Partizipatorische Eingewöhnung -  - E-Book

Partizipatorische Eingewöhnung E-Book

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Beschreibung

Der Übergang von der familiären Betreuung in eine Kinderkrippe, eine Kindertagespflege oder eine Kita oder auch der von der U3-Betreuung in eine Kita ist eine vorhersehbare Transition. Umso bedenklicher ist es, dass dieser Übergang für die Mehrzahl der Kinder und ihren Familien mit erheblichem Stress verbunden ist. Oftmals lässt sich bereits ein Zusammenhang zu einer nicht gelungenen, viel zu schnellen Eingewöhnung feststellen, bei welcher die kindlichen und elterlichen Bedürfnisse regelrecht außer Acht gelassen werden. Marjan Alemzadeh plädiert in ihrem Buch für ein Umdenken, so dass Kinder und ihre Familien einen guten Start in die außerfamiliäre Betreuung haben und diesen als qualitativ hochwertig erleben können. Auf Grundlage ihrer Beobachtungen in diesem Zusammenhang hat sie einen neuen Ansatz konzipiert: Das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell. Neben theoretischem Hintergrundwissen verdeutlichen zahlreiche, bebilderte Praxisbeispiele wie die Umsetzung konkret in der Kita-Praxis gelingen kann.

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Ich widme dieses Buch meinen Kindern Samuel und Amara.

Weitere Informationen, Fortbildungen und Ressourcen:https://www.partizipatorische-eingewoehnung.de

Zitiervorschlag:

Alemzadeh, M. (Hg.) (2023): Partizipatorische Eingewöhnung. Übergänge sensibel begleiten.

Freiburg im Breisgau: Herder.

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Sabine Ufer, Leipzig

Illustrationen: Anna-Lena Wollny

Layout, Satz und Gestaltung: Sabine Ufer, Leipzig

Fotos: siehe Bildquellenverzeichnis

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-39121-7

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82925-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82904-8

Inhalt

Bereit für den Abschied?! – Kinder und Eltern feinfühlig begleiten

Ein Wort zum Geleit von REGINA REMSPERGER-KEHM

Einleitung

Danksagung

Teil 1: Theoretische Einbettung

1. Die Bedeutung einer bindungssensiblen Eingewöhnung

MARJAN ALEMZADEH, BRIGITTE FORSTNER & ANDREA MÖLLMANN

1.1 Grundverständnis einer Partizipatorischen Didaktik

1.2 Grundlagen der Bindungstheorie

1.3 Der Aufbau weiterer tragfähiger Beziehungen durch responsives Antwortverhalten

1.4 Wahrnehmendes Beobachten

1.5 Selbststabilisierung – die Grundlage, um Familien emotional gut begleiten zu können

CORINNA SCHERWATH

2. Das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell

MARJAN ALEMZADEH

2.1 Grundlagen

2.2 Wie verläuft die Partizipatorische Eingewöhnung?

EXKURS: Peer-Interaktionen

EXKURS: Gefühle dürfen sein

KATHRIN HOHMANN

2.3 Ziele des Partizipatorischen Eingewöhnungsmodells in der Zusammenarbeit mit den Eltern

2.4 Die Vorteile dieses Eingewöhnungsmodells

3. Wenn es mit der Eingewöhnung nicht klappt – Störungen früher Bindungserfahrungen oder traumatische Stresszustände

MARJAN ALEMZADEH & BRIGITTE FORSTNER

3.1 Traumatische Erfahrungen des Kindes

3.2 Traumatische Erfahrungen der Eltern

3.3 Traumatische Erfahrungen von pädagogischen Fachkräften

3.4 Unterstützung in schwierigen Situationen

4. Das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell als Teil einer Partizipatorischen Didaktik

MARJAN ALEMZADEH

4.1 Selbstbildungspotenziale

4.2 Beziehungspotenziale

4.3 Sachpotenziale

4.4 Strukturpotenziale

4.5 Kulturpotenziale

5. Notwendige Rahmenbedingungen und Unterstützungen für gelingende Eingewöhnungen

JUTTA DAUM & MARJAN ALEMZADEH

5.1 Finanzierungsstruktur

5.2 Organisatorische Umsetzung

5.3 Personalschlüssel

5.4 Adäquate strukturelle Rahmenbedingungen und Ressourcen

5.5 Qualifikation von pädagogischen Fachkräften

5.6 Digitale Unterstützung und Datenschutz

Teil 2: Praktische Beispiele

6. Eingewöhnungsverläufe nach dem Partizipatorischen Eingewöhnungsmodell

6.1 Emir – eine von Feinfühligkeit geprägte Eingewöhnung in der Krippe MARJAN ALEMZADEH, BRIGITTE FORSTNER & AMELIE JAKOBS

