Of Ocean and Storm - Emmy Buckley - E-Book

Of Ocean and Storm E-Book

Emmy Buckley

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Beschreibung

Eine zarte Liebe vor rauer Traumkulisse Als Lóa sich nach einem ausgelassenen Pub-Abend auf einen One-Night-Stand einlässt, ahnt sie nicht, dass sie den charmanten Engländer nicht so schnell wieder loswird. Der Frauenschwarm hat in der Nacht seinen Pass verloren. Gestrandet auf den Färöern bleibt ihm nichts anderes übrig, als in Lóas Tiny House eine Lösung zu finden. Doch sein Plan, ein paar heiße Nächte mit ihr zu verbringen, um dann zu verschwinden, schlägt fehl, als er bemerkt, dass sie eine große Gemeinsamkeit haben: eine Lüge, auf der sie ihr ganzes Leben aufgebaut haben. Du brauchst Nachschub von Emmy Buckley?  Emmy Buckley: Of Thunder an Rain (Färöer-Reihe 1)

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Seitenzahl: 335

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Of Ocean and Storm

Emmy Buckley liebt die Berge, Pumpkin Spice und den Geruch von Regen auf warmem Asphalt. Nach einem Studium im technischen Bereich hat sie schnell gemerkt, dass ihre wahre Leidenschaft dem Schreiben gilt, und ist kurzerhand vom Süden Deutschlands nach Irland ausgewandert. Zu Hause ist sie allerdings überall auf der Welt, solange ihr Freund und ihre Katzen mit auf die Reise kommen.

Wenn der Sturm tobt, finden unsere Herzen zueinander.Als Lóa sich nach einem ausgelassenen Pub-Abend auf einen One-Night-Stand einlässt, ahnt sie nicht, dass sie Alex nicht so schnell wieder loswird. Der Frauenschwarm ist auf den Färöern gestrandet. Dankbar nimmt er Lóas Angebot an, in ihrem Tiny House zu übernachten. Schnell fasst er den Plan, ein paar heiße Nächte mit ihr zu verbringen, um dann so bald wie möglich zu verschwinden. Doch es kommt anders, als er bemerkt, dass sie eine große Gemeinsamkeit haben: eine Lüge, auf der sie ihr ganzes Leben aufgebaut haben.

Emmy Buckley

Of Ocean and Storm

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH Berlin1. Auflage Januar 2024© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.EBook-Konvertierung powerd by pepyrusUmschlaggestaltung: emilybaehr.deUmschlagabbildungen: © vanfree/Freepik und Bokeh Blur Background, Yannik Photography, John D. Sirlin, Eric Langdon/ShutterstockFoto der Autorin: © Emmy BuckleyISBN: 978-3-95818-714-6

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

Alex

Lóa

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Cover

Titelseite

Inhalt

Lóa

Lóa

»Oh, mein Gott. Du bist hier. Ich meine, nicht dass ich daran gezweifelt hätte, aber … wow.«

Doch, hast du, liegt es mir auf der Zunge, weil ich genau weiß, dass das die Wahrheit ist. Und ich kann Greta dafür nicht einmal verurteilen. Bis vor zwei Stunden habe ich selbst nicht damit gerechnet, dass ich wirklich hier auftauchen würde. Aber hier bin ich – mit rasendem Herzen, schlotternden Knien und der beißenden Angst, dass es ein Fehler war, überhaupt das Haus zu verlassen.

Das alles lasse ich mir nicht anmerken, als mich Greta in eine Umarmung zieht, die mich vollkommen überrumpelt. Wir sind nicht eng befreundet, haben uns außerhalb des Fußballtrainings nie unterhalten, weshalb ich nicht recht einschätzen kann, wie ich mich verhalten soll. Wie lange geht so eine Umarmung? Wie fest muss ich drücken? Erwartet sie, dass ich ihr ein Kompliment für ihr Parfüm mache, das mir durch die plötzliche Nähe so intensiv in die Nase steigt?

Ehe ich mir zu sehr den Kopf darüber zerbrechen kann, lässt sie auch schon von mir ab und betrachtet mich, doch ich kann ihren Blick nicht deuten. Vielleicht ist es immer noch Unglaube, weil ich tatsächlich hier bin. Oder Verwirrung, weil ich mich so seltsam verhalte.

Aber wann tue ich das mal nicht?

»Alles okay bei dir?«

»Klar.« Ich sollte aufhören, ständig alles zu hinterfragen, und mich einmal im Leben natürlich verhalten. Also lächle ich, obwohl es sich vollkommen falsch auf meinen Lippen anfühlt.

»Sicher?«

»Mhm.«

Greta runzelt die Stirn, aber dann erwidert sie mein unbeholfenes Lächeln und hakt sich bei mir unter. Gemeinsam gehen wir zum Ende des Parkplatzes. Die Sonne ist fast untergegangen und hat den wolkigen Himmel über uns in ein strahlendes Rot getaucht, das sich im stillen Wasser des Hafenbeckens spiegelt.

Ich komme nicht oft nach Tórshavn, doch manchmal – so wie jetzt – wünschte ich, ich würde es öfter tun. Der Hafen hat mit den bunten Reihenhäusern und den Industriekränen einen ganz eigenen Charme. Unmittelbar neben uns ankern vor allem kleinere Boote, aber ein Stück weiter draußen erspähe ich eine Fähre, die um diese Jahreszeit einmal wöchentlich Passagiere nach Hirtshals in Dänemark bringt. Daneben liegt der winzige Campus meiner Universität, den ich in der Regel ebenso meide wie das, was ich gerade im Begriff bin, zu tun.

