Paradies - Mirlo Verdad - E-Book

Paradies E-Book

Mirlo Verdad

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Beschreibung

»Gott ist tot?« Schön wär´s. Denn nichts ist gefährlicher als ein urlaubsreifer Chef! Sein Diener Primus, der alte Philosoph, wagt es tatsächlich: Er schickt den lebensmüden Autisten zur Kur auf einen längst vergessenen Planeten namens Erde. Magisch angezogen vom Wahnsinn seiner Schöpfung erkundet Gott dieses spannende Paradies voller rätselhafter Emotionen. Als Theo der Taxifahrer wirbelt er im »Vorbeifahren« alle Tabus kräftig durcheinander. Und nicht nur auf der Straße geschieht Rasantes. Auch im Himmel duftet es nach Freiheit und Abenteuer: Revolution liegt in der Luft! Höchste Zeit, seine Haut zu retten - sogar für Theo? Sie wagen Schwarzen Humor und scheuen keine Fragen? Die Religion ist für Sie keine heilige Kuh? Wunderbar, so nehmen Sie Platz in der Achterbahn der Theodizee. Und genießen Sie eine herrlich abgefahrene Stellenbeschreibung für den unmöglichsten Job im Universum: Gott!

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»Auch Sie werden dran glauben – glauben Sie mir!«

Für Dich und das Leben, Bruderherz – möge es irgendwann zu Dir zurückfinden!

Alle in diesem Märchen handelnden Personen sind natürlich frei erfunden und haben mit der Realität ebenso wenig zu tun wie Sie und ich.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Erstes Buch »Lehrjahre«

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Zweites Buch »Frisch geföhnt«

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Drittes Buch »Zum Haare Raufen«

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Viertes Buch »Frisuren im Sturm«

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Fünftes Buch »Heutzutage trägt man alles, die Dame – und zwar gleichzeitig!«

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Letztes Buch »Man lernt nie aus«

Kapitel 34

Kapitel 35

Epilog

PROLOG

Einst diente hier ein frohgemuter Beamter. Sie erinnern sich gewiss. Auf dem rutschfesten Linoleum freiheitlicher Ordnung war seine Feste errichtet. Den Schreibtisch zierten bunte Fähnchen aus allen Herren Ländern. Und hinter märchenhaften Mauern von Aktenbergen und Ausführungsbestimmungen vermochte kein Antrag ihn jemals zu erschüttern. Wie auch, lag doch seine vornehmste Berufung in der Förderung einer üppig blühenden Kulturlandschaft. Ja, einfach darin, das Wohl des mündigen Bürgers zu mehren, wo immer es sich anbot. Wir alle danken ihm bis weit über seine Pensionierung hinaus für seinen vorbildlichen Einsatz.

Zum Ende der diesjährigen Hitzewelle nun salutierte in seinem Amt für interkulturelle Gleichbehandlung ein stämmiger kleiner Indianer vor dem Schalter. Der dunkelhaarige Mann zeigte seinen Personalausweis, zog höflich den Federschmuck und stellte sich dem Verdutzten mit einem strahlenden Lächeln als praktizierender Inka vor. Als solcher bräuchte er, so erklärte der Herr in reinstem Schwäbisch, für seine von der Verfassung geschützte Religionsausübung mindestens ein »Opferle« pro Woche. Für Inti, seinen Sonnengott. Dann bliebe in den Westlichen Wäldern das Wetter noch länger so schön wie zur Zeit. Und Intis gute Laune ebenfalls.

»Doch woher nehmen und nicht stehlen?«, fragte er den Beamten mit einem treuherzigen Augenaufschlag. Schließlich wolle er ja nicht straffällig werden. Und zu verbrennende Hexen seien in seiner Heimat kaum mehr anzutreffen. Er möchte nun wissen, ob das Amt nicht ein paar Freiwillige zur Hand hätte, die man sowieso gerne loszuwerden gedachte. Vielleicht eine Ladung auffällig gewordener Reichsbürger oderdie für deren Flut verantwortliche Kanzlerin? Er nähme auch ihren Regierungssprecher oder andere unerwünschte Personen.

Nein, natürlich wolle er es dem Staat leicht machen und sei keineswegs wählerisch, betonte der freundliche Antragsteller. Es könne auch irgendein Augsburger Eingeborener sein. Mit einem erfreuten Blick hinauf zum Gekreuzigten über der Kaffeemaschine meinte er noch, sein Gegenüber kenne das Problem sicher auch von anderen Religionen. Wer weiß, vielleicht sogar von seiner eigenen? Detailgetreue Modelle von selig machenden Folterwerkzeugen förderten auch hierzulande die notwendige Opferbereitschaft für die Leitkultur, erinnerte der aufgeklärte Indianer. Und wie Götter halt so tickten, sei auch Inti nicht immer wirklich gut drauf. Das sollte der germanische Beamte ja noch von seinem Führer gelernt haben. Ob Jahwe, Inti oder Adi, die meisten vergötterten Feldherren fühlten sich seit jeher deutlich entspannter im Angesicht einer ordentlichen Menge Blut zu ihren Füßen. Und letzterem der drei sein kleines bisschen Leben zu schenken, gelte für nicht wenige in diesem Vaterland bis heute gar als große Ehre, wie jüngste Wahlergebnisse nahe legten, nicht wahr?

Das Linoleum knarzte bedenklich. Und so liegt der Fall seither beim Bundesverfassungsgericht. Mein Bekannter, übrigens, vermochte seine Pensionierung bis heute nicht anzutreten. Er gilt nach wie vor als verschollen. Probleme mit der Sommerhitze hatte er meines Wissens nicht. Zählte er doch nie zu diesen leichtsinnigen Sonnenanbetern.

Und falls Sie mir nicht glauben mögen – wie wäre es, wenn Sie einfach weiterlesen? Sie sollten sich nur ein wenig anschnallen, denn bald schon werden auch Sie es fühlen:

Das Leben erklärt sich quasi von selbst. Auch das Ihre.