6.2 Edda – eine inklusive Eingewöhnung mit viel Freude

MARJAN ALEMZADEH, BRIGITTE FORSTNER, ANDREA MÖLLMANN & RABEA RIESBERG

6.3 Marie – Sicherheit geben trotz ambivalenter Gefühle während der Eingewöhnung

MARJAN ALEMZADEH, BRIGITTE FORSTNER & LAUREN SCHMIDT

6.4 Ida – eine von Selbstständigkeit geprägte Eingewöhnung

ANDREA MÖLLMANN & BRIGITTE FORSTNER

Schlusswort

MARJAN ALEMZADEH

Verzeichnis der Autorinnen

Bildquellenverzeichnis

Bereit für den Abschied?! –Kinder und Eltern feinfühlig begleiten

Ein Wort zum Geleit von Regina Remsperger-Kehm

Übergänge stellen im Leben eines Menschen besondere Phasen dar, die mit zahlreichen Herausforderungen und vielfältigen Gefühlen verbunden sind: Was wird zurückgelassen und was wird sich verändern? Wie wird das Neue aussehen und wie kann die Phase bis dorthin gelingen? Freude, Neugierde, Aufregung, Sorge, vielleicht auch Angst und Trauer, stehen nebeneinander, wechseln sich ab. Die Forschung zeigt, dass gerade Übergänge in der Kindheit mit Belastungen für die ganze Familie einhergehen. Zudem sind Kinder und Eltern derzeit vor allem durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert. Die Anzahl psychisch belasteter Kinder hat sich deutlich erhöht und es ist ein Anstieg von innerfamiliären Spannungen und häuslicher Gewalt zu verzeichnen. Zugleich ist die Situation in pädagogischen Einrichtungen aufgrund des gravierenden Fachkräftemangels äußerst angespannt, Fachkräfte sind überlastet.

Betrachtet man die Lebenswelten von Familien, sind Kinder und Eltern in Transitionsprozessen mehr denn je auf eine feinfühlige Begleitung angewiesen. Pädagogische Fachkräfte benötigen ein fundiertes Wissen und professionelle Handlungskompetenzen, um sowohl die Bedürfnisse von Kindern und Eltern als auch die Verfassung und die Empfindungen der Kolleginnen und Kollegen feinfühlig wahrzunehmen sowie angemessen darauf reagieren zu können. Mit einem sensitiv-responsiven Antwortverhalten sind Fachkräfte in der Lage, die Signale von Kindern und Eltern im Eingewöhnungsprozess achtsam aufzugreifen und ihr Interaktionsverhalten darauf abzustimmen. In dieser besonders wichtigen Lebensphase ihrer Kinder sollen Eltern dabei unterstützt werden, auch ambivalente Gefühle und Bedürfnisse zu benennen und zu reflektieren. Kinder und Eltern anzuhören und zu verstehen und somit die Fachkraft-Eltern-Kind-Beziehung zu stärken, steht im Mittelpunkt des Modells der Partizipatorischen Eingewöhnung. Auf der Grundlage verständnisvoller und tragfähiger sozialer Beziehungen sollen Kinder in ihren Entwicklungs- und Bildungsprozessen unterstützt werden.

Wie es gelingen kann, Familien einen sanften und bedürfnisorientierten Übergang zur außerfamiliären Betreuung in Kita, Krippe oder Tagespflege zu ermöglichen, wird in diesem Band theoretisch fundiert dargelegt, aber auch mit detaillierten und konkreten Praxisbespielen erläutert. Behutsam und verständlich legen Marjan Alemzadeh und die Autorinnen dar, wie pädagogische Fachkräfte durch Wahrnehmendes Beobachten und eine pädagogisch achtsame Grundhaltung Kinder und Eltern aktiv einbeziehen und den Prozess der Eingewöhnung gemeinsam gestalten können. Durch die Lektüre dieses Buchs werden Fachkräfte dafür sensibilisiert, was Kinder und Eltern während der Eingewöhnung brauchen, was ihnen guttut und was sie möglicherweise überfordert. Insbesondere durch die Praxisbeispiele wird deutlich, welche Schritte dabei zwischen Kind, Elternteil und pädagogischer Fachkraft abgestimmt werden sollten. Hierbei zeigt sich, dass jede Eingewöhnung individuell unterschiedlich verläuft. Es bedarf einer hohen professionellen Handlungskompetenz, damit Kinder, Eltern und pädagogische Bezugsfachkraft diesen bedeutsamen Übergangsprozess in einem jeweils angemessenen Tempo erleben können.

