9,99 €
1921 reiste der später weltberühmte Autor John Dos Passos durch den Orient – schon damals eine hochexplosive Gegend – und hielt seine Eindrücke in einem Tagebuch fest. Diese abenteuerliche Reise führte den damals 25-Jährigen von der Türkei über Georgien, Armenien, den Iran und den Irak bis nach Syrien. Sein packender Bericht liest sich wie eine Mischung aus Abenteuerroman und der hellsichtigen Analyse eines dramatischen Umbruchs, der bis heute fortwirkt. Geschrieben in knapper Präzision, mit ansteckender Neugier und Beobachtungsgabe, ist das Werk, mit dem Dos Passos dabei war, zu einem der wichtigsten Schriftsteller der amerikanischen Moderne zu werden, jetzt erstmals auf Deutsch zu entdecken.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 257
Nagel & Kimche E-Book
John Dos Passos während seiner Wüstenreise 1921/22. John Dos Passos Papers, 1865–1999, Accession Nr. 5950, Box 130, Folder ‹Desert Journey›, Special Collections, University of Virginia Library, Charlottesville, VA.
John Dos Passos
ORIENT-EXPRESS
Aus dem Englischen von
Matthias Fienbork
Mit einem Nachwort von
Stefan Weidner
Nagel & Kimche
© 1927 by John Dos Passos, renewed © 1955 by John Dos Passos
Titel der Originalausgabe: Orient Express
Das Buch erschien erstmals 1927 bei Harper & Brothers, New York und London.
Vorlage der vorliegenden Ausgabe: John Dos Passos,
Travel Books and Other Writings 1916–1941,
The Library of America, New York 2003, S. 125–267
© 2013 Nagel & Kimche
im Carl Hanser Verlag München
Herstellung: Andrea Mogwitz und Rainald Schwarz
Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann
Karte: © Peter Palm, Berlin
ISBN 978-3-312-00562-8
Unser gesamtes lieferbares Programm
und viele andere Informationen finden Sie unter:
www.hanser-literaturverlage.de
Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/HanserLiteraturverlage oder folgen Sie uns auf Twitter: www.twitter.com/hanserliteratur
Datenkonvertierung E-Book:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
INHALT
I Nach Osten
II Stambul Juli 1921
III Trapezunt
IV Roter Kaukasus
V Hundert Ansichten des Ararat
VI Kaleschen
VII Moharram
VIII Auf dem Pilgerweg
IX Bahnhof Bagdad
X Die steinige Wüste von Damaskus
XI Table d’hôte
XII Der Homer der Transsibirischen Eisenbahn
XIII Kif
XIV Postflugzeug
Anmerkungen
Im wilden Osten
Hoity-toity
Cha de noite
Sea’s still high
An’ sky’s all doity
sangen sie, hielten sich dabei am Bartresen fest und bekämpften die Seekrankheit mit Madeira. Die anderen Passagiere saßen, grün im Gesicht, auf der Bank gegenüber. Jedes lange Rollen der Mormugão endete mit einer ruckartigen Bewegung und einem bedenklichen Rattern aus der Richtung des Maschinenraums. Draußen brüllte der Wind, Gischt flog, und immer tiefer versank das Schiff in den Wellentälern. Drinnen wurde der Madeira in der dunkelbraunen Flasche immer weniger, und immer lauter sangen die ostwärts fahrenden Amerikaner in die schiefen erbsgrünen Gesichter der aufgereiht dasitzenden Passagiere
Sea’s still high
An’ sky’s all doity.
Später fahren wir bei leichtem Seegang, hinter uns ein feuchter Westwind. Der ganze Madeira ist ausgetrunken. Himmel und Meer verschwimmen zu einem endlos weiten Dunstschleier, distelsilbern im verborgenen Mondlicht. In diesem Schleier bläst der feuchtnasige Wind den Frühling ostwärts, der als Regen auf Lissabon, San Vicente und Madrid fällt, in Marseille und Rom an die Fenster trommelt, auf überwucherten Friedhöfen in Stambul das Unkraut antreibt. Hin und wieder bricht der Dunstschleier auf, und ein winziger runder Mond zeigt sich inmitten wirbelnder Wolkenfetzen, die bauchige Klumpen und lange dünne Streifen bilden, hell und zerknittert wie Silberpapier.
Zitternd gräbt sich der Bug in jeden neu daherkommenden Berg. Eine Bö verbirgt den Mond, spritzt mir nervös Regen auf den Kopf und eilt weiter, hinterlässt Streifen von klarem Mondlicht im Osten, wo die Inseln sind. Dann sind wir wieder eingehüllt in distelfarbenem Dunst. Zusammengerollt schlafe ich im V des Bugs ein.
