Oscar Romero - Prophet einer Kirche der Armen - Martin Maier - E-Book

Oscar Romero - Prophet einer Kirche der Armen E-Book

Martin Maier

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Beschreibung

Am 3. Februar 2015 erklärte Papst Franziskus Oscar Romero kirchenoffiziell zum Märtyrer und machte damit den Weg für seine Seligsprechung frei. Dieses gut recherchierte Buch erzählt die Lebensgeschichte Romeros, in der sich wesentliche Entwicklungen der lateinamerikanischen Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert spiegeln. Aus einem eher traditionellen und ängstlichen Kirchenmann wurde ein weltweit bekannter Prophet der Armen. Im Licht seiner Seligsprechung entfaltet es Romeros Verwurzelung in der ignatianischen Spiritualität, seine Bekehrung, seine Kirchenkonflikte, sein Verhältnis zur Theologie der Befreiung, die weltkirchliche Signalwirkung, die von seiner Seligsprechung ausgeht. Besondere Aufmerksamkeit wird den Ähnlichkeiten und Entsprechungen zwischen Erzbischof Romero und Papst Franziskus geschenkt. Sie sind Brüder im Geist und Verbündete in der Option für die Armen. Oscar Romero ist für Papst Franziskus ein Vorbild in seinem Programm einer "armen Kirche für die Armen". "Wenn ich Papst wäre, würde ich Oscar Romero morgen selig sprechen. Doch ich werde niemals Papst." Kardinal Bergoglio, 2007

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Martin Maier SJ

Oscar Romero

Prophet einer Kirche der Armen

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand

Umschlagmotiv:© KNA-Bild

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80742-8

ISBN (Buch) 978-3-451-34799-3

Inhalt

Einleitung

Leben und Wirken

Eine alte Geschichte

Der Weg bis zur Priesterweihe: 1917–1943

Seelsorger in San Miguel: 1944 –1967

Erste Etappe in San Salvador: 1967–1974

Bischof von Santiago de María: 1974 –1977

Erzbischof von San Salvador: 1977–1980

Oscar Romero – ein Heiliger für das 21. Jahrhundert

Erzbischof Oscar Romero und Papst Franziskus

Verwurzelung in der ignatianischen Spiritualität

Freundschaft mit den Armen

Theologie der Befreiung

Theologie des gekreuzigten Volkes

Märtyrer für die Gerechtigkeit

„Eine arme Kirche für die Armen“

Das Vermächtnis Romeros

Prophet einer Kirche der Armen

Bischof im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils

„Ein Bischof, der nach seinen Schafen riecht“

Literaturverzeichnis

Einleitung

In den Tagen vor dem 23. Mai 2015 stöhnt San Salvador unter einer drückenden Hitze; sogar die Einheimischen haben zu kämpfen. Die für die Jahreszeit üblichen Regenfälle lassen auf sich warten. Es dauert bis zum Freitag, als gegen fünf am Nachmittag der Himmel seine Schleusen öffnet. Ein tropischer Gewitterregen sorgt für die ersehnte Abkühlung, gerade einen Tag vor dem Ereignis, auf das so viele hier hingefiebert haben: die Seligsprechung von Erzbischof Oscar Arnulfo Romero. Etwas mehr als zwei Monate zuvor, am 3. Februar 2015, war bekanntgegeben worden, worauf viele fast 35 Jahre gehofft hatten: die kirchenoffizielle Anerkennung von Oscar Romero als Märtyrer um des Glaubens willen.

Als nun also am Freitag der Regen auf San Salvador herunterprasselt, gießt es in solchen Strömen, dass die geplante Lichterprozession und die anschließende Vigil im Wasser versinken. Die Salvadorianer nehmen es jedoch gelassen und als ein Zeichen des Himmels. Der Regen nach der langen Trockenzeit des tropischen Sommers wird immer als Segen empfunden. Doch der Himmel sollte am folgenden Tag noch ein eindrucksvolleres Zeichen geben.

Auf der Plaza Salvador del Mundo, an einem wichtigen Straßenkreuzungspunkt von San Salvador, wurde über Monate eine überdachte Bühne aufgebaut. Neben dem Altar sind hier die Plätze für die Kardinäle, Bischöfe und Regierungsmitglieder, unterhalb dieser Bühne 6.000 Stühle für die Priester und geladenen Gäste. Auf den Straßen außerhalb dieses abgetrennten Geländes drängen sich an diesem Samstag geschätzte 500.000 Teilnehmer. Viele sind mit Bussen vom Land gekommen. Eine Familie aus Guarjila im Norden des Landes hat den Weg in die Hauptstadt sogar in einer viertägigen Fußwanderung zurückgelegt. Einige verbringen die Nacht zum Samstag in Plastikzelten, um möglichst nahe bei dem Ereignis zu sein. Sie lassen mit Viva-Rufen ihren Heiligen hochleben. Viele tragen sein Bild vor sich her – überall herrscht eine Stimmung großer Freude und Dankbarkeit.

