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Ariadnes verbotener Kuss, das berauschende Gefühl, sie in seinen Armen zu halten – und dann der Schmerz, als sie kurz darauf seinen Bruder heiratete: Lange ist es her, doch nie hat der griechische Multimilliardär Dionysus Katrakis es vergessen! Nun ist Ariadne Witwe. Im exklusiven Diamond Club begegnet Dionysus ihr wieder und spürt sofort: Er begehrt sie noch immer wie keine andere Frau je zuvor. Aber darf er wirklich die brennende Liebe, die früher zwischen ihnen herrschte, von Neuem heraufbeschwören?
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Seitenzahl: 204
Millie Adams
Nur dein Kuss heilt mein Herz
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA, Band 2681 Übersetzung: Anke Laumann
© 2024 by Millie Adams Originaltitel: „Greek’s Forbidden Temptation“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751525206
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Der luxuriöse Barhocker im Diamond Club erzählte eine tragische Geschichte, denn der Mann, der früher auf ihm gesessen hatte, lebte nicht mehr. Dem exklusivsten Club des Globus gehörten nur neun der reichsten Männer der Welt an – und eine Frau.
Jetzt konnte sie den freien Barhocker neben Dionysus Katrakis für sich beanspruchen. Sie zählte zur Superelite, der im Diamond Club eine ganze Bar vorbehalten war. Ich bin jetzt eine von ihnen. Doch sie würde nie wirklich dazugehören.
Ihr Leben hatte sich für immer verändert. Die Zukunft, die sie und Theseus sich ausgemalt hatten, gab es nicht mehr. Ihr Glück war zerstört. Ariadne Katrakis blinzelte mühsam die Tränen zurück, nahm auf dem luxuriösen Barhocker neben ihrem Schwager Platz und betrachtete sein Profil.
Stolz. Arrogant. Vertraut. Er glich ihrem Ehemann bis aufs Haar und war mit dem markanten Kinn, der aristokratischen Nase, den buschigen Augenbrauen und der bronzefarben getönten Haut umwerfend attraktiv.
Die schwarzen Haare, die er etwas länger als sein verstorbener Zwillingsbruder trug, als wäre eine Frau gerade mit den Fingern hindurchgefahren. Ob absichtlich oder nicht, konnte man bei Dionysus nie sagen.
Ihr Schwager war völlig anders als ihr Mann: ein egoistischer und unberechenbarer Genussmensch, der trotzdem furchtbar sympathisch und anziehend war. Das war ihre wahre Tragödie. In seiner Gesellschaft hatte sie – wie vermutlich jede Frau – immer das Gefühl gehabt, in Wärme eingehüllt zu sein. Sie räusperte sich. „Es ist vollbracht.“
Er wandte sich ihr zu. Ja, er sah Theseus verblüffend ähnlich – und wirkte dennoch völlig anders. Ihr Mann hatte eine bedrückende Bürde auf den Schultern getragen. In seiner Miene hatte sich eine gewisse Strenge und Härte widergespiegelt, während Dionysus viel lebhafter war. Ihm waren die Gefühle am Gesicht abzulesen. Das hatte sie schon immer fasziniert.
„Dann hast du also im Blut von Jungfrauen gebadet und alle erforderlichen rituellen Opfer gebracht.“ Er lächelte.
Aber sie sah ihm seinen Kummer und die Erschöpfung an. „Alles, was ich bekommen habe, war das Blut einer sehr müden Taube und eines rituell geopferten Meerschweinchens. War das frauenfeindlich?“
„Ich glaube, das nennt man Pink Tax – den Preisaufschlag, den Frauen bei gleichwertigen Produkten gegenüber Männern bezahlen müssen.“ Er kippte den restlichen Macallan hinunter – den weltweit teuersten Whisky aus Schottland. „Ein Drink? Sie müssen dir jetzt alles besorgen, was du willst. Du bist Mitglied.“
„Ja.“
„Ich entschuldige mich für alles, was mein Vater nach der Beerdigung zu dir gesagt hat.“
„Hast du es gehört?“ Die Farce von Beerdigung hatte die Menschen nicht eingeschlossen, die Theseus wirklich etwas bedeutet hatten. Niemand hatte auch nur ein wahrhaftiges oder tief empfundenes Wort über ihn gesagt.
