Organisationspädagogik - Nicolas Engel - E-Book

Organisationspädagogik E-Book

Nicolas Engel

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Beschreibung

Organisationen sind Orte und Akteure des Lernens. Dies gilt für Organisationen jeglicher Art, für Schulen, Kitas, Heime ebenso wie für Betriebe, Kliniken oder Verwaltungen. In und durch diese Organisationen werden pädagogische Prozesse organisiert und instituiert und damit ermöglicht und/oder behindert. Der Band diskutiert systematische und normative Grundlagen der Organisationspädagogik, gibt Einblicke in die Empirie pädagogischer Organisationsforschung, diskutiert zentrale gesellschaftliche und pädagogische Grundprobleme aus organisationspädagogischer Perspektive und konturiert Organisationspädagogik als wissenschaftliche Disziplin sowie als pädagogisches Handlungsfeld.

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Grundrisse der Erziehungswissenschaft

Herausgegeben von Jörg Dinkelaker, Merle Hummrich, Wolfgang Meseth, Sascha Neumann und Christiane Thompson

Die Autoren

Dr. Nicolas Engel, Professor für Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt/MainDr. Michael Göhlich, Senior Professor of Education an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Nicolas Engel / Michael Göhlich

Organisationspädagogik

Eine Einführung

Mit einem Beitrag von Andreas Schröer

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-034725-0

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-034726-7

epub:        ISBN 978-3-17-034727-4

Vorwort der Herausgebenden der Reihe

 

 

Die »Grundrisse der Erziehungswissenschaft« verfolgen angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung und Pluralisierung von pädagogischen Feldern und wissenschaftlicher Grundlagen den Anspruch einer begrifflich-systematischen Einführung in die Erziehungswissenschaft. Die Reihe führt in erziehungswissenschaftliche Teildisziplinen und Forschungskontexte ein, wobei ihr Bezug zu pädagogisch-professionellen Feldern eine besondere Berücksichtigung erfährt. Im Sinne gesellschafstheoretischer Reflexion greift die Reihe z. B. auch zeitgenössische Schlüsselprobleme der erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Reflexion auf.

Die »Grundrisse der Erziehungswissenschaft« zielen darauf ab, widerstreitende Auffassungen in Forschung, Theoriebildung und Praxis als Teil erziehungswissenschaftlicher Selbstverständigung zu vermitteln und auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse, Problemstellungen und Konflikte zurückzubeziehen. Ein Nachdenken über Erziehung, Bildung und Lernen erfordert gleichermaßen eine breite Einbettung in die wissenschaftliche Diskurslandschaft wie in andere gesellschaftliche Kontexte (Politik, Wirtschaft, Religion, Medizin). Indem die »Grundrisse« auch die historische Genese, die epistemologischen Konturen und öffentlichen Geltungsbedingungen erziehungswissenschaftlichen Wissens und pädagogischer Semantiken aufgreifen, eröffnen sie überdies eine kritische Reflexion ihrer Methoden und Wissensformen.

Herausgebende der ReiheJörg Dinkelaker (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) Merle Hummrich (Goethe-Universität Frankfurt am Main) Wolfgang Meseth (Goethe-Universität Frankfurt am Main) Sascha Neumann (Eberhard Karls Universität Tübingen) Christiane Thompson (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Inhaltsverzeichnis

 

 

Vorwort der Herausgebenden der Reihe

1   Einleitung

2   Organisation und Institution. Systematische Annäherung an den Gegenstand der Organisationspädagogik

2.1   Fallbeispiel Gedenkstättenbesuch: eine Institution und ihre Bedeutung für Organisationen

2.2   Begriffsklärung: Institution und Organisation

2.3   Organisation als pädagogische Praktik

2.4   Organisation als Kontext pädagogischer Prozesse

2.5   Organisation als Akteur und Adressat pädagogischer Praxis

2.6   Organisation als Ermöglichung und Bedrohung menschlichen Seins

3   Organisation als pädagogischer Topos. Historische Annäherung an den Gegenstand der Organisationspädagogik

3.1   Organisationspädagogik avant la lettre: Zur Vorgeschichte der Organisationspädagogik

3.2   Anfänge expliziter Organisationspädagogik: Zur Neubestimmung des Verhältnisses von Pädagogik und Organisation

3.3   Institutionalisierung der Organisationspädagogik

3.4   Zur Zukunft der Organisationspädagogik

4   Organisationstheorien und Organisationspädagogik

4.1   System, Umwelt, Selbstreferentialität – Organisationspädagogische Anschlüsse an Systemtheorien

4.1.1   Fallbeispiel Altenheim – Systemische Optionen der Organisationsberatung

4.1.2   Systemtheoretische Perspektiven auf den Gegenstand Organisation

4.1.3   Systemtheoretische Einsätze in der Organisationspädagogik

4.2   Rationalitätsmythen, Isomorphismus und lose Kopplung – Organisationspädagogische Anschlüsse an neo-institutionalistische Theorien

4.2.1   Lose Kopplung. Zur Vorgeschichte des Neo-Institutionalismus

4.2.2   Fallbeispiel Nestlé – zentrale Thesen des Neo-Institutionalismus am Beispiel einer privatwirtschaftlichen Organisation

4.2.3   Neo-Institutionalistische Einsätze in der Organisationspädagogik

4.3   Steuerungsfaktor, normatives Fundament oder Deutungsgeflecht – Organisationspädagogische Anschlüsse an Theorien der Organisationskultur

