Orientalische Königsgeschichten - Herodot von Halikarnassos - E-Book

Orientalische Königsgeschichten E-Book

Herodot von Halikarnassos

2,2

Beschreibung

Herodot von Halikarnass(os) (* 490/480 v. Chr.; † um 424 v. Chr.) war ein antiker griechischer Geschichtsschreiber, Geograph und Völkerkundler. Er wurde von Cicero (De leg. 1,5) zugleich als "Vater der Geschichtsschreibung" (lat. "pater historiae") und als Erzähler "zahlloser Geschichten" (lat. "innumerabiles fabulae") bezeichnet. Sein einziges erhaltenes Werk sind die neun Bücher umfassenden "Historien", die in Form einer Universalgeschichte den Aufstieg des Perserreichs im späten 6. Jahrhundert v. Chr. und die Perserkriege im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. schildern.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Gyges und Kandaules

Krösus und Solon

Krösus verliert seinen Sohn Atys

Krösus befragt das Orakel zu Delphi

Des Krösus Niederlage und wunderbare Errettung

Wie Cyrus König wurde

Wie Cyrus bei den Massageten starb

Der Ägypterkönig Psammetichus prüft, welches das älteste Volk sei

König Rampsinitus und seine Tochter

Wie König Amasis regierte

Kambyses zieht zu den Äthiopiern

Kambyses und der Apis

Der Ring des Polykrates

Der falsche Smerdis

Die List des Zopyrus

Darius bei den Skythen

Was König Xerxes träumte

Xerxes läßt den Hellespont peitschen

Wie des Xerxes Macht bei Thermopylä sich brach

Des Xerxes Flucht

Xerxes will die Gemahlin seines Bruders Masistes heiraten

Impressum

Einleitung

Herodot war ein universaler Mensch. Er hat zwar sein Werk deutlich auf die Darstellung seines religiösen Glaubens angelegt, daß Gott die Großen klein und die Kleinen groß zu machen liebt; aber innerhalb dieses ja sehr weiten Rahmens hat er das ganze lebendige Wissen vom Menschen eines weitsichtigen, vorurteilslosen und im höchsten Sinn kritischen Mannes ausgebreitet. Er ist Geschichtschreiber; aber er faßt die Aufgabe der Geschichtschreibung im höchsten Sinn auf: nicht als ein Erzählen geschehener Dinge, sondern als eine umfassende Schilderung der ihm bekannten Menschheit, welche denn die Menschheit überhaupt vertritt. Er steht bei diesem Schildern auf dem Standpunkt seiner Zeit; aber seine Zeit war der wundervolle Frühling unserer Welt, in dessen Blühen schon alle spätere Frucht geahnt wird. So ist es möglich gewesen, daß die Verehrung für ihn in der modernen Zeit von Jahrhundert zu Jahrhundert und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer gestiegen ist: je besser wir ihn nämlich verstehen lernten, weil wir selber uns höher gebildet hatten; so ist es auch möglich, daß er zuden wenigen Schriftstellern gehört, welche das Kind mit der gleichen Freude lesen kann wie der reife Mensch, und welche denn vielleicht erst ganz der erfahrene Greis versteht.

Zu den liebenswürdigsten und am leichtesten zugänglichen Teilen seines Werkes gehören die mythischen, märchenhaften und novellistischen Stücke, welche auf Grund von alten, ihm mündlich überlieferten Erzählungen in poetischer Weise Vorgänge der Vergangenheit konzentriert darstellen. Er berichtet sie nicht als wirkliche Geschehnisse; aber er weiß wohl, daß sie Höheres sind, als gewöhnliche Wirklichkeit, daß in ihnen die dichtende Kraft von Generationen und Völkern das Wesentliche, das Menschliche, der Vergangenheit abgebildet hat, welches denn, weil alles Menschliche ewig gleich ist, immer neu sein muß.