Als ich die Augen öffne, hat sich der Wind gelegt. Nur ein paar Wolkenfetzen treiben in Richtung Osten. Die See liegt hell und quecksilberschwer unter dem stillen Mond. Kein Laut kommt über das Wasser, dafür ein immer stärker werdender Geruch, der mir in einem Schwall orientalisch warmer Luft entgegenschlägt, ein Geruch von Rosen und sonnengetrocknetem Dung, unangenehm wie Stinkkohl, darüber Hyazinthen, die Schärfe von Moschus und die kühle Lieblichkeit von Veilchen. Stunden später sahen wir im Osten, wolkenumhüllt, den dunklen Kegel des Pico1.
In Ostende legt die Fähre vor einem wuchtigen schwarzen Hotel an. Die Passagiere nach Mitteleuropa und dem Orient treten, nachdem sie die Pass- und Zollkontrolle passiert haben, durch die hohe, tragisch schwarze Tür in einen großen Speisesaal, in dem einige spärliche runde Tische stehen. Sie setzen sich an die Tische, der Klang von Unterhaltungen in mehreren Sprachen dringt bis an die hohe Kassettendecke und hinaus in die Dunkelheit des regengepeitschten Hafens. Rasch wird bestellt und gegessen, gelegentlich ein unruhiger Blick zur Uhr. Sobald die Leute fertig sind, nehmen sie in den verschiedenen Zügen ihre Plätze ein, die sie zuvor mit Gepäckstücken belegt haben. Die Züge sind fast leer, die hohen Hotelfenster mit dunkelgrauen Läden sind verschlossen, die weiten Flächen des Hafens sind leer. Ein Schaffner mit goldener Litze an der Mütze geht auf dem Bahnsteig auf und ab und streicht sich bisweilen über seinen rostfarbenen Schnurrbart.
Am anderen Ende des Bahnsteigs, neben einem Automaten, ist ein Thermometer, laut roter Aufschrift von einem Monsieur Guépratte konstruiert, das die Kälte in Celsius, Fahrenheit und Réaumur anzeigt und außerdem kleine informative Hinweise liefert, wie etwa den, dass 60° die durchschnittliche Temperatur in Pondichéry ist, 35° die angenehmste für ein gewöhnliches Bad, Seidenraupen sich bei 25° am wohlsten fühlen und auch Krankenzimmer.
Es ist noch nicht Abfahrtszeit. Der amerikanische Orientreisende geht zurück durch das Schicksalsportal in das leere Restaurant, wo in arktischer Stille ein Kellner verloren an einem Tisch steht und wie ein Pinguin von einem Bein auf das andere tritt. Dort setzt er sich hin, bestellt einen Cognac-Soda und sagt sich mit leidenschaftlicher Melancholie, dass 60° die Durchschnittstemperatur in Pondichéry ist. Wenn es in Pondichéry sechzig Grad im Schatten sind, wie kalt muss es dann sein, damit in Nischni Nowgorod Wodka gefriert? Michel Strogoff2, sag es mir.En voiture, messieurs, mesdames ... Der amerikanische Orientreisende springt auf, wirft Geld für seinen Cognac auf den Tisch, läuft durch die hohe Tür hinaus auf den nassen Bahnsteig, klettert in den Zug, der sich langsam in Bewegung gesetzt hat.
Abendessen allein neben einem rosagelben Lampenschirm (categoria de lusso), draußen vor dem Fenster die kolorierte Ansichtskarte von San Giorgio Maggiore. Venedig, das Coney Island aller Coney Islands, das Midway der Geschichte, protzige Kulisse für gaffende Touristen, und überall der Geruch von Gezeitenwasser, verrottenden Pfählen, Tümpeln, ein kräftiger Körpergeruch unter dem Lippenstift und dem Parfüm und dem Puder, ein Geruch, traurig amourös wie Kastanienblüten, wie Datura, wie welke Kohlköpfe. Frauen, die auf dem Kai vorbeigehen, tragen das Haar hochgesteckt wie die Prostituierten auf den Bildern von Carpaccio und lange schwarze Seidenschals, deren Fransen noch länger sind als die der Schals der Sevillanerinnen. Ihre Haut ist von frischer gelber Farbe, sie haben ebenmäßige elfenbeinfarbene Nasen. Ein gelegentlich aufflackernder Blitz hinter der Kuppel und dem spitzen Turm von San Giorgio verrät, dass alles bloß inszeniert ist, das Wasser ein genialer Effekt, die Leute auf dem Kai ein Opernchor, ergänzt um ein paar Statisten, der Mond ein kleiner Scheinwerfer.
Ich laufe rasch aus dem Restaurant, um das Schauspiel nicht zu verpassen, eile unter Bäumen entlang, über bucklige Brücken, durch Gassen, sehe durch Kneipentüren Menschen an langen geölten Tischen sitzen und trinken. Rothaarige Mädchen hinter dem Tresen, betrunkene Männer, die vor einem Bordell am Wasser Gitarre spielen, der durchdringende Geruch von Wein und Knoblauch. Überall Gondeln mit singenden Spaghettitenören. Auf der Piazza spielt eine Kapelle Wilhelm Tell, so gut es eben geht, auf dem Canal Grande Santa Lucia, emporgetragen von einem Sopran über dem Gebrumm von fetten Bässen. Der Elektriker hat den Mond ausgeknipst. In dem sternübersäten schwarzen Diorama kann ich den Großen und Kleinen Bären erkennen. Das Glucksen in den Kanälen wäre so prachtvoll imitiert wie die Nilszene in Aida, wenn der unerträgliche Geruch des Wassers nicht wäre, der glitschige Stufen hinaufkriecht, der Geruch von Fauligkeit und vollgelaufenen Kähnen, den kühlen Händen der Adria, die einem an die Gurgel will.
