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Drei Opern sind es mittlerweile, an denen der österreichische Komponist Johannes Maria Staud und der deutsche Dichter Durs Grünbein zusammenwirkten: eine fortgesetzte Kooperation, die ihre ganz eigene Arbeitsweise hervorgebracht hat. Dieser Band zeigt die drei bisher entstandenen Texte. So sehr Opern sich in der Synthese von Musik und Sprache verwirklichen, so sehr verdienen die abgründig-virtuosen Libretti von Durs Grünbein ihre eigene Beachtung.
Unheimlich bis grotesk die erste Oper Berenice (2004) nach Edgar Allan Poe: Der Geist der Oper selbst erscheint als Vamp in Form einer Meta-Oper. – Sodann der mehraktige Schwindelanfall Die Antilope (2014), ein kammermusikalisches Schauspiel um den Angestellten eines Start-ups. Der Gesellschaft mit seinesgleichen überdrüssig, singt er in einem seltsamen Kauderwelsch aus Esperanto und „Antilopisch“, einer Lautsprache aus Sinnfetzen. Nach einem Sprung aus dem Fenster sieht er die nächtliche Großstadt und die in ihr treibenden Gestalten plötzlich überscharf. – Ein Strom in Mitteleuropa und die Flussreise zweier Paare mit naturkatastrophischem Endspiel werden, nach einer Idee von Algernon Blackwood, zum Gegenstand der dritten Oper: Die Weiden (2018). Ein abendfüllendes Werk, aus dem die verdrängten Verbrechen der Geschichte emporsteigen, die alles Heimatliche unheimlich machen.
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Seitenzahl: 112
Durs Grünbein
Oper
Berenice / Die Antilope / Die Weiden
Suhrkamp
Berenice. Oper in fünf Akten
»Con trenta due denti.« Notizen zu einer Oper
Die Antilope. Oper in sechs Bildern
Die Weiden. Oper in sechs Bildern
Eins, zwei, drei Opern
Kompositorische Allianz
Stücke von Durs Grünbein bei Suhrkamp
Ergänzende Angaben und Rechte-Hinweise
Für Eva
Alle drei Operntexte entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten.
Oper in fünf Akten
Musik von
Johannes Maria Staud
Personen
Egaeus 1 (Der Schauspieler) — Tiefe Sprechstimme
Egaeus 2 (Der Sänger) — Baßbariton
Berenice — Sopran
Der Vamp — Mezzosopran
Edgar Allan Poe — Schauspieler / Hohe Sprechstimme
Chor der Familiengeister — Achtstimmiges gemischtes Vokalensemble
Das Hausmädchen — Hoher Sopran im Chor
Die Tote Mutter — Alt im Chor
Der Hausarzt — Baß im Chor
Ein Diener — Tenor im Chor
Ort der Handlung
Ein Landhaus im neogotischen Stil
Vor den Fenstern der Park von Arnheim
Gegebenenfalls kann die Handlung auf mehrere Schauplätze verteilt werden, wie etwa:
Landschaftspark, Bibliothekszimmer, Schreibstube, Friedhof usw.
Erster Akt
1. Szene
CHOR DER FAMILIENGEISTER
Mannigfaltig ist alles Elend.
Vielerlei Formen kennt irdische Not.
Den Horizont übersteigend, den weiten,
In Farben des Regenbogens spielt sie,
Dem Himmel gleich, dem fernen Gewölb —
Deutlich sichtbar wie dieses, zuinnerst
Mit feinsten Schatten vermischt.
Den Horizont übersteigend, den weiten,
Ganz wie der Regenbogen! Wie kam es,
Daß vom Schönen nur das Abscheuliche blieb?
Ein Gleichnis des Elends nur
Von dem, was einst Frieden verhieß?
Quälgeist Erinnerung: entweder rückt er
Als dauernder Schmerz uns zuleibe
Oder es hat, was als Todesangst bleibt,
Mit den Ekstasen begonnen,
Die es dereinst vielleicht gab.
2. Szene
EGAEUS
Egaeus, so bin ich getauft. Mein Familienname? Vergeßt ihn.