Dionysus klopfte mit dem Glas auf die Theke. Der Barkeeper erschien wie aus dem Nichts, schenkte ihm noch einen Whisky ein und sah Ariadne erwartungsvoll an.
„Nur etwas Mineralwasser, bitte.“
„Ich musste seine Worte nicht hören“, antwortete Dionysus, während ihr ein Glas Mineralwasser serviert wurde. „Ich kann mir genau vorstellen, was er gesagt hat. Er wird mit dir um das Geld kämpfen.“
„Er meinte, du solltest mit mir darum kämpfen.“
„Weil ich so verarmt bin?“
„Ich bin jetzt ein bisschen reicher als du“, entgegnete sie.
„Erstaunlich, was das jahrhundertelange Horten von Reichtum anrichten kann. Aber diese Situation ist allein das Werk meines Vaters, der beschlossen hat, Theseus bei seiner Heirat mit dir das Imperium zu schenken.“
„Unter einer Bedingung, wie du weißt. Das sollte erst endgültig sein, wenn Theseus einen Erben gezeugt haben würde. Aber du hast nicht gehört …“ Sie ballte die Fäuste. „Ich bin schwanger.“
„‚Schwanger‘?“
Bildete sie sich nur ein, dass er schockiert war? Ihre Schwangerschaft sollte eine gute Nachricht für alle sein. Ein Teil von Theseus würde weiterleben. Die näheren Umstände musste sie verschweigen.
Wenn die Wahrheit ans Licht kommen würde, könnte sein Vater das Kind immer noch enterben – was Theseus um jeden Preis hatte vermeiden wollen. Er hatte sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, dass sie beide gemeinsam das Familienunternehmen leiten und das Erbe an ihre Kinder weitergeben konnten. Allerdings würden sie ihre Kinder völlig anders erziehen, als er erzogen worden war.
Sie hatte ihm hoch und heilig versprochen, nichts zu tun, was die Erbschaft jetzt noch gefährden könnte. Erneut kämpfte sie gegen die aufsteigenden Tränen an. Ihre Ehe war zwar unkonventionell gewesen, und gelegentlich hatten sie zu kämpfen gehabt. Doch meistens hatte er ihr ein erfülltes Leben voller Liebe und Lachen geschenkt. Jetzt fühlte es sich trostlos an. Aber sie musste stark sein und an das Baby denken.
„Ich nehme an, du hast meinem Vater gesagt, dass du schwanger bist?“
„Natürlich. Ich trage seinen kostbaren Erben in mir. Du weißt, wie sehr er Theseus bevorzugt hat.“ Es gab keinen Grund, irgendetwas zu beschönigen. Zudem glaubte sie auch nicht, dass sie Dionysus’ Gefühle verletzen könnte. Jedenfalls nicht mehr. Ihre derzeitige Beziehung zu ihrem Schwager könnte man bestenfalls als ungut bezeichnen.
Doch ihre Beziehung basierte auf einer fast lebenslangen Freundschaft. Als Zehnjährige hatte sie die zwölfjährigen Zwillinge kennengelernt. Immer, wenn ihre Familien die Sommer auf der Insel verbracht hatten, hatten sie und die Jungs wie eine verschworene Gemeinschaft zusammengehalten.
Sie hatte sich zu Theseus’ ruhiger, ernster Art hingezogen gefühlt, der sie mit seinem schlitzohrigen Witz zum Lachen gebracht hatte. Menschen, die ihm nicht nahe genug gestanden hatten, war dieser tiefgründige Humor oft entgangen. Er hatte ihr wirklich zugehört und wie niemand sonst das Gefühl vermittelt, verstanden zu werden.
Dionysus hingegen hatte wie ein Blitz eingeschlagen. Sie hatte nur zusehen und hoffen können, dass sie beide nicht durch die Nachwirkungen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Seine frechen Heldentaten hatten ihm ein heiteres Vergnügen bereitet und ihr – wenn auch nur aus der Ferne – ein bisschen Spaß gemacht.
Sie hatte erst erkannt, dass sein Verhalten nicht nur rücksichtslos, sondern gefährlich war, nachdem auf der Party zu ihrem achtzehnten Geburtstag alles aus dem Ruder gelaufen und ihre Freundschaft in die Brüche gegangen war.
Zehn Jahre später lag all das hinter ihnen. Ihre lange Freundschaft war wichtiger als einige sehr heikle Momente im Lauf der Zeit. Sie waren durch tiefere Dinge miteinander verbunden.