4.3.1   Organisationskultur als Steuerungsfaktor

4.3.2   Organisationskultur sensu Edgar H. Schein

4.3.3   Organisation als Kultur

4.4   Artefakte, Praktiken, Praxismuster – Organisationspädagogische Anschlüsse an Praxistheorie

4.4.1   Fallbeispiel: Soziale Roboter in der Pflege

4.4.2   Praxistheoretische Perspektiven auf Organisation(en)

4.4.3   Praxistheoretische Einsätze in der Organisationspädagogik

5   Das Feld der Organisationspädagogik

5.1   Theoretische Perspektiven auf Organisationales Lernen

5.1.1   Organisationales Lernen als Lernen in und von Organisationen

5.1.2   Ausgewählte Theorien organisationalen Lernens

5.2   Organisationales Lernen aus pädagogischer Sicht

5.2.1   Inhaltsbezug und Dialogizität des organisationalen Lernens

5.2.2   Fallbeispiel – »Halt, Foto fehlt noch«

5.2.3   Strategie und Muster – Tradierung und Transformation

5.3   Organisationsentwicklung als organisationspädagogisches Arbeitsfeld

5.3.1   Fallbeispiele Firma Global und Hochschule X – Organisationsentwicklung top-down oder partizipativ?

5.3.2   Modelle der Organisationsentwicklung

5.3.3   Agilisierung als OE-Antwort auf Bedingungen des 21. Jahrhunderts?

5.4   Personalentwicklung als organisationspädagogisches Arbeitsfeld

5.4.1   Organisationspädagogische Perspektivierung der Personalentwicklung

5.4.2   Personalentwicklung: mehr als betriebliche Weiterbildung

5.4.3   Phasen und Formen der Personalentwicklung

6   Organisationspädagogische Perspektiven auf ausgewählte pädagogische Arbeitsfelder

6.1   Organisationen als Arenen des Lernens Erwachsener

6.1.1   Formale Organisationen der Weiterbildung als Bedingungs- und Ermöglichungsstruktur des Lernens Erwachsener

6.1.2   Organisationen als Arenen des Übergangs

6.1.3   Zur organisationalen Verfasstheit des Lernens Erwachsener

6.2   Betriebe als Lernwelten

6.2.1   Betrieb als Gegenstand (organisations-) pädagogischer Diskussion

6.2.2   Drei Dimensionen der Lernwelt Betrieb

6.3   Organisation des Sozialen – Organisationen der Hilfe (von Andreas Schröer)

6.3.1   Organisationen als Thema der Sozialpädagogik

6.3.2   Soziale Dienstleistungsorganisationen, Lebensbewältigung und Sozialmanagement

6.3.3   Zur wechselseitigen Bezugnahme von Organisations- und Sozialpädagogik am Beispiel des Sozialmanagements

6.3.4   Spezifika, Funktionen und gegenwärtige Herausforderungen von Organisationen der Hilfe

7   Organisationspädagogik im Spiegel aktueller gesellschaftlicher Transformationsdynamiken

7.1   Organisationen im Kontext von Transnationalisierung

7.1.1   Transnationale Organisationsforschung

7.1.2   Organisationen als Arenen und Akteure transnationaler Wissensproduktion

7.2   Organisationen als Generatoren von Gleichheit und Ungleichheit

7.2.1   Organisationen als Generatoren von Gleichheit

7.2.2   Organisationen als Generatoren von Ungleichheit

7.2.3   Organisationales Lernen im Zeichen von Diversität

Literaturverzeichnis

1        Einleitung

 

 

Der vorliegende Band erschließt Zugänge zur Organisationspädagogik als wissenschaftliche Disziplin und als professionelles Handlungsfeld. Als wissenschaftliche Disziplin zielt Organisationspädagogik darauf, Organisationen als Bedingung, Ermöglichung, Unterstützung oder Bedrohung von Erziehung, Bildung und Lernen sowie Organisationen jeglicher Art – nicht nur Einrichtungen mit pädagogischer Zielsetzung wie Kitas, Schulen, Hochschulen oder Heime, sondern auch Betriebe, Kliniken, Behörden u. a. m. – als lernende Sozialgebilde im Kontext gesellschaftlicher Transformationen zu erforschen. Als professionelles Handlungsfeld bietet Organisationspädagogik Absolvent*innen pädagogischer Studiengänge und Berufstätigen die Möglichkeit und die Aufgabe, erziehungswissenschaftliches Wissen und pädagogisches Können in Praxen und Praktiken von Organisationsentwicklung und Personalentwicklung zu übersetzen, einzubauen, anzuwenden und sich dabei nicht zuletzt für die Weiterentwicklung von Organisationen als humane Lern- und Lebenswelten einzusetzen. In systematischer, wie pragmatischer Sicht ist jedoch nicht nur zu klären, was Organisationspädagogik ist, sondern auch, was denn die Grundfragen sind, auf die Organisationspädagogik als wissenschaftliche Disziplin und als pädagogische Profession zeitgemäße Antworten geben will. So standen bei der Ausarbeitung des vorliegenden Bandes insbesondere zwei Fragen Pate: Welche Bedeutung haben Organisationen für pädagogische Prozesse? Und: Welche Bedeutung haben pädagogische Prozesse für Organisationen?

Dass diese Fragen nicht erst mit dem Aufkommen und der Institutionalisierung einer explizit organisationspädagogischen Debatte relevant werden, sondern ältere und im Grunde allgemeinpädagogische Topoi sind, zeigt ein Blick in die Geschichte der Pädagogik. So vollzieht sich die Institutionalisierung von Erziehung und Bildung vornehmlich durch die Gründung konkreter Organisationen als Orte und Akteure pädagogischer Praxis (Tenorth 1992, Kuper 2008, Göhlich 2014a, 2018). Organisationen geben seit jeher nicht nur strukturierende Rahmen für Vorgänge der Erziehung, der Vermittlung von Wissen und der Lernunterstützung, sondern sie sind in je spezifischer Weise Materialisierungen programmatischer Ideen und pädagogischer Praxis (beispielhaft kann hier an die Gründung von alternativen Schulformen im Zuge der reformpädagogischen Bewegung erinnert werden, die noch heute bestehen und sich in ihrer Organisation von anderen Schulen abheben). Darüber hinaus werden Organisationen als Bedingung von Erziehung und pädagogischem Handeln thematisch. Eine solche Thematisierung erfolgte historisch gesehen als Kritik an einem personalistischen Erziehungsverständnis (Bernfeld 1971/1925), das die Wirksamkeit pädagogischer Praxis allein auf zwischenmenschliche Interaktion zurückführt (vgl. auch Kuper 2011), aber vor allem in Form eines gepflegten pädagogischen Ressentiments, das über viele Jahrzehnte die Annahme einer Unvereinbarkeit von Organisation und Erziehung zum Bezugspunkt einer Diskussion über institutionelle und organisationale Bedingungen und Rahmungen pädagogischen Handelns machte (vgl. Terhart 1986). Nicht zuletzt durch allgemeinpädagogische Einsätze, die pädagogisches Handeln in den Antinomien der Moderne reflektieren (Helsper 1995, mittlerweile in der 10. Auflage) oder vor dem Hintergrund sozialwissenschaftlicher Begriffsarbeit andere erziehungswissenschaftliche Zugänge einfordern (König & Volmer 1993, Böttcher & Terhart 2004, Göhlich 2001, 2005, Kuper & Thiel 2010, Engel 2018a, Weber & Wieners 2018), wendet sich die pädagogische Auseinandersetzung mit Organisationen. So wird die (Weiter-)Entwicklung einer namentlich organisationspädagogischen Debatte möglich, die Organisationen neben ihrer rahmenden Funktion selbst als pädagogische Akteure thematisiert.

Diese Bewegungen im erziehungswissenschaftlichen Diskurs im Blick behaltend setzt dieser Band eine mit Unterbrechungen geführte pädagogische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Organisation fort. Als Ergebnis von Institutionalisierungsprozessen, also von Prozessen der Formalisierung und Routinisierung menschlicher Praxis, stellen Organisationen eine unausweichliche Gegebenheit für pädagogische Prozesse dar. Organisationen sind Arenen und Akteure, über die sich Gesellschaft reproduziert und in denen Bedingungen und Möglichkeiten des Lernens, der Bildung und der Erziehung generiert werden; sie werden durch menschliche Praxis hervorgebracht und können durch sie verändert werden. In diesem Sinne liegt unserer Idee von Organisationspädagogik eine dialektische Perspektive zu Grunde, die die helle wie die dunkle Seite von Organisationen für das Pädagogische als untrennbar miteinander verwobene Elemente begreift (vgl. auch Kessl 2020).