Das vorliegende Buch zur Partizipatorischen Eingewöhnung bietet pädagogischen Fachkräften wissenschaftliche Grundlagen und zugleich hilfreiche Empfehlungen für die praktische Arbeit, um in Transitionsprozessen erkennen zu können, wann Kinder, Eltern und Fachkraft „bereit für den Abschied“ sind. Für die aktive Teilhabe und Partizipation von Familien im Eingewöhnungsprozess in Kita, Krippe oder Tagespflege sind eine professionelle Beobachtungskompetenz und ein sensitiv-responsives Interaktionsverhalten der Fachkräfte unverzichtbar. Zur Weiterentwicklung dieser Kompetenzen leistet der Band einen entscheidenden Beitrag.

Einleitung

Krippenbetreuung ist für die Mehrzahl der Kinder mit erheblichem Stress verbunden. Die Wiener Krippenstudie zeigte, dass Krippenkinder nicht nur in den ersten Wochen der Betreuung erhöhte Stresswerte aufweisen, sondern dass diese auch noch nach fünf Monaten erhöht sind (vgl. Ahnert et al. 2004; Datler et al. 2012). Diese Ergebnisse stimmen mit einigen meiner Beobachtungen in Krippen, Kitas und Tagespflegestellen überein. Während der morgendlichen Bring-Situation sind dort häufig unglückliche Eltern-Kind-Paare zu erleben: Kinder, die sich an ihren Eltern festhalten und nicht abgegeben werden wollen; Eltern, denen es schwerfällt zu gehen und die besorgt von den Fachkräften weggeschickt werden, und Kinder, die sehr lange traurig in der Garderobe sitzen und darauf warten, abgeholt zu werden.

Diese Beobachtungen brachten mich zum Nachdenken. Ich begann, mich intensiver mit der Frage zu beschäftigen, wie diese Situationen anders gestaltet werden könnten. Gespräche mit den beteiligten Familien und Fachkräften ließen auf einen Zusammenhang zu einer nicht gelungenen, oft viel zu schnellen Eingewöhnung schließen. Immer wieder machten Kinder und Eltern während der Eingewöhnung Ohnmachtserfahrungen, insbesondere dann, wenn die pädagogischen Fachkräfte die Schritte der Eingewöhnung ohne sie bestimmten. Häufig standen der Zeitplan der Kita oder die Vorgaben eines Eingewöhnungsmodells im Vordergrund. Die kindlichen und elterlichen Bedürfnisse wurden hingegen oft außer Acht gelassen. Da es mir eine große Herzensangelegenheit ist, dass Kinder und ihre Familien einen guten Start in die außerfamiliäre Betreuung haben und diese als qualitativ hochwertig erleben können, waren meine Beobachtungen der ausschlaggebende Impuls, ein neues Eingewöhnungsmodell zu konzipieren: das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell.

