth C. Gaskell“

Und der historischen Abhandlung

„Die K. k. Privilegierte Garnmanufakturgesellschaft Pottendorf

oder

Wer war der echte John Thornton?“

www.tredition.de

Titel der englischen Originalausgabe: North and South

(Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Household Words, 1854-55)

© 2015 Mag. Roswitha Geyss

Umschlag, Illustration: Mag. Roswitha Geyss

Lektorat, Korrektorat: Mag. Roswitha Geyss

Übersetzung: Mag. Roswitha Geyss

[email protected]

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-7323-5650-8

Hardcover

978-3-7323-5651-5

e-Book

978-3-7323-5652-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT ZUR ERSTEN BUCHAUSGABE

KAPITEL I - „Hochzeitsgalopp“

KAPITEL II - Rosen und Dornen

KAPITEL III - „Blinder Eifer schadet nur“

KAPITEL IV - Zweifel und Schwierigkeiten

KAPITEL V - Entscheidung

KAPITEL VI - Abschied

KAPITEL VII - Neue Orte und Gesichter

KAPITEL VIII - Heimweh

KAPITEL IX - Ankleiden für den Tee

KAPITEL X - Schmiedeeisen und Gold

KAPITEL XI - Erste Eindrücke

KAPITEL XII - Morgendliche Besuche

KAPITEL XIII - Eine leichte Brise an einem schwülen Ort

KAPITEL XIV - Die Meuterei

KAPITEL XV - Herren und Männer

KAPITEL XVI - Der Schatten des Todes

KAPITEL XVII - Was ist ein Streik?

KAPITEL XVIII - Gefallen und Missfallen

KAPITEL XIX - Besuche eines Engels

KAPITEL XX - Männer und Gentlemen

KAPITEL XXI - Die dunkle Nacht

KAPITEL XXII - Ein Schlag und seine Folgen

KAPITEL XXIII - Fehler

KAPITEL XXIV - Bereinigte Fehler

KAPITEL XXV - Frederick

KAPITEL XXVI - Mutter und Sohn

KAPITEL XXVII - Fruchtstück

KAPITEL XXVIII - Trost im Kummer

KAPITEL XXIX - Ein Sonnenstrahl

KAPITEL XXX - Endlich zu Hause

KAPITEL XXXI - „Sollte denn alte Bekanntschaft vergessen sein?“

KAPITEL XXXII - Unglücksfälle

KAPITEL XXXIII - Frieden

KAPITEL XXXIV - Falsch und Richtig

KAPITEL XXXV - Sühne

KAPITEL XXXVI - Einigkeit macht nicht immer stark

KAPITEL XXXVII - Blick südwärts

KAPITEL XXXVIII - Gehaltene Versprechen

KAPITEL XXXIX - Freundschaft schließen

KAPITEL XL - Verstimmt

KAPITEL XLI - Das Ende der Reise

KAPITEL XLII - Alleine! Alleine!

KAPITEL XLIII - Margarets Umzug

KAPITEL XLIV - Behaglichkeit, nicht Frieden

KAPITEL XLV - Nicht ganz ein Traum

KAPITEL XLVI - Einst und Jetzt

KAPITEL XLVII - Etwas fehlt

KAPITEL XLVIII - „Niemals wieder zu finden“

KAPITEL XLIX - Ruhe atmen

KAPITEL L - Veränderungen in Milton

KAPITEL LI - Wiedersehen

KAPITEL LII - „Schieb die Wolken beiseite“

Leben und Werk der Elizabeth C. Gaskell

Die K. k. Privilegierte Garnmanufakturgesellschaft Pottendorf oder wer war der echte John Thornton?

Die Vision

Die Gründung der „K. k. Privilegierten Pottendorfer Garnmanufaktur-Gesellschaft“

Die Legende

Eine Vision nimmt Gestalt an

Mary Parisot

Die Arbeit – ein Kinderspiel?

Annäherungen

Kantinenwesen

Chartisten und Gewerkschaften

Krankenversicherung

Bewegte Zeiten – bewegtes Leben

Zerrüttung und Ende

Danke!

Selbst wenn die Welt in Scherben fällt

Das Schicksal meine Flügel bricht,

Wird mir nicht bang ums Herz, noch gelt

Urteil unausgegor’n für mich.

Es wallet Whigs und Tories Blut;

Herrscht Gegenwind beizeiten;

Damit’s wahrhaftig wird und gut

Zusammen wir arbeiten.1

1     Aus Alfred Tennyson (1809-1892), Will Waterproofs Lyrical Monologue, Erstfassung 1842, letzte Änderung 1853. Dieses Gedicht war der ersten Veröffentlichung (1854-55) der Erzählung in Charles Dickens wöchentlich erscheinender Zeitschrift Household Words als Epigraph vorangestellt. Whig und Tory stellen zwei unterschiedliche politische Strömungen im britischen Parlament dar. Die Whig-Partei kristallisierte sich im Laufe der Jahre zu einer starken liberalen Kraft heraus, die sich hauptsächlich auf das Bürgertum und die Kaufleute stützte; die Tories gelten als Vorläufer der konservativen Partei. Die Epigraphe der Kapitel sind sehr unterschiedlichen Ursprungs. Es ist anzunehmen, dass jene Epigraphe, die mit „anonym“ gekennzeichnet sind, von Elizabeth Gaskell selbst stammen.

VORWORT ZUR ERSTEN BUCHAUSGABE

Bei ihrem ersten Erscheinen in der Zeitschrift Household Words war diese Erzählung genötigt, sich jenen Bedingungen zu unterwerfen, welche von den Erfordernissen einer wöchentlichen Veröffentlichung diktiert werden, und musste sich daher auf gewisse angekündigte Grenzen beschränken, um der Leserschaft die Treue zu halten. Obwohl diese Grenzen so leicht wie nur irgend möglich gestaltet wurden, sah sich die Autorin außerstande, die Geschichte in der ursprünglich beabsichtigten Weise zu entwickeln, und sah sich im Besonderen dazu gezwungen, die Ereignisse gegen Ende mit einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit voranzutreiben. In gewissem Maße, um diesem groben Mangel abzuhelfen, wurden zahlreiche kurze Passagen eingeschoben und einige neue Kapitel hinzugefügt. Mit dieser kurzen Erklärung wird diese Erzählung nun dem Wohlwollen des Lesers überantwortet,

Indem wir ihn demütig ersuchen, Nachsicht und Gnade walten zu lassen,

Und Mitleid zu haben mit ihrer groben Machart.

KAPITEL I - „Hochzeitsgalopp“2

„Umworben, vermählt und so fort.“3

„Edith!“, sagte Margaret sanft. „Edith!“

Doch wie Margaret schon fast vermutete, war Edith eingeschlafen. Sie lag zusammengerollt auf dem Sofa im rückwärtigen Salon in der Harley Street und sah sehr bezaubernd aus in ihrem weißen Musselinkleid und den blauen Schleifen. Wenn Titania4 jemals ein weißes Musselinkleid und blaue Schleifen getragen hätte und auf einem purpurnen Damastsofa in einem rückwärtigen Salon eingeschlafen wäre, hätte man Edith mit ihr verwechseln können. Margaret war aufs Neue von der Schönheit ihrer Cousine überrascht. Seit ihrer Kindheit waren beide zusammen aufgewachsen, und immer wieder hatten alle Ediths hübsches Aussehen mit bewundernden Worten bedacht – ausgenommen Margaret; aber Margaret hatte daran nie auch nur einen Gedanken verschwendet, außer während der letzten paar Tage, als die Aussicht, ihre Gefährtin bald zu verlieren, jede süße Eigenschaft und jeden Liebreiz, die Edith besaß, zu verstärken schien. Sie hatten über Hochzeitskleider und Trauzeremonien gesprochen; und Captain Lennox und was er Edith über ihr zukünftiges Leben auf Korfu5 erzählt hatte, wo sein Regiment stationiert war; und über die Schwierigkeit, ein Klavier gut gestimmt zu halten (eine Schwierigkeit, die Edith als eine der gewichtigsten zu betrachten schien, die sie in ihrem Eheleben erwarten würden), und welche Kleider sie für die Besuche in Schottland, die unmittelbar nach ihrer Hochzeit stattfinden sollten, benötigen würde; aber der Flüsterton war in letzter Zeit schläfriger geworden; und nach einer Pause von einigen Minuten stellte Margaret fest, dass Edith sich – trotz des Stimmengewirrs im Nebenzimmer – zu einer weichen Kugel aus Musselin und Schleifen und seidenen Locken zusammengerollt hatte und in ein friedliches Nachmittagsschläfchen gesunken war.