Organisationen sind einerseits Gebilde mit Zerstörungspotential. Sie bringen Strukturen, Diskurse und Praktiken hervor, die Menschen diskriminieren, menschliche Arbeits- und Lernwelten im Sinne eines Einsatzes von Humanressourcen neoliberalisieren und ungleiche Möglichkeitsbedingungen für Bildung, Lernen und Wissensproduktion erzeugen. Diese gewaltfördernde und moralverdrängende Seite bezeichnen wir mit Ortmann (2010) als »dunkle Seite« der Organisation und markieren es als organisationspädagogisch notwendig, die Macht- und Gewaltförmigkeit von Organisationen in Hinblick auf die Bedingung der (Un-)Möglichkeit von Lernen, Bildung, Erziehung und Wissensvermittlung in den Blick zu nehmen. Organisationen sind andererseits – die helle Seite – Arenen und Akteure, die Bildung, Lernen und Erziehung sowie soziale Teilhabe ermöglichen und Errungenschaften sozialer Integrationsprozesse festigen können. Vorgänge der Routinisierung und Formalisierung sind hierbei weniger als Einschränkung, denn als Möglichkeitsbedingungen für Autonomie, Identität und Empowerment zu verstehen. In dieser Perspektive sind Organisationen die Antwort auf eine grundsätzliche »Institutionalisierungsbedürftigkeit des Pädagogischen« (Kessl 2020, 100), die sich sowohl in einem Bedarf an verlässlichen Ergebnissen pädagogischer Praxis als auch in dem Wunsch nach Professionswissen wiederfindet. Organisationen sind darüber hinaus – und auch das gehört zur hellen Seite der Organisation – Arenen, in denen im Zuge der Institutionalisierung ein Widerstand und eine Problematisierung von Sinn und Identität erfolgen können. Sie sind damit immer auch Generatoren von Veränderung und Verbesserung des Status Quo.

Organisationspädagogisch ist diese Einsicht in die Dialektik von Organisationen in mehrerer Hinsicht bedeutsam: 1. Sie unterstreicht, dass die Blicke auf die dunkle Seite und auf die helle Seite von Organisationen systematisch wie pragmatisch zu verbinden sind: zu einer Perspektive also, die das destruktive (ggf. entmenschlichende) und das konstruktive (ggf. humanisierende) Potential von Organisationen nicht normativ gegeneinander ausspielt, sondern diese Potentiale als dem Gegenstand grundsätzlich innewohnend reflektiert. 2. Sie erlaubt theoretisch wie empirisch eine Inblicknahme von Organisationen als Sozialgebilde, in denen sich zum einen pädagogische Prozesse je spezifisch gestalten, die zum anderen als soziokorporale Entitäten selbst lernen und die sich drittens im Zuge organisationalen Lernens auch als Generatoren gesellschaftlicher Transformationsdynamiken erweisen. 3. Sie weitet den Blick auf organisationspädagogisches Handeln als eine mehrdimensionale pädagogische Professionalität, die sich im Bewusstsein der unter 1 und 2 genannten Perspektiven, Prozessen und Komplexitäten der Organisationsentwicklung (im weiten Sinne umfasst dies auch Beratung in und von Organisationen, Personalentwicklung, Bildungsmanagement etc.) annimmt und hier ein eigenständiges, wenngleich zu anderen disziplinären Ansätzen und praktischen Modelle in Beziehung stehendes, Arbeitsfeld darstellt.

Diese mehrperspektivische Einsicht in die Dialektik von Organisation bildet unseren gedanklichen Korridor für eine Einführung in die Organisationspädagogik, die den Anspruch hat, das breite Spektrum der Möglichkeiten organisationspädagogischen Sehens, Denkens und Handelns aufzuzeigen. Im vorliegenden Band erfolgt das in fünf Schritten:

Wir beginnen mit einer systematischen Annäherung (Kap. 2), indem wir eine pädagogische Verhältnisbestimmung von Organisation und Institution vornehmen, um die komplexen Dynamiken zu erschließen, unter denen Lern-, Erziehungs- und Bildungsprozesse in und von Organisationen stattfinden. In der Arbeit an diesen Begriffen weisen wir Organisation als zentralen Gegenstand organisationspädagogischer Reflexion aus und konkretisieren selbigen mittels vier Perspektiven, die Organisation als pädagogische Praktik, als Kontext pädagogischer Prozesse, als Akteur und Adressat pädagogischer Praxis sowie als Bedrohung und Ermöglichung menschlichen Seins kennzeichnen.

In einem zweiten Schritt geben wir eine kurze historische Einordung (Kap. 3), die die Entstehung der Organisationspädagogik als Produkt einer fortlebenden allgemeinpädagogischen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Organisation ausweist. Der hier gewählte Zugriff ist kein ideen- oder ereignisgeschichtlicher, sondern vielmehr ein problemgeschichtlicher, der über die Inblicknahme der Thematisierung von Organisation im Zusammenhang mit pädagogischen Fragestellungen Fluchtpunkte rekonstruiert, die sich mit der Institutionalisierung der Organisationspädagogik als Subdisziplin in eine Linie bringen lassen.

In einem dritten Schritt stehen ausgewählte organisationswissenschaftliche Referenztheorien im Fokus (Kap. 4), mittels derer die Bedingungen und Möglichkeiten einer theoretischen Grundlegung der Organisationspädagogik aufgezeigt werden und anhand derer sich ein je spezifischer Blick sowie eine je spezifische Auseinandersetzung mit Organisation(en) und organisationalem Lernen ausbildet. Organisationspädagogische Anschlüsse an Systemtheorie, Neo-Institutionalismus und Praxistheorie sowie an Theorien der Organisationskultur bieten multiple theoretische Rahmen, um organisationspädagogische Forschung und Praxis näher zu bestimmen.

Dies erfolgt in einem vierten Schritt, in dem wir dem Feld der Organisationspädagogik in theoretischer und praktischer Hinsicht Kontur geben (Kap. 5), es somit als Forschungsfeld und als berufliches Arbeitsfeld ausweisen. Zunächst wird organisationales Lernen als pädagogischer Gegenstand ausgearbeitet und als strategischer und musterförmiger Vorgang der Übersetzung von Wissen und Können konkretisiert. Die darauf gründende Auseinandersetzung mit Konzeptionen und – an Fallbeispielen veranschaulichten – Praxen der Organisations- und Personalentwicklung weist Organisationsentwicklung und Personalentwicklung als pädagogische Arbeitsfelder aus.

In zwei abschließenden Schritten wird das Erkenntnispotential organisationspädagogischen Sehen und Denkens im Hinblick auf ausgewählte pädagogische Einrichtungen und Arbeitsfelder sowie auf ausgewählte gesellschaftliche Herausforderungen aufgezeigt (Kap. 6 und Kap. 7). Als pädagogische Arbeitsfelder exemplarisch in den Blick genommen werden das Lernen Erwachsener, der Betrieb als Lernwelt sowie die soziale Dienstleistungsorganisation bzw. die Organisation des Sozialen. Sodann werden wir exemplarisch an der Transnationalisierung von Wissen sowie dem Spannungsfeld von Gleichheit und Ungleichheit nicht nur aktuelle Herausforderungen organisationspädagogischer Forschung und Praxis thematisieren, sondern damit auch einen Blick auf die Rolle und Funktion von Organisationen hinsichtlich der Generierung und Transformation gesellschaftlicher Konfliktlagen frei geben.