Am Samstagmorgen füllt sich gegen acht die Seminarkirche San José de la Montaña mit 1.200 Priestern, über 100 Bischöfen und fünf Kardinälen. Sie tragen weiße Alben und rote Stolen, die eigens für diesen Tag hergestellt worden waren. Rot symbolisiert in der katholischen Liturgie die Farbe des Blutes der Märtyrer. Zum Schutz gegen die Sonne bekommt jeder einen weißen Sonnenhut. Die Teilnehmer kommen aus 57 unterschiedlichen Ländern, sogar aus Australien sind Menschen angereist. Es herrscht eine pfingstliche Stimmung in einer bunten Vielfalt; alle sind verbunden im Geist von Oscar Romero.

Gegen halb zehn setzt sich die Prozession der Priester und Bischöfe in Richtung Festgelände in Bewegung. Dort sind schon Hostienschalen mit insgesamt 200.000 Hostien bereitgestellt. Um Punkt zehn beginnt die Feier mit dem Lied „Vamos todos al banquete“ – „Wir gehen alle zum festlichen Mahl“. Dieses Lied geht auf eine Predigt des Jesuiten Rutilio Grande zurück, dessen Ermordung entscheidend für die Wandlung Romeros hin zum prophetischen Verteidiger der Armen war. Anschließend eröffnet Kardinal Angelo Amato, der im Vatikan Verantwortliche für die Seligsprechungen, den Gottesdienst. Er schlägt eine Brücke zu den unvollendeten Gottesdiensten bei der Ermordung und der Beerdigung Romeros. Der tödliche Schuss hat Romero im Augenblick der Gabenbereitung von Brot und Wein getroffen; bei dem Beerdigungsgottesdienst haben Sicherheitskräfte in die trauernde Menge geschossen. Diese Gottesdienste würden heute sozusagen mit Romeros Seligsprechung beendet.

Nach dem Bußritus richtet sich Erzbischof José Luis Escobar Alas formell an Kardinal Angelo Amato als Vertreter von Papst Franziskus und bittet um die Seligsprechung. Amato verliest daraufhin den Apostolischen Brief des Papstes mit der Seligsprechung Oscar Arnulfo Romeros als „Bischof, Märtyrer, Hirten nach dem Herzen Christi, Evangelisierer und Vater der Armen, heroischer Zeuge des Reiches Gottes, eines Reiches der Gerechtigkeit und der Geschwisterlichkeit“. Die Versammlung antwortete mit dem Lied „Dein Reich ist Leben, Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden“. In diesem Augenblick setzt sich eine Prozession mit einem Reliquienschrein in Bewegung, in dem das blutgetränkte Hemd Romeros ausgestellt ist. Von Monseñor Ricardo Urioste, seinem Generalvikar, und Diakonen mit Psalmzweigen als Symbol des Sieges der Märtyrer begleitet, wird der Schrein neben dem Altar aufgestellt. Dieser Schrein tritt in den folgenden Monaten eine Reise durch alle Pfarreien El Salvadors an; danach wird ein riesiges Portrait Romeros enthüllt.

Plötzlich kommt Unruhe auf. Viele zeigen zum Himmel: Um die leicht hinter einer Wolke verborgene Sonne hat sich kreisrund eine große Regenbogenaureole gebildet – wie ein riesiger Heiligenschein. Für dieses Halo genannte klimatische Phänomen gibt es eine naturwissenschaftliche Erklärung. Doch in dieser Form ist es sehr selten. Sogar einige Bischöfe bewegen sich zum Rand der Tribüne und fotografieren das Naturschauspiel mit ihren Handys. Viele deuten es als ein Zeichen des Himmels – als sollte die Seligsprechung Romeros von oben bekräftigt werden.

In seiner Predigt preist Kardinal Amato den neuen Seligen als einen Mann des Friedens, „dessen Licht weiterhin über den Armen und Ausgegrenzten leuchtet“. Bei der Prozession zur Gabenbereitung wird auch der Bericht der Wahrheitskommission zum Altar getragen, die von den Vereinten Nationen nach den Friedensverträgen im Jahr 1992 eingesetzt wurde. Das Dokument trägt den Titel „Vom Wahnsinn zur Hoffnung“. In ihm wird Roberto D’Aubuisson, der die Todesschwadronen in El Salvador organisierte, als der Auftraggeber des Mordes genannt.