Erstes Buch»Lehrjahre«

1)

»Eure Majestät, Ihr seht irgendwie … gestresst aus in letzter Zeit. Fehlt Euch etwas? Wäre es meinem Herrn angenehm, wenn ich Ihm zur Unterhaltung …«

»Natürlich fehlt es mir an nichts! Was sollte mir denn fehlen, hmmm? Im Gegensatz zum Rest dieser überdrehten Welt bin ich bereits vollständig, die Göttliche Ruhe selbst – seit jeher und absolut, wie du hoffentlich noch weißt. Und wenn ich es so besehe, komme ich auch ohne jegliche Bespaßung bestens zurecht. Meine Laune ist somit prächtig, meinst du nicht auch?«

»Gewiss, Majestät!«

»Nur, zuweilen, mein Lieber …«

»Ja, mein Herr?«

»… fürchte ich glatt auszurutschen auf all den Schleimspuren rings um diesen Thron. Schau sie dir an, Primus. Was denkst du: Woher sind die wohl? Habe ich etwa ein paar Kreaturen übersehen heute morgen, vielleicht eine Abordnung gut getarnter Raubschnecken? Die darfst du mir später gerne zum Nachtisch servieren, das reicht zur Unterhaltung – vorerst!«

Ein harter, böse funkelnder Blick durchbohrte den alten Berater. Dieses unnachahmlich sarkastische Grinsen dazu hätte sich der Chef durchaus sparen können. Primus war auch so klar: Hier braute sich etwas zusammen.

Womit, zum Teufel, hatte er das verdient? Sein Magen rebellierte. Warum er? Wieso ausgerechnet heute? Der historische Besucherteppich unter ihm schien Tag für Tag immer noch dünner zu werden. Seine fadenscheinigsten Stellen gaben bereits den Blick frei auf einen Chor lautlos schwingender Abrissbirnen. Alles und jedes vermochten sie zum Einsturz zu bringen. Auch seine Welt.

Primus, der feine Ästhet, suchte nach seiner legendären Contenance, nach einem mentalen Handlauf, nach irgendeinem Halt überhaupt. »Verfalle auch ich dem Wahnsinn?«, fragte er sich. Kreuz und quer durch seinen wohltemperierten Verstand jagten tollwütige Gedanken. Gleich einer Herde junger Mustangs zeigten sie keinerlei Bereitschaft, sich wieder einfangen zu lassen.

»Nicht schon wieder! Primus, reiß dich zusammen, denke an deine Zukunft!«, hallte ein höchst besorgter Ruf aus der Ringecke seiner Seele. Der angeknockte Boxer selbst hätte hingegen nur zu gerne das Handtuch geworfen. Und seine müden Augen für eine erlösende Ewigkeit geschlossen.

Dennoch stand die ungehörige Frage kerzengerade im Raum: Sieht so ein Gott aus? Der Meister könnte seinen Audienzleib doch komplett anders erscheinen lassen – wenn er es denn für wichtig befände. Jedes Antlitz edelster Erhabenheit sollte ihm ein Leichtes sein.

Warum dann solch eine Zumutung für seine Untertanen? Was gefiel ihm so am kräuselnden Faltenmeer, welches permanent seinen pockennarbigen Teint durchpflügte? Wollte er noch älter wirken, als er eh schon war – also ewig plus X? Oder sich seine proletarischen Geschöpfe gehörig auf Abstand halten, getreu dem Motto: »Seht, diese perfekte Hässlichkeit ist alles, was euch zusteht!«?

Es fehlte nur noch eine passende Metallic-Lackierung, dann wäre dem Boss die Hauptrolle in einem dieser billigen Pulp-Fiction-Romane sicher gewesen – ein niveauloses Genre, in der Tat, welches ausschließlich auf ziemlich verrückten Planeten kursierte. Vielleicht sollte Primus seinen krötig-braungrün überstylten Herrn ganz dezent an die Erfindung des Spiegels erinnern? Oder an die wohltuende Schlichtheit eines gewissen Yves Saint Laurent?

»Spiel jetzt nicht den Helden!«, soufflierte seine besorgte innere Stimme. »Dein Chef betrachtet sich als genialen Künstler. Schön sein kann jeder. Das wäre langweilig. Ende der Vorstellung!« Die Stimme kannte das Stück bereits seit seiner Uraufführung, und zwar in- und auswendig.

»Nun – so hab ich euch krumme Schnecken eben gemacht, bin ja wohl selber schuld, oder?«, grollte donnerndes Selbstmitleid von der Thronecke herüber. »So wie an dem Gestank aller weiteren Hintenreinkriecher hier oben auf diesem brodelnden Misthaufen. Ich, ja, ich bin an allem schuld, wer sonst?«

Der göttliche Blick wanderte nun, jeden Märtyrer vorwegnehmend, beeindruckend steil nach oben. Auf welches Ziel hin, blieb Primus ein Rätsel.

»Nun, wie soll ich es sagen, Majestät, ohne Frage, Euer Ratschluss ist seit jeher unergründlich.«

»… zumindest für uns Hampelmänner!«, fügte er im Kopf noch hinzu. Und bereute seinen Reflex sofort – verfluchte Gedankenleserei! Schon hatte sich eine glitschige Kälte des Thronsaals bemächtigt.

»Pri-mus! Muss ich mir Sorgen machen?«, hallte es von den eisigen Wänden.

Das ölige, wie Backpapier zerknüllte Antlitz des Herrn erinnerte in seiner Form nun an ein Knäuel Nacktschnecken, soeben gefriergetrocknet. Die verhassten Schleimer schien der Boss also losgeworden zu sein, die Warnung war eindeutig. Unglaublich, es gelangen ihm immer noch Steigerungen in seiner Dramaturgie, staunte Primus. Er war echt schlecht drauf heute. Irgendwo quietschte eine Kabelrolle. Primus hatte ein gut trainiertes Gehör. Er war für so vieles zuständig. Schalter klickten in der Ferne.