Eine Besonderheit der vorliegenden Einführung in die Organisationspädagogik besteht darin, dass die ersten Schritte der Konzeption des Bandes mit Seminaren zum Thema Einführung in die Organisationspädagogik verbunden waren, die wir in den Sommersemestern 2017, 2018 und 2019 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt haben. So sind erste Entwürfe einiger (Unter-)Kapitel aus unseren Vorträgen und anschließenden Diskussionen entstanden, die wir im Seminar per Audiomitschnitt aufgezeichnet haben. Die Studierenden haben sich dabei nicht nur mittels kritischer Rückfragen als wichtige Dialogpartner*innen erwiesen, sondern gelegentlich auch durch aktive Recherche konkreter Fallbeispiele, anhand derer sich theoretische und professionsbezogene Reflexionen verdeutlichen lassen, zur Anschaulichkeit unserer Darstellungen beigetragen. Wir danken herzlich allen Teilnehmer*innen der Seminare für die aktive Diskussion, die kritische Rückmeldung und den studentischen Blick auf unsere Ausführungen.

Die Entstehung dieses Buches ist das Ergebnis unserer langjährigen gemeinsamen Arbeit. Dabei hat uns der Dialog mit vielen Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen am Institut für Pädagogik der Friedrich-Alexander-Universität sowie am Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung der Goethe-Universität Frankfurt am Main über Bedingungen, Herausforderungen und Möglichkeiten organisationspädagogischen Sehen, Denkens und Handelns einen wertvollen Resonanzraum geboten. Allen Gesprächspartner*innen möchten wir ausdrücklich danken. Namentlich danken wir Johannes Bretting für Rückmeldung zum Entwurf des Manuskripts sowie Donna Tolksdorf für ihr umsichtiges und präzises Lektorat. Nicht zuletzt gilt unser Dank den Reihen-Herausgeber*innen Grundrisse der Erziehungswissenschaft, insbesondere Jörg Dinkelaker für seine Anregungen, sowie dem verantwortlichen Lektor des Kohlhammer-Verlags, Klaus-Peter Burkarth, für seine Hinweise zur leser*innenfreundlichen Gestaltung des Bandes und vor allem für die Geduld, die bei diesem mehrjährigen Vorhaben erforderlich war.

Frankfurt und New York im März 2022Nicolas Engel & Michael Göhlich

2          Organisation und Institution. Systematische Annäherung an den Gegenstand der Organisationspädagogik

 

 

Wer beim Begriff der Organisation an Unternehmen, Sozialdienstleister, Schulen, Kliniken oder Behörden denkt und in einer Einführung in die Organisationspädagogik pädagogische Zugänge zu solchen Organisationen erwartet, liegt keineswegs falsch. Wir werden in späteren Kapiteln darauf zu sprechen kommen. Zur systematischen Annäherung an den Gegenstand Organisation ist jedoch zunächst das Verhältnis von Organisation und Institution zu bestimmen, da der Begriff Institution im pädagogischen Diskurs oft nicht präzise vom Begriff Organisation unterschieden, gelegentlich irrigerweise sogar synonym zu diesem gebraucht wird. Anders als in späteren Kapiteln setzt dieses Kapitel deshalb nicht mit dem Fallbeispiel einer Organisation, sondern mit dem Fallbeispiel einer Institution – und zwar: dem NS-Gedenkstättenbesuch – ein. Die erinnerungskulturelle Institution NS-Gedenkstättenbesuch steht exemplarisch für regelhafte gesellschaftliche (und ggf. auch intraorganisationale) Erwartungen, mit denen Organisationen, hier zuvorderst die einzelnen Schulen, umgehen müssen (Kap. 2.1). Nach einer an dem Fallbeispiel entwickelten Abgrenzung des Organisationsbegriffs vom Begriff Institution (Kap. 2.2) werden vier Perspektiven – Organisation als pädagogische Praktik (Kap 2.3), Organisation als Kontext pädagogischer Prozesse (Kap. 2.4), Organisation als Akteur und Adressat pädagogischer Praxis (Kap. 2.5) sowie Organisation als Bedrohung und Ermöglichung menschlichen Seins (Kap. 2.6) – aufgezeigt, die unterschiedliche analytische Zugriffsmöglichkeiten auf jene komplexen Dynamiken darstellen, unter denen Lern-, Erziehungs- und Bildungsprozesse in und von Organisationen stattfinden.

2.1       Fallbeispiel Gedenkstättenbesuch: eine Institution und ihre Bedeutung für Organisationen

Im Dezember 2017 wurde im Rahmen einer Demonstration in Berlin eine Israel-Flagge verbrannt. Die Demonstration unter Beteiligung vieler Personen mit muslimischer Herkunft richtete sich gegen die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Bezugnehmend auf dieses Ereignis äußerte sich ein paar Tage später die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli; sie fordert einen KZ-Gedenkstätten-Pflichtbesuch auch für Migrant*innen. Im Wortlaut heißt es: »ich halte es für sinnvoll, wenn jeder, der in diesem Land lebt, verpflichtet würde, mindestens einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenkstätte besucht zu haben« (Die Welt, 7.1.2018). Das gelte, so Chebli weiter, »auch für jene, die neu zu uns gekommen sind. KZ-Besuche sollten zum Bestandteil von Integrationskursen werden« (ebd.). Cheblis Forderung ist allerdings keine neue Erfindung, vielmehr eine anlässlich antisemitischer Eskalationen migrationspolitische Wiederholung und Erneuerung eines etablierten Topos. Ein verpflichtender NS-Gedenkstättenbesuch wurde etwa schon 2015 vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, für alle Schüler*innen an deutschen Schulen gefordert. So verwundert es nicht, dass der aktuelle Vorstoß hier große Unterstützung erfährt (FAZ vom 12.1.2018). Die unmittelbaren Reaktionen auf diese Forderungen sind aber kontrovers. So warnt Günther Morsch, ehemaliger Leiter der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, in unmittelbarer Reaktion auf Cheblis Vorschlag gegenüber der FAZ vor der Kontraproduktivität zwangspädagogischer Maßnahmen (ebd.). Ähnlich wie bereits 2015 in der Reaktion des damaligen Leiters der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge, der auf die von Schuster formulierte Forderung vor möglichen Folgen eines »aufgezwungenen Gedenkens« warnt (ZEIT 18/2015), wird hier darauf verwiesen, dass die Diversifizierung der Herkünfte und kulturellen Hintergründe der Gedenkstättenbesucher*innen in heterogenen Gesellschaftskonstellationen unterschiedliche Vermittlungs-, Auslegungs- und Aneignungszusammenhänge erforderlich machen (FAZ vom 12.1.2018). Auch im bildungspolitischen Diskurs wird kontrovers Position bezogen. Während Landespolitiker in Bayern den Forderungen Cheblis und Schusters beipflichtend auf den verpflichtenden Gedenkstättenbesuch im bayerischen Lehrplan verweisen, spricht sich der thüringische Bildungsminister Holter gegen eine derartige Verpflichtung aus und verweist darauf, dass in Lehrplänen Kompetenzen und nicht Methoden festgelegt sind, die Einzelschule demnach die Freiheit haben muss, die Art und Weise der Vermittlung der Kompetenz selbst zu bestimmen (Tagesspiegel vom 8.1.2018). Wieder anders verläuft die Debatte in Berlin-Brandenburg. Ein verpflichtender Besuch eines außerschulischen Lernorts ist hier explizit Bestandteil des Rahmenlehrplans, wenngleich der Ort Gedenkstätte (hier breiter gefasst, da er sich auch auf DDR-Gedenkstätten bezieht) nur als ein möglicher außerschulischer Lernort unter anderen angezeigt wird. Allerdings: Mit explizitem Bezug auf antisemitische Eskalationen in der Hauptstadt bezieht im Juni 2018 der Berliner Senat mithilfe von Expert*innen (Schulpädagog*innen, Historiker*innen) eindeutig Stellung. In einem Fachbrief wird mit Verweis auf den genannten Rahmenlehrplan festgestellt:

»Betrachtet man die thematischen Schwerpunkte des Doppeljahrgangs 9/10 sowie des dritten und vierten Semesters in der Oberstufe, stünde zu erwarten, dass so gut wie jede Berliner Schülerin und jeder Berliner Schüler vier Mal im Laufe seiner Schulkarriere einen außerschulischen Lernort mit Bezug zur NS-Diktatur oder zur DDR-Geschichte besucht hat« (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2018).

Im Anschluss an diese Feststellung findet sich im Fachbrief eine ausführliche Darlegung, warum ein Gedenkstättenbesuch notwendig mit den Inhalten des Rahmenlehrplans korrespondiert und wie dieser didaktisch zu bewerkstelligen ist.

Was kann uns diese – aktuell migrationsbezogene, schon länger auf alle Schüler*innen und damit auf jede Schule bezogene – Debatte über einen verpflichtenden Gedenkstättenbesuch im Hinblick auf das Verhältnis von Organisation und Institution sagen? Weshalb stellen wir sie an den Anfang unserer systematischen Annäherung an Gegenstand und Erkenntnisinteresse der Organisationspädagogik? Auf diese Fragen können zunächst fünf kurze Antworten gegeben werden:

Erste Antwort: Es zeigt sich an diesem Beispiel das für die Organisationspädagogik grundsätzlich zu beachtende Spannungsverhältnis von Institution und Organisation(en). Mit der Forderung eines Pflichtbesuchs einer NS-Gedenkstätte wird eine bekannte und erinnerungskulturell etablierte Norm und Verfahrensweise aufgerufen. Genauer: Mit den in politischen Kontexten artikulierten Forderungen verbindet sich eine institutionelle Erwartungshaltung. Sofern unter Institution eine gesellschaftliche Einrichtung im Sinne eines normativen Regelsystems verstanden wird (s. u), handelt es sich beim geforderten KZ-Gedenkstättenbesuch um eine Institution. Diese entfaltet ihre Wirksamkeit als Anspruch vor allem dadurch, dass sie sich an konkrete Organisationen richtet: Die Institution NS-Gedenkstättenbesuch wird vor allem mit Schulen verbunden, genauer: von Schulen wird die Umsetzung bzw. Realisierung der Institution NS-Gedenkstättenbesuch erwartet. Wie der eingangs skizzierte Fall zeigt, richtet sich diese (diskursive) Erwartung darüber hinaus auch an andere Bildungsorganisationen, sofern diese Integrationskurse anbieten, etwa an Volkshochschulen bzw. Bildungszentren in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft. Der Grad der Institutionalisierung des Gedenkstättenbesuchs ist in verschiedenen Organisationen unterschiedlich stark ausgeprägt. So verweisen die mit den Forderungen verbundenen Debatten um die Richtigkeit und Praktikabilität eines Gedenkstättenbesuchs darauf, dass dessen Institutionalisierung kein linearer Transferprozess von bildungspolitischen Setzungen zu organisationalen Praktiken darstellt. Vielmehr zeigt sich hier ein mehr oder weniger offener Prozess pädagogisch-programmatischer Auseinandersetzung. Für NS-Gedenkstätten, die auch selbst als Organisationen – aber eben nicht als schulanaloge Bildungsorganisationen – begriffen werden können, zeigt sich dies in der kontroversen Positionierung von Gedenkstättenleitungen gegenüber der bildungspolitischen Forderung, als verpflichtender Lernort zu fungieren. Für Schulen als Bildungsorganisationen zeigt sich dies in der bundeslandspezifischen Bearbeitung der institutionellen Erwartungshaltung: Während in Bayern der Gedenkstättenbesuch verpflichtender Bestandteil des Lehrplans ist, jede Schule also aufgefordert ist, in Jahrgangsstufe 9/10 den Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers durchzuführen sowie vor- und nachzubereiten, sieht dies für Schulen in Berlin-Brandenburg anders aus. Hier ist ein verpflichtender Besuch nicht explizit Bestandteil des Rahmenlehrplans, allerdings wird die Institution Gedenkstättenbesuch über schriftliche Repräsentationen und Positionierung des Senats an die Einzelschulen herangetragen.

Zweite Antwort: Die migrationspolitische Erneuerung der Institution NS-Gedenkstättenbesuch stellt verschiedene Organisationen (Schulen, Integrationskursträger, Gedenkstätten) vor die Herausforderung der praktischen Umsetzung bzw. Gestaltung dieses Besuchs. So nimmt die Forderung eines NS-Gedenkstättenbesuchs die jeweilige (Bildungs-)Organisation formal und strukturell in die Pflicht, den Besuch in Form von Exkursionen nicht nur lehrplanbezogen zu begründen, sondern auch in den schulischen Alltag zu integrieren (Schule), den Besuch in eine bestehende Kombination aus Orientierungs- und Sprachkurs einzubinden (Integrationskursträger) bzw. sich in Korrespondenz zu Lehrplänen und politischen Erwartungshaltungen als Lernort zu konzipieren (Gedenkstätte). Dies verlangt nach konkreten Prozessen des Organisierens: die Entsprechung der Institution NS-Gedenkstättenbesuch erfordert Vorgänge eines zielorientierten, antizipierenden und sinnhaften Planens, Steuerns und Kontrollierens von Wissensvermittlungsprozessen.

Dritte Antwort: An dem Fallbeispiel lässt sich zudem ablesen, dass Organisationen als Kontexte funktionieren (sollen). Gedenkstätten, Schulen und Integrationskurse sind oder bieten in dieser Hinsicht die organisationalen Rahmenbedingungen (materiell, räumlich, zeitlich), unter denen nicht nur Wissen über die Sache, sondern auch normative Regelsysteme bzw. gesellschaftliche Handlungsvorstellungen vermittelt und angeeignet werden sollen.

Vierte Antwort: Die oben gegebenen Hinweise bezüglich der Unterschiedlichkeit des Institutionalisierungsprozesses eines Gedenkstättenbesuchs in den unterschiedlichen (Bildungs-)Organisationen verweist darauf, dass Organisationen als Akteure relevant sind. Die konkrete Schule A bzw. die konkrete Gedenkstätte Y repräsentiert nicht einfach nur generelle Normen und Strukturen, sondern agiert in Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte und den spezifischen Erfahrungen ihrer eigenen Praxis auf sehr unterschiedliche Weise als ein soziales Gebilde: Im alltäglichen Miteinander-Arbeiten und -Leben entwickeln Organisationen spezifische Strukturen, Routinen und Muster, die eine jeweils eigene, Institutionen tradierende und/oder transformierende Praxis erzeugen.