Das Florian; Kellner mit breiter Hemdbrust, eiskrembunte Sonnenschirme, Frauen in leichten Sommerkleidern, weiße Stoffe, unter einem grauen Himmel, den jemand ganz oben auf dem Campanile plötzlich mit flatternden grünen, rosa, gelben Papieren gefüllt hat, die schließlich neben den Tischen landen, Reklame für Lulli’s Toilettenartikel. Junge Männer stolzieren zu viert oder fünft durch die Menge, singen Giovanezza, giovanezza. Irgendwo hinter den prächtigen Fassaden, in verborgenen Gassen, um die Touristen nicht zu verschrecken, werden Kämpfe ausgetragen. Etwas liegt in der Luft, weshalb man sich unwohl fühlt inmitten des Geplappers im Florian. An jeder Mauer stehen die Lettern VV LENIN oder M LENIN. Im schwindenden Licht eines gelben Sonnenuntergangs schlendere ich ziellos über das marmorne Pflaster. Ein Boot mit ockerfarbenem Segel, das in der Mitte einen großen dunkelroten Flicken hat, gleitet langsam auf dem narzissengelben Wasser dahin, ein schwarzer Kahn mit vier Männern, die in mühelosem Gleichklang rudern, entfernt sich in Richtung Lido. Unter einem Bogengang hinter mir schauen ein paar Leute auf eine Parole, dicke runde Buchstaben in schwarzer Kreide:
DIESE BANDE MUSS STERBEN
«Ah ja», sagt der schnurrbärtige Herr mit Strohhut zu den anderen. «Das bedeutet: Tod den Socialisti.»
Dreimal täglich im schaukelnden Speisewagen. Erst durch das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dann durch Bulgarien und ein Eckchen Griechenland. Da ist die Dame aus Wellesley, die für den Atlantic Monthly schreibt; ein eiförmiger Armenier aus New York, der im Kloster San Lazzaro in Venedig zur Schule ging, in Asolo Malerei studiert hat, Priester, Pfarrer und Balkanküche hasst und wehmütig von Tiffany’s und dem alten Martin’s Restaurant auf der Achtundzwanzigsten Straße erzählt; ein zweiter Armenier, dessen Mutter, Vater und drei Schwestern in Trapezunt vor seinen Augen von den Türken in kleine Stücke zerhackt wurden; außerdem ein großgewachsener stahlgrauer Standard-Oil-Mann, sehr groß mit einem kleinen Bäuchlein von der Form eines halben Fußballs. Er sagt, er kann Leute auf den ersten Blick beurteilen, und den ganzen Tag sitzt er da und schreibt für seine Lieblingsnichte Knittelverse über seine Reisen. Dann gibt es noch einen Mann mit einer Uhr mit vielen Stempeln, der wie ein Auktionator von der Vierzehnten Straße aussieht, sowie zwei hagere Kolonialengländerinnen. Das alles vor einem immer neuen Hintergrund von blassen Balkanmenschen mit mächtigen Nasen und dunklen Ringen unter den Augen.
Zwischen den Mahlzeiten sitze ich in der Abgeschiedenheit meines kleinen grünen Abteils voller Knöpfe und Stangen aus Nickel und lese Diehl3, der todlangweilig ist, gelegentlich unterbrochen von Passkontrolleuren, Zollbeamten, Detektiven, Geheimpolizisten oder dem Schaffner, einem älteren Belgier, der wie eine Lokomotive keucht, unendlich erschöpft vom zu vielen Unterwegssein, zu vielen gezählten Telegraphenstangen, zu viel Asche auf grünen Polstersitzen. Bei Zwischenstopps vertrete ich mir mit einem energischen Franzosen auf dem Bahnsteig die Beine, wir rauchen die ortsüblichen Zigaretten; er erzählt kenntnisreich über Bukarest, über die Liebe, über Attentate, Dreiecksgeschichten und Diplomatie. Er weiß alles, und seine Kragen und Manschetten sind stets blütenrein. Sein Lieblingsspruch lautet: Aller dans le luxe ... Il faut toujours aller dans le luxe.
Mit jedem Tag werden die Berge karger und steiniger, der Zug wird immer langsamer, und die Stationsvorsteher haben immer längere Schnauzbärte und immer ungepflegtere Uniformen, bis wir schließlich zwischen einem hellgrünen Meer und gelben sonnenverbrannten Landzungen dahinfahren. Plötzlich sind wir zwischen senffarbenem alten Gemäuer gefangen, das Gleis verläuft zwischen Müllbergen und Zypressen. Der Zug bewegt sich kaum noch, er hält fast unmerklich, als stünde er auf einem Abstellgleis. Sind wir ...? Nein. Doch. Das muss es sein ... Konstantinopel.