Was sollte der alte Diener seinem Herrn erwidern? Er wusste: In ihrem Stolz wuchteten Götter ganze Welten, doch ein Körnchen zu viel an Wahrheit ertrugen sie keinen Augenblick lang. Die plötzliche Stille atmete bereits den üblen Schweiß der drohenden Eskalation. Was hätte er nicht alles gegeben für ein rettendes Bonmot, für irgendein genial verlogenes Kompliment, das ihn aus dieser Vorhölle hätte hinaus katapultieren können. Mit gesenktem Blick suchte er das Muster des Teppichs ab nach griffigen Ausreden, rang um eine unaufschiebbare Erledigung, irgendetwas, das seinen so dringend benötigten Feierabend doch noch hätte rechtfertigen können. Aber durch den fransigen Teppich hindurch sah er nichts Inspirierendes, nur immer diesen gähnenden Abgrund. Und die wandernden Schatten der Abrissbirnen.

In wenigen Minuten begann das monatliche »Vorhof-Flimmern«. Alles, was Rang und Namen hatte, wäre beisammen. Für den feuchtfröhlichen Fürsten-Stammtisch schien es nun wieder einmal zu spät. Man würde sich – wie schon so oft in letzter Zeit – ganz ohne den alten Verwalter amüsieren. Dafür sicherlich um so herzhafter über ihn. Das letzte Eiland himmlischer Zerstreuung rückte in weite Ferne. An seiner Stelle zogen dunkle Gewitter auf. Gleich würde der Sturm losbrechen. Der göttliche Blues war nicht mehr aufzuhalten. Sein Herz verlangte danach. So wie jeden Monat: Der Chef hatte seine Tage. Oder waren es schon Jahrtausende?

Da! Da kam es schon! Mit einem langgezogenen Ächzen durchbrach die alte Zugbrücke die Wand aus eisigem Schweigen. Auf einen Schlag gingen alle Lichter aus. Primus hatte es geahnt: Ozzy, der Kerkermeister betrat die Szene. Seine Folterwerkzeuge liefen sich bereits warm, erste Funken sprühten aus der Dunkelheit. O Gott, der Boss ließ die Kreissägen anwerfen!

Nun schlug die Stunde des Berserkers. Und der Horrorbarde schien wild entschlossen, sie in vollen Zügen zu genießen. Diabolisch verzückt dirigierte er erste Salven frenetisch aufjaulender Zwölftonreihen. Mit hektischen Schwüngen ließ er die asymmetrischen Schrapnellen auf jede Raumecke zu ihr ohrenbetäubendes Werk verrichten. Zack! Zack! Zack! Immer mehr wehrlose Halbtöne zerstückelte er auf den rotglühenden Sägeblättern seiner Starkstrom-Instrumente. Dum-Dum-Geschossen gleich rissen sie klaffende Wunden in das feine Gehör des alten Dieners.

»Au! Aufhören!« Primus hielt sich die Ohren zu.

Der dürre Kerkermeister grinste nur. Rüde abgeschnittene Harmonien dienten ihm als betonharte Untermalung. Gnade kannte er nicht. Von schneller Hand notierte Hakenkreuze des Wahnsinns erhöhten jeden einzelnen Ton ins Unerträgliche.

Welch Golgotha der Musik! Note für Note ans Trommelfell genagelt von einem Beat, der das Inferno von Presslufthämmern wie ein Kinderglockenspiel anmuten ließ. Es war sehr schwer auszuhalten.

»Laut – noch lauter!«, forderte der Chef.

Und Ozzy lieferte. Die Musen zitterten, wie von heftigem Parkinson geschüttelt. In unfassbar schräger Tonlage wehklagte der Henker mit seiner Maschinenmusik über die Drögheiten grenzenloser Allmacht.

»Ach, du armer Gott – für nichts gestraft durch seine Geschöpfe. Entsetzt euch, all ihr schäbigen Existenzen!«, brüllte er ungefragt von seiner rauchgeschwängerten Bühne. Dann griff er ekstatisch in die Lautstärkeregler und trieb die Sägen an ihre Leistungsgrenzen. Teile des Universums drohten zu übersteuern. Das Echo dieses gnadenlosen Lamento fing sich, wie seit Urzeiten, noch in den entferntesten Galaxien. Nadeln feinster Seismometer, selbst bei apokalyptischen Beben völlig emotionslos ihren Dienst verrichtend, hüpften nun beseelt im Takt. Manch weiß bekitteltes Lebewesen meinte gar, den Widerhall des Urknalls darin zu entdecken – und forderte den Nobelpreis.

Auch die mit einzelnen Buchstaben tätowierten Finger eines inhaftierten Gelegenheitsschlachters machten sich fleißig Notizen. Lustigerweise trug der Insulaner denselben Namen wie sein himmlischer Kerkermeister: Ozzy! Und zeigte sich von dessen Lärm schlichtweg begeistert. Derart fantastisch nervige Töne galt es für die Nachwelt zu konservieren, war sich Ozzy der Zweite sicher. Welch eine Inspiration! Klang das nicht wie eine erotisch enthemmte Kirchenorgel an einem »Schwarzen Sabbat«? Der Name gefiel dem Briten. Er würde noch einiges von sich hören lassen, prophezeite er bereits im Knast.

Über Radio-Mitschnitte ihres vielseitig begabten Ex-Insassen freut sich das Gefängnispersonal übrigens bis heute. Denn seine Konzerte wurden legendär. Natürlich hätte die auf der Bühne mit zartem Biss von ihrem Kopf befreite Taube ebenfalls gerne den Liveauftritt des Ozzy II zu Ende genossen. Ihr unfreiwilliger Verzicht machte den kleinen Fan dafür weltberühmt und irgendwie unsterblich.

Eine dem bösen Barden zu Füssen geworfene Fledermaus hingegen hörte, ähnlich wie der Autor dieser Geschichte, aus Prinzip kein Heavymetal. Sie stand mehr auf Ultraschall. Kopflos, wie auch sie bald war, geriet die Fledermaus – im Gegensatz zur Taube – leider schnell in Vergessenheit. Sie war eben kein echter Fan.

Wahrlich, dieser singende Autohupen-Stimmer aus Birmingham erwies sich als ein in allen Belangen würdiger Interpret unseres obersten Berserkers. Und wieder einmal zeigte sich: Auch Coverbands können durchaus authentisch sein, selbst ohne Kreissägen. Sie brauchen nur das rechte Vorbild. Und genügend Strom natürlich.

Doch zurück auf die himmlische Bühne.

