0,00 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,00 €
In "Die Kurtisane Jamaica" entführt Hans Bethge den Leser in die faszinierende und oft tragische Welt des 19. Jahrhunderts, in der sich das Schicksal einer jungen Kurtisane im schillernden Ambiente der Hafenstadt entfaltet. Der Roman kombiniert dabei poetische Sprache mit scharfer Sozialkritik und bietet tiefgreifende Einblicke in Machtstrukturen, Geschlechterrollen und die Schattenseiten einer aufglühenden bürgerlichen Gesellschaft. Die lebendig geschilderten Charaktere und die eindrucksvollen Szenen zeichnen ein vielschichtiges Bild von Verführung, Schmerz und dem unstillbaren Streben nach Freiheit. Hans Bethge, ein herausragender deutscher Schriftsteller, ist bekannt für seine Fähigkeit, soziale Themen mit psychologischer Tiefe zu verbinden. Geboren in eine Zeit des Wandels, reflektiert Bethges Werk oft die Konflikte und Ambivalenzen seiner Epoche. Seine literarischen Reisen in fremde Kulturen und sein Interesse an sozialen Randfiguren klingen deutlich in der Darstellung der Protagonistin wider, die als Symbol für Frauen in der Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts steht. "Die Kurtisane Jamaica" ist eine fesselnde Lektüre für alle, die sich für zeitgenössische Literatur und die Herausforderungen von Frauen in einer sich transformierenden Welt interessieren. Bethges meisterhaftes Erzählen und seine kritische Analyse der gesellschaftlichen Normen laden den Leser ein, über Identität und das Wesen der Freiheit nachzudenken. Ein Must-Read für Literaturliebhaber und Historiker gleichermaßen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2022
Sie wurde Jamaica genannt, des holden, südlichen Ovales wegen, das ihr Gesicht zeigte, und wegen der bräunlich hingehauchten Farbe ihres Teints, der an eine eben angerauchte Meerschaumpfeife gemahnte.
Jamaica hatte seelenvolle Hände, ihr Mund war wie ein Schwertstich, ihre großen Augen hatten einen perlenhaften Glanz. Sie war schlank, schmalschulterig und biegsam, ihr Wesen war stolz und konnte unnahbar sein. Gewiß, sie war eine Kurtisane, wie man hören wird, aber sie hätte auch für eine Fürstin aus irgend einem exotischen Lande gelten können.
Als ich sie das erstemal sah, war ein Frühsommertag. Sie ging langsam und aufrecht über die Straße, mit etwas gerafftem Kleid, von einem großen, schwarzen Hut überdacht. Eine vollendete Dame, dachte ich, ein märchenhaftes Geschöpf.
Ich folgte ihr straßenweit. Wie eine holde Verlockung schritt die schlanke Gestalt vor mir her, mit dem vollen braunen Haar und dem schwarzen Hut, dessen Federn sich schwankend bewegten wie die dunkeln Segel eines Schiffes auf dem Ozean. Dann stieg sie unvermutet in einen Wagen, fuhr fort,– und ich hatte das Nachsehen.
Nach einiger Zeit sah ich sie wieder,– ich folgte ihr von neuem, lebhaft erregt, da trat ein Freund an mich heran, klopfte mir auf die Schulter und fragte:
»Wohin?«
»Einer Frau nach«, entgegnete ich. »Sie geht dort vorn, wie eine Fürstin aus dem Süden.«
»Schwärmer«, sagte der Freund, dann lugte er aus. Ein Lächeln ging über sein Gesicht.
»Das ist Jamaica«, sagte er.
»Jamaica?«
»Ja,– eine Kurtisane. Sie hatte ein Verhältnis mit einem Prinzen aus dem Hause Hohenzollern. Später war es ein Künstler, jetzt ist es ein schwedischer Graf, wenn ich nicht irre.«
»Wie gut Du unterrichtet bist«, sagte ich, mit einer kleinen Bitterkeit in der Stimme. »Kennst Du sie übrigens?«
Er nickte.
»Stelle mich doch vor«, sagte ich.
Wir gingen schneller, erreichten sie bald, mein Freund begrüßte sie und stellte mich vor. Dann schlenderten wir alle drei durch den Frühsommertag, Jamaica in der Mitte. Sie plauderte reizend, etwas bestrickend Graziöses war in der Art, wie sie sich gab. Ich war hingerissen.
Plötzlich sagte mein Freund, der sehr geschickt in solchen Dingen war: »Ah, Irene!« Er tat, als sähe er eine Bekannte in einem Omnibus, verabschiedete sich schnell, lief fort und sprang auf das Vehikel. Ich war mit Jamaica allein. Plaudernd schritten wir weiter.