In der frühpädagogischen Wissenschaft werden Transitionen als wichtige und markante Übergänge im Leben eines Menschen erachtet (vgl. Griebel & Niesel 2011, S. 37 f.). Die Übergänge von einer Phase in die nächste prägen den Menschen nachhaltig. Aus meiner Sicht sind sie biografisch so relevant, weil sie eine neue Phase im Leben eines Menschen einläuten. Neben schicksalhaften Übergängen, die meist plötzlich und unerwartet auftreten, wie zum Beispiel der Verlust eines geliebten Menschen oder die frühe Trennung von Bezugspersonen, gelten der Übergang von der familiären Betreuung in eine Kinderkrippe, eine Kindertagespflege oder eine Kita und auch der Übergang von der U3-Betreuung in eine Kita als vorhersehbare Transitionen. Dementsprechend können wir diese Transitionen pädagogisch gut vorbereiten und begleiten, damit Kinder die neuen Erfahrungen, denen sie ausgesetzt werden, gut bewältigen können. Auch der Übergang von der Kita in die Schule ist für die meisten Kinder und deren Familien sehr bedeutsam. Es gehen viele Erwartungen, aber auch Emotionen mit dem Prozess einher, wenn ein Kita-Kind zum Schulkind wird. Eine Partizipatorische Einschulung wäre auch hier ein wichtiges Konzept, um den Übergang von der Kita zur Schule professionell zu begleiten. Die Transitionsforschung zeigt uns, dass die bereits durchlebten Übergänge den nächsten Übergang prägen und beeinflussen können, deshalb sollten wir diesen sehr sensiblen Phasen von Beginn an eine große Aufmerksamkeit schenken. Kinder und Eltern sollten in Übergangssituationen achtsam begleitet werden, um eine bestmögliche – im Sinne von feinfühlige und bedürfnisorientierte – Unterstützung zu erhalten. Transitionen sind immer sowohl von einem Abschied als auch von einem gleichzeitigen Neuanfang geprägt. Damit Kinder und Erwachsene diesem Neubeginn mit Offenheit begegnen können, brauchen sie Beziehungsräume, in denen sie sich sicher und geborgen fühlen.

In dem hier zugrunde liegenden Forschungsprojekt, das von März 2021 bis März 2023 stattfand und finanziell von der Winzig Stiftung unterstützt wurde, wurden elf Eingewöhnungsverläufe nach dem Partizipatorischen Eingewöhnungsmodell in fünf unterschiedlichen Einrichtungen intensiv begleitet und erforscht. Ziel des Projektes war es, die Perspektive der Kinder, der Eltern wie auch der pädagogischen Fachkräfte zu erfassen. Eltern und pädagogische Fachkräfte wurden hierbei aktiv in die Erhebung der Forschungsdaten eingebunden, indem sie Sprachmemos aufnahmen, in denen sie täglich den Eingewöhnungsverlauf anhand ihrer Beobachtungen dokumentierten. So entstanden qualitative Daten, die gemeinsam mit den Familien und pädagogischen Fachkräften generiert wurden, um ihre Perspektive der Forschung zugänglich zu machen. In dem vorliegenden Praxisbuch möchten wir unsere Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt für die alltägliche Anwendung zusammentragen. Hierbei beschreiben wir zunächst theoretische Grundlagen, auf die das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell aufbaut, nennen sowohl Faktoren, die eine Eingewöhnung gelingen lassen, als auch Faktoren, die eine Eingewöhnung erschweren. Im praktischen Teil stellen wir eine Reihe von Eingewöhnungsverläufen detailliert dar, die nach dem Partizipatorischen Eingewöhnungsmodell gestaltet und von unserem Forschungsteam intensiv begleitet worden sind.

Literatur

Ahnert, L., Gunnar, M. R., Lamb, M. E. & Barthel, M. (2004): Transition to child care: Associations with infant–mother attachment, infant negative emotion, and cortisol elevations. Child development, 75(3), 639–650.

Datler, W., Ereky-Stevens, K., Hover-Reisner, N. & Malmberg, L.-E. (2012): Toddlers‘ transition to out-of-home day care: Settling into a new care environment. Infant behavior & development, 35(3), 439–451. Verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22721743. Letzter Zugriff am 13.02.2023.

Griebel, W. & Niesel, R. (2011). Übergänge verstehen und begleiten. Transitionen in der Bildungslaufbahn von Kindern. Berlin: Cornelsen Scriptor.

Danksagung

Mein tief empfundener Dank gilt den Familien, pädagogischen Fachkräften und Kita-Leitungen, die an diesem Projekt teilgenommen und es uns ermöglicht haben, sie bei der Eingewöhnung in die Krippe, Kita oder Kindertagespflege so intensiv zu begleiten. Ohne Sie hätten wir unsere Forschung nicht so weit ausdifferenzieren und für viele weitere Einrichtungen zugänglich machen können. Danke für das große Vertrauen, das Sie mir und meinem Forschungsteam entgegengebracht haben. Ich war an vielen Stellen sehr berührt, wie offen Sie über Themen wie Schwangerschaft und Geburt, die doch so intim sind, aber auch über andere sehr private Aspekte mit uns gesprochen haben. Vielen Dank für die Erlaubnis, diese Informationen in einer verdichteten Form mit der Fachwelt zu teilen, um möglichst vielen Familien einen gelingenden Übergang in die außerfamiliäre Betreuung zu ermöglichen.

Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei meinen Projektmitarbeiterinnen Brigitte Forstner und Andrea Möllmann, die an den Auswertungen im Forschungsprojekt intensiv beteiligt waren. Es hat sehr viel Freude gemacht, mit euch zusammen zu denken und immer wieder neue Zusammenhänge zu entdecken. Herzlichen Dank für euren wertvollen Beitrag zum Projekt. Lea van Bebber und Mara Janßen haben mich in ihrer Funktion als wissenschaftliche Hilfskräfte ebenfalls sehr unterstützt – auch euch vielen Dank für euren großartigen Einsatz.

Während des Schreibprozesses durfte ich Kathrin Hohmann und Corinna Scherwath kennenlernen – wir haben zahlreiche, sehr tiefe Gespräche geführt, die ich als ungemein bereichernd empfunden habe. Ich danke euch für die wertvollen und wichtigen Gastbeiträge in diesem Buch und darüber hinaus für eure positiven Impulse und euren Zuspruch. Jutta Daum, meine ehemalige Kollegin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, die ich sehr schätze, konnte ich für einen gemeinsamen Beitrag zu den notwendigen Rahmenbedingungen für gelingende Eingewöhnungsprozesse gewinnen. Liebe Jutta, es hat sehr viel Freude gemacht, mit dir gemeinsam herauszuarbeiten, welche Dimensionen Eingewöhnungen auf der Strukturebene haben – danke für dein großes Engagement. Ich denke, dass dieses Kapitel eine wichtige Diskussion eröffnen wird.

Ich danke auch meinen Studierenden der Hochschule Rhein-Waal, die ihre BA-Thesis im Rahmen dieses Forschungsprojektes geschrieben und dazu beigetragen haben, die Daten auszuwerten. Insbesondere möchte ich Rabea Riesberg, Lauren Schmidt und Amelie Jakobs hervorheben, die an den hier vorgestellten Praxisbeispielen intensiv mitgearbeitet haben. Herzlichen Dank für eure Unterstützung.

Mein persönlicher Dank gilt ebenfalls allen Kolleg:innen aus Wissenschaft und Praxis, die das Manuskript oder Teile davon gegengelesen und mir wertvolle Hinweise und Rückmeldungen gegeben haben. Hier möchte ich insbesondere Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll (Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz, IFP), Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff (Zentrum für Kinder- und Jugendforschung [ZfKJ] an der Evangelischen Hochschule Freiburg), Kathrin Bock-Famulla (Bertelsmann Stiftung), Elisa Behrens (Präventionsketten der Stadt Peine), Ursula Günster-Schöning (Weiterbildnerin und Coachin), Katrin Förster (Fachberaterin in Bremen), Natali Adrat (Fachberaterin in Köln), Edeltraud Prokop (Weiterbildnerin und ehemalige Kita-Leiterin) und Anja Dünzen (Kita-Leiterin in Köln) hervorheben. Besonders freue ich mich über die Rückmeldung meines sehr geschätzten Kollegen Prof. Dr. Helmut Prior (Hochschule Rhein-Waal). Helmut Prior ist leider während der Fertigstellung dieses Buches unerwartet verstorben – sein plötzlicher Verlust hat mich tief erschüttert.

Rüdiger Theis von der Winzig Stiftung danke ich sowohl für die finanzielle Unterstützung als auch für seine Begeisterung für unser Projekt. Es ist immer wieder eine große Freude, sich mit Ihnen auszutauschen und neue Ideen zu entwickeln. Danke für Ihre Begleitung, Ihre Wertschätzung und den bereichernden Austausch während der Projektzeit.

Ich danke auch meinen Kolleg:innen von der Hochschule Rhein-Waal, die es mir ermöglicht haben, mich im Rahmen eines Forschungssemesters intensiv diesem Projekt zu widmen.

