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Vicki Bennett rettete Ryan Sullivan, als sie Teenager waren, das Leben und damit begann eine enge Freundschaft. Trotz ihrer missglückten Heirat mit einem anderen und Ryans wohlverdientem Ruf als Frauenheld geriet diese niemals ins Wanken. Als Vicki plötzlich einen Pseudo-Lebensgefährten braucht, um sich selbst und ihre Karriere als Künstlerin vor den unwillkommenen Annäherungsversuchen eines mächtigen Mannes zu schützen, ist er der Einzige, der ihr helfen kann. Ryan wird alles tun, um Vicki zu beschützen. Doch als ihre vorgetäuschten Küsse und Liebkosungen in eine unglaublich sinnliche Nacht münden, fragt er sich, ob es nicht der größte aller Fehler war, ihre Freundschaft unwiederbringlich aufs Spiel zu setzen. Oder ist die perfekte Kombination von Freundschaft und Liebe endlich zum Greifen nahe? "Die Sullivans"-Reihe *** Die Sullivans aus San Francisco *** Liebe in deinen Augen Ein verfänglicher Augenblick Begegnung mit der Liebe Nur du in meinem Leben Sag nicht nein zur Liebe Nur von dir hab ich geträumt Lass dich von der Liebe verzaubern Du gehst mir nicht mehr aus dem Sinn *** Die Sullivans aus Seattle *** Eine perfekte Nacht Nur du allein Deine Liebe muss es sein Dir nah zu sein Ich mag, wie du mich liebst Ohne dich kann ich nicht sein *** Die Sullivans aus New York *** Vier Herzen vor dem Traualtar Bilder von dir Weil es Liebe ist Die Süße der Liebe Das Beste kommt erst noch Liebe ist kein Marchen Wer Liebe sät Irgendwo auf der Welt Halt mich *** Die Sullivans aus Maine *** Mit Leib und Seele Herzbeben
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Seitenzahl: 417
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~ Die Sullivans, 6. Buch ~
Ryan & Vicki
Bella Andre
Bucheinband
Titelseite
Copyright
Über das Buch
Eine Anmerkung von Bella
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Alle Bücher von Bella Andre in deutscher Sprache
Über die Autorin
Nur von dir hab ich geträumt
Ryan & Vicki ~ Die Sullivans, 6. Buch
© 2020 Bella Andre
Übersetzung Sophie Beck – Language+ Literary Translations, LLC
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Vicki Bennett rettete Ryan Sullivan, als sie Teenager waren, das Leben und damit begann eine enge Freundschaft. Trotz ihrer missglückten Heirat mit einem anderen und Ryans wohlverdientem Ruf als Frauenheld geriet diese niemals ins Wanken. Als Vicki plötzlich einen Pseudo-Lebensgefährten braucht, um sich selbst und ihre Karriere als Künstlerin vor den unwillkommenen Annäherungsversuchen eines mächtigen Mannes zu schützen, ist er der Einzige, der ihr helfen kann.
Ryan wird alles tun, um Vicki zu beschützen. Doch als ihre vorgetäuschten Küsse und Liebkosungen in eine unglaublich sinnliche Nacht münden, fragt er sich, ob es nicht der größte aller Fehler war, ihre Freundschaft unwiederbringlich aufs Spiel zu setzen. Oder ist die perfekte Kombination von Freundschaft und Liebe endlich zum Greifen nahe?
Ich wollte immer schon über eine große, eng miteinander verbundene Familie mit vielen Brüdern und Schwestern schreiben, die lachen, lieben, einander auf den Arm nehmen und füreinander da sind, ganz gleich, was passiert. Während des ganzen letzten Jahres habe ich mit den Sullivans gelebt, mit ihnen geatmet – und über sie geschrieben. Ich kann Ihnen nicht genug für die Tausenden E-Mails, Tweets und Nachrichten auf Facebook und Goodreads danken, die Sie meinen Sullivans gewidmet haben – und dafür, dass Sie die Bücher über Gabe, Sophie und Zach auf die Bestseller-Listen von New York Times und USA Today katapultiert haben!
Ryan Sullivan kam bereits in fünf der letzten Bücher vor, weshalb ich dachte, dass ich ihn kenne. Er ist witzig. Sexy. Ein großartiger Bruder. Und er ist in der Lage, einen Baseball mit Lichtgeschwindigkeit zu werfen. Doch bis zu jenem Augenblick, in dem Ryan und seine alte Freundin Vicki zusammen auf meinen Seiten aufgetaucht sind, war mir nicht wirklich klar, wie viel Liebe er zu geben hatte.
Von der ersten Seite an stehen Ryan und Vicki einander bei. Inniglich. Und während ich diese Geschichte geschrieben habe, wurde mir bald klar, dass sie sich in gewisser Hinsicht von den ersten fünf Büchern der Reihe unterscheidet. Sie ist irgendwie einfühlsamer – auch wenn die Funken, die sich zwischen ihnen entzünden, dem Hitzemesser den Garaus machen – denn in der Geschichte oder Freundschaft der beiden ist kein Platz für Streitigkeiten, persönliche Konflikte oder Explosionen. Und obwohl es auch einen Bösewicht gibt, ist Nur von dir hab ich geträumt letztendlich eine Geschichte darüber, wie man in den bewegten Gewässern zwischen reiner, süßer, freundschaftlicher Liebe und einer noch stärkeren und tieferen (und um so viel heißeren!) Liebe navigiert.
Ich hoffe, dass Sie während der nächsten paar Stunden ein ruhiges Plätzchen finden, an das Sie sich mit der Liebesgeschichte von Ryan und Vicki zurückziehen können … und dass Ihnen die Lektüre ebenso viel Spaß macht, wie mir das Schreiben.
Angenehme Lektüre
Bella Andre
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Vor 15 Jahren, Palo Alto Highschool
Victoria Bennett konnte ihren Blick nicht von Ryan Sullivan abwenden, der mit einigen der Jungs aus seiner Baseball-Mannschaft herumalberte, während sie über den Parkplatz der Highschool in Richtung des Bastelgeschäfts in der University Avenue ging.
Auch keines der anderen Mädchen aus ihrer zehnten Klasse konnte sich an ihm sattsehen, weshalb sie zumindest nicht auffiel. Jedenfalls nicht aus diesem Grund. Ihre mit Ton verschmierten Finger und Kleider – in Kombination mit dem ,Die Neue‘-Abzeichen, das sie während ihrer ersten paar Wochen an jeder neuen Schule spürbar zu tragen schien – bewerkstelligten das auch ohne jegliches Zutun von Ryan … oder seinem unverschämt guten Aussehen.
Im Normalfall hätte sie sein hübsches Gesicht ohne größere Schwierigkeiten wegstecken können. Als Künstlerin versuchte sie immer zu sehen, was sich unter der Oberfläche der Dinge verbarg und herauszufinden, worum es bei einem Gemälde, einer Skulptur oder einem Lied wirklich ging. So hielt sie es auch mit Menschen. Insbesondere Jungs, die, soweit sie es sagen konnte, einem Mädchen nur aus einem einzigen Grund das sagten, was es hören wollte.
In Ryan Sullivan hatte sie sich aber verguckt, weil er ständig lachte. Irgendwie hatte er eine Gabe, den Menschen die Befangenheit zu nehmen und ihnen ein Wohlgefühl zu vermitteln, ohne den Pausenclown zu mimen.
Noch bevor sie sich zurückhalten konnte, führte sie die Finger an ihre Lippen … und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er sie küsste.
Mit einem Ruck zog sie die Hand von ihrem Mund. Angesichts der vollkommenen Unwahrscheinlichkeit dieses Szenarios war es grenzwertiger Nonsens, auch nur davon zu träumen, und außerdem musste sie sich weiterhin auf ihre Kunst konzentrieren.
Sie war nicht mehr bloß eine Zehntklässlerin, die den heißesten Typen der Schule anschmachtete.
Sie analysierte ihr Modell.
