Ok Ghul - Regina Mars - E-Book

Ok Ghul E-Book

Regina Mars

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Beschreibung

Eine Beförderung ist das Letzte, mit dem die Putztruppe gerechnet hat. Können sie den Ansprüchen ihrer neuen Rolle gerecht werden? Wird ihr neues Teammitglied sie erwürgen? Und muss Sofie zum Wohle sämtlicher magischer Wesen in Berlin sterben? All diese Fragen rücken in den Hintergrund, als leichenfressende Monster die Zentrale überrennen. Vivi und die anderen Admins sind gefangen. Hilfe ist nicht in Sicht. Ein Kampf auf Leben und Tod entbrennt und ihre einzigen Waffen sind Schreibtische und nerdiges Merchandise. Außerdem: Kann Nat den entsetzlichen Streit zwischen zwei Schrebergartenkolonien schlichten? Enthält: Ghule, Lindwürmer, Schlagersänger und weitere Ungeheuer.

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Adina Caligari
Die Spezialeinheit
Zurück zur Arbeit
Nachhilfe
Wut im Wohnwagenpark
Angriff der Leichenfresser
Gefangen und allein
Ein harter Tag
Eingesperrt
Ein weiter Weg
Der letzte Kampf
Teambildendes Trinken
Eine Entscheidung

Impressum

 

Die Wächter von Magow 8: OK Ghul

Text Copyright © 2021, 2023 Regina Mars

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.

Regina Mars

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

[email protected]

www.reginamars.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Stockphotos von Adobe Stock

Magisches Symbol: © robin_ph/Adobe Stock

Stadtplan: © pbardocz/Adobe Stock

Stadtsilhouette: © FSEID/Adobe Stock

Schwert: © shaineast/Adobe Stock

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Was bisher geschah:

 

Sofie entdeckt den geheimen Bezirk Berlins: Magow, wo die magischen Wesen hausen. Und sie ist eins von ihnen! Als frisch entdeckte Hexe tritt sie ihren Dienst bei den Wächtern an, der magischen Polizeieinheit Magows. Zusammen mit dem Rest ihres Teams schützt sie die Einwohner vor Rattenkönigen, Kelpies und Werwölfen bei Vollmond.

 

Ihr Team besteht aus:

Nat, einem blondgelockten Vampir, der an Liebe, Frieden und Teamwork glaubt,

Vivi, einer schüchternen Meerjungfrau, Informatikgenie und Fan von allem was glitzert und

Jean, einem schlecht gelaunten Incubus, der keiner sein will. Vor kurzem besorgten die anderen ihm ein Amulett, das seine Kräfte unterdrückt.

 

Seit einiger Zeit tauchen an allen Ecken Magows Amulette auf, die stets für Unheil sorgen. Eigentlich ist ihre Herstellung seit Jahrhunderten verboten, da sie zu gefährlich sind und magische Wesen dafür sterben müssen.

 

Die Spur führt ausgerechnet zu Sofies totgeglaubter Mutter: Adina Caligari. Die Putztruppe macht sich auf die Suche nach ihr und findet sie schließlich in einem Versteck in Brandenburg. Leider ist Adina nicht das, was sie zu sein vorgibt. Ein Ritual, mit dem sie sich ewiges Leben verschaffen will, geht schief und das Team zahlt einen schrecklichen Preis: Isa stirbt.

 

Das Team schwört, Adina zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen. Aber wird es gelingen?

 

Ohne, dass die anderen etwas ahnen, verstecken sie und Aeron sich mitten in Magow, und sie haben einen mächtigen Verbündeten: Nacht-Bürgermeister Ricky Scholle.

Adina Caligari

 

Aeron wartete am Steinbruch auf sie. Er saß auf einer der Bänke ganz oben und betrachtete die terrassenförmig abfallenden Stufen unter ihm. Das Licht des Vollmonds brachte seine Haare zum Leuchten und erhellte seine ebenmäßigen Züge.

