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18. Januar 1871: Im Spiegelsaal von Versailles wird der Deutsche Kaiser gekrönt. Eine neue Epoche bricht an, die von einem gewieften Politiker geprägt wird: Mit Zuckerbrot und Peitsche im Parlament, außenpolitischer Raffinesse und hellsichtigem Taktieren führt Otto von Bismarck die Deutschen durch diese neue Zeit. Hans Bethge, in der Weimarer Republik als Dichter weitbekannt, verfasste eine kleine Biografie Bismarcks in hundert Anekdoten. Humorvoll geschrieben und mit den Abbildungen aus dem Kladderadatsch ist dieser Band der ideale Zugang zu Leben und Wirken des großen deutschen Staatsmannes.
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Seitenzahl: 97
Veröffentlichungsjahr: 2021
Hans Bethge
Otto von Bismarck
Anekdoten aus seinem Leben
Anaconda
Der Text folgt der Ausgabe Hans Bethge: Der Kanzler. Hundert kleine Geschichten um Otto von Bismarck. Frundsberg-Verlag, Berlin 1941. Orthografie und Interpunktion wurden auf neue Rechtschreibung umgestellt.
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© 2021 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenAlle Rechte vorbehalten.
Umschlagmotiv: Otto von Bismarck (1815–1898), Radierung nacheinem Foto von Loescher & Petsch, Berlin, Bridgeman ImagesUmschlaggestaltung: www.katjaholst.de
ISBN 978-3-641-27892-2V001
www.anacondaverlag.de
Die Geburtsanzeige
Das Kind
Der Knabe
Gegen das Fieber
Entschuldigung
Gestörtes Vergnügen
Kleines Abenteuer
Übermut
Empörung
Gewaltkur
Vom Urlaub zurück
Schneller Entschluss
Austern
Der tolle Bismarck
Der Lebensretter
Der Deichhauptmann
Energische Drohung
Die Nelke
Der Gekränkte
Schnelle Bestrafung
Bei Metternich
Durchgesetzt
Kleiner Dialog
Rauch
Die guten Rotweine
Die richtige Antwort
Erwerbssinn
Auf Bärenjagd
Die Schildwache
Gesandter in Paris
Völlig verkannt
Des Königs bester Arzt
Kritik
Scharfes Urteil
Ärger
Erkenntnis
Schleswig-Holstein
Zwist mit Wrangel
Der Undurchschaubare
Das Berliner Attentat
Der Romanleser
Der Recke
Die Wahl des Feldherrn
Die letzte Zigarre
Sorge um den König
Der kluge Sieger
Er hat angefangen
Das Hurra auf sich selbst
Spätes Erkennen
Der liebenswürdige Spitzbube
Der Schieferdecker
Der stärkere Kopf
Der Hund des Zaren
Höflichkeit
Abreise
Das eiserne Kreuz
Gravelotte
Ehrlos
Kritik an Wilhelm Tell
Merkwürdiges Latein
Geschickter Gegenspieler
Zigarren in Versailles
Der Preis
Von Franktireuren
Die Unterzeichnung
Vorwürfe
Einzug in Paris
Er spricht plötzlich deutsch
Der Fürst
Früher als gedacht
In Uniform
Eine Depesche
Der Schüler
Die Kanonen
Lauter schöne Geschenke
Kühne Beleidigung
Die lästigen Besucher
Selbstverständlich
Begegnung mit Richard Wagner
Deutsch
Unheimliche Begebnisse
Ehrliche Meinung
Das Kissinger Attentat
Zurückweisung
Vertraulichkeit
Vom Müdewerden
Beethoven
Besuche
Retter in der Not
Ein bisschen Mazedonien
Der Wunsch des Sultans
Sonderbarer Lorbeerkranz
Hass
Der Sohn als Vorbild
Der grobe Schweninger
Der Brief Victor Hugos
Das Kamel
Tyras
Namen
Freund des Champagners
Schweningers Büste
Die Entlassung
Auszug
Die alten Bäume
Die große Leidenschaft
Der Verehrer aus Bayern
Tränen
Der letzte Gedanke
Der Tote
Bismarck-Karikaturen
Leichte kühlende Sommermütze für die Ferien
Kabinetts-Frage- und Antwortspiel
Der Syhinxkopf à la Bellachini
Diplomatisches Frühstück in Biarritz
Reichstags Prognostikon
Zeitungskrieg
Der Reichsfrühschoppen
Modus vivendi
Kurz oder weit?