Die Priester verteilen die Kommunion; danach wird der Brief verlesen, den Papst Franziskus an Erzbischof Escobar Alas geschrieben hat. Darin zählt der Papst Romero unter „die besten Söhne der Kirche“. Er vergleicht ihn sogar mit Mose, der sein Volk aus der Unterdrückung befreit hat. Romero sei der gute Hirte gewesen, der sein Leben für seine Schafe gegeben habe: „Als das Zusammenleben schwierig wurde, verstand es Erzbischof Romero, seine Herde zu führen, zu verteidigen und zu schützen … Sein Dienst war von einer besonderen Hinwendung zu den Ärmsten und Ausgegrenzten gekennzeichnet.“ Am Ende des Briefes äußert der Papst die Hoffnung, dass die Seligsprechung auch ein Beitrag zur Versöhnung in El Salvador werde. Tatsächlich leidet das Land immer noch unter großen sozialen Gegensätzen, politischer Polarisierung und der Gewalt von Jugendbanden.

Die Feier endet gegen eins am Mittag mit einem Lied, das der in El Salvador besonders verehrten Muttergottes des Friedens gewidmet ist; sie besaß für Romero immer eine besondere Bedeutung. Das Chaos, das einige befürchtet hatten, bleibt aus. Die Organisation klappt weitgehend reibungslos. El Salvador zeigt sich der Welt an diesem Tag von seiner besten Seite. Sogar die Jugendbanden kündigten eine Art Waffenstillstand an. Für 24 Stunden wird die Mordrate von durchschnittlich 25 pro Tag auf vier zurückgehen. Viele sagen, das wichtigste und notwendigste Wunder Romeros wäre die Überwindung der Gewalt und Polarisierung in El Salvador.

Im Verlauf der vergangenen zwei Jahre hat sich immer klarer gezeigt: Die treibende Kraft hinter der Seligsprechung war Papst Franziskus gewesen. Ein Priester aus El Salvador traf ihn 2007 bei der Bischofsversammlung im brasilianischen Aparecida. Er hörte vom damaligen Erzbischof von Buenos Aires: „Wenn ich Papst wäre, würde ich Romero morgen seligsprechen. Doch ich werde niemals Papst.“ In Letzterem hat er sich getäuscht, und in Ersterem hat er Wort gehalten.

Während meiner Teilnahme an dieser Seligsprechungsfeier ist mir noch einmal deutlich geworden, wie sehr Oscar Romero mein eigenes Leben verändert hat. Zum ersten Mal war ich auf ihn aufmerksam geworden, als in den Nachrichten seine Ermordung am 24. März 1980 gemeldet wurde. Besonders schockierte mich damals, dass er während der Feier der heiligen Messe erschossen worden war. Plötzlich wurde die Erinnerung an den Tod Jesu real: „Mein Leib, der für euch hingegeben wird, mein Blut, das für euch vergossen wird.“ Ich stand damals ganz am Anfang meines Weges im Jesuitenorden. In der Kapelle meditierte ich über dieses Ereignis. Und noch heute ist mir gegenwärtig, wie sich in mir die Bewunderung für das Zeugnis Romeros mit Empörung und Angst mischte. Aber El Salvador war für mich damals weit entfernt.

Neun Jahre später landete ich in El Salvador. Oscar Romero hatte mich nicht mehr losgelassen. Ich wollte mehr über sein Land und seine Kirche erfahren. Ich wollte auch mehr über die Theologie wissen, die seinem Engagement zugrunde lag: die Theologie der Befreiung. Ich hatte inzwischen die beiden Jesuiten Jon Sobrino und Ignacio Ellacuría kennengelernt, zwei wichtige Befreiungstheologen und enge Berater Romeros. Über ihre Theologie schrieb ich meine Dissertation unter dem Titel „Theologie des gekreuzigten Volkes“. Das war der Anfang einer inzwischen über 25-jährigen Geschichte, die mich mit dem kleinen zentralamerikanischen Land verbindet.

