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Ein Drama. Ohne Worte. Jedenfalls derer, die als Akteure eben dieses Dramas fungieren, das man eines Menschen Leben nennt. Wobei die Menschen selbst – nicht nur in Deutschland – lediglich wortlose Statisten ihres eigenen Lebens sind, zwar paradigmatisch und prototypisch für ihre Zeit, aber doch nur stumme Zeugen dessen, was andere – kaleidoskopartig – für sie inszenieren. Hierüber berichtet der Erzähler. Gleichsam als Augur, der ebenso um Vergangenheit und menschliche Vergänglichkeit wie um der Menschen Zukunft weiß. Jedenfalls zu wissen vorgibt: „Wohlbekannt ist der alte Spruch Catos, er wundere sich, dass ein Haruspex nicht lache, wenn er einen anderen Haruspex sehe.“ Denn die Herrschenden und ihre Auguren wissen seit jeher, dass es Mumpitz ist, was sie, aus Eigennutz, den Menschen als vermeintliche Wahrheit verkaufen. Heute heißen die Eingeweihten, heißen die Herrschenden und deren Meinungsmacher nicht mehr Haruspex. Nichtsdestoweniger bestimmen sie den Lauf der Welt. Und das Leben der Menschen – stumm sollen die sein, geduldig, leidensfähig und willenlos. So möge das Drama als Ermutigung dienen, auf dass – in Verbindung plautusscher Eseleien und feuerbachscher Anthropologie – in Zukunft gelte: Non lupus sit homo homini sed deus.
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Seitenzahl: 202
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Ein Drama. Ohne Worte. Jedenfalls derer, die als Akteure eben dieses Dramas fungieren, das man eines Menschen Leben nennt. Wobei die Menschen lediglich wortlose Statisten ihres jeweiligen Lebens sind, zwar paradigmatisch und prototypisch für ihre Zeit, aber doch nur stumme Zeugen dessen, was andere für sie, als ihr Leben, inszenieren.
Gleichsam als Augur berichtet der Erzähler, als Haruspex, der ebenso um Vergangenheit und menschliche Vergänglichkeit wie um der Menschen Zukunft weiß. Jedenfalls zu wissen vorgibt: „Wohlbekannt ist der alte Spruch Catos, er wundere sich, dass ein Haruspex nicht lache, wenn er einen anderen Haruspex sehe.“ Denn die Eingeweihten wissen sehr wohl, dass es Mumpitz ist, was sie, aus eigenen Herrschafts-Interessen, den Menschen als vermeintliche Wahrheit verkaufen.
Den Irrenden und Wirrenden gewidmet, die scheitern, ihrem Bemühen zum Trotz.
Nicht schicksalsgewollt, sondern durch anderer Menschen Hand, nicht zwangsläufig, sondern deshalb, weil Menschen Menschen, wissentlich und willentlich, Unsägliches antun.
Gewidmet insbesondere meiner ermordeten Frau, die ihr Leben geben musste, um ein Fanal zu setzen: gegen die Dummheit und Unmenschlichkeit derer, welche die Wahrheit für sich beanspruchen – einzig und allein deshalb, weil sie diese kaufen können.
Prolog
1. Akt: Geburt
2. Akt: Krieg
1. Szene: Dies Bildnis ist bezaubernd schön
2. Akt: Krieg
2. Szene: Weh dem, der nicht in Kinderzeit geborgen
3. Akt: Bleierne Zeit
1. Szene: Es herrscht wieder Frieden im Land
3. Akt: Bleierne Zeit
2. Szene: Kann dies das Leben sein?
3. Akt: Bleierne Zeit
3. Szene: Neue Gedanken
4. Akt: Protest und Veränderung
1. Szene: Weil eben sei, was denn sein muss
4. Akt Protest und Veränderung
2. Szene: Lass dich nicht verbittern in dieser bittren Zeit
4. Akt Protest und Veränderung
3. Szene: Wenn du nicht fühlst der Andern Tränen
4. Akt Protest und Veränderung
4. Szene: Deutschland, einig Vaterland
4. Akt Protest und Veränderung
5. Szene: Dies irae, dies illa
4. Akt Protest und Veränderung
6. Szene: Warten auf Godot
5. Akt Erinnern und Vergessen
1. Szene: Der Mensch – nur ein Vielleicht
5. Akt Erinnern und Vergessen
2. Szene: Was keiner wagt – du sollst sein, nicht haben
Intermedium (Zwischenspiel)