Parlamentarischer Frühjahrs-Korso
Parlamentarisches mit Illustration
Kanzler-Ersatz-Kommission
Des Reichskanzlers Abschied
Hamlett, III. Act; 4. Szene
Embarras de richesse
Bemerkung
Ich liebe die großen Bäume, das sind Ahnen.
Die gestern erfolgte glückliche Entbindung meiner Frau von einem gesunden Sohne verfehle ich nicht allen Verwandten und Freunden, unter Verbittung des Glückwunsches, bekannt zu machen.
Schönhausen, den 2ten April 1815.
Ferdinand von Bismarck.
In Bismarcks Kindheit gaben die Eltern einmal auf ihrem pommerschen Gut Kniephof ein großes Abendessen mit Ball. Da man zu Tisch ging, suchte sich das Kind einen Platz an einem entlegenen Tisch, wo einige Herren saßen. Diese waren verwundert über den kleinen Gast in ihrer Mitte und unterhielten sich französisch über ihn.
»C’est peut-être un fils ou une fille de la maison«, sagte jemand.
Da erwiderte der Kleine zum Erstaunen der Herren klar und deutlich und mit einem unverhohlenen Vorwurf in der Stimme:
»C’est un fils, monsieur!«
Im Park von Schönhausen ragt eine alte Sandsteinfigur, ein Herkules, der sich mit der rechten Hand auf die Keule stützt. Die linke Hand soll nach dem Willen des Bildhauers offenbar auf der Hüfte ruhen, doch ist es dem Künstler geschehen, dass sie zu weit nach hinten dargestellt ist, sodass man eher sagen kann, sie ruht auf dem Gesäß.
Als der junge Bismarck im Alter von vierzehn Jahren einmal auf Ferien zu Hause war, schleuderte er mit der Flinte durch den Park, um Kaninchen zu schießen. Beim Anblick der Herkules-Statue juckte ihn der Übermut, er hob die Flinte und jagte dem steinernen Halbgott eine Schrotladung ins Gesäß.
Am nächsten Tage machte der Jüngling mit dem Vater einen Spaziergang durch den Park. Der Vater nahm erstaunt und ärgerlich die Veränderung an der Plastik wahr und fragte seinen Sohn mit verhaltenem Zorn, ob er diese Dummheit begangen habe.
Der junge Bismarck, der nicht zu lügen pflegte, gestand sein Attentat sofort, war aber bereits Diplomat genug, um sein Geständnis in eine Form zu kleiden, die den Vater entwaffnete.
»Ja«, sagte er, »ich habe es aus reinem Übermut getan, Vater, da ich den großen Podex so komisch fand. Hätte ich freilich gewusst, dass ich dem Mann wehe tun würde, so hätte ich es unterlassen. Gleich nach dem Schuss hat er vor Schmerz mit seiner linken Hand nach hinten gefasst, da ist sie dann geblieben …«
Der Vater lachte, der Sohn stimmte ein, und die verstümmelte Statue steht noch heute so im Park von Schönhausen.
Während der Studienzeit in Göttingen erkrankte Bismarck an einer grippeartigen Erkältung mit Fieber, und der herzugerufene Arzt verordnete ihm Chinin. Nun hatte der Student am gleichen Tage gerade eine Kiste ausgezeichneter Schlackwurst und Gänsebrust aus der Heimat bekommen, und sein Appetit stand viel mehr auf diese guten Dinge als auf die üble Medizin. Er machte sich also ans Werk, die heimatlichen Delikatesten mundeten ihm vortrefflich, und höchst befriedigt legte er sich zu Bett.