Im Zentrum ihres ohrenbetäubenden Feuerwerks steuerten die Ungetüme des Ozzy I zielgerade auf das bestellte Inferno zu. Völlig autonom umherfahrend, zersägten sie alle Überreste von ängstlich in dunkle Ecken geflüchteten Harmonien. Keine von diesen sollte den Abend überleben. Die psychedelische Minne des genialen Ur-Ozzy pfefferte dabei sein Werk mit diabolischer Melancholie: Musik als Waffe. Wie schrecklich!

Doch genau so liebte es der Chef: Dissonant und höllisch laut! Es musste weh tun – in den Ohren und im Hirn. Göttliches Selbstmitleid floss bereits in Strömen den Thron hinab. Bald würde der ganze Hofstaat darin baden können.

Der Abend schien also gelaufen. Was hatte der Diener noch zu verlieren? Die wilden Mustangs in seinem Kopf waren sowieso nicht mehr einzufangen. Sollte der Chef doch mit ihnen machen, was er wollte: Ab zum Pferdeschlachter mit ihnen! Er würde dem Riesenbaby jetzt mal die Meinung geigen, bevor er gänzlich taub zu werden drohte. Primus war rot vor Wut. Seine Ohren schmerzten fürchterlich.

Über sich selbst verwundert und mit festem Schritt durchquerte er den äußeren Thronsaal. Primus wuchtete das massive Portal zum Vorhof entschlossen zurück in den Torbogen. Endlich! Das Inferno der singenden Sägen verlor ein wenig an Reichweite. Man verstand wieder sein eigenes Wort. Den Kopf nur leicht gesenkt, stellte der Diener all seine Wenigkeit todesmutig dem tränennassen Gott entgegen. Primus hob an:

»Nun, wisst Ihr, Majestät, wegen Eurer Besorgnis …« Doch er kam nicht weit.

»Sag jetzt nichts, mein Lieber. Ich weiß doch, was du denkst. Und irgendwie … hast du ja recht. Ich werde langsam ungenießbar«, schniefte sein Gegenüber.

Primus wagte einen ungläubigen Blick. Wie bitte? Was hatte sein Herr gerade gesagt?

In einem Augenblick nur wechselte das göttliche Theater sein Interieur. Wärmender Samt aus brusthaariger Väterlichkeit überzog die erkalteten Gemächer. Ein ungewohnt sanftes Licht saugte gnädig die umherspringenden Funken der immer noch laufenden Kreissägen in sich auf. Der Folterknecht und seine marodierenden Zwölftonreihen verschwanden lautlos hinter der Zugbrücke. Schnell noch hatte er zwischen seine Noten so etwas wie »… für Ozzy II« gekritzelt. Der höllische Aufmarsch schien für heute beendet. Und nicht nur Primus war erleichtert.

Könnte er sich nicht doch verhört haben? Seine Ohren dröhnten noch immer. Verstohlen wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Unfassbar, der Chef hatte es tatsächlich auf den Punkt gebracht: Er war das Problem – nicht seine Geschöpfe!

Und jetzt? Was für ein Drama war nun im Anzug – ein vorübergehender Anfall göttlicher Altersmilde etwa? Griff der Chef sogleich zur Lyra und meinte gar selbst von seinem Überdruss singen zu müssen? Würde der alte Hypochonder danach zum x-ten Mal sein Testament ändern? Oder ging es dem an sich selbst Erkrankten nur um noch mehr Aufmerksamkeit? Vielleicht dürstete es ihn nach dem hintersten Tropfen Mitleid seiner Lakaien, um ihre traurigen Reste auszupressen wie eine entfleischte Zitrone? Niemand wusste es. Bei ihm war stets alles möglich.

Das zarte Pflänzchen Übermut drohte zu kapitulieren. Der Herr war und blieb unberechenbar. Primus wünschte sich glatt die Kreissägen zurück. Deren Gemeinheiten kannte er immerhin. Gegen Gott hingegen halfen keine Ohrstöpsel.

Winzige Seufzer entrannen dem erschöpften Diener. Ein inneres Fluchen hatte er gerade so noch zurückhalten können. Nichts schien unhörbar in Gottes Gegenwart! Stets versuchte Primus bereits die Vorstellung von unbotmäßiger Kritik zu unterdrücken. Wer konnte sich sicher sein, auf was der Boss soeben fokussierte? In letzter Zeit hatte er wieder vermehrt die Gedanken in seiner Umgebung kontrolliert. Sein Berater wusste es. Dank Jahrtausenden der Übung war er mittlerweile in der Lage diesem fremd klingenden Echo seiner eigenen, unausgesprochenen Worte zuverlässig nachzuspüren. Er erkannte einen göttlichen Lauschangriff immer schneller. Es fühlte sich an wie ein sperriges Vibrato, rapide an- und abschwellend, wenn der Alte sich auf die inneren Bilder seines Gegenübers konzentrierte. Wenn das Private – statt unerkannt zu verfliegen – schamlos eingefangen wurde. Diese mitgelesenen Gedankenschnipsel erhielten einen seltsam metallischen Nachgeschmack, so, als würde man einen noch handwarmen Asteroiden abschlecken.

Das einmal Gedachte versank auch nicht mehr wie gewöhnlich hinter die Grenze der Erinnerung. Im Gegenteil, es sammelte sich an wie ein Salat aus feinen Eisenspänen in seinem Mund: Scharfkantig, schmerzhaft, ungesund. Nur nicht schlucken. Schnell wieder ausspucken! Aber wohin? Ekelhaft! Waren das wirklich noch seine Gedanken? Nein, sie waren sortiert, gestempelt und weiterverarbeitet. Sie gehörten jetzt dem Chef.

Was der Boss davon nicht brauchen konnte, so hatte Primus einmal herausgefunden, sammelte weltweit ein rühriger Entsorger namens Zuckerberg. Dessen Geschäftsidee war somit eigentlich ein Plagiat, aber nicht minder effektiv. Wir werden übrigens noch mehr von diesen geistigen Diebstählen aufdecken. Aber dies nur am Rande.

»Hoffentlich merkt der Alte meine verfeinerte Selbstwahrnehmung nicht!«, grübelte Primus. An manchen Tagen glaubte er gar mehr empfinden zu können als der Unaussprechliche selbst – zumindest deutlich mehr, als dieser wohl ahnte.

