Nutzen und Risiken von Corona-Maßnahmen - Günter Kampf - E-Book

Nutzen und Risiken von Corona-Maßnahmen E-Book

Günter Kampf

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Beschreibung

Zahlreiche Corona-Maßnahmen wurden im Rahmen der COVID-19-Pandemie in Deutschland schrittweise per Verordnung verhängt. Doch wie wirksam sind die einzelnen Maßnahmen, um die Übertragung von SARS-Coronavirus-2 zu verhindern? Und gibt es Risiken, die mit den Maßnahmen einhergehen? Um die Übertragungswege besser zu verstehen, wird in diesem Fachbuch beschrieben, in welchen Körpersekreten und wie lange infektiöses SARS-Coronavirus-2 nachweisbar ist, welche Erkenntnisse zu seiner Übertragung über Tröpfchen, Aerosole und Flächen vorliegen und welche Personen bzw. Berufsgruppen besonders gefährdet sind. Anschließend werden Maßnahmen wie das Händewaschen, die Händedesinfektion, das Tragen von Handschuhen, das Anlegen einer Mund-Nasen-Bedeckung, das Abstand halten, die Desinfektion von Flächen sowie das kontaktlose Bezahlen auf wissenschaftlicher Basis bewertet, ob durch sie die Übertragung des SARS-CoV-2 verhindert werden kann und welche Risiken mit ihnen assoziiert sind. Anhand von typischen Lebenssituationen wie dem Einkaufen oder dem Friseurbesuch wird geschildert, wie wahrscheinlich eine Übertragung zwischen Menschen ist und welche Faktoren die Übertragung begünstigen. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass nicht von jeder Maßnahme ein Gesundheitsnutzen zu erwarten ist. Einige der Maßnahmen können sogar mit relevanten Risiken einhergehen.

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Seitenzahl: 179

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VORWORT

Die Coronavirus-Pandemie ist für Menschen und Medien seit Wochen das bestimmende Thema. Es nimmt den Hauptteil der Nachrichten ein, und es gibt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fast keine Talk-Show ohne Bezug zum Coronavirus. Wenn man mit Familienmitgliedern, Freunden, Bekannten oder Menschen auf der Straße ins Gespräch kommt, dreht es sich meist sehr schnell um die „Corona-Krise“. Wie steht man zu den staatlich angeordneten Maßnahmen und ihren schrittweisen Lockerungen? Wie gravierend ist das Infektionsgeschehen? Jeder wird dazu inzwischen seinen eigenen Standpunkt gefunden haben und in Diskussionen mit Überzeugung vertreten können. Wie stark belastet es die Familie mit home office und home schooling, selbst wenn inzwischen Spielplätze wieder geöffnet sind? Wie stark belastet es den Arbeitgeber, wenn auf einmal „strikte Hygiene-Auflagen“ erarbeitet und später umgesetzt werden sollen? Und was machen solche Auflagen mit den Mitarbeitern? Sind sie dankbar, dass der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht so vorbildlich nachkommt oder finden sie manche Maßnahmen völlig überzogen? Was macht die eigene Seele aus den Bildern, die in der Öffentlichkeit zu sehen sind, wenn viele Menschen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, großen Abstand halten und sich am liebsten ganz aus dem Weg gehen wollen?

Ich bin einer von sehr vielen Menschen, die ihr aktuelles Umfeld aufmerksam beobachten und versuchen zu verstehen, was momentan passiert. Das fällt mir nicht immer leicht, wenn ich beispielsweise von Beschlüssen einiger Politiker höre, deren Sinnhaftigkeit ich aus fachlichen Gründen zunächst in Zweifel ziehen würde. Ich wundere mich immer wieder darüber, dass es insbesondere zu den angeordneten Maßnahmen keine fachlich kontroversen Debatten im Fernsehen zu geben scheint. Ich habe mir oftmals gewünscht, dass sich die Experten wie Virologen, Epidemiologen, Soziologen oder Hygieniker mit ganz unterschiedlichen Standpunkten zu einer Fragestellung gegenseitig ihre guten und begründeten Argumente „um die Ohren hauen“ und der Zuschauer sich selber ein Bild davon machen kann, welches der Argumente mehr überzeugt. Doch eine solche öffentliche Debatte konnte ich bislang nicht erleben.