Fünfte Antwort: Die in den in Antworten 2 bis 4 skizzierten Dimensionen einer pädagogischen Thematisierung von Organisation(en) sind auch in normativer Hinsicht zu reflektieren. Der normative Anspruch formuliert sich in der Frage nach der Organisation als Ermöglichung und Bedrohung menschlicher Existenz. Deutlich wird dies etwa dann, wenn die Institution bzw. institutionelle Erwartungshaltung eines NS-Gedenkstättenbesuchs organisational als Möglichkeitsraum einer heterogenen Gesellschaftskonstellationen entsprechenden Schaffung neuer Vermittlungs- und Aneignungszusammenhänge oder als Nötigung zur Erinnerung verhandelt wird.

Vor dem Hintergrund einer systematischen und begrifflichen Differenzierung von Organisation und Institution (Kap. 2.2) können die in den Antworten 2 bis 5 kursorisch angedeuteten Dimensionen einer organisationspädagogischen Gegenstandsbestimmung genauer ausgearbeitet werden: Organisation als pädagogische Praktik (Kap. 2.3), Organisation als Kontext pädagogischer Prozesse (Kap. 2.4), Organisation als Akteur und Adressat pädagogischer Praxis (Kap. 2.5) sowie Organisation als Ermöglichung und Bedrohung menschlichen Seins (Kap. 2.6).

2.2       Begriffsklärung: Institution und Organisation

Pädagogische Praxis findet in Einrichtungen statt. Einrichtungen – und dies gilt vor allem für den pädagogischen Diskurs – werden oftmals uneinheitlich als Institutionen oder Organisationen gefasst (vgl. Kuper 2008, Göhlich 2014a). Für die Organisationspädagogik ist eine begrifflich-konzeptionelle Verhältnisbestimmung von Organisation und Institution aus mindestens zwei Gründen bedeutsam: Erstens richtet die Organisationspädagogik ihr Augenmerk auf die Organisation als Kontext, Adressat und Akteur pädagogischer Praxis. Damit etabliert sie eine Perspektive, die die Meso-Ebene pädagogischer Praxis fokussiert und Organisation (im Sinne eines sozialen Gebildes) systematisch von Institution (im Sinne eines Regelsystems) unterscheidet. Zweitens stehen Organisation und Institution als Phänomene menschlicher Praxis in einer konstitutiven Beziehung zueinander, insofern die Organisation als soziales Gebilde Institutionen inkorporiert und diese zugleich bearbeitet und ggf. verändert. Im Folgenden soll diese doppelte Verhältnisbestimmung ausführlicher begründet werden.

Beginnen wir mit einer Arbeitsdefinition für den Begriff der Institution: Wissenschaftliche Verwendungen versuchen die begriffsgeschichtlich mit Institution thematisierten Momente der Einrichtung und der Gewohnheit (lat. institution) sowie des Errichtens und des Organisierens (lat. instituere) theoretisch einzuholen. In sozialphilosophischen und soziologischen Arbeiten wird unter Institution vor allem ein normatives Regelsystem mit gesellschaftlicher Geltung verstanden (vgl. etwa Blume 2008, Immergut & Jäger 2008, 548) und damit auf die Bedeutung der mit diesem Begriff verbundenen Funktionen menschlicher Bedürfnisbefriedigung und gesellschaftspolitischer Steuerung verwiesen. Institutionen sind im Sinne einer »ideé directrice« (Harriou 1965) als sozialer Orientierungsrahmen zu verstehen oder – wie es Theodor W. Adorno einmal formuliert – als »alle möglichen objektiven Einrichtungen, Tatbestände und Gegebenheiten des Soziallebens, von denen die Menschen abhängen und auf die sie selbst wiederum zurückwirken« (Adorno, zit. nach HKWM 6/II 2004, Sp. 1221). Wir können dieser Begriffsauffassung von Institution als soziale Vorgabe zunächst folgen, erweitern sie aber später aus organisationspädagogischer Sicht um den Hinweis, dass die aus der Institution abgeleitete Verbindlichkeit für menschliches Handeln in Organisationen besonders wirksam wird.

Der Begriff der Organisation impliziert in seiner wissenschaftlichen Verwendung auch Mehrdeutigkeit. In seinem fundamentalen Doppelsinn verweist der Begriff erstens auf eine strukturierte Handlungseinheit, die Organisation als Einrichtung, und zweitens auf eine geplante Handlungskoordination, den Prozess des Organisierens (vgl. Ortmann et al. 1997). Hiermit korrespondieren gängige organisationswissenschaftliche Differenzierungen in Aufbau- und Ablauforganisation (z. B. Timmermann & Strikker 2007) oder auch die begriffstheoretische Unterscheidung zwischen einem institutionellen und einem instrumentellen Organisationsverständnis (Schreyögg 2016). In diesem Sinne entspricht die Vorstellung der Organisation als strukturierte Handlungseinheit, die eine gesatzte Ordnung (Weber 1956) von Regeln, Hierarchie und auch Mitgliedschaftsbestimmung aufweist, einem institutionellen Verständnis von Organisation, während die Vorstellung von Organisation als geplante Handlungskoordination einem instrumentellen Organisationsverständnis gleichsteht. Diese sehr dualistische Begriffsklärung hat der Organisationswissenschaftler Günther Ortmann mit der Figur der Rekursivität irritiert und erweitert (Ortmann 2003). Organisation meint hier die Organisiertheit als Resultat des Organisierens: Demnach ist Organisation kein starres Strukturgebilde, sondern als eine praktische Entität zu begreifen, die sich im Prozess des Organisierens organisiert.

Ein mit diesen vorläufigen Begriffsklärungen versehener Blick auf den pädagogischen Diskurs lässt erkennen, dass die Debatte um pädagogische Einrichtungen lange Zeit nur auf Institutionentheorie Bezug nahm. Zum Teil wurde gar der Terminus Institution lediglich als latinisierte Bezeichnung für (hier: pädagogische) Einrichtungen verwendet. Jedenfalls bis Ende des 20. Jahrhunderts erfolgte eine Verwendung des Begriffs überwiegend ohne Bezug – oder mit abwehrendem Bezug – zum Begriff der Organisation (Göhlich 2014a). Dass Institutionen hinsichtlich ihrer erzieherischen Funktion und Wirkung sowie hinsichtlich der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Bildungsprozessen eine zentrale theoretische Referenzkategorie des pädagogischen Diskurses waren und sind, darauf verweist eine vielseitige Debatte innerhalb der Pädagogik: es finden sich systematische Versuche für den Begriff der pädagogischen Institution (Giesecke 1987, Benner 2001, Göhlich 2001, Merkens 2006) wie auch pädagogisch-anthropologische Konzeptualisierungen des Verhältnisses von Institution und Vermittlung kulturellen Wissens (Liebau et al. 2001) und schließlich auch methodologische Überlegungen zu einer erziehungswissenschaftlichen Institutionenforschung (Kuper & Thiel 2010). Zusammenfassend lässt sich konstatieren (ausführlicher vgl. Göhlich 2014a, Engel 2020), dass hier Institutionen vornehmlich als Orte gedacht und in kein theoretisch differenziertes Verhältnis zum Begriff Organisation gesetzt werden, welcher seinerseits, wenn überhaupt, in der Regel »instrumentell« verwendet wird.

