Die Stigmatisierung der Ungeimpften während COVID-19 - Günter Kampf - E-Book

Die Stigmatisierung der Ungeimpften während COVID-19 E-Book

Günter Kampf

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Beschreibung

Ein im November 2021 im Lancet veröffentlichter Leserbrief über die ungerechtfertigte Stigmatisierung von Menschen ohne COVID-19-Impfung erregte internationales Aufsehen (Top 5% aller Artikel). Er führte aber auch zu unerwarteten Reaktionen von Bürgern, Ärzten und Wissenschaftlern an den Autor: 88 E-Mails, zwei Entgegnungen im Lancet und der Versuch einer präventiven Zensur durch einen Universitätsvertreter. Die E-Mails brachten Dankbarkeit für den Brief und große Besorgnis über das gesellschaftliche Zusammenleben nach der Pandemie zum Ausdruck. Sie zeigten auch, wie sich nicht nur Mut, sondern auch Menschlichkeit angesichts einer unsicheren und zunehmend gespaltenen Gesellschaft entfalten. Während einer Pandemie sind wir letztlich alle ein Teil der gleichen menschlichen Gemeinschaft, unabhängig von unserem Impfstatus. Ein Zeitdokument, das nicht nur aufklärt, sondern auch zum Nachdenken anregt und zum Handeln auffordert - mit einem Vorwort von Dr. Ellis Huber, dem ehemaligen Präsidenten der Ärztekammer Berlin.

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Seitenzahl: 64

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Vorwort

Am 20. November 2021 veröffentlichte „The Lancet“ den hier dokumentierten Beitrag zur „Pandemie der Ungeimpften“. Diese Veröffentlichung in der ältesten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschrift zum Umgang mit den Menschen ohne Corona-Impfung war und ist bedeutsam und bemerkenswert. Ich bin Günter Kampf für die hier vorgelegte Analyse der ausgelösten Reaktionen dankbar. Sie hilft zum besseren Verständnis der damaligen und auch der heutigen Corona-Konflikte. Und wir können damit unser Denken und Handeln kritisch reflektieren und das kollektive Trauma der damaligen Coronaerlebnisse aufarbeiten. Wir müssen endlich darüber sprechen, was in Deutschland wirklich passierte, als sich die Vorstellung von einer „Pandemie der Ungeimpften“ breit machte und die öffentliche Psychodynamik beherrschte.

Das Feindbild der „Ungeimpften“ prägte im Herbst 2021 die kollektive Gefühlslage der Bevölkerung. Wut, Hass und Schuldzuweisung richteten sich auf eine Bevölkerungsgruppe, die der Corona-Impfung nicht vertraute und stattdessen andere Möglichkeiten der Infektionsbe-wältigung praktizieren wollte. „Die Tyrannei der Ungeimpften“ verbreitete sich in allen Medien. Von CSU-Chef Markus Söder bis zum Ministerpräsidenten Bodo Rame-low in Thüringen wurde die „Pandemie der Ungeimpften“ propagiert und die Menschen in die guten Impfwilligen und die bösen Impfskeptischen aufgeteilt. Die kollektive Stimmung trieb viele Menschen auseinander, spaltete Familien, Freundschaften und Belegschaften.

Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigt bis heute seine dramatischen Appelle zur „Pandemie der Ungeimpften“. Seine Aussagen und die aller Apologeten der rettenden Impfung und der Diffamierung und Ausgrenzung der Ungeimpften entsprachen schon damals nicht der Wahrheit. Doch diese Erkenntnis passte nicht zur politischen Strategie der Angst und Bedrohung.

Die Wissenschaftler im Robert Koch Institut warnten intern, aber trauten sich nicht, der politischen Kampagne zu widersprechen. Der allseits bekannte Coronaaufklärer Christian Drosten sagte am 10. November 2021: „Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pandemie der Ungeimpften. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie.“ Der Lancet Brief von Günter Kampf warnte zeitgleich vor der falschen Sichtweise. Christian Drosten wurde nicht gehört, Günter Kampf von seiner Universität in Greifswald angegriffen und diffamiert. Wie konnte eine solche Verdrängung der Realität die wissenschaftlichen Institutionen besetzen und zu wirklich falschen Behauptungen animieren? Angstabwehr durch aktionistische Handlungswut dominierte die politischen Entscheidungsträger. Und eine kindliche Hoffnung auf eine starke Hand gegen die unerklärliche Bedrohung bestimmte das öffentliche Gefühl: diese kollektive Neurose beschreibt aus meiner Sicht die erlebte Psychodynamik unseres Gemeinwesens.