»Wir freuen uns alle so sehr, dass du hier bist«, plappert Greta, während wir am Kai entlangspazieren. »Ich hätte echt nicht damit gerechnet, dass wir dich doch noch mal dazu bekommen, mit uns was trinken zu gehen.«

Am liebsten würde ich sie darauf hinweisen, dass es nicht an ihren Überredungskünsten liegt, dass ich heute hier bin, sondern an meiner eigenen Verzweiflung. Ich bin nicht hier, weil ich besonders scharf drauf bin, mich mit Leuten, die ich einmal die Woche beim Fußballtraining sehe, zu betrinken. Ich bin hier, weil … weil ich denke, dass es normal ist. Als zwanzigjährige Studentin sollte ich den Samstagabend nicht mit Tierdokus bei mir zu Hause verbringen, sondern etwas mit Leuten unternehmen. Ich sollte rausgehen. Sollte Spaß haben. Sollte Freundschaften schließen und das Leben genießen. Nur warum fällt es mir dann so verdammt schwer, auch nur eines dieser Dinge zu tun?

Schon beim Überqueren der Straße schlägt mir Musik aus dem Irish Pub entgegen. Ausgerechnet heute tritt dort eine Live-Band auf, und der damit einhergehende Lärm treibt meinen Puls weiter in die Höhe. Vor dem grauen, kastenförmigen Gebäude mit den grünen Farbakzenten hat sich bereits eine Menschentraube gebildet. Wahrscheinlich sind es gar nicht so viele, aber für mich fühlt es sich so an, als hätte sich die gesamte Insel hier versammelt.

Ich kann das nicht, schießt es mir durch den Kopf. Ich kann das nicht. Ich kann das nicht. Ich kann das nicht.

Panisch beiße ich die Zähne zusammen, balle die Hände zu Fäusten und schlucke. Mein ganzer Körper ist bereit, auf dem Absatz kehrtzumachen, ins Auto zu steigen und wieder nach Hause zu fahren. Nur mein Stolz hindert mich daran.

So viel zu meinen glorreichen Plänen, über denen ich jetzt schon seit Wochen brüte. Meinen Plänen, dass sich endlich etwas ändern muss. Dass ich mich verdammt noch mal ändern muss.

»Es ist ziemlich voll«, höre ich mich sagen, nachdem ich automatisch vorm Eingang des Pubs angehalten habe. Insgeheim hoffe ich, dass Greta mir recht gibt und erkennt, dass wir uns vielleicht nicht den besten Abend ausgesucht haben, aber sie grinst nur.

»Die anderen sind schon hier und haben uns einen Platz klargemacht. Komm.«

Sie lässt mir keine Zeit für Widerworte, sondern legt ihre Hand um meinen Unterarm und zieht mich einfach mit sich.

Fürs Erste bleibe ich von dem zweifellos engen Innenraum verschont. Stattdessen steuern wir zielstrebig die langen Tische auf der Terrasse an, von wo aus man den Hafen überblickt. An einem davon warten bereits ein paar andere aus unserer Fußballmannschaft. Anjali winkt uns heran und rückt sofort ein Stück zur Seite.

»Sind wir nur zu viert?«, fragt Greta skeptisch, während sie sich auf den freien Platz neben Terese fallen lässt.

»Scheint so«, antwortet Anjali. »Die meisten haben irgendwas anderes vor oder sind sonst wo unterwegs.«

Vage erinnere ich mich, dass es beim Training heute Mittag genauso leer war. Es ist das vorletzte freie Wochenende, ehe das neue Semester startet. Viele sind im Urlaub, während ein paar aus dem Team schon abgereist sind, weil sie in Kopenhagen studieren. Trotzdem bin ich überrascht, dass wir nur eine Handvoll Leute sind. Aber auch dankbar. So fällt es mir leichter, mich auf die anderen zu konzentrieren und ihren Gesprächen zu folgen. Und wenn ich mich auf etwas fokussiere, kann ich mich von dem Trubel und dem Lärm um uns herum ablenken. Eine simple, aber effiziente Taktik, die mich schon das ein oder andere Mal davor bewahrt hat, komplett in Panik zu verfallen.

»Und wie kommen wir zu der Ehre, dass du heute mitgekommen bist?«

Ich blinzele überrascht, als Terese das Wort an mich richtet. Unsicher, ob sie nur neugierig ist oder sich gerade indirekt darüber beschwert, dass ich sonst nie mit zum Pub komme, zucke ich mit den Schultern. »Ich schätze, Greta war einfach sehr überzeugend.«

»War sie das?«

»Wir freuen uns jedenfalls, dass du dabei bist«, mischt sich Anjali ein und streicht sich das glatte schwarze Haar aus der Stirn. »Ich meine, wie lange spielst du schon im Verein?«

»Zwei Jahre«, antworte ich. Nach dem Schulabschluss bin ich von meiner Jugendmannschaft zum EB gewechselt.

»Siehst du? Und wir wissen rein gar nichts über dich!«, beschwert sich Greta.

»Na ja, ich bin Lóa, zwanzig Jahre alt und eure Torhüterin. Reicht das nicht?«

»Es wird doch hoffentlich mehr über dich zu wissen geben als das, was auf eine FIFA-Sammelkarte passt.«

Ich zucke wieder mit den Schultern, weil ich ehrlich gesagt keine Ahnung habe, was so wissenswert über mich sein soll, weil ich dieses ganze Freundschaften-schließen-Zeug schon seit der Grundschule nicht mehr gemacht habe. Und die anderen werden sicher nicht wissen wollen, was mein Lieblingsdinosaurier ist. Oder?

