Nostradamus Prophezeiungen - Schreiben an Henry - Johannes Böhm-Mäder - E-Book

Nostradamus Prophezeiungen - Schreiben an Henry E-Book

Johannes Böhm-Mäder

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Beschreibung

Nostradamus! Okkultisten verehren ihn, Christen verteufeln ihn, Materialisten belächeln ihn. Seine Prophezeiungen aus dem 16. Jahrhundert forderten Generationen von Analysten heraus und beflügelten Phantasien. Die Vierzeiler in Gedichtform mussten rätselhaft bleiben. Nostradamus prophezeite, dass sie erst Mitte 21. Jahrhundert entschlüsselt werden können. Mittendrin steht das hier interpretierte Sendschreiben in Prosa. Es blieb ebenfalls obskur, doch das liegt einzig an der Kurzsichtigkeit der bisherigen Interpreten. Die vorliegende Analyse ist vollständig und widerspruchsfrei. Okkultisten dürften irritiert sein, Christen baff und Materialisten verlegen. Das bedeutendste Ereignis kommt Anfang 2080 ...

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Wenn dies nun zu geschehen beginnt,

dann richtet euch auf und hebt eure Häupter empor;

denn eure Erlösung naht.

(Lk 21,28)

INHALT

Inhalt

Vorwort des Interpreten

Lebenslauf und Nachwirkung des Propheten

Einführung in das prophetische Sendschreiben

Widmung und Danksagung

Erklärungen des Propheten zu seinem Werk

Ignoranz und Verleumdung finsterer Mächte

Erste biblische Chronologie

Tyrannei der mächtigen Kirche

Orden als Treiber der Inquisition

Scheinheilige verfolgen die Gläubigen

Venedig als Konkurrentin des Kirchenstaats

Von den Koalitionskriegen zu den Weltkriegen

Das Dritte Reich

Verborgene Erneuerung des Christentums

Zweite biblische Chronologie

Vom Dritten Reich ins 21. Jahrhundert

Datierung der Naturkatastrophe

Sinn und Auswirkung der Naturkatastrophe

Wiederkehr Christi und Weltgericht

Das Tausendjährige Friedensreich

Grußworte und Abschluss

Schlusswort des Interpreten

VORWORT DES INTERPRETEN

Liebe Leserin, lieber Leser, ich bin Physiker von Kopf bis Fuß. Ich forsche an den Grenzen der menschlichen Erkenntnis. Dies führt unweigerlich über diese Grenzen hinaus, denn ach so vieles können wir nicht erklären. Bezüglich des Rätsels der Dunklen Materie haben wir zum Beispiel seit Jahrzehnten keinen Plan, obschon viele hochkarätige Forscher mit immer neuen Ideen daran arbeiten. Wir wissen anhand der Bewegungen der Galaxien, dass rund 85% aller Materie im Universum vor uns verborgen sein muss. Den einen ist nun keine Hypothese zu gewagt, wenn sie nur ganz im Rahmen unserer beschränkten naturwissenschaftlichen Mittel und Methoden bleibt. Ich gehöre zu den anderen. Ich erwäge, dass es Dinge und Gesetze gibt, die unser aktuelles Fassungsver-mögen übersteigen.

Angesichts all der offenen Fragen über das Geheimnis des Lebens, unerklärliche Nahtoderfahrungen, die Dunkle Materie, die Dunkle Energie, die Ursache des Urknalls und so fort, prüfe ich alles Neue zwar kritisch, aber möglichst unvoreingenommen. Aufgrund all der Hinweise, die mir auf meinem Lebensweg zuteil-wurden, lebe ich in der Gewissheit, dass uns ein vielgestaltiges Jenseits begleitet. Es übersteigt unsere materielle Welt, das sichtbare und messbare Universum bei weitem. Auch Nostradamus war sich dessen gewiss. Das müssen wir anerkennen, allein schon aufgrund der gewaltigen Visionen, die er mithilfe unserer kümmerlichen menschlichen Begriffe zu beschreiben wusste.

Jenseitige Mächte müssen also selbstverständlich in die Interpretation miteinbezogen werden. In reinem Materialismus ließe sich nur schon die Möglichkeit von Prophezeiungen künftiger Ereignisse nicht rechtfertigen, geschweige denn, die Offenbarungen verstehen. Wenn Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, die Bereitschaft fehlt, eine jenseitige Realität zumindest zu erwägen, so bitte ich Sie, Ihre Lektüre gleich hier abzubrechen. Jedes weitere Wort würde Sie nur in Ihrer vorgefassten Meinung festigen und Sie noch weiter vom Jenseitsglauben entfernen. Das ist das Letzte, was ich will.

Bei Nostradamus gehört auch die Astrologie dazu, die er für Zeitangaben oder zur Charakterisierung von Stimmungen einsetzt. Ihr Ruf ist leider durch lächerliche Ergüsse der Boulevard-Presse und die Machenschaften manipulativer Medienstars ruiniert. Im fundierten Bereich von Persönlichkeits- und Zeitgeistanalyse hat die Astrologie wissenschaftlichen Anspruch. Ich durfte ihre verblüffende Aussagekraft als astrologisch interessierter Laie aktiv erfahren. Deshalb nehme ich sie ernst. Ihr Potential wenigstens in Erwägung zu ziehen, ist die zweite Voraussetzung zur Lektüre der vorliegenden Analyse.