Dabei kam ich mit der Geschichte der Märtyrer dieses Landes auf eine existenzielle Weise in Berührung. Am 16. November 1989 wurden sechs Jesuiten in der Zentralamerikanischen Universität wegen ihres Einsatzes für Glaube und Gerechtigkeit von Soldaten der Armee ermordet. Mit ihnen wurden die Köchin Elba Ramos und ihre Tochter Celina umgebracht, weil die Soldaten den Befehl erhalten hatten, keine Zeugen von dem Verbrechen übrig zu lassen. Unter ihnen war Ignacio Ellacuría. Mit Ignacio Martín-Baró hatte ich an den Wochenenden in einer Landgemeinde mit Namen Jayaque zusammengearbeitet. Nach der Beerdigung „ernannten“ mich die Campesinos zu seinem Nachfolger. Wir teilten schwierige, aber auch sehr schöne Erfahrungen, die mich zu einem tieferen Glauben an Kreuz und Auferstehung führten. Eigentlich wollte ich damals für immer in El Salvador bleiben. Doch mein Ordensoberer rief mich nach Europa zurück. Immerhin kann ich regelmäßig nach El Salvador zurückkehren, um theologische Vorlesungen an der Zentralamerikanischen Universität zu halten und um meine Verbundenheit mit Jayaque lebendig zu halten.

Oscar Romero wurde zu einem Begleiter auf meinem weiteren Lebensweg. Wenn ich in El Salvador bin, besuche ich sein Grab in der Krypta der Kathedrale, um dort zu beten. Ein weit entfernter Verwandter Romeros lud mich vor einigen Jahren in seinen Geburtsort Ciudad Barrios ein. Dort lernte ich den 99-jährigen Don Miguel Angel kennen, der mit mir seine Erinnerungen an die Kindheit Oscar Romeros teilte. In der Nähe seines Hauses war ein „trapiche“, eine altertümliche Zuckerrohrpresse, einer Kelter ähnlich, die von Kühen in Bewegung gesetzt wurde. Der kleine Oscar habe den süßen Zuckerrohrsaft besonders gemocht. Plötzlich erschien ein kleiner Junge, und ich fühlte mich für einen Augenblick um 90 Jahre in die Vergangenheit versetzt. Auf dem Friedhof von Ciudad Barrios besuchten wir dann auch das Grab des Vaters. In der Kirche hängen große Bilder des bekanntesten Sohnes des Ortes. Der Pfarrer bot mir freundlich an, länger nach Ciudad Barrios zu kommen und in der Pfarrei mitzuarbeiten.

Am 24. August 2014 lud mich mein Freund Miguel Vasquez ein, den Gottesdienst zum Patronatsfest von Arcatao zu feiern. Arcatao liegt im Norden des Landes an der Grenze zu Honduras; diese Gegend war von den Gräueln des Bürgerkriegs besonders betroffen. 35 Jahre zuvor hatte Erzbischof Romero den Gottesdienst zu Ehren des heiligen Bartolomäus in Arcatao gefeiert. Ich fragte am Ende meiner Predigt, ob sich noch jemand an den Besuch von Erzbischof Romero erinnern könne. Mehrere Hände von älteren Leuten gingen in die Höhe. Ich bat zwei Frauen, von ihren Erinnerungen zu erzählen.

Ihre detailreichen und lebendigen Erzählungen waren beeindruckend. Am Ortseingang sei das Fahrzeug Romeros von Soldaten der Nationalgarde angehalten worden. Romero musste aussteigen und sich mit erhobenen Armen gegen das Fahrzeug stellen. Dann hätten die Soldaten eine Leibesvisitation vorgenommen. Die Zeitzeugin berührte mich im Schwung ihrer Erzählung mit ihren Händen so, wie die Soldaten Romero berührt hatten. In der Predigt habe er dann gesagt, dass wir solche Prüfungen bestehen müssten. Und wenn es Opfer der Repression gebe, solle ihm die Gemeinde einen Brief schreiben – er würde das im kirchlichen Rundfunksender an die Öffentlichkeit bringen. Ich las danach Romeros Eintragungen über diesen Vorfall in seinem Tagebuch. Seine Aufzeichnungen stimmten bis in die Details mit den Erinnerungen der beiden Frauen überein.

Im Leben von Oscar Romero spiegeln sich die Veränderungen in der jüngeren Kirchengeschichte vor allem in Verbindung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Was für das Konzil die neue Öffnung gegenüber der modernen Welt war, war für die Bischöfe Lateinamerikas nach ihrer Versammlung in Medellín 1968 die Öffnung zur Welt der Armen. So wandelte sich Oscar Romero von einem mehr traditionellen und konservativen Priester zum prophetischen Verteidiger der Armen. Dieser Veränderung, die manche als eine Bekehrung bezeichnen, bin ich vor 15 Jahren in einem Buch nachgegangen, das in der Reihe veröffentlicht wurde, die „Meister der Spiritualität“ aus den Weltreligionen vorstellte, solche aus der Tradition, aber auch aus unserer Zeit. 2010 ist es in einer überarbeiteten und erweiterten Auflage unter dem Titel „Oscar Romero – Kämpfer für Glaube und Gerechtigkeit“ erschienen.