Margaret war drauf und dran gewesen, ihrer Cousine einige der Pläne und Vorstellungen zu schildern, die sie für ihr zukünftiges Leben in der Landpfarrei unterhielt, wo ihr Vater und ihre Mutter lebten; und wo sie stets ihre in den leuchtendsten Farben strahlenden Ferien verbracht hatte, obwohl während der letzten zehn Jahre das Haus ihrer Tante Shaw als ihr Zuhause gegolten hatte. Doch in Ermangelung eines Zuhörers musste sie nun über die Veränderungen in ihrem Leben wie auch bisher schon still nachsinnen. Es war eine glückliche Grübelei, obschon gefärbt durch das Bedauern, für eine unbestimmte Zeit von ihrer liebenswerten Tante und teuren Cousine getrennt zu sein. Während sie an die Wonne dachte, die wichtige Position der einzigen Tochter in der Pfarrei von Helstone auszufüllen, drangen Bruchstücke des im Nebenraum stattfindenden Gesprächs an ihr Ohr. Ihre Tante Shaw sprach zu den fünf oder sechs Damen, die zum Abendessen gekommen waren und deren Ehemänner sich noch immer im Esszimmer aufhielten. Es handelte sich um die altbekannten Vertrauten des Hauses; Nachbarn, die Mrs. Shaw als Freunde bezeichnete, weil sie zufälligerweise mit ihnen öfter zu Abend aß als mit irgendwelchen anderen Leuten, und weil sie – im Falle, dass sie oder Edith irgendetwas von ihnen benötigte (oder auch umgekehrt) – keine Scheu kannten, dem anderen Haus noch vor dem Mittagessen einen Besuch abzustatten. Diese Damen und ihre Ehemänner waren eingeladen, in ihrer Eigenschaft als Freunde an einem Abschiedsmahl zu Ehren von Ediths bevorstehender Hochzeit teilzunehmen. Edith hätte sich diesem Arrangement lieber widersetzt, denn just an diesem Abend wurde Captain Lennox erwartet, der mit einem späten Zug eintreffen sollte; doch obgleich sie ein verwöhntes Kind war, war sie doch zu unbekümmert und träge, um einen sehr starken eigenen Willen zu besitzen, und gab nach, als sie herausfand, dass ihre Mutter bereits fix jene außerordentlichen Köstlichkeiten der Saison geordert hatte, von denen man stets annimmt, dass sie wirksam gegen maßlosen Kummer bei Abschiedsessen wirken. Sie gab sich damit zufrieden, sich auf ihrem Stuhl zurückzulehnen, wobei sie mit dem Essen auf ihrem Teller nur herumspielte, und ernst und abwesend auszusehen; während alle anderen um sie herum die Bonmots von Mr. Grey genossen, des Gentleman, der bei Mrs. Shaws Abendgesellschaften immer am Tischende zu sitzen pflegte, und Edith baten, sie mit etwas Musik im Salon zu erfreuen. Mr. Grey war während dieses Abendessens besonders liebenswürdig, und die Gentlemen blieben länger unten als gewöhnlich. Es war gut, dass sie das taten – gemessen an jenen Gesprächsbruchstücken, die Margaret mitanhörte.

„Ich habe selbst zu viel gelitten; nicht, dass ich nicht überaus glücklich mit dem bedauernswerten teuren General gewesen wäre, aber ein großer Altersunterschied ist doch stets ein Nachteil; einer, von dem ich fest entschlossen war, dass Edith damit nicht in Berührung kommen sollte. Natürlich sah ich es voraus – und das ganz ohne jegliche mütterliche Parteilichkeit – dass das liebe Kind sich früh vermählen würde; tatsächlich hatte ich oft gesagt, dass ich sicher sei, sie würde verheiratet sein, noch bevor sie neunzehn wäre. Ich hatte beinahe eine prophetische Vorahnung, als Captain Lennox“, – und hier dämpfte sie ihre Stimme zu einem Flüstern, aber Margaret konnte die Lücke mühelos auffüllen. In Ediths Fall hatte die wahre Liebe einen bemerkenswert reibungslosen Verlauf genommen. Mrs. Shaw hatte – wie sie es ausdrückte – ihrer Vorahnung nachgegeben und beinahe schon auf die Heirat gedrängt, obwohl sie hinter jenen Erwartungen zurückblieb, die viele von Ediths Bekannten für sie, eine junge und hübsche Erbin, gehegt hatten. Aber Mrs. Shaw meinte, ihr einziges Kind solle aus Liebe heiraten – und seufzte bezeichnend, so wäre Liebe nicht ihr Grund für ihre Hochzeit mit dem General gewesen. Mrs. Shaw genoss die romantischen Seiten der derzeitigen Verlobungsphase fast noch mehr als ihre Tochter. Nicht, dass Edith nicht Hals über Kopf verliebt gewesen wäre; dennoch hätte sie sicherlich ein gutes Haus in Belgravia6 all der malerischen Schönheit des Lebens auf Korfu, das Captain Lennox beschrieb, vorgezogen. Eben jene Passagen, die Margaret erglühen ließen, als sie zuhörte, ließen Edith, wie sie behauptete, frösteln und erschaudern; teils wegen des Vergnügens, das es ihr bereitete, aus ihrer ablehnenden Haltung von ihrem ergebenen Liebsten herausgelockt zu werden, und teils weil alles an einem Zigeunerleben oder einer behelfsmäßigen Lebensweise ihr wirklich zuwider war. Doch wäre jemand anderer dahergekommen mit einem schönen Haus und schönen Ländereien und einem schönen Titel noch dazu, so hätte Edith noch immer an Captain Lennox festgehalten, solange die Versuchung andauerte; wenn sie vorüber gewesen wäre, hätte es durchaus sein können, dass sie kleine Anwandlungen von unverhohlenem Bedauern verspürt hätte, dass Captain Lennox in seiner Person nicht alles Wünschenswerte vereinen konnte. In solchen Dingen war sie ganz die Tochter ihrer Mutter; die, nachdem sie aus freien Stücken General Shaw aus keinem wärmeren Gefühl heraus als Respekt für seinen Charakter und seine gesellschaftliche Stellung geheiratet hatte, ständig, obgleich im Stillen, ihr hartes Los beklagt hatte, mit einem Mann im heiligen Stand der Ehe verbunden zu sein, den sie nicht lieben konnte.

„Ich habe keine Kosten für ihre Aussteuer gescheut“, waren die nächsten Worte, die Margaret hörte. „Sie hat all die schönen indischen Schals und Stolen, die der General mir geschenkt hat, die ich aber nie wieder tragen werde.“

„Sie ist ein glückliches Mädchen“, antwortete eine andere Stimme, die Margaret Mrs. Gibson zuordnen konnte, einer Dame, die doppeltes Interesse an dem Gespräch hatte, da eine ihrer Töchter erst vor wenigen Wochen vermählt worden war. „Helen hatte sich in einen indischen Schal verliebt, aber ganz ehrlich, als ich erfuhr, was für ein extravaganter Preis dafür verlangt würde, war ich genötigt, ihn ihr zu verwehren. Sie wird sehr neidisch sein, wenn sie hört, dass Edith indische Schals hat. Welcher Machart sind sie? Aus Delhi? Mit diesen entzückenden schmalen Borten?“

Margaret hörte wieder die Stimme ihrer Tante, aber nun klang sie, als hätte sie sich aus ihrer halb liegenden Position erhoben und lugte in den schwach erleuchteten rückwärtigen Salon. „Edith! Edith!“, rief sie; und ließ sich dann wieder zurücksinken, so als wäre sie von der Anstrengung erschöpft.

Margaret trat näher.

„Edith schläft, Tante Shaw. Kann ich irgendetwas tun?”

Als sie diese erschütternde Neuigkeit über Edith erfuhren, riefen die Damen wie aus einem Mund: „Armes Kind“; und das winzige Schoßhündchen auf Mrs. Shaws Arm begann zu bellen, als ob es von diesem Ausbruch des Bedauerns aufgescheucht worden wäre.

„Still, Tiny! Du unartiges kleines Ding! Du wirst noch dein Frauchen aufwecken. Ich wollte Edith nur darum bitten, Newton zu sagen, sie solle ihre Schals herunterbringen. Vielleicht würdest du gehen, meine liebste Margaret?“

Margaret ging in die alte Kinderstube hinauf, die ganz oben im Haus lag und wo Newton gerade emsig damit beschäftigt war, einige Spitzen auszubessern, die für die Hochzeit benötigt wurden. Während Newton (nicht ohne ein leises Murren) losging, um die Schals hervorzuholen, die an diesem Tag nun schon vier- oder fünfmal vorgeführt worden waren, ließ Margaret ihren Blick in der Kinderstube umherschweifen; dem ersten Raum in diesem Haus, mit dem sie neun Jahre zuvor Bekanntschaft geschlossen hatte, als sie gänzlich ungezähmt aus dem Wald hierhergebracht worden war, um am Heim, am Spiel und am Unterricht ihrer Cousine Edith teilzuhaben. Sie erinnerte sich an die dunkel und düster wirkende Londoner Kinderstube, über die eine gestrenge und förmliche Kinderfrau wachte, die schrecklich penibel war, wenn es um saubere Hände und zerrissene Kleider ging. Sie erinnerte sich an die erste Teestunde hier oben – getrennt von ihrem Vater und ihrer Tante, die irgendwo, unendlich viele Treppenstufen tiefer unten, zu Abend aßen; denn falls sie sich selbst nicht hoch droben im Himmel befand (wie sie als Kind dachte), so mussten sie wohl tief drunten im Bauch der Erde sein. Zu Hause – bevor sie hergekommen war, um in der Harley Street zu leben – war das Ankleidezimmer ihrer Mutter ihre Kinderstube gewesen; und da sie in der Landpfarrei zeitig zu Bett gingen, hatte Margaret ihre Mahlzeiten stets mit ihrem Vater und ihrer Mutter eingenommen. Oh! Wie gut erinnerte sich das vornehme, hochgewachsene Mädchen von achtzehn Jahren noch an die Tränen, welche das kleine neunjährige Mädchen, das Gesicht unter dem Bettzeug verborgen, in solch wildem, leidenschaftlichem Kummer in jener ersten Nacht vergossen hatte; und daran, wie die Kinderschwester ihr aufgeboten hatte, nicht so zu weinen, da dies Miss Edith stören würde; und wie sie genauso bitterlich, wenn auch leiser, weitergeweint hatte, bis ihre beeindruckende, hübsche Tante, die sie gerade erst kennengelernt hatte, behutsam mit Mr. Hale nach oben gekommen war, um ihm seine schlafende kleine Tochter zu zeigen. Dann hatte die kleine Margaret ihr Schluchzen unterdrückt und versucht, so still dazuliegen, als ob sie schliefe, aus Angst, ihren Vater unglücklich zu machen durch ihren Kummer, den sie vor ihrer Tante nicht zu zeigen wagte und von dem sie glaubte, dass es falsch sei, ihn überhaupt zu empfinden nach dem langen Hoffen und Planen und Vorbereiten, das sie zu Hause durchlebt hatten, bis ihre Garderobe so ausgestattet werden konnte, dass diese ihren vornehmeren Lebensumständen entsprach, und bis Papa seine Pfarrei verlassen konnte, um nach London hinaufzufahren – und sei es auch nur für ein paar Tage.