Nostradamus ist der wohl prominenteste und umstrittenste außerbiblische Verfasser von Prophezeiungen. Seinen Ruhm verdankt er seinen Centurien, den neunmal 100 und einmal 42 Vier-zeilern. Der Grund für die ungebrochen breite Aufmerksamkeit während Jahrhunderten liegt darin, dass die Menschen gerne über ihre Zukunft Bescheid wüssten. Und man hat durchaus Grund anzunehmen, dass Nostradamus viele Jahrhunderte in die Zukunft prophezeit habe. Schon zu seinen Lebzeiten und kurz nach seinem Tod wurde deutlich, dass zumindest gewisse Sachverhalte auch eintrafen. So beflügelte er viele Generationen von Okkulti-sten. Allerdings waren die Angaben des Sehers sphinxisch genug,dass man ihre Erfüllung bisher höchstens im Nachhinein erkennen konnte.

Auch bezüglich seiner Vierzeiler ist es punktuell gelungen, sie zu deuten. Nostradamus verfasste sie ursprünglich in chronologischer Folge, mischte sie dann aber scheinbar chaotisch durcheinander, um die Auslegung vorerst zu verunmöglichen. Viele Interpreten haben sich am Ordnungsschlüssel schon die Zähne ausgebissen, natürlich erfolglos. Nostradamus prophezeite nämlich in Vierzeiler 3-94, den er 1555 erstmals publizierte, es werde erst nach 500 Jahren Klarheit geben, das heißt erst ungefähr 2055, wenn sich die meisten seiner Vorhersagen bereits erfüllt haben werden.

Über den Sinn solcher Verschleierung wurde gerätselt, doch im Licht übergeordneter geistiger Führung liegt es auf der Hand: Prophezeiungen sind nur zutreffend, wenn sie aus des Schöpfers Hand sind – wenn wir denn an die Existenz Gottes glauben. Er allein kennt den künftigen Lauf Seiner Schöpfung. Alles andere wäre Wahrsagerei der Finsternis und zum Scheitern verurteilt. Gott stellt immer sicher, dass seine Offenbarungen nicht zu früh erkannt werden können. Doch wie sollte Gott die Zukunft wissen, wenn seine Geschöpfe doch einen freien Willen haben? Wenn man eine Person sehr gut kennt, kann man ihre voraussichtlichen Entscheidungen im Voraus zwar nicht mit aller Gewissheit, aber doch mit hoher Wahrscheinlichkeit abschätzen. Und die großen Schicksalsstationen der Menschen legt Gott im Vornherein fest. Die Völker sind wie Flüsse: Ein Flusslauf ist in der Landschaft mit hoher Genauigkeit bekannt, doch welchen Weg ein Tropfen in den Wirbeln des Flusses nimmt, weiß man nicht. Die zweifelsfreie Kenntnis ihrer Zukunft würde die Menschen in Schicksalsergebenheit binden und ihrer freien Entscheidung berauben. Nach allem, was uns über Ihn zuteilwurde, kann der alliebende Gott das nicht wollen. Wenn die Prophezeiungen im Nachhinein erkannt werden, können sie dem Lob Gottes und dem Glauben an ein übergeordnetes Jenseits dienen. Ich werde dies im Schlusswort nochmals aufgreifen.

Im Jahr 2024 sind wir noch gut drei Jahrzehnte vom vorausgesagten Zeitpunkt der »Klarheit« entfernt. Ich vertraue auf Nostradamus‘ Seherqualitäten. So sehe ich keinen Anlass, schon jetzt eine Entschlüsselung der Centurien zu versuchen. In der vorliegenden Auslegung betrachten wir daher nicht die Vierzeiler, sondern das scheinbar willkürlich eingeschobene Sendschreiben an »Henry Roy de France«. Diese Epistel ist zwar ebenfalls sehr bildhaft und metaphorisch verschleiert, aber in sich abgeschlossen. Sie untersteht nicht dem Schlüssel der Centurien und fällt folglich nicht unter die Prophezeiung in Vierzeiler 3-94. Vielleicht trägt eine treffende Interpretation des Sendschreibens schließlich mit zur Lösung des Schlüssels bei.

Auch Nostradamus‘ Epistel an »Henry Roy de France« hat über die Jahrhunderte schon einige Geister herausgefordert. Wie im ganzen Werk des Propheten spekulierten die Interpreten auf magische Zahlen und kabbalistische Rätsel. So versuchten sie, Daten und Termine auszumachen. Sie sehen diesen Brief an König Heinrich II. von Frankreich gerichtet. Nach dem Inhaltsverzeichnis oben steht eine Kopie der Widmung aus der ersten Gesamtausgabe der Prophezeiungen. Aufmerksamen Leserinnen und Lesern fällt vielleicht auf, dass second dort nicht bei Henry steht, sondern hinter France – eigentlich unsinnig, sollte wirklich Heinrich II. gemeint sein. Das wurde erst in späteren Ausgaben »korrigiert« und damit die Auslegung verunmöglicht. Einem Gelehrten der Renaissance dürfen wir zutrauen, dass er die Widmung seines Schreibens trefflich zu formulieren versteht. Und in einem Werk von geradezu überirdischer Raffinesse kann dies nur ein absichtlicher Hinweis sein.