Unter meinem Fenster eine staubige, zerfurchte Straße, hier und da ein einzelner Pflasterstein, über den unablässig Fuhrwerke rumpeln und ruckeln, hinauf in Richtung Pera, hinunter zur alten Brücke, den ganzen Tag, von früh bis spät. Dahinter hohe Häuser, noch dichter gedrängt als in New York, auf einem flachen Dach ein barfüßiges Mädchen beim Wäscheaufhängen, und jenseits von roten Kacheln die staubigen Zypressen eines Friedhofs, Schiffsmasten und das Goldene Horn, stahlfarben, Schiffe liegen dort vor Anker. Und vor dem bewölkten Himmel Stambul, Kuppeln, braunschwarze Häuser, helle Minarette, die wie Elfenbeinstifte auf einem Cribbage-Brett überall herumstehen. Weiter oben, wo die Straße einen Bogen um den Friedhof von Petits Champs macht – wieder staubige Zypressen, schiefe Grabsteine mit eingraviertem Turban –, wird Abfall von Karren abgeladen, Asche, Lumpen, Altpapier, Sachen, die in der Sonne glitzern. Und im nächsten Moment kommen Frauen mit Säcken auf dem Rücken herbeigelaufen, einander beiseitedrängend durchstöbern sie den Abfall mit mageren Händen. Krächzende, klagende Stimmen dringen von dort herüber, vermischt mit den Rufen der Gemüsehändler und dem endlos lärmenden Treiben in den engen Gassen.
Da-damm, da-damm, da-damm, eine riesige Trommel und der ergreifende Gesang eines Dudelsacks. Zwei große Männer mit buntem Turban um den Fes kommen mit einem Affen aus einer Gasse. Das dumpfe Klagelied ist der genaue Ausdruck seines teilnahmslosen unregelmäßigen Gangs. Die Straßenhändler halten inne. Die Bettler, die im Schatten einer Mauer hocken, springen hoch. Die Lumpensammlerinnen richten sich auf und schirmen die Augen ab, um gegen die Sonne etwas zu sehen. Befrackte Kellner beugen sich aus den Hotelfenstern. Zwei Männer, die auf einer Art Tisch mit Griffen ein Grammophon mit weiß emailliertem Trichter tragen, nutzen die Gelegenheit, setzen das Ding ab und lassen es eine erstaunliche Melodie spielen wie ein tropfender Wasserhahn. Die Männer mit dem Affen schlagen verächtlich ihre Trommel und entfernen sich.
Im roten Plüschfoyer des Pera Palace herrscht große Aufregung. Ein Mann im Gehrock mit einer schwarzen Pelzmütze auf dem Kopf wird hinausgetragen. Auf dem roten Plüschsessel ist Blut, auf dem Mosaikfußboden ist Blut. Der Hoteldirektor läuft mit schweißbedeckter Stirn hin und her. Den Fußboden kann man sauberwischen, der Sessel ist ruiniert. Französische, griechische und italienische Gendarmen4 marschieren umher, reden miteinander, jeder in seiner Sprache. «Der arme Kerl ist tot, Sir», sagt der britische Militärpolizist zu dem Oberst, der nicht weiß, ob er seinen Cocktail austrinken soll oder nicht. Aserbeidschan. Aserbeidschan. Er war der aserbeidschanische Gesandte. Ein Armenier, ein Mann mit Bart, stand in der Tür und schoss auf ihn. Ein Mann mit Brille und glattem Kinn, ein bolschewistischer Spion, trat direkt vor ihn hin und schoss. Der Kellner, der die Drinks serviert, ist verzweifelt. Alle sind gegangen, ohne bezahlt zu haben.
Ein Tisch unter einem gestreiften Sonnenschirm am Rand der Terrasse des Restaurants im Taksim Park (Entrée 5 Piastres, libre aux militaires). Eine russische Kapelle spielt eine Dardanella. Auf dem Hang weiter unten ein Zaun aus flachgehämmerten Standard-Oil-Tonnen um eine Lehmhütte, neben der ein Esel grast. Zwei Männer hocken friedlich am Eingangstor und schauen über ein paar protzige Villen, wie Villen in Nizza, und einen Gasometer mit frischgemalten roten Streifen hinaus auf den Bosporus und die asiatischen Höhenzüge. Es ist fast dunkel. Der Bosporus erstrahlt um die grauen Schlachtschiffe, die vor Anker liegen. Zwischen den braunen Hügeln im Vordergrund und den blauen Hügeln in der Ferne steigt eine dicke Rauchsäule auf. Man denkt an brennende Dörfer, aber das ist zu weit nördlich, und in dieser Jahreszeit werden auf dem Land die Hügel abgebrannt, um Banditen auszuräuchern. Das Orchester legt eine kurze Pause ein. Von der gelben Kaserne linker Hand kommt ein Leierkastenlied und eine tremolierende Singstimme.