5. Akt Erinnern und Vergessen
3. Szene: Mann und Frau – ich bete an die Macht der Liebe
5. Akt Erinnern und Vergessen
4. Szene: Zauberwelt der Leidenschaft
5. Akt Erinnern und Vergessen
5. Szene: Warum nur, warum?
5. Akt Erinnern und Vergessen
6. Szene: Angst. Und Hoffnung. Der Vorhang zu. Und alle Fragen offen
5. Akt Erinnern und Vergessen
7. Szene: Gnade, Gnad zuhauf. Abschied und Hoffnung
5. Akt Erinnern und Vergessen
8. Szene: Was ist gut? Und was ist böse?
5. Akt Erinnern und Vergessen
9. Szene: Was ist Wahrheit? Was ist Lüge?
5. Akt Erinnern und Vergessen
10. Szene: Alter – die Sanduhr rinnt
5. Akt Erinnern und Vergessen
11. Szene: Bilanz eines Lebens – ich hab Eden brennen sehn
Epilog
Der Autor
Quellennachweis (Anhang)
Ein Drama. Ohne Worte. Jedenfalls derer, die als Akteure eben dieses Dramas fungieren, das man eines Menschen Leben nennt. Wobei die Menschen – nicht nur in Deutschland – lediglich wortlose Statisten ihres eigenen Lebens sind, zwar paradigmatisch und prototypisch für ihre Zeit, aber doch nur stumme Zeugen dessen, was andere – kaleidoskopartig – für sie, als ihr Leben, inszenieren.
Über dieses, diese Leben berichtet der Erzähler. Gleichsam als Augur, als Haruspex, der ebenso um Vergangenheit und menschliche Vergänglichkeit wie um der Menschen Zukunft weiß. Jedenfalls zu wissen vorgibt: „Wohlbekannt ist der alte Spruch Catos, er wundere sich, dass ein Haruspex nicht lache, wenn er einen anderen Haruspex sehe.“ Denn die Eingeweihten wissen sehr wohl, dass es Mumpitz ist, was sie, aus eigenen Herrschafts-Interessen, den Menschen als vermeintliche Wahrheit verkaufen.
Heute heißen die Eingeweihten nicht mehr Haruspex, sondern, beispielsweise, Bilderberger. Nichtsdestoweniger bestimmen sie den Lauf der Welt. Und das Leben der Menschen – stumm sollen die sein, geduldig, leidensfähig und willenlos.
Deshalb möge das Drama eine Ermutigung sein, auf dass – in Verbindung plautusscher Asinaria und feuerbachscher Anthropologie – in Zukunft gelten möge: Non lupus homo homini sed deus sit.
Mithin das Motto dieses Buches sei:
Der Mensch, ein Traum, was könnte sein, was möglich wär. Nur ein Vielleicht, nicht weniger, nicht mehr:
Vielleicht liebend, vielleicht hassend, vielleicht geizend, vielleicht prassend mit dem, was ihm gegeben die Natur.
Vielleicht ein Gott, vielleicht der Teufel in Person.
Vielleicht, vielleicht, wer weiß das schon.
Vielleicht der Schöpfung Ziel, vielleicht ihr Untergang.
Vielleicht ewig, unvergänglich, vielleicht nur kurze Laune der Natur.
Vielleicht des Schöpfers Spott, vielleicht der Schöpfung Kron.
Vielleicht, vielleicht, wer weiß das schon.
Einerlei: Jeder Mensch, wie er auch sei, ist einzigartig, wunderbar und unvergleichlich.
Immerdar.
Ein Teil des Göttlichen, das ihn schuf, nicht zu eigenem Behuf, vielmehr zu zeigen, was denn möglich sei:
Der Traum von einem Menschen, ein Traum, was könnte sein, was möglich wär. Nur ein Vielleicht, nicht weniger, nicht mehr.
Auch die vorliegende „Tragödie des Menschseins“ steht unter dem – weiteren – Motto: „Ich bin ein Anarchist!" „Warum?" „Ich will nicht herrschen, aber auch beherrscht nicht werden!"