Ein kühler Wind ging. Es roch nach Sommer, aber die umliegenden Wälder verhinderten, dass es zu heiß wurde. Adina hörte das leise Rauschen der Blätter, als sie auf Aeron zuging, dicht an der Kante entlang.

In seinem Anzug wirkte der Incubus wie der einzige Gast eines Amphitheaters, dem das aufgeführte Stück nicht gefiel.

»Was ist das für ein Kaff?«, fragte er sie zur Begrüßung. »Und was machst du hier draußen? Ich habe drei Stunden hierher gebraucht. Ich musste über eine Landstraße fahren. Und sogar über einen Feldweg.« Er verzog das Gesicht, als wäre das Benutzen von Feldwegen nun wirklich unter seiner Würde.

Adina setzte sich neben ihn. Unten am Steinbruch gab es wenig zu sehen. Irgendwann wollten sie dort einen Park anlegen, oder einen See. Aber bisher waren da nur Staub und Geröll, und so, wie sie die Gemeinde kannte, würde das auch noch lange so bleiben.

»Das tut mir entsetzlich leid, mein Lieber.« Sie lächelte freudlos. »Ich hoffe, es war kein zu holpriger Feldweg, und du hast dir keine blauen Flecken am Gesäß geholt.«

Er lachte. Dann lehnte er sich so entspannt zurück wie ein vollgefressener Löwe und legte beide Ellenbogen auf die Rücklehne. Sein Blick musterte sie. Ihr Kleid. Die graue Strickjacke.

»Blümchen?« Er schnaubte. »Ehrlich, meine Liebe, du siehst aus wie eine Hausfrau vom Lande. Und du hast zugelegt.«

»Und du bist nicht charmanter geworden. Gut, dass du deine Magie hast, sonst hättest du keine Chance bei den Frauen.«

Er lächelte und seine Zähne blitzten katzenhaft. »Frauen mögen Bad Boys.«

»Arschlöcher, meinst du.«

»Ein und dasselbe.« Aeron fuhr sich durch die Haare. Seine Rolex rutschte ein Stück den gebräunten Arm hinunter. »Und es funktioniert.« Er warf ihr einen Seitenblick zu.

Sie zeigte ihm die Kette, die sie umgelegt hatte. »Vergiss es. Ich bin immer noch immun.«

Gut, dass sie das Ding nicht weggeworfen hatte. Sie verbarg es hinter dem Kühlschrank. Ihr Schwert versteckte sie im Schuppen, hinter den Gartengeräten, die ihr Mann nie nutzte. Der Garten war ihr Reich. Natürlich war er das. Niemand hatte prächtigere Kürbisse als sie. Manchmal half sie mit Magie nach, aber vor allem hatte sie ein Händchen für Gemüse.

»Was ist passiert?«, fragte Aeron. Sie wappnete sich innerlich. »Wir hatten eine Abmachung. Nachdem das mit dem Zirkel schiefgelaufen ist, sind wir einen Handel eingegangen. Ich habe meinen Teil eingehalten. Ich habe alles besorgt, was du wolltest, meine Kontakte spielen lassen und gemordet, Adina. Und du?«

»Als ob so ein kleiner Mord dein Gewissen belasten würde.« Sie spürte es. Ein Kribbeln, eine Ahnung der Macht, die in ihren Blutbahnen floss. Die Neugier zerrte an ihr. Der Hunger, der sie ihr Leben lang vorangetrieben hatte. Dann dachte sie an das kleine Mädchen, das zwei Kilometer entfernt in seinem Bett schlief. Das kleine Mädchen im Pandaschlafanzug. Und ihr Herzschlag beruhigte sich.