Nun hatte sie die alte Kinderstube lieb gewonnen, obwohl sie nur mehr ein unbewohnter Raum war; und sie blickte sich darin um und empfand bei der Vorstellung, sie für immer in drei Tagen zu verlassen, das flüchtige Bedauern einer Katze.

„Ach, Newton!“, sagte sie. „Ich denke, wir werden es alle bedauern, dieses alte Zimmer, das uns so sehr ans Herz gewachsen ist, nun zu verlassen.“

„Nun ja Miss, ich für meinen Teil kann sagen, dass sich mein Bedauern in Grenzen hält. Meine Augen sind nicht mehr so gut, wie sie es einmal waren, und das Licht ist hier so schlecht, dass ich nur direkt beim Fenster genug sehe, um die Spitzen zu flicken, aber dort zieht es immer so fürchterlich – so sehr, dass man zu erfrieren glaubt.“

„Nun, ich wage zu sagen, dass es dir in Neapel sowohl an gutem Licht als auch an Wärme nicht mangeln wird. Du musst dir so viel von deiner Stopfarbeit, wie du nur immer kannst, bis dahin aufheben. Danke Newton, ich kann sie hinuntertragen – du bist beschäftigt.“

So ging Margaret beladen mit Schals hinunter und atmete ihren würzigen fernöstlichen Geruch ein. Ihre Tante bat sie, sich als eine Art Schneiderpuppe hinzustellen, damit sie diese an ihr vorführen konnte, da Edith noch immer schlief. Niemand dachte darüber nach; aber Margarets hochgewachsene, wohlproportionierte Gestalt in dem schwarzen Seidenkleid, das sie als Trauerbezeugung für einen entfernten Verwandten ihres Vaters trug, brachten die langen, schönen Falten der herrlichen Schals erst so richtig zur Geltung, die Edith beinahe erdrückt hätten. Margaret stand aufrecht direkt unter dem Kronleuchter, ziemlich still und passiv, während ihre Tante den Faltenwurf zurechtzupfte. Gelegentlich, wenn sie herumgedreht wurde, erhaschte sie einen Blick auf sich selbst im Spiegel über dem Kamin und lächelte ihrer eigenen Gestalt zu – die vertrauten Züge in den üblichen Gewändern einer Prinzessin. Sanft berührte sie die Schals, wie sie so an ihr herabhingen, erfreute sich an ihrer weichen Oberfläche und den leuchtenden Farben und fand beinahe Gefallen daran, so prachtvoll gekleidet zu sein – sie genoss es, wie ein Kind das tun würde, mit einem wortlosen, zufriedenen Lächeln auf ihren Lippen. Just in diesem Moment öffnete sich die Tür, und Mr. Henry Lennox wurde unvermittelt angekündigt. Einige der Damen fuhren hoch, fast so, als seien sie beschämt ob ihres weiblichen Interesses für Kleidung. Mrs. Shaw streckte dem Neuankömmling ihre Hand entgegen; Margaret stand vollkommen reglos da, da sie dachte, sie werde noch als eine Art Ständer für die Schals benötigt; gleichzeitig aber warf sie Mr. Lennox einen fröhlichen und amüsierten Blick zu, so als hätte sie nicht den geringsten Zweifel daran, dass er mit ihr mitfühlte, weil sie in einer so albernen Pose überrascht worden war.

Ihre Tante war so damit beschäftigt, Mr. Henry Lennox – dem es nicht möglich gewesen war, am Abendessen teilzunehmen – alle nur erdenklichen Fragen über seinen Bruder, den Bräutigam, seine Schwester, die Brautjungfer (die für den feierlichen Anlass mit dem Captain aus Schottland anreisen würde), und verschiedene andere Mitglieder der Familie Lennox zu stellen, dass Margaret sah, dass sie nun nicht mehr länger als Schalträgerin benötigt wurde, und sich der Unterhaltung der anderen Gäste widmete, die ihre Tante für den Augenblick vergessen hatte. Fast augenblicklich verließ Edith den rückwärtigen Salon und gesellte sich zu ihnen, wobei sie aufgrund des helleren Lichts zwinkerte und blinzelte, ihre leicht zerzausten Locken zurückwarf und alles in allem aussah wie Dornröschen, das gerade aus seinen Träumen gerissen worden war. Sogar in ihrem Schlummer hatte sie instinktiv gespürt, dass ein Lennox es wert war, dass sie für ihn aufwachte; und sie hatte ihm viele Fragen zu stellen über die teure Janet, die zukünftige, bislang noch unbekannte Schwägerin, für die sie schon so viel Zuneigung bekundete, dass Margaret – wäre sie nicht so stolz gewesen – auf diese unbeteiligte Nebenbuhlerin beinahe hätte eifersüchtig werden können. Nachdem ihre Tante in die Unterhaltung eingestimmt hatte, rückte Margaret immer mehr in den Hintergrund, und sie bemerkte, dass Henry Lennox seinen Blick auf einen leeren Stuhl in ihrer Nähe richtete; und sie wusste nur zu gut, dass er, sobald Edith ihn aus ihrem Verhör entlassen hätte, diesen Stuhl in Beschlag nehmen würde. Der Bericht ihrer Tante über seine anderweitigen Verpflichtungen war etwas konfus ausgefallen, und daher war sie sich nicht ganz sicher gewesen, ob er ihnen an diesem Abend seine Aufwartung machen würde; es war beinahe eine Überraschung, ihn nun hier zu sehen, und sie war sich nun eines angenehmen Abends gewiss. Er hegte Vorlieben und Abneigungen für fast genau dieselben Dinge wie sie. Margarets Gesicht war von einem ehrlichen, offenen Strahlen erleuchtet. Nach und nach kam er näher. Sie empfing ihn mit einem Lächeln, das nicht einen Hauch von Schüchternheit oder Verlegenheit an sich hatte.

„Nun, ich nehme an, Sie sind alle ganz in Ihre Beschäftigung versunken – die Beschäftigung, der Damen nachgehen, meine ich. Nicht zu verwechseln mit meiner Beschäftigung, mit der das reale und wirkliche Rechtsanwaltshandwerk gemeint ist. Das Spielen mit Schals ist eine gänzlich andere Arbeit als das Ausarbeiten von Vereinbarungen.“

„Ah, ich habe doch gleich gewusst, wie sehr es Sie amüsieren würde, uns alle dabei zu ertappen, wie wir hübschen Firlefanz bewundern. Aber echte indische Schals sind perfekte Vertreter ihrer Gattung.“

„Ich zweifle nicht daran. Auch ihr Preis ist überaus perfekt. Er lässt nichts zu wünschen übrig.“

Die Gentlemen kamen nun einer nach dem anderen herein, und das Stimmengewirr wurde tiefer.

„Das ist ihre letzte Abendgesellschaft, nicht wahr? Bis Donnerstag gibt es keine weiteren?“

„Nein. Ich denke, nach diesem Abend werden wir uns der Ruhe hingeben, was ich gewiss seit Wochen nicht mehr getan habe; zumindest jener Art von Ruhe, wenn die Hände nichts mehr zu tun haben und alle Vorkehrungen getroffen sind für ein Ereignis, das einem den Kopf und das Herz in Anspruch nimmt. Ich werde froh sein, Zeit zum Nachdenken zu haben, und ich bin mir sicher, Edith geht es genauso.“

„Was sie betrifft, so bin ich mir da nicht sicher; aber ich kann mir gut vorstellen, dass Sie es sein werden. Wann immer ich Sie in letzter Zeit gesehen habe, wurden Sie von einem Wirbelwind mitgerissen, den jemand anderer verursacht hatte.“

„Ja“, sagte Margaret in einem ziemlich traurigen Tonfall, als sie sich an die nicht enden wollende Aufregung um Lappalien erinnerte, die nun schon seit über einem Monat andauerte. „Ich frage mich, ob einer Hochzeit immer ein – wie Sie es nennen – Wirbelwind vorausgehen muss, oder ob in manchen Fällen die Zeit davor nicht auch ruhig und friedlich verlaufen kann.“

„Zum Beispiel, indem Aschenputtels gute Fee die Aussteuer und das Hochzeitsfrühstück bestellt und die Einladungen verfasst“, sagte Mr. Lennox lachend.