Für die relativ junge subdisziplinäre Formation der Organisationspädagogik (Kap. 3) ist demgegenüber Organisation begrifflich primär. Institution interessiert aus organisationspädagogischer Sicht vornehmlich zur Schärfung des Organisationsbegriffs. So basiert die vorliegende Einführung in die Organisationspädagogik auf folgender Definition: Im Anschluss an ein institutionelles Organisationsverständnis (s. o.) verstehen wir eine konkrete Organisation, z. B. die Schule am A-Weg, der Sozialdienst in B-Stadt, das Unternehmen in C-Dorf, oder, um auf das Eingangsbeispiel zurückzukommen, die Gedenkstätte in D-Hausen, als ein mit bestimmten Mitgliedern, Artefakten, Prozeduren, Regeln und Grenzen versehenes menschliches Sozialgebilde, das sich in kooperativer sozio-korporaler Praxis generiert und (re)aktualisiert und dabei einerseits Institutionen (d. h. Regelsysteme mit gesellschaftlicher Geltung) aus der Umwelt inkorporiert und andererseits Praktiken und Praxismuster generiert, die ihrerseits wiederum in die Gesellschaft eingespeist und dort ggf. zu Institutionen werden. Im Unterschied zur oben skizzierten, im pädagogischen Diskurs über lange Zeit dominanten Sichtweise sind aus unserer Sicht also weder Institution als Ort noch Organisation (nur) als regelgeleitetes Tun zu denken. Organisationen sind vielmehr – jeweils besondere und jeweils eigenartige – soziale Entitäten, in denen sich Praxis auf eine bestimmte Art und Weise vollzieht (durchaus auch als Vorgang des Organisierens) und die sich selbst als Praxis reproduzieren. Institutionen hingegen sind Regelsysteme mit gesellschaftlicher Geltung, die organisationspädagogisch interessieren, weil und insofern als sie von einer konkreten Organisation (z. B. vom Unternehmen W, vom X-Gymnasium, von der VHS Y, von der Z-Klinik) inkorporiert werden.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der Begriff der Organisation gegenüber dem der Institution systematisch in eine andere Stellung bringen. Dies geschieht im Folgenden im Anschluss an die sozialphilosophische Debatte um Institution (vgl. ausführlich Engel 2020): Hier kann zwischen Theoriepositionen unterschieden werden, die Institutionen als auf Dauer gestellte und zu wahrende Ordnungen begreifen, und solchen, die eben diese Funktion als für den historischen Prozess der gesellschaftlichen Integration als problematisch erachten. In grundsätzlichem Einverständnis bzgl. der sozialen Orientierungsfunktion sehen erstere Institutionen als Ermöglichungsgrund des sozialen Lebens (z. B. Gehlen 1964, Schelsky 1970, Durkheim 1965, Parsons 1968), letztere hingegen problematisieren Institutionen als starre Gehäuse, die ein bestimmtes soziales Verhalten einfordern und aufzwängen (z. B. Habermas 1970, Apel 1962, Gramsci 1996). Beide hier skizzierte Momente der Institutionalisierung – der Leben ermöglichende wie der Leben einschränkende oder zerstörende – lassen sich in einer kulturwissenschaftlicher Perspektive zusammenführen: Institutionalisierung ist dann als ein riskanter Verstetigungsprozess von Kultur (kulturellen Regeln, Gewohnheiten, Normen) grundsätzlich in einer doppelten Übersetzungsbewegung zu verorten, in der die geschlossene Reproduktion von Institutionen (also die Standardisierung und Routinisierung von Normen für das Handeln) bzw. deren Überwindung und Transformation zur Verhandlungssache wird. Institutionen sind in dieser Perspektive als identitätsstiftende Probleme von Relevanz (Engel 2020), denen das doppelte Potential der Ermöglichung wie Zerstörung sozialen Lebens innewohnt. Organisationen hingegen können als Arenen gefasst werden, in denen Institutionen angeeignet und in der Aneignung übersetzt werden. Detaillierter betrachtet: Organisationen sind Arenen, in denen die geschlossene Reproduktion von Institutionen (also die Routinisierung und Formalisierung von Normen) vollzogen bzw. deren Problematisierung und Öffnung verhandelt wird. Institutionalisierungen können so als Vorgänge verstanden werden, die in und durch Organisationen erstens formalisierend einschränkend wirken können (indem Routinisierungen zur Exklusion führen und die Artikulation kultureller Differenz verhindert), zweitens dabei aber nicht nur zerstören, sondern auch jene gesellschaftliche Institutionen festigen, denen das Potenzial der Ermöglichung einer Artikulation von Differenz und sozialer Teilhabe innewohnt und die drittens im Rahmen der Tradierung von kulturellen Ordnungen das Potential des Widerstands und der Problematisierung von Sinn und Identität mitführen (vgl. ebd.). Mit Fabian Kessl lässt sich hier die Notwendigkeit einer Einsicht in die »Dialektik der Institutionalisierung« herausstellen, der zufolge »Institutionalisierung […] weder auf einen ermöglichenden Prozess […] noch auf einen begrenzenden Prozess« (Kessl 2020, 101) zu reduzieren ist, vielmehr gilt es aus pädagogischer Sicht eine institutionenkritische Perspektive zu erweitern, indem die »Institutionalisierungsbedürftigkeit« (ebd., 100) des Pädagogischen und das kräftigende Potential der Institutionalisierung Beachtung findet. Organisationspädagogisch ist dieser doppelte Blick bedeutsam, da der organisationale Ausdruck der Institutionalisierung nicht per se in reglementierenden Routinen zu sehen ist, sondern immer in der Option ihrer Übersetzung.

Organisation, Institution, Institutionalisierung

Der wohl am einfachsten nachvollziehbare Unterschied zwischen Organisation und Institution besteht darin, dass Organisationen und Institutionen als Produkte menschlicher Praxis sich durch einen jeweils anderen sozialen Aggregatzustand kennzeichnen. In eine Organisation (z. B. Schule A am B-Weg) können wir als Mitglied eintreten; zumeist können wir sie auch betreten, jedenfalls in ihrer Materialität und Sozialität sinnlich wahrnehmen. Bei einer Institution (z. B. Schulpflicht) ist das nicht ohne Weiteres möglich; vielmehr erfahren wir diese mittelbar in und durch die (Prozesse der) Organisation.

Organisationen sind konkrete, durch die Geschichtlichkeit menschlicher Praxis materialisierte und sich in der Praxis (des Organisierens) fortwährend materialisierende, zweckbezogene menschliche Sozialgebilde. Sie sind praktisch erzeugte Gebilde (meist nicht nur mit Mitgliedern, Regeln und Routinen, sondern auch mit manifesten Räumen, Werkzeugen und Materialien ausgestattet), die prinzipiell veränderbar sind (Kap. 5.3).