Vicki hatte sich in der Vergangenheit nie wirklich dafür interessiert, konventionelle Büsten zu formen. Die uralten, toten, allzu ernsthaften Kerle in Grau waren nicht ihr Ding. Doch an ihrem ersten Tag auf dem Campus kam ihr beim Mittagessen neben Ryan bereits nach wenigen Minuten die Idee, sein Lachen in Ton einzufangen. Sie wünschte sich, jener ungezwungenen Freude näherkommen zu können. Wenn auch nur, um herauszufinden, wie sie sich aus ihrem Geiste auf den Ton unter ihren Fingern übertragen ließ.
Ja, dachte sie mit einem leichten Lächeln, sie war absolut bereit, für ihre Kunst zu leiden. Vor allem, wenn es darum ging, ihren Blick auf Ryan Sullivan zu heften.
Die Ampel schaltete von Rot auf Grün. Sie hätte einen Zahn zulegen und die Straße überqueren können. Nur hatte sie erhebliche Probleme damit, die Augen- und Mundwinkel ihrer Skulptur des Lachenden Jungen gut hinzubekommen. Da sie wusste, dass Ryan oder seine Freunde sie unmöglich wahrnehmen würden, zog sie es, anstatt das Schulgelände zu verlassen, vor, die Distanz zwischen ihnen so lässig wie möglich zu überbrücken. Dabei beobachtete sie ihn heimlich durch den Schleier, den ihre über den Sommer übermäßig gewachsenen Stirnfransen formten.
Einige Sekunden später klatschten ihn seine Freunde ab und gingen davon. Ryan bückte sich und packte eine zu seinen Füßen liegende lange, schmale schwarze Tasche zu Ende, von der sie annahm, dass sie seine Baseball-Sachen enthielt.
Während sie zusah, wie sich die Muskeln auf seinem Unterarm und seiner Schulter beim Aufheben der Tasche anspannten, und dabei genussvoll seufzte, fragte sie sich, was wohl passieren würde, wenn sie ihn ansprach? Und was er sagen würde, wenn sie ihn ohne Umschweife fragte, ob er ihr Modell stehen könnte?
Sie musste wegen ihrer verrückten Gedanken beinahe laut auflachen, als sie einen Aufschrei aus Richtung des Parkplatzes hörte. Im Bruchteil einer Sekunde war ihr klar, dass ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug geradewegs auf Ryan zuraste.
Es blieb keine Zeit, um zu planen oder nachzudenken. Vicki rannte die letzten Meter, die sie voneinander trennten, und stürzte sich auf ihn.
„Auto!“
Glücklicherweise reagierte Ryans von Natur aus athletischer Körper sofort. Obwohl sie es war, die versuchte, ihn aus dem Weg zu zerren, hob er sie kurzerhand hoch und schleuderte sie praktisch über den Rasen, bevor er sich schützend auf sie warf.
Als der Wagen so knapp an ihnen vorbeischlitterte, dass sie spüren konnte, wie sich die Härchen an ihren Armen aufrichteten, kniff sie ihre Augen fest zusammen. Vicki atmete schwer und klammerte sich an Ryan. Ihre Wangen fühlten sich feucht an und sie bemerkte mit einiger Verspätung, dass sie durch den harten Aufprall auf dem Rasen vermutlich ein paar Tränen vergossen hatte.
Die Sekunden vergingen wie in Zeitlupe und ein heftiger Herzschlag nach dem anderen dröhnte von Ryans Brust zu ihrer und wieder zurück. Er war so stark, so warm, so wunderbar richtig. Sie hätte gerne bis in alle Ewigkeit mit ihm so dagelegen. Es war so viel vertrauter und inniger, als sie es je mit einem anderen Jungen erlebt hatte.
Nur stieg der Pegel der Stimmen rund um sie an und die Realität, was eben geschehen war, holte sie schlagartig ein.
Oh mein Gott, sie wären beide fast gestorben!
Sie fühlte sich der Ohnmacht nahe, als er den Kopf hob und zu ihr hinunterlächelte.
„Hallo, ich bin Ryan.“
Die Art, wie er es sagte, so als würde sie seinen Namen nicht ohnehin bereits kennen, durchbrach ihren Schockzustand. Er tat so, als wäre es ganz normal, ausgestreckt auf einem Mädchen zu liegen. Und wie ihr auf einmal klar wurde, war es das auch. Für ihn.
Aber ganz bestimmt nicht für sie.
Ihre Lippen waren trocken und sie musste sie mehrmals mit ihrer Zunge befeuchten, bevor sie sagte: „Ich bin Victoria.“ Die Worte: „Aber meine Freunde nennen mich Vicki“, rutschten ihr heraus, bevor sie sie zurücknehmen konnte.
Sein Lächeln wurde breiter und ihr Herz begann, noch schneller zu schlagen. Diesmal nicht vor Schreck, sondern wegen reiner, entfesselter Teenagerhormone, die durch sein wunderbares Lächeln in Wallung gerieten.
„Danke, dass du mir das Leben gerettet hast, Vicki.“ Einen Augenblick später, als er ihre tränenüberströmten Wangen auf sich wirken ließ, verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. Die Augen, die sie während der ersten beiden Schulwochen so oft lachen gesehen hatte, wurden zunehmend ernster. „Ich habe dir wehgetan.“
Sie hätte das verneint und ihm gesagt, dass sie okay war, doch ihr stockte der Atem und es verschlug ihr die Sprache, als er mit seinen Fingerspitzen über ihre Wangen strich, um ihr die Tränen wegzuwischen.
Irgendwie gelang es ihr, den Kopf zu schütteln und ihre Lippen dazu zu bringen, das Wort nein zu formen, obwohl kein Laut aus ihr hervorkam.
Seine lachenden Augen waren jetzt dunkel und intensiver, als sie sie je zuvor gesehen hatte. „Bist du sicher? Ich wollte mich nicht mit einer derartigen Wucht auf dich werfen.“
„Ich bin …“
Wie hätte sie denn weiter klar denken können, als er begann, ganz langsam und furchtbar süß mit seinen Händen über ihren Hinterkopf zu fahren, und dann weiter hinunter zu ihren Schultern und Oberarmen?
Nur noch ein Wort. Das war alles, was sie hervorbringen musste, um seine Frage zu beantworten.
„… okay.“
„Gut.” Seine Stimme war tiefer und kraftvoller, als die der anderen fünfzehnjährigen Jungen. „Das freut mich.“
Doch während er sie von oben fixierte, wurde sein Gesichtsausdruck noch intensiver und sie ertappte sich dabei, dass sie den Atem anhielt.
Würde er sie jetzt küssen? Hatte sich ihr Leben in die exemplarische Halbwüchsigen-Fantasie verwandelt, die sie aus den Jugendserien im Nachmittagsfernsehen kannte, und in der das Künstler-Girl der Sportskanone ins Auge fiel, und die ganze Schule wegen dieser merkwürdigen, aber letztlich perfekten Verbindung, die sie unausweichlich ein Paar werden ließ, auf den Kopf gestellt wurde?
„Eines Tages, wenn du mich wirklich brauchst, verspreche ich, für dich da zu sein, Vicki.“
Oh. Sie schluckte schwer. Meine Güte.
Er hatte sie nicht geküsst … doch sein Versprechen war wichtiger, als es ein Kuss allein hätte sein können.
Noch bevor sie es begriff, stand er wieder auf und streckte ihr eine Hand entgegen, um auch ihr hoch zu helfen. Augenblicklich vermisste sie seine Körperwärme und die harten Muskeln, die sich gegen ihre weicheren drückten. Und all die Lügen, die sie versucht hatte sich einzureden, dass Ryan lediglich eine Muse für sie war, lösten sich im Nu in nichts auf.
„Kann ich dich nach Hause bringen?“
Sie war überrascht, dass er noch mehr Zeit mit ihr verbringen wollte, und schüttelte rasch den Kopf.