Deshalb habe ich versucht, mir ein eigenes fachliches Bild von verschiedenen wichtigen Aspekten zu verschaffen. Von welchen Quellen wird das Virus übertragen? Welche Rolle spielen dabei die Menschen, die zwar das Virus tragen, aber keine Symptome aufweisen? Welches sind wichtige Übertragungswege, welches sind vernachlässigbare Übertragungswege? Welche der Maßnahmen lassen tatsächlich einen relevanten Gesundheitsnutzen erwarten, d.h. das Vermeiden einer Übertragung bzw. neuen Infektion? Kann es ein Null-Risiko überhaupt geben, und ist das als Ziel sinnvoll? Und wer sollte darüber entscheiden, welches Gesundheits- bzw. Infektionsrisiko für einen Bürger akzeptabel ist? Das sind einige der Fragen, die ich versuchen werde, in diesem Buch zu beantworten. Es wird keine abschließende Bewertung sein können, aber vielleicht trägt es dazu bei, bei der Bewertung von Maßnahmen eine sachlichere Diskussion zu führen, bei der ein zu erwartender Nutzen mit den jeweiligen Risiken abgeglichen werden sollte.

Einige Lebensbereiche wie Schulen oder Pflegeheime sind nicht explizit betrachtet, obwohl es das sicherlich wert gewesen wäre. Vielleicht helfen hier einige Bewertungen, die ich im Zusammenhang mit Friseursalons, dem Einzelhandel und der Gastronomie beschrieben habe.

Insgesamt bleibt bei mir dennoch gelegentlich ein mulmiges Gefühl zurück, wenn ich an die Veröffentlichung dieser Inhalte denke. Denn die Diskussionskultur in Deutschland scheint sich verändert zu haben. Eine vor kurzem durchgeführte Umfrage unter 178 Medizinern und Wissenschaftlern auf den Fachgebieten der Virologie, Mikrobiologie, Hygiene, Tropenmedizin, Immunologie, Inneren Medizin und Intensivmedizin zeigte, dass ein Drittel von ihnen die freie Meinungsäußerung in der Wissenschaft bedroht sieht. Professor Schindler von der Universität Tübingen, einer der Initiatoren der Umfrage, sagt dazu: „Ein aus unserer Sicht bedenkliches Ergebnis. Wenn sich ein Drittel der Fachkolleginnen und Kollegen in ihrer freien Meinungsäußerung bedroht sieht, sollten wir unsere Diskussionskultur grundsätzlich hinterfragen.“ [1]. Umso mehr hoffe ich und wünsche mir, dass die sachliche Auseinandersetzung zu einzelnen Fragen fachlich, respektvoll und ohne politische oder ideologische Bandagen bleibt.

Abschließend bitte ich alle Leser, zwei Hinweise zu beachten. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Der zweite Hinweis betrifft die Aktualität der hier dargestellten Informationen, denn die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in guten Fachzeitschriften ist bei diesem Thema rasant. Täglich kommen neue Veröffentlichungen hinzu. Die hier ausführlicher dargestellten Studienergebnisse habe ich mit größter Sorgfalt zusammengetragen und ich hoffe, bis zum Abschluss des Manuskripts keine wesentlichen Erkenntnisse übersehen zu haben. Doch das ist bei der Fülle an Informationen kaum möglich. Und es kann gut sein, dass schon kurze Zeit später neue wichtige Erkenntnisse hinzukommen, die nicht im Einklang mit hier beschriebenen Ergebnissen stehen. Sie halten also eine Momentaufnahme in den Händen, die Ihnen hoffentlich eine wertvolle Informationsquelle ist, um sich hinsichtlich der Bewertung von Übertragungsrisiken und Präventionsmaßnahmen ein eigenes fundierteres Urteil bilden zu können.

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

In der aktuellen Coronavirus-Pandemie sind manche Einschränkungen für viele Menschen schwer zu ertragen. Das betrifft vor allem die starken Einschränkungen der persönlichen Begegnung mit Familienangehörigen wie der betagten, eventuell dementen Mutter im Pflegeheim oder mit guten Freunden. Für viele Menschen sind die Einsamkeit und das fehlende Umarmen und Berühren eine immer stärkere emotionale Belastung. Viele der vom Bürger erlebten Einschränkungen werden von Behörden wie dem Robert Koch-Institut (RKI) oder Virologen empfohlen, teilweise werden sie zusätzlich auf politischer Ebene beschlossen (Bundes- oder Landesebene) und sind in der Folge von den Bürgern umzusetzen. Wer die Umsetzung absichtlich oder unabsichtlich missachtet, kann mit einem Bußgeld bestraft werden [2], im Lebensmittelladen mit einem Hausverbot versehen oder im Nahverkehr zum Verlassen des Zuges oder Busses aufgefordert werden. Teilweise werden die Maßnahmen von Einzelhändlern ohne amtliche Vorgabe implementiert, vermutlich um den Kunden ein sicheres Gefühl zu geben.