Die orientalischen Völker waren von jeher in solchen Geschichten ausgezeichnet, und sie sind es noch heute. Wer einen älteren Historiker liest, der asiatische Geschichten schreibt, der wird solche Erzählungen, wie Herodot sie hat, aus allen Zeiten finden; nur freilich wird er immer den Zauber von Herodots Darstellungskunst vermissen. Etwa von Akbar dem Großen, einem Nachkommen des Tamerlan, der um 1800 in Indien ein mächtiges Reich hatte, wird erzählt, daß er eine Festung belagerte, die von einem König Mustapha hartnäckig verteidigt wurde. »Ermüdet durch die Anstrengungen einer langen Belagerung und dieHitze, welche in diesen Gegenden im Mai fast unerträglich ist, war Akbar im Begriff abzuziehen, als er durch Überläufer erfuhr, daß das Wasser in der Festung zu mangeln begann. Mustapha verzweifelte daran, seine Zisternen wieder zu füllen, da die Regenzeit noch sehr entfernt war, und beschloß, heimlich allein aus der Festung zu entweichen und nach Brampur zu flüchten, um von dort aus den Rest seiner Lande zu verteidigen. Er wurde von den Wachen Akbars gefangen und vor diesen geführt. Akbar fragte ihn: ›Wer bist du und was erwartest du von mir?‹ Der Gefangene antwortete: ›Ich bin der König Mustapha und bin aus meiner Festung gekommen, um meinen Feind selber um Rat zu fragen. Ein großer Fürst wie du darf mir ihn nicht verweigern. Das Wasser wird mir knapp; was muß ich tun, um der Knechtschaft zu entgehen, die mich bedroht?‹ Akbar antwortete ihm: ›Gehe in diese Festung zurück, die du mit so viel Mut verteidigt hast, und wenn Gott will, so wirst du Wasser bekommen.‹ Obwohl in dieser Gegend die Regenzeit erst Mitte Juni beginnt, kam doch schon in der folgenden Nacht ein so heftiger Regen, daß alle Zisternen in der Festung angefüllt wurden. Akbar hob die Belagerung auf und Mustapha verglich sich später mit ihm.«

Der Orient kann seine Edelsteine nicht fassen; unendlich viel Schönes muß verlorengegangen sein, das in diesen weiten Ländern ausgedacht war; was Herodot hörte, das hat er so geformt,daß es heute Gemeingut der Menschheit geworden ist, wie es sonst nur die Geschichten der Bibel sind. Wer erinnerte sich nicht aus seiner Kindheit der Erzählungen von Krösus und Solon, Krösus und Cyrus, Cyrus bei den Massageten, und so vieler anderer. Griechische Kunst und orientalische Weisheit sind hier vereinigt.

Aus zwei Quellen strömen Herodot die Geschichten zu. Die Religion beherrscht im Orient das Denken und Fühlen in ganz anderer Weise als bei uns. Zu allen Zeiten haben die Orientalen die Geschehnisse des irdischen Lebens eng mit dem Göttlichen verknüpft; so haben sie nicht nur von vornherein eine ganz andere Stellung zum Wirklichen: daß es ihnen nämlich leichter wird als uns, es symbolisch zu fassen für das Geistige, daß sie es nicht so ernst nehmen wie wir, daß sie also das Unglück leichter ertragen; auch ihr Dichten sucht immer gleich das Geistige, betrachtet von vornherein das Irdische nur als ein Gewand. Es wird uns schwer, eine solche Gemütsstimmung zu verstehen. Wenn wir etwa Hafis lesen, so glauben wir uns über einen Anakreontiker zu freuen; die Perser aber belehren uns, daß der Wein die mystische Erkenntnis Gottes bedeutet und daß Hafis ein frommer Dichter ist. Die unzähligen kleinen Geschichten des Orients sind aus dieser Gemütsstimmung entstanden, die denn, je nach der Persönlichkeit, schwankt von mystischer Frömmigkeit bis zu reiner menschlicher Ethik. Die WeisheitSolons in der Geschichte von Krösus und Solon ist nicht griechisch, sondern orientalisch. Man vergleiche folgende Geschichte aus Saadis »Rosengarten«: Es brachte einer Nuschirwan dem Gerechten die frohe Nachricht, daß Gott, der Ruhm- und Preiswürdige, den und den seiner Feinde hinweggenommen. Nuschirwan versetzte demselben: »Hast du etwa auch gehört, daß Gott mich will lassen?« Die merkwürdige Frömmigkeit Herodots selber scheint durchaus orientalischen Ursprungs; und es ist gewiß kein Zufall, daß sie am schönsten sich in diesen Geschichten zeigt.