Inzwischen habe ich weitere Artikel über Romero geschrieben, viele Vorträge gehalten und Rundfunksendungen über ihn verfasst. Beim Katholikentag in Mannheim 2012, der unter dem Thema „Einen neuen Aufbruch wagen“ stand, habe ich über Romero in einer Reihe „Gestalten des Aufbruchs“ gesprochen. Die Seligsprechung ist für mich ein willkommener Anlass, Romero mit diesem neuen Buch umfassend zu würdigen.

Im ersten Teil werde ich seine Lebensgeschichte erzählen und mich dabei weitgehend auf mein früheres Buch „Oscar Romero – Kämpfer für Glaube und Gerechtigkeit“ stützen. Im zweiten Teil möchte ich mich im Licht der Seligsprechung neu wichtigen Themen und Einstellungen Romeros annähern und nach seiner Bedeutung für heute fragen. Besondere Aufmerksamkeit schenke ich dabei Ähnlichkeiten und Entsprechungen zwischen Erzbischof Romero und Papst Franziskus. Ich sehe sie als Brüder im Geist und als Verbündete in der Option für die Armen.

Leben und Wirken

Eine alte Geschichte

Die Geschichte Oscar Romeros ähnelt in vielem der Geschichte Jesu von Nazarets. Romeros Tod war ebenso angekündigt und voraussehbar wie der seines Herrn und Meisters. In ihrem Leben gibt es überraschend viele Parallelen. Beide sind sie in armen Verhältnissen in der Provinz eines kleinen, unbedeutenden Landes geboren. Beide lebten sie aus einer tiefen Verbundenheit mit Gott und beteten bevorzugt in der Nacht. Der erste Beruf, den sie erlernten, war der des Zimmermanns. Für beide leitete die Ermordung eines guten Freundes eine entscheidende Wende in ihrem Leben ein. Durch ihre Predigten wurden sie zu öffentlich bekannten Personen. Sie verkündeten die Güte und die Menschenfreundlichkeit Gottes. Und sie kündigten das Kommen des Reiches Gottes an als neue, geschwisterliche Ordnung unter den Menschen.

Beide ergriffen Partei für die Armen und die gesellschaftlich Diskriminierten. Dabei wurde es für sie zu einer beglückenden Schlüsselerfahrung, dass sich Gott ihnen gerade in denen zeigte, die nach den gängigen Maßstäben nichts zählen. Wie die Propheten Israels klagten sie Ungerechtigkeit und Korruption an. Dabei machten sie auch vor den religiösen Führern nicht halt. Und wie die Propheten waren sie zugleich voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Beide wurden sie ein „Fall“ für die Hüter der religiösen Rechtgläubigkeit. Man warf ihnen vor, dass sie sich in „schlechter Gesellschaft“ bewegten. Von beiden wurde gesagt, sie seien verrückt und vom Teufel besessen. Sie wurden zu einem Stein des Anstoßes.

Mit der Zeit verbündeten sich alle maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen gegen sie. Man bezichtigte sie, Aufrührer zu sein und die öffentliche Ordnung zu stören. Jesus wie auch Romero gerieten in eine Konfrontation mit den imperialistischen Großmächten ihrer Zeit und ihnen wurden gerade etwa drei Jahre Zeit gelassen für ihr öffentliches Wirken.

Ihre einzige Waffe war das Wort. Beide glaubten daran, dass das Wort Gottes die Wirklichkeit verändern kann. Der Gewalt ihrer Gegner begegneten sie mit der Gewaltlosigkeit der Liebe. Sie haben ihren Tod bewusst in Kauf genommen und doch blieb ihnen die Todesangst nicht erspart. Sie wurden kaltblütig ermordet und haben beide ihren Henkern vergeben. Nach menschlichem Ermessen sind sie gescheitert. Trotzdem sind sie mit dem Glauben in den Tod gegangen, dass ihre Lebenshingabe nicht umsonst sein würde. Beide vertrauten darauf, dass sich in ihrem Sterben das Naturgesetz von Tod und neuem Leben erfüllen würde, so wie beim Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, um dann reiche Frucht zu bringen.