»Du wolltest für das Rohmaterial sorgen«, sagte Aeron. »Du wolltest alles zusammensuchen, an den Formeln arbeiten …«

Etwas zuckte in ihrer Brust. Sie dachte an das Notizbuch, das sie ebenfalls im Schuppen versteckte. Sie hatte an Waldemars Formeln gearbeitet, seine entsetzliche Sauklaue entziffert. Noch lange nach der Geburt ihrer Tochter. Und sie hatte es geschafft. Vermutlich. Es spielte keine Rolle mehr.

»Das Rohmaterial ist meine Tochter«, sagte sie. »Sie hat einen Namen. Und«, sie blickte ihm in die Augen, »sie kommt für das Ritual nicht in Frage.«

Er blinzelte. »Ist sie etwa nicht magisch? Hat ausgerechnet die größte Hexe von allen einen Blindgänger zur Welt gebracht?«

Adina dachte kurz darüber nach, zu lügen. Aber Ausweichen lag nicht in ihrer Natur. »Nein. Sie ist magisch, nun, sie wäre magisch, wenn ich ihre Magie nicht versiegelt hätte. Sie wird ganz normal aufwachsen. Hier. In Globsow-Blens.«

Aeron verzog das Gesicht, als würde allein der Name ihm Kopfschmerzen bereiten. »Adina. Was ist los mit dir?«

»Ich bleibe hier. Ich ziehe meine Tochter groß.« Sie stand auf. »Das Ritual ist abgeblasen.« Kühler Wind strich um ihre nackten Beine. Er brachte den Geruch nach Harz und Erde mit sich.

Aeron starrte sie an.

»Du bist weich geworden«, sagte er. Die Enttäuschung in seinem Gesicht war eine Beleidigung. »Du hast das Rohmaterial zur Welt gebracht und bist zur Glucke mutiert. Hast du einen Blick in das schrumpelige Babygesicht geworfen und beschlossen, alles hinzuschmeißen, für das wir gearbeitet haben?«

»Nein.« Sie würde ihm nicht sagen, dass es ein schleichender Prozess gewesen war. Dass sie zu lange geblieben war. Jeden Abend hatte sie sich gesagt, dass sie in der Nacht davonschleichen würde. Dass sie Aeron anrufen würde, um ihn über die nächsten Schritte zu informieren. Aber sie war liegengeblieben.

»Woran lag es dann?«

Adina beschloss, gegen ihre Natur zu handeln und zu lügen. »Aeron, ich …« Sie seufzte, um glaubhafter zu wirken. Tat sie das? Sie hatte wenig Erfahrung damit, Schwäche zu zeigen. Oder zu versagen. »Ich habe es nicht geschafft. Ich dachte, ich hätte die Formel, aber … ich schaffe es nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, wie der alte Säufer es gemacht hat.«

Die Lüge krampfte ihre Innereien zusammen. Wut stach in ihren Bauch, und ihr Stolz jaulte.

Natürlich habe ich es geschafft, du Schönling, wollte sie sagen. Hochschwanger habe ich daran gearbeitet, und danach, als das Balg die Nächte durchgeschrien hat, habe ich den Mist übersetzt, den Waldemar zusammengefaselt hat. Wir können loslegen. Ich muss nur noch herausfinden, wie man die Amulette herstellt, und wir können in die Geschichte eingehen. Unsterblich werden.

Aber das kleine Mädchen im Pandaschlafanzug träumte von Wölfen und nannte sie »Mama«.

Noch ein paar Jahre, dachte Adina. Lass sie etwas leben. Ich kann auch später noch unsterblich werden. Zur Hölle, im Gegensatz zu diesem Lackaffen Aeron ist mir mein Aussehen egal. Ich kann auch mit achtzig noch unsterblich werden. Dann ist Sofie … Mitte fünfzig und hat gelebt. Hat vielleicht selbst Kinder. Dann rufe ich den Incubus an und sage ihm, dass ich gelogen habe.

Aeron starrte sie an. Ja, es tat weh. Der Respekt verschwand aus seinen Zügen und erst jetzt merkte sie, dass er da gewesen war.