Die Kernfrage lautet jedoch: Wie viele Übertragungen lassen sich durch die jeweilige Maßnahme tatsächlich vermeiden, und welche Risiken sind möglicherweise mit der Maßnahme assoziiert?

Die wissenschaftliche Nutzen-Risiko-Bewertung ist ein übliches Verfahren zur Bewertung von Arzneimitteln. Dabei hat man zunächst einen Nutzen wissenschaftlich zu belegen, der mit den ebenfalls wissenschaftlich beschriebenen Risiken in einem vertretbaren Verhältnis zu stehen hat. Eine derartige vergleichende Bewertung wurde 2016 in den USA beschrieben, wo es bis dahin üblich war, antimikrobielle Seifen in Haushalten zu verwenden [3]. Zahlreiche Wirkstoffe wie beispielsweise Triclosan, ein Abkömmling des Phenols, waren für Seifen im Haushalt von der Zulassungsbehörde FDA als grundsätzlich wirksam und sicher eingestuft. Insbesondere zu Triclosan häuften sich die Erkenntnisse, dass die Substanz in der Umwelt schwer abbaubar ist und sogar Antibiotikaresistenzen auslösen kann. Deshalb forderte die Zulassungsbehörde von den Herstellern, den Nutzen des Wirkstoffs in Flüssigseifen nachzuweisen. Dieser Nutzen kann einerseits im Reagenzglas nachgewiesen werden, in dem das Ausmaß der Abtötung von Bakterienzellen in einer definierten Einwirkzeit bestimmt wird (antimikrobielle Wirkung). Die Behörde verlangte jedoch, dass ein Gesundheitsnutzen für den Anwender nachgewiesen sein muss, d.h. dass bei Anwendung einer Triclosan-haltigen Seife zum Waschen der Hände weniger Infektionen auftreten im Vergleich zum Waschen der Hände mit einfacher Seife. Dieser Gesundheitsnutzen konnte jedoch von keinem Hersteller glaubhaft belegt werden. Gleichzeitig zeigten sich immer mehr mögliche Risiken von Triclosan. Deshalb forderte die Behörde zur Beurteilung der Sicherheit der Anwender bei dauerhafter Nutzung deutlich mehr Daten für die Wirkstoffe, um das Risiko für Krebsentstehung, hormonelle Effekte, Resistenzbildung gegenüber Antibiotika und ihre möglichen Auswirkungen auf die Fortpflanzungsfähigkeit besser bewerten zu können [4]. Die gesamthafte Betrachtung führte zu der Erkenntnis, dass es für Triclosan und die anderen Substanzen in Flüssigseifen keinen nachgewiesenen gesundheitlichen Nutzen gab, dafür aber einige relevante Risiken, so dass seitdem insgesamt 19 Substanzen nicht mehr in Flüssigseifen angewendet werden dürfen [4]. In der Wissenschaft wurde diese Entscheidung ausdrücklich begrüßt, insbesondere wegen der mit Triclosan immer häufiger assoziierten Antibiotikaresistenzen [5].

In einem Bund-Länder-Gespräch am 17. April 2020 wurde als Maßgabe der Entscheidungen mitgeteilt, dass „in dieser schwierigen Situation der Schutz der Gesundheit der Menschen Vorrang haben muss“ [6]. Bundesfinanzminister Olaf Scholz warf den Befeuerern der Debatte um Lockerungen Zynismus vor. Die Maßnahmen gäbe es, um Leben zu retten. Es sei aus seiner Sicht zynisch, darüber zu diskutieren, dass gesundheitliche Fragen hinten anstehen und wirtschaftliche Fragen vorangehen sollten, sagte er im Bericht aus Berlin in der ARD [7]. Es mag diese Maßnahmen tatsächlich mit dem Ziel geben, Leben zu retten. Doch die umstrittene Frage bleibt, ob diese Maßnahmen aus wissenschaftlicher Sicht tatsächlich geeignet sind, Leben zu retten. Sollten einige der Maßnahmen nach heutiger Kenntnis wenig oder nicht geeignet sein, Leben zu retten, wäre es dann nicht zynisch, diese Maßnahmen weiterhin anzuordnen und ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen einfach in Kauf zu nehmen?