„Aber sind all diese Mühen denn wirklich unbedingt notwendig?“, fragte Margaret und blickte in Erwartung seiner Antwort zu ihm auf. Ein Gefühl von unbeschreiblicher Müdigkeit angesichts all dieser Vorkehrungen, die nur auf einen hübschen Zweck abzielten und über die Edith in den vergangenen sechs Wochen die Oberhoheit gehabt hatte, bedrückte sie gerade jetzt; und sie sehnte sich nach jemandem, der ihr zu ein paar vergnüglichen, ruhigen Gedanken in Zusammenhang mit einer Hochzeit verhelfen konnte.

„Oh, gewiss doch“, antwortete er, und seine Stimme klang nun ernsthafter.

„Es gibt Konventionen und Zeremonien, die eingehalten werden müssen, nicht so sehr zum eigenen Vergnügen, sondern um der Welt den Mund zu stopfen, denn wenn man sie nicht zum Schweigen brächte, könnte man bei weitem nicht so unbeschwert durchs Leben gehen. Aber wie würden Sie denn eine Hochzeit ausrichten?“

„Oh, darüber habe ich noch nie ernsthaft nachgedacht; es sollte mir aber gefallen, wenn es ein sehr schöner Sommermorgen wäre; und ich würde gerne im Schatten der Bäume zu Fuß zur Kirche gehen; und nicht so viele Brautjungfern haben – und kein Hochzeitsfrühstück. Ich wage zu sagen, ich entscheide mich gerade gegen jene Dinge, die mir in letzter Zeit die meiste Mühe bereitet haben.“

„Nein, das glaube ich nicht. Die Vorstellung von würdevoller Bescheidenheit passt vortrefflich zu Ihrem Charakter.“

Seine Art zu reden mochte Margaret nicht so recht gefallen; sie scheute umso mehr davor zurück, da sie sich an frühere Gelegenheiten erinnerte, bei denen er versucht hatte, sie in eine Diskussion (in deren Verlauf er ihr Komplimente gemacht hatte) über ihren Charakter und ihre Vorgangsweisen zu verwickeln. Sie schnitt ihm das Wort ab, indem sie sagte:

„Für mich ist es nur natürlich, an die Kirche von Helstone zu denken und an den Fußweg, der zu ihr führt, anstatt mir vorzustellen, wie ich in einer Kutsche über eine gepflasterte Straße zu einer Londoner Kirche chauffiert werde.“

„Erzählen Sie mir von Helstone. Sie haben es mir nie beschrieben. Ich hätte gerne eine Vorstellung von dem Ort, an dem Sie leben werden, wenn das Haus Nr. Sechsundneunzig in der Harley Street düster und schmutzig und öde und versperrt aussehen wird. Zunächst einmal: Ist Helstone ein Dorf oder eine Stadt?“

„Oh, es ist nur ein kleiner Weiler; ich glaube nicht, dass ich es überhaupt als Dorf bezeichnen könnte. Da ist zum einen die Kirche; und zum anderen stehen da auf der Wiese ganz in ihrer Nähe ein paar Häuser – oder eher kleine Landhäuschen – die ganz von Rosen überwuchert sind.“

„Und die das ganze Jahr über blühen, besonders zur Weihnachtszeit – vervollständigen Sie ruhig Ihr Bild“, meinte er.

„Nein“, antwortete Margaret etwas verstimmt. „Ich bin nicht dabei, irgendein Bild zu malen. Ich versuche nur, Helstone so zu beschreiben, wie es auch wirklich ist. Sie hätten das nicht sagen sollen.“

„Ich bin reumütig“, antwortete er. „Nur klang es wirklich eher nach einem Dorf in einem Märchen als im wirklichen Leben.“

„Und das ist auch richtig so“, antwortete Margaret bereitwillig. „Alle anderen Orte in England, die ich gesehen habe, wirken so hart und nüchtern, verglichen mit dem New Forest. Helstone ist wie ein Dorf in einem Gedicht – in einem von Tennysons Gedichten7. Aber ich werde nicht mehr versuchen, es zu beschreiben. Sie würden mich nur auslachen, wenn ich Ihnen erzählen würde, wie es mir erscheint – wie es wirklich ist.“

„Das würde ich gewiss nicht tun. Aber ich sehe schon, Ihr Entschluss steht fest. Nun, dann erzählen Sie mir doch von dem, was ich noch lieber wüsste: wie die Pfarrei aussieht.“ „Oh, ich kann mein Zuhause nicht beschreiben. Es ist mein Heim, und ich kann seinen Liebreiz nicht in Worte fassen.“

„Ich ergebe mich. Sie sind ziemlich streng heute Abend, Margaret.“

„Wie das?“, entgegnete sie, indem sie ihre großen, sanften Augen direkt auf ihn richtete. „Ich war mir dessen nicht bewusst.“

„Nun ja, nur weil ich eine unglückliche Bemerkung gemacht habe, wollen Sie mir weder beschreiben, wie Helstone ist, noch möchten Sie mir etwas über ihr Zuhause erzählen, obwohl ich Ihnen versichert habe, wie gerne ich von diesen beiden Orten hören würde, besonders von letzterem.“

„Aber ich kann Ihnen wirklich nicht von meinem Heim erzählen. Ich glaube nicht, dass dies ein Thema ist, über das wir reden können, solange Sie es nicht kennen.“

„Nun, dann“, – und hier hielt er für einen Moment inne –, „erzählen Sie mir doch, was Sie dort tun werden. Hier lesen Sie, oder Sie haben Unterricht oder verbessern anderweitig Ihren Geist, bis es Mittag wird; vor dem Mittagessen machen Sie einen Spaziergang, im Anschluss daran eine Kutschfahrt mit Ihrer Tante, und am Abend kommen Sie irgendeiner gesellschaftlichen Verpflichtung nach. Nun füllen Sie Ihren Tag in Helstone aus. Werden Sie hoch zu Ross sitzen, mit der Kutsche fahren oder zu Fuß gehen?“

„Zu Fuß gehen, ganz sicher. Wir haben kein Pferd, nicht einmal für Papa. Er geht zu Fuß bis ans andere Ende der Pfarrei. Die Spaziergänge sind so wunderschön, dass es eine Schande wäre zu fahren – fast schon eine Schande zu reiten.“

„Werden Sie sich viel im Garten betätigen? Das ist – glaube ich – eine geeignete Beschäftigung für junge Damen auf dem Lande.“

„Ich weiß nicht. Ich fürchte, es würde mir nicht gefallen, so harte Arbeit zu verrichten.“

„Partys mit Bogenschießen – Picknicks – Bälle anlässlich eines Wettreitens oder einer Jagd?“

„Oh nein!“, sagte sie lachend. „Papas Pfarrei ist nur sehr klein; und selbst, wenn solche Zerstreuungen in unserer Nachbarschaft stattfänden, bezweifle ich, dass ich daran teilnehmen würde.“

„Ich sehe schon, Sie werden mir nichts erzählen. Sie sagen mir nur immer, dass Sie dies oder das nicht tun werden. Ich denke, bevor mein Urlaub vorbei ist, sollte ich Sie besuchen, um zu sehen, womit Sie sich tatsächlich beschäftigen.“

„Ich hoffe, dass Sie das tun werden. Dann werden Sie mit eigenen Augen sehen, wie wunderschön Helstone ist. Jetzt muss ich aber gehen. Edith setzt sich hin, um zu spielen, und ich verstehe gerade eben genug von Musik, um die Seiten für sie umzublättern; und außerdem wird Tante Shaw es nicht gerne sehen, dass wir uns miteinander unterhalten.“

Edith spielte brillant. In der Mitte des Stücks wurde die Tür halb geöffnet, und Edith sah Captain Lennox zögern, ob er eintreten solle. Sie warf ihre Notenblätter hin und rauschte aus dem Zimmer, während sie Margaret verwirrt und errötend zurückließ, um den erstaunten Gästen zu erklären, welche Erscheinung Ediths plötzliche Flucht bewirkt hatte. Captain Lennox war früher als erwartet angekommen; oder war es wirklich schon so spät? Sie sahen auf ihre Uhren, waren gebührend schockiert und nahmen Abschied.

Dann kam Edith, vor Freude glühend, wieder zurück und führte ihren großen, gutaussehenden Captain halb schüchtern, halb stolz ins Zimmer. Sein Bruder schüttelte ihm die Hand, und Mrs. Shaw hieß ihn auf ihre eigene, liebenswert-zuvorkommende Art willkommen, die stets auch etwas Klagendes an sich hatte, was auf ihre lange Gewohnheit, sich als das Opfer einer Vernunftehe zu betrachten, zurückzuführen war. Nun – nach dem Dahinscheiden des Generals – genoss sie alle nur erdenklichen Vorzüge und hatte dabei so wenige Unannehmlichkeiten wie nur irgend möglich, sodass sie ziemlich verdutzt gewesen wäre, eine Angst – wenn nicht gar einen Kummer – zu entdecken. Nichtsdestoweniger hatte sie kürzlich ihre Gesundheit zum Gegenstand ängstlicher Sorge auserkoren; sie litt unter einem nervösen Hüsteln, wann immer sie darüber nachdachte; und ein willfähriger Doktor verschrieb ihr genau das, was sie sich wünschte – einen Winter in Italien. Mrs. Shaw hatte nicht weniger stark ausgeprägte Wünsche wie die meisten anderen Leute auch, aber es hatte ihr noch nie gefallen, irgendetwas aus dem offen zugegebenen Motiv ihres eigenen Wohlgefallens oder Vergnügens heraus zu tun; sie zog es vor, durch die Anweisung oder den Wunsch einer anderen Person dazu angehalten zu sein, sich selbst zufriedenzustellen. Sie überzeugte sich tatsächlich davon, dass sie sich in unnachgiebige äußere Umstände fügte; und so konnte sie die ganze Zeit auf ihre sanfte Weise jammern und sich beklagen, während sie in Wirklichkeit genau das tat, was ihr gefiel.