Der Weg bis zur Priesterweihe: 1917–1943

Geboren wurde Oscar Romero am 15. August 1917 als das zweite von acht Kindern in dem Provinzstädtchen Ciudad Barrios, das sich in der Hügellandschaft im Nordosten El Salvadors, nicht weit von der Grenze zu Honduras befindet. In Ciudad Barrios lebten damals etwa 1.000 Menschen. Der Vater Santos Romero und die Mutter Guadalupe de Jesús, ihr Mädchenname lautete Galdámez, waren beide Mestizen, abstammend von den indianischen Ureinwohnern und den ausländischen Eroberern, den spanischen Conquistadores

El Salvador: Eine Geschichte von Ungerechtigkeit und Repression

El Salvador ist etwa so groß wie das Bundesland Hessen und damit das flächenmäßig kleinste Land Zentralamerikas. Zwei spanische Brüder mit Namen de Alvarado eroberten 1524/25 das Gebiet des heutigen El Salvador. 1542 wurde es in die Capitanía General de Guatemala eingegliedert. 1821 erlangte das Land die Unabhängigkeit von Spanien und 1824 wurde schließlich die erste salvadorianische Landesverfassung verabschiedet. Als Romero auf die Welt kam, gab es knapp 1,3 Millionen Einwohner. Bis zu seinem Tod 1980 vervierfachte sich die Bevölkerung. Damit ist El Salvador das am dichtesten besiedelte Land ganz Lateinamerikas. Lange lebten die Menschen fast ausschließlich von der Landwirtschaft. Im 19. Jahrhundert wurde neben Indigo, Zuckerrohr und Baumwolle zunehmend Kaffee angebaut. Die ungleiche Landverteilung hat ihre Wurzeln zwar schon in der Conquista. Doch als mit dem Kaffeeexport viel Geld zu verdienen war, setzte eine zusätzliche Konzentration des Grundbesitzes in den Händen einiger weniger ein. Sprichwörtlich wurden die „Vierzehn Familien“, die das Land beherrschten. Die große Mehrheit der Bevölkerung hatte dagegen keinen Grundbesitz und bestenfalls schlecht bezahlte Arbeit in den Wochen der Ernte.

Die hohe Bevölkerungsdichte und diese extrem ungleiche Landverteilung sind entscheidend für das Elend und die Repression, die El Salvador während Oscar Romeros Leben zerreißen. Im Kontrast dazu stehen die natürlichen Schönheiten des Landes: Mit seinen Vulkanen und Seen, seinen zum Teil noch unberührten Pazifikstränden und seiner üppigen Vegetation könnte es ein kleines tropisches Paradies sein. Auch deshalb hat Romero sein Land geliebt. So sagte er bei seinen Auslandsaufenthalten als Bischof wiederholt, das Schönste an diesen Reisen sei es, nach Hause zurückzukehren.

Die Umgebung von Ciudad Barrios eignete sich mit ihren vulkanischen Böden und dem angenehm frischen Klima besonders für den Kaffeeanbau. Die Mutter Romeros hatte eine kleine Kaffeeplantage in die Ehe mitgebracht. Trotzdem zählte die Familie Romero zu den Armen. Als Erzbischof wird er später über seine Herkunft sagen: „Ich bin in einer sehr armen Familie geboren. Ich habe Hunger gelitten, ich weiß, was es heißt, von klein auf zu arbeiten.“ Besonders kritisch wurde die Situation in der Zeit der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929, von deren Folgen auch El Salvador nicht verschont blieb. Die Konsequenzen bekam vor allem die Landbevölkerung zu spüren. In einem Akt der Verzweiflung setzte sich 1932 der von kommunistischen Ideen inspirierte Farabundo Martí an die Spitze eines Bauernaufstands, den die Armee unter General Maximiliano Hernández Martínez mit US-amerikanischer Hilfe blutig niederschlug: In der berüchtigten „Matanza“ („Schlächterei“) gab es innerhalb weniger Wochen 30.000 Tote. Das Trauma dieses Massenmordes wirkte in der Bevölkerung El Salvadors lange nach. Bis 1979 wurde das Land von Militärdiktaturen regiert, die eine notdürftige demokratische Fassade aufbauten.

Doch in den 60er-Jahren begann es im Volk von El Salvador zu gären. Die Menschen fanden sich mit den extremen sozialen Gegensätzen und der ungleichen Landverteilung nicht mehr einfach ab. War doch inzwischen nahezu die Hälfte des kultivierbaren Landes im Besitz von gerade 1,5 Prozent der Bevölkerung, während die Campesinos nicht einmal mehr einen kleinen Acker für die traditionelle „Milpa“, den Maisanbau, hatten. Es bildeten sich neue soziale Bewegungen, Gewerkschaften und linksorientierte Parteien. Doch diese Bewegungen wurden von der Oligarchie pauschal als „kommunistisch“ abgestempelt und dementsprechend bekämpft. Die katholische Kirche mit dem damaligen Erzbischof Luis Chávez y González unterstützte die landlosen Bauern auf ihrem Weg, sich zu organisieren. In einer lange geplanten, aber von der Oligarchie systematisch boykottierten Landreform spielte die christliche Bauern- und Landarbeitergewerkschaft FECCAS-UTC (Federación Cristiana de Campesinos Salvadoreños-Unión de Trabajadores del Campo) eine wichtige Rolle. Damit sahen die Herrschenden in den sozial engagierten, christlichen Gruppen zunehmend eine Bedrohung ihrer Interessen: In den 70er-Jahren nahm eine der blutigsten Christenverfolgungen der jüngeren Kirchengeschichte ihren Anfang.