Sie möge dem Leser helfen zu erkennen:
„In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt.“
Regieanweisung:
Die Bühne ist dunkel. Erzähler und Rezitator sitzen, im Licht einer kleinen Lampe, an einem einfachen Tisch; dieser steht – vom Publikum aus links – weit hinten, in der Ecke der Bühne.
Beide sprechen mit klarer, ruhiger, prononcierter Stimme.
Rezitator:
Am Grabe
Als ich, Liebste, kam zu deinem Grab, fiel der Himmel, bleiern schwer, auf mich herab.
Es glühte der Mond rot wie Blut, in ihren Strahlen gleißte der Sonnen Glut, wie Sturm brüllte die Sommerluft, wie Pech und Schwefel wähnte mich der Blumen Duft.
Im Chaos tanzten die Gedanken, und mein Entsetzen ließ mich wanken und taumeln wie ein Blatt im Wind, das, im Herbst, geschwind, vom Baum herab gen Boden sinkt.
Ein stummer Schrei entrang sich meiner Brust, versiegte Tränen flossen über meine Wangen – umsonst all mein zagend Bangen, mein Kampf, mein Hoffen.
Und all meine Fragen – nach Recht und Gerechtigkeit, nach Gott und Gottes Wille – offen.
So unendlich offen.
Ohne Antwort, ohne Hoffen.
Armen-Begräbnis
Das also ist von dir geblieben, der du gelebt, geliebt, gehofft, gebangt.
Weil alle, die einst waren deine Lieben, sind gestorben, haben sich von dir gewandt, gibt es nun hienieden keinen, der noch den Weg zu deinem Grabe fand.
Sozialbestattung wird genannt, wie man dich nun verscharrt – damit du, voll des Dankes, weißt, welch staatlich Wohlfahrt deiner, noch nach dem Tode, harrt.
Früher wurd in geliehnem Sarg, im Pappkarton begraben. Heute, welch Fortschritt, sollst du ´ne richtge Urne haben.
Der Totengräber trägt sie, unwillig, schlecht bezahlt. Schnell die Urne senkt sich ins kleine Urnen-Grab.
Das also war´s.
Nichts von dir geblieben, ein bisschen Asche nur, der Rest von dem, was einst der Liebe Gott dir gab:
Dein Leben, deine Hoffnung und dein Mut – welch gewaltig Gut, von dem nichts blieb, nur dies erbärmlich kleine Grab.
Hier also ruht nun deine arme Seele, nur Not war ihr Geleit.
Die schlich bis hin zu deinem Grab; dann schlich sie weiter und überließ dich ewiger Vergessenheit.
Auch wenn hienieden kaum einer dich vermisst: Nun schmerzt dich nichts mehr, und ich hoffe, dass süß dein Schlummer ist – durch diesen Schlaf, den nur der Tod verleiht, als letzter Engel der Barmherzigkeit.
So denn mein Vermächtnis sei:
Wenn ich selbst, dereinst, gestorben bin – ich bitte euch, ich bitte dich, betrauert und beweint mich nicht.
Am Grab lasst keinen Pfaffen aus der Bibel lesen, der euch dann sagt, wie gut ich doch gewesen.
Sei.
Als ob dies wahr, zudem nicht gleichermaßen wäre einerlei.
Was ihr begrabt ist ohnehin nur Hülle. Für meine Seele, meinen Geist. Für das, was man, eigentlich, den Menschen heißt.
Und das fortleben soll in eurem Kopf, in euren Herzen, anfangs zwar mit vielen Schmerzen, dann aber, nach und nach, sich wandle in Gedenken.
An einen Menschen. Das möcht der Herrgott euch, als mein Vermächtnis, schenken.
Regieanweisung:
Die Bühne erhellt sich. Zu sehen ist ein einfaches, kleines Zimmer. In der Mitte desselben steht ein Bett. Auf diesem liegt eine junge Frau; sie trägt ein altmodisches Nachtgewand, hat ihre Beine angewinkelt und gespreizt; ihr schwangerer Leib wölbt sich in die Höhe.