Die zweifelnde Stimme in meinem Kopf macht mich fertig. Niemand hat mir einen Grund dafür gegeben, und trotzdem fühle ich mich, als würde ich gerade alles falsch machen. Als würde über mir ein riesiges Schild schweben, das mich als schrägen Vogel der Gruppe markiert.

»Was ist zum Beispiel dein Lieblingsdrink?« Oder vielleicht ist es doch nicht so anders als früher … »Ich geb dir einen aus.« Anjali, mit der ich bisher höchstens ein paar Worte gewechselt habe, kommt mir vor wie ein Engel. Ob sie bemerkt, wie unwohl ich mich fühle? So oder so bin ich dankbar, dass sie mich durch dieses Gespräch führt. Am Ende würde ich den anderen sonst wirklich noch etwas von Dinosauriern erzählen, weil mir nichts Besseres einfällt.

»Cola.«

Dem Stirnrunzeln der anderen nach zu urteilen, habe ich gerade verkackt.

»Trinkst du keinen Alkohol?«, bohrt Anjali nach.

»Ich muss noch fahren. Und um ehrlich zu sein, habe ich noch nicht viel probiert außer mal einen Schluck Bier von meinem Vater.«

»Oh, wow, du kommst wirklich nicht oft raus, kann das sein?«, stellt Greta erstaunt fest.

Ich kämpfe gegen den Impuls, schon wieder mit den Schultern zu zucken, statt eine vernünftige Antwort zu geben. »Zumindest nicht in Pubs, nein.«

»Worauf hättest du denn Lust?«, eilt Anjali mir erneut zu Hilfe. »Du kannst gern bei mir übernachten, wenn du magst. Meine Schwester holt mich später ab. Oder sie bringt dich nach Hause, wenn du nicht zu weit draußen lebst.«

Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe. Einerseits ist es mir unangenehm, mich Anjali so aufzudrängen, aber gleichzeitig will ich auch nicht als Einzige mit einem Glas Cola hier sitzen. »Wenn es keine Umstände macht?«

»Natürlich nicht. Also, trinkst du gern Säfte?«

»Ja, aber keine stillen Getränke. Und vielleicht nichts, das zu stark ist …«

Terese kichert. »Keine Sorge, wir sind nicht hier, um dich abzufüllen.«

»Das kommt erst beim nächsten Mal«, fügt Greta hinzu, und ich kann nicht einschätzen, wie ernst sie das meint. »Wie wär’s für heute mit Cider?«

Ich nicke. Das Lieblingsgetränk meines besten Freundes Luka, und laut dem schmeckt es einfach nur wie Apfelschorle mit Alkohol. Sicher nicht die schlechteste Idee. »Cider klingt gut.«

Wie aufs Stichwort nähert sich ein Kellner unserem Tisch. Sein Gesicht kommt mir vage bekannt vor, aber ich kann nicht zuordnen, woher.

»Top of the morning to ye, lasses«, grüßt er uns mit einem aufgesetzten Akzent, der klingt, als hätte er zu viel Outlander geschaut.

»Was zur Hölle, Chris?«, kommentiert Greta die Begrüßung irritiert.

»Komm schon, sag nicht, das hat euch nicht überzeugt. Ich arbeite schon die ganze Saison an dem Akzent.«

»Wozu das denn?«

»Der Chef meint, dass ich so besser zum Ambiente passe.«

»Zum Ambiente?« Terese bricht in Lachen aus. »Chris, du arbeitest in einer Kneipe, an der das Irischste die Touristen sind, die einmal im Jahr vorbeischauen. Was wollt ihr bitte mit Ambiente? Und der Akzent klingt total unecht!«

Chris zieht die Mundwinkel nach unten und wendet sich an Anjali und mich. »War das wirklich so furchtbar?«

Wird auf jeden Fall knapp, wenn du eine Statistenrolle in Outlander willst, schießt es mir durch den Kopf, aber mein Mund bleibt verschlossen. Was, wenn ich ihm damit zu nahe trete oder er den Witz als Beleidigung auffasst? Das kann ich nicht riskieren.

Anjali ist dagegen weit weniger rücksichtsvoll. »Ich hatte kurz Sorge, du hättest einen Schlaganfall.«

»Auuutsch«, macht Chris und fasst sich an die Brust. »Mitten ins Herz.«

»Übertreib nicht.«

Er räuspert sich. »What can I get ye?«

»CHRIS!«, rufen die anderen drei einstimmig.

»Ja, okay, was darf’s sein?«

»Das Übliche für uns«, gibt Greta ihre Bestellung auf, »und einen Cider für Lóa.«

»Lóa?«

Ich hebe kurz die Hand, um ihm zu zeigen, dass ich damit gemeint bin, woraufhin sich seine Augen überrascht weiten. Fast so, als hätte er irgendeine Erkenntnis, während ich immer noch rätsele, woher er mir so bekannt vorkommt.

»Das wären dann zwei Guinness für Greta und Terese, ein Mojito für Anjali und ein Cider für Lóa. Kommt sofort.«

Kaum ist er in der Menge verschwunden, verdreht Greta die Augen und wendet sich an mich. »Mein Bruder«, erklärt sie. »Vielleicht hast du ihn schon mal am Spielfeldrand entdeckt.«

»Habe ich«, stelle ich fest.

»Ich verspreche, er ist in Wahrheit nicht so cringe, wie er gerade wirkt. Er verhält sich nur so peinlich, wenn Anjali in der Nähe ist.«

»Er steht nämlich auf sie«, ergänzt Terese in gespieltem Flüsterton.

»Merkt man gar nicht.«

Die anderen lachen über meinen Kommentar.

»Jedenfalls ist Anjali zu herzlos, um ihn an sich ranzulassen«, führt Greta weiter aus.