»O Gott, schon wieder ein riskanter Gedanke!« Nichts Erschaffenes konnte, ja durfte seinen Konstrukteur überragen. Ein ehernes Gesetz, wollte man es sich nicht mit ihm verscherzen. Denn so, wie mit dem geschäftstüchtigen Herrn Zuckerberg, war auch mit Gott nicht zu spaßen. Inselbegabte unter sich eben.

Man lese hierzu auch die völlig humorfreien himmlischen AGB: Altes und Neues Testament, in einem Zug genossen, ergeben bis heute ein herrlich aufschlussreiches Psychogramm ihres genialen Autors. Nur dabei bitte die beiden Sammelbände schön waagrecht halten. An vielen Stellen tropft nämlich das Blut der Ahnungslosen heraus, besonders aus den finalen Kapiteln.

Juristen aller möglichen Konfessionen interpretierten diese alten Geschäftsbedingungen gerne als göttliches Kriegsrecht. Von Gott und für Gott verfasst, natürlich mit einer klaren Lastenverteilung zwischen Angreifer und Verteidiger: Hier stets das Recht und dort die Schuld. Nicht nur vom Völkerrecht genervte Kriegsminister geraten bis heute ins Schwärmen angesichts solch eindeutiger Gesetzeslagen. Die zwingende Logik ihrer Paragrafen gilt immer noch als unerreicht:

»Warum auch musste sich der sture Heide für den Götzendienst entscheiden, wir Nachkommen Abrahams hätten ihm sonst wirklich nie den Schädel einzuschlagen brauchen. Oder seine missratenen Frauen und Kinder zu entführen, um sie zeitlebens als Sklaven zu halten, sowie deren Städte sorgsam niederzubrennen. Doch wenn der Herr in seinem Ratschluss wünscht, dass wir die schmutzige Arbeit selbst erledigen, wer sollte ihm zu widersprechen wagen? Und warum? Sein heiliger Eifer sei auch der unsere!«

Jahrhundert um Jahrhundert nun ergriffen die biblisch geprägten Völker ihr Privileg zur Umsetzung göttlichen Rechts – und zogen singend in die Schlachten. Gerne auch gegen- und durcheinander, denn im fairen Wettbewerb um die heilige Gunst war jedes Mittel erwünscht. Allerdings eröffneten erst die beiden Großen Kriege ein wirklich würdiges Schaufenster für solch grenzenlose Überzeugungen. Vom bußfertigen Landser mit den Taschen-AGB als Gebetbuch im Marschgepäck bis hinauf zum Kardinal hinter seiner feudalen Goldschnittbibel pflegte man die bewährten Traditionen der Getauften. Randvoll mit göttlichem Segen donnerten Kriegsmaschinen aller Art über die Köpfe der Irrgläubigen hinweg einem unausweichlichen Endsieg des himmlischen Herrn entgegen. An allen Fronten war Er ja stets der Gewinner: »Gott mit uns!«, krächzte der stolze Adler auf dem durchsiebten Koppelschloss. Und beneidete dabei die Seelen der jungen Männer, welche aus den zerbombten Schützengräben leicht wie eine Feder ihrer Erlösung entgegenschwebten.

Am Ende dieses letzten großen Gemetzels bezeugten zwei himmlische Zeichen aus gigantischen Lichtbögen den strahlenden Willen des Herrn, feierlich gezündet unter dem wachsamen Auge eines protestantischen Priesters. Nach solch atomaren Lektionen fügten sich sogar die aufmüpfigen Samurai und überließen das Krieg spielen endgültig den siegreichen Bibelkundigen aus dem Abendland.

Doch machen Sie sich bitte keine Sorgen, werte Leser aus dem Westen, auch für Ihre Zukunft ist bestens vorgesorgt, wenn der Erzengel Michael einst apokalyptisch über die missratene Schöpfung herfallen wird, um Sie und mich für alle Ewigkeit von der Rechtswirksamkeit auch des Kleingedruckten zu überzeugen.

Sie finden das Thema anstrengend? Ich bitte Sie, so tickt der Herr nun mal. Genau so steht es geschrieben. Aber alles kein Problem – für das gründlich informierte Geschöpf zumindest. Sie kaufen schließlich auch keine Aktien bevor Sie nicht den DAX studiert haben, oder etwa doch? Vielleicht sollten Sie einmal Ihre Unterlagen überprüfen, um zu sehen, was man Ihnen zur Geburt so alles in die Wiege gelegt hat. Vielleicht auch einen Taufschein? Nicht dass Ihre Eltern auf das falsche Pferd gesetzt haben. So etwas kann bekanntlich vorkommen, trotz allerbester Absichten.

Und, um es für die Rechtsunkundigen unter Ihnen nochmals klar zu sagen: Irgendwelche Regeln zum Datenschutz wird man, selbst nach gründlichstem theologischen Studium, in seinen AGB vergeblich suchen. Auch zwischen den Zeilen finden sich nirgendwo juristische Schlupflöcher. Ein Recht auf Privatsphäre ist im göttlichen Regelwerk an keiner Stelle abzuleiten. Außer für den Verfasser selbst natürlich. Die Luken seiner Folterkammern sind nicht von innen verschließbar. Zugeständnisse dieser Art an die Untertanen passen leider nicht zu monopolistischen Herrschaftsstrukturen. Sie wären nur ein Zeichen von Schwäche. Gott und Google wissen alles. Punkt. Kunde und Kreatur sind eben keine Könige, sondern bestenfalls höchst transparente Erfüllungsgehilfen. Die Pflicht zur Gewährleistung hingegen liegt stets bei ihnen.

So also war es festgeschrieben im Großen Theater. Und so lehren es die selbsternannten Stellvertreter seines Intendanten bis heute: Auch hinter der Schminke bleibt ihm keine Regung verborgen! Einer muss die Regie ja führen. Beruhigend, nicht wahr?

Eventuell erscheint dem geneigten Publikum der göttlichtheatralische Humor aber auch nur ein wenig zu »trocken«, irgendwie schwer zu fassen, vielschichtiger als gewohnt sozusagen. Nun, wir werden sehen.