Vor dem Bett steht eine alte Hebamme. Sie beugt sich immer wieder über die Kreißende, wischt ihr ab und an den Schweiß von der Stirn.
Die Gebärende schreit. Laut. Schrill. Herzzerreißend. Immer und immer wieder.
Rezitator:
Ein neues Leben
Es kommt von einer weiten Reise, aus einem unbekannten Land.
Im Irgendwo von Gott der Schöpfung aufgegeben, entstand ein neues Leben, das seinen Weg dann fand in dieses karge Land, das man die Welt genannt.
In dieses Jammertal, wo viele Menschen leiden, überall, zu allen Zeiten, gar unermesslich Qual.
Es schrie, das neue Leben, als seine Mutter es gebar.
Als es ward ausgestoßen. Ungefragt.
Darum, ihr Eltern und ihr Menschen, die kreuzen seinen Weg:
Versteht, dass jedes neue Leben ist kostbar, heilig gar.
Wie jedes Leben eben gar einzigartig.
Wie jedes Leben, schlechthin, schlichtweg, gar wunderbar.
Deshalb erspart Ihm allzu viele Sorgen.
Ansonsten, kaum das neue Leben ward geboren, erleidet seine Seele einen frühen Tod:
Falls allzu groß die Not, so existiert der Leib zwar noch als Hülle, doch dieser Hülle Seele ist und bleibet tot.
Regieanweisung:
Die Gebärende schreit. Laut. Durchdringend. Schrill. Wieder und wieder.
Die Hebamme steht am Bett. Sie wirkt ruhig, fast unbeteiligt. Sie wischt der Kreißenden den Schweiß von der Stirn.
Dann Ruhe.
Musik/Videolaufband mit Liedtext:
Fräulein, wolln Sie nicht ein Kind von mir?
Strophe
Ihr lieben Leutchen hört und seid mit mir empört, denn gar kurioses Zeug ist’s, was ich Euch heut’ berichte.
Mein Weib ist unter Hand mir heute durchgebrannt. S’ ist ein Skandal und sehr fatal ist die Geschichte, dass sie sich sacht’ bei Nacht hat aus dem Staub gemacht, das würde schließlich meine Ruh’ nicht weiter stören, doch mit sechs kleinen wilden unerzognen Gören – der Buben zwei, der Mädchen vier – sitz’ ich nun hier.
Ich armer Mann, was fang’ ich an, was mach ich bloß? Wie werd’ ich nur die Gören los?
Fräulein, wolln Se nich ’n Kind von mir?
In die Pflege nehmen?
Zwanzig Mark zahl’ ich monatlich dafür.
Sie brauchen sich nicht zu schämen.
Fräulein, wolln Se nich ’n Kind von mir?
In die Pflege nehmen?
Zwanzig Mark zahl’ ich monatlich dafür.
Nehmen Sie doch eins von mir!
Strophe
Ich bin nicht alt, ich bin nicht jung – bitt’ um Vermittelung. Ich hab’ auf Lager dick und mager, alle Kreise.
Es ist ja alles da, man wird bei mir Papa auf unerreichte, furchtbar leichte Art und Weise.
Nur eines fehlt mir noch:
Ach könnt’ ich endlich doch an einem Fürstenhofe, der noch ohne Erben, den Titel Hoof-Lieferant mir bald erwerben.
Jedoch in Deutschland wird nischt draus, drum kneif’ ich aus. Und fahre schnell ins China-Land und frage höflich mit dem Hute in der Hand:
Fräulein, wolln Se nich ’n Kind von mir?
In die Pflege nehmen?
Zwanzig Mark zahl’ ich monatlich dafür.
Sie brauchen sich nicht schämen.
Fräulein, wolln Se nich ’n Kind von mir?
In die Pflege nehmen?
Zwanzig Mark zahl’ ich monatlich dafür.
Nehmen Sie doch eins von mir!
Regieanweisung:
Die Gebärende schreit. Unaufhörlich. Durchdringend. Geradezu unerträglich.
Die Hebamme hat sich an einen kleinen Tisch in der Ecke der Stube gesetzt. Auf dem stehen Brot, Butter und Marmelade sowie eine Kaffeekanne mit einem selbstgehäkelten Kaffeewärmer.
Die Hebamme isst. Das Schreien der Kreißenden stört sie nicht sonderlich.