Als der Arzt am nächsten Tage erschien, begrüßte ihn Bismarck fröhlich mit den Worten:
»Es geht mir ausgezeichnet, Herr Doktor!«
»Ja, das Chinin«, sagte der Arzt, »es ist ein hervorragendes Mittel.«
»Diesmal ist das Chinin unschuldig«, meinte Bismarck lachend und wies auf die pommerschen Herrlichkeiten, die auf dem Tische standen, »wollen Sie nicht auch eine Portion Spickgans, Herr Doktor?«
Als Student in Göttingen nannte Bismarck einen seiner Kommilitonen, der ein aufreizendes Benehmen zeigte, einen dummen Jungen. Der Beleidigte schickte zu ihm und forderte ihn auf, sich zu entschuldigen. Bismarck entgegnete:
»Gern. Es war in keiner Weise meine Absicht, den Herrn beleidigen zu wollen, als ich ihn einen dummen Jungen nannte. Ich habe damit nur meine ehrliche Überzeugung zum Ausdruck bringen wollen.«
Natürlich kam es zum Zweikampf.
In einem als Kampfstätte für studentische Mensuren bekannten Dorf bei Göttingen erschien eines Vormittags der Pedell, um nach dem Rechten zu sehen, denn die scharfen Mensuren waren verboten. Studiosus Bismarck befand sich gerade mitten im schönsten Schlagen, sein Gegner blutete bereits, da trat plötzlich der Kommilitone, der draußen Ausschau hielt, in den Saal und meldete mit lauter Stimme das Nahen des gefürchteten Pedellen. Schnell führte man die beiden Gegner hinaus und sperrte sie in einen Hühnerstall. Bismarck hatte ein Stück Kreide in der Tasche, er holte es heraus, und während das Blut seines Gegners zu Boden sickerte, schrieb er an die Stalltür:
›Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar.‹
Als Bismarck in Berlin studierte, bat ihn ein Studiengenosse, dessen Mutter Schwedin war, um einen Freundschaftsdienst. Der Sohn der Schwedin war nämlich gerade mit den Vorbereitungen zum nahe bevorstehenden Examen nachdrücklich beschäftigt, und so war es ihm nicht möglich, seiner schwedischen Kusine, die auf der Durchreise einige Tage in Berlin verbringen wollte, die Stadt zu zeigen und ihr als Begleiter zu dienen. Bismarck versprach das Amt des Fremdenführers zu übernehmen und lernte in der jungen Schwedin ein ebenso anmutiges wie liebenswürdiges Mädchen kennen, das natürlich immer glaubte, in Bismarck ihren ›deutschen Vetter‹ vor sich zu haben. Die beiden verbrachten zusammen drei angenehme Tage, besuchten die meisten Museen, streiften durch die Stadt, flirteten, und das schwedische Fräulein war ganz stolz auf ihren großen, gut aussehenden, blitzäugigen Verwandten, der sich als ein Kavalier von bestem Stil erwies.
Als es zur Trennung vor der Postkutsche kam, sagte der junge Bismarck:
»Liebe Kusine, ich muss Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin nämlich gar nicht Ihr ›deutscher Vetter‹ –, der konnte sich Ihnen zu seinem Bedauern nicht zur Verfügung stellen, da er in den nächsten Tagen ein Examen zu bestehen hat und daher stark durch Arbeiten in Anspruch genommen ist. Mein Name ist Otto von Bismarck.«
Die junge Schwedin staunte, zu vielen Worten hatte sie nicht mehr Gelegenheit, denn die Postkutsche setzte sich in Bewegung, der sympathische Kavalier entschwand ihren Blicken, und das kleine Abenteuer war zu Ende.
Nach Jahrzehnten, als Bismarck Fürst und Reichskanzler war, kam die schwedische Dame wieder einmal nach Berlin. Sie meldete sich bei ihrem ›deutschen Vetter‹ und bekam eine Einladung in die Wilhelmstraße. Die beiden führten ein lebhaftes und heiteres Gespräch, der Kanzler war bei strahlender Laune.