Anjali schnaubt. »Stimmt doch gar nicht. Er müsste nur den Mund aufmachen, dann würd ich ihm vielleicht eine Chance geben.«

»So wie damals, als du ihn abserviert hast?«

»Das war in der Grundschule! Ihr könnt doch nicht immer noch darauf rumreiten.«

»Ich wusste gar nicht, dass ihr euch schon so lange kennt«, stelle ich überrascht fest.

»Nur Greta und ich«, erklärt Anjali. »Wir wohnen auch beide in Leynar. Terese ist erst vor ein paar Jahren aus Kopenhagen hergezogen und wohnt jetzt … wo noch mal?«

»Auf Nólsoy.«

»Fährt so spät noch eine Fähre rüber?«, will ich wissen.

»Machst du Witze?« Terese betrachtet ihre Reflexion in ihrem Handydisplay und korrigiert mit dem kleinen Finger ihren Lidstrich. »Ich übernachte bei Greta. Was ist mit dir? Wo wohnst du?«

»Meine Eltern kommen aus Tórshavn. Aber ich wohne in Gásadalsgarður.«

»Wäre die Hauptstadt nicht praktischer, wenn du hier studierst?«

Ich presse die Lippen zusammen und betrachte den Tisch. Die glänzend grüne Farbe blättert an einigen Stellen ab, sodass das gräuliche Holz darunter zum Vorschein kommt.

»Schon … Aber es ist kompliziert.«

»Wieso? Verstehst du dich nicht mit deinen Eltern?«

»Tess«, fährt Anjali sie an.

»Sorry. Du musst natürlich nicht alles beantworten, was ich frage. Ist nur ungewohnt, dich plötzlich dabeizuhaben.«

Ich lächle sanft, dankbar dafür, dass sie noch einmal zurückgerudert ist. »Ich weiß. Es ist nur … echt kompliziert.«

Je mehr ich mich mit den dreien unterhalte, desto mehr taue ich auf. Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, ich wäre hier ganz in meinem Element, aber nach einer Weile hinterfrage ich zumindest nicht mehr jedes Wort, das aus meinem Mund herauswill. Der Cider hilft mir dabei. Ich mag den süßherben Geschmack, das Prickeln der Kohlensäure auf meiner Zunge und die Wärme, die durch den Alkohol langsam in meinem Körper aufsteigt. Das leichte Gefühl macht mich lockerer, sodass ich bald gar nicht mehr so genau weiß, wieso ich mich all die Jahre darum gedrückt habe, mit den Mädels aus der Mannschaft etwas trinken zu gehen.

Es fühlt sich beinahe natürlich an, etwas so Normales zu tun, und entgegen meinen Bedenken komme ich mir nicht wie das fünfte Rad am Wagen vor. Unsere Gespräche drehen sich um Fußball und um die Uni – zumindest bis zwei Neuankömmlinge Gretas Aufmerksamkeit erregen. Ihr Stirnrunzeln reicht, um Terese, die gerade von ihrer geplanten USA-Reise im Dezember erzählt, zu unterbrechen.

»Hab ich was im Gesicht?«, fragt sie irritiert.

»Direkt am Eingang«, raunt Greta. »Kennt ihr die beiden? Aber guckt jetzt bloß nicht alle auf einmal.«

Ihre Warnung kommt zu spät. Synchron wenden wir unsere Köpfe um und starren allesamt in Richtung der beiden Männer, die an der Tür stehen. Sicher war Gretas Frage nicht an mich gerichtet, denn ich kenne sowieso niemanden, aber nach allem, was ich heute Abend mitbekommen habe, bilde ich damit die Ausnahme. Offenbar kommt wirklich die halbe Insel samstagabends ins Irish Pub, und es gibt hier niemanden, wirklich niemanden, den die anderen nicht kennen.

Außer anscheinend die beiden neben der Tür. Der eine davon, ein Typ mit blonden Haaren, der mich an Jamie Campbell Bower erinnert, zündet sich eine Zigarette an, während sein Begleiter die Hände in den Hosentaschen vergräbt.

»Touristen?«, schlägt Terese vor.

Greta schüttelt den Kopf. »Ist Ende September nicht ein bisschen spät dafür?«

»Keine Ahnung, aber ich würd’s gern herausfinden.«

»Was?!«, fährt Anjali dazwischen, da hat sich Terese bereits aufgerichtet. »Tess!«

Sie hört gar nicht zu, sondern schnappt sich ihr Bier – es ist das dritte – und läuft schnurstracks auf die beiden Männer zu. Ihr Lächeln ist dabei absolut einnehmend, und ich beneide sie darum, dass sie den Mut hat, einfach so zu wildfremden Menschen zu gehen und sie in ein Gespräch zu verwickeln. Offenbar bin ich mit diesem Gedanken allerdings allein.

»Hat sie denn gar keine Scham?«, murmelt Anjali fassungslos.

»Tess doch nicht. Weißt du noch, die Klassenfahrt in der Elften, als sie in Kopenhagen einfach in den Supermarkt marschiert ist und uns Alkohol besorgt hat?«

»Oh Gott, ja. Erinnere mich nicht daran! Ich bin tausend Tode gestorben, weil ich dachte, ein Lehrer könnte uns irgendwo auflauern.«

Während Anjali und Greta in Erinnerungen schwelgen, beobachte ich stirnrunzelnd die Szene und kann immer noch nicht glauben, dass Terese zu ihnen gegangen ist. Aus der Entfernung wirkt es so, als würden sie und die beiden Männer sich schon ewig kennen. Der Blonde, dessen rot glühende Wangen davon zeugen, wie viel er schon getrunken hat, legt ihr freundschaftlich den Arm um die Schulter, bevor …

»Kommen sie etwa her?« Die Worte sind heraus, noch ehe mein Verstand realisiert hat, was ich da sehe.

