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Dass ausgerechnet seine Schwester einen Pfarrer heiratet, hat ihr Bruder nicht glauben wollen. Weiß er doch, dass beide in ihrer Jugend große Freude daran hatten, den für sie zuständigen Gottesmann im gemeinsamen Konfirmandenunterricht mit einfachen Fragen aus dem Konzept zu bringen und Dogmen jeder Art die Stirn zu bieten. Wer hätte auch gedacht, dass das Leben an der Seite eines Pfarrers viele Gelegenheiten bietet, gegen die Zwänge des kirchlichen Alltages zu rebellieren. Von Haus aus ohne den christlich-kirchlichen Schliff, der von der Frau eines Pfarrers erwartet wird, geht die junge Pfarrfrau mit pragmatischem Elan und fröhlicher Unbekümmertheit ans Werk. So hat ein Trampeltier im Gemeindesaal für einigen Wirbel gesorgt. Auch die kleinen Pfarrerskinder waren immer für eine Überraschung gut. Sie möchten wissen, wie das häusliche Missgeschick mit dem rosa verfärbten Beffchen ausgegangen ist? Oder, wer eigentlich die Frau vom Weihnachtsmann ist? Lassen Sie sich überraschen von den heiteren, teils auch berührenden Geschichten aus dem Innenleben eines Pfarrhauses.
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Seitenzahl: 55
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für
Tilman und Corinna
Marten und Anneke
Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Die Frau vom Weihnachtsmann
Das Gastmahl
David gegen Goliath
Alles zu seiner Zeit
Kleider machen Leute
Die Mütze
Lasset die Kindlein zu mir kommen
Ein Sonntag im Pfarrhaus
Die roten Schuhe
Weißer als weiß
Zirkus in der Kirche
Die Oma im Himmel
Wahlverwandtschaft
Die Speisung der 5000
Die Hausbesetzung
Papakekse
Krippenspiele
Der 40ste Geburtstag
Der letzte Wunsch
Ostern mitten im Dezember
Fußweh
Die Katze
Verlorene Söhne
Von Fröschen und Prinzen
Die Vertreibung aus dem Paradies
Doppelt hält besser
„Du heiratest einen Pfarrer?“, fragte vor vielen Jahren mein ältester Bruder entgeistert. Nach einer kurzen Schrecksekunde fügte er hinzu: „Ausgerechnet Du?“
Möglicherweise hätte es ihn weniger erstaunt, wenn ich ihm einen Diamantenschmuggler als zukünftigen Schwager präsentiert hätte. Ich muss schon sagen, mein Bruder traute mir offenkundig so einiges zu. Doch bevor Sie jetzt unzutreffende Vermutungen anstellen, lassen Sie mich erwähnen, dass ich keine Heidin bin. Ich bin auch keine Atheistin und schon gar keine Satansanbeterin. Die schlichte Wahrheit ist, dass unsere Eltern keine Kirchgänger waren und uns eher im humanistischen Sinn erzogen haben. Wir lernten, alle Menschen gleichermaßen zu achten und Dogmen gleich welcher Art abzulehnen.
Ich nehme an, mein Bruder erinnerte sich an unsere losen Familienreden über kirchliche Rituale. Er dachte vermutlich an unsere gemeinsame Konfirmandenzeit. Damals fanden wir große Freude daran, den für uns zuständigen Gottesmann mit einfachen Fragen aus dem Konzept zu bringen. Vielleicht erinnerte er sich auch an unser Vorhaben, während der 68er Studentenjahre den Staub von 1000 Jahren unter den Talaren hervor zu fegen. Er konnte ja so wenig wie ich ahnen, dass das Leben an der Seite eines Pfarrers viele Gelegenheiten zum kreativen Umgang mit den gesellschaftlichen Dogmen des Alltages bieten würde.
Was mir bei der Heirat natürlich fehlte, war der christlich-kirchliche Schliff, der von der Frau eines Pfarrers erwartet wird. Und so ging ich ziemlich blauäugig an die Pfarrhausarbeit. Für mich sprach nichts als die feste Entschlossenheit, an der Seite meines Mannes ein wenig fröhliche Unbekümmertheit in die konservativ geprägte Welt seiner Gemeinde zu tragen. Dabei pflegten wir eine strikte Arbeitsteilung. Er kümmerte sich um die Christen und ich mich um die Heiden. Auf diese Weise hatten wir einen recht großen Aktionsradius.
Mein Mann, Pfarrer Dietrich Reiß, starb kurz vor unserem zehnten Hochzeitstag. Ich hatte mit ihm wenige, aber erfüllende Jahre. Aus unserer Ehe sind mir vier wundervolle Kinder geblieben. Zwei geschenkte, die mein Mann nach dem Tod seiner ersten Frau mit in die Ehe gebracht hatte, und zwei selbst erarbeitete.