Ich sah sie mitunter von der Seite an; ein feines Profil, zart und kapriziös, lange, dunkle Augenwimpern und eine ziemlich sinnliche Nase. Sie hatte so etwas Unbefangenes, wie sie sprach, so etwas Natürliches in Gang und Haltung, daß man sich wohl und froh an ihrer Seite fühlte. Wir setzten uns vor ein Café und tranken etwas Kühlendes, während das bunte Leben der Großstadt an uns vorüberflutete. Von einem Blumenmädchen kaufte ich einen Strauß roter Nelken, sie steckte ihn sich vor die Brust und sog aus dem Strohhalm die braune Flüssigkeit der Eisschokolade in ihren schlanken Hals.
Nachher trennten wir uns, da sie, wie sie sagte, zur Schneiderin mußte. Wir bestimmten einen der nächsten Abende, um in den Zirkus zu gehen. Sie gab mir die dünne Hand und sagte: »Auf Wiedersehen!«, wobei sie zwischen den roten Lippen die Perlenreihe ihrer Zähne sehen ließ. Dann stieg sie in eine Droschke, die Nelken auf der Brust.
Ich schlenderte durch die Menschen hin und hatte immer noch Jamaica in meinen Augen und in meinem Hirn, ihre Gestalt, ihr Lächeln, ihr Profil, die Meerschaumfarbe ihrer Haut, ihre reizend rieselnde Stimme. Mir wurde die Zeit lang bis zum Wiedersehen, ich saß zu Haus, und statt zu arbeiten, malte ich den Namen Jamaica aufs Papier,– und dann kam der Abend, aber Jamaica kam nicht.
Ich wartete auf dem kleinen Platz in der Nähe des Zirkus, wo wir uns verabredet hatten, ging auf und nieder, ein paar Rosen in der Hand, sah nach der Uhr, war ungehalten, wartete weiter, sah mich, ironisch lächelnd, selbst, wie ich als ein genarrter Liebhaber hier wartend auf und nieder ging, dann, als schließlich eine öde Stunde verronnen war, stampfte ich unwillig mit dem Fuß auf, schenkte die Rosen einem vorübergehenden Ladenmädchen und ging allein in den Zirkus.
In einer Loge mir schräg gegenüber saß Jamaica. Sie schob gerade ein Stück Konfekt in den roten Mund, an ihrer Seite saß ein blonder Herr, vermutlich der schwedische Graf.
Ich merkte bald, sie hatte mich gesehen, hin und wieder schweifte ihr Auge über mich hin. Nachher in der Pause begegneten wir uns im Marstall, sie tat, als kannte sie mich nicht. Als wir einmal betrachtend nebeneinander bei demselben Pferde standen, sie zwischen mir und dem Grafen, nahm sie flugs meine Hand und drückte sie ein wenig, ohne mich anzusehen, und während sie im Gespräch mit ihrem Freunde blieb.
Es war doch etwas, es war doch ein Händedruck! Nachher saß sie mir wieder gegenüber, hoheitsvoll, und schob Konfekt in ihren Mund. Nach Schluß der Vorstellung sah ich sie mit dem Grafen in einem Automobil fortfahren, Blicke der Bewunderung folgten ihr. Ich fühlte mich ausgestoßen, ich war voll Neid, voll quälender Eifersucht, voll trotziger, aufrührerischer Gefühle. Ich wollte an ihrer Seite sein,– was scherte mich dieser schwedische Graf!
Mürrisch, ein angeführter Liebhaber, ging ich allein durch die nächtlichen Straßen und dann in eine Weinstube, um zu Abend zu essen. Ein vermaledeiter Zufall wollte, daß dort schon Jamaica saß, mit ihrem Freunde, bei Austern und Wein. Sie sah mich erstaunt an und lächelte. Sie mußte denken, daß ich ihr nachgefahren sei. Ich verließ also das Restaurant, ging in ein anderes und ertrank meinen Groll in Burgunder.
Am nächsten Morgen traf ein Briefchen ein, in dem sie sich entschuldigte, höhere Pflichten hätten sie verhindert usw. Der Ausdruck »höhere Pflichten« amüsierte mich nicht etwa, sondern ärgerte mich.