Dann erhebt sich aus Asien ein riesiger blutroter Mond.
Und sobald Kaviar und Pilaw und Schwertfisch vom Schwarzen Meer gegessen sind, hinuntergespült mit Nectar-Bier aus der hiesigen Brauerei eines unsagbar reichen Herrn namens Bomonti, beginnt auf der Bühne inmitten der Bäume die Show. Internationales Cabaret. Zunächst eine Russin, die die schüchterne Anmut, mit der sie einen Bauerntanz darbietet und dabei ein grünes Taschentuch schwenkt, gewiss an einer renommierten Moskauer Ballettschule gelernt hat. Sodann zwei überaus zähe junge Engländerinnen in Socken und Trägerrock, vielleicht ehemalige Ballettratten der Folies Bergères. Eine von ihnen summt gelangweilt und eigentümlich abgehackt, während sie die Beine hochwerfen und all jene Schritte machen, die seinerzeit, als Königin Victoria ein junges Mädchen war, die Landpfarrer im Gaiety schockierten. Dann erscheinen die griechischen Akrobaten, eine komische Russin, die nur von ihren Landsleuten verstanden wird, eine Französin in Schwarz mit Opernarmen und Konservatoriumsmanier, die mehrmals zu lautem Applaus die Wahnsinnsarie aus Lucia singt, eine jämmerliche Frau in rosa Tüll, die den Moment Musicale mit jener albernen Gestik tanzt, die Tanzlehrerinnen in der amerikanischen Provinz empfehlen, und so weiter und so fort.
Währenddessen schlendern die Leute unter den Robinien umher, man lacht und trinkt, man plaudert und flirtet. Drei Mädchen, Arm in Arm, schießen in einen Seitenpfad, gefolgt von drei italienischen Seeleuten, sonnengebräunten kräftigen Burschen in weißer Uniform. Eine Gruppe griechischer Offiziere ist sehr ausgelassen. Ihre Armee hat Eskischehir erobert. Die Kemalisten sind im Begriff, Izmit zu räumen. Tino ist also doch ein großer König. Ihnen gegenüber zwei ältere Türken in Gehrock und weißer Weste, die seelenruhig an ihren Wasserpfeifen ziehen. Weiter hinten sieben Matrosen an einem runden Tisch, die sich lärmend betrinken. Am Tor steht ein italienischer Gendarm, in kompletter Uniform importiert, von den Knöpfen an den Rockschößen bis hin zu dem glänzenden Dreispitz, und ein britischer Militärpolizist, an dessen Ärmel die Buchstaben A. P. C. (für Allied Police Commission) prangen.
Warum wollen Sie Türkisch lernen?, fragt mich eine junge Griechin mit erstauntem Gesichtsausdruck. Sie müssen zu den Griechen halten, Sie sollten kein Türkisch lernen.
Plötzlich muss ich an die gelben Tische und Stühle unter der großen Platane neben der Bayezid-Moschee drüben in Stambul denken, an die Tauben und die alten Männer mit Bärten so weiß wie ihre weißen Turbane, ernst nickend in endloser Diskussion, und daran, wie der uralte Bettler, gelb wie zerschlissener Damast, knorrig wie ein absterbender Pflaumenbaum, mich um Feuer von meiner Zigarette bat und dann lächelnd auf das Glas Wasser neben meinem Kaffeetässchen zeigte und wie er sich, nachdem ich ihm das Wasser gereicht hatte, tief herunterbeugen musste, um zu trinken, sein Rücken war ganz krumm. Und an die majestätische Geste, mit der er das Glas wieder hinstellte und sich mit einem Gruß seiner knochig gerippten Hand bedankte. Diese Handbewegung erinnerte an ein schlankes Minarett und den Ruf des Muezzins und die gleichmütigen Augen der alten Türken in weißen Westen, die im Jardin de Taksim so ruhig neben den ausgelassenen Griechen saßen. Es gibt Gründe, Türkisch zu lernen.
Und wenn man vom internationalen Cabaret genug gesehen hat, von Russinnen, die ein paar Groschen für das harte Brot des Exils verdienen, von levantinischen Tänzerinnen und gestrandeten europäischen Sängerinnen, dann geht man auf der Grand Rue de Pera nach Hause. Am Straßenrand noch mehr russische Emigranten, Soldaten in abgetragener Uniform, die einst zur Wrangel-Armee5 gehörten und nun auf kleinen Bauchläden, die sie an einer Schlaufe um den Hals tragen, alles nur Denkbare feilbieten – Papierblumen und Puppen, Schnürsenkel und Hampelmänner und kleine bunte Silhouetten von Moscheen und Zypressen unter Glas und runde und quadratische und rettungsringförmige Plätzchen. Es sind Männer jeden Alters und Standes, die meisten mit weißer nordischer Haut und blondem, kurzgeschorenem Haar, alle mit einem hungrigen Zug um die Wangenknochen und einem verschleierten Schmerz in den Augen. Durch die geöffneten Fenster der Restaurants kann man blasse Mädchen mit straff gebundenem Kopftuch sehen. An den Armen von zwei dicken Armeniern kommen zwei stark geschminkte Damen, beide in rosa volantbesetztem Kleid, zu den Klängen eines mechanischen Klaviers aus einer Gasse.