Jetzt aber wieder zu Primus, seinem treuen Diener.

Vielleicht war es dem Hausherrn sogar egal, was Primus dachte, Hauptsache sein Verwalter würde spuren. Der breit zelebrierte Masochismus erreichte ja immer öfter unerträgliche Dimensionen, egal wie tief gebeugt sie alle umher krochen rings um seinen Thron. Keiner war sicher vor seinen pubertären Ausbrüchen. Auch der erlauchte Fürst nicht.

Wen wundert, dass die Lyrik zuweilen durchging mit dem armen Verwalter. Welch eine Erleichterung pfiff abends aus ihrem Ventil, wenn ihm, so wie heute, sein Verstand um die gellenden Ohren zu fliegen drohte. In ihren kantigen Versen allein hakte seine letzte erreichbare Feuerleiter. Einzig ihr signalroter Exit führte ihn immer wieder keuchend hinab durch die Flammen, hinein in den rettenden Feierabend. Stets entlang den lichterloh brennenden Zwillingstürmen von göttlicher Größe und Wahn, zwischen denen er wie ein livrierter Affe hin und her jonglierte, um seinen Chef zu befriedigen.

Auch wenn Primus sich seiner Privilegien durchaus bewusst war, sehnte er sich regelmäßig nach einem passenden Schleudersitz, nach irgendeinem endgültigen Ausweg. Keine Frage, als oberster Verwalter war Primus der Teilhaftige im Weltenrund, der Erstberufene, welcher die Schale der Geschichte unter die kongenialen Ergüsse seines Gottes halten durfte. Stets zur Stelle, wenn frische Kapitel aus ihm herausbrachen. Zumeist ohne Vorwarnung, gleich einer Folge epileptischer Anfälle Zeit und Raum hinter sich lassend – und gerne alles Liebgewonnene wie abgeschnittene Haare lustvoll zur Seite fegend!

Bewährt oder verdient? Ha! Wer, bitteschön, sollte einen spielsüchtigen Gott aufhalten?

Ihn, den von sich selbst wie von nichts anderem faszinierten Stylisten. Diesen durchgeknallten Frisör der Weltgeschichte, welcher – den drögen Bart der Vorhersehbarkeit epilierend – in immer neuen Rochaden seinen Laden auf den Kopf zu stellen bereit war, gleichgültig welches Geschöpf noch um Luft ringend im Rasierstuhl hing:

»Ach nein, ist mir doch das Messer abgerutscht. Könnte mal jemand aufwischen? Der nächste bitte! Nehmen Sie Platz. Welches Desaster hätten Wir denn gerne?«

Hören Sie ruhig ein wenig zu, sicher waren Sie ja auch schon mal Gast in seinem Salon. Leider gibt es keinen anderen.

»Komm her, Kleiner, wir waschen auch stark verfilztes Haar mit der Gründlichkeit eines Tsunamis. Und wenn du hinterher deine Eltern nicht mehr finden solltest – such dir einfach neue! Es gibt auf der Welt doch so viele paarungsbereite Mamas und Papas, die gar keinen Nachwuchs kriegen können. Dann lernst du, neben einer anderen Sprache, gleich neue Frisuren kennen. Wäre das nichts für dich?«

»Sofort, mein Herr, wenn Sie noch ein wenig warten wollen. Auch Sie werden dran kommen. Wie alle in meinem Laden. Niemand wird hier übersehen. Unser lavaheißer Bio-Kaffee schmeckt derweil hervorragend aufgrund der Kraft alles Leben auslöschender Vulkanausbrüche, zwischen denen seine Bohnen so hervorragend gedeihen. Dazu eine traditionelle Reiswaffel aus Bangladesch gefällig? Freuen Sie sich: Ihr natürliches, aus den Bergquellen herabrieselndes Arsen mag bald auch in Ihren Haaren zu finden sein! Ein Beben hier, ein Krebserreger dort: Katastrophen sind immer im Trend, mein Herr! Und seien Sie versichert: Sie brauchen kein Reisebüro für all diese Abenteuer – ich habe sie mitsamt meinem Salon erschaffen. Sie bilden quasi seine Einrichtung.«

»Sie bekommen nun Angst um Ihr Outfit? Bitteschön, wir haben für jede noch so hoffnungslose Frisur das passende Pflegeprodukt: FCKW-reiche Religionen aller Couleur geben ultra-starken Halt selbst mitten im Auge existenzbedrohender Wirbelstürme und erlösen Sie zuverlässig von den obersten Schichten Ihres erregten Verstandes – dank unserer bewährten Formel zur Hirnerweichung. Danach machen Sie sich garantiert keine Gedanken mehr, glauben Sie mir!«

»Zwischendurch was zum Lesen? Vielleicht die neueste Seuchen-Statistik aus der Apotheken-Rundschau? Ach, Sie sind eine Frau? Hab ich gar nicht erkannt, so ganz ohne Haare! Dann besser ein Feuilleton über die Künste moderner Chemotherapie, oder? Ich poliere derweil gerne ihre Glatze. Niemand soll auf den Glanz des Lebens verzichten müssen. Notfalls gibt es eine Perücke gratis. Falls Sie diese dann noch brauchen.«

»Wenn es beziehungstechnisch zu glatt und langweilig laufen sollte, werter Stammkunde, haben wir natürlich auch hormongetränkte Lockenwickler in allen Größen im Einsatz. Eine wieder in Hochform gebrachte angeborene Neigung zu Seitensprüngen, zum Beispiel, verhilft zu federndem Schwung für die unausweichlichen Dramen, die wir Ihnen schon mit der ersten Kurpackung Testosteron in die Wiege gelegt haben. Nehmen Sie einfach noch mehr davon. Vielleicht beendet ja ein gnädiges Virus Ihre zwanghafte Suche nach immer neuen Frisurträgerinnen.«

»Hallo, könnten Sie ein wenig zur Seite rücken – dieser Meteorit benötigt etwas mehr Platz für seinen Einschlag. Dankeschön!«

»Wie Sie sehen, auch für Ihr Problem gibt es eine Lösung in meinem Salon. Und vergessen Sie nie: So umfangreich unser Service auch ist – jeder kann ihn sich leisten. Sie bezahlen an der Kasse einfach mit Ihrem Leben. Und machen Ihren Platz zügig frei für den nächsten Kunden in der Schlange. Viel Freude an Ihrer neuen Frisur!«

Primus jedenfalls war nicht nach einer neuen Frisur. Und zum Lachen noch viel weniger.