Er schien ebenso überrascht von ihrer Antwort. Wahrscheinlich hatte ihm bisher noch kein Mädchen auf der Welt einen Korb gegeben.
„Ich kann dich also nicht nach Hause bringen?“
Sie rang nach einer Erklärung. „Ich gehe nicht nach Hause. Eigentlich war ich auf dem Weg zum Bastelladen, um mir einige Materialien für eine neue Skulptur zu besorgen …“
Sie hielt sich gerade noch zurück, sich über ihr letztes Projekt auszulassen. Warum hätte es Ryan Sullivan denn interessieren sollen? Außerdem, sagte sie ihrem rasenden Herzen mit schonungsloser Offenheit, warteten vermutlich einige hübsche Cheerleaderinnen auf ihn. Und sie würden kein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug brauchen, damit er sich auf sie legte.
Denn, so verlockend es auch war zu glauben, dass sie plötzlich die Hauptrolle in einer märchenhaften Liebesgeschichte mit dem Titel ,Und sie lebten glücklich bis in alle Ewigkeit‘ spielte, war diese Nähe zu Ryan in Wirklichkeit nichts weiter als ein schicksalhafter Glücksfall.
Und Vicki blieb der Star in ihrem künstlerischen und oftmals einsamen Teenagerleben, in dem sie mit ihrer Soldatenfamilie Jahr für Jahr an einen anderen Ort zog.
Nur konnte sie nicht verstehen, warum Ryan aus irgendeinem unerfindlichen Grund noch nicht weglief. Wahrscheinlich hatte er das Gefühl, dass er ihr, nachdem sie ihm das Leben gerettet hatte, etwas schuldete. Hatte er ihr denn schließlich nicht eben erst gesagt, dass er eines Tages, wenn sie ihn wirklich brauchte, für sie da sein würde?
„Wofür brauchst du die Materialien denn?“ Er stellte ihr die Frage, als wäre er ernsthaft interessiert, und nicht nur, weil er glaubte, es tun zu müssen.
„Ich mache eine …“ Moment mal. Sie konnte ihm nicht erzählen, woran sie gerade arbeitete, denn es war eine Skulptur von ihm. „Ich arbeite mit Ton. In letzter Zeit habe ich versucht, spezielle Gesichtsausdrücke einzufangen.“
„Welche?“
Sie hätte in einer Million Jahren nicht gedacht, dass sie einmal mit ihm sprechen oder gar eine so lange Unterhaltung führen würde. Doch was sie am meisten erschreckte, war, wie wohl sie sich in seiner Gegenwart fühlte. Auch wenn sich all ihre Teenagerhormone in höchster Alarmbereitschaft befanden, war Ryan schlichtweg die lockerste Person, der sie jemals begegnet war.
Und sie wollte mehr Zeit mit ihm verbringen als nur fünf gestohlene Minuten auf dem Rasen vor der Highschool.
Ihre Nerven beruhigten sich nach und nach ein wenig, als sie ihm sagte: „Ich habe mit all den gängigen Mimik-Formen begonnen, die jedem Künstler geläufig sind.“ Sie spielte das Ganze ihm gegenüber etwas hoch. „Tränen. Schmerz. Leiden. Existenzielle Nichtigkeit.“
Sein Lachen ließ in ihr ein Gefühl entstehen, als könne sie bis zum Bastelladen schweben und wieder retour.
„Hört sich lustig an.“
„Oh ja“, scherzte sie zurück, „Da geht die Post ab. Deshalb versuche ich jetzt auch, etwas anderes zu machen.“ Sie holte Luft, bevor sie zugab: „Ich beschäftige mich gerade mit Lachen.“
„Lachen, ehrlich?“ Er grinste sie an. „Das gefällt mir. Wie läuft es?“
Der unmittelbare Kontakt mit der ganzen Kraft seines Lachens ließ ihr den Atem in der Kehle stocken. In dem Bemühen, ihre allzu offensichtliche Reaktion auf ihn zu kaschieren, verzog sie ihr Gesicht. „Sagen wir es mal so, ich glaube, dass sich all diese Ausdrücke schön langsam in meinem Gesicht widerspiegeln.“
„Auch die existenzielle Nichtigkeit?“
So, als würde sie sie beide aus einiger Entfernung beobachten, wusste Vicki, dass sie diesen Augenblick später rückblickend immer als den bedeutsamsten ansehen würde. Jenen Augenblick, in dem sie sich Hals über Kopf in Ryan Sullivan verliebt hatte. Und nicht aufgrund seines attraktiven Äußeren.
Sondern, weil er ihr zuhörte.
Und, was noch besser war, weil er es gerne tat.
„Vor allem die“, antwortete sie.
Er hob ihre Tasche vom Gras hoch. „Hört sich fantastisch an. Macht es dir etwas aus, wenn ich mitkomme?“
Okay, vielleicht passten sie beide ja theoretisch nicht zusammen, aber Vicki konnte nicht leugnen, dass sich etwas zwischen ihnen eingeklickt hatte.
„Sicher“, sagte sie, „wenn du nicht irgendwo anders hin musst.“
Er warf die Tasche mit seinen Sachen über seine andere Schulter und ging neben ihr her. „Nichts, was wichtiger wäre, als mit einer neuen Freundin abzuhängen.“
Dieses Mal war sie es, die ihn angrinste. In den zwei Wochen, seit sie mit ihrer Familie nach Palo Alto gezogen war, war es ihr nicht wirklich gelungen, an der Highschool Anschluss zu finden. Als Soldatenkind, das nahezu jährlich seinen Wohnsitz wechselte, hatte sie bereits vor langer Zeit damit aufgehört, sich diesbezüglich zu bemühen, denn sie hatte erkannt, dass es nicht nur schwierig war, sich bestehenden Cliquen anzuschließen, sondern auch, Fernbeziehungen aufrechtzuerhalten, wenn zwangsläufig wieder einmal ein Ortswechsel anstand.
Mit Ryan aber schien alles so einfach, als wäre nichts logischer, als miteinander abzuhängen.
Nach ihrem Ausflug in den Bastelladen wusste sie alles über seine sieben Geschwister und er wusste, dass sie zwei nervige jüngere Brüder hatte. Er hatte ihr erzählt, was er an Baseball gut fand, und sie, warum sie die Bildhauerei liebte. Und dann hatte er sie zum Essen zu den Sullivans nach Hause eingeladen.
Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Der Besten, die sie jemals gehabt hatte.
* * *
Heute, San Francisco
Ryan Sullivan warf dem Angestellten des Parkdienstes seine Wagenschlüssel zu, als er an ihm vorbeiflitzte. Die Augen des jungen Mannes weiteten sich, als er mitbekam, dass er nicht nur einen Ferrari in der Tiefgarage abstellen sollte, sondern dass dieser noch dazu einem seiner Sportidole gehörte.
„Mr. Sullivan, Sir, brauchen Sie denn ihren Parkschein nicht?“
Ryan nahm die Verantwortung seinen Fans gegenüber sehr ernst und legte großen Wert darauf, sie niemals zu enttäuschen. Heute Abend drehte sich jedoch alles nur um Vicki. Selbst wenn ein halbes Dutzend verpasster Treffen im Lauf der Jahre dazu geführt hatte, dass es nach ihrer Highschool-Zeit zu keiner persönlichen Begegnung mehr gekommen war, hatten sie ihren Kontakt doch über E-Mail und Telefon aufrechterhalten.
Vicki war seine Freundin.
Und er würde nicht zulassen, dass irgendjemand einen seiner Freunde verletzte.
Ryan bahnte sich seinen Weg durch die getönten Glastüren in die exklusive Hotelhalle und blieb dann lange genug stehen, um seinen Blick rasch über den prachtvollen Raum schweifen zu lassen. Der Pacific Union Club war überhaupt nicht seine Welt. Das Interieur war ungeheuer pompös und er nahm an, dass auch Vicki normalerweise nicht in dieser Umgebung verkehrte.