Eine andere Quelle dieser Geschichten sind alte Stammessagen, die vielleicht bis zu einer balladenartigen Vorstufe der epischen Dichtung gediehen war. Die Jugendgeschichte des Cyrus ist von dieser Art; es sind hier die urtümlichsten Vorstellungen in den bekannten mythischen Umformungen erhalten.

Wir wissen ja heute durch die Ausgrabungen unendlich viel mehr über den Orient, als Herodot wußte. Aber wenn wir etwa den ersten Band von Meyers »Geschichte des Altertums« nun mit Herodot vergleichen, so müssen wir uns fragen: bedeutet denn dieses größere Wissen so viel, wie wir gewöhnlich denken? Den Geist des Orients hat Herodot in unübertrefflicher Weise gefaßt; er hat ihn nach seinem Temperament: eines heitern, milden, klugen und weisen Mannes gefaßt; ein anderes Temperament sieht vielleicht Tragödien,wo er Elegien sah, und unsere Zeit hat ja gewiß ein anderes Temperament, wie Herodot hatte. Aber ist unsere Auffassung nun etwa richtiger?

Herodot wurde zehn Jahre nach dem Aufstand der asiatischen Griechen gegen die Perser und sechs Jahre nach der Schlacht bei Marathon, im Jahre 484, aus einem edlen Geschlechte geboren in Halikarnaß, einer dorischen Kolonie in Kleinasien. Angeblich hat er einen Tyrannen Lygdamis in seiner Vaterstadt bekämpft. Die Vorlesung eines Teiles seines Werkes in Olympia und später in Athen ist wohl Legende; sein Buch macht durchaus den Eindruck, daß es von einem alten Mann geschrieben ist. Ungefähr von seinem zwanzigsten bis zu seinem vierzigsten Jahre machte er die großen Reisen, die ihn in alle Teile der damals bekannten Welt führten. Ungefähr 444 gründeten die Athener die KolonieThuriumin der Nähe des zerstörten Sybaris in Italien, und entweder gleich oder einige Jahre später fand Herodot dort eine neue Heimat. Von dort bereiste er nur noch Süditalien und Sizilien; seine wesentliche Arbeit war nun das Schreiben seines Werkes; es scheint, daß er noch im siebenundsiebenzigsten Jahre seines Lebens an ihm gearbeitet hat.

Die Übersetzung von Goldfaden stammt aus der guten Zeit des achtzehnten Jahrhunderts. Dem Übersetzer ist die Nachbildung des behaglichen, altersmäßigen Tones des Historikers sehr gut gelungen.

Paul Ernst.

Gyges und Kandaules

Krösus war ein Lydier von Geburt und ein Sohn des Alyattes. Er herrschte über die Völker diesseits des Flusses Halys, welcher von Süden her durch die Grenze der Syrer und Paphlagoner geht und gegen Norden in das Schwarze Meer fällt. Dieser Krösus ist unter den Asiaten, soviel uns bekannt ist, der erste, welcher einige von den Griechen gezwungen, ihm Tribut zu geben, andere aber zu seinen Freunden gemacht hat. Er bezwang die Ionier, Äolier und Dorier, die in Asien wohnten; die Lakedämonier aber machte er zu seinen Freunden. Vor der Regierung des Krösus waren alle Griechen frei. Denn dies kimmerische Kriegsheer. welches älter war als Krösus, bezwang keine Städte, sondern zog nur raubend und plündernd herum.