In diesem Tenor begann sie über ihre eigene Reise mit Captain Lennox zu sprechen, der pflichtschuldig allem, was seine zukünftige Schwiegermutter sagte, zustimmte, während seine Augen Edith suchten, die damit beschäftigt war, den Teetisch aufzuräumen und alle nur erdenklichen Leckereien zu bestellen, trotz seiner Beteuerungen, dass er innerhalb der letzten zwei Stunden zu Abend gegessen hatte.

Mr. Henry Lennox lehnte sich an den Kaminsims, sichtlich amüsiert über diese Familienszene. Er stand in der Nähe seines gutaussehenden Bruders; er war der Unscheinbare in einer ausnehmend gutaussehenden Familie; aber sein Gesicht war intelligent, scharfsinnig und lebhaft; und hie und da fragte sich Margaret, woran er nur denken mochte, während er schwieg, aber ganz offensichtlich – und mit einem Interesse, das leicht sarkastisch anmutete – alles beobachtete, was Edith und sie taten. Das sarkastische Gefühl wurde von Mrs. Shaws Gespräch mit seinem Bruder hervorgerufen; es war getrennt von dem Interesse, das von der Szenerie, die er sah, ihn ihm geweckt wurde. Er empfand den Anblick der beiden Cousinen, wie sie so mit den kleinen Arrangements auf dem Tisch beschäftigt waren, als überaus hübsch. Edith zog es vor, das meiste selbst zu tun. Sie war in einer Stimmung, wo sie es sichtlich genoss, ihrem Liebsten zu zeigen, wie gut sie sich als Gattin eines Soldaten anstellen konnte. Sie fand heraus, dass das Wasser im Kessel kalt war, und bestellte den großen Küchenteekessel; die einzige Folge daraus war, dass dieser, als sie ihn an der Tür entgegennahm und versuchte, ihn selbst hereinzutragen, zu schwer für sie war, und sie kam schmollend wieder herein, mit einem schwarzen Fleck auf ihrem Musselinkleid und ihrer kleinen, rundlichen, weißen Hand, auf der der Henkel einen deutlichen Abdruck hinterlassen hatte und die sie Captain Lennox unter die Nase hielt, gerade so, wie es wohl auch ein verletztes Kind getan hätte, und natürlich war das Heilmittel in beiden Fällen dasselbe. Margarets rasch eingestelltes Spiritusstövchen war die effektivste Vorkehrung, obwohl es nicht so recht zum Zigeunerlager passen wollte, von dem Edith in manchen ihrer Stimmungen glaubte, dass es dem Kasernenleben am nächsten käme.

Nach diesem Abend verfiel alles in hektische Betriebsamkeit, bis die Hochzeit vorüber war.

2     Aus „Hochzeitsgalopp“ (engl. „Haste to the wedding“), einem populären Lied. Es handelt sich dabei um einen schottischen Jig (ein lebhafter Volkstanz), der auch in die irische Tradition übernommen wurde. Die früheste Quellenangabe für diese Melodie befindet sich in James Oswalds Caledonian Pocket Companion, Band 10, S. 8 (London, 1759), wo es „The Small Pin Cushion“ (Das kleine Nadelkissen) genannt wird. Es wird dort kein Komponist angegeben, was bei Oswalds Sammlungen manchmal auch bedeutete, dass er selbst es geschrieben hatte.

3     „Umworben, vermählt und so fort“, Zeile eines Lieds von Joanna Baillie (1762-1851).

4     Titania, Elfenkönigin in Shakespeares Sommernachtstraum.

5     Korfu, eine der Ionischen Inseln, heute Teil Griechenlands, aber von 1815-64 britisches Protektorat.

6     Elegantes Londoner Stadtviertel in der Nähe von Westminster.

7     Viele von Tennysons Gedichten handeln von ländlichen Idyllen. So z.B. „The Day-Dream“ (Der Tagtraum), „The Gardener’s Daughter“ (Die Gärtnerstochter) oder „The Miller’s Daughter“ (Die Müllerstochter).

KAPITEL II - Rosen und Dornen

Auf der Lichtung im Walde, im grünen Lichte so mild,

Auf moosigen Polstern, wo du als Kinde gespielt,

Unterm uralten Baume, durch dessen Blattwerk dein Blick

Sich einst himmelwärts wandte, zum ersten Mal, leicht entrückt.

MRS. HEMANS8

Margaret trug einmal mehr ihr Morgenkleid und befand sich auf der ruhigen Heimreise mit ihrem Vater, der in die Stadt heraufgekommen war, um der Hochzeit beizuwohnen. Ihre Mutter war von einer Fülle fadenscheiniger Gründe zu Hause aufgehalten worden, die niemand wirklich zur Gänze verstand – außer Mr. Hale, der sich dessen vollkommen bewusst war, dass sich alle seine Argumente zugunsten eines grauen Satinkleides, das zwar nicht wirklich altmodisch war, aber auch nicht mehr ganz der Mode entsprach, als unzulänglich erwiesen hatten; und dass sich seine Frau, da er nicht über die nötigen Mittel verfügte, um sie von Kopf bis Fuß neu auszustatten, nicht auf der Hochzeit des einzigen Kindes ihrer einzigen Schwester zeigen würde. Wenn Mrs. Shaw den wahren Grund, warum Mrs. Hale ihren Mann nicht begleitete, erahnt hätte, hätte sie es Kleider auf sie herabregnen lassen; aber es war nun schon fast zwanzig Jahre her, seit Mrs. Shaw die arme, hübsche Miss Beresford gewesen war, und sie hatte in der Tat allen Kummer vergessen – außer dem Unglück, das aus einem großen Altersunterschied in der Ehe entspringt, über welches sie eine halbe Stunde lang lamentieren konnte. Die ihr so teure Maria hatte den Mann ihres Herzens geehelicht, der nur acht Jahre älter war als sie selbst und die Sanftmut in Person, und der dieses blauschwarze Haar hatte, das man so selten sieht. Mr. Hale war einer der erbaulichsten Prediger, denen sie jemals gelauscht hatte, und das perfekte Vorzeigemodell eines Pfarrers. Vielleicht war das nicht wirklich eine logische Schlussfolgerung aus all diesen Prämissen, aber es war dennoch Mrs. Shaws charakteristische Schlussfolgerung, dass sie, wenn sie über das Los ihrer Schwester nachsann, dachte: „Verheiratet aus Liebe – was kann sich die liebste Maria noch auf dieser Welt wünschen?“ Hätte Mrs. Hale die Wahrheit ausgesprochen, so hätte sie mit einer vollständigen Liste antworten können: „Ein Kleid aus silbergraue Glacé-Seide, eine weiße Basthaube, oh! Dutzende von Dingen für die Hochzeit und Hunderte von Dingen für das Haus.“

Margaret wusste nur, dass ihre Mutter es für unpassend erachtet hatte, herzukommen; und sie war nicht betrübt, dass ihr Wiedersehen in der Pfarrei von Helstone stattfinden sollte und nicht im Haus in der Harley Street, wo in den letzten zwei oder drei Tagen alles drunter und drüber gegangen war und wo sie selbst die Rolle des Figaro9 hatte spielen müssen und überall zur gleichen Zeit benötigt worden war. Ihr Geist und ihr Körper schmerzten nun bei der Erinnerung an alles, was sie innerhalb der letzten achtundvierzig Stunden getan und gesagt hatte. Das überstürzte Abschiednehmen – inmitten aller anderen Lebewohls – von jenen, bei denen sie so lange gelebt hatte, bedrückte sie nun und ließ sie den Zeiten nachtrauern, die nicht mehr waren; es war gleich, wie diese Zeiten gewesen waren, sie waren unwiederbringlich vorbei und kamen nicht mehr zurück. Margaret war schwerer ums Herz zumute, als sie es je für möglich gehalten hätte auf dem Weg zu ihrem eigenen teuren Zuhause, dem Ort und dem Leben, nach denen sie sich jahrelang gesehnt hatte – zu dem Zeitpunkt, der wie gemacht scheint für das Sehnen und Wünschen, unmittelbar bevor die geschärften Sinne ihre Konturen im Schlaf verlieren. Sie riss sich – nicht ohne eine gewisse Anstrengung – von der Erinnerung an die Vergangenheit los und wandte sich der vielversprechenden, heiteren Betrachtung der hoffnungsfrohen Zukunft zu. Ihre Augen begannen zu sehen – nicht Visionen dessen, was einst gewesen war, sondern den Anblick, der sich ihr tatsächlich bot: ihren lieben Vater, der sich im Bahnabteil schlafend zurücklehnte. Sein blauschwarzes Haar war nun grau und über seiner Stirn ausgedünnt. Die Knochen seines Gesichtes zeichneten sich deutlich ab – zu deutlich, um schön zu sein, wären seine Züge weniger fein geschnitten gewesen; so, wie es war, besaßen sie ihren eigenen Reiz, um nicht zu sagen ihre eigene Anmut. Das Gesicht war entspannt; aber es handelte sich dabei eher um die Rast, die auf große Ermüdung folgt, als um die gelassene Ruhe im Gesichtsausdruck eines Mannes, der ein beschauliches, friedliches Leben führt. Margaret war von diesem erschöpften, besorgten Ausdruck schmerzlich berührt; und sie sann über die ihr bekannten Umstände im Leben ihres Vaters nach, um die Gründe für jene Linien zu finden, die so offen von gewohnheitsmäßiger Verzweiflung und Kummer zeugten.