Er hatte alles durchschaut, und den Wahnsinn mit schmerzhaften Versen verziert, an langen einsamen Abenden.

Vernimmst du

sein fröhliches Summen?

Am Morgen

den Rahmen

lustvoll ersonnen –

am Abend gierig

zerstört.

Wo Könige

zu Türme geronnen,

hetzt er Bauern

auf Damen –

wie unerhört!

Weißt du,

wie schön

ihre Schreie

klingen?

Hast auch du schon

gewonnen,

hat sein Spiel dich

betört?

Um aus schamlosen Lagen

zwei Läufer zu jagen,

kippt er gern mal

das ganze Feld.

Bis die,

die als Letzte die Regeln wagen,

verlassen haben

seine Welt.

Das Spiel des Königs

setzt er neu,

alle Tage,

ohne

Pflicht,

nur das zu tun,

was sich ihm reimt,

und manchmal eben –

nicht.

Ein zum Gott mutierter kleiner Junge – mit immer neuen Figuren das Feld überschüttend, stampfend, jauchzend, bis es blutend auseinander bricht von all seinen Erdrückten.

Was zählt schon eine Regel, wie viel der Gespielte? Das Spielen selbst ist ihm Alles.

»Und das Alles?«

War nur ein Spiel. Natürlich: Für ihn!

Ihr sucht verzweifelt einen Sinn? Der Sinn jeden Seins sei: Ihn glücklich zu machen, hemmungslos! Und so heißt sein Spiel bis heute: »Ich – Bin – Gott!«

»Ein Wesen dieser Welt?«

Es ist halt im Spiel gewesen – also nichts.

»Ein Universum?«

So brennbar wie ein Spielbrett – unwichtig. Darum: Her mit dem neuen!

»Und eine Welt ganz ohne Spiel?«

Für ihn undenkbar – wie ein Gott ohne Macht. Wer sollte ihn denn niederringen, welcher Zug ihn aus dem Spiel nehmen? Nichts und niemand – natürlich.

»So natürlich?«

Das Natürlichste dieser Welt! Geschickt kodiert ins Cerebellum, als tiefes Brandzeichen seiner Schöpfung. Sonst wäre er ja nicht mehr Gott. Sonst wäre das Spiel zu Ende.

»Und er.«

Und du!

O werte Leserin, o werter Leser, Ihnen ergeht es gerade wie dem guten Primus? Und Ihr wunderbares Lachen droht Ihnen im Halse stecken zu bleiben?

Einen Moment, halten Sie mal kurz still! Ich hole es vorsichtig heraus.

Hier, bitteschön, da ist es! Sie kriegen doch schon wieder Luft, oder?

Bleiben Sie also ruhig noch ein bisschen in unserem Salon. Das Märchen geht ja erst richtig los. Vielleicht sah der alte Primus nur etwas zu schwarz, oder? Seien Sie versichert: Ihr Lachen wird zurückkommen! Denn was könnte unterhaltsamer sein als der pure Wahnsinn dieses Lebens – samt einer neuen Frisur?

So, jetzt geben Sie mal die Bibel. Weg damit! Die verdirbt seit Jahrtausenden unsere Stimmung. Lehnen Sie sich stattdessen einfach zurück.

Und blicken Sie ganz entspannt in unseren Spiegel.

2)

»Majestät, Ihr haltet Euch für … ungenießbar?«, wiederholte Primus erstaunt. »Nun, mit Verlaub, es ist schon etwas – ich sage mal – schwierig geworden, Euch zufrieden zu stellen in letzter Zeit.«

Seine Stimme wurde hörbar fester. Sollte er es wirklich wagen?

Nichts schien offensichtlicher: Sein Herr benötigte einen gründlichen Tapetenwechsel. Und zwar schnellstmöglich. Noch bevor er in seiner galoppierenden Unzufriedenheit zum Letzten fähig würde. Bevor ihm alles restlos egal wäre und er Lust darauf bekäme, wieder einmal die gesamte Schöpfung mit sich in den Abgrund zu reißen, das laufende Spiel für beendet zu erklären. Und durch ein neues zu ersetzen – oder eben auch nicht.

Welcher Arzt im Universum vermochte schon einem lebensmüden Gott in den Arm zu fallen? Primus kannte keinen. Das einzige, was seinen Herrn vom Virus erstickenden Überdrusses kurieren konnte, war viel frische Luft! Denn Chef hin oder her, eine Umgebung praller Eindrücke, ein neuer Weg voller Überraschungen war bekannterweise für jeden das beste Mittel gegen eine chronische Depression. Gesucht war ein Kurort fern jeder höfischen Floskel, eine beinharte Nervenklinik, unberechenbarer noch als alle ihr anvertrauten Patienten. Existierte denn eine solche Steigerung göttlicher Manie überhaupt?

Wo im Universum wartete wirklich Unbekanntes darauf, entdeckt zu werden durch einen Allwissenden? Welche abgefahrene Apotheke lagerte die passenden Drogen für die erschlaffte Götterseele – und verschüttelte nicht nur einen lächerlichen Abklatsch davon zu homöopathischen Dosen?

Und noch während sich all diese Puzzleteile vor Primus ausbreiteten, erfasste ihn eine geniale, ja geradezu diabolische Vision. Unglaublich, aber die Lösung lag schon lange bereit! Fast vergessen, verstaubte sie irgendwo zwischen seinen Akten. Die aufkeimende Hoffnung auf eine unerwartete Rettung des Abends verlieh ihm neue Flügel. Ein tollkühner Kamikazeflug? Egal, Primus setzte sich bereitwillig ans Steuer. Mit oder ohne Schleudersitz: Er würde durchstarten – jetzt oder nie!