Weshalb war sie also hier? Und warum hatte sie ihm nicht erzählt, dass sie nach so vielen Jahren in Europa endlich wieder nach Nordkalifornien zurückkehren würde?
Er war gerade bei seinem Bruder Chase, um die Geburt seines Babys zu feiern, als ihn ihre SMS erreichten.
Ich brauche deine Hilfe. Komm rasch.
Ryan hatte jede einzelne der 35 Meilen vom Haus seiner Mutter auf der Halbinsel in die Stadt verflucht. Er hatte wieder und wieder SMS an Vicki gesendet, um mehr Informationen von ihr zu bekommen und sicherzustellen, dass sie wohlauf war, aber keine Antwort erhalten.
Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so um jemanden gesorgt hatte … beziehungsweise so auf Kampf eingestellt gewesen war. Vicki war nicht die Art von Frau, die blinden Alarm schlug. Sie hätte ihm die Nachrichten nie zukommen lassen, nur um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie war die einzige Frau, die er – abgesehen von seinen Schwestern und seiner Mutter – kannte, die immer absolut ehrlich zu ihm war, und die außer seiner Freundschaft nichts von ihm wollte.
Seine großen Hände waren zu Fäusten geballt und sein Kiefer angespannt, während er die Cocktailbar mit seinem Blick durchstreifte.
Wo war sie, zum Teufel?
Wenn irgendjemand Vicki falsch angepackt oder ihr auch nur im Geringsten wehgetan hatte, würde Ryan ihn dafür bezahlen lassen.
Er war nicht nur bekannt dafür, der erfolgreichste Werfer in der Baseball-Nationalliga zu sein, sondern auch einer der coolsten. Nur wenige Personen hatte eine Ahnung von Ryans’ verdeckter Ecken und Kanten, doch heute Abend würde es nicht viel mehr brauchen, um ihn durchdrehen zu lassen.
Er schnappte sich die erstbeste Person in Dienstkleidung, wobei sein Griff am Oberarm des jungen Mannes so fest war, dass dieser zusammenzuckte. „Gibt es hier einen privaten Konferenzraum?“
Der junge Mann stammelte: „J-ja, mein Herr.“
„Wo ist er?“
Seine Hand zitterte, als er ihm die Richtung wies. „An der Rückseite der Bar, aber er ist heute Abend bereits reser…“
Ryan stürmte durch das Foyer. Es hätte ihm eigentlich keine so großen Schwierigkeiten bereiten sollen, sich durch die Menschenmenge zu drängen, aber es schien, als wäre jeder der Anwesenden entweder aufgestanden, um sich noch einen Drink zu holen, oder um zu versuchen, Ryans Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Als er seitlich an der Bar eine raffiniert versteckte Tür entdeckte, hob er sie in der Eile sie zu öffnen, beinahe aus den Angeln.
Dann sah Ryan zuerst den Schein von Vickis langen blonden Haaren, bevor sich sein Blick an ihre Mörderkurven heftete.
Gott sei Dank war sie hier und unversehrt.
Doch seine Erleichterung war von kurzer Dauer, als er bemerkte, dass er sie und ihre Cocktailbegleitung just in dem Moment gestört hatte, als sich die Hand des Mannes auf ihren Oberschenkel schob.
Vicki sprang von ihrem Stuhl hoch, als Ryan den Raum betrat. Der Schrecken, der sich auf ihrem Gesicht abzeichnete, als der andere Mann ihr Bein berührte, machte bei seinem Erscheinen langsam der Erleichterung Platz.
Ihr Begleiter wiederum war sichtlich überrascht, Ryan zu sehen … und nicht glücklich darüber. Der Mann war vermutlich in seinen 50ern und offenbar stinkreich. Oder wollte zumindest den Anschein erwecken, indem er Meetings in einem solchen Ambiente abhielt und einen maßgeschneiderten Anzug trug.
Schnell setzte Vicki eine überraschte Miene auf und sagte: „Was machst du so früh hier, Liebling?“
Ryan achtete darauf, dass man ihm seine Überraschung über Vickis Begrüßung nicht anmerkte. Ohne Frage musste sie so tun, als würden sie zusammengehören, da der reiche Idiot, mit dem sie im Séparée einen Drink nahm, sie angebaggert hatte. Kein Wunder.
Sie war umwerfend.
Schon als Teenager war sie hübsch, aber jetzt verkörperte Vicki alles, was er an einer Frau liebte, und das in einem traumhaften Gesamtpaket. Langes Haar, das über die Wölbung ihrer Brüste streifte, süße Rundungen, die sich von ihrer Taille über die Hüften zogen, und super Beine in hochhackigen Sandalen.
Oh ja, die Jahre hatten seiner alten Freundin gutgetan. Und zwar so gut, dass es keinerlei schauspielerischer Fähigkeiten bedurfte, um seine Hand nach ihr auszustrecken und sie in seine Arme zu ziehen.
„Entschuldige, dass ich zu früh dran bin, Baby. Ich hätte schwören können, dass du gesagt hast, du wärst ab acht Uhr frei.“
Gott, wie gut sie sich anfühlte. Warm und weich an all den richtigen Stellen. Und sie roch ebenso gut, wie eine Mischung aus in der Sonne erblühender Blumen und dem erdigen Hauch des Lehms, mit dem sie immer arbeitete.
Für einen Augenblick war sie ganz starr in seinen Armen, bevor sie sich zu erinnern schien, dass sie ja vortäuschten, ein Pärchen zu sein. Ihre Hände strichen über Ryans Rücken und legten sich dann knapp über seine Hüften.
„Danke“, flüsterte sie, während sie ihn umarmte, bevor sie ein noch leiseres „Tut mir leid“, hervorbrachte.
Wusste sie nicht, dass sie sich verdammt nochmal für rein gar nichts zu entschuldigen brauchte? Als sie Kinder waren, hatte sie ihm das Leben gerettet. Er stand deswegen noch in ihrer Schuld und das würde für den Rest ihrer Leben auch so bleiben.
Einen Abend lang so zu tun, als wäre er ihr Liebster, reichte nicht ansatzweise aus, um seine Schuld zu tilgen.
Besonders, wenn dies bedeutete, dass er endlich seine geheime Fantasie ausleben konnte.
Sechs Jahre, nachdem sie von Palo Alto weggezogen war, war er von Kalifornien nach New York City aufgebrochen, um sie anlässlich ihres College-Abschlusses zu überraschen. In den E-Mails, die sie oftmals austauschten, wenn eigentlich Lernen angesagt gewesen wäre, hatte sie nie irgendein männliches Wesen erwähnt. Als er sie dann bei der Abschlussfeier am Arm eines älteren Herren gesehen hatte, der eindeutig Anspruch auf sie erhob, während sie sich glücklich und strahlend zeigte, überwältigten ihn Eifersucht und Frust beinahe.
Er war erneut zu spät gekommen.
Ryan hatte ihre Abschlussfeier verlassen, ohne ihr jemals von seiner Anwesenheit zu erzählen. Die nächste Nachricht von ihr war eine atemlose Mailbox-Nachricht, in der sie ihm mitteilte, dass sie durchgebrannt war, um heimlich zu heiraten, und nach Frankreich ziehen würde.
Er konnte nichts gegen das Gefühl tun, dass ihm gerade etwas Wesentliches abhandengekommen war …, obwohl er sie ursprünglich nur als Freundin gesehen hatte. Während der darauffolgenden zehn Jahre lebte sie mit ihrem Mann an den verschiedensten Orten in Europa, bevor sie sich nach ihrer kürzlich erfolgten Scheidung in Prag niedergelassen hatte. Ryan hatte mit dem Gedanken gespielt, sie am Ende der Baseball-Saison dort zu besuchen. Stattdessen war sie nach San Francisco gekommen. Und er war verdammt froh darüber.
Als sie sich aus ihrer Umarmung lösten, verschränkte er ihre Finger miteinander. Er hatte während des vergangenen Jahres genug Gelegenheiten, seinen Brüdern und Schwestern dabei zuzusehen, wie sie sich verliebten, um zu wissen, wie es aussehen sollte.