Sie kam eines Nachmittags zum Tee. Schlank, in brauner Seide, diskret und musterhaft angezogen. Sie rauchte von meinen türkischen Zigaretten, plauderte von Theater und Rennplatz und fühlte sich offenbar sehr wohl in meinen weichen Sesseln und auf dem Lamafell meines Diwans. Es war mir eine Lust, ihr zuzusehen. Weiß Gott, sie hatte zuweilen Bewegungen, bei denen man zu fühlen meinte, daß sie von einem unsichtbaren Hermelin umflossen sei. Mitunter saß sie plötzlich schweigend da, mit einem klugen, etwas schwermütigen Glanz im Auge, als dächte sie an etwas ungeheuer Ernstes. Sie war ein wenig nervös, besonders ihre Hände, im übrigen machte sie den Eindruck einer weltlichen, aber vornehmen jungen Frau. Nur wie sie küßte und wie sie mitunter saugend die Arme um mich legte, das war Kurtisanen-Art.
Sie kam öfter. Wir sprachen nicht von Liebe, obwohl ich sie von mal zu mal heftiger liebte, aber ich wollte ihr meine Gefühle nicht zeigen. Da, eines Nachmittags, als ich plaudernd auf dem Diwan ausgestreckt lag und sie bei mir saß, warf sie plötzlich die Arme um mich, starrte mich an, mit den Augen eines schönen Tieres, und während sich die Farbe ihres Gesichts verdunkelte, quoll es ihr wie Lava zwischen den Lippen durch: »Ich liebe Dich!« Darauf folgte ein Ausbruch so ungezügelter Leidenschaft, daß ich glaubte, sie wollte mich ersticken.
Von diesem Tage an war eine Nuance der Demut in ihrem Wesen zu mir, die ich liebte und die mich entzückte. Wir verlebten glückliche Stunden, nur der Gedanke an den schwedischen Grafen marterte mich und verursachte mir schlaflose Nächte. Immer, wenn ich zu ihr davon anfangen wollte, drückte sie mir schweigend ihre kleine Hand vor den Mund, so daß ich nicht sprechen durfte. Ja, ich war eifersüchtig, aber ich merkte, sie hatte nicht die mindeste Absicht, sich von dem Grafen zu trennen. Ich hatte keine besonderen Mittel, und sie war sehr verwöhnt.
Eines Tages sagte sie mir lachend, sie wolle auf einige Wochen in ein Seebad reisen, der Schwede ginge auf einen Monat zu Verwandten in seine Heimat. Sie bat, ich möge mit ihr reisen. Ich sagte sogleich zu, worauf sie ausgelassen durch das Zimmer tanzte.
Ein paar Tage später trafen wir in einem reizend gelegenen Ostseebade ein, das ganz von Buchen- und Nadelholzwäldern umgeben ist. Wir mieteten in einer schön gelegenen Villa auf der Höhe, von der Veranda aus übersahen wir den Strand und die weite Fläche des Meeres.
Entzückend waren die Tage, welche folgten. Wir ritten viel, es gab ganz brauchbare Pferde zu mieten, und Jamaica fühlte sich im Sattel sehr glücklich. Wir trabten häufig in erster Frühe am Meere entlang, wenn die Sonne noch mit den silbernen Morgenwolken kämpfte und der Frühwind kräftig über das Wasser wehte.
Am Strand hatten wir eine Burg geschaufelt und mit zahllosen bunten Wimpeln geschmückt. Jamaica trug gewöhnlich einen dunkelblauen Tuchrock, eine helle Seidenbluse und Panama. Sie lag am liebsten faul im Sande, indem sie die rinnenden Körnchen behaglich durch die Finger gleiten ließ und in den blauen Himmel starrte; oder sie las Maupassant und rauchte Zigaretten. Ich sah sie immer mit einem feinen, wohligen Empfinden des Verliebtseins vor mir liegen: den schlanken Körper, das dunkle Haar auf dem hellen Sande, die blutlosen Hände, die zierlichen Fesseln der Füße unter den durchbrochenen Seidenstrümpfen.
Das Essen nahmen wir auf der Veranda unseres Zimmers. Nebenan aß ein Ehepaar mit seinen zwei halbwüchsigen Buben, auf der anderen Seite ein Engländer. Diesen sahen wir öfter, wie er über die Balustrade seiner Veranda hinauslehnte und eine Shagpfeife rauchte. Er hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht und klare, wasserfarbene Augen. Jamaica ahmte ihn mitunter nach, indem sie sich grotesk auf die Balustrade stützte, mit steifem Nacken und etwas vorgeschobener Unterlippe hinausstarrte, ein paar Tabakswolken vor sich hinpaffte und ein langgezogenes »o yes« hören ließ. Eines Morgens begegneten wir ihm zu Pferde. Das Pferd war zu klein für ihn, seine Beine hingen lang herab, und aus der Ferne sah er aus wie Don Quichotte. Er grüßte uns, als er vorüberritt. Jamaica sah sich mehrmals lachend nach ihm um, was ich überflüssig fand.