An einer Laterne steht ein einbeiniger russischer Soldat, große rote Hände vor das Gesicht geschlagen, und schluchzt laut.
Der rote Plüschsalon des Hotels Pera Palace. Der Erzbischof, ein großer Mann in wehendem Schwarz mit einem schönen kastanienbraunen Wuschelbart und stechenden Augen, stößt einen heftigen griechischen Wortschwall aus. Seine Zuhörer sind eine Griechin in elegantem rosa Satinkleid, ein amerikanischer Marineoffizier, ein Journalist und diverse Figuren im Gehrock. Auf der anderen Seite des Raums werden zwei britischen Majoren Highballs mit klingelnden Eiswürfeln serviert. Der Erzbischof hebt eine schmale byzantinische Hand und bestellt Kaffee. Dann wechselt er ins Französische über, ein wenig lispelnd bei seinen langen, ausgewogenen Sätzen, die von den Wörtern horreur, atrocité, œuvre humanitaire, civilisation mondiale beherrscht werden. Die Türken in Samsun, die Kemalisten, die vor einigen Wochen die Männer orthodoxen Glaubens abtransportierten, haben inzwischen bekanntgegeben, dass auch die Frauen und Kinder abtransportiert werden sollen. Drei Tage Frist. Das bedeutet natürlich ... «Massaker», sagt jemand sofort.
Die vollen Lippen des Erzbischofs berühren den Rand seiner winzigen Kaffeetasse. Er trinkt schnell und penibel. Hinter dem roten Plüsch das Bild dunkler Menschenmassen, die sich über eine sonnengedörrte Landschaft schleppen. «Die Frauen sind weinend und klagend durch die Straßen von Samsun gezogen», sagt der Offizier. «Die Nachricht muss verbreitet werden», fährt der Erzbischof fort, «die Welt muss von der Barbarei der Türken erfahren. Amerika muss davon erfahren. Ein Telegramm muss an den Präsidenten der Vereinigten Staaten geschickt werden.» Wieder sieht man hinter roten Plüschsalons und den gedrechselten Formulierungen offizieller Telegramme die nächtlichen Straßen unter dem schrecklichen blutorangeroten Mond Asiens, zusammengedrängte Frauen in Staubwolken, die Kinder, denen der Wind in die dunklen, aufmerksamen Augen sticht, und in der Ferne auf den sonnenverbrannten Anhöhen sind Reiter zu hören.
In einem Sessel am Fenster schaut ein Türke mit ergrauten Brauen und Augen, weich und braun wie der Bart des Erzbischofs, ungerührt ins Weite. Die ovalen bernsteinfarbenen Perlen seiner Gebetskette gleiten durch seine unergründlich langsamen weißen Finger.
Auszüge eines Briefes, veröffentlicht in der Spalte «Tribune Libre» der Presse du Soir, die allabendlich in Pera erscheint, zwei Seiten in französischer und vier in russischer Sprache:
Am achtzehnten Juni wurde mein Mann Bekhboud Djevanchir Khan ermordet.
Ich, die Unterzeichnete, seine Ehefrau, gebürtige Russin, vertraue auf Ihre Freundlichkeit, einige Fakten zu veröffentlichen, die den falschen Gerüchten, welche den Namen meines verstorbenen Mannes beflecken, ein Ende bereiten werden.
Ich bin nie von meinem Mann getrennt gewesen, und Gott hat mich zum Zeugen all der Schrecken der vergangenen Jahre gemacht.
März 1918. Das Wrack der russischen Armee schleppt sich zurück von der türkischen Front. In Baku liegt die Macht in den Händen von Armeniern, die sich auf die Seite der Bolschewisten geschlagen haben. Auf Befehl von unbekannter Seite kommt es zu einem geplanten, organisierten Massaker an der muslimischen Bevölkerung.
Nie werde ich diese schrecklichen Tage vergessen. Mein Mann wurde gesucht. Sein Name stand auf der Liste. Wie durch ein Wunder konnte er entkommen. Wir flohen aus der Stadt und konnten uns unter unvorstellbaren Entbehrungen nach Elisabethpol durchschlagen.
Monate vergingen. Andere kamen an die Macht, und mein Mann wurde zum Innenminister der ersten aserbeidschanischen Regierung ernannt. Türkische Abteilungen rücken auf Baku vor, und noch ehe sie die Stadt erreichen, kommt es zu den blutigen September-Ereignissen. Das war die schreckliche Antwort der Muslime auf das März-Massaker.
Mein Mann begibt sich sofort nach Baku, um diesen Unruhen ein Ende zu bereiten, doch bei seinem Eintreffen hat sich die Woge des nationalen Hasses gelegt. Der nationale Hass ist Klassenhass gewichen. Die Bolschewiki streben nach der Macht, und die Bevölkerung, erschöpft von nationalen und religiösen Konflikten, sieht in den Roten eine neutrale Kraft.