Die Zwillinge waren ohne einander dem Zorn ihres Vaters schutzlos ausgeliefert gewesen. Patrocles Katrakis, ein erzkonservativer griechischer Patriarch, hatte eine grausame Ader und hohe Erwartungen an seine Söhne. Besonders an den drei Minuten früher geborenen Theseus, der die milliardenschwere Reederei übernehmen sollte.
Denn das Erbe, das Patrocles aufgebaut hatte, war das Wichtigste für ihn. Seine Söhne waren die reichsten Zwillinge der Welt. Ein Beweis für seine Männlichkeit und Macht. Er hatte Theseus nach seinen Vorstellungen formen wollen und vor allem ihn seinen Zorn und seine Unvernunft spüren lassen.
Als seine Ehefrau hatte Ariadne ihren Teil des Drucks abbekommen. Theseus’ Stärken lagen nicht in der Organisation, Verwaltung oder im Finanzwesen, das James zu managen begonnen hatte. Dafür hatte er gut und teilnahmsvoll mit Menschen umgehen können, was sein Vater geringschätzte.
Aber sie hatten einander ergänzt und bei der Leitung des Unternehmens gute Arbeit geleistet. Natürlich spielte Patrocles ihre Rolle im Unternehmen herunter. Doch das war ihr egal.
Zum Glück hatte James in den letzten Wochen die Geschicke von Katrakis Shipping geleitet. Das erschien in vielerlei Hinsicht unfair. Doch er hatte zu ihr gesagt, dass er sich auf diese Weise privat kümmern konnte, weil es ihm in der Öffentlichkeit nicht möglich war. Ariadne hatte seine Hilfe dringend gebraucht.
„Ich weiß, dass mein Vater meinen Bruder bevorzugt hat – und du weißt vermutlich, dass diese Bevorzugung immer vergiftet war“, meinte Dionysus.
„Ja. Dein Vater hat mich als Theseus’ Frau akzeptiert.“
Er lachte auf. „Dessen bin ich mir bewusst. Trotzdem war er die ganze Zeit über furchtbar hart zu dir, nicht wahr?“
Sie wandte den Blick ab. In den letzten Tagen hatte sie sich nicht wohl und innerlich leer gefühlt. Sie musste den Stress in den Griff bekommen. Nach Theseus’ Unfall war sie erst wie betäubt gewesen und dann wütend geworden.
Wie konnte die Welt nur so grausam sein? Durch die Geburt ihres gemeinsamen Kindes hätte sich für Theseus endlich alles verändert. Aber ihre emotionale Erschöpfung hatte sich in körperliche Schmerzen verwandelt, die sie misstrauisch machten.
„Dein Vater will nicht, dass ich die Kontrolle über das Unternehmen habe und den ganzen Reichtum verwalte. Zu seinem Leidwesen kann er nichts tun.“
„Du bist mir nie als jemand aufgefallen, der sich allzu sehr um Geld kümmert, Ariadne.“
Das tat sie auch nicht. Natürlich kannte sie ein Leben ohne Geld nicht und wusste nicht, wie es funktionierte. Aber sie wusste, wie man arbeitete. Dabei war von Bedeutung, dass Theseus’ Vermächtnis in Form ihres Kindes weiterleben sollte. Zudem könnte sie einen Teil des Geldes für eine Sache verwenden, von der sie wusste, dass Theseus sie unterstützen wollte.
Denn es gab da draußen Kinder wie ihn, die ein Leben im Schatten führten und nicht sie selbst sein konnten. Für diese Kinder würde sie sich einsetzen. Vielleicht konnte sie die Erinnerung an Theseus nutzen, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Was war der Sinn des Geldes, wenn sie damit nichts bewirken konnte?
„Wusste Theseus, dass du schwanger warst?“
„Ja. Wir haben es zwei Tage vor seinem Tod erfahren.“ Er war wie sie sehr glücklich, aufgeregt und erleichtert gewesen.