Heinrich II. von Frankreich (1519–1559, König ab 1547) war ein Zeitgenosse Nostradamus‘ (1503–1566) und regierte zur Abfassungszeit des vorliegenden Sendschreibens. Es wäre also durchaus denkbar, dass der Prophet seinem herrschenden König eine Epistel widmet und ihn in höchsten Tönen preist. Betrachtet man jedoch Heinrichs Vita, wird das hohe Lob mehr als zweifelhaft, hinterließ er doch nach einer einigermaßen erfolgreichen aber eher glanzlosen Regentschaft ein instabiles Frankreich mit militanten religiösen Auseinandersetzungen. Doch an wen sonst könnte das Schreiben gerichtet sein?

Aus der eigenartig verdrehten Widmung gewinnen wir einen Hinweis darauf, wie die Epistel als Ganzes zu verstehen ist. Wir versuchen die Mehrdeutigkeiten der französischen Sprache zu erfassen und den Text unter Berücksichtigung von lateinischen, griechischen und bisweilen sogar provenzalischen Einwürfen und in allen möglichen übertragenen Bedeutungen zu lesen. Der obige deutsche Untertitel zeigt beispielhaft, wie das gemeint ist. Die Begründung für die hier vielleicht noch unpassend scheinende Übertragung wird im Kapitel Widmung und Danksagung gegeben.

Das Sendschreiben ist nach der siebten Centurie eingeschoben, als Einleitung zu den drei Centurien acht bis zehn. Nostra-damus verfasste es in einem einzigen Textblock, ohne jede Struktur. Auch die älteste Gesamtausgabe enthält das Sendschreiben in einem einzigen, fortlaufenden Textblock ohne Kapitel, Vers-nummern oder Absätze. Einer der frühen Verleger unterteilte es schon rund 50 Jahre nach Nostradamus‘ Tod in »Alinéa«, das heißt nummerierte Absätze beziehungsweise Verse. Wir übernehmen diese fortlaufende Nummerierung, denn sie ist nützlich, um Bezüge zu erleichtern. Die in früheren Analysen eingefügten Überschriften setzen wir notgedrungen völlig neu, denn die vorliegende Interpretation der Prophezeiungen weicht weit von allen bisherigen Auffassungen ab.

Die Formulierungen des Propheten folgen den sprachlichen Gepflogenheiten seiner Zeit. Die Aussagen sind bisweilen fast endlos verkettet und für heutige Begriffe schwer verständlich. Ich verzichte daher auf eine möglichst exakt wörtliche Übersetzung und erlaube mir, Nostradamus‘ kunstvolle Satzkonstruktionen aufzugliedern, um sie leichter verständlich zu machen. Dabei achte ich sorgfältig darauf, seine Begriffe und Aussagen nicht zu verfälschen und auch ihre Sequenz einzuhalten.

Im Folgenden ist in normaler Antiqua gesetzter Text immer Teil der Interpretation. Die Verse des französischen Originaltexts aus der Ausgabe Benoist Rigaud (1568) stehen in separaten Absätzen. Sie sind in der während des Renaissance-Humanismus‘ entwickelten Italica gesetzt, wie der französische Text in der Epis-tel der Originalausgabe. Auch alle in der Interpretation zitierten französischen Begriffe sind kursiv. Die aus heutiger Sicht bisweilen »falschen« Schreibweisen der Originalausgabe habe ich unverändert übernommen. Zu einem schönen Teil sind sie wohl lediglich veraltet. Wir wollen aber auch keinen noch so kleinen Hinweis des Propheten verpassen, der in eigenartigen Schreibweisen enthalten sein könnte. Die Absätze mit meiner Übersetzung der Originalzeilen hebe ich in einem Rahmen hervor. Lateinische Begriffe und Passagen sind in der Originalausgabe in Renaissance-Antiqua gesetzt, um sie hervorzuheben. Dies bilde ich im Folgenden allgemein mittels einer modernen Courier-Schrift nach.

LEBENSLAUFUND NACHWIRKUNG DES PROPHETEN

Um die Persönlichkeit von Michel de Nostredame, wie der Prophet eigentlich hieß, einschätzen zu können, müssen wir seinen Werdegang möglichst genau rekonstruieren. Seine Vita ist umstritten, da es nur wenige Archivbelege gibt. Vieles stammt aus der Feder seines Sohns César. Der steht im Verdacht, seinen Vater schwärmerisch vergöttert zu haben. Skeptiker erachten postum veröffentlichte Schriften als legendenhaft überzeichnet, seien sie von César oder anderen Verehrern. In der Folge verwenden wir möglichst nur sicher überprüfbare Informationen, um einen einigermaßen verlässlichen Lebenslauf zu rekonstruieren. Informationen ohne zweifelsfreien Nachweis werden ausdrücklich als solche bezeichnet.