Die Regierung, welche anfänglich die Herakliden hatten, kam folgendermaßen an die Mermnaden, aus welchen Krösus herstammte. Kandaules, welchen die Griechen Myrsilus nennen, hatte die Herrschaft zu Sardes und war ein Abkömmling des Alkäus, eines Sohnes des Herkules.Denn Argon, ein Sohn des Ninus, ein Enkel des Belus und Urenkel des Alkäus, war unter den Herakliden der erste König zu Sardes; Kandaules aber, des Myrsus Sohn, der letzte. Die hingegen, welche vor dem Argon zu Sardes regiert haben, sind Nachkommen des Lydus, eines Sohnes des Atys, gewesen; von demselben hat das ganze Volk, welches vordem Meoa hieß, den Namen der Lydier bekommen. Die Herakliden, welche von ihnen aufgezogen worden und die Regierung nach einem göttlichen Ausspruche erlangten, stammten von einer Magd, der Jardana, und dem Herkules ab. Sie regierten zweiundzwanzig Menschenalter hindurch fünfhundertundfünf Jahre, und der Sohn folgte allezeit dem Vater bis auf den Kandaules, den Sohn des Myrsus.

Dieser Kandaules war in seine Gemahlin sehr verliebt, und vor Liebe hielt er dieselbe für die allerschönste Person. Unter seinen Trabanten stand Gyges, ein Sohn des Daskylus, in besonderer Gnade bei ihm, und er trug ihm die wichtigsten Verrichtungen auf. Weil er nun von der Schönheit seiner Gemahlin über alle Maßen eingenommen war und dieselbe sehr rühmte, sagte er nicht lange nach seiner Vermählung (denn Kandaules sollte unglücklich werden) zu diesem Gyges: Gyges, du glaubst wohl nicht, was ich dir von der Schönheit meiner Gemahlin sage; denn die Ohren sind ungläubiger als die Augen; mache doch, daß du sie nackend zu sehen bekommst.Gyges erhob ein großes Geschrei und sagte: Herr, was ist das für eine tolle Rede, daß du mir befiehlst, meine Königin nackend zu sehen? Eine Frau zieht mit ihrem Unterrocke zugleich ihre Schamhaftigkeit aus. Was schön sei, haben die Alten schon erkannt, und von diesen müssen wir es lernen; darunter aber gehört auch diese Regel: ein jeder sehe auf das Seinige. Ich glaube gewiß, daß sie das schönste Weib ist, und bitte dich, nichts Unrechtmäßiges von mir zu verlangen.

So widersetzte sich Gyges dem Begehren des Königs, weil er befürchtete, es möchte deswegen unglücklich gehen. Allein er bekam diese Antwort: Gyges, sei unbesorgt und fürchte dich nicht vor mir, als wenn ich dich nur auf die Probe stellen wollte; auch nicht vor meiner Gemahlin, daß sie dir einiges Leid zufügen werde. Denn ich will die Sache so veranstalten, daß sie gar nicht erfahren soll, daß sie von dir gesehen worden. Ich will dich in dem Zimmer, in welchem wir schlafen, hinter die aufgemachte Tür stellen. Wenn ich drinnen bin, so wird auch meine Gemahlin in das Schlafzimmer kommen. Neben dem Eingange ist ein Stuhl, auf diesen wird sie die Kleider, welche sie auszieht, eins nach dem andern, legen und sich ganz ruhig von dir beschauen lassen. Wenn sie aber von dem Stuhle nach dem Bette geht und du hinter ihrem Rücken bist, so nimm dich ja wohl in acht, daß sie dich durch die Tür nicht weggehen sieht.Weil er nun keine Ausflucht mehr wußte, so ließ er sich die Sache gefallen. Kandaules führte den Gyges, als die Schlafzeit herbeikam, in das Zimmer; gleich darauf trat die Gemahlin auch hinein, welche denn Gyges, als sie sich ausgekleidet hatte, beschaute. Als sie ihm aber den Rücken zukehrte und nach dem Bette ging, schlich er sich hinaus. Allein sie sah ihn hinausgehen. Als sie nun merkte, was ihr Mann getan habe, erhob sie doch aus Schamhaftigkeit kein Geschrei und ließ auch nicht merken, daß sie etwas davon wisse, weil sie entschlossen war, sich an ihrem Gemahl zu rächen. Denn bei den Lydern und fast bei allen Asiaten ist es sogar für einen Mann schimpflich, sich nackend sehen zu lassen.