Anfang 1920 sind die Bolschewiki an der Macht, und sie gehen dazu über, mit den Vertretern der nationalen Parteien alte Rechnungen zu begleichen. Wir werden aus unserem Haus gejagt, alles wird uns weggenommen. Mein Mann wird von der Sonderkommission verhaftet und zum Tode verurteilt. Doch angesichts der Verhältnisse in Baku und dank seines großen Einflusses müssen die Sowjets ihn freilassen. Trotz wiederholter Bemühungen wird ihm die Ausreise verweigert, denn sie wissen, dass er Bergbauingenieur und einer der besten Spezialisten in der Erdölbranche ist. Das Schicksal will es, dass ihm ein Posten im Kommissariat für auswärtige Angelegenheiten angeboten wird, was die Chance einer Entsendung ins Ausland bietet.
Mein Mann willigt ein. Und bald darauf reisen wir nach Konstantinopel. Hier erwartete ihn der Tod. Ein Attentäter beendete das Leben meines Mannes, dessen einziges Verbrechen es war, vor allem sein Volk und sein Land zu lieben, dem er sein Studium, seine Arbeit und überhaupt sein ganzes Leben gewidmet hatte.
Zwei Worte noch zu den Gerüchten, dass mein Mann seine Genossen von der «Moussavat»-Partei6 verraten hat und deswegen zum Tod verurteilt wurde. Für all jene, die den Verstorbenen auch nur flüchtig kannten, sind diese Gerüchte so absurd, dass ich mir die Mühe erspare, ihnen entgegenzutreten. Die glorreiche Erinnerung, die all seine Freunde an den Verstorbenen haben, wird durch solches Gerede nicht beschädigt werden können.
Ich bin, mit ergebenen Grüßen, etc.
Im Innenhof der Bayezid-Moschee werden Bernsteinperlen verkauft, und die Schreiber und öffentlichen Notare haben ihre Tische und Stühle. Wohltäter haben Geld für die Fütterung der Tauben gestiftet, die zwischen den gefleckten Platanen herumfliegen und auf dem Rand des marmornen Waschbeckens sitzen und trinken und den Schnabel aufrichten, so dass bei jedem Schluck ihre Kehle schimmert. Eines grellen Mittags stand ich an einer kühlen Granitsäule und beobachtete einen Beduinen im weißen Burnus, der einem Schreiber einen Brief diktierte mit den Gesten eines Kaisers, der ein Edikt für eine eroberte Stadt formuliert, als ich einen unablässigen Menschenstrom durch das hohe Portal der Moschee gehen sah. In meiner Neugier wagte ich mich etwas näher heran, worauf ein junger Mann, der eine grüne Seidentroddel an seinem bernsteinfarbenen Gebetskranz hin und her schwenkte, mich hereinwinkte. Ein alter Mann schob mir dienstfertig große Pantoffeln über die Schuhe, und dann trat ich über die hohe Schwelle. Der weite, von einem roten Teppich bedeckte Boden unter der Kuppel und die seitlichen Podien waren voller Männer, Bettler und Lastträger und Handwerker mit Lederschürzen und kleine Jungen mit viel zu großem Fes auf dem runden Kopf und stattliche Herren in Gehrock und weißer Weste mit dekorativer Uhrenkette und theologische Studenten mit ordentlich gebundenem weißen Baumwollturban und würdevollem Bart, sie alle saßen dicht gedrängt, die Schuhe neben sich. Ein heller Sonnenstrahl fiel durch die perlschimmernde Kuppel direkt auf das bronzefarbene Gesicht und den Bart des Mullahs, der aus dem Koran las, und tauchte die Seidenbehänge der Kanzel in ein intensiv leuchtendes Magenta. Der Prediger las mit hölzerner Stakkatostimme und mit leichten rhythmischen Bewegungen, und am Ende eines jeden Verses brummte die Menge ein leises Amin.
«Es geht um den Fall von Adrianopel, in jedem Jahr an diesem Tag», flüsterte mir der junge Mann mit der grünen Troddel an seinem Gebetskranz auf Französisch ins Ohr. «Viele dieser Männer kommen aus Adrianopel, sie sind vor den Griechen geflohen ... Sie erinnern sich.»
Der Koranleser stieg nun schwerfällig hinunter, vorbei an dem magentafarbenen Seidenbehang, und ein größerer Mann mit vollen Lippen und dunklen, geröteten Wangen unter hohlen Augen nahm seinen Platz ein.
«Er wird nun für die Armee in Anatolien beten.»