»Wie wäre es denn mit einer Auszeit, Majestät, so eine Art – Ferien?«

»Auszeit wovon?«

»Tja, von uns vielleicht?«

»Von euch? Meinen allzeit vor sich hin schleimenden Fehlkonstruktionen? Dass wäre ja glatt eine Auszeit von mir selbst, mein Lieber. Immerhin habe ich das Horror-Café hier oben eigenhändig eröffnet. Aber vielleicht sollte ich die Filiale nun wieder schließen, hm?« Sein böser Blick kehrte zurück. Primus jedoch ließ sich nicht irritieren. Er schnallte sich an.

»Mit Verlaub, Euer Exzellenz, aber alles Denkende wird sich irgendwann seiner überdrüssig … wenn es nichts Neues mehr erlebt. Jeder benötigt von Zeit zu Zeit frischen Input.«

»Bin ich vielleicht jeder?« Sein Ausdruck drohte erneut ins Hysterische zu kippen.

»Niemals, natürlich nicht, das geht ja gar nicht. Ihr seid immerhin …«

»Ich weiß, wer ich bin, Primus!«, unterbrach ihn der Chef, jedes Wort bedrohlich langsam betonend. »Also, komm zur Sache, Freund. Du meinst also allen Ernstes, dein Macher bräuchte Erholung von sich selbst?«

»Äh, ja, Majestät, eventuell eine Art Abenteuerurlaub. Also etwa so, wie wenn wir Geschöpfe zuweilen in eine andere Galaxie versetzt werden.«

»Du willst mich strafversetzen?!?«

Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Primus an. Die Chuzpe seines Beraters verschlug ihm glatt die Sprache. Wie groß musste dessen Not sein! Der Chef war sichtlich beeindruckt. Aufmerksam lehnte er sich zurück.

»Nein, nein, Euer Exzellenz, es wäre natürlich und wie immer Eure ganz eigene Entscheidung.«

Primus hätte sich am liebsten auf die Lippen gebissen, die er als Geistwesen eigentlich gar nicht besaß. Doch für eine Notlandung schien es bereits zu spät. Drei endlose Atemzüge später wagte er es schließlich. Und tastete dabei in Gedanken nach dem Hebel eines Schleudersitzes.

»Mein Herr, es existiert da noch ein alter Planet am Rande dieser schnuckeligen Galaxie namens Milchstraße. Seine Bewohner nennen ihn Erde. Er wurde bei der letzten Aufräumaktion übersehen.«

»Was, den gibt’s noch?«

Sein Herr schien durchaus bei der Sache.

»Ich weiß, er steht auf dem Index des Vergessenen, und eigentlich sollte er längst in Schutt und Asche liegen. Aber vielleicht wäre gerade solch ein Ort einmal eine willkommene Abwechslung für Eure geistige … sagen wir: Obstipation? Hier oben gibt es doch bis auf Weiteres nichts mehr Neues zu entdecken, oder?«

»Und?«

»Soweit wir wissen, hatte seine Hauptspezies seit Jahrtausenden keinen Kontakt mehr zu externem Leben. Außer beim Besuch eines flüchtigen Zimmermanns, der schon hier oben unter der Wahnvorstellung litt, seine Brotzeit endlos vermehren zu müssen. Der sprach ständig davon, Chef einer Tafel zu werden. Niemand wollte danach die schimmeligen Reste entsorgen. Aber das ist auch schon lange her.«

»Ja, ich erinnere mich wohl an die Erde, Primus. Das war noch ganz am Anfang, als ich auf den Trichter mit dem physischen Leben gekommen war. Spannende Zeiten damals. Tolle Experimente. Was aus denen wohl geworden ist? Wahrscheinlich doch alle tot mittlerweile.«

Schimmerte da nicht ein kleines verwegenes Leuchten durch den müden Blick seines Herrn? Der Kamikazeflieger nahm die letzte Kurve.

»Nach der Menge an Müll zu urteilen, die sie regelmäßig ins All kippen, sind die Erdbewohner noch quicklebendig. Also, wie wäre es mit einem bisschen therapeutischen Work-and-Travel, Majestät? So völlig losgelöst von all Euren hoheitlichen Verpflichtungen und Terminen?«

»Du meinst, ich soll hier alles stehen und liegen lassen und mich auf diesen unbekannten Spielplatz begeben?«

»Nun ja – eigentlich genau das, mein Herr! Dort könntet Ihr wirklich Zeit und Raum einmal vergessen und in eine völlig andere Welt eintauchen. Betrachtet es einfach als einen unvergesslichen Theaterbesuch, wenn Ihr wisst, was ich meine.«

»Und wer kümmert sich dann um die Geschäfte hier oben? Auch du weißt, wie schnell alles aus dem Ruder läuft, wenn den räudigen Hunden im Palast kein Feuer unterm Wertesten brennt.«

»Kein Problem, Majestät, ich würde mich gerne um alles kümmern – mit größter Sorgfalt und ganz in Eurem Sinne.«

Vielleicht könnte er Ozzy, dem Ersten, seine bestialische Nervensägerei endlich heimzahlen, falls der Chef mal auf Urlaub wäre. Auch Primus’ Augen leuchteten jetzt. Der Alte sah den Diener skeptisch an. Sollte er wirklich auf ihn hören und den Affenstall komplett seinem Oberdompteur überlassen? Was, wenn der große Kindergarten gleich mal den Aufstand probte in der sturmfreien Bude?

Doch eigentlich war es egal: Im Fall des Falles würde er sie alle wegwischen wie die Brösel vom Esstisch. Und ihn einfach komplett neu decken.

»Gut, Primus, du bekommst alle Vollmachten – aber lass die Finger von Ozzy!«

Ziel getroffen. Pilot gerettet.

3)

Der Fürsten-Stammtisch verlief sehr erfolgreich für Primus, auch wenn er etwas unpünktlich erschienen war. Dreimal hintereinander gewann der oberste Diener beim großen Kartenspiel. Er wirkte wie aufgedreht. Und hatte einen richtig guten Lauf. Natürlich stieg er rechtzeitig aus. Primus hatte sich im Griff und konnte auch Wahrscheinlichkeiten zuverlässig berechnen. Um die erstaunten Verlierer bei Laune zu halten, versprach er ihnen eine Gelegenheit zur Revanche, beim nächsten Treffen eben.