Sie entdeckte also damals nichts und hielt sich ganz stille; sobald es aber Tag geworden war, mußten sich diejenigen unter ihren Bedienten, welche sie für die treuesten ansah, bereithalten, und sie ließ den Gyges zu sich rufen. Er bildete sich nicht ein, daß sie etwas von dem, was geschehen sei, wüßte, und kam also nach ihrem Befehl. Denn er war auch sonst schon gewohnt gewesen zu kommen, wenn ihn die Königin forderte. Als Gyges ankam, sagte sie zu ihm: Nun gebe ich dir, Gyges, die Freiheit, unter zwei Wegen, die dir offen stehen, einen zu erwählen. Entweder nimm dem Kandaules das Leben und mich und das lydische Reich in Besitz, oder du mußt selbst alsobald sterben, damit du dem Kandaules nichtdergestalt gehorchst, auch künftig etwas zu sehen, welches dir nicht zukommt. Entweder der muß aus dem Wege geräumt werden, der dergleichen gewollt hat, oder du, der du mich nackend gesehen und ungeziemende Dinge getan hast. Gyges stand erst eine Zeitlang in Verwunderung über diese Worte; darauf bat er sie fußfällig, ihn nicht zu nötigen, eine solche Wahl zu treffen. Allein er richtete nichts damit aus und sah, daß es schlechterdings erfordert werde, entweder seinen Herrn hinzurichten oder sich selbst hinrichten zu lassen. Er erwählte also seine eigne Erhaltung und tat diese Frage an sie: Weil du mich nötigst, meinem Herrn das Leben zu nehmen und solches wider meinen Willen zu tun, so möchte ich wohl von dir hören, wie ich ihn überfallen soll. Sie versetzte darauf: An ebendem Orte sollst du ihn überfallen, wo er mich nackend gezeigt hat; und das kann geschehen, wenn er schläft.

Als sie die Anstalten gemacht hatten und es Nacht wurde, säumte Gyges nicht. Denn es war kein anderes Mittel übrig, als daß er selbst oder Kandaules sterben mußte. Er folgte also der Königin in das Schlafgemach. Sie gab ihm einen Dolch und versteckte ihn hinter ebender Türe. Sobald nun Kandaules eingeschlafen war, schlich er hinzu, brachte ihn um und bekam die Gemahlin und das Reich: welcher Sache auch der parische Archilochus in seinem sechsfüßigen jambischen Gedichte gedacht hat.

Er erlangte also das Reich und wurde darinnen durch einen göttlichen Ausspruch zu Delphi bestätigt. Denn da den Lydiern der Tod des Kandaules sehr wehe tat und sie deswegen die Waffen ergriffen, wurden die Soldaten des Gyges und die andern Lydier endlich so weit miteinander einig, daß er König sein sollte, wenn das Orakel den Ausspruch für ihn täte; widrigenfalls sollte er die Regierung den Herakliden wieder abtreten. Das Orakel aber tat für ihn den Ausspruch, und also wurde ihm das Reich überlassen. Es hatte aber die Pythia die Worte gebraucht: Bei dem fünften Abkömmlinge des Gyges werde die Rache wegen der Herakliden kommen. An diesen Ausspruch dachten die Lydier und ihre Könige nicht eher, bis er in Erfüllung ging.