„Der Junge mit der Flöte“

Vor diesem Hintergrund hat sich Oscar Romeros Leben abgespielt. Mit Zaída Romero, der um zwei Jahre jüngeren Schwester Oscars, konnte ich ein langes Gespräch über seine Kindheit führen. Sie erzählte: „Mein Vater war Telegrafist. Meine Mutter kümmerte sich um die Post. Mein Bruder Oscar war der Briefbote. Er war damals noch sehr klein. Zuerst hat er das Allerheiligste besucht. Von der Kirche ging er dann los und verteilte die Briefe in den Häusern.“ Auch andere in Ciudad Barrios erinnern sich an seine auffallende Frömmigkeit schon als Kind.

Vom Vater lernte Oscar Flöte spielen und Schreibmaschine schreiben. Man nannte ihn „den Jungen mit der Flöte“. Zeit seines Lebens blieb er ein Musikliebhaber. Später lernte er, Harmonium und Klavier zu spielen. Auch als Erzbischof hörte er gerne zur Entspannung klassische Musik oder Musik auf der Marimba, eine für Zentralamerika typische Art Xylophon. Und er liebte das Singen: Sein Lieblingslied „El amigo“, „Der Freund“, wird später noch eine wichtige Rolle spielen.

Zunächst aber bremste eine schwere Krankheit im Alter von vier Jahren die Entwicklung des Kindes. An physischer Kraft und Ausdauer war er den Gleichaltrigen unterlegen. Er scheint ein schüchterner und eher kontaktarmer Junge gewesen zu sein. Die Gemeinde von Ciudad Barrios war so arm, dass in der öffentlichen Schule nur die ersten drei Klassen unterrichtet werden konnten. Oscar erhielt drei weitere Jahre privaten Schulunterricht. Mit zwölf Jahren begann er eine Schreinerlehre. Damals erwachte in ihm der Wunsch, Priester zu werden. Die Eltern scheinen nicht begeistert darüber gewesen zu sein. Unterstützung fand er beim Bürgermeister Alfonso Leiva und bei Pater Benito Calvo, einem Geistlichen, der hin und wieder nach Ciudad Barrios kam. So ging er mit 13 Jahren in das von Claretinerpatres geleitete Kleine Seminar in der etwa 50 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt San Miguel. Für die Familie war es schwierig, das nötige Geld dafür aufzubringen. Ein Teil des Hauses musste dafür vermietet werden.

Erste geistliche Schulung

Schon als Kind liebte es Oscar Romero, in der Nacht zu beten. Auch in der Kapelle des Kleinen Seminars kniete er häufig in der Dunkelheit vor dem Tabernakel. Die Gewohnheit des nächtlichen Betens begleitete ihn sein ganzes Leben. Romero bewahrte gute und dankbare Erinnerungen an die Jahre im Kleinen Seminar. Hier war der Tagesablauf durch Schulunterricht, geistliche Unterweisungen und gemeinsame Erholungszeiten geregelt. Zur geistlichen Schulung gehörten die tägliche Messe, regelmäßige Gebetszeiten, die geistliche Lesung in der „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempen und Bußübungen etwa mit einer Geißel, was auf die heutige Mentalität befremdlich wirkt.

1937 ging Romero in das interdiözesane Priesterseminar in der Hauptstadt San Salvador, das von Jesuiten geleitet wurde. Die Priesterausbildung war damals noch auf der ganzen Welt nach denselben Prinzipien organisiert und baute auf denselben lateinischen Lehrbüchern auf. Sieben Monate später wurde er zusammen mit seinem Freund Rafael Valladares ausgewählt, in Rom weiter zu studieren. Warum gerade Romero und Valladares? Unter den Seminaristen war ein Wettbewerb veranstaltet worden, wer die beste Lobrede auf den Papst halten konnte. Romeros rhetorisches Talent scheint damals schon beachtlich gewesen zu sein.