»Du hast es nicht geschafft?«, wiederholte er ungläubig. »Die große Hexe Adina Azalea Caligari hat es nicht geschafft? Das Miststück, das sein Maul so weit aufreißt, dass man ein Reihenhaus darin versenken könnte, hat nicht geschafft, was ein drittklassiger Säufer vor fast dreihundert Jahren ohne Probleme auf die Reihe bekommen hat? Fantastisch. Fucking fantastisch.«

Es schmerzte. Hass loderte in ihr auf. Sie gab den Befehl fast unbewusst und einen Moment später war Aeron von Ranken umgeben, die ihm die Luft aus den Lungen quetschten. Er keuchte. Sie verfolgte, wie er nach seinem Schwert angelte, und umwickelte jeden einzelnen Finger mit Klettenlabkraut.

»Vorsicht«, sagte sie. »Das Miststück weiß nicht, wie man unsterblich wird, aber es wird nicht gern Miststück genannt.«

»Ach ja?« Sie sah nur seine Augen. Seine Stimme hatte sich beruhigt. Wurde tiefer. Honigsüß. »Es tut mir leid. Lass mich raus und sei wieder brav, ja?«

Sie spürte seine Macht. Wie sachte Schallwellen umschmeichelte sie sie, schlängelte sich durch die Luft. Süß wie Zuckerwatte. Verführerisch wie die Sünde selbst.

»Ich bin immun, Aeron«, sagte sie. »Und wenn du das noch mal versuchst, drehe ich dir die Luft ab.«

Er schwieg. Saß gefesselt auf der Bank und dachte offenbar nach. »Gut«, knurrte er. »Ich glaube dir. Sag Bescheid, wenn du das Landleben satthast und zurück in die richtige Welt kommen willst.«

»Nein, danke.« Sie wandte sich zum Gehen. »Ich bleibe hier.«

Sie hörte sein Lachen, als sie an der Kante entlang ging. Steinchen kullerten unter ihren Sandalen weg und fielen in die Tiefe.

»Du glaubst doch selbst nicht, dass du das lange durchhältst, Adina.« Seine Stimme war schwer vor Spott. »Spiel ruhig ein paar Jahre die brave Hausfrau und Mutter, aber die Rolle steht dir nicht. Sie macht dich gewöhnlich und fett. Dass du zugenommen hast, liegt bestimmt nicht daran, dass du dich zu wenig bewegst. Du frisst den Frust in dich hinein. Das hast du schon damals im Zirkel getan. Ich hab die leeren Chipstüten gesehen.«

Adina war froh, dass sie zu der Zeit schon das schützende Amulett besessen hatte. Es war alt, und noch wusste sie nicht, wie sie ein neues herstellen konnte. Etwas kribbelte in ihrer Brust, wie die Erinnerung an eine alte Liebe. Sie ahnte, wie es funktionierte. Sie müsste es nur beweisen, aber dafür …

Dafür würden magische Wesen sterben. Viele magische Wesen. Nicht, dass Aeron und sie damit ein Problem gehabt hätten.

Nein, dachte sie. Nicht jetzt. Später. In vielen, vielen Jahren, wenn Sofie älter ist als ich jetzt. Dann führen wir es durch.

»Mach’s gut, Aeron.« Sie konzentrierte sich, ließ die Ranken um ihn einen Hauch enger werden. »Und komm nicht zurück.«

»Melde dich, wenn du so weit bist.« Er klang beleidigt. »Du hältst das nicht ewig durch, Adina. Und wir haben nicht ewig Zeit, unsterblich zu werden. Also bring diesen Familienscheiß hinter dich, spiel die liebe Mutti, solange du willst, und erinnere dich dann daran, wer du bist.«

Sie verdrehte die Augen. »Wer bin ich denn, deiner Meinung nach?«

»Du bist eine Jägerin. Du bist wie ich, Adina. Besser als der Pöbel in Magow und erst recht besser als die Menschen. Ich hoffe, du siehst bald wieder klar.«

Sie ging, ohne sich zu verabschieden. An der steinernen Kante entlang und dann durch den Wald. Es war so dunkel, dass sie fast nichts sah, trotz des Vollmondes. Aber sie hatte keine Angst. In gewisser Weise hatte er recht: Sie war das Gefährlichste, was zwischen diesen Bäumen herumstrich. Ein Monster. Eine Hexe.