Auf diese Art haben die Mermnaden durch Vertilgung der Herakliden die Herrschaft erlangt. Gyges hat in seiner Regierung nicht wenig Geschenke nach Delphi gesandt; die meisten silbernen Geschenke daselbst rühren von ihm her. Außer dem Silber schenkte er auch unsäglich viel Gold. Besonders aber sind die sechs goldenen großen Trinkgeschirre des Andenkens würdig; sie stehen bei dem Schatze der Korinther und wiegen dreißig Talente. Doch die Wahrheit zu sagen, gehört dieser Schatz nicht dem korinthischen Volke, sondern dem Kypselus, dem Sohne des Fetion. Dieser Gyges ist meines Wissens unter den Asiaten der erste nach dem Midas, des Gordius Sohne,dem Könige in Phrygien, welcher nach Delphi Geschenke in den Tempel geschickt hat. Denn Midas schickte den sehenswürdigen königlichen Stuhl, auf welchem er saß, wenn er Gericht hielt. Dieser Stuhl steht bei den Krateren des Gyges. Das Gold und Silber, welches Gyges geschenkt hat, wird von den Delphiern nach dem Namen des Gebers Gygadas genannt. Als er die Regierung angetreten hatte, bekriegte er die Städte Miletus und Smyrna und nahm Kolophon ein. Sonst aber hat er in seiner dreißigjährigen Regierung nichts Großes getan, und wir wollen also auch nichts weiter von ihm sagen.

Krösus und Solon

Nach dem Tode des Alyattes trat sein Sohn Krösus in einem Alter von fünfunddreißig Jahren die Regierung an. Unter den Griechen waren die Epheser die ersten, welche er mit Krieg überzog. Damals widmeten und übergaben die Epheser, als sie von ihm belagert wurden, ihre Stadt der Diana, indem sie aus dem Tempel bis an die Stadtmauer einen Strick zogen. Es sind aber zwischen der alten Stadt, welche damals belagert wurde, und zwischen dem Tempel sieben Stadien. Sie waren also die ersten, die Krösus überfiel. Nachher kam die Reihe auch an die andern Ionier und Äolier, gegen welche er mancherlei Beschuldigungen vorwandte, wie er sie ausfinden konnte, teils wichtige und große, teils geringe und nichtswürdige.

Nachdem er nun die Griechen in Asien sich unterwürfig und zinsbar gemacht, ging er mit den Gedanken um, Schiffe zu bauen und die Eiländer anzugreifen. Als aber zu dem Schiffbau alles veranstaltet war, soll, wie einige sagen, Bias aus Prienne, wie andere vorgeben, Pittakus ausMitylene nach Sardes gekommen sein. Da nun Krösus fragte, was das Neueste in Griechenland sei, soll er ihn mit folgenden Worten zur Unterlassung des Schiffbaus bewogen haben: O König, die Eiländer kaufen zehntausend Pferde zusammen und haben den Vorsatz, Sardes und dich damit zu bekriegen. Krösus hielt dieses für eine wahre Erzählung und sagte: Möchten doch die Götter dieses den Eiländern in die Gedanken kommen lassen, gegen die Lydier mit einer Reiterei heranzuziehen. Darauf versetzte jener: Du scheinst mir, o König, begierig zu wünschen, daß du die Eiländer zu Pferde finden möchtest, und versprichst dir davon gewisse Vorteile. Was wünschen aber die Eiländer, sobald sie gehört haben, daß du Schiffe gegen sie bauen wolltest, mehr, als die Lydier auf der See anzutreffen, damit sie wegen der Griechen auf dem festen Lande, welche du zu Knechten gemacht hast, Rache ausüben können? Diese Antwort soll dem Könige so geschickt vorgekommen sein und ihm dergestalt gefallen haben, daß er den Schiffbau einstellte und mit den Ionern, welche die Inseln bewohnten, ein Freundschaftsbündnis aufrichtete.