Michel wurde am 14. Dezember 1503 (julianisch) als ältester Sohn einer kinderreichen Familie in Saint-Rémy-de-Provence geboren. Sein Vater Jaume (Jacques) de Nostredame war Kornhändler und kirchlicher Notar und später Amtsvorsteher. Die oft aufgeführte hohe Herkunft seiner Mutter Reyniere (Renée) de Saint-Rémy ist nicht nachweisbar. Der Großvater väterlicherseits war jüdischer Herkunft und zum Katholizismus konvertiert.

Sein Urgroßvater soll Michel Latein, Griechisch, Hebräisch, Kabbala, Mathematik und Astrologie gelehrt haben, doch dazu gibt es keine verlässlichen Quellen. Als Jugendlicher begann No-stradamus ein Grundstudium von Grammatik, Rhetorik und Logik an der Universität Avignon, wann genau ist nicht rekonstruierbar. Wegen der sich ausbreitenden Pest musste er das Studium 1519 abbrechen. So wurde er Apotheker. Um etwa 1529 studierte er in Montpellier, doch ob er wirklich einen Doktorgrad in Medizin erwarb, ist unklar. Er selbst verwendete keinen Titel.

Astrologie studierte er nie an einer Hochschule. Er bezeichnete sich selbst nur als »astrophil«. Gewisse Zeitgenossen unterstellten ihm gar, nichts von Astrologie zu verstehen. Tatsächlich zeigen seine Persönlichkeitshoroskope schwerwiegende Fehler, da er bei der Planetenposition die Tageszeit nicht richtig berücksichtigte.

Ab 1530 lebte Nostradamus als praktizierender Arzt nahe Agen. Dort heiratete er Henriette d’Encausse und hatte mit ihr zwei Kinder. Eine Infektionskrankheit, möglicherweise die Pest, raffte 1535 seine ganze junge Familie dahin. Aufgrund dieses Verlustes, mitunter vielleicht auch wegen privater Streitigkeiten und einer Vorladung der Inquisition, ging Nostradamus jahrelang auf Wanderschaft und kehrte Anfang der 1540er-Jahre in die Pro-vence zurück. Als Freiwilliger bekämpfte er in den Jahren 1544 bis 1547 Pestausbrüche in Marseille, Aix-en-Provence und möglicherweise auch in Lyon. Seine antiseptischen Kräutermischungen und Tinkturen waren durchaus erfolgreich und schützten wohl auch ihn selbst vor einer Ansteckung.

Im Jahr 1547 heiratete Nostradamus die begüterte Witwe Anne Postarde von Salon-de-Provence. Er war erfolgreich mit wirtschaftlichen Beteiligungen und Spekulationen und daher ein recht vermögender Mann. So konnte er sich in den folgenden Jahren der Wissenschaft und Schriftstellerei widmen. Mit Anne hatte er drei Töchter und drei Söhne, dem Alter nach Madeleine, César, Charles, André, Anne und Diane.

Das prophetische Werk beginnt mit einer Vorrede an seinen ältesten Sohn César, worin Nostradamus beschreibt, wie er nachtsokkulte Schriften las und dem Feuer übergab. Dabei erlebte er seine erste große Vision, in der er Ereignisse der Zukunft erkannte und niederschreiben konnte. Als Quelle der Inspiration nennt er Gott, den Allmächtigen, als Überbringer des Orakels die Engel Gottes. Astrologie und Zahlenmystik benutzte er nach seinen eigenen Worten nur zur Angabe von Zeiten oder Perioden. Alle Vorhersagen entstammen seinen Visionen.

Im Jahr 1553 publizierte er erstmals einen Almanach mit Prophezeiungen für das kommende Jahr. Dem blieb er treu bis zu seinem Lebensende. Diese jährlichen Broschüren wurden in französischer Prosa gedruckt, anstelle des damals üblichen Lateins. Ab 1555 enthielten sie auch Vierzeiler. Im selben Jahr gab er sein erstes prophetisches Werk mit vier Centurien heraus. Die Vorrede an César war darin bereits enthalten. Schon als Pestarzt war Nostradamus bekannt geworden. Die Prophezeiungen machten ihn nun berühmt. So wurde er von Heinrich II. zu einer Audienz an den Hof gerufen. Es war jedoch vielmehr die Königin Katharina von Medici, die von ihm das Schicksal ihres Hauses erforschen wollte. Der Erfolg des Propheten rief leider umgehend auch Fälscher auf den Plan.

Nostradamus‘ Vorhersagen sind nie ganz konkret, sondern immer verschleiert. Der Mutter des Herzogs Karl von Savoyen prophezeite er zum Beispiel, ihr Sohn werde in einem Jahr sterben, wo eine Neun vor der Sieben kommt. Karl hoffte, 97 Jahre alt zu werden. Er starb jedoch mit 69, denn da kommt ebenfalls eine Neun vor der Sieben (70).