Im ganzen Land steht kein zweites Gemäuer, so alt,
So erhaben wie dies graue, düstere Stammhaus der Unsern.
Ein Geschlecht von Phantasten hat man die Sippe genannt.
Der Indizien sind übergenug, die den Steckbrief bestätigen —
Einzelheiten, die für sich sprechen — der lokale Charakter allein
Des Familiensitzes — im Festsaal die Fresken — die Gobelins
In den Schlafgemächern — die Steinmetzkunst mancher der Pfeiler
In der Waffenkammer — und jene Aura erst unserer Galerie
Mit den Werken der Alten Meister — die Manier der Bibliothek,
Höchst absonderlich, was ihren Bücherbestand angeht —
Gedenk ich der Kindheit, sehe ich diesen Raum —
Sehe die Bücherwände … Doch still jetzt, kein Wort mehr.
Hier starb meine Mutter.
3. Szene
ECHO
… starb meine Mutter.
EGAEUS
Hier kam ich zur Welt.
ECHO
… kam ich zur Welt.
EGAEUS
(Lauscht dem Echo nach. Singt:)
»Anima mia, Jahrtausende wandernd,
In wie vielen Körpern schon hast du gelebt?«
Nur Trägheit bestreitet der Seele ihr früheres Leben. Aus Trägheit
Vergessen die Menschen, wie oft sie gelebt.
ECHO
… oft sie gelebt.
EGAEUS
Ihr zweifelt? — Was solls, wir wollen nicht streiten.
Selbst überzeugt, muß ich nicht überzeugen. Mir reicht
Mein Gedächtnis. Ich weiß von ätherischen Wesen — von Augen,
Absolut ausdrucksvoll — von Klängen, traurig und schön zugleich.
Es gibt ein Erinnern, das keiner je abstreift. Es gibt ein Gemüt,
Dem Schatten gleich — wechselhaft, unbestimmt, flüchtig und vage.
Und wie einen Schatten wirst du es niemals mehr los,
Solange Vernunft dich, die eigene Sonne, bescheint.
In jenem Zimmer kam ich zur Welt.
Aufgetaucht aus Jahrtausenden Nacht,
Die uns scheint wie das Nichts und ist doch das Immer,
Verschlug es mich in ein Zauberreich eines schönen Tags,
In die wilden Domänen klösterlicher Gelehrsamkeit.
Kein Wunder, daß ich mich staunend umsah,
Die Augen weit aufgerissen, im Palast der Vorstellungskraft.
Daß die Knabenzeit mir über den Büchern verging,
Vergeudet mit Träumen, die Jugend. Das Wunder
War dies: daß die Jahre vorbeimarschierten, und ich
Saß noch immer im Vaterhaus, ein erwachsener Mann.
Seltsam auch dies: daß der Quell meines Lebens
Mit einem Mal stockte und stillstand.
Erstaunlich, wie in den einfachsten Alltagsfragen
Alles ins Gegenteil umschlug, seitenverkehrt.
Das Reale der Welt, als Vision übermannte es mich,
Und war nur mehr Vision. Wie ausgetauscht war,
Was in wilden Träumen mir zustieß. Was einmal Stoff,
Bloßer Stoff war fürs Leben, war nun das Leben selbst.
4. Szene
EGAEUS (DER SÄNGER), BERENICE
Duett »Ballade von den Geschwisterkindern«
EGAEUS
Berenice und ich warn Gespielen,
Cousin und Cousine, vom selben Stamm.
Von früh an erwählt unter vielen,
Im Haus meines Vaters zusammen.
EGAEUS
Selten warn zwei so verschieden wie wir.
Der Kränkliche ich, ein düsterer Junge.
Sie überschäumend, das muntere Tier,
Voll Anmut, stets auf dem Sprung.
EGAEUS
Ihrs war am Berghang das wilde Streifen,
Meins das Studieren in mönchischer Klause.
Ich saß versunken, verliebt ins Begreifen.
War in uralten Folianten zu Haus.
EGAEUS
So strahlend schön, kaum von dieser Welt.
O Sylphe verborgen in Arnheims Hecken!
Du Nymphe am Springbrunnen dort, am Quell!