Institutionen sind auf Dauer gestellte handlungsregulierende Ordnungen, in denen kulturelle Normen verankert sind. Sie wirken auf das Subjekt einerseits einschränkend, bedrohend und beherrschend, andererseits fungieren sie als Mechanismen zur Bewältigung von Kontingenz, konkreter: zur Lösung von gesellschaftlichen Konfliktlagen und von Problemen menschlicher Handlungskoordination.

Der Begriff der Institutionalisierung als verbindendes Moment meint schließlich Prozesse der Formalisierung, Routinisierung und Standardisierung, die sich in und durch Organisationen tagtäglich vollziehen und dabei Institutionen wirksam werden lassen und hervorbringen können.

Die begriffliche Differenzierung und systematische Bestimmung des Verhältnisses von Organisation(en) und Institution(en) ermöglicht es in vierfacher Hinsicht, Organisation als Gegenstand organisationspädagogischen Sehens und Denkens zu konkretisieren.

2.3       Organisation als pädagogische Praktik

In einem ersten Zugriff lässt sich Organisation als pädagogische Praktik fokussieren (vgl. Engel 2021). Organisieren ist demnach der zentrale Modus jeder – auch jeder pädagogischen – Einrichtung, da selbige über Prozesse und Praktiken des Organisierens die Regelmäßigkeit, Planbarkeit, Reproduzierbarkeit von Strukturen und alltäglichen Abläufen sicherstellt. Im Modus des Organisierens werden institutionelle Vorgaben und Erwartungen aus dem Umfeld in das Innere einer Organisation transportiert, tradierte oder liebgewonnene Gewohnheiten reproduziert, aber auch neue Versionen des Miteinander-Arbeitens erprobt. Am konkreten Beispiel einer bayerischen Schule und dem einrichtungsspezifischen Umgang mit der Institution des NS-Gedenkstättenbesuches lässt sich dies gut verdeutlichen: Als Teil des Curriculums ist jede bayerische Schule verpflichtet, den NS-Gedenkstättenbesuch zu curricular festgelegten Zeiten in das Unterrichtsgeschehen einzubauen. Dieser Umstand erfordert vielfältige Prozesse des Organisierens und Planens. Administrativ müssen Unterrichtsabläufe geregelt, Absprachen und Vereinbarungen mit Eltern, anderen Lehrkräften und schließlich anderen Einrichtungen getroffen werden. Pädagogisch geht es im Sinne der Erzeugung systematischer Lernanregungen um Prozesse des Organisierens als Teil der Unterrichtsplanung. Vorstellbar ist hier sowohl, dass die erforderlichen Praktiken des Organisierens eines NS-Gedenkstättenbesuches auf gewohnte Prozeduren und etablierte Strukturen zurückgreifen, als auch, dass neue Varianten eines Besuches erprobt werden. Ein so gedachter Prozess des Organisierens reproduziert oder irritiert Prozessgewissheit, (re-)konstituiert damit aber auch die Organisation als strukturelles Gebilde. Deutlich wird diese strukturbildende bzw. -reproduzierende Funktion des Organisierens etwa bei Dieter Timmermann & Frank Strikker (2007), die »[p]ädagogisches Handeln als Organisationshandeln« (ebd., 155) konzipieren; als ein Handeln, das sowohl das Organisieren pädagogischer Prozesse meint (Ablauforganisation) als auch auf das strukturelle und rationale Ordnen aller in einer pädagogischen Organisation erforderlichen Handlungen abzielt (Aufbauorganisation). Timmermann & Strikkers Annäherung an Organisation als pädagogische Begrifflichkeit erfolgt augenscheinlich über eine instrumentelle Auffassung von Organisation. Demzufolge bedarf pädagogisches Handeln als Erzeugung systematischer Lernanregungen der Organisation im Sinne der Herstellung und Aufrechterhaltung »strukturierter sozialer Lernräume bzw. auf diesen Zweck hin geschaffener Organisationen« (ebd., 168). Entscheidend ist dabei, dass sich pädagogisches Handeln als Organisationshandeln nicht nur auf das pädagogische Gegenüber und den gemeinsamen Gegenstand bezieht, sondern auch »auf die Gestaltung dieses sozialen Lernraumes und seiner Ordnung selbst« (ebd.). Eine systematischere Thematisierung und Spezifizierung des Organisierens als pädagogische Operation leisten Timm Feld & Wolfgang Seitter (2017). Sie kennzeichnen das Organisieren als »eine ubiquitäre, vorgelagerte, mitlaufende, integrierte und unscheinbare Dimension pädagogischen Handelns« (ebd., 50) und verstehen es vor dem Hintergrund der Reflexion einer pädagogischen Bearbeitung des Organisationsbegriffs als fundamentales »Steuerungs- und Strukturierungshandeln« (ebd., 61), das in der Koordination von menschlicher Interaktion, in der Regulierung von Einrichtungsabläufen sowie in der Gestaltung von kollektiven Räumen »Handlungskorridore für gewünschtes individuelles Handeln« (ebd.) erzeugt. Organisieren ist demnach nicht nur ein »lernbezogenes Metahandeln« (ebd., 52), sondern »das Pädagogische des Organisierens erschließt sich in dieser Perspektive als ein – selbst systematisch – angelegter Lernprozess der Angleichung/Passung des Organisierens und seiner Funktionalität für pädagogische Zwecke« (ebd.). Über die zuvor genannte Perspektive Timmermanns & Strikkers hinaus kann hier Organisieren nicht nur als ein bürokratisch-managerialer Vorgang auf pädagogischen Kontext angelegt, sondern als pädagogischer Modus der Eröffnung und Unterstützung von Lern- und Bildungsmöglichkeiten begriffen werden, der selbst einem Veränderungsprozess unterliegt. Der Hinweis auf die Schaffung von Handlungskorridoren durch das Organisieren eröffnet die Möglichkeit, die Bedeutung des Organisierens für die Organisation zu thematisieren und die Praktiken des Organisierens in einen unmittelbaren Zusammenhang mit Prozessen organisationalen Lernens zu stellen (Kap. 5.1 und Kap. 5.2). So geht es nicht nur um ein Lernen in Organisationen, das durch Praktiken des Organisierens instituiert und unterstützt wird, sondern immer auch um ein Lernen der Organisation als Sozialgebilde, dem eine Veränderung der Praktiken des Organisierens zugrunde liegt.

Organisieren

Prozesse und Praktiken des Organisierens sind einerseits ordnende, planende und strukturierende Vorgänge, die beschränkende wie eröffnende Korridore pädagogischen Handelns erzeugen. Anderseits sind Prozesse und Praktiken des Organisierens selbst pädagogisch verfasst, insofern sich Organisationen über eben solche Prozesse weiterentwickeln.

2.4       Organisation als Kontext pädagogischer Prozesse

Organisationen im Sinne einer strukturierten Umgebung oder eines organisierten Handlungskorridors können als Rahmen bzw. Rahmenbedingungen pädagogischer Prozesse begriffen werden. Diese Perspektive ist dem pädagogischen Diskurs tief eingeschrieben, da Organisationen (ggf. als Institutionen bezeichnet, s. o.) als Kontexte für Erziehungs-, Bildungs- und Lernprozesse seit alters her von Relevanz sind. Unmittelbar verbunden mit dieser Auffassung ist die Frage nach den organisationalen (bzw. institutionellen