Fortwährende Berührungen.
Bewundernde Blicke.
Flüchtige Küsse, wenn sie dachten, dass keiner zusehen würde … und selbst wenn jemand zusah.
„James, ich möchte Ihnen Ryan Sullivan vorstellen. Meinen be…“ Als sie kurz zögerte, zog er sie näher an sich heran. „… Lebensgefährten. Ryan, das ist James Sedgwick. Wie ich dir bereits erzählt habe, ist er einer der führenden Experten auf dem Gebiet der modernen Kunst, weißt du noch?“ Sie schenkte Ryan ein strahlendes Lächeln, das jedoch ihre Augen aussparte. „James und ich haben eben über mein letztes Projekt für das ausgeschriebene Stipendium gesprochen. Er hat einige sehr konstruktive Vorschläge für mich.“
„Was kann ich Ihnen zu trinken holen, Mr. Sullivan?“ James deutete auf den schwer beladenen Glastisch an der Wand.
„Nennen Sie mich Ryan“, sagte er, so lässig, wie er konnte, obwohl er James‘ Kopf am liebsten auf die Marmortischplatte gehauen hätte. „Ein Bier wäre jetzt genau das Richtige, danke.“
„Gerne. Wenn Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen.“
Ryan hatte damit gerechnet, dass James an die Bar gehen müssen würde, um ihm seinen Drink zu holen. Sobald der Fiesling verschwunden war, sagte er: „Was zum Teufel läuft hier ab, Vicki?“
Sie schüttelte den Kopf und sah viel zu blass und besorgt aus, als dass es ihn hätte beruhigen können. „Ich werde dir später alles erklären. Spiel einfach weiter mit. Bitte.“
James kam Sekunden später zurück. Und Vicki trank hastig aus ihrem Weinglas, während der Mann Ryan mit offenkundigem Widerwillen die Bierflasche übergab. „Der Barmann hat mir versichert, dass Sie kein Glas brauchen. Ich muss Ihnen zu Ihrer hervorragenden Saisonbilanz gratulieren, Ryan.“ James richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Vicki. „Ich bin überrascht, dass Sie mir nicht schon früher verraten haben, wer Ihr Freund ist. Ich bin zutiefst … beeindruckt.“
Dieses Mal stotterte sie nicht, als sie ruhig entgegnete: „Ich wusste nicht, dass Sie Baseball-Fan sind, James.“ Sie wandte sich Ryan zu und lächelte. „Langsam sollte mir klar sein, dass alle deine Fans sind, nicht wahr?“
Sie sagte das mit einer solchen Zuneigung, dass selbst Ryan sich dabei ertappte, wie er einen Moment lang glaubte, sie wären ein Paar. Es war rein instinktiv, als er mit der Kuppe seines Daumens sanft den kaum sichtbaren Weintropfen aus dem Winkel ihrer Unterlippe wischte.
In ihren Augen blitzte bei dieser unerwarteten Berührung ein plötzliches Feuer auf. Er wollte sie küssen und herausfinden, wie süß sie wohl schmeckte. Ryan redete sich ein, dass es ihre Wirkung als Pärchen in den Augen des Mannes verstärkte, und so senkte er seinen Kopf und presste seinen Mund auf ihren.
So viele Jahre hatte er auf diesen Moment gewartet. Und, gütiger Gott, es war noch viel besser, als er es sich vorgestellt hatte. Ihre Lippen schmeckten nach Rotwein und Zucker. Alles, was Ryan nun wollte, war, den Kuss noch inniger werden zu lassen und sie stundenlang weiter zu küssen. Als er es endlich schaffte, sich vom weichsten und süßesten Mund, von dem er je gekostet hatte, loszumachen, war Vickis Haut gerötet.
„James und ich haben gerade darüber gesprochen, dass Kritikfähigkeit eines der wichtigsten Elemente ist, wenn man großartige Kunst machen will.“ Ihre Stimme hörte sich etwas höher an als sonst und Ryan freute es, dass sein kleiner Kuss eine derartige Wirkung auf sie hatte. „Was wollten Sie mir gerade sagen, als Ryan zu uns gestoßen ist?“
„Einfach nur, dass jeder Ton zu Formen gestalten kann“, informierte James Ryan mit einem Nicken. „Doch man muss schon ein echter Künstler sein, um einen weisen Rat zu befolgen. Ich bin sicher, Sie haben diese Erfahrung auch mit ihrem Wurftrainer gemacht, stimmt‘s?“
Ryan zuckte mit den Achseln, dabei ballte sich seine Hand hinter Vickis Rücken zur Faust. „Es ist ein Geben und Nehmen. Der Wurftrainer vertraut auf meine Erfahrung an der Abwurfstelle.“ Er legte eine kurze Pause ein, bevor er hinzufügte: „Und ich vertraue ihm, dass er seine Macht nicht missbraucht, um mir Dinge einzureden, die ich besser lassen sollte.“
James‘ ausdruckslose Miene veränderte sich bei Ryans nicht gerade dezenter Warnung kein bisschen. Vicki hingegen drückte seine Hand fest genug, um ihn spüren zu lassen, dass sie nicht wirklich erfreut darüber war, wie er mit der Situation umging.
Ryan begriff. Sie wollte den Kerl nicht verärgern. Doch als sie ihm heute Abend die SMS geschrieben und ihn, gleich nachdem er in den Raum getreten war, Liebling genannt hatte, hätte sie wissen müssen, dass er sie um jeden Preis beschützen würde.
Egal, was passierte.
„Klingt, als hätte ich Sie bei einem wichtigen Gespräch gestört“, sagte er mit einem weiteren lässigen Lächeln, das er nicht im Geringsten fühlte. „Ich habe das auch immer gemacht, als Vicki und ich Teenager waren. Ich schaute bei ihr zuhause vorbei, um ein wenig abzuhängen und sie sah kaum von ihrer Arbeit hoch. Aber ich war sogar schon mit 15 total fasziniert von ihr und ihren Skulpturen.“
Damals an der Highschool hatten alle von ihm erwartet, dass er bei seinen Mannschaftskollegen und den Cheerleaderinnen blieb, doch im Anschluss an ein Nachtspiel war er immer froh zu wissen, dass er Vicki in ihrer Garage an der Töpferscheibe antreffen würde. Ihre Hände waren dann mit Ton verschmiert und Gesicht und Körper voller kleiner Spritzer. Sie sah immer auf und lächelte, um ihm zu zeigen, dass sie ihn bemerkt hatte. Doch sie hörte nicht mit ihrer Arbeit auf und ließ nicht alles für ihn fallen, so wie es alle anderen immer taten. Er machte so lange Witze, bis sie schließlich lachte und ihm sagte, dass er sie nervte, aber dann redeten sie miteinander. Manchmal stundenlang, während sie direkt vor seinen Augen Kunstwerke entstehen ließ. Er verstand nicht immer, was genau sie mit so intensivem Einsatz anfertigte. Doch selbst wenn er kein Fachmann in Sachen moderne Kunst war, hatte er keinen Zweifel, dass sie etwas Besonderes verkörperte. Vicki hatte nie Angst davor, an ihre Grenzen zu stoßen, diese zu überschreiten oder etwas zu verbocken und hundert Mal nacheinander wieder von neuem zu beginnen.
„Vicki ist schon ziemlich beeindruckend, habe ich recht, James?“
James bleckte seine Zähne, wobei Ryan annahm, dass es als Lächeln durchgehen sollte. „Sie hat Ihnen sicherlich schon erzählt, dass alle im Auswahlgremium für das Stipendium erpicht darauf sind, dass die Wahl auf sie fällt. Deshalb habe ich mich auch so über unser Treffen heute Abend gefreut. Wir hatten vor, ein paar spezifische Punkte zu besprechen. Victoria wäre keine Anwärterin auf das Stipendium, wenn ich nicht der Ansicht wäre, dass sie das nötige Potenzial hat.“
Potenzial? Dieser A… dachte, dass Vicki Potenzial hatte?