»Oh shit, shit, shit!«, flucht Greta. »Verhaltet euch ganz natürlich.«

Wenn das nur so einfach wäre. Unwillkürlich verstärke ich den Griff um mein Glas und starre in die goldene Flüssigkeit. Es ist mein Drittes, aber obwohl ich den Alkohol definitiv spüre, kehrt die Nervosität mit einem Mal zurück. Dabei hatte ich mich gerade erst an die Situation gewöhnt, mich sogar wohlgefühlt. Nur jetzt stoßen plötzlich neue Menschen dazu, die ich nicht kenne, sodass ich nicht weiß, worüber ich mit ihnen reden kann. Nicht jeder mag Fußball. Und sicher will sich niemand anhören, dass ich …

»Leute!«, ruft Terese über den Lärm der anderen Barbesucher hinweg. »Ich muss euch jemanden vorstellen.«

Nervös sehe ich auf. Mittlerweile ist sie an unseren Tisch getreten, die beiden Männer vom Eingang im Schlepptau. Ich kann den Zigarettenqualm des einen bis hierher riechen. Ein Geruch, der mich an das Haus meiner Eltern erinnert und mich erschaudern lässt.

»Das hier sind Lee und Alex«, sie deutet erst auf den Blonden, dann auf den Schwarzhaarigen, »und ob ihr es glaubt oder nicht, die beiden kommen aus London.«

»Aus London«, kommt es überrascht von Anjali, wobei sie ins Englische wechselt. »Was verschlägt euch denn hierher, ans Ende der Welt?«

»Die Sehnsucht nach Abenteuern«, erwidert Lee so förmlich, als käme er direkt aus einer uralten Doctor Who-Episode, was Terese zum Lachen bringt.

»Sind die beiden nicht zuckersüß?«, fragt sie in unserer Landessprache.

Greta seufzt. »Warum hört sich das so an, als wärst du ein Raubtier auf Beutezug?«

»Ach, komm schon. Die beiden sind nett. Und dir täte es gut, vor dem Semester dein Englisch aufzupolieren.«

Ich bin verblüfft darüber, wie sie über die beiden Männer sprechen, während diese ahnungslos danebenstehen.

»Sicher nicht mit deinem nächsten One-Night-Stand«, schnaubt Greta augenverdrehend, doch Anjali hat bereits andere Pläne.

»Setzt euch.«

Terese grinst wie ein kleines Kind, als sie sich mit Lee uns gegenüber hinsetzt. Unterdessen rücken Anjali und ich zusammen, um Alex Platz zu machen. Die Bänke hier draußen sind definitiv für je zwei Personen geschaffen, aber dicht beieinander reicht der Platz für uns drei. Auch wenn ich mir wünsche, ich wäre nicht in der Mitte.

Hastig trinke ich den Rest meines Cider, um das Kribbeln loszuwerden, das sich in meinem Körper ausbreitet, als ich mir der Nähe der beiden Fremden bewusst werde. Ich hasse das alles. Nicht diese Situation, sondern das, was sie mit mir macht. Wie diese kleine Veränderung mein Herz zum Rasen bringt und dass ich nicht einfach locker bleiben kann, sondern stattdessen fünftausend Mal überlege, wie ich mich jetzt am besten verhalte.

Ich atme tief ein, was mich wahrscheinlich nur noch unsympathischer macht. Vielleicht wirke ich sogar aggressiv. Dabei will ich das gar nicht. Ach, verdammt.

»Ich hol mir noch was zu trinken.« Meine Stimme ist zu laut, klingt beinahe panisch, und ich richte mich so schnell auf, dass es vermutlich aussieht, als würde ich am liebsten die Flucht ergreifen. Was irgendwie sogar der Fall ist. Und gleichzeitig auch nicht. Vielleicht hilft mir noch ein Drink, endlich diese scheiß Nervosität abzulegen und mein Gehirn wenigstens für fünf Minuten abzuschalten.

Die verwirrten Blicke der anderen ignorierend, quetsche ich mich an Anjali und dem Dunkelhaarigen vorbei, um aufzustehen, und eile ins Innere der Bar. Warme Luft und der Geruch von Alkohol schlagen mir entgegen, aber zu meiner Überraschung steht die Menge hier drinnen weniger dicht gedrängt als draußen. Wahrscheinlich, weil die anderen Gäste wie wir den eher milden Abend nutzen wollen, bevor es in den nächsten Wochen unweigerlich kälter wird.

Insgeheim muss ich Terese recht geben, denn sonderlich irisch wirkt das Innere der Bar wirklich nicht. Das Mobiliar ist rustikal dunkel gehalten, aber bis auf die Biersorten und ein paar obligatorische Guinness-Poster gibt es hier drin nichts, das irisches Flair versprüht. Selbst die Band spielt einfach nur akustische Versionen bekannter Popsongs.

Ich geselle mich zu den Menschen, die die Bar belagern, und drücke die rechte Hand auf meine Brust. Mein Herz rast immer noch wie wild, aber hier drin wird es ein wenig besser. Der Lärm ist nicht ganz so unerträglich, und jetzt, wo ich mich nicht auf die anderen konzentrieren muss, fällt es mir etwas leichter, die vielen Eindrücke zu verarbeiten.