Und sie hatte nur noch ein paar Stunden, bis sie das Frühstück zubereiten musste.

Die Spezialeinheit

 

»Setzen Sie sich.« General Stein thronte hinter seinem Schreibtisch, so ernst, als wollte er mit ihnen über das schlechte Abschneiden bei einer Klassenarbeit reden. Er musste ungefähr dreißig sein, aber seine Aura war doppelt so alt.

Sein Gesicht war ausdruckslos, die Schreibtischplatte vor ihm tadellos aufgeräumt. Inzwischen wusste Sofie, dass nicht alle Wasserspeier solche Langweiler waren wie er. Ja, einige waren sogar richtige Partytiere. Wie Granitella Flügelheimer aus ihrem Wächterjahrgang, die ständig verkatert zum Training erschien.

Sofie setzte sich auf einen der fünf Stühle vor dem Schreibtisch. Fragend blickte sie zwischen General Stein und Onkel Lars hin und her. Letzterer lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und wirkte gereizt. Die Muskelstränge auf seinem Stiernacken traten deutlich hervor. Aber das taten sie meistens. Vor allem, wenn die gesamte Putztruppe anwesend war. Links von Sofie setzten sich Nat, Vivi und Jean. Rechts von ihr Liliflora, die immer noch Sofies Bodyguard war. Und darüber ebenso unglücklich wie Sofie selbst war.

»Mein Team«, raunte die Dryade und verzog das Gesicht, »das in meiner Abwesenheit von einem Werwolf geführt wird, kümmert sich gerade um eine Schlägerei zwischen zwei verfeindeten Banden. Zwerge und Oger. Die Tunnelterroristen e.V. und die Green Bastards. Das ist ein hochbrisanter Auftrag und wenn sie es schaffen, wird die Wächterpräsidentin selbst sie loben.« Der Vorwurf war trotz des Flüstertons schneidend. »Und ich sitze hier. Weißt du, dass Firat mich beim Punktestand fast eingeholt hat? Er wird mich überholen, wenn das so weitergeht. Nicht, weil ich nicht tausendmal besser wäre als er, sondern weil ich hier festsitze und nichts erlebe. Mit dir.«

»Firat ist bestimmt ein toller Anführer«, flüsterte Sofie zurück. »Ich wette, er kann das Team viel besser motivieren als du.«

Liliflora schnaubte. »Motivation. Motivation ist was für Säuglinge. Kompetente Wächter brauchen …«

Sie verstummte, als General Stein seinen Laptop aufklappte. Das Meeting hatte anscheinend begonnen. Sie fünf, General Stein und Onkel Lars. In einem Büro, das ordentlicher nicht hätte sein können.

Erinnerungen wollten in ihr hochkriechen, aber sie verdrängte sie. Das letzte Mal hatte sie mit den beiden Generälen zusammengesessen, nachdem sie Adina entkommen waren. Nachdem Isa gestorben und ihre Welt zusammengebrochen war. Vor allem die Welt von Nat und Vivi. Die beiden sahen erholter aus als vor einer Woche, aber ihre Gesichter waren eingefallen und die Schatten unter ihren Augen lila. Sie erinnerte sich daran, wie Nat und sie Isas zerschmetterte Leiche identifiziert hatten und schluckte. Sie hatte ihn die ganz Zeit stützen müssen.