Die sachlich formulierten, fachlich kompetenten und medizinisch verantwortungsbewussten Analysen zur Corona-Pandemie von Günter Kampf waren damals schon eine wirkliche Wohltat. Sie hielten die Hoffnung auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung aufrecht und halfen dazu, in den Irren und Wirren der dogmatisch verengten Eiferei einen nüchternen Blick zu behalten. Die Politik und die gesellschaftlichen Verantwortungsträger sind mit den ungeimpften Menschen nicht menschlich umgegangen. Sie wurden ausgegrenzt, diffamiert, beschimpft und verunglimpft. Politische Führungskräfte, die in einem demokratischen Gemeinwesen für Gemeinsamkeiten und die Integration unterschiedlicher Positionen Verantwortung tragen, haben stattdessen Sündenböcke produziert, Schuldzuweisungen praktiziert und die Spaltung der Gesellschaft verstärkt. Die Verantwortungslosigkeit lag also nicht bei den Ungeimpften.

Wir lernen jetzt, dass in einer Pandemie sozialer Zusammenhalt und individuelle Handlungsfähigkeit gebraucht werden, sowie die Befähigung aller Bürgerinnen und Bürger, mit einer Gefahr selbst umgehen zu können. Strategien der Selbstwirksamkeit und Autonomie statt Angst und Panikmache kennzeichnen die politische Führungsaufgabe, die staatliche und gesellschaftliche Institutionen beherzigen und konsequent verfolgen sollten. Die hier vorgelegte Analyse der Reaktionen auf einen Lancet Brief von Günter Kampf, schenkt uns ein kleines Lehrbuch für eine bessere Politik in der Zukunft. Und es dokumentiert zugleich, dass auch in der Corona-Pande-mie nicht alle Vernunft verschwunden war. Das ist ein gutes Zeichen für die Entwicklung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, und daher wünsche ich diesem Werk viele Leserinnen und Leser.

Ellis Huber

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Der Lancet Brief

Überblick über die Reaktionen

Reaktionen von Bürgern

Reaktionen von Ärzten

Reaktionen von Professoren

Reaktionen von Wissenschaftlern

Reaktionen von Studenten

Reaktionen von Psychologen

Reaktionen aus der Pflege

Weitere Reaktionen

Die Reaktion der Universität

Zwei im Lancet veröffentlichte Reaktionen

Toleranz

14.1. Toleranz in der Wissenschaft

14.2. Toleranz in der Gesellschaft

Quellenverzeichnis

Über den Autor

Leseempfehlungen

1. Hintergrund

Das Jahr 2021 war in Deutschland von der COVID-19-Pandemie geprägt. Das wahrscheinlich am meisten moralisierte Thema war der Impfstatus. Der Ausdruck „Pandemie der Ungeimpften“ wurde schon früh während der Pandemie geprägt und setzte sich schnell durch. Der Gedanke, dass die Pandemie mehr oder weniger ausschließlich eine Domäne der Ungeimpften geworden sei, hat sich hartnäckig gehalten [1]. Es war eine Zeit, in der sich Politiker immer wieder öffentlich zu den Gefahren äußerten, die von ungeimpften Menschen ausgehen würden. Hier einige Beispiele.

Joe Biden, Präsident, USA (übersetzt)

„Schauen Sie, die einzige Pandemie, die wir haben, ist unter den Ungeimpften.“

(17. Juli 2021; AP News)

Janosch Dahmen, Grüne, Deutschland

“Einschränkende Maßnahmen sind nur dann zu rechtfertigen, wenn von einer Menschengruppe eine Gefahr ausgeht. Geimpfte Menschen sind keine Gefahr mehr, deshalb können für diese Menschen auch keine Einschränkungen mehr gelten.”