Und plötzlich — war da nur Rätsel und Schrecken:
Ein Schauermärchen, und kein Wort beschreibts.
Ein Übel, unheimlich, hielt sie umkreist.
Wie Sandsturm durchfuhr es den zarten Leib.
Die Wandlung, ich sah sie. Ein böser Geist,
BERENICE
Der machte mich Arme zuschanden.
EGAEUS
Er raubte die Anmut dem holden Ding,
Verwirrte den Geist ihr: jetzt war sie die Andre.
BERENICE
Der grausame Räuber — er kam und er ging.
CHOR
Und das Opfer? Wo blieb sie, seit er sie ließ?
EGAEUS
Ich hab sie gekannt kaum. Und die ich da sah,
Das war nicht mehr sie, nicht sie — Berenice!
5. Szene
DER HAUSARZT
In der endlosen Folge von Gebrechen, ausgelöst von jener allerersten
Verhängnisvollen Krankheit, die einen so furchtbaren Wandel,
Seelisch wie körperlich, im Zustand seiner Cousine bewirkte,
Sei als besonders bösartig und zermürbend erwähnt eine Art Epilepsie.
Jene Fallsucht, die mitunter zu völliger Trance führte — einer Trance,
Die fast einer Selbstauflösung glich. Doch jedesmal,
Mit bestürzender Plötzlichkeit erwachte sie wieder.
6. Szene
Auftritt Edgar Allan Poe — ein Mann von zarter Statur, wie ihn die Photographien zeigen. Er ist vor allem nervös. Ihm folgt der Vamp — ein laszives Wesen von einiger Übergröße.
EDGAR ALLAN POE
Baltimore ist eine so scheußliche Stadt, besonders nachts. Wer als Dichter
Verdammt ist, in so einer Stadt zu leben, der braucht keine Feinde.
Der Horror ist ihm ein treuer Begleiter.
»Der Terror, von dem ich schreibe, kommt nicht aus Deutschland —
Es ist ein Terror der Seele.«
DER VAMP
(Äfft ihn nach:)
»Es ist ein Terror der Seele …«
EDGAR ALLAN POE
Wer bist du? Es kommt mir bekannt vor, dein langes Gesicht.
DER VAMP
Ich bin, der sich nachts an die Bettkante schleicht — dein Phantom.
Dein Körper weiß mehr von mir als dein Gehirn.
EDGAR ALLAN POE
Hinweg, du Gespenst der Novelle.
DER VAMP
(Lacht schallend:)
Wies beliebt, auf der Stelle.
Beide ab.
7. Szene
EGAEUS
Unterdessen nahm meine eigene Krankheit — denn keine andere
Bezeichnung verdiente mein Zustand — nahm meine eigene Krankheit
Rasch ihren Lauf. Schließlich wuchs sie sich aus zu einer seltenen
Form der Monomanie — die mit jeder Stunde,
Jedem Augenblick heftiger wurde — bis sie zuletzt
Völlig die Herrschaft gewann über mich. Jene Monomanie,
Wie die Ärzte sie nannten, zeigte sich in einer morbiden
Reizbarkeit jener Teile des Hirns, die in der Sprache der Metaphysik
Die rezeptiven heißen. Ich sehe ein, es ist nicht leicht, mir zu folgen.
Ja, ich fürchte, er übersteigt euern gewöhnlichen Verstand,
Mein Versuch, einen Eindruck zu geben von jenem nervösen,
Gesteigerten Interesse, mit dem mein Bewußtsein sich
In sich selbst verstrickte —
In Betrachtung der allerbanalsten Dinge.
EGAEUS (DER SÄNGER)
Müßig für Stunden, stundenlang brütend,
Saß ich verzaubert von Ornamenten
Am Rand alter Bücher, von Typographien —
Ganze Sommer an Wandteppich-Blüten
Und Muster in dunkler Klause verschwendend.
Am Lampenschirm Schatten vorüberziehn
Sah ich des Nachts, über schwelender Asche
Mich selber verlierend. Die Tage vergingen
Vom Duft einer Blume. Ein Wort, irgendeins,
Oft wiederholt ichs, den Sinn zu erhaschen,
Bis nichts von ihm übrigblieb als ein Klingen.