„Armer Frederick!“, dachte sie seufzend. „Oh! Wenn Frederick doch nur ein Kirchenmann geworden wäre, anstatt zur Marine zu gehen und für uns alle verloren zu sein! Ich wünschte, ich wüsste alles darüber. Ich habe Tante Shaws Erzählungen darüber nicht verstanden; ich wusste nur, dass er wegen dieser schrecklichen Angelegenheit nicht nach England zurückkehren konnte. Armer, teurer Papa! Wie traurig er aussieht! Ich bin so froh, dass ich nun nach Hause zurückkehre, um da zu sein, wenn er und Mamma Trost benötigen.“

Ein strahlendes Lächeln, in dem keine Spur von Müdigkeit war, zeichnete sich auf ihren Lippen ab, und sie war bereit, ihren Vater bei seinem Erwachen zu begrüßen. Er erwiderte ihr Lächeln, aber nur schwach, so als ob es eine ungewohnte Anstrengung wäre. Sein Gesicht nahm wieder seinen gewöhnlichen Ausdruck von Besorgnis an. Er hatte die Eigenart, immer wieder seinen Mund halb zu öffnen, so als wollte er sprechen, was die Form seiner Lippen ständig aus dem Gleichgewicht brachte und dem Gesicht einen unentschlossenen Ausdruck verlieh. Aber er hatte dieselben großen, sanften Augen wie seine Tochter – Augen, die sich langsam und fast erhaben in ihren Augenhöhlen hin- und herbewegten und vortrefflich von ihren weißen Augenlider verhüllt wurden. Margaret kam mehr nach ihm als nach ihrer Mutter. Manchmal wunderten sich die Leute, dass so gutaussehende Eltern eine Tochter haben sollten, die vom klassischen Schönheitsideal so weit abwich; manche unkten sogar, sie sei überhaupt nicht schön. Ihr Mund war breit; keine Rosenknospe, die sich gerade eben weit genug öffnen konnte, um ein „ja“, „nein“ und „wie es Ihnen genehm ist, mein Herr“ entweichen zu lassen. Doch der breite Mund war ein weich geschwungener Bogen praller, roter Lippen; und die Haut, wenn auch nicht weiß und hell, war doch von einer elfenbeinfarbenen Weichheit und Zartheit. Wenn der Ausdruck ihres Gesichtes auch für gewöhnlich zu hoheitsvoll und reserviert für eine so junge Frau war, so war er doch jetzt, wo sie mit ihrem Vater sprach, so strahlend wie der helle Morgen – voller Grübchen und Blicke, die von kindlicher Fröhlichkeit und grenzenloser Hoffnung in die Zukunft zeugten.

Der Juli neigte sich bereits seinem Ende zu, als Margaret nach Hause zurückkehrte. Die Bäume des Waldes standen alle in vollem, sattem, schattigem Grün; das Farnkraut unter ihnen fing alle schräg einfallenden Sonnenstrahlen auf; das Wetter war schwül und brütend still. Margaret machte es sich zur Gewohnheit, neben ihrem Vater herzulaufen, wobei sie mit grausamer Schadenfreude den Farn niedertrat, den sie unter ihrem leichten Fuß nachgeben fühlte und der dabei jenen besonderen, ihm eigenen Geruch verströmte – draußen auf dem weitläufigen Dorfanger, hinein in das warme, duftende Licht, wo sie zahllose wilde, freie Lebewesen erspähte, die sich an der Sonne labten, und an den Kräutern und Blumen, die diese hervorbrachte. Dieses Leben – zumindest diese Spaziergänge – erfüllten alle Erwartungen Margarets. Sie war stolz auf ihren Wald. Seine Menschen waren ihre Menschen. Sie schloss herzliche Freundschaft mit ihnen; lernte ihre besonderen Redewendungen und brillierte darin, sie zu verwenden; ging ungezwungen mit ihnen um; wiegte ihre Babys in ihren Armen; sprach langsam und deutlich, wenn sie sich mit ihren Greisen unterhielt oder ihnen vorlas; brachte den Kranken unter ihnen gar manche Leckerbissen vorbei; entschloss sich bald dazu, in der Schule zu unterrichten, wohin ihr Vater jeden Tag pünktlich ging, um seine Pflicht zu erfüllen, aber sie wurde ständig dazu verleitet, einen persönlichen Freund – Mann, Frau oder Kind – in einem der kleinen, grob gezimmerten Häuschen im grünen Schatten des Waldes zu besuchen. Ihr Leben außerhalb der Mauern des Hauses war vollkommen. Ihr Leben innerhalb dieser Mauern hatte seine Schattenseiten. Mit dem gesunden Schamgefühl eines Kindes tadelte sie sich selbst für ihren scharfen Blick, wenn sie sah, dass dort nicht alles so war, wie es sein sollte. Ihre Mutter – ihre Mutter, die immer so lieb und zärtlich zu ihr war – schien bisweilen überaus unzufrieden mit ihrer Situation; dachte, dass der Bischof seine bischöflichen Pflichten gar schändlich vernachlässigte, indem er Mr. Hale keine bessere Pfarrstelle zukommen ließ; und machte ihrem Ehemann fast schon Vorhaltungen, weil er sich nicht dazu durchringen konnte zu sagen, dass er seine Pfarrei gern verlassen würde, um sich um eine größere zu kümmern. Er aber würde nur laut seufzen und antworten, dass er dankbar sein sollte, seiner Berufung im kleinen Helstone nachzugehen; aber jeden Tag schien er abgekämpfter; die Welt wurde immer verwirrender. Jedes Mal, wenn seine Frau ihn bedrängte, sich doch nicht auf der Suche nach Beförderung selbst im Weg zu stehen, sah Margaret, dass ihr Vater sich mehr und mehr zurückzog; und zu solchen Zeiten versuchte sie, ihre Mutter mit Helstone zu versöhnen. Mrs. Hale sagte, dass die unmittelbare Nähe von so vielen Bäumen ihre Gesundheit beeinträchtige; und Margaret versuchte dann, sie auf die schönen, weitläufigen, höher gelegenen, sonnenverwöhnten, wolkenbeschatteten Dorfwiesen hinauszulocken; denn sie war davon überzeugt, dass ihre Mutter sich zu sehr an das Leben im Haus gewöhnt hatte, da sich ihre Spaziergänge selten über die Kirche, die Schule und die benachbarten Häuschen hinaus ausdehnten. Eine Zeit lang ging das gut; aber als der Herbst heraufzog und das Wetter wechselhafter wurde, machte sich in ihrer Mutter mehr und mehr die Überzeugung breit, dass der Ort ihrer Gesundheit nicht zuträglich sei; und sie machte noch häufiger ihrem Unmut darüber Luft, dass ihrem Mann, der gelehrter war als ein Mr. Hume und ein besserer Pfarrer als ein Mr. Houldsworth, nicht jene Beförderung zuteilgeworden war, die ihre beiden ehemaligen Nachbarn erhalten hatten.

Diese Beeinträchtigung des häuslichen Friedens, die lange Stunden der Unzufriedenheit nach sich zog, war das, worauf Margaret nicht vorbereitet war. Sie wusste – und sie hatte sich an dieser Vorstellung sogar ergötzt – dass sie gar manchen Luxus würde aufgeben müssen, den sie in der Harley Street ohnehin nur als lästiges Hindernis und Fesseln für ihre Freiheit empfunden hatte. Ihre bereitwillige Freude an jedem sinnlichen Genuss wurde bis aufs Kleinste ausgewogen – wenn nicht sogar übertroffen – von ihrem stolzen Bewusstsein, dass sie, wenn nötig, auch ohne sie alle auskommen konnte. Aber die Wolke taucht niemals in jener Himmelsrichtung auf, in der wir nach ihr Ausschau halten. Es hatte zwar immer wieder leichte Klagen und ein flüchtiges Bedauern seitens ihrer Mutter über Bagatellen in Bezug auf Helstone und die dortige Stellung ihres Vaters gegeben, als Margaret zuvor ihre Ferien zu Hause verbracht hatte; aber da sie bei der Erinnerung an jene Zeiten stets in Glückseligkeit geschwelgt hatte, hatte sie die weniger glücklichen kleinen Details vergessen.

In der zweiten Septemberhälfte zogen die herbstlichen Regengüsse und Stürme herauf, und Margaret war gezwungen, mehr zu Hause zu bleiben, als sie es bisher getan hatte. Helstone lag in einiger Entfernung von Nachbarn ihres eigenen Bildungsstands.