Die Bedeutung öffentlicher Nachrichten und Bilder ist dabei nicht zu unterschätzen. So wurde im Radio aus dem Kieler Landtag berichtet, dass die Redner mit Mund-Nasen-Schutz an das Pult gingen und nach jedem Wortbeitrag die Fläche des Pults desinfiziert wurde. Für den Zuhörer ist die Botschaft, dass es eine Gefahr auf der Fläche des Pults zu geben scheint, die vom Vorredner ausgeht, obwohl dieser einen Mund-Nasen-Schutz getragen hat und die Fläche höchstens mit den Händen berührt wurde. Das sind Botschaften einer diffusen Gefahr, unabhängig davon, ob es sie gibt oder nicht bzw. wie groß diese Gefahr tatsächlich sein mag. Durch die hohe Dichte an Sendungen wird darüber hinaus beim Zuschauer dem Thema „Corona-Krise“ eine alles bestimmende Bedeutung beigemessen und deshalb unabhängig von Fallzahlen und Todesfällen bei vielen Menschen eine deutlich überdurchschnittliche Bedrohungslage vermutet. So meint Prof. Dr. Michael Tsokos, Rechtsmediziner aus Berlin: „Die Pandemie-Kommunikation muss besonnener und beruhigender geführt werden. Sonst werden wir am Ende des Jahres eine Übersterblichkeit sehen, nicht durch Covid-Erkrankungen, sondern durch Suizid- und Alkohol-Tote.“ [8].

Im Lauf der letzten Wochen war für uns immer weniger zu verstehen, warum an einzelnen Maßnahmen festgehalten wird, obwohl die Fallzahlen stetig fallen oder warum im Rahmen der Lockerungen für Sportvereine, Friseure oder Gaststätten Auflagen an Hygiene-Konzepte gemacht werden, an deren gesundheitlichen Nutzen teilweise erhebliche Zweifel bestehen. Können COVID-19-Infektionen verhindert werden, wenn ein Ball nach der Verwendung beim Beachvolleyball desinfiziert wird? Ist eine Übertragung im Lebensmittelgeschäft weniger wahrscheinlich, wenn eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen wird? Deshalb werden hier auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse die wichtigsten Übertragungswege von SARS-CoV-2 beschrieben und einige Maßnahmen einer Nutzen-Risiko-Bewertung unterzogen, um besser bewerten zu können, wie wahrscheinlich ein gesundheitlicher Nutzen ist und welche Risiken mit der Maßnahme einhergehen.

2. DAS VIRUS

3. DIE COVID-19 PANDEMIE

Die ersten neuartigen schweren Atemweginfektionen, später bekannt als COVID-19, wurden Ende Dezember 2019 in verschiedenen Krankenhäusern in Wuhan in China entdeckt. Am 30. Dezember 2019 wurde das SARS-CoV-2 erstmals bei einem Patienten aus dem Bronchialraum nachgewiesen. Die Mehrzahl der ersten Verdachtsfälle wies das gemeinsame Merkmal auf, den örtlichen Markt für Meeresfrüchte besucht zu haben, der am 1. Januar 2020 geschlossen wurde. Von Wuhan aus hat es sich immer weiter in China ausgebreitet, um später auf allen Kontinenten der Welt zu Infektionen zu führen [10]. Eine retrospektive Studie deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 in Frankreich bereits Ende 2019 zu mindestens einer Infektion geführt hat, ohne dass der Patient einen Bezug zu China hatte [13]. Diese Entdeckung ist besonders interessant, da es bereits bei den Militärweltspielen im Oktober 2019 in Wuhan einige Fälle grippeähnlicher Infektionen unter den Teilnehmern aus Frankreich und Italien gab, deren Symptome rückblickend auf CO-VID-19 hindeuten [14].

COVID-19 gilt als Infektionskrankheit, von der die überwiegende Mehrzahl der Patienten mit leichten Symptomen innerhalb von ein bis zwei Wochen genesen [10]. Die infektiöse Dosis von SARS-CoV-2 ist nicht bekannt, d. h. man weiß nicht, wie viele Viren benötigt werden, um beim Menschen eine Infektion auszulösen. Von allen COVID-19-Fällen gelten ca. 81 % als solche mit mildem Krankheitsverlauf, schwere Infektionsverläufe sind in ca. 14 % und kritische Verläufe in ca. 5 % der Fälle zu beobachten [10].