„Was für ein Glück für dich, dass du es geschafft hast, kurz vor seinem Tod schwanger zu werden.“
Sie zuckte zusammen. Das stimmte. Die Reederei würde sonst nicht unter ihrer Aufsicht stehen und das Geld der Katrakis’ nicht an sie gehen. Aber das wäre keine Tragödie. Die Tragödie war, dass sie Theseus verloren hatte. „Du kennst mich besser und solltest wissen, dass ich deinen Bruder geliebt habe.“
„Tut mir leid“, sagte er ungewöhnlich zerknirscht. „Das hast du nicht verdient. Das Geld gehört dir, Ariadne. Mein Vater hat kein Recht, es dir wegzunehmen.“
„Ich werde es verwalten. Es wird unserem Kind gehören.“
„Du wirst das Unternehmen weiterhin leiten und deine Stellung im Diamond Club behalten, bis mein Neffe oder meine Nichte volljährig werden.“
Seine Stimme klang jetzt hart. Sich ihn als liebevollen Onkel vorzustellen, fiel ihr schwer. Genauso wie sich auszumalen, dass er etwas anderes tat, als flapsige Bemerkungen zu machen und sich dem Exzess hinzugeben. Was sie in ihrer Jugend amüsiert hatte, hatte sich in etwas Gefährliches und Beängstigendes verwandelt, seitdem sie erwachsen waren.
Dionysus war schon immer unersättlich und hatte mit seinen Eroberungen geprahlt. Er war auf eigene Faust losgezogen und hatte unabhängig vom Familiennamen ein Vermögen gemacht. Theseus dagegen hatte sich in Anbetracht der Strenge ihres Vaters immer stärker abgekapselt und gesagt, dass er seinen Zwillingsbruder manchmal beneidete.
Wahrscheinlich hatte Dionysus den Überblick verloren, mit wie vielen Frauen er schon ins Bett gegangen war – manchmal sogar nur an einem einzigen Wochenende. Auch eine achtundvierzigstündige Orgie schien genau sein Ding zu sein. Er war ein Wüstling.
Vielleicht war sie verbittert, weil er keine Ahnung zu haben schien. Mit seiner Art zu leben mochte er seinem Vater die kalte Schulter zeigen. Aber er hatte sich auch gegenüber seinem Bruder verächtlich benommen – ob er es gewollt hatte oder nicht. Als Zweitgeborener war er frei.
Natürlich hätte Theseus seinem Vater schon viel früher als geplant die Stirn bieten können. Er war dazu entschlossen gewesen, hatte jedoch warten wollen, bis sie ein Kind hatten, bevor er irgendwelche drastischen öffentlichen Schritte unternahm. Damit vorher das Erbe gesichert war. „Nun, angesichts der rituellen Opfer möchte ich meine Position im Club behalten.“
„Ja, natürlich.“ Er lachte leise. „Warum solltest du das auch alles aufgeben?“
„Das Unternehmen hat für mich eine große Bedeutung – auch wenn du es vielleicht nicht verstehst. Ich kenne die Menschen dort. Sie sind auf uns angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Unter Theseus’ Leitung wurden die Mitarbeitergehälter erhöht und die Sozialleistungen verbessert. Darauf möchte ich aufbauen. Ich kenne das Unternehmen in- und auswendig. Wir waren ein Team.“
„Es ist ein Schock, wie plötzlich er ums Leben gekommen ist.“
„Er war gerade auf dem Weg zurück ins Büro, um irgendwelche Unterlagen zu holen, als er von einem betrunkenen Autofahrer angefahren wurde. Er ist nicht zu schnell gefahren. Bis zum Ende hat er sich um seine Verpflichtungen gekümmert.“
„Was für eine Verschwendung. Ich dachte immer, dass es mich erwischt, wenn einer von uns beiden jung stirbt.“
„Du hättest es sicherlich verdient.“ Bin ich zu weit gegangen? Doch er lächelte sie reuevoll an und schien eher amüsiert als wütend zu sein. Allerdings war seine Stimmung immer nur schwer einzuschätzen.
Früher einmal, als sie Freunde gewesen waren, hatte sie ihn wirklich gekannt. Seit einem Jahrzehnt waren sie angeheiratete Verwandte, hatten sich gelegentlich zum Abendessen oder an Feiertagen getroffen und einander geneckt. Jetzt nahm sie wahr, wie weh es tat, dass sie einander fremd geworden waren. Denn Theseus war nicht mehr am Leben.