In seinen späten Jahren litt Nostradamus an chronischer Gicht und Herzasthma. Er starb an einem Asthma-Anfall in der Nacht zum 2. Juli 1566. Die sterbliche Hülle wurde in einer Fran-ziskanerkirche in Salon-de-Provence beigesetzt. Nostradamus hatte von Anfang an nicht nur Verehrer, sondern auch erbitterte Gegner. Im Jahr 1791 legte ein Jakobiner Feuer in der Franzis-kanerkirche, schändete das Grabmal des Sehers und verstreute die Gebeine. Die noch identifizierbaren Überreste wurden in eine Urne gesammelt und gleichenorts in der Kirche St. Laurent neu beigesetzt.

Schon zu Lebzeiten des Propheten hatte es Teilausgaben seines Werks gegeben. Neben der oben erwähnten bei Macé Bon-homme (1555) sind dies jene von Antoine du Rosne (1557) und Barbe Regnault (1560). Der Brief an Heinrich ist darin nicht enthalten. Die angeblich erste Gesamtausgabe von 1566 bei Pierre Rigaud in Lyon ist nachweislich rückdatiert, um den Anschein zu erwecken, sie sei gerade noch zu Lebzeiten des Propheten erschienen. Pierre Rigaud hat erst 1597, nach dem Tod seines Vaters Benoist, einen eigenen Verlag eröffnet. Diese Ausgabe stammt höchstwahrscheinlich von etwa 1605.

Die erste nachweisliche Gesamtausgabe mit beiden Zusätzen, der Vorrede an César, wie auch der Epistel an Henry, ist unzweifelhaft die hier verwendete von Benoist Rigaud zu Lyon im Jahr 1568, rund zwei Jahre nach Nostradamus‘ Tod. Von ihr sind heute noch Originaldrucke erhalten.

Die Zahl der späteren Nachdrucke der Gesamtausgabe ist groß und setzt sich bis ins 20. Jahrhundert fort. Zum Teil sind sie unvollständig, oft wurden Worte verändert, zum Beispiel in der rückdatierten Ausgabe von Pierre Rigaud. Das hat gravierende Konsequenzen für die Auslegung, denn in der dichten prophetischen Sprache ist jedes Detail entscheidend.

War Nostradamus dank seiner Almanache schon zu Lebzeiten berühmt, kann er heute als der bedeutendste außerbibli-sche Verfasser von Prophezeiungen gelten. Skeptiker und Kritikermonieren, die Interpretationsmöglichkeiten der Vierzeiler seien sehr breit; es sei ein Leichtes, irgendetwas in sie hineinzuprojizie-ren. Damit ist Nostradamus nicht allein. Bei den biblischen Propheten wird ähnlich argumentiert oder auf Biegen und Brechen versucht, die Prophezeiungen als nachträglich verfasst erscheinen zu lassen. Sollte die vorliegende Interpretation treffend sein, werden wir es in einigen Jahren genauer wissen.

EINFÜHRUNGIN DAS PROPHETISCHE SENDSCHREIBEN

Nostradamus wird bisweilen als großer Astrologe dargestellt, doch wie wir anlässlich seiner Vita oben erkannt haben, war er das nachweislich nicht. Als an Astrologie Interessierter kannte er aber sicher die Bedeutung der einzelnen Planeten, der Tierkreiszeichen und ihrer Beziehungen. Im Jahr 1551, etwa zur Abfassungszeit seiner Prophezeiungen, waren die Prudentischen Tafeln zur Berechnung der Planetenpositionen herausgekommen. Sie waren zwar genauer als die Alfonsinischen Tafeln aus dem 13. Jahrhundert, doch nur aufgrund der neueren Datengrundlage. Beiden Tafelwerken lag ein um fast 20 Minuten zu kurzes siderisches Jahr zugrunde. Allein aufgrund dieses Fehlers hätten Mitte 16. Jahrhundert auch die besten Astronomen auf 500 Jahre hinaus alle Termine rund eine Woche zu früh berechnet. Wesentlich verbessert wurde die Situation erst 1627 durch die von Kepler erarbeiteten Rudolfinischen Tafeln.

Nach seinen eigenen Angaben machte Nostradamus wohl tatsächlich astronomische Berechnungen, nicht nur in den Vier-zeilern, sondern auch in Bezug auf das vorliegende Sendschreiben. Im Kapitel über die Datierung der Naturkatastrophe (S. 169) werden uns umfangreiche astronomische Angaben begegnen, die auf gut 500 Jahre hinaus fast auf den Tag genau mit heutigen, sekundengenauen Berechnungen übereinstimmen. Die widerspruchsfreie Kongruenz zwischen zahlreichen Aspekten und ihren Bedeutungen ist umfangreich genug, dass wohl selbst notorische Kritiker eine gewisse Glaubwürdigkeit einräumen müssten. Solche Präzision wäre mit den mathematischen Mitteln des 16. Jahrhunderts undenkbar gewesen. Die einzig mögliche Erklärung ist, dass Nostradamus die Planetenkonstellationen in seinen Eingebungen empfing und sie mit seinen Möglichkeiten nur grob überprüfte oder ergänzte.