Das gesamte Team war in Wächtermontur erschienen, bis auf Vivi, die zu einer pinkfarbenen Jeans mit aufgenähten Strasssteinen nicht nur das übliche Diadem trug, sondern auch ein entsetzliches T-Shirt. Sofies Herz krampfte sich zusammen, als sie die Abscheulichkeit sah, die wie ein Zelt von Vivis schmalen Schultern hing. Es war das Oberteil einer alten Mitarbeiteruniform. ‚Drogerie Drachenzahn – klauenhaft günstig‘ stand in Weiß auf dunkelblauer, verwaschener Baumwolle. Das Shirt hatte Isa gehört. Vivi verzog keine Miene, als General Steins Blick sich in ihr Gesicht bohrte. Teilnahmslos erwiderte sie ihn.

»Wie würden Sie alle das Ergebnis ihrer letzten zwanzig Einsätze als Wächter bezeichnen?« General Stein faltete die Hände.

Sofie überlegte. »Katastrophal?«

»Beschissen«, knurrte Jean.

»Verbesserungswürdig«, kam es von Nat.

»Komplettes und absolutes Versagen der erbärmlichsten Sorte.« Warum beantwortete Liliflora die Frage?

Vivi schwieg.

Onkel Lars nickte grimmig. »Das kann man wohl sagen.« Er wandte sich an General Stein. »Obsidian, ich sag’s dir zum letzten Mal: Das ist eine schlechte Idee.«

General Stein nickte. »Darauf hast du mich bereits mehrfach hingewiesen, Lars. Und ich weiß deine Meinung zu schätzen. Als ihr Trainer solltest du sie natürlich am besten kennen. Aber ich fürchte, dass die anfänglichen Schwierigkeiten der Truppe deinen Blick getrübt haben.«

»Mein Blick ist klar wie Kloßbrühe«, sagte Onkel Lars. »Schau dir doch mal an, wie der Einsatz mit dem Panke-Bandwurm lief.«

»Dieser Einsatz war vor über acht Monaten.« General Stein schaute auf seinem Laptop nach. »Genau davon spreche ich. Seither hat das Team von de Sangeville eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Sie haben verhindert, dass sämtliche Werwölfe von Magow aus dem Bunker ausbrechen und ein Massaker veranstalten. Sie haben aufgedeckt, woher die Amulette stammen, die unsere Abteilung seit Monaten beschäftigen. Und sie haben Adina Caligaris Aufenthaltsort herausgefunden.«

Onkel Lars schüttelte den Kopf. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Vivi unterbrach ihn. Ausgerechnet Vivi.

»Es war eine Falle«, flüsterte sie. »Adina wollte gefunden werden. Sie wollte, dass Sofie zu ihr kam. Und ich bin darauf reingefallen.«

General Stein nickte. »Ein Fehler, aber ein sehr verständlicher. Jemand weniger Fähiges wäre gar nicht in der Lage gewesen, den Köder zu finden, der zu dieser Falle führte.«

»Danke.« In Vivis Stimme schwang eine tanklastergroße Portion Sarkasmus mit. Sofie erkannte sie kaum wieder.

Und General Stein erkannte sie auch nicht wieder. Okay, der war der übliche strikte Langweiler, aber heute klang es fast, als wäre er auf ihrer Seite. Was war jetzt los?

»De Sangeville.« General Stein betrachtete seine Notizen. Vermutlich. Vielleicht schaute er sich in Wahrheit Fotos von Katzenbabys an und tat nur so, als hätte er Unterlagen über sie. »Es war Ihre Idee, das Amulett zu vertauschen?«

»Ja.« Nats Stimme klang gepresst.