„Das stimmt.“
„Und doch hast du auch dein eigenes riesiges Unternehmen aufgebaut. Wenn dir nichts wirklich wichtig wäre – sogar dein eigenes Leben nicht –, warum hättest du das tun sollen?“
„Du unterschätzt, wie sehr ich meinem Vater beweisen wollte, aus dem Nichts etwas schaffen zu können. Er konnte nur Vermögen, das Generationen vor ihm bereits angehäuft hatten, weiter vermehren. Ich will nicht schmälern, was Theseus oder du für das Unternehmen bewerkstelligt haben. Aber mein Vater ist unverhältnismäßig stolz auf das bisschen Arbeit, das er geleistet hat.“
Das ergab auf eine kranke Art und Weise einen Sinn. „Er würde auch unverhältnismäßig stolz darauf sein, mir das Unternehmen wieder wegzunehmen, wenn wir die komplizierten Erbschaftsbedingungen nicht erfüllen.“
„Ja.“
„Dann würde er die Reederei automatisieren und möglichst viele Angestellte loswerden wollen.“
„Ein Unternehmen ist keine Wohltätigkeitsorganisation“, betonte Dionysus.
„Führst du dein Unternehmen mit derselben Rücksichtslosigkeit wie dein Vater?“
Er lachte. „Das würde voraussetzen, dass es mir wichtig wäre, reich zu sein. Aber ich habe, was ich will. Ein Portfolio erfolgreicher und lukrativer Unternehmen, die von Autodiensten bis hin zur Lieferung von Lebensmitteln die ganze Bandbreite praktischer Lieferdienste abdecken. Ich mache mir zunutze, dass die Menschen für ihre Bequemlichkeit Geld bezahlen – und dadurch wird wiederum mein Leben bequemer. Ich kann tun, was ich will.“
Aus irgendeinem Grund kam Ariadne das seltsam vor. Er konnte tun, was er wollte. Sie hatte einen großen Teil ihres Lebens der Freundschaft mit Theseus gewidmet und besaß jetzt so viel Geld. Dennoch war sie nicht wirklich zufrieden gewesen – auch wenn sie es gehofft hatte.
Plötzlich spürte sie, wie sich ihr Unterleib verkrampfte, und presste die Hand auf ihren Bauch.
Er hielt sie am Arm fest. „Was ist los?“, fragte er eindringlich.
„Nichts.“ Seit ein paar Tagen hatte sie diese seltsamen Phantomschmerzen. Aber ihre Ärztin hatte gesagt, dass kein Grund zur Sorge bestand. Denn die Schmerzen waren nicht stärker geworden. Zudem hatte sie keine Blutung gehabt.
„Ich werde einfach …“ Sie stand auf und spürte, wie ein Schwall warmer Flüssigkeit aus ihrem Körper strömte. Ihr war schwindelig. Plötzlich hatte sie heftige Schmerzen.
Nein. Davor, auch noch das Baby zu verlieren, hatte sie sich am meisten gefürchtet, als sie vor ein paar Tagen den lähmenden Schock über Theseus’ Verlust überwunden und die Schmerzen gespürt hatte.
Das Letzte, was sie sah, war Dionysus, der sie in seine starken Arme nahm. Dann wurde sie ohnmächtig.
Dionysus fluchte. Ariadne zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder in seinen Armen zu halten, hatte er sich völlig anders ausgemalt. Sie war bewusstlos und kalkweiß. Er durfte keine Zeit verlieren.
„Sagen Sie Lazlo, ich brauche sofort einen Hubschrauber. Und jemand muss das Krankenhaus anrufen“, wies er den Barkeeper an. Er würde sie nicht in eine öffentliche medizinische Einrichtung bringen.
Doch das würde dem Manager des Diamond Club klar sein. Lazlo, der zudem die rechte Hand des Club-Gründers und reichsten Mannes der Welt, Raj Belanger, war, verkehrte nur mit der luxuriösen Elite, die großen Wert auf Diskretion legte.
Der Hubschrauber würde schon auf ihn warten, wenn Dionysus das Dach des Gebäudes erreichte. Er hob Ariadne hoch, drückte sie an seine Brust und stieg in den vergoldeten Aufzug. Als die Türen sich automatisch schlossen, spürte er eine warme Flüssigkeit auf der Handfläche und bemerkte, dass Ariadne blutete. Sie war viel zu blass. Ariadne …
Er machte jeden glauben, dass er sich um nichts und niemand scherte. Doch die Wahrheit war viel komplizierter. Im Moment kannte seine Wut keine Grenzen. Denn Theseus sollte hier sein.