So fern in Gedanken, so ganz mit mir eins,
Vergaß ich das Dasein, reglos das Sein.
Betäubt war mein Körper, der Wille stand still.
DER HAUSARZT
Solcherart waren die harmlosesten noch, die geringeren Launen,
Bewirkt durch einen Geisteszustand, der sich, wenn auch nicht beispiellos,
Doch jeder Erklärung und Analyse entzog.
EGAEUS
Versteht mich recht: diese überaus ernste und unverhältnismäßige,
Pathologische Fixiertheit auf Dinge, die ihrer Natur nach ganz nichtig sind,
Darf nicht verwechselt werden mit jener Veranlagung zur Grübelei,
Die allen Menschen gemeinsam ist — der sich besonders Personen
Mit glühender Phantasie gern überlassen. Denn dies war nicht etwa,
Wie man meinen möchte, nur die extreme Variante eines gewissen Spleens,
Vielmehr nach Herkunft und Wesen ein ganz eignes Symptom.
Alle ab.
Zweiter Akt
8. Szene
DER VAMP
»Wenn in ungeheuren Streifen die Regen rinnen,
Gitterstäben gleich eines riesigen Kerkers,
Und ein stummes Volk widerwärtiger Spinnen
Die Hirne mit Netzen umstrickend, uns ärgert …«
EDGAR ALLAN POE
Wer singt da? Allzu bekannt vor kommt mir dieser Ton.
DER VAMP
(Stellt sich hinter ihn.)
Du kennst mich.
EDGAR ALLAN POE
Wer bist du?
DER VAMP
Ich bin dein Vampir.
EDGAR ALLAN POE
Was willst du?
DER VAMP
Ich saug dir die Adern aus durchs Papier.
Beide ab.
9. Szene
EGAEUS
Der gewöhnliche Fall ist: der Träumer, der sein Objekt der Begierde,
Das keineswegs nichtig ist, mit der Zeit aus den Augen verliert.
Er verirrt sich im Dschungel der Deduktionen und Suggestionen —
Sein Tagtraum de luxe hilft ihm schließlich begreifen,
Daß der Grund seiner Träume, das incitamentum, wie man so sagt,
Überm Träumen verlorenging. — Ganz anders mein Fall:
Hier war das Objekt ein für allemal völlig banal.
ECHO
»… völlig banal, ein für allemal.«
EGAEUS
Völlig irreal!
ECHO
»… irreal, real.«
EGAEUS
Die gestörte Phantasie allein legte jederlei wirre Bedeutung hinein.
Niemals war mir, was ich da sah, irgendwie angenehm. Und am Ende
Des Tagtraums hatte der Anlaß, anstatt verschwunden zu sein,
Ein gesteigertes Interesse entfacht — und dies war, dies war
Das Übel schlechthin meiner Krankheit. Mit einem Wort: jene Kräfte,
Die wirksam wurden in meinem Bewußtsein, sie waren,
Noch einmal sei es gesagt, rein rezeptiv —
ECHO
»… rezeptiv.«
EGAEUS
Im Falle des Tagträumers aber sind dieselben wesentlich spekulativ.
ECHO
»… spekulativ.«
EGAEUS
(Lauscht wieder dem Echo nach. Elegisch:)
So viele Bücher umgaben mich …
Vielleicht warn die Bücher ja mein Symptom.
Morbus litteris. — Die Krankheit Lesen …
DIE TOTE MUTTER
Ach, es waren die Bücher. Sie erst entfachten
Die Krankheit in seinem Hirn. Sie allein,
All diese Schmöker, so phantastisch und wirr,
Warn der Grund seines furchtbaren Leidens.
Mein Sohn, wer außer ihm dort las denn Latein?
Von verschiedenen Seiten her auftretend.
10. Szene
BERENICE, DAS HAUSMÄDCHEN
Duett »Von den allesverschlingenden Büchern«
DAS HAUSMÄDCHEN
Ach, er las, Tag und Nacht. Buch um Buch.
Tief gesenkt seine Stirn. Gott, was sucht,
Ja, was sucht er da nur, unser junger Herr?