»Und es war damals auch Ihre Idee, mit den Trollen zu kommunizieren?«

»Ja.«

»Ihre Urteilsfähigkeit wird besser«, sagte General Stein. »Nach meinen Berechnungen sind Ihre Fehlentscheidungen im Vergleich zum Anfang um 74 Prozent gesunken.«

»Sind sie nicht.« Nat sah zu Boden. »Ich hatte auch die tolle Idee, zu den Minotauren zu gehen und mit ihnen zu reden. Die hätten uns umgebracht. Wenn die anderen mich nicht davon abgehalten hätten, wären wir alle tot. Und ich wollte, dass wir in das Ritual eingreifen. Wegen mir ist Isa gestorben. Ich möchte meine Rolle als Anführer niederlegen.«

»Abgelehnt«, knurrte Onkel Lars. »Und es war nicht deine Schuld, zur Hölle. Hör auf, den Märtyrer zu geben.«

Sollte das eine Ermutigung sein?

Einen Moment lang war das einzige Geräusch, das sie hörten, das Klappern der Tastatur. Dann fixierte General Stein Jean.

»Amadi, ich habe ein Video von dem Einsatz letzte Woche gesehen. Ein Schaulustiger ist zurückgeblieben und hat illegal gefilmt. Wir haben das Handy selbstverständlich konfisziert.« Er hob eine Augenbraue. »Ihre Ausdrucksweise ist einem Wächter nicht angemessen.«

Jean schaute so verächtlich drein, als würde er General Stein gleich vor den Schreibtisch spucken.

»Aber das Teamwork mit de Sangeville war ausgezeichnet«, sagte General Stein. »Und Ihre Schwerttechnik ebenfalls. Lars, ich denke, Amadis Punktestand beim Schwertkampf ist zu niedrig angesetzt.«

»Möglich.« Onkel Lars klang unbeeindruckt. »Wenn der Junge mal nicht blind auf alles eindrischt, ist er ganz begabt.«

»Außergewöhnlich begabt, für jemanden ohne erweiterte Reflexe.«

Jean schaute so erstaunt wie Sofie sich fühlte. Was war hier los? Seit wann wurden sie gelobt?

»Ritter«, sagte General Stein. »Wo ist Ihr Gefährte?«

Sofie zögerte, aber sie sah keinen Grund, zu lügen. »Er fliegt durch die Gegend und hält Ausschau nach Adina und Aeron. Ich hab ihm gesagt, er soll andere Tauben nach ihnen fragen, aber er meinte, das bringt nicht viel. Für die sehen wir alle gleich aus.«

General Stein nickte. »Siehst du, Lars? Eigeninitiative. Davon habe ich gesprochen. Dieses Team ist motivierter, als du glaubst.«

Onkel Lars schaute drein, als hätte er Zahnweh. »Ja ja, die sind absolut großartig. Ein Wunder, dass sie noch nicht die ganze Stadt gerettet haben.«

»Das haben sie, zumindest für den Moment. So lange Adina Caligari glaubt, dass die Formel für das Ritual fehlerhaft ist, wird sie keinen weiteren Versuch unternehmen, das Ritual durchzuführen. So lange sind wir sicher.«

»Adina Caligari? Was habt ihr angestellt?«, fragte Liliflora und sah sie der Reihe nach an. Dann wandte sie sich dem General zu. »General Stein, würden Sie mir jetzt sagen, warum ich auf die Hexe aufpassen muss? Ist jemand hinter ihr her? Oder liegt es nur daran, dass sie nicht abhauen soll, bevor der Rat beschlossen hat, ob sie stirbt?«

Oh, richtig. Der Rat würde morgen darüber abstimmen, ob sie umgebracht wurde. Zum Wohle aller. Schließlich war sie die entscheidende Zutat im Ritual der Unsterblichkeit.

Die Generäle warfen sich einen Blick zu.

»Keine Sorge, Ritter«, sagte Onkel Lars dann. »Der Rat stimmt sicher nicht dafür, dich abzumurksen.«

Sofie legte den Kopf schief. »Warum sehen sie mir nicht in die Augen, General Mrazek?«

»Klappe, Ritter.« Er richtete den Blick auf Liliflora. »St. Clair, um deine Frage zu beantworten, müssen wir euch erst ein Angebot unterbreiten.« Er räusperte sich. »Obsidian?«

General Stein faltete die Hände. »Nach gründlicher Prüfung halte ich Sie für geeignet, der Abteilung zur Bekämpfung illegaler magischer Aktivität beizutreten. Alle fünf.«

Sofies Atem stockte. Von dieser Abteilung hatte sie schon gehört. Aus Adinas Mund.