Die Rate an Todesfällen bei den ersten 44 672 COVID-19 Fällen in China wurde mit 2,3 % angegeben [10]. Interessanterweise ist diese niedriger als die Rate an Todesfällen bei der SARS-Epidemie 2003 - 2004 mit 9,6 % und niedriger als die Rate an Todesfällen bei der MERS-Epidemie 2012 mit 34 %. Bei der MERS-Epidemie kann es sein, dass die Todesrate überschätzt wurde, da milde Verlaufsformen in Ermangelung diagnostischer Möglichkeiten vermutlich übersehen wurden [15].

An dieser Stelle sei ein Vergleich zu Grippe-Infektionen erlaubt. Nach einer Schätzung der WHO erkranken durch Influenza-Viren pro Jahr weltweit etwa eine Milliarde Menschen, von denen drei bis fünf Millionen einen schweren Krankheitsverlauf haben und schätzungsweise 290 000 bis 650 000 versterben [16, 17].

In praktisch allen Medien sah man über Monate täglich neue Angaben zur Entwicklung der COVID-19-Pandemie. Dabei war die häufigste Angabe die kumulative Fallzahl, also die Summe aller bislang bestätigten Fälle in einem Land (z. B. 160 758 Fälle in Deutschland bis zum 1. Mai 2020) oder als Anzahl neuer Fälle des Vortags (z. B. 1 639 neue Fälle in Deutschland am 1. Mai 2020). Zunächst wollen wir betrachten, welche Personen als „Fall“ in die offiziellen Statistiken eingehen.

3.1. Falldefinitionen

Falldefinition der WHO

Als bestätigter Fall gilt jede Person, bei der die Diagnose COVID-19 durch den Nachweis im Labor bestätigt wurde, unabhängig davon, ob diese Person klinische Zeichen einer Infektion oder Symptome aufweist. Eine Person gilt als wahrscheinlicher Fall, wenn bei einem Verdachtsfall entweder die Laborergebnisse auf SARS-CoV-2 nicht eindeutig sind oder bislang keine Laboruntersuchung durchgeführt wurde, aus welchen Gründen auch immer. Ein Verdachtsfall liegt vor, wenn der Patient eine Atemweginfektion hat und sich entweder in den 14 Tagen vor Beginn der Symptome in einem COVID-19-Endemiegebiet aufhielt, oder wenn in den 14 Tagen vor Beginn der Symptome Kontakt zu einem bestätigten oder wahrscheinlichen Fall bestand, oder wenn der Patient wegen der Infektion stationär behandelt werden muss und keine andere Diagnose in Betracht kommt, die das klinische Bild der Infektion vollständig erklärt. Als COVID-19-assoziierter Todesfall gilt jeder verstorbene Patient, der zuvor als bestätigter oder wahrscheinlicher Fall eingestuft wurde, es sei denn, dass nachweislich eine andere Todesursache vorliegt [18]. In den täglichen Berichten zur weltweiten Situation der COVID-19-Pandemie werden sowohl die bestätigten Infektionsfälle als auch die Todesfälle angegeben.

Falldefinition des RKI

Laut RKI werden die folgenden Fälle als COVID-19 gewertet und sind über die zuständige Landesbehörde an das RKI zu übermitteln [19]:

wenn SARS-CoV-2 im Labor von Personen ohne Symptome, ohne Angabe zu Symptomen sowie mit spezifischen oder unspezifischen Symptomen nachgewiesen wurde.

wenn das spezifische klinische Bild einer Lungenentzündung ohne Labornachweis von SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde und eine epidemiologische Bestätigung vorhanden ist. Diese kann das Auftreten von zwei oder mehr Lungenentzündungen in einer medizinischen Einrichtung, einem Pflege- oder Altenheim sein oder der Kontakt zu einem bestätigten Fall.

Kontakt zu einem bestätigten Fall

Dieser wird vom RKI als Vorliegen von mindestens einem der beiden folgenden Kriterien innerhalb der letzten 14 Tage vor Erkrankungsbeginn definiert [19]:

Versorgung bzw. Pflege einer Person mit COVID-19, insbesondere durch medizinisches Personal oder Familienmitglieder

Aufenthalt am selben Ort wie eine COVID-19 Person, während diese symptomatisch war; z. B. Klassenzimmer, Arbeitsplatz, Wohnung bzw. Haushalt, erweiterter Familienkreis, Krankenhaus, andere Wohn-Einrichtung, Kaserne oder Ferienlager.