„Das ist zweifelsohne einer der abgelegensten Orte in England“, sagte Mrs. Hale in einer ihrer schwermütigen Stimmungen. „Ich kann nicht anders, ich muss es einfach immerzu bedauern, dass Papa hier wirklich niemanden hat, der ihm Gesellschaft leisten könnte; was für eine Verschwendung, sieht er doch nur Bauern und Arbeiter von einem Ende der Woche zum anderen. Wenn wir nur auf der anderen Seite der Pfarrei wohnen würden, so wäre unsere Lage gleich viel besser; von dort aus könnten wir beinahe zu Fuß zu den Stanfields gehen; und gewiss wären die Gormans zu Fuß erreichbar.“

„Die Gormans?“, sagte Margaret. „Sind das nicht jene Gormans, die ihr Vermögen mit Handel in Southampton gemacht haben? Oh! Ich bin froh, dass wir sie nicht besuchen, ich mag kein Händlervolk. Ich denke, wir sind weit besser dran mit unserem jetzigen Bekanntenkreis aus Häuslern und Feldarbeitern und Leuten, die sich nichts auf sich einbilden.“

„Du darfst nicht so wählerisch sein, Margaret, Liebes!“, erwiderte ihre Mutter, während sie insgeheim an einen jungen und gutaussehenden Mr. Gorman dachte, den sie einmal bei Mr. Hume getroffen hatte.

„Nein! Ich halte meinen Geschmack doch für sehr breit gefächert; ich mag alle Leute, deren Tätigkeit mit dem Land zu tun hat; ich mag Soldaten und Seemänner, und die drei sogenannten gelehrten Berufsstände10. Ich bin mir sicher, du möchtest nicht, dass ich Fleischer und Bäcker und Hersteller von Kerzenleuchtern11 bewundere, oder etwa doch, Mamma?“ „Aber die Gormans waren weder Fleischer noch Bäcker, sondern sehr respektable Kutschenbauer.“

„Na schön. Nur ist das Bauen von Kutschen eben auch nur ein Handwerk, und in meinen Augen sogar ein sehr viel entbehrlicheres als das eines Fleischers oder Bäckers. Oh! Wie mich die täglichen Ausfahrten in Tante Shaws Kutsche immer ermüdet haben und wie ich mich danach gesehnt habe, zu Fuß zu gehen!“

Und Margaret ging zu Fuß – trotz des Wetters. Draußen, unter freiem Himmel und an der Seite ihres Vaters, war sie so glücklich, dass sie fast getanzt hätte; und mit der sanften Gewalt des Westwindes in ihrem Rücken, als sie eine Heidelandschaft überquerte, schien sie vorwärts getragen zu werden, so leicht und mühelos wie das herabgefallene Blatt, das von der herbstlichen Brise fortgeweht wurde. Doch es war eher schwierig, die Abende angenehm zu verbringen. Unmittelbar nach dem Tee zog sich ihr Vater in seine kleine Bibliothek zurück und ließ sie und ihre Mutter miteinander alleine. Mrs. Hale hatte sich nie viel aus Büchern gemacht und ihren Mann schon früh in ihrem Eheleben in seinem Wunsch, ihr laut vorzulesen, während sie sich ihrer Handarbeit widmete, entmutigt. Eine Zeit lang hatten sie Backgammon als Zeitvertreib ausprobiert; aber als Mr. Hale ein wachsendes Interesse an seiner Schule und seinen Schäfchen entwickelt hatte, hatte er feststellen müssen, dass die Unterbrechungen, die aus diesen Pflichten erwuchsen, von seiner Frau als Mühsal betrachtet wurden, und dass sie diese nicht als die natürlichen Begleitumstände seines Berufes akzeptieren konnte, sondern sie bei jedem neuerlichen Auftreten bedauerte und zu bekämpfen suchte. Und so zog er sich, als die Kinder noch klein waren, in seine Bibliothek zurück, um seine Abende (wenn er zu Hause war) mit dem Lesen seiner spekulativen und metaphysischen Bücher zu verbringen, die seine größte Freude waren.

Wenn Margaret zuvor hier gewesen war, hatte sie stets eine große Kiste voll mit Büchern mitgebracht, die ihr von Lehrern oder ihrer Gouvernante empfohlen worden waren, und die Sommertage waren ihr immer viel zu kurz vorgekommen, um vor ihrer Rückkehr in die Stadt mit ihrer Pflichtlektüre fertig zu werden. Jetzt gab es hier nur die schön gebundenen und wenig gelesenen englischen Klassiker, die aus der Bibliothek ihres Vaters ausgegliedert worden waren, um die kleinen Bücherregale im Salon zu füllen. Thomsons Jahreszeiten, Hayleys Cowper, Middletons Cicero12waren bei weitem die leichtesten, neuesten und unterhaltsamsten. Die Bücherregale erwiesen sich als keine sehr ergiebige Quelle. Margaret schilderte ihrer Mutter jedes Detail ihres Lebens in London, und Mrs. Hale lauschte interessiert; bisweilen war sie amüsiert und fragte nach, ein anderes Mal wiederum neigte sie etwas dazu, das Leben ihrer Schwester in Wohlstand und Luxus mit den bescheideneren Verhältnissen im Helstoner Pfarrhaus zu vergleichen. An solchen Abenden konnte es geschehen, dass Margaret ziemlich abrupt zu sprechen aufhörte und dem Tropfen des Regens auf die Bleieinfassung des kleinen Erkerfensters lauschte. Ein- oder zweimal hatte Margaret sich dabei ertappt, gedankenversunken die Wiederholung dieses monotonen Geräusches zu zählen, während sie sich fragte, ob sie es wohl wagen sollte, eine Frage zu einem Thema zu stellen, das ihr sehr am Herzen lag, und sich danach zu erkundigen, wo Frederick nun war; was er tat; wie lange es nun bereits her war, seit sie von ihm gehört hatten. Doch das Bewusstsein, dass die angegriffene Gesundheit ihrer Mutter und ihre offene Abneigung gegenüber Helstone auf jene Zeit zurückgingen, zu der Frederick in diese Meuterei verstrickt gewesen war – Margaret hatte den vollständigen Bericht darüber nie gehört, und er schien nun dazu verdammt, in traurige Vergessenheit zu geraten – ließ sie innehalten und jedes Mal, wenn sie sich dem Thema näherte, kehrtmachen. Wenn sie mit ihrer Mutter zusammen war, schien ihr Vater derjenige zu sein, der ihr am besten darüber Auskunft geben konnte; und wenn sie mit ihm zusammen war, dachte sie, dass es ihr leichter fallen würde, mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Wahrscheinlich gab es ohnehin nicht viel Neues zu hören. In einem der Briefe, die sie vor ihrem Abschied von der Harley Street erhalten hatte, hatte ihr Vater ihr erzählt, dass sie von Frederick gehört hatten; er sei noch immer in Rio und erfreue sich bester Gesundheit, und er lasse sie herzlich grüßen; doch das waren nur dürre Worte und nicht die lebendigen Neuigkeiten, nach denen sie sich sehnte. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sein Name erwähnt wurde, sprach man von Frederick stets als „dem armen Frederick“. Sein Zimmer wurde in genau dem Zustand belassen, in dem er es verlassen hatte; und darin wurde regelmäßig Staub gewischt und aufgeräumt von Dixon, Mrs. Hales Dienstmädchen, die sonst im Haushalt keinen Finger rührte, aber sich stets an den Tag erinnerte, an dem sie von Lady Beresford als Dienstmädchen für Sir Johns Mündel, die hübschen Miss Beresford, die Schönen aus Rutlandshire, eingestellt worden war. Dixon hatte Mr. Hale immer als das Unheil betrachtet, das über ihre junge Dame hereingebrochen war und ihre Perspektiven zunichtegemacht hatte. Denn wer weiß, was aus Miss Beresford geworden wäre, wenn sie es nicht so eilig damit gehabt hätte, einen armen Landpfarrer zu ehelichen? Aber Dixon war zu loyal, um sie in ihrer Misere und ihrem Niedergang (mit anderen Worten: in ihrem Eheleben) im Stich zu lassen. Sie blieb bei ihr und war ihren Wünschen treu ergeben; sie betrachtete sich dabei immer als die gute und beschützende Fee, deren Aufgabe es war, den böswilligen Riesen, Mr. Hale, in Schach zu halten. Master Frederick war ihr Liebling und ihr ganzer Stolz gewesen; und ihre würdevolle Miene und ihr Gebaren wurden immer etwas weicher, wenn sie einmal in der Woche sein Zimmer betrat, um es so gründlich in Ordnung zu bringen, als würde er noch am selben Abend heimkommen.