Als Teenager hatte sie Potenzial. Anderthalb Jahrzehnte später waren ihre Skulpturen gelinde gesagt meisterhaft. Ryan musste es wissen, da er selbst ein halbes Dutzend ihrer Werke besaß.
Er musste sich entscheiden. Er konnte James entweder an der Gurgel packen und ihn dafür, dass er Vickis unbeschreibliches Talent bagatellisiert hatte, gegen die Wand schmettern … oder er konnte zusammen mit ihr möglichst schnell eine Fliege machen, bevor er irgendetwas sagte oder tat, das ihre Chancen auf das Stipendium, für das dieser Kerl verantwortlich war, zunichtemachen würde.
Er wandte sich wieder Vicki zu und streifte ihre eine Haarlocke aus dem Gesicht. „Ich fühle mich echt wie ein Idiot, weil ich deinen Zeitplan komplett falsch im Kopf hatte, Baby, aber Smith gibt heute Abend eine Privatvorführung für uns. Und du weißt ja, wie wichtig ihm deine Meinung ist.“ Er bemühte sich höllisch, Bedauern vorzutäuschen, dass er sie entführen musste. „Ich denke, es ist besser, wenn wir bei ihm zuhause ankommen, bevor er einen seiner Filmstar-Wutanfälle hinlegt.“
James stand schlagartig auf. Er war ganz eindeutig mehr als nur verärgert darüber, welche Wendung sein Abend mit Vicki genommen hatte. „Wie ich sehe, haben Sie andere Pläne, Victoria. Ich bin zwar enttäuscht, dass wir zusammen keine wirklichen Fortschritte erzielt haben, zugleich aber sicher, dass Sie mir, wenn Sie es mit diesem Stipendium tatsächlich so ernst meinen, wie es anfangs den Anschein hatte, Bescheid geben, damit wir uns nochmal privat treffen können. Ihnen beiden noch einen schönen Abend.“
* * *
„Was hast du hier drin alleine mit diesem Arschloch gemacht?“
Seit dem Tag, an dem sie nach Abschluss der zehnten Highschool-Klasse weggezogen war, stellte sich Vicki Ryan, wenn sie an ihn dachte, immer lachend vor.
Nun aber lachte er nicht.
Im Gegenteil. Sein Blick war so intensiv, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.
In dem Augenblick, als Ryan die private Cocktailbar betrat, hatte ihr der Atem gestockt. Das Gefühl war dasselbe wie damals, als sie 15 war. Und das war auch kein Wunder, wenn man bedachte, dass sich sein Aussehen im Lauf der Jahre sogar noch verbessert hatte. Er war nicht mehr nur ein umwerfender Junge, sondern durch und durch Mann.
Und ach, du meine Güte! Wie Ryan küsste, selbst wenn seine Lippen ihre nur leicht berührten …
Sie musste ganze Arbeit leisten, damit ihr Gehirn wieder in die Gänge kam, um über das vorliegende Problem nachdenken zu können. Sie wollte ihm gerade antworten, als sie zu ihren Händen hinabsah, die immer noch miteinander verschränkt waren.
Seine Hand loszulassen, war das Letzte, was sie wollte. Doch sie hütete sich davor, so zu tun, als wäre irgendetwas an der Situation real, egal wie verlockend das Ganze auch war. Deshalb zwang Vicki sich, ihre Finger aus seinen gleiten zu lassen, selbst wenn sie seine Hand so hätte halten wollen, seit sie Teenager waren.
„James ist heute Morgen im Atelier vorbeigekommen und hat gefragt, ob er mir eine Weile beim Arbeiten zusehen könnte. Ich nahm an, dass es seine Art zu beurteilen war. Nämlich sich genauso für meine Technik wie für die fertige Skulptur zu interessieren, weißt du.“
„Wie lange hat er dir zugesehen?“
„Vielleicht zwanzig Minuten.“ Zwanzig unglaublich lange, grauenhafte Minuten, in denen sie das Gefühl hatte, als hätte James sie eingehender betrachtet als ihr Projekt. „Tatsache ist, dass er mir noch ein paar echt geniale Anregungen gegeben hat, bevor er wieder ging …“
Sie waren so genial, dass sie sein etwas unheimliches Verhalten als rein künstlerisches Interesse abgetan hatte.
„Später hat er mir auf einer vom Stipendien-Gremium für alle Bewerber veranstalteten Begrüßungsparty erzählt, dass sich die Favoriten unter den Bewerbern anschließend hier treffen würden.“
„Es hätten also auch noch andere Leute hier sein sollen?“
„Als ich ankam, sagte er mir, dass alle anderen bereits vorbeigekommen waren, und dass er froh darüber war, den heutigen Abend nur mit mir zu verbringen, um mir besondere Aufmerksamkeit zu schenken.“
Ihr kam die Galle hoch, wenn sie sich daran erinnerte, wie er ihr während ihres Gesprächs immer näher rückte, und anfing, ihren Arm und ihre Hände zu berühren. Obwohl er hätte wissen müssen, dass die Hände eines Bildhauers absolut tabu sind. Und was er ihr sagte, war auch nicht viel besser: Ich habe schon vielen talentierten Bildhauern zum Erfolg verholfen. Es gilt als ziemliche Ehre, unter meiner Führung zu arbeiten. Vor allem, weil ich weiß, dass Sie ganz alleine in San Francisco sind, denke ich, dass ich Ihnen wirklich helfen könnte, Karriere zu machen, indem ich Sie allen wichtigen Leuten vorstelle. Hört sich das nicht gut an, Victoria?
Es war eine Sache, mit zwanzig dem falschen Mann zu vertrauen. Doch sie verkehrte bereits lange genug in der Kunstszene, um sich davor zu hüten, so naiv zu sein und sich durch die Aufmerksamkeit eines mächtigen Mannes geschmeichelt zu fühlen.
„Mensch, Vicki, warum hast du ihm nicht in die Eier getreten und bist so rasch wie möglich von hier abgehauen?“
„Das wollte ich auch“, sagte sie leise, „Fakt ist aber, dass James Sedgwick, unabhängig von der Meinung, die wir beide von ihm haben, einer der Drahtzieher der Kunstszene an der Westküste ist. Das Einzige, was mir einfiel, um nicht meine Chancen auf das Stipendium aufs Spiel zu setzen, war, so zu tun, als wäre ich mit jemandem zusammen. Ich wollte nicht, dass er meine Zurückweisung seiner Annäherungsversuche persönlich nahm und es gegen mich verwendete. Das war, als ich auf die Toilette ging, um dir die SMS zu senden.“ Sie hatte gebetet, dass Ryan ihre Nachricht nicht nur erhalten, sondern auch umgehend kommen würde. Was er gottlob auch getan hatte.
Doch selbst nach ihrer Erklärung sagte Ryan immer noch: „Du musst das den anderen Mitgliedern des Gremiums melden.“
Sie seufzte. „Ich bezweifle, dass es etwas bringen würde, da er in Bezug auf sein bisheriges Verhalten problemlos argumentieren könnte, dass ich seine freundliche Unterstützung missverstanden habe. Er hat ja auch nichts offensichtlich Bedrohliches gesagt oder getan.“
„Ich habe gesehen, wie er dich angefasst hat“, knurrte Ryan.