SARS-CoV-2 kann dabei entweder im Kulturverfahren (infektiöses Virus; das Virus infiziert eine bestimmte für das Virus geeignete Zellkultur) oder per PCR (Nukleinsäure) nachgewiesen werden. Für die Diagnosesicherung COVID-19 sind beide Verfahren geeignet. Die PCR gilt für die Diagnostik als Goldstandard [20, 21]. Doch sind beide Verfahren auch geeignet, um das Ansteckungsrisiko von dieser Person zu beurteilen?

Das Vorhandensein von viraler RNA ist nicht immer mit der Übertragbarkeit und Infektiosität von Viren gekoppelt [22]. Daher wurde schon frühzeitig in Frage gestellt, ob die SARS-CoV-2-Viruslast mit dem kultivierbaren Virus korreliert [23]. In der Phase der symptomatischen Infektion ist das größtenteils der Fall. In 19 von 25 klinischen Proben (Nase-Rachen-Abstrich) von COVID-19-Patienten wurde das SARS-CoV-2 durch Kultur nachgewiesen [24]. In einer anderen Studie wurde infektiöses Virus nur in der ersten Woche der Symptome durch Kultur nachgewiesen [25]. Interessanterweise wurden ab dem 8. Tag bis zum 13. Tag trotz weiterhin hoher Viruslast (gemessen als RNA) keine infektiösen Viren mehr nachgewiesen [25]. Ein ähnliches Bild fand sich mit dem SARS-CoV-1. Hier war virale RNA in den Atemsekreten und im Stuhl einiger Patienten noch nach mehr als einem Monat nach Krankheitsbeginn nachweisbar, aber nach der 3. Woche konnte bereits kein infektiöses Virus mehr nachgewiesen werden [26]. Die Nukleinsäure-Nachweismethoden (PCR) haben einen wesentlichen Nachteil: Sie können nicht zwischen infektiösen und nicht-infektiösen (toten oder antikörperneutralisierten) Viren unterscheiden.

Jede Person, bei der die RNA des SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde, ist für die WHO und das RKI ein bestätigter Fall, unabhängig davon, ob Symptome vorhanden sind oder nicht.

3.2. Weltweite COVID-19-Infektionen und Todesfälle

Zum 1. Mai 2020 lagen weltweit insgesamt 3 175 207 Fälle bestätigter COVID-19-Infektionen vor, 224 172 Menschen sind mit dieser Diagnose verstorben [27]. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht über die Länder, die bis zu diesem Zeitpunkt am stärksten betroffen waren. Die meisten bestätigten Fälle fanden sich in den USA sowie in einigen europäischen Ländern. In China, dem Ausgangspunkt der Pandemie, gibt es nur noch wenige Neuinfektionen in Form von Clustern.

3.3. COVID-19-Infektionen in Deutschland

Auf Basis der Angaben des RKI hatten sich bis zum 1. Mai 2020 in Deutschland insgesamt 160 758 Personen mit dem SARS-CoV-2 infiziert. Von diesen sind ca. 126 900 genesen und 6 481 im „Zusammenhang mit COVID-19“ verstorben. Die meisten COVID-19-Fälle sind zwischen 15 und 59 Jahre alt (67 %). Insgesamt sind Frauen und Männer mit 52 % bzw. 48 % annähernd gleich häufig betroffen. 87 % der Todesfälle und 19 % aller Fälle sind 70 Jahre oder älter. COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern werden weiterhin berichtet. In einigen dieser Ausbrüche ist die Zahl der Verstorbenen vergleichsweise hoch [28].

Land

Anzahl bestä- tigter Fälle

Anzahl Todesfälle

Hauptübertragung*

USA

1 035 353

31 379

In der Gesellschaft

Spanien

213 435

24 543

In der Gesellschaft

Italien

205 463

27 967

In der Gesellschaft

Großbritan- nien

171 257

26 771

In der Gesellschaft

Deutschland

159 119

6 288

In der Gesellschaft

Frankreich

128 121

24 342

In der Gesellschaft

Türkei

120 204

3 174

In der Gesellschaft

Russische Föderation

114 431

1 169

Cluster

Iran

94 640

6 028

In der Gesellschaft

China

84 385

4 643

Cluster