Auch geblieben sind Erinnerungen, die so viele Jahre nach seinem Tod immer noch mein Herz erwärmen und mit Dankbarkeit erfüllen. Wann immer ich von meinen Erlebnissen im Pfarrhaus erzähle, kommt unweigerlich die Frage: „Ist das wirklich wahr?“ Ja. Die Geschichten, die Sie hier lesen, sind wahr. Alle. Ich kann keine Geschichten erfinden, dazu fehlt mir die Phantasie. Das Leben kann das viel besser als ich, aber bilden Sie sich am besten selbst ein Urteil.
Bevor ich vom Leben im Pfarrhaus erzähle, sollten Sie wissen, wie das alles begann. Dazu muss ich ein wohl gehütetes Geheimnis lüften: Ich bin die Frau vom Weihnachtsmann.
Sie glauben das nicht, weil Sie schon längst den Glauben an den Weihnachtsmann verloren haben? Nun, dann haben wir ein Problem. Wenn es den Weihnachtsmann nämlich nicht gibt, dann hat er auch keine Frau und dann gibt es mich auch nicht. Aber ich bin Realität und 1979 als Frau vom Weihnachtsmann standesamtlich genehmigt und beurkundet. Das war kurz nach Weihnachten in Oberursel bei Frankfurt. Klar hab ich das schriftlich, was denken Sie denn? Ich würde doch nicht in wilder Ehe mit einem Weihnachtsmann leben und das auch noch freiwillig zugeben.
Aha, jetzt kommen wir weiter. Sie fangen an zu grübeln. Kein Grund zur Panik. Die Geschichte ist ganz einfach. Um sie zu erzählen, müssen wir jedoch weit zurück in meine ersten Kinderjahre.
Damals kam der Weihnachtsmann jedes Jahr zu uns. Eine hoch aufgeschossene, männliche Gestalt mit einem jugendlichen Gesicht und einem weißen Wattebart. Dass er keinen Bauch hatte, wie es sich eigentlich für den Weihnachtsmann gehört, machte uns Kindern nichts aus. Allein der Bart und der rote Bademantel reichten als Legitimation. Wenn wir alle ehrfürchtig unsere Gedichte aufgesagt hatten, wurde es gemütlich. Der Weihnachtsmann setzte sich in die Familienrunde. Als einzigem Mädchen unter lauter Brüdern kam mir die Ehre zu, auf seinen Knien zu sitzen und an seinem Bart zu zupfen. Ich fand schon in diesem zarten Alter, dass die Knie des Weihnachtsmannes ein guter Platz für ein Mädchen sind.
Meine Brüder beneideten mich um dieses alljährliche Privileg. Doch allzu lange dauerte es eh nicht. Irgendwann fingen wir Kinder an, über die wahre Identität des weihnachtlichen Besuches nachzudenken. Unter uns Geschwistern herrschte seltene Einigkeit darüber, dass Onkel Herbert nicht in Frage kam. Der war kleiner. Und – wie das im Leben so spielt – in dem Moment, in dem man Dinge hinterfragt, werden sie Vergangenheit. Der Weihnachtsmann kam nicht mehr. Wir vergaßen die ganze Sache.
Als ich viele Jahre später, im Dezember 1979, mit meinem frisch Angetrauten das Standesamt in Oberursel verlasse, sagt er zu mir: „Du hast früher immer zu Weihnachten auf meinen Knien gesessen und mich schon damals so nett angehimmelt.“
Unser Pfarrhaus ist eine Anlaufstelle für das fahrende Volk. Hier gibt es heißen Kaffee und Spiegeleier mit Speck. Besonders in den Sommermonaten füllt sich die Pfarrhausküche mit den unterschiedlichsten Menschen. Manche, die nur etwas essen wollen, und viele, die von ihrem Leben auf Wanderschaft erzählen. Den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten hinterfrage ich nicht. Ich fühle mich in jedem Fall trefflich unterhalten.
An einem Freitagvormittag, kurz nach unserem Einzug in das Pfarrhaus, wird mein Selbstverständnis als Gastgeberin in Frage gestellt. Der Wochenendeinkauf steht bevor, Küche und Keller sind leer. Es klingelt. Ein Landstreicher spaziert wortlos herein. Setzt sich mitten hinein in die Pfarrküche, in der das pralle Leben in Gestalt von zwei kleinen Kindern und zwei Hunden tobt. Er sagt nichts.
Ich begebe mich hektisch auf die Suche nach etwas Essbarem. Der Kühlschrank ist leer, im Vorratsschrank findet sich noch nicht mal eine Dose Erbsensuppe. Der Kaffee ist auch alle. Ich finde nur noch eine halbe Banane, halte das klägliche Stück hoch und schaue den Gast bedauernd an. Er blickt auf die milde Gabe und sagt immer noch nichts. Schließlich steht er auf und verlässt grußlos das Haus.