Rezitator:
An einen neuen Erdenbürger
Licht im Dunkel, Geborgenheit im Chaos, Erkenntnis in Verwirrung, Liebe trotz allenthalben Hass, Freunde unter Feinden, allzeit Wärme in der Kälte des Lebens, schlichtweg den Himmel auf Erden wünsche ich Dir, der Du, ungefragt, geboren.
Auf dass Du nicht verzagst am schier Unerträglichen, das wir nennen eines Menschen Leben.
Regieanweisung:
Die Kreißende schreit. Im Stakkato. Dann Ruhe.
Musik/Videolaufband mit Liedtext:
Ich fahr mit meiner Klara in die Sahara:
Strophe
Wir gründen den Idiotenclub und laden herzlichst ein. Bei uns ist jeder gern gesehn, nur blöde muss er sein.
Bei uns heißt die Parole: Ja, blöde bis zum Tod. Und wer am allerblödsten ist wird Oberidiot.
Refrain:
Ich fahr' mit meiner Klara in die Sahara zu den wilden Tieren.
Ich möchte meine Klara in der Sahara ach so gern verführen.
Da kommt ein wilder Löwe und frisst mir meine Klara weg.
Jetzt fahr' ich ohne Klärchen aus dem Sahaerchen in die Heimat zurück.
Regieanweisung:
Die Kreißende schreit. Und schreit. Und schreit.
Die Hebamme sitzt weiter an ihrem kleinen Tisch und schlürft genüsslich ihren Kaffee.
Erzähler/Text auf Videolaufband:
„ ´Am Abend des 6. Juni warf eine Frau AI. Pr. ihre zweijährige Tochter Marie und ihren halbjährigen Sohn Reinhold in die Spree. Passanten verhinderten, dass den drei ältesten Kindern das gleiche geschah.´
Dr. Alice Vollnhals, die Leiterin der Schwangerenfürsorge der Krankenkassen Berlins, kommt in einem Bericht über diesen Fall zu dem Ergebnis: ´Die Verzweiflungstat einer Mutter hat die Öffentlichkeit aufgewühlt; aber wie oft sind Mütter, gute, sanfte Frauen, ebenfalls am Rande eines Abgrunds! Gibt es da keine wirkliche Hilfe? Doch! Geburtenregelung im weitesten Sinn des Wortes, Zerstörung der Unwissenheit in diesen Dingen!´ (´Berliner Tageblatt´ vom 26. Juni 1928.)
´Hier starb unter auffallenden Umständen ein siebzehnjähriges Mädchen innerhalb einer Stunde. Eine amtliche Untersuchung ergab einen unerlaubten Eingriff zur Abtreibung der Leibesfrucht. Die Mutter der Verstorbenen wurde unter dem Verdacht der Beihilfe in Haft genommen.´ (´Schwäbische Tagwacht´ vom 21. Mai 1929.)
´... dort lernte er die Kassiererin M. F. kennen. Als nun die F. wieder in andern Umständen war, machte er auf deren eigenes Betreiben einen Abtreibungsversuch. Dabei wollte er von dem Sanitätssergeanten A. den Rat erhalten haben, er solle die Abtreibung mit Cyankali bewerkstelligen. Die F. ist dann an dem Gift nach schwerem Todeskampf gestorben.´ (´Süddeutsche Arbeiter-Zeitung´ vom 1. März 1929, Bericht über die Verhandlung des Schwurgerichts Augsburg, Mordprozess G.)
Der 45. Deutsche Ärztetag in Eisenach schätzt die Zahl der jährlichen Abtreibungen in Deutschland auf eine halbe Million bis 800.000, darunter 10.000 Todesfälle (!) und 50.000 Erkrankungen. ´Man rechnet in Deutschland jährlich mit 50000 Erkrankungsfällen nach Fehlgeburten.´ (Berichterstatter Lonne im Preußischen Landesgesundheitsamt.)
´Ich verstehe nicht, dass die armen, arbeitenden Klassen ein so schreckliches Leben fuhren müssen, während die Reichen, die Kinder haben könnten, entweder keine oder nur ein paar haben. Ich wollte, ich könnte mich auf die Dächer stellen und den armen Frauen verkünden, was sie tun müssen.´ (Brief einer New-Yorker Arbeiterin an die Fürsorgerin von New York, Margaret Sanger, aus: ´Zwangsmutterschaft´.)
´Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Dieselben Bestimmungen finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zur Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet hat.´ (§ 218 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich.)“
(Friedrich Wolf: Cyankali. Drama, 1929.)
Musik/Video:
Heinrich, wo greifst Du denn hin!
Heinrich, wo greifst du denn hin? Was sind das für Harmonien?
Heinrich, ich bin sehr gespannt, wo gehst du hin mit der Hand?
Das ist doch kein Lohengrin, wo sind die Noten und wo deine Pfoten, ja sag mir, was hat das für Sinn?
Heinrich, wo greifst du denn hin?
Regieanweisung:
Die Kreißende schreit. Schreit immer weiter.
Die Hebamme steht am Fuß des Bettes und wiegt, bedächtig, den Kopf hin und her.
Rezitator:
Geboren werden – Gnade oder Strafe?
Wen wundert, dass Neugeborene schreien, wenn sie dieses Tollhaus betreten, das wir unsere Welt nennen.
Und weinen, weil sie ihre Geburt nicht nur mit dem Tod, nein, viel schlimmer noch, mit dem Leben, mit dem Leben-Müssen bezahlen.
Müssen.
Wo doch schon Aristoteles erkannte, dass Nicht-geboren-Werden das beste Schicksal ist.
Geburt – nur eine Möglichkeit. Nicht weniger, nicht mehr
Es ist ein Wunder, sagt das Gefühl. Es ist der Welten Lauf, sagt der Verstand.
Es ist eine Herausforderung, sagt die Angst. Es ist eine Möglichkeit, sagt der Mut:
Die Möglichkeit, dass der Mensch werde. Die Möglichkeit, dass der Mensch Mensch werde.
Dass der Mensch werden darf. Dass ein Mensch Mensch werden darf.
Und dass ein Mensch Mensch werden kann.
Dass der Mensch werden und Mensch werden wird.
Wo bisher doch Millionen und Abermillionen von Möglichkeiten bereits vergeben wurden.
Regieanweisung:
Die Kreißende schreit. Und schreit. Und schreit.
Auf einem Videolaufband, das die gesamte Bühnenrückseite überspannt, erscheint ein Video-Text.
Die Kreißende schreit weiter, stakkato-artig und mit immer länger werdenden Pausen der Erschöpfung.
Die Hebamme steht vor der Gebärenden, macht sich zwischen ihren Beinen zu schaffen; die Röcke der Kreißenden verhindern, dass der Zuschauer Näheres erkennt.
Dann herrscht atemlose Stille.
Der Zuschauer wird dadurch geradezu genötigt, den Text auf dem Laufband zu lesen, den der Erzähler auch vorliest.
Erzähler/Videotext:
Der Schwarze Freitag
DIE ZEIT
Jahrgang 1967, Ausgabe 14
„…Der Beginn der Weltwirtschaftskrise wird gewöhnlich auf den ´Schwarzen Freitag´, den 25. Oktober 1929, datiert, an dem die Wertpapierkurse an der New Yorker Börse zusammenbrachen. Dieser rapide Kurssturz war jedoch nur das erste manifeste undalarmierende Symptom gewesen. Die Ursachen der großen Krise reichten bis zum Ersten Weltkrieg zurück. Dieser Krieg hatte das Gleichgewicht der Weltwirtschaft gestört. Die Vereinigten Staaten, vor 1914 ein Schuldnerland, waren zum großen Gläubigerland geworden. Alle Staaten, die am Kriege teilgenommen hatten, Sieger und Besiegte, waren Schuldner Amerikas geworden …
Trotz der tiefgreifenden, strukturverändernden Störungen erlebte die Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte der 20er Jahre einen kräftigen konjunkturellen Aufschwung …
Dabei wurden die Produktionskapazitäten in übertriebenem Maße erweitert, und in manchen Wirtschaftszweigen überstieg die Produktion die Nachfrage. Die Überschätzung der Nachfrage wiederum löste, besonders in den Vereinigten Staaten, eine wilde Börsenspekulation aus, bei der die Aktienkurse in eine Höhe getrieben wurden, die den tatsächlichen Wert bei weitem überstieg… In vielen Fällen wurden die Aktien mit Hilfe von Krediten gekauft …