Ich schließe die Augen, um mich auf die Musik zu fokussieren. Die weiche Stimme des Sängers, untermalt von einer Gitarre, einer Violine und einer Flöte. Der Song kommt mir bekannt vor, doch ich komme nicht drauf. Dabei bin ich sicher, ihn gestern erst gehört zu haben. Irgendwas von Harry Styles? Nein …

»Hey!«

Ich fahre so erschrocken zusammen, dass beinahe ein Schrei über meine Lippen kommt. Panisch öffne ich die Augen, muss ein paar Mal blinzeln, bis ich realisiere, wo ich bin, was ich eigentlich hier wollte und wer mich gerade angesprochen hat.

Es ist einer der Typen, die Terese an unseren Tisch geholt hat, der mit den dunklen Haaren, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, weil ich so durch den Wind bin. Er grinst schief, wobei sich ein Grübchen in seiner linken Wange bildet.

»Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Alles gut«, behaupte ich, noch immer halb atemlos. »Ich war nur in Gedanken.«

»Hör mal. Es tut mir leid, dass wir uns so aufgedrängt und euren Mädelsabend ruiniert haben.«

»Was?« Ich runzele die Stirn. »Oh nein, nein, habt ihr nicht. Ich war nur überrascht, als Ter-, äh, Tess euch zu uns an den Tisch geholt hat, das war alles.«

»Um ehrlich zu sein, war ich auch ziemlich überrumpelt, als sie uns angesprochen hat.«

»Ihr fallt eben auf«, erkläre ich. »Als Touristen und so.«

»Was, haben wir etwa so verloren ausgesehen?«

»Ein bisschen.« Komischerweise fällt es mir leichter, mich mit ihm zu unterhalten, wenn wir unter uns sind. Sein Grinsen hat etwas Einnehmendes.

»Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass dir das Ganze unangenehm war.«

»Mir?« Denk nach, denk nach. »Nein. Ich war echt nur überrumpelt, das ist alles.«

»Sicher?«

»Mhm.«

»Darf ich dir trotzdem einen Drink spendieren?«

Oh. Ich bin vollkommen überfordert, habe keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll. Das hier ist völliges Neuland für mich. Ich habe davor noch nie eine Bar betreten, und jetzt stehe ich hier mit einem ziemlich attraktiven Engländer, der mir einen Drink ausgeben will.

Ich weiß nicht, ob mir die Aussicht gefällt, aber gleichzeitig will ich ihn nicht vergraulen, indem ich ihm sage, dass ich für mich selbst bezahlen kann. Also spiele ich mit.

»Klar, gern.«

»Was willst du trinken?«

Eine Flasche Tequila auf ex. »Überrasch mich.«

»Okay.«

Während er zur Bar geht, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Und mit einem Mal kommt mir alles, was ich vorhin noch als angenehm empfunden habe, unerträglich vor. Die Stimme des Sängers. Die Musik. Der Gitarrist, der sich gelegentlich verspielt. Und die vielen, vielen Gespräche um mich herum in drei verschiedenen Sprachen. Die Reize überfluten meinen Verstand, sodass ich den Engländer erst bemerke, als er wieder vor mir steht.

»Hier, bitte. Sorry für die Wartezeit.«

Wortlos, aber mit einem dankbaren Lächeln nehme ich mein Glas entgegen, dessen Inhalt eine goldene Färbung besitzt und nach Ingwer riecht.

»Moscow Mule«, erklärt der Fremde und stößt mit mir an. »Cheers.«

»Cheers«, erwidere ich, bevor ich das Glas an meine Lippen setze und gut die Hälfte in einem Zug hinabstürze, den stark alkoholischen Geschmack ignorierend.

Der Engländer lacht leise. »Mache ich dich nervös?«

Das alles hier macht mich nervös. »Ein bisschen.« Ich fokussiere mich auf sein Gesicht, um den Rest der Bar auszublenden. Fixiere einen Punkt zwischen seinen geraden schwarzen Augenbrauen.

»Wir können gern zu den anderen zurück.«

»Nein«, erwidere ich hastig. »Es ist hier nur ziemlich laut.« Ich trinke erneut, bis ich Hitze in meiner Kehle spüre. Was auch immer in diesem Getränk ist, es schmeckt verdammt lecker, und die Kohlensäure prickelt angenehm auf meiner Zunge.

»Oben ist die Musik nicht so laut. Wenn du dich unterhalten willst …«

»Okay.«

Unsicher, woher er das weiß, folge ich ihm in die obere Etage der Bar, wo es neben Darts und einem Billardtisch einen kleinen abgetrennten Bereich gibt, in den es an diesem Abend niemanden verschlagen hat. Hier hinten hört man die Musik nur noch gedämpft, und durch ein Fenster hat man einen guten Blick auf den Außenbereich und den Hafen dahinter. Mittlerweile ist es draußen dunkel geworden, aber durch einen Strahler kann ich das Geschehen auf der Terrasse gut erkennen. Ich entdecke Greta, Anjali, Terese und den anderen Engländer an unserem Tisch, wo die vier sich angeregt über etwas unterhalten. Letzterer hat meinen alten Platz eingenommen, sodass es den Anschein hat, als würden sein Freund und ich ihnen nicht fehlen.

Fuck, wenn ich doch nur seinen Namen wüsste.

»Sorry«, sagt er, sobald wir uns hingesetzt haben. »Ich hab vorhin deinen Namen nicht mitbekommen.«

Ein bisschen hasse ich ihn dafür, wie leicht es ihm fällt, eine Frage zu stellen, die umgekehrt bei mir ein ganzes Dilemma auslöst. »Lóa«, antworte ich. »Ich bin Lóa.«

Das wäre sie, die perfekte Gelegenheit, ihn zurückzufragen, aber noch immer sträubt sich alles in mir dagegen, obwohl es vollkommen irrational ist. Weil es mir peinlich ist, zuzugeben, dass ich ihn vergessen habe. Mehrmals hole ich Luft, lege mir diesen einen, eigentlich simplen Satz zurecht. Doch am Ende hat der Engländer das Thema gewechselt, bevor ich einen Ton herausbekomme.