»Ihnen habe ich es zu danken«, sagte er während der Unterhaltung, »dass ich dazu gekommen bin, die Berliner Museen kennenzulernen; seitdem habe ich ihre Räume nicht wiedergesehen.«
Bismarck war als Auskultator am Stadtgericht zu Berlin beschäftigt. Eines Tages hatte er wieder einmal das Protokoll irgendeines kleinen Prozesses zu führen. Während der Verhandlung wurde der Angeklagte grob und fuhr den Kläger an.
Bismarck sagte energisch:
»Wenn Sie sich nicht anständig benehmen, werfe ich Sie hinaus!«
Der Vorsitzende Stadtgerichtsrat wies Bismarck zurecht, indem er sagte:
»Herr Auskultator, das Hinauswerfen besorge ich.«
Der Prozess ging weiter, und es dauerte nicht lange, da geriet der Angeklagte von Neuem in Wut und schrie mit verdoppelter Kraft auf den Kläger los.
Bismarck erhob sich und rief:
»Herr, wenn Sie sich nicht endlich mäßigen, lasse ich Sie durch den Herrn Stadtgerichtsrat hinauswerfen!«
Der russische Gesandte in Berlin gab zuweilen angenehme, ziemlich ungezwungene Bälle, auf denen es lustig zuging und wo man mit hübschen Mädchen tanzen konnte. Der junge Bismarck war mit einigen seiner Freunde mehrfach dort, doch ärgerten sich die jungen Leute darüber, dass es auf diesen Festen wohl allerlei zu trinken, aber nichts zu essen gab. Sie beschlossen daher, dem russischen Gesandten einen Schabernack zu spielen. Eines Abends, als die Zeit schon ziemlich vorgerückt war, holten Bismarck und seine Kommilitonen große Butterbrote aus den Taschen, verzehrten sie mit sichtbarem Appetit, knüllten die Papiere zusammen und warfen sie aufs Parkett.
Es war ein kleiner Skandal.
Allerdings mit erfreulichen Folgen, denn von da ab gab es auf den Bällen des russischen Gesandten immer etwas Anständiges zu essen.
Nur schade, dass Bismarck und seine Freunde nichts davon merkten, denn sie wurden nie wieder eingeladen.
Bismarck hasste schon in jungen Jahren die Unpünktlichkeit –, er selbst war immer pünktlich auf die Minute.
Als Auskultator in Berlin ließ er seine Stiefel bei einem Schuhmacher in der Kronenstraße arbeiten, einem als Handwerker tüchtigen, aber ausgesprochen unzuverlässigen Menschen, der den festgesetzten Termin niemals innehielt. Einmal übertrieb der Mann seine Unpünktlichkeit in so ärgerlicher Weise, dass dem jungen Bismarck die Galle überlief. Er fand das richtige Mittel, den Herrn Schuhmachermeister zu kurieren.
Er schickte nämlich, da er die längst versprochenen Stiefel trotz energischen Drängens nicht bekommen konnte, des Morgens um sechs Uhr einen Boten in die Kronenstraße und ließ aufragen, ob die Stiefel für Herrn von Bismarck fertig wären. Der Schuster verneinte, der Bote ging. Nach zehn Minuten erschien ein neuer Bote mit der gleichen Frage, zehn Minuten später der dritte. Und so ging es weiter ohne Aufhören, den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag; dem Schuhmacher taumelten allmählich die Sinne, alle zehn Minuten, unbarmherzig, erschien ein anderer Bote des Herrn von Bismarck mit der ewig gleichen Frage … bis am Abend die Stiefel fix und fertig waren.
Bismarck hatte durch die rücksichtslose Anwendung einer Gewaltkur seinen Willen durchgesetzt. Er hatte sich dadurch einen Schuhmacher erzogen, dessen Pünktlichkeit in Zukunft über jedem Tadel erhaben war.