Schon vor dem ´Schwarzen Freitag´ an der New Yorker Börse deuteten manche Anzeichen auf einen bevorstehenden Umschwung hin. Der Absatz hielt mit der Produktion nicht Schritt. Bei den Produzenten und bei den Großhändlern wuchsen die Lagervorräte an. Der Umfang der industriellen Produktion ging zurück, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern höhere Ziffern erreichte als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres (1928). Diese Entwicklung war bereits im Gang, als am 25. Oktober 1929 die Panik an der New Yorker Börse ausbrach… Der Kurssturz an der New Yorker Börse, der drei Wochen anhielt und sich nach einer vorübergehenden Beruhigung im Frühjahr 1930 fortsetzte, folgte auf den Konjunkturabschwung in der Industrie. Durch den Kurssturz wurde vielen Krediten, die durch den Kurswert der Aktien gedeckt schienen, die Deckung entzogen. Nachdem viele Kredite eingefroren waren, geriet das amerikanische Kreditsystem, von dem ja auch die meisten Schuldnerländer Amerikas abhängig waren, in eine Krise. Und die Krise des amerikanischen Kreditsystems beschleunigte und verschärfte ihrerseits wieder den Konjunkturverfall der produzierenden Wirtschaft.
Überproduktion und Absatzstockung gab es in allen Industrieländern. Die amerikanische Kreditbremse wirkte sich auf die meisten Schuldnerländer Amerikas aus. Auch die Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse – Getreide, Fleisch, Kaffee, Kakao, Wolle – stürzten.
Von dieser allgemeinen Wirtschaftskrise wurden die Vereinigten Staaten und Deutschland am härtesten betroffen. Das waren die beiden Länder, in denen die krisenverschärfenden Momente besonders ausgeprägt waren …
Deutschland hatte schon vor dem vollen Einsetzen der Depression eine sehr hohe Zahl von Arbeitslosen …
Im Sommer 1930 stieg die Arbeitslosenzahl in Deutschland auf 3,1 Millionen; im Sommer 1931, zur Zeit der Bankenkrise, waren 4,4 Millionen Menschen erwerbslos. Die lange Dauer der Depression machte die Massenarbeitslosigkeit überdies zur Dauerarbeitslosigkeit. Das bedeutete für die Betroffenen nicht nur eine schwere seelische Belastung, sondern eine zunehmende Verelendung; denn die Arbeitslosenunterstützung wurde nur 26 Wochen lang gezahlt, danach (bis zu höchstens 13 Wochen) eine Krisenunterstützung mit etwas niedrigeren Unterstützungssätzen. Wer länger erwerbslos war, wurde aus der Arbeitslosenversicherung „ausgesteuert“ und mußte von den kümmerlichen Beträgen der Wohlfahrtsunterstützung leben …“
Regieanweisung:
Die Gebärende schreit wieder.
Plötzlich ist laut und deutlich die Stimme eines Säuglings zu hören.
Hebamme und Mutter strahlen um die Wette.
Rezitator:
Nur was unter Schmerz geboren
Macht es die Muschel krank, dass sie die Perle trägt?
Nein.
Denn erst im Schmerz die Muschel dann erkannt, dass diese Perle, die im Schmerz entstand, mit Schönheit ihren Schmerz verband, dass beide, Muschel wie Perle, dadurch auserkoren und dass nur das, was unter Schmerz geboren, tatsächlich einen Wert erlangt.
Musik/Video:
Bettina Wegner – Kinder (Sind so kleine Hände):
Sind so kleine Hände, winzge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.
Sind so kleine Füße mit so kleinen Zehn.
Darf man nie drauf treten, könnten sonst nicht gehn.
Sind so kleine Ohren, scharf, und ihr erlaubt – Darf man nie zerbrüllen, werden davon taub.
Sind so schöne Münder, sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus.
Sind so klare Augen, die noch alles sehn.
Darf man nie verbinden, könnten nichts mehr sehn.
Sind so kleine Seelen, offen ganz und frei.
Darf man niemals quälen, gehn kaputt dabei.