„Er ist Kunstkritiker und Kurator und auf Bildhauerei spezialisiert. Deshalb weiß jeder, dass es in vielerlei Hinsicht eine sehr körperliche und gefühlsbetonte Arbeit ist. Ich bin sicher, wenn ich Staub aufwirbeln und ihn darauf ansprechen würde, würde er nur lachen und sagen, dass er keinerlei Unterschied zwischen Männern, Frauen und Skulpturen macht. Und letztendlich würde es meine Chancen auf das Stipendium nur beeinträchtigen, indem ich die Aufmerksamkeit von meinem Projekt ablenke.“
Ryan starrte sie mehrere lange Augenblicke über an. „Du willst das wirklich, nicht wahr?“
In den letzten Monaten vor ihrer Scheidung hatte Vickis Exmann Anthony ihr immer wieder gepredigt, dass ihre Erfolge allesamt nur darauf zurückzuführen waren, dass er einer der tonangebenden Bildhauer weltweit war, und dass sie ohne ihn ein Niemand wäre. Seit damals hatte sie von Freunden in der europäischen Kunstszene Gerüchte gehört, dass er Leute gegen sie aufhetzte. Es hätte sie keineswegs überrascht, wenn sie herausfände, dass es stimmte. Dass ihn seine einstmals von Ehrfurcht erfüllte Ehefrau verlassen würde, war ein Schlag, mit dem Anthonys Ego niemals gerechnet hatte.
Vicki war wegen des begehrten Stipendiums nach San Francisco gekommen und um ein für alle Mal zu beweisen, dass sie das Zeug hatte, als Bildhauerin Karriere zu machen. Nicht nur ihrem Ex, sondern sich selbst.
Es war längst an der Zeit, sich selbst zu beweisen, dass sie ihr Leben nicht damit vergeudet hatte, einem Traum nachzujagen.
„Ja, ich will es wirklich, Ryan.“ Sie hielt inne. „Doch es ist mehr als das. Ich brauche es. Das ist der nächste Schritt für mich und die nächste Stufe auf meiner Karriereleiter. Es ist die perfekte Art, neu anzufangen und mir in den Vereinigten Staaten als Bildhauerin einen Namen zu machen. Falls ich also das Stipendium bekomme …“
„Du wirst es bekommen“, fiel er ihr ins Wort.
„… will ich sichergehen, dass ich es wegen der Qualität meiner Arbeit bekomme.“ Und nicht, weil sie unter Druck eingewilligt hatte, mit einem der Jurymitglieder ins Bett zu steigen.
„Ich hätte den Widerling umbringen können, weil er dich angefasst hat.“ Ein Muskel in Ryans Kiefer zuckte. „Verdammt! Ich will ihn immer noch auseinandernehmen, weil er dich so unverschämt angesehen hat.“
„Wenn ich mir während all der Jahre unser Wiedersehen ausgemalt hatte, habe ich mir niemals vorgestellt, dass es so ablaufen würde. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich in mein Schlamassel hineingezogen habe.“
„Ich liebe Schlamassel“, witzelte er und setzte dabei das freche Grinsen auf, für das er bekannt war.
Wie hätte sie etwas anderes tun können, als das Lächeln des schönsten Mannes, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte, zu erwidern? Vicki war verblüfft, dass sich seit ihrer Teenagerzeit nichts geändert hatte. Ryan war immer noch in der Lage, ihren ganzen Körper unter Feuer zu setzen und sie zum Lachen zu bringen.
Sie hatte weder vorher noch nachher irgendjemanden wie ihn getroffen.
Seine Haare waren heller als jene der meisten seiner Geschwister und aufgrund der vielen Zeit, die er in der Sonne verbrachte, von Strähnchen durchzogen. An seinem langärmeligen Baumwollhemd war oben ein zusätzlicher Knopf geöffnet, sodass sie flüchtig genug gebräunte Haut zu sehen bekam, um den Faden erneut völlig zu verlieren.
„Versprich mir, dass du dich nicht mehr mit ihm alleine treffen wirst, Vicki.“
„Keine Sorge, ich werde diesen Fehler nicht noch einmal begehen. Danke nochmal, dass du meinen Zehn-Minuten-Freund gespielt hast.“
„Zehn Minuten?“ Ryan schien überrascht, so einfach wieder aus der Verantwortung entlassen worden zu sein. „Wann wird das Gremium über das Stipendium entscheiden?“
„Nächste Woche.“
„In diesem Fall kannst du mich als deinen Eine-Woche-Freund anheuern.“
„Wie bitte? Nein. Das kannst du unmöglich für mich tun.“ Als Ryan angesichts ihrer prompten Zurückweisung eine Augenbraue hob, sagte sie: „Spaß beiseite. Ich bin dir sehr dankbar, dass du heute Abend eingesprungen bist. Aber du musst nicht so tun, als würdest du mich eine Woche lang daten. Wenn James mich danach fragt, werde ich ihm einfach erklären, dass wir einen Streit hatten und eine Auszeit nehmen. Und ich werde mehr als vorsichtig sein, nicht wieder in solche Situationen mit ihm zu geraten.“
Unglücklicherweise sah Ryan alles andere als überzeugt aus. „Du hast mich gebeten, heute Abend vorbeizukommen, da du das Gefühl hattest, keine andere Wahl zu haben, stimmt’s?“
Sie stieß einen langen Atemzug aus. „Richtig.“
„Als wir Kinder waren, bist du fast ums Leben gekommen, als du mich von dem Auto weggestoßen hast. Du hast mich gerettet, Vicki. Das war spitze. Nun bin ich dran, dir einen Gefallen zu tun.“
Alle glaubten, dass Ryan Sullivan total unbekümmert wäre. Und es stimmte, dass er gerne und häufig lachte und so tat, als gäbe es keine Probleme. Doch ihr war klar, wie viel Konzentration seine Leichtigkeit verlangte. Wenn sie in der Garage ihrer Eltern an der Töpferscheibe saß, warf er so lange Bälle auf ein weiches Ziel, das er in ihrer Auffahrt aufgebaut hatte, bis ihre Finger im Takt mit dem fortwährenden Aufprall des Balls auf die Zielscheibe arbeiteten.
Jetzt richtete sich sein ganzes Augenmerk darauf, sie vor den so gar nicht lauteren Absichten von James zu schützen. Ryan war zu großartig, um ihr nicht Rückendeckung zu geben. Und er würde sich nicht einmal im Traum aus dem Staub machen, wenn er der Meinung war, dass sie ihn brauchte.
Er griff in seine Geldbörse und warf ein paar Zwanziger auf den Tisch. „Lass uns von hier verschwinden. Der Laden ist mir nicht geheuer.“
Inmitten von all dem Leder und Samt hatte sie dasselbe Gefühl. Im Pacific Union Club sahen alle aus, als hätten sie einen Besen verschluckt.
Ryan stand auf und wartete dann darauf, dass sie an den Rand der Couch rutschte. Und obwohl sie wusste, dass sein ach so verführerischer Kuss einfach nur Bestandteil ihrer großen Show gewesen war, wurde sie sich in seiner Nähe ihres Körpers überdeutlich bewusst.
Die Tatsache, dass sich ihr Kleid immer weiter ihre Schenkel hinaufschob, während sie über die Couch glitt. Zu wissen, dass er ihr üppiges Dekolleté perfekt im Blick haben musste. Und die teuren, schwindelerregend hohen Absätze, die vortäuschen sollten, dass ein Soldatenkind wie sie an einen Ort wie diesen passte.
Während sie auf den Ausgang zusteuerten, lag seine Hand warm auf ihrem Rücken. Sie versuchte, sich klarzumachen, dass es genau das war, was jeder andere Kavalier auch getan hätte. Ihr Körper weigerte sich aber, auf sie zu hören.
Wie denn auch, wenn seine Berührungen sich doch so gut anfühlten?
Noch nie zuvor war sie so froh gewesen, an die frische Luft zu kommen. Nun galt es einzig und allein aufzuhören, ÜBER DIESEN KUSS NACHZUDENKEN, und alles würde in Ordnung kommen. Was unglücklicherweise auch bedeutete, dass es vermutlich an der Zeit war, ins Bett zu gehen. Denn jede Sekunde, die sie mit Ryan verbrachte, verstärkte ihr Verlangen nach einer Wiederholung.