Krösus hatte nach und nach fast alle Einwohner diesseits des Halys, die Zilizier und Lykier ausgenommen, bezwungen und unter seine Botmäßigkeit gebracht. Denn es standen unter ihm die Lydier, Phrygier, Mysier, Maryandyner, die Chalyber, Paphlagonen, Thraker, Thyner undBithyner, die Karier, Ionier, Dorier, Äolier, Pamphylier. Nachdem er nun das lydische Reich dergestalt erweitert hat, kommen nach Sardes, welche Stadt bei großem Reichtum in einem blühenden Stande war, fast alle Gelehrten, die zu der Zeit in Griechenland lebten, doch ein jeder für sich; unter andern aber auch Solon, welcher den Athenern auf ihr Verlangen Gesetze gemacht hatte und zehn Jahre herumreiste unter dem Vorwande, die Welt zu besehen, in der Tat aber, damit er nicht gezwungen würde, eines von den Gesetzen, welche er gegeben hatte, aufzuheben. Denn das konnten die Athener nicht tun, weil sie sich durch die stärksten Eide verpflichtet hatten, sich zehn Jahre nach den Gesetzen, welche Solon gemacht hatte, zu richten.

Aus dieser Ursache und auch um der Wissenschaft willen reiste Solon und kam nach Ägypten zu dem Amasis und nach Sardes zu dem Krösus. Er wurde von demselben in dem königlichen Schlosse als ein Gast aufgenommen. Den dritten oder vierten Tag nach seiner Ankunft führten ihn, auf Befehl des Krösus, die Bedienten in den Schatzkammern herum und zeigten ihm alles, was groß und herrlich war. Nachdem er alles besehen und, solange es ihm gelegen war, betrachtet hatte, tat Krösus diese Frage an ihn: Werter Athener, es ist bei uns viel von dir gesprochen worden sowohl wegen deiner Weisheit als auch wegen deiner Reisen, daß du alsein Weltweiser, und vieles zu sehen und zu erfahren, auch zu uns gekommen bist. Nun ist mir die Lust angekommen, dich zu fragen, ob du jemand weißt, der der Glückseligste unter allen Menschen ist. Er tat aber diese Frage, weil er sich einbildete, der Glückseligste zu sein. Solon heuchelte nicht, sondern antwortete nach der Wahrheit: O König, das ist Tellus, ein Athener! Krösus verwunderte sich über diese Antwort und fragte weiter: Weswegen hältst du den Tellus für den Glückseligsten? Dieser Tellus, war die Antwort, hatte bei einem glücklichen Zustande der Stadt schöne und tugendhafte Söhne, und von ihnen insgesamt sah er wieder Kinder, die alle am Leben blieben. Als er nun sein Leben, so weit, als es bei uns möglich ist, in guten Wohlstand gebracht hatte, erlangte er das rühmlichste Ende des Lebens. Denn da die Athener mit ihren Nachbarn bei Eleusis ein Treffen hielten, kam er ihnen zu Hilfe, brachte die Feinde in die Flucht und starb alsdann auf die schönste Weise. Die Athener begruben ihn an dem Orte, wo er geblieben war, auf gemeinsame Kosten und erwiesen ihm große Ehre.

Als nun Solon von dem Tellus und seiner Glückseligkeit viel gesagt und dadurch den Krösus noch mehr gereizt hatte, fragte ihn dieser: wen er nach jenem für den Glücklichsten hielt, und glaubte gewiß, daß er die nächste Stelle bekommen werde. Solon aber nannte den Kleobis und Biton. Diese