(26. Juli 2021; ntv)

Markus Söder, CSU, Deutschland

„Wer geimpft ist, stellt keine Gefahr dar, deshalb muss man ihm verfassungsrechtlich zwingend die Grundrechte zurückgeben.“

(10. August 2021; BR)

Jennifer Russell, Medizinaldirektorin, Kanada (übersetzt)

“Das ist eine Pandemie der Ungeimpften.”

(2. September 2021; Toronto Star)

Jens Spahn, CDU, Deutschland

“Man sieht derzeit eine Pandemie der Ungeimpften.”

(8. September 2021; DW)

Die öffentliche Wahrnehmung war eindeutig: Nur die ungeimpfte Bevölkerung war Teil der Pandemie, und nur die ungeimpfte Bevölkerung war in der Lage, SARS-CoV-2 auf Kontaktpersonen zu übertragen, so dass der Motor der Pandemie die ungeimpfte Bevölkerung war. Ganz klar: sie waren die Ursache für das Fortbestehen der Pandemie. Daher war es nur fair, ihr öffentliches Leben einzuschränken, wie es durch die 2G-Kontaktbeschränkun-gen in Deutschland erfolgte [2]. Aber war es wirklich so einfach?

Es gab immer mehr Hinweise darauf, dass auch die geimpfte Bevölkerung infiziert war und SARS-CoV-2 auf Kontaktpersonen übertragen konnte. Ursprünglich mag es richtig gewesen sein, dass geimpfte Personen weniger wahrscheinlich infiziert waren und daher weniger wahrscheinlich als mögliche Übertragungsquelle in Frage kamen. Aber das Schwarz-Weiß-Bild, das einige Politiker zeichneten, war mit Sicherheit falsch. Und im Oktober 2022 war sogar in den RKI-Protokollen zu lesen, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass Impfungen an Ausscheidungen etwas ändern [3].

Diese Erkenntnis veranlasste mich, einen kurzen Artikel über die meiner Meinung nach ungerechtfertigte Stigmatisierung der Ungeimpften zu schreiben. Das Cambridge Dictionary definiert Stigmatisierung als „die unfaire Behandlung von jemandem oder etwas durch öffentliche Missbilligung“. Ich habe die oben beschriebene öffentliche Sprache als eine solche Stigmatisierung betrachtet.

Zudem stellte ich im Jahr 2021 fest, dass öffentliche und private Äußerungen gegenüber Ungeimpften heftiger ausfielen. Diese Erfahrung war eine weitere Motivation für mich, zu versuchen, alle Menschen zu ermutigen, die Gesellschaft wieder mehr zusammen zu führen.

2. Der Lancet Brief

Am 20. November 2021 wurde meine Korrespondenz mit dem Titel „COVID-19: stigmatising the unvaccinated is not justified“ in The Lancet veröffentlicht [4]. Ziel war es, zu zeigen, dass auch unvollständig und vollständig geimpfte Personen COVID-19-Fälle und damit eine mögliche Übertragungsquelle sein können, und zu betonen, dass es sich nicht um eine „Pandemie der Ungeimpften“ handelt. Die in vielen Ländern zu beobachtende Stigmatisierung der ungeimpften Bevölkerung war meines Erachtens ungerechtfertigt und daher falsch. Außerdem habe ich versucht, hohe Beamte und Wissenschaftler zu ermutigen, die unangemessene Stigmatisierung der Ungeimpften zu beenden und zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um die Gesellschaft wieder zusammenzubringen. Lesen Sie den vollständigen und übersetzten Brief hier [4]:

„In den USA und in Deutschland haben hochrangige Beamte den Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ verwendet, um anzudeuten, dass geimpfte Personen für die Epidemiologie von COVID-19 nicht relevant sind. Die offizielle Verwendung dieses Begriffs könnte einen Wissenschaftler zu der Behauptung veranlasst haben, dass „die Ungeimpften die Geimpften mit COVID-19 bedrohen“. Diese Ansicht ist jedoch viel zu einfach.