„Warum hast du mich nicht angerufen und mir gesagt, dass du wieder in der Stadt bist?“
„Ich weiß doch, wie viel du um die Ohren hast mit dem Team, deiner Familie und …“ deinen Mädels. „… deinen gesellschaftlichen Verpflichtungen.“
„Für Freunde habe ich immer Zeit.“
Genau deswegen hatte sie ihm auch die SMS gesendet. Sie wusste, wenn ihr jemand notfalls aus der Klemme helfen würde, dann war es Ryan. Er war immer schon anders, als all die anderen Männer gewesen, die sie kannte. Nicht nur, weil er um Welten besser aussah, als alle anderen, sondern weil sie nie daran gezweifelt hatte, wie gerne er sie hatte.
Nachdem der vom Star beeindruckte Parkservice-Angestellte um ein Autogramm gebeten hatte und sich auf den Weg machte, um Ryans Wagen zu holen, fragte er: „In welchem Hotel wohnst du?“
Sie wollte nicht, dass er die Absteige, in der sie zurzeit logierte, sah, deshalb sagte sie: „Im Mission. Ich kann aber ein Taxi nehmen.“ Genau genommen einen Bus, denn ein Taxi konnte sie sich nicht leisten.
Er kniff seine Augen zusammen. „Im Mission? Ausgeschlossen. Wir werden deine Sachen holen und dann kommst du mit zu mir.“
Ein Schrecken durchfuhr sie angesichts seines Vorschlags. „Ich kann nicht bei dir einziehen, Ryan.“
„Natürlich kannst du das.“
Er war sich so sicher. Tat so, als würde alles Sinn machen, als wäre ihr Einzug bei ihm nichts anderes, als wenn er sie in seinem Wagen zu ihr nach Hause bringen würde.
„Du hast dein eigenes Leben und da kann ich nicht einfach hineinplatzen.“
Ehrlich gesagt brachte sie allein der Gedanke daran, in seinem Haus zu sein, während er mit einer anderen Frau unter demselben Dach Sex hatte, so gut wie um den Verstand. Außerdem, wenn sie komplett ehrlich mit sich war, traute sie sich selbst nicht über den Weg, ob sie in seiner unmittelbaren Nähe dem Verlangen widerstehen könnte, sich zu entblättern und ihn anzuflehen, sie zu nehmen.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du in die Stadt kommst“, sagte Ryan, während er sich in den Verkehr einordnete und Richtung Mission Distrikt fuhr, „dann hätte ich dir angeboten, bei mir zu übernachten. Nachdem ich dich so lange nicht gesehen habe, habe ich vor, dich diesmal so lange ich kann hierzubehalten.“
Sie konnte sich ihr Lachen nicht verkneifen. Wann immer Ryan all die Jahre hindurch eine Nachricht gesendet oder eine E-Mail geschrieben hatte oder sie es schafften, einige Minuten am Telefon zu plaudern, gelang es ihm stets, ihren Tag aufzuheitern.
Es war schön zu wissen, dass er dasselbe fühlte.
Wie nur hatten die Jahre so schnell an ihnen vorbeiziehen können? Nach der zehnten Klasse war sie aus der Bay Area weggezogen und hatte es dann im Mittleren Westen irgendwie geschafft, den Highschool-Abschluss zu machen, bevor sie schlussendlich auf die Kunstakademie in New York City floh. Sie genoss es total, endlich mit Menschen zusammen zu sein, die sie verstand, und die scheinbar auch sie verstanden. Ryan fehlte ihr aber immer noch. Sie hatte sogar versucht, bei einigen seiner College World Series Spiele an der Ostküste dabei zu sein, aber die Spieltermine und ihr Prüfungsplan waren ständig kollidiert.
Ehe sie es sich versah, hatte sie Anthony kennengelernt, ihren Abschluss gemacht, geheiratet und lebte in Europa. Ihr Ehemann war sehr besitzergreifend und eifersüchtig auf ihre platonischen Beziehungen zu anderen Männern.
Vor allem auf ihre Freundschaft mit Ryan.
Kein Wunder, dass es ihnen nie gelungen war, sich wiederzusehen. Sie hatte sich zu sehr gesorgt, ihre Ehe zu gefährden, und Ryan war offensichtlich ebenso auf der Hut, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Erst nach Auflösung ihrer Ehe hatte sie das Gefühl, wieder mit Ryan in Kontakt treten zu können. Doch dann war er laut Boulevardpresse mit der Erbin eines Ölkonzerns liiert. Natürlich hatte sie nicht die Absicht, sich an seiner bereits vergebenen Schulter auszuweinen. Das wäre ihm – beziehungsweise seiner reichen Freundin gegenüber – nicht fair gewesen. Als die Klatschpresse das Beziehungsende bekanntgab, hatte sie sich geschworen, ihr Leben wieder selbst in den Griff zu bekommen, damit sie wieder mit ihm würde lachen können, anstatt ihre Zeit weiter mit Heulen zu vergeuden.
Sie hatte angenommen, dass die Chance auf das Stipendium ihr helfen würde, ihr Leben endlich wieder auf Kurs zu bringen, und letztendlich nicht als Vorwand dienen würde, um Ryan in ihr verkorkstes Leben hineinzuziehen.
Als sie bei ihrem Motel ankamen, sagte er nichts. Er musste auch gar nichts sagen. Sein angewiderter Gesichtsausdruck sprach Bände.
„Du solltest wohl besser im Wagen bleiben“, schlug sie vor. Wäre es denn nicht das Tüpfelchen auf dem I, wenn nach allem, dem sie ihn heute Abend bereits ausgesetzt hatte, nun auch noch sein schickes Auto geknackt oder gar gestohlen würde?
„Zum Teufel mit meinem Wagen.“ Er begutachtete die ziemlich zwielichtigen männlichen und weiblichen Gestalten, die auf dem Bürgersteig herumlungerten. „Ich begleite dich.“
Während sie die Treppe hinaufstiegen, hörten sich das Gebrüll, das Heulen und das Wimmern von Kleinkindern wie der perfekte Soundtrack zu dem Trauerspiel an, das ihr Leben war. Sie wollte nie eine Frau sein, die man retten musste, und hatte diese Art von Mädchen immer verachtet.
Und da war sie nun und hatte ihren persönlichen Ritter ohne Furcht und Tadel im Schlepptau.
Was sie ein wenig mit der Situation aussöhnte, war die Tatsache, dass es Ryan war. Doch obwohl sie wusste, dass er nicht über sie urteilen würde, konnte sie in diesem Moment kaum einen vernünftigen Gedanken fassen.
An Scham mangelte es ihr andererseits nicht.
Insbesondere als Ryan noch vor ihr schnurstracks ins Badezimmer marschierte, wo sie zuvor im Waschbecken ihre BHs und Slips von Hand gewaschen hatte, die nun zum Trocknen über der verrosteten Duschleiste, dem Handtuchhalter und den Türgriffen hingen.
War er schockiert darüber, dass ihre Unterwäsche besser zu einer Edelnutte gepasst hätte, als zu einer Frau, die bis zu ihrem 22. Lebensjahr Jungfrau war und in ihrem ganzen Leben nur mit einem Mann geschlafen hatte?
Beinahe in Zeitlupe beobachtete sie, wie Ryan nach einem Höschen und dem passenden BH griff. Als seine Finger über die Spitze glitten, stockte ihr der Atem in der Kehle.
„Hübsch.“
Sie hatte kaum ausreichend Luft in ihren Lungen, um zu sagen: „Danke.“ Sie ging mit ihm in das winzige Badezimmer. „Ich kann die anderen Teile einsammeln.“
Nur musste sie sich an Waschbecken und Badewanne vorbeischieben, um das bunte Spitzenteil, das an der Vorhangstange hing, zu ergattern. Und genau dort stand Ryan und hielt immer noch ihre Unterwäsche in Händen. Jeder Zentimeter ihres Körpers, der mit seinem in Berührung kann, fühlte sich heiß an. Super empfindlich. Verlegen zog sie mit aller Kraft an einem besonders neckisch leuchtenden rosa Tanga, dass sie ihn beinahe zerriss.