Margaret konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass kürzlich Neuigkeiten von Frederick eingetroffen waren, von der ihre Mutter keine Ahnung hatte und die dafür verantwortlich waren, dass ihrem Vater so bange und unbehaglich zumute war. Mrs. Hale schien keine Veränderung im Äußeren und im Verhalten ihres Mannes festzustellen. Er war so zartfühlend wie eh und je und die Sanftmut in Person, und seine Gemütslage wurde leicht in Mitleidenschaft gezogen von jeder noch so kleinen Neuigkeit bezüglich des Wohlergehens anderer. Er war tagelang bedrückt, wenn er an einem Totenbett gewacht oder von einem Verbrechen gehört hatte. Aber nun stellte Margaret eine Geistesabwesenheit an ihm fest, so als ob seine Gedanken mit einem Thema beschäftigt wären, das ihn so sehr bedrückte, dass ihm keine seiner alltäglichen Tätigkeiten – wie das Trösten der Hinterbliebenen oder das Unterrichten an der Schule in der Hoffnung, das Schlechte in der kommenden Generation weniger stark ausgeprägt zu machen – davon Erleichterung verschaffen konnte. Mr. Hale besuchte seine Schäfchen nicht so oft wie üblich; er schloss sich häufiger in seinem Studierzimmer ein; er wartete angespannt auf den Dorfbriefträger, der seine Ankunft beim Haus durch ein Klopfen am Fensterladen des hinteren Küchenfensters ankündigte – ein Signal, das früher oft wiederholt werden musste, bevor sich jemand der Uhrzeit hinreichend bewusst war, um zu verstehen, worum es sich handelte, und ihm aufzuwarten. Nun streifte Mr. Hale durch den Garten, wenn es ein schöner Morgen war, und falls nicht, stand er träumend am Fenster des Studierzimmers, bis der Postbote entweder zum Haus heraufgekommen oder die Straße weiter hinabgegangen war, mit einem halb respektvollen, halb vertraulichen Kopfschütteln in Richtung des Pfarrers, der ihm nachsah, bis er hinter der Heckenrose und dem großen Erdbeerbaum verschwand, bevor er sich vom Fenster abwandte und mit allen Anzeichen eines schweren Herzens und eines beschäftigten Geistes sein Tagwerk aufnahm.

Aber Margaret war in einem Alter, in dem jede Befürchtung, die nicht voll und ganz auf der Kenntnis von Fakten beruht, für einige Zeit leicht von einem sonnigen Tag oder einem anderen glücklichen äußeren Umstand beiseitegeschoben wird. Und als die strahlend schönen Vierzehntage des Oktobers heraufzogen, wurden alle ihre Sorgen so leicht hinweggeblasen wie Distelwolle, und sie dachte an nichts anderes als die Schönheit des Waldes. Die Farnernte war eingebracht, und nun, da der Regen aufgehört hatte, waren viele tiefliegende Waldlichtungen zugänglich, in die Margaret bei Juli- und Augustwetter nur hineingelugt hatte. Sie hatte zusammen mit Edith zu zeichnen gelernt; und solange das trübselige, schlechte Wetter angedauert hatte, hatte sie ihr müßiges Schwelgen in der Schönheit der Wälder, als es noch schön gewesen war, hinlänglich bedauert, sodass sie nun fest entschlossen war, so viel zu zeichnen, wie sie nur immer konnte, bevor der Winter endgültig heraufzog. Dementsprechend war sie eines Morgens gerade emsig damit beschäftigt, ihr Zeichenbrett vorzubereiten, als Sarah, das Dienstmädchen, die Tür des Salons weit aufriss und „Mr. Henry Lennox“ ankündigte.

8     Aus Felicia Dorothea Hemans (1793-1835), „ The Spells of Home“ (Der Zauber des Daheims), 1830.

9     Figaro: das Faktotum oder der Diener aller Herren in Rossinis Der Barbier von Sevilla (1816), einer Opernfassung von Beaumarchais Bühnenstück (1773).

10    Diese umfassen die Geistlichen, die Mediziner und die Rechtsgelehrten. Die Geistlichkeit wird durch Mr. Hale repräsentiert; Ediths Schwager Henry Lennox verkörpert die Rechtsgelehrten. Auch die Armee zählt zu den respektablen gesellschaftlichen Klassen: ihr gehören Captain Lennox bzw. Margarets Bruder an. Margaret verkehrt zu Beginn des Romans noch in diesen enggefassten gesellschaftlichen Kreisen, und es scheint nur zu natürlich, dass sie in eine dieser Gruppen einheiraten wird. Daher ist es umso bemerkenswerter, dass Margaret sich im Lauf des Romans bewusst gegen dieses vergleichsweise „einfache“ Leben entscheidet und diese Kreise verlässt.

11    Der Fleischer, der Bäcker und der Kerzenleuchtermacher (The butcher, the baker and the candlestick-maker) ist im Englischen zu einer festen Redewendung geworden und kann im Deutschen mit „Hinz und Kunz“ wiedergegeben werden.

12    James Thomsons Die Jahreszeiten (1726-30), ein langes Gedicht in Blankversen, das das Landleben preist; William Hayleys Das Leben des Dichters William Cowper (1803), Conyers Middletons Das Leben des Cicero (1741).

KAPITEL III - „Blinder Eifer schadet nur“

Drum wisse: ein damenhaft Herz du begehrst,

Verhalte dich redlich, denn hoch ist das Ziel,

Sei mutig und kühn auf Gedeih und Verderb,

Zeig Ernsthaftigkeit und gar manch Taktgefühl.

Geleite sie fort von den festlichen Orten,

Und deut’ ihr das Firmament, Sterne dort prang’n,

Bewahre sie mit deinen ehrlichen Worten,

Auf dass sie der Schmeichler umgarnen nicht kann.

MRS. BROWNING13

„Mr. Henry Lennox.“ Margaret hatte noch vor einem Augenblick an ihn gedacht und sich an seine Fragen bezüglich ihrer voraussichtlichen Beschäftigungen zu Hause erinnert. Es war wie in dem Sprichwort: „parler du soleil et l’on voit les rayons14“; und das Strahlen der Sonne breitete sich auf Margarets Gesicht aus, als sie ihr Zeichenbrett sinken ließ und einen Schritt nach vorne auf ihn zu machte, um ihm die Hand zu schütteln. „Richte es Mamma aus, Sarah“, sagte sie. „Mamma und ich möchten Sie so viel über Edith fragen; ich bin so erfreut über Ihr Kommen.“

„Sagte ich nicht, dass ich kommen würde?“, fragte er, indem er seine Stimme dämpfte und nun leiser sprach als bisher.

„Aber ich habe gehört, dass Sie so weit weg in den Highlands seien, dass ich niemals gedacht hätte, dass Hampshire auf Ihrem Weg liegen würde.“

„Oh!“, sagte er nun weniger ernst. „Unser junges Paar spielte so närrische Streiche, ging alle nur erdenklichen Risiken ein, kletterte hier auf diesen Berg hinauf, segelte dort auf jenem See, dass ich wahrlich der Meinung war, sie bräuchten einen Mentor, der auf sie achtete. Und das war auch goldrichtig so; mein Onkel wurde ihnen einfach nicht Herr, und sie hielten den alten Herrn ganze sechzehn von vierundzwanzig möglichen Stunden in Atem. Tatsächlich, als ich erst einmal sah, wie wenig man die beiden allein lassen konnte, betrachtete ich es als meine Pflicht, nicht von ihrer Seite zu weichen, bis ich sie sicher in Plymouth das Schiff besteigen sah.“

„Sie waren in Plymouth? Oh! Edith hat darüber gar nichts erwähnt. Sicherlich, sie hat letztens in solch einer Eile geschrieben. Sind sie wirklich am Dienstag abgesegelt?“

„Sie sind wirklich und wahrhaftig abgesegelt und haben mir damit eine große Last von den Schultern genommen. Edith gab mir alle Arten von Nachrichten für Sie mit. Ich glaube, ich habe hier irgendwo eine winzig kleine Nachricht für Sie; ja, hier ist sie.“

„Oh! Ich danke Ihnen“, rief Margaret freudig aus; und da sie den leichten Wunsch verspürte, sie alleine und ungestört zu lesen, verließ sie unter dem Vorwand das Zimmer, ihrer Mutter nochmals Bescheid zu geben (Sarah sei dabei sicherlich ein Fehler unterlaufen), dass Henry Lennox da war.

Als sie den Raum verlassen hatte, fing er an, sich mit dem ihm eigenen prüfenden Blick umzusehen. Das gleißende Licht der Morgensonne überflutete den kleinen Salon und brachte seine besten Seiten zum Vorschein. Das mittlere Erkerfenster war geöffnet, und üppige Kletterrosen und die scharlachrote Heckenkirsche lugten um die Ecke; die kleine Rasenfläche sah bezaubernd aus mit ihrem Eisenkraut und ihren Geranien in allen nur erdenklichen leuchtenden Farben. Aber gerade diese Pracht, die draußen herrschte, ließ die Farben drinnen armselig und ausgeblichen wirken. Der Teppich hatte seine besten Zeiten schon lange hinter sich; der Chintz war schon oft gewaschen worden; die gesamten Räumlichkeiten waren beengter und schäbiger, als er es von einem Hintergrund und Rahmen für Margaret, die selbst so königlich anmutete, erwartet hatte. Er nahm eines der Bücher zur Hand, die auf dem Tisch lagen; es handelte sich um Dantes Paradiso in der ursprünglichen alten italienischen Bindung aus weißem Pergament und Gold; daneben lagen ein Wörterbuch und einige herausgeschriebene Wörter in Margarets Handschrift. Es war nur eine langweilige Liste von Wörtern, aber irgendwie mochte er es, sie sich anzusehen. Er legte sie mit einem Seufzer wieder an ihren Platz zurück.

„Die Pfarrstelle ist offensichtlich so klein, wie sie sagte. Das mutet etwas seltsam an, denn die Beresfords gehören einer guten Familie an.“

Margaret hatte inzwischen ihre Mutter ausfindig gemacht. Es war einer von Mrs. Hales launischen Tagen, an denen alles und jedes eine Schwierigkeit und eine Mühsal darstellte; und Mr. Lennox Erscheinen fiel in diese Kategorie, obwohl sie sich insgeheim geschmeichelt fühlte, dass er es für wert erachtet hatte, sie mit seinem Besuch zu beehren.