Die Welt war grausam. Aber sie hatte kein Recht, grausam zu seinem Bruder zu sein, der die richtigen Dinge getan und ein Leben geführt hatte, auf das sein Vater stolz war.
Theseus hatte die perfekte Frau geheiratet, die sein perfektes Kind bekommen sollte. Wenn Ariadne nicht überlebt, gibt es wirklich nichts und niemanden mehr auf diesem Planeten, der mir etwas bedeutet.
Als er jünger gewesen war und sich danach gesehnt hatte, dass die Dinge anders wären, hätte er alles dafür gegeben, wenn Ariadne ihn so angesehen hätte wie seinen Bruder. Aber wie die meisten Menschen hatte sie gewusst, dass Theseus die bessere Option für ein sicheres Leben war.
Sein Bruder war dazu bestimmt gewesen, sie glücklich zu machen. Das war sein einziger Trost – auch wenn sein Bruder und er sich seit der Verlobungsfeier nicht mehr so nahe wie vorher gestanden hatten. Wie sollten wir auch?
Jetzt war Theseus tot – und es gab keine Hoffnung, es wiedergutzumachen. Er zählte die Sekunden, bis der Aufzug endlich in der obersten Etage ankam. Die Türen öffneten sich. „Beeilen Sie sich“, wies er den Pilot an.
Auf dem Weg zu der Privatklinik, der er sie anvertrauen würde, flogen sie über die glitzernden Lichter Londons. Wenn sie das Baby verliert, wird mein Vater versuchen, die Kontrolle über das Unternehmen zurückzuerlangen. Natürlich würde sie das Baby verlieren.
Aber alles, was ihn im Moment interessierte, war, dass Ariadne lebte. Es gab nicht viel, das wichtig für ihn war. Während er unermüdlich darauf hingearbeitet hatte, seinem Vater zu beweisen, dass dieser im Unrecht war, hatte er einen Teil seiner Seele verkauft und sich ebenso unermüdlich betrunken und mit Frauen amüsiert, um all das zu vergessen.
Ja, er hatte beschlossen, sich ganz nach seinem Namensvetter zu richten, dem griechischen Gott des Weines und der Ausschweifungen. Warum auch nicht? Er war nicht der älteste Sohn. Aber jetzt lebte sein Bruder nicht mehr.
Sie waren nur wenige Minuten von der medizinischen Einrichtung in Bath entfernt. Früher hatte sich in dem Gebäudekomplex eines der römischen Bäder befunden, zu denen die Menschen geströmt waren, um geheilt zu werden.
Ein Teil des Gebäudes war modernisiert worden. Auf dem Dach befand sich ein Hubschrauberlandeplatz. Als sie landeten, kam schnell ein Notfallteam heraus. Er setzte Ariadne auf einer Trage ab. Plötzlich fühlten sich seine Arme seltsam leer an. Er blickte an sich herunter und bemerkte die Blutflecke auf seinem Anzug.
Schnell folgte er den Ärzten und Sanitätern. Niemand hielt ihn davon ab – das wäre auch eine Dummheit gewesen. Sie wurde in ein Notfallzimmer gebracht, an Monitore angeschlossen und bekam Infusionen.
Das Notfallteam versuchte, sie wiederzubeleben. „Sie braucht keine Bluttransfusion, da der Blutverlust nicht so groß war“, sagte einer der Ärzte zu Dionysus.
„Gut.“
„Sie hatte eine Fehlgeburt“, erklärte ein anderer Arzt.
Er wollte um sich schlagen. Sie hatte das Baby und damit das Einzige verloren, was ihr wirklich noch von Theseus geblieben war. Den Teil von Theseus, den sie brauchte, um das Erbe und ihre erhoffte Zukunft zu sichern. Ariadne war im Begriff, alles zu verlieren. Würde sie auch noch ihr Leben verlieren?
„Was hier passiert, bleibt unter uns“, sagte er. „Nichts dringt nach draußen.“
„Natürlich.“ Der Arzt wirkte ein wenig beleidigt, dass Dionysus auf das übliche Geheimhaltungsprotokoll der Einrichtung hingewiesen hatte, das einen zusätzlichen außergesetzlichen Schutz der Privatsphäre der Patienten garantierte.
Nach etwa fünfzehn Minuten, die ihm wie Stunden vorkamen, erlangte Ariadne endlich das Bewusstsein zurück. Sauerstoffschläuche verdeckten einen Teil ihres Gesichts.