Ist so ´n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.
Grade, klare Menschen wär´n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat hab´n wir schon zu viel.
Rezitator:
Kind der Sterne
Von einem Stern gekommen, auf der Erde eher gestrandet als gelandet, obwohl Phantast und Träumer Mensch unter Menschen, ebenso in der Verdammnis wie im selbst gewählten Exil lebend, erdacht von Philosophen, geschaffen von Literaten, Fleisch geworden durch die Liebe weilt er nun unter uns, verborgen, unerkannt, missachtet.
Es gibt nur eine Zukunft für ihn:
Zurück zu den Sternen.
Musik/Video:
Die Prinzen: Schlaflied
Mach die Augen zu, schlaf ein, du musst nicht traurig sein, du weißt doch: Ich bin immer für dich da.
Zieh nicht so' n Gesicht, bitte wein' jetzt nicht, komm, ich deck dich noch mal zu, und träumst du dann, schau ich dich an, weil ich das so gern tu'.
Mach die Augen zu, schlaf ein...
Weißt du, wie schön das ist, wenn du fröhlich bist, niemand lacht wie du. Doch heute hast du's schwer, bitte wein' nicht mehr, und mach die Augen zu.
Du weißt, dass mir' s nicht einerlei ist, wenn ich dich so seh, doch, glaub mir, wenn die Nacht vorbei ist, tut's schon nicht mehr weh.
Mach die Augen zu, schlaf ein...
Rezitator:
Schlaflied
Schlaf, Kindchen,
schlaf.
Sei blöde wie ein Schaf.
Sei dumm wie eine Kuh.
Nur so wirst Du des Lebens Leid ertragen.
Und all die Fragen, die Dir das Leben stellt.
Und doch nie eine Antwort hält parat auf alles, was Dich plagt, Dein ganzes Leben lang.
Ach, Kind, mir wird so bang.
Wenn ich ans Leben denke, das Gott Dir schenkte: Ist´s Segen nun oder Fluch?
Als gäb´s nicht schon genug der Menschen auf dieser unsrer Welt. Die, uns allen, gar so wenig schenkt.
An Liebe.
Schlaf, Kindchen,
schlaf.
Dumm sei wie ein Schaf.
Sei blöd wie eine Kuh.
Nur so wirst Du Dein Leben, ein Leben lang, ertragen.
Und nicht verzagen.
An eben diesem Leben.
Bitte, bitte, sei nicht klug.
Der Klugen gibt´s genug.
Kluge müssen verderben.
Vor Ihrer Zeit sie werden, müssen sterben.
Schlaf,
Kindchen,
schlaf.
Bleib, bitte bleib, dein ganzes Leben lang, so blöde wie ein Schaf.
Regieanweisung:
Ein Bursche, fast noch ein Kind, verdreckt, blutverschmiert, mit Kopfverband und Gasmaskenbrille wie Beckmann in Borcherts „Draußen vor der Tür“, kriecht im Schlamm, auf allen Vieren, ein Gewehr zwischen den Armen.
Der Protagonist trägt auf seinem Rücken ein großes, rotes Kreuz und ist dadurch, vergleichbar einem Judenstern, markiert. Er trägt dieses Kreuz auch in sämtlichen folgenden Auftritten.
Der Protagonist kauert sich immer wieder zusammen, zieht den Kopf ein. Er schreit, lang anhaltend, gellend, geradezu von Sinnen: Maama, Maama, Maama.
Musik:
Wallkürenritt
Abrupter Abbruch (nach 2 Minuten), dann
Videotext (auf Videolaufband) und Musik:
Die Zauberflöte, Arie des Tamino (I, 4):
Dies Bildnis ist bezaubernd schön
Dies Bildnis ist bezaubernd schön,
Wie noch kein Auge je gesehn!
Ich fühl es, wie dies Götterbild
Mein Herz mit neuer Regung füllt.
Dies Etwas kann ich zwar nicht nennen,
Doch fühl ich's hier wie Feuer brennen.
Soll die Empfindung Liebe sein?
Ja, ja, die Liebe ist's allein.
O, wenn ich sie nur finden könnte!
O. wenn sie doch schon vor mir stände!
Ich würde - würde - warm und rein …