Klasse. Bleibt mir nur zu hoffen, dass ich seinen Namen durch Zufall mitbekomme.

Mich nur auf den Fremden zu konzentrieren, hilft mir, allmählich die Nervosität abzulegen, hauptsächlich deshalb, weil er mich durch das Gespräch führt, als würden wir uns ein Leben lang kennen. Egal, wie wortkarg oder überwältigt ich mich fühle, er schafft es, genau die richtigen Fragen zu stellen, um mich zum Reden zu bringen.

Er kommt aus London und studiert dort BWL, zusammen mit seinem Begleiter Lee. Die Färöer-Inseln standen schon eine Weile auf Lees Bucketlist, aber weil er nicht allein herkommen wollte, hat er seinen Kumpel spontan mitgenommen. Seinen Kumpel, dessen Namen ich immer noch nicht kenne, aber ich bringe es einfach nicht über mich, ihn danach zu fragen. Doch irgendwann ist mir das auch egal. Seine Gesellschaft vertreibt die vielen Gedanken in meinem Kopf, und der Alkohol tut seinen Rest.

Schon bald tritt alles Weitere in den Hintergrund, und ich spüre eine Leichtigkeit, die ich bisher nicht gekannt habe. Mein Kopf ist herrlich leer, und es fühlt sich wie das Natürlichste der Welt an, mich mit dem Engländer über unsere Spekulationen zur nächsten Staffel Stranger Things zu unterhalten. Die Zweifel in meinem Kopf sind nur noch ein Flüstern, das ständige Hinterfragen jedes meiner Worte eine ferne Erinnerung. Ich kann einfach hier sitzen und tun, was ich schon immer hätte tun sollen: die Dinge geschehen lassen.

Irgendwann landet seine Hand auf meiner, doch zu meiner Überraschung störe ich mich nicht daran. Der plötzliche Körperkontakt, der mich sonst in die Flucht schlagen würde, fühlt sich ausnahmsweise angenehm an, genauso wie das Prickeln, das er in mir auslöst. Die Wärme, die sich in meiner Brust ausbreitet.

Chris bringt uns zwei Tequila Shots, die der Engländer für uns bestellt hat, weil ich ihm erzählt habe, dass ich schon immer mal Tequila trinken wollte. Mit Zitrone und Salz, wie ich es in Filmen gesehen habe. Keine Ahnung, woher der Gedanke kam. Der Geschmack ist okay, nur die fehlende Kohlensäure verursacht ein unangenehmes Gefühl auf meiner Zunge. Dennoch werden aus einem schnell zwei, und ich erreiche den Punkt, an dem ich realisiere, dass ich aufhören sollte. Sollte. Ich erkenne mich kaum wieder, als ich dem Engländer alles über die lokale Fußballszene erzähle, während ich meinerseits näher an ihn rutsche, bis er den Arm um mich legt. Wie eine normale junge Frau, die in einer Bar einen heißen Typen kennenlernt. Wie im Film.

Ich weiß, ich sollte vorsichtig sein, aber gerade genieße ich es viel zu sehr, nicht ich selbst zu sein. Alles ist besser, als ich selbst zu sein.

Deshalb realisiere ich gar nicht, was ich meine, als ich mich sagen höre: »Wollen wir von hier verschwinden?«

Das Dauergrinsen auf dem Gesicht des Engländers wird noch breiter, wenn das überhaupt möglich ist. »Gern.«

Meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding, sobald ich erst einmal stehe. Alles kribbelt. Die Welt scheint zu glühen. Ich lege meine Hand in seine und ziehe ihn einfach mit mir.

Auf dem Weg nach unten entdecke ich Terese und Lee knutschend in einer Ecke und muss kichern bei dem Gedanken, dass das genauso gut ich sein könnte. Wäre doch mal was anderes?

»Da bist du ja!« Kaum sind wir aus der Bar heraus, kommt Anjali mir entgegen. Eine tiefe Falte hat sich auf ihrer Stirn gebildet, als sie erst mich, dann den Engländer mustert. »Alles klar bei dir?«

»Ja, klar, alles paletti.« Ging mir nie besser.

»Sicher?« Sie sieht mir eindringlich in die Augen. Wahrscheinlich ist sie besorgt, weil sie mich noch nie so erlebt hat. Allerdings hat sie mich auch noch nie außerhalb des Trainings getroffen.

Ich nicke. »Sicher.«

»Gut. Greta und ich wollen noch eine Weile bleiben, wenn das für dich okay ist.«

»Ja, klar. Wir wollen uns nur die Beine vertreten«, erwidere ich, ohne zu wissen, ob wir das wirklich wollen.

»Alles klar. Schreib mir einfach, wenn etwas ist.«

»Okay.«

Ein letztes Mal sieht mich Anjali an, dann läuft sie zurück zu unserem alten Tisch.

»Uns die Beine vertreten?«, fragt der Engländer schmunzelnd.

»Ja. Es sei denn, du hattest etwas anderes im Sinn?«

»Möglich …«

Wir folgen dem Rand des Hafenbeckens in Richtung Innenstadt, kommen aber nur bis zur Statue von Nólsoyar Páll, neben der wir anhalten. Zunächst schweigend mustert mein Begleiter das Denkmal, das unseren Nationalhelden zeigt, wie er entschlossen in die Ferne starrt, über ihm zwei Vögel, die im Vergleich zu ihm beinahe beängstigend riesig wirken.

»Wurde er von Monster-Möwen gefressen?«, fragt der Engländer leise lachend.