Sie sah ihn an. „Was ist passiert?“
„Es tut mir leid, Ariadne. Du hast das Baby verloren.“ Er sah keinen Sinn darin, es ihr zu verheimlichen. Auch wenn er sie vor der Wahrheit bewahren wollte. Er konnte nicht zulassen, dass sie sich falschen Hoffnungen hingab.
Zu Ehren der Freundschaft, die sie einst verbunden hatte, und der Tatsache, wie sehr sein Bruder sie geliebt hatte. Vielleicht sogar noch mehr zu Ehren der Tatsache, wie sehr sie seinen Bruder geliebt hatte.
Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Nein.“
Er spürte ihren Schmerz tief in seinem Innern und wusste nicht, wie er sich dagegen schützen konnte. Sie war schon immer die Frau gewesen, bei der er schwach wurde. Seit Jahren hatte er niemanden mehr getröstet. Was Beziehungen anging, fehlte ihm die Übung. „Es tut mir leid.“
„Das kann nicht sein … es gibt kein … ich kann kein weiteres Baby bekommen.“
Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Dennoch war sie immer noch schön. Ein anderer Mann würde sie lieben und heiraten, auch wenn sie es sich jetzt vielleicht nicht vorstellen konnte „Eines Tages bekommst du ein Baby.“
„Und was ist jetzt?“ Sie schluckte. „Es sollte unser – Theseus’ – Baby sein. Was passiert mit seinem Erbe? Das war seine letzte Chance. Er hat einen Teil von sich verloren, als er in der Welt umhergeirrt ist, und hat so viel Arbeit in Katrakis Shipping gesteckt. Alles, was ihm wichtig war.“
„Es tut mir leid, Ariadne.“
Sie schluckte. „Wir waren so glücklich, endlich ein Baby zu bekommen. Als er gestorben ist, dachte ich, dass dieses Kind der einzige Lichtblick ist. Dieser Teil von ihm, der weiterleben und in die Welt hinausgehen würde.“
„Wenn man näher darüber nachdenkt, bin ich ein Teil von ihm, der in der Welt umherirrt.“ Ihm war klar, dass er wieder eine Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit an den Tag legte, die noch nie so unangebracht gewesen war wie in diesem Moment. „Wir sind identisch. Ich hätte seine Identität annehmen können, wenn wir die Dinge besser geplant hätten.“
„Ihr seid nicht identisch“, erwiderte sie schließlich verächtlich.
„Wir waren identisch genug.“
In diesem Moment betrat der Arzt den Raum. „Frau Katrakis, wir verlegen Sie in ein bequemeres Zimmer.“
„In Ordnung.“
Aber sie wirkte verloren und als wäre sie nur halb bei Sinnen. Dionysus blieb zurück, als sie weggebracht wurde, nahm sein Handy und rief seine Assistentin an. „Sagen Sie meine Termine für die nächste Woche ab. Es gibt eine dringende Angelegenheit, um die ich mich kümmern muss.“
Carla hatte er vor allem eingestellt, weil sie ein alter Drache war. Sie schrie ihn an, wenn ihr etwas nicht passte, und vermittelte ihm auf eine seltsame Art Halt und Ordnung. Das war seinen Eltern nie gelungen. Seine Mutter hatte ihn ignoriert, und sein Vater hatte ihn verprügelt.
Sie seufzte. „Heißt das, Sie gehen auf Sauftour?“
„Ja. Es tut mir furchtbar leid. Aber ich habe gerade zwei Supermodels zur Hand, die bereit sind, erst in meine Limousine und dann in mein Bett zu steigen. Und ich habe vor, das Abenteuer in vollen Zügen auszukosten.“
„Sie haben Glück, dass Sie charmant sind“, sagte Carla. „Sonst hätten Sie es nicht geschafft, Investoren dazu zu bringen, Geld in ein Unternehmen zu stecken, bei dem der Besitzer nie im Büro ist.“
„Ich schätze, ich habe großes Glück.“ Er legte auf und machte sich auf den Weg zu Ariadne. In den letzten Jahren hatte er wenig für seinen Bruder getan. Er hatte das Gefühl, ungeheuer versagt zu haben. Er wollte, konnte – und würde – bei Ariadne bleiben, bis die Ärzte sie entließen.