In aufrechter Haltung, den Blick direkt in das Sonnenlicht gerichtet, die Hände in Barthöhe, sprach der neue Mullah ein Gebet voller harter Konsonanten und kühn aufsteigender Satzmelodien. Seine Stimme war wie Pauken und Trompeten. Und in der ganzen Moschee, unter der bläulichen Kuppel schauten die Männer über die Innenfläche ihrer erhobenen Hände auf die magentafarben leuchtende Seide und den Prediger, der in dem gelben Sonnenstrahl betete, und das gemurmelte Amin bei jeder Pause wurde lauter und lauter, wurde heftig und atemlos, bis die Glaslämpchen an den großen flachen Leuchtern über den Turbanen und Fesen klingelten, stieg in die Höhe und erschütterte die riesige Kuppel, so wie die Kuppeln der Kirchen vom Ruf der Heerscharen des Islam erschüttert wurden, als die Stadt Konstantins erobert und der letzte Konstantin in seinen purpurfarbenen Stiefeln getötet wurde.
Am Ausgang erhielt jedermann ein Kärtchen mit einer Darstellung der großen Moschee von Adrianopel und ein Papiertütchen mit Kerzen.
Die runden Blättchen des Basilikumtopfs auf dem Tisch des Cafés verströmen einen zarten Duft. Auf einem von rotem Boi eingerahmten Podium produzieren Musiker, summend und zupfend, endlos auf- und absteigende Arabesken in Moll. Es gibt eine Art Laute, eine Zither, eine Violine und eine Sängerin. In der Mitte steht ein Hocker mit Kaffeetassen und einer Flasche Ouzo. Die Zither spielt ein ergrauter Mann mit Hakennase und Brille, der manchmal den Kopf zurückwirft und mit weit geöffnetem Mund eine gregorianische Melodie jodelt, die die anderen aufgreifen und mühsam in das Klanggewebe einfädeln. An den vollbesetzten Tischen unter der Robinie, wo am Nachmittag Schatten ist, sitzen sie mit Nargilés oder Zigaretten oder deutschen Pfeifen oder amerikanischen Zigarren, trinken Anisschnaps und Bier und Kaffee und sogar Wodka. Es riecht nach Tabak und Holzkohle und Anis von dem Pastis und Ouzo und nach gegrilltem Fleisch von den Schisch-Kebab-Spießen, dazu das Durcheinander vieler verfeindeter Sprachen und die Schritte auf der Straße unterhalb der Terrasse.
Stütze das Kinn auf die Hände und schaue hinunter auf das rissige und staubige Stückchen Gehweg zwischen den nackten Füßen der Jungen, die an der Mauer stehen und Gebäck und Pistazien und fliegenübersäte Bonbons verkaufen, und die Droschken, deren Fahrer, meist Russen in geflickten Uniformen, in den langen Nachmittagsstunden dasitzen und schlafen und plaudern und auf Kundschaft warten ... Jenseits davon Schuhe, Füße, Beine, verschränkte Arme, schwingende Arme, gebeugte Schultern, muskulöse Rücken unter dünner Baumwolle, braune, schweißbedeckte Oberkörper, Schals, schwarze Schleier, Yaschmaks7, Gesichter. Das ganze Leben spiegelt sich im Gesichtsausdruck. Ein Junge, die Haut von der Farbe eines Tonkrugs, Augen und Lippen eines trunkenen Bacchus, geht lässig vorbei, auf dem Kopf ein Tablett mit geröstetem gelben Mais. Ein Mädchen trippelt wie ein Mäuschen, das gesenkte Gesicht weiß wie eine Fresie hinter dünnem schwarzen Schleier. Ein weißbärtiger Mann in blauem Gewand, die Augen rotgerändert und trüb wie Mondsteine, wird von einem kleinen braunen Knaben geführt. Zwei Hammals, ein jeder stark genug, ein Klavier ganz allein zu tragen, mit ausgeprägt stumpfen Gesichtszügen und dem schwarzen Bart assyrischer Bogenschützen. Drei Russen, blond und breitbrüstig, etwa gleich groß, straffsitzende weiße Leinenbluse unter dem Gürtel, blaue Augen, alles an ihnen wirkt frischgewaschen, das Haar gescheitelt und angeklatscht, wie sonntäglich gekleidete Kinder. Ein dicklicher griechischer Geschäftsmann im Strandanzug. Engländer, krebsrot und steif. Aggressive, kantige Marineoffiziere, die mit larvenartigen Bettelkindern spielen. Bleichgesichtige Levantiner mit schmalen Augen und Hakennasen. Armenier mit missmutigem Mund und großen goldbraunen Augen. In der hellen Sonne und den jähen Schatten verschwimmen die Gesichter der Passanten. Gesichter glatt und gelb wie Melonen, stählern wie Äxte. Gesichter wie Kürbisse, wie Totenköpfe und Halloweenlaternen und Kokosnüsse und sprießende Kartoffeln. In dem brutal gleißenden Licht verschwimmen braune Gesichter unter einem Fes, gelbe Gesichter unter Strohhüten, blasse nordische Gesichter unter Khakimützen zu einem Gesicht, die Brauen mürrisch und zusammengezogen, die Augen leidensschwarz, straffe Haut über den Wangenknochen, hungrige Linien um die Mundwinkel, die Lippen unruhig, neidisch, wütend, sinnlich. Das Gesicht eines Mannes, der noch nicht ganz verhungert ist.