Bei der Interpretation prophetischer Botschaften ist es allgemein wichtig, sich zwei Dinge bewusst zu halten: Erstens sind prophetische Aussagen und Bilder sehr dicht und metaphorisch. Jedes Detail kann eine entscheidende Information bieten. Zweitens wechseln die Propheten bisweilen unvermittelt den Kontext. Ganz besonders bei Nostradamus ist letzteres zu beachten, denn wie wir im Folgenden sehen werden, hat er offensichtlich auch die Aussagen im Sendschreiben durcheinandergemischt. Dies dient zweifellos der Verschleierung. Den Interpreten soll es nicht zu einfach gemacht werden. Ein wechselndes Bedeutungsumfeld ist aber immer an Stichworten und Zeichen erkennbar, die nicht zu den bisherigen Aussagen passen.

Bei Nostradamus kommt hinzu, dass er verschiedentlich mit lateinischen Einwürfen spielt. Oft sind sie schon in der ursprünglichen Ausgabe durch den Schriftsatz Antiqua als solche angezeigt. Ebenso oft bleiben sie aber im französischen Text verborgen, so wie auch Einwürfe in Griechisch oder bisweilen sogar in der provenzalisch-keltischen Mundart des Propheten. Das Provenzali-sche ist mit dem Irisch-Gälischen verwandt, das gut dokumentiert ist. Interpretationsvarianten in alten Sprachen müssen als letzte Zuflucht erwogen werden, sofern im Rahmen des französischen Bedeutungsschatzes keine sinnvolle Übertragung möglich ist. Das Französische hat, anders als das Deutsche, seit dem 16. Jahrhundert keine großen Lautverschiebungen und Veränderungendurchlaufen. Wir müssen also kein »Altfranzösisch« beherrschen und können den Text mithilfe normaler, heutiger Wörterbücher deuten. Allfällige veraltete Begriffe können wir durch Rückgriff auf Latein ergründen.

Nostradamus war ein Gelehrter seiner Zeit. Er weist aber schon am Anfang der Epistel unmissverständlich darauf hin, dass er seine Prophezeiungen nicht mit seinen wissenschaftlichen Mitteln herausfand, sondern in prophetischer Trance empfing (V. 8, S. 41):

Jedoch, einem sehr umsichtigen, einem überaus weisen Fürsten habe ich meine nächtlichen und prophetischen Ermittlungen geweiht, verfasst vielmehr aus einer natürlichen Neigung, begleitet von einer verrückten Rage, als nach poetischer Ordnung.

Nostradamus bezeichnet sich selbst als Prophet im Sinn eines sensiblen Geistes, als »Verrückten«, der Botschaften aus jenseitigen Quellen vermittelt erhält. Astrologische Wissenschaft, kabbalisti-sche Rechnungen und historisch-metaphorische Mittel verwendet er höchstens, um sie vor unkundigen Augen zu verschleiern und zu verbergen.

Wie wir im Folgenden sehen werden, beschreibt Nostradamus in seinem Sendschreiben die ganze Schöpfungsgeschichte von ihrem Beginn bis zum Ausblick ins Tausendjährige Friedensreich, das am Ende der Johannesapokalypse erwähnt ist (Offb 20,4–6). Im Detail prophezeit er aber vor allem den Zeitraum von seiner Gegenwart in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahr 2080, gut fünf Jahrhunderte in seine Zukunft. Das ganze Schreiben wird in den folgenden Kapiteln Vers um Vers übersetzt und interpretiert. Um die Übersicht mit einer zeitlichen und thematischen Gliederung versehen zu können, sehe ich mich als Autorund Interpret gezwungen, die Verse neu zu kombinieren. Die Nummerierung bleibt dabei erhalten, so dass immer klar erkennbar bleibt, in welche Reihenfolge der Prophet seine Aussagen ursprünglich setzte.

Nostradamus nimmt in der ganzen Epistel gegenüber allen weltlichen und kirchlichen Mächten der Jahrhunderte eine sehr kritische Haltung ein. Verschiedentlich schreibt er zwar von der verfolgten Kirche, doch damit meint er keineswegs die etablierten irdischen Kirchen, weder die römisch-katholische noch die reformierten oder orthodoxen: Wenn er von Kirchenverfolgung schreibt, meint er immer gläubige Christen aller Art, die mit den mächtigen, konkurrierenden Kirchen in Konflikt stehen und von diesen blutig verfolgt werden, während er allen irdisch-kirchlichen Mächten hart an den Karren fährt.