Die römischen Studienjahre

In Rom wohnten sie im Lateinamerikanischen Kolleg Pio Latino und studierten an der Universität Gregoriana. Beides sind Institutionen der Jesuiten, die geistlich und theologisch prägend auf Romero wirkten. Hier lernte Romero die Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola kennen, Tage intensiven Betens und Schweigens mit dem Ziel, das Leben nach dem Willen Gottes auszurichten. Die Spiritualität der Exerzitien wurde zu seiner wichtigsten geistlichen Quelle – bis wenige Wochen vor seinem Tod.

In seinem Theologiestudium legte er den Akzent auf die geistliche Theologie. Er beschäftigte sich mit Augustinus, Johannes vom Kreuz und Teresa von Ávila. Besonderen Einfluss übte die eucharistische Frömmigkeit des irischen Benediktinermönchs Columbia Marmion (1858 –1923) auf ihn aus. Er begann eine Doktorarbeit über den spanischen Jesuiten Luis de la Puente (1554 –1624), der bis ins 20. Jahrhundert eine große Ausstrahlung als geistlicher Schriftsteller hatte. Diese Arbeit konnte er aber nicht zu Ende bringen, da ihn sein Bischof im August 1943 zusammen mit Valladares aus dem vom Zweiten Weltkrieg erschütterten Rom nach El Salvador zurückrief. Romero deponierte seine römischen Studienunterlagen später bei seiner Familie in Ciudad Barrios. Doch der Koffer ging verloren, als das Elternhaus verkauft wurde.

Die erste schriftliche Quelle Romeros stammt aus dieser Zeit. Im März 1940 schrieb er in der Hauszeitung des Lateinamerikanischen Kollegs einen Text über das Priestertum. Priestersein beschreibt er hier als „ein Gekreuzigter mit Christus zu sein, der Heil stiftet, und zusammen mit Christus ein Auferstandener zu sein, der Auferstehung und Leben weitergibt“. Interessant ist, dass Romero dabei besonderen Wert auf die Armut des Priesters legt: „Der Priester muss arm sein, auch wenn er kein Armutsgelübde abgelegt hat; das ist eine Forderung der pastoralen Liebe.“ Diese Ideale bewegten Romero, als er am 4. April 1942 in Rom die Priesterweihe empfing.

Seelsorger in San Miguel: 1944 –1967

Nach einer abenteuerlichen Reise trafen Romero und Valladares im Dezember 1943 wieder in El Salvador ein. Nachdem man sie schon für verschollen gehalten hatte, wurden sie in San Miguel vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs überschwänglich als „Helden des Krieges“ und als „Märtyrerpriester“ empfangen. Am 11. Januar 1944 feierte Oscar Romero seine erste heilige Messe in Ciudad Barrios. Seine Schwester Zaída erinnert sich, wie abgemagert er damals gewesen sei. Sein wichtigster Wunsch für seine Primizfeier sei es gewesen, dass die armen Leute aus der ganzen Umgebung gut zu essen bekamen. Truthähne wurden geschlachtet, ein Onkel habe ihm sogar einen Ochsen geschenkt. So sei es ein Riesenfest geworden.

Arbeit bis zur Erschöpfung

Nach einer Zeit der Erholung schickte ihn Bischof Miguel Angel Machado als Pfarrer in das Dorf Anamorós in dem östlichen Bezirk La Unión. Doch Machado scheint schnell die Qualitäten des jungen Priesters erkannt zu haben. Er holte ihn nach San Miguel, machte ihn zu seinem Sekretär, ernannte ihn zum Pfarrer der Gemeinde Santo Domingo und übertrug ihm die Verantwortung für die Kirche San Francisco, wo „Nuestra Señora de la Paz“, die „Muttergottes des Friedens“, verehrt wurde. Die Förderung der Frömmigkeit um dieses Marienheiligtum machte sich Romero zu einem besonderen Anliegen. Daneben war er verantwortlich dafür, dass die Bauarbeiten an der Kathedrale und dem Kleinen Seminar fertiggestellt wurden.

Von den verschiedensten geistlichen Gemeinschaften wurde er als Begleiter angefragt. Viele Schwesternkongregationen wählten ihn zu ihrem Beichtvater. Er war zuständig für die diözesane Wochenzeitung „El Chaparrastique“, benannt nach dem Vulkan bei San Miguel. „El Chaparrastique“ hieß auch der diözesane Radiosender, in dem täglich Bibelbetrachtungen Romeros übertragen wurden. Schließlich gründete er auch noch eine Gruppe der anonymen Alkoholiker. War Bischof Machado aus der Diözese abwesend, dann vertraute er seinem Sekretär die Leitungsgeschäfte an. Obwohl er von eher schwacher Gesundheit war, arbeitete Romero ohne Pause, manchmal bis zur Erschöpfung.

Freund der Armen und der Reichen