Dacht ich still, und das Herz war mir schwer.
BERENICE UND DAS HAUSMÄDCHEN
Gott, was suchte, was suchte er nur im Papier?
DAS HAUSMÄDCHEN
Verzeihung, Ihr habt mich gerufen?
BERENICE
Ich dachte schon, du bist taub.
DAS HAUSMÄDCHEN
So jung noch und schon so streng.
BERENICE
Mimose du, tu bloß nicht so.
DAS HAUSMÄDCHEN
Meint Ihr nicht, Ihr seid etwas launisch
Für eine Tochter aus gutem Haus?
Egaeus, Egaeus, immer nur sprichst du
Von ihm, wie im Märchen das Schwesterchen,
Das da bangt um sein Brüderchen. Der Ärmste:
Die böse Hexe verwandelt ihn in ein Reh.
Bind doch dein goldenes Strumpfband ab
Und leg es ihm um den Hals.
BERENICE
Etwa eifersüchtig, du kleines Luder?
DAS HAUSMÄDCHEN
Eifersüchtig auf wen?
Beide prusten laut los.
Komm, wir singen.
BERENICE
Ach, und was er da las. Demokrit, Augustin.
Immerfort ging das so. Platon her, Plotin hin.
»Gottes Staat«, »Christi Fleisch« — wie gelehrt
Er doch war, und die Lider so schwer.
BERENICE UND DAS HAUSMÄDCHEN
Gott, was suchte, was suchte er nur im Papier?
DAS HAUSMÄDCHEN
Ganz entrückt saß er da. Jeder morsche Foliant
Galt ihm mehr als ein Mensch. Kaum gekannt
Hat er uns, die sich sorgten um ihn.
Ich war Luft, hab ihm lautlos gedient.
BERENICE
Von wegen Reh. Brüderchen und Schwesterchen:
Nicht er, der Bücherwurm — ich bin das Reh.
DAS HAUSMÄDCHEN
Du bist das Wild, das hinaus will zur Jagd
Und heimkommt, verwundet und blutend.
BERENICE
Wir beide bluten. Ich und du, meine Liebe.
DAS HAUSMÄDCHEN
Blutjung, ja wir bluten. Ach, welche Schweinerei.
BERENICE
Und mein Haar, meine Schultern, mein Kleid:
All das stahl ihm nur kostbare Zeit.
Egaeus, mein Bruder, nie sah er mich an.
Mich, das Mädchen, die Frau — er, der Mann.
DAS HAUSMÄDCHEN
Du weißt, wie es endet das Märchen, nicht wahr?
»Nun komm ich noch diesmal, dann nimmermehr.«
Sie treten ab nach verschiedenen Seiten.
11. Szene
EGAEUS
Gewiß nahm ihr Leiden mich mit. In den hellen Momenten
Meiner geistigen Krise, wenn mir die tiefe Zerrüttung
Ihres heiteren Lebens zu Herzen ging, saß ich tief verstört
In bitterem Sinnen, und wußte nicht aus noch ein. Wie geschah es,
Daß sie so rasch sich verändert hatte? — Seltsam nur,
Derlei Betrachtungen hatten nichts mit meiner Exzentrik zu tun.
Was mich wirklich krank machte, wirklich verstörte, war dies:
Daß ihr Äußres verfiel. Kaum noch erkannt ich in ihr — Berenice.
12. Szene
Auftritt Edgar Allan Poe. Der Vamp.
EDGAR ALLAN POE
Ein schwerer Fall — dieser Grübler. Ich kannte da einen,
Dem ging es ganz ähnlich. Ein Künstler, verliebt in die Malerei.
Er liebte die Farben, die Formen mehr als das süße Modell —
Seine Braut, die ihm wochenlang stillhielt, in Fleisch und Blut.
Im Kerzenlicht sah er, was ihm früher verborgen war: ein Gemälde.
Das Portrait eines Mädchens, fast schon in fraulicher Reife.
DER VAMP
»Frauliche Reife …«
EDGAR ALLAN POE
Sie war eine Jungfrau von außergewöhnlicher Schönheit.
DER VAMP