Zwischendurch fügt Nostradamus zweimal eine biblische Chronologie ein, die bei bisherigen Interpreten große Beachtung fanden, denn sie stimmen nicht überein und sind historisch und biblisch nur sehr bedingt haltbar. Dass der Prophet sie ins Send-schreiben einfügt, kann verschiedenen Zielen dienen. Erstens lenkt er damit von den entscheidenden Aussagen ab und führt all jene in die Irre, die nur an irdischen Prognosen interessiert sind. Ferner ist nicht auszuschließen, dass die Chronologien als Schlüsselteile für die nach wie vor im Verborgenen bleibenden Centurien dienen. Am Anfang der ersten Chronologie ergreift Nostradamus zudem die Gelegenheit, eine religiöse Geisteshaltung zu kritisieren, die unseren Glauben bis heute dominiert: die sogenannte »Natürliche Theologie«, die die Bibel verweltlicht. Nach diesem Plädoyer für eine jenseitig orientierte Theologie lesen sich die nachfolgenden Entwicklungsstufen des Volkes Gottes wie ein Bild der geistigen Entwicklung der ganzen Menschheit, einschließlich der Jahrhunderte von Krieg und Vernichtung von der Antike bis in die Neuzeit. Die zweite Chronologie führt die biblische Geschichte über das Wirken Christi hinaus fort und mündet im großen Umsturz.

Ein wesentlicher Teil des Sendschreibens kann heute dazu dienen, Vertrauen in den Propheten aufzubauen, denn die vorausgesagten irdischen Begebenheiten liegen in unserer Vergangenheit, sind also geschriebene Geschichte. Zwar müssen wir bisweilen historische, sprachliche und metaphorische Klimmzüge vollziehen. Dennoch können wir sie in der vorliegenden Interpretation alle plausibel einordnen. Damit werden auch die wenigen, noch in unserer Zukunft liegenden Ereignisse glaubwürdig.

Die Darstellung von Geschichte und Endzeit stimmt gut mit den Ankündigungen im Buch der Offenbarung und anderen biblischen Prophezeiungen überein, namentlich jene von Daniel. Kritiker werden einwenden, das sei kein Wunder, da Nostrada-mus die biblischen Propheten zweifellos kannte. Geneigte Leserinnen und Leser können dies als Bestätigung auffassen, dass sich Propheten der Wahrheit nicht widersprechen können.

Die Prophezeiungen enthalten Aussagen zum aktuellen Terror und zum Palästinakonflikt, die nach Nostradamus leider noch einige Jahre in die Zukunft fortbestehen werden. Noch besorgniserregender sind die Befunde zur großen Heimsuchung der Menschheit. Sie resultieren in präzisen Zeitangaben zu einem durch Naturereignisse verursachten Umsturz, der die ganze irdische Schöpfung betrifft. Sie sind anhand der reichhaltigen astro-logischen Konstellationen ziemlich verlässlich datierbar. Dies macht das Sendschreiben außerordentlich bedeutsam, denn es ergänzt die biblischen Prophezeiungen mit einem viel präziseren Zeitrahmen. Meiner Meinung nach reiht sich Nostradamus damit, zusammen mit Hildegard von Bingen, in die fortgesetzte Reihe der biblischen Propheten ein. Die Prophetie fand mit Johannes von Patmos nicht schon im ersten Jahrhundert ihren Abschluss, wie viele glauben. Warum sollte Gott sich selbst das Wort verbieten?

Schon viele Auguren sagten einen Weltuntergang voraus und wurden als Scharlatane überführt, da die Ereignisse nicht eintrafen. Nostradamus unterscheidet sich von ihnen, da sich seine irdischen Prophezeiungen des Sendschreibens mehrheitlich bereits erfüllt haben. Es bleiben nur wenige offen, die auf unsere nahe Zukunft datiert werden müssen, das heißt auf gut fünf Jahrzehnte hinaus. Überdies betont Nostradamus in aller Deutlichkeit, seine Prophezeiungen seien in Übereinstimmung mit den Heiligen Schriften, die er über alles ehrt und auf die er sich immer wieder bezieht.

Wie in vielen biblischen Prophezeiungen scheinen auch bei Nostradamus oftmals jenseitige Sphären hindurch, die Materialisten verdrängen oder gar verspotten. Damit bleibt die wahre Bedeutung all jenen verborgen, die ausschließlich die materielle Welt als real akzeptieren. Das ist durchaus im Sinn der Prophezeiungen. Den Lauf der Schöpfung kann man nur im Bewusstsein dieses vielgestaltigen Jenseits‘ wirklich verstehen. Um den Zugang zu den Prophezeiungen zu erleichtern, fasse ich hier die prophetische Schilderung des Jenseits‘ schon vorab kurz zusammen. Anlässlich seiner ersten biblischen Chronologie (S. 61) können wir näher auf Nostradamus‘ Sichtweise eingehen.