»Ritter, du schaust, als würde dir das was sagen.« Onkel Lars hob eine Augenbraue.

»Ja.« Sie schluckte. »Meine … Adina hat mir davon erzählt. Sie meinte, es wäre die einzige fähige Abteilung in der Wächterzentrale.«

Onkel Lars grunzte verächtlich. »Das ist auch nicht weiter schwer. Wie ihr hoffentlich nicht wisst, leitet Obsidian die Abteilung seit letztem Jahr. Seit die frühere Leiterin umgekommen ist. Es ist ein gefährlicher Job und ein guter Teil der Wächter, der ihn ausübt, stirbt. Überlegt euch das also gut.« Er räusperte sich. »Wenn ihr zustimmt, bekommt ihr weitere Anweisungen. Falls ihr ablehnt, werdet ihr einer Spezialbehandlung unterzogen, bei der jede Erinnerung an diese Unterhaltung aus eurem Gedächtnis gelöscht wird. Tut überhaupt nicht weh, hab ich gehört.«

General Stein lehnte sich zurück. »Um uns vor der miserablen Geheimhaltung in der Zentrale zu schützen, operiert die Abteilung zur Bekämpfung illegaler magischer Aktivität im Geheimen. Offiziell würden Sie weiterhin junge Wächter bleiben. So, wie General Mrazek offiziell Ihr Ausbilder ist, obwohl er seit Jahren für unsere Abteilung arbeitet. Sie können gern darüber nachdenken, ob Sie …«

»Ja«, sagte Jean. »Bin dabei.«

»Ich auch.« Nat nickte.

»Sie jagen Adina, richtig?« Sofie verschränkte die Arme. »Die klang, als hätte sie wenigstens ein bisschen Respekt vor Ihnen.«

»Wir haben zumindest vermutet, dass sie noch lebt.« General Steins Miene war undurchdringlich. »Den Beweis haben Sie erst letzte Woche erbracht.«

»Gern geschehen.« Sofies Kiefermuskeln verkrampften sich. »Ich bin auch dabei.«

Vivi schwieg. Liliflora legte den Kopf schief.

»Ich wäre also Teil einer Spezialeinheit, die die mächtigste Hexe der Welt bekämpft?«, fragte sie. »Aber ich dürfte nicht darüber reden?«

»Genau.«

Liliflora wirkte unschlüssig.

Onkel Lars seufzte. »Wenn wir sie haben, kannst du meinetwegen damit angeben. Aber die Abteilung wird nicht erwähnt, klar? Das wäre dann ein ganz normaler Einsatz der Wächter von Magow, bei der uns zufällig Adina Caligari ins Netz gegangen ist.«

»Dann nehme ich Ihr Angebot an. Und warum muss ich jetzt auf Ritter aufpassen? Weil sie Caligaris Tochter ist? Will die sie zu sich holen?«

»Ja«, sagte Onkel Lars trocken. »Um sie zu töten. Ritter ist ein entscheidender Bestandteil des Rituals der Unsterblichkeit. Die Hauptzutat sozusagen.«

»Das Salz in der Suppe«, sagte Sofie. »Mindestens der Lauch. Bist du jetzt beeindruckt?«

Liliflora schnalzte mit der Zunge. Aber sie musterte Sofie, als würde sie etwas suchen. »So wichtig siehst du gar nicht aus.«

»Was hast du denn gedacht, warum sie darüber abstimmen, mich zu töten?«

»Na, weil deine magischen Fähigkeiten total außer Kontrolle sind.

---ENDE DER LESEPROBE---