»Nólsoyar Páll? Sein Schiff ist zwischen 1808 und 1809 verschollen. Seither wurde er nie wieder gesehen.«

»Das ist kein Nein.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht von Monster-Möwen gefressen wurde.«

»Dann eben von diesen anderen Vögeln. Die, die einen in den Bergen verfolgen, wenn man auch nur an Sandwiches denkt.«

»Eissturmvögel?«

»Genau die.«

»Ich glaube nicht. Die werden maximal einen halben Meter groß und ernähren sich hauptsächlich von Fischen, Krebsen und …« Ich stocke, als ich seinen Blick bemerke. Dieser Blick, der mich schon mein Leben lang begleitet und sich in einem Satz zusammenfassen lässt. Wieso zur Hölle erzählst du mir das?

Sicher ist er nicht mit mir hergekommen, um sich einen Vortrag über die hier ansässigen Vogelarten anzuhören.

»Interessierst du dich für Vögel?«

»Nein«, lüge ich, um das letzte bisschen Coolness, das ich noch habe, zu retten. »Ich glaube nur nicht an Monster-Möwen.«

Er grinst. »Fair enough. Dann muss ich mir wohl keine Sorgen um den Rückflug morgen machen.«

»Du fliegst morgen schon zurück?« Bei all den Dingen, über die wir uns unterhalten haben, habe ich komplett versäumt, zu fragen, wie lange er hierbleibt.

»Ja, leider. Bald startet das Semester, und ich sollte zumindest sichergehen, dass ich über den Sommer nicht alles vergessen habe, was ich gelernt habe.«

»Schade«, murmele ich. Denn das ist es wirklich. Ich habe schon lange niemanden getroffen, mit dem es mir so leichtfällt, mich zu unterhalten, aber natürlich lerne ich ihn bei meinem Glück am Tag vor seiner Abreise kennen.

»Ich weiß. Ich hab dich bisher nie im Pub gesehen, sonst hätte ich dich schon viel früher angesprochen.«

»Hättest du?«, frage ich überrascht, weil diese Vorstellung vollkommen absurd ist.

»Klar. Ich meine, du bist heiß und dazu offenbar eine Expertin auf dem Gebiet der Monster-Möwen. Wie könnte ich da widerstehen?«

Hat … Hat er mich gerade »heiß« genannt?

Das verschmitzte Grinsen auf seinen Lippen beschleunigt meinen Herzschlag noch weiter. Genauso wie seine Nähe. Sein Arm, der auf meiner Schulter liegt. Sein Geruch. Und die Hitze seines Körpers. Ich schlucke schwer, als ich zu ihm aufsehe, und frage mich, wie zur Hölle ich nur in dieser Situation gelandet bin. Hier allein mit einem attraktiven Typen, der mir ohne Scheu sagt, dass er mich heiß findet.

Mir ist schwindelig, dabei kann ich gar nicht so genau sagen, woran das liegt. Ob am Alkohol. Meinen Gedanken. Oder doch an ihm, dem mysteriösen Fremden, dessen Namen ich immer noch nicht kenne.

Aber jetzt ist es definitiv zu spät, danach zu fragen. Und vielleicht macht es das auch einfacher, wenn morgen früh wieder alles beim Alten ist und ich diese seltsame Episode meines Lebens beendet habe. Ohne Namen wird die Erinnerung weniger greifbar sein. Und genau das will ich. Ich will nicht greifen können, was hier passiert. Will mir nicht darüber den Kopf zerbrechen, sondern einfach den Moment leben.

Ich lehne mich dem Fremden ein Stück mehr entgegen, ohne zu hinterfragen, warum ich das tue oder was er davon hält. Sein Blick verrät mir alles, was ich wissen muss. Eine stille Aufforderung im Braun seiner Augen. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, er überwindet die letzten Zentimeter zwischen uns. Dann küssen wir uns.

Mit dem Kuss erreicht der Nebel in meinem Kopf einen neuen Höhepunkt. Alles verschwimmt. Im einen Moment bin ich im Hafen von Tórshavn. Im nächsten in einem Hotelzimmer. Keine Ahnung, ob wir auf dem Weg hierher irgendwann voneinander abgelassen haben, aber so wie die Hitze durch meinen Körper pulsiert, kann ich es mir kaum vorstellen.

Uns noch immer küssend, erreichen wir sein Zimmer, und kaum geht das Licht an, spüre ich auch schon eine Wand in meinem Rücken. Der Fremde presst mich dagegen, während ich meine Hände unter sein Shirt schiebe. Mit den Fingerkuppen folge ich den Linien seiner definierten Muskeln, fasziniert davon, wie sich etwas gleichermaßen so sanft und hart anfühlen kann.

Unterdessen wandern seine Lippen hinab zu meiner Halsbeuge, eine Berührung, die mir Gänsehaut über die Arme jagt und mir ein leises Stöhnen entlockt. In mir zieht sich alles sehnsuchtsvoll zusammen, ein Gefühl, das bisher noch kein anderer Mensch in mir ausgelöst hat.

Seine Hände wandern gierig über meinen Rücken zum Verschluss meines BHs. Doch dann zögert er, lässt kurz von mir ab, um mir in die Augen zu sehen. Normalerweise vermeide ich Blickkontakt, aber ich kann mich ihm nicht entziehen. Der Ausdruck im dunklen Braun seiner Augen ist zu intensiv, als dass ich meine Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes richten könnte.

»Ist es okay, wenn wir weitermachen?«

Ich bin überrascht darüber, dass er mich fragt. Obwohl wir schon längst in seinem Hotelzimmer sind. Obwohl wir eben noch einen Wimpernschlag davon entfernt waren, die lästigen Klamotten loszuwerden.