Wir Menschen wurden lange vor unserer Geburt als Geist-wesen geschaffen. Christus ist Gottes Statthalter, der rechtmäßige Herrscher dieser geistigen Urschöpfung. Nach Äonen der Harmonie wurde Luzifer, der Zweite unter Christus, neidisch auf seinen Bruder und zettelte eine Verschwörung an. Mit verbündeten Engelsfürsten wollte er die Herrschaft übernehmen. Die Menschengeister, die sich auf ihn eingelassen hatten, wurden sein Eigentum.So wurde Luzifer zu Satan, und wir abgefallenen Menschen landeten schließlich in der materiellen Erdenschöpfung. Christus kam zu unserer Rettung in die von Satan beherrschte Welt und lieferte sich ihm und seinen Dämonen aus. Da er den höllischen Angriffen standhielt, konnte er uns aus der sklavischen Abhängigkeit befreien. Seither sind wir noch auf der Erde zur Probe, bis wir das Gute gelernt haben und wieder in die himmlische Seligkeit heimkehren können. Am Ende des aktuellen Äons wird Christus wiederkehren und all jene heimholen, die Eigennutz, Konsum-sucht und Machtstreben überwunden haben. Die Zurückgelassenen kommen in immer neue Daseinsformen, bis sie rein genug sind, um ebenfalls in die Seligkeit heimzukehren, so dass am Ende die Hinterste und der Letzte angekommen ist.

WIDMUNGUND DANKSAGUNG

1. Anrede des majestätischen Empfängers

A l’Invictissime, Tres-Puissant et Tres-Chrestien Henry Roy de France second : Michel Nostradamus, tres humble, et tres-obeyssant seruiteur & subject, victoire et felicité.

Spätere Ausgaben um die 16. Jahrhundertwende änderten die ursprüngliche Schreibweise zu Henry II. Roy de France, denn sie schlossen, scheinbar naheliegend, das Schreiben sei Nostrada-mus‘ Zeitgenossen Heinrich II. gewidmet. Die obige, verdrehte Form Henry Roy de France second entspricht jedoch der ursprünglichen Ausgabe von Benoist Rigaud, die kurz nach dem Ableben des Propheten gedruckt wurde.

Die von Nostradamus verwendeten Begriffe haben folgende Herkunft und Bedeutung:

Chrestien, in heutiger Schreibweise chrétien, heißt nicht nur »christlich«, sondern kommt von griechisch έχρισε (echrise), »gesalbt«. Die Steigerung Très-Chrétien heißt demnach »höchst Gesalbter«, und mit der Großschreibung beider Wortteile sinngemäß »des Höchsten Gesalbten«.

Henry (Henri), zu Deutsch Heinrich, ein seit dem Mittelalter sehr beliebter Name, kommt aus dem Althochdeutschen: »Heima« bedeutet »Heim, Heimat, Heimstatt«; »rihhi« heißt »reich, mächtig« oder auch »Macht, Herrschaft, Herrscher«. Henry oder Heinrich bedeutet also Hausherr, Herr des Heims bzw. Herrscher oder Fürst der Heimat.

France, der Name Frankreichs geht zurück auf franc (franche) mit der Bedeutung »frei, aufrichtig«. France (la franche) heißt also »die Freie, Aufrichtige« beziehungsweise »Land der Freien, Aufrichtigen«.

Second heißt nicht nur »der Zweite«, sondern bezeichnet gemäß dem französischen Standardwörterbuch Larousse einen, »der in einer Abfolge, einer geordneten Gruppe, in einer Klassifikation nach dem Ersten kommt, der somit nicht der Erste seiner Kategorie ist«1. Das zugrundeliegende lateinische secundus heißt mitunter »folgend, nachstehend, geringer, begleitend«. Second heißt also sinngemäß auch »der Stellvertreter« oder bezogen auf einen obersten Herrscher »der Statthalter«.

Die einleitende Anrede kann also unter Berücksichtigung der Herkunft der Begriffe wie folgt übertragen werden:

Dem Unbesiegbaren, Allermächtigsten, dem Gesalbten des Höchsten, dem Herrscher der Heimat und König der Freien, Aufrichtigen, dem Statthalter, von Michel Nostradamus, dem ergebensten und gehorsamsten Diener, Sieg und Glück!

Wer anderes könnte mit diesem höchsten König der Freien und Aufrichtigen gemeint sein, als nur Christus, der Gesalbte Gottes?

Nachdem wir Überschrift und Widmung in ihrer Urform sinnvoll einordnen können, müssen wir nur noch gewisse Eigenarten prophetischer Rede richtig einschätzen. Dann sind wir bereit, das Sendschreiben in Angriff zu nehmen. Wie in anderen Prophezeiungen dürfen wir Zeitformen nicht wörtlich nehmen. Sie werden nach Belieben in die Vergangenheitsform gesetzt, wenn sie die Zukunft betreffen oder in der Zukunft angekündigt, obschon sie lange vergangen sind. Wie die bisweilen verwirrlichen Formulierungen dient dies der Verschleierung, auf dass sie nicht zu früh interpretiert werden und somit den Verlauf der Geschichte ungünstig beeinflussen können. Bei Nostradamus kommt hinzu, dass Kontext und Zeitalter wie oben erwähnt unvermittelt wechseln können. Wir müssen jede Aussage für sich allein einordnen und dürfen sie nur bedingt mit umliegenden Versen in Verbindung bringen.

2. Hohe Würdigung des Empfängers