Außerdem danke ich Gerd E. Schäfer und meinen ehemaligen Kolleg:innen an der Universität zu Köln. Das Wahrnehmende Beobachten hat mein pädagogisches Denken sehr geprägt und spielt auch in der Partizipatorischen Eingewöhnung eine elementare Rolle. Das Konzept der Partizipatorischen Eingewöhnung ist Teil einer Partizipatorischen Didaktik, die ihre Ursprünge in diesem Kölner Kreis hat.

Ich freue mich wirklich darüber, dass ich Anna Lena Wollny als Illustratorin für dieses Buch gewinnen konnte. Durch die von ihr entworfenen Illustrationen der sieben Phasen der Partizipatorischen Eingewöhnung gewinnen diese eine große Lebendigkeit.

Ein herzlicher Dank geht auch an Regina Remspeger-Kehm, die ein Wort zum Geleit geschrieben hat.

Last, but not least möchte ich mich bei meiner Familie bedanken. Ihr habt mich, wie bei allen anderen Projekten in meinem Leben, tatkräftig unterstützt und mir den nötigen Raum und Halt gegeben, das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell entwickeln zu können. Euch gilt mein tiefster Dank.

Ich hoffe, dass in Zukunft zunehmend mehr Familien das Glück haben werden, einen für sie gelungenen Übergang von der sehr nahen und intimen ersten Lebenszeit zu Hause in eine außerfamiliäre Betreuung zu erleben, in der sie und ihr Kind sich wohl und geborgen fühlen können.

Bergisch Gladbach, im März 2023

Marjan Alemzadeh

Teil 1: Theoretische Einbettung

1. Die Bedeutung einer bindungssensiblen Eingewöhnung1

MARJAN ALEMZADEH, BRIGITTE FORSTNER & ANDREA MÖLLMANN

1.1 Grundverständnis einer Partizipatorischen Didaktik

In einer Partizipatorischen Didaktik ist die Gestaltung verständnisvoller und tragfähiger sozialer Beziehungen die Basis, um Kinder pädagogisch in ihren Entwicklungs- und Bildungsprozessen zu unterstützen. Dieser Beziehungsaufbau beginnt vom allerersten Tag in der Eingewöhnung, je nachdem wie die pädagogischen Fachkräfte den neuen Familien – den Kindern und deren Eltern – begegnen (vgl. Alemzadeh 2021).

In einer Partizipatorischen Didaktik werden Kinder als handlungsfähige und handlungsmächtige Akteure in die Eingewöhnung aktiv miteinbezogen. Damit das Kind nun selbsttätig seine Umwelt erkunden, begreifen und damit eigenständig in Kontakt und Beziehung treten kann, bedarf es unter anderem einem Gegenüber, das sich empathisch auf die Interessen, Wünsche und Bedürfnisse des Kindes einstellen kann. Das Entwickeln eigener Denk- und Handlungsmuster kann dem Kind dazu verhelfen, die Herausforderungen einer Eingewöhnung, oder besser gesagt eines aktiven Einlebens, positiv zu erleben und als Chance für zukünftige Transitionen in seiner Biografie zu integrieren. Das Kind, als ein kompetentes, individuelles Subjekt, das sich mit seiner Umwelt auseinandersetzt (vgl. Rinaldi 1993; Schäfer 2005, 2011, 2018; Dornes 2003, 2009; Stern 1992, 2000, 2005), ist jedoch abhängig von einer entsprechenden Gestaltung des sozialen und räumlichen Kontextes, in dem es sich während der Eingewöhnung bewegt. Die damit offenkundige Verantwortung für die kindliche Akteurschaft und Partizipation liegt nicht nur bei den Kindern selbst, sondern insbesondere bei den Erwachsenen – pädagogischen Bezugsfachkräften und Bindungspersonen –, die über ihr Verhalten eben diese Akteurschaft und Partizipation unterstützen oder nicht.

Auch wenn das Bild vom Kind die vielfältigen angeborenen Kompetenzen für ein aktives Erkunden und Begreifen seiner Welt in den Vordergrund stellt, so ist es gleichzeitig ein schutzbedürftiges Wesen, das völlig von der liebevollen Fürsorge und Pflege, dem Schutz, der Geborgenheit und dem Trost von feinfühligen Bezugspersonen abhängig ist (vgl. Grossmann & Grossmann 2012, S. 103). Die Befriedigung der angeborenen Grundbedürfnisse Bindung, Kompetenz und Autonomie (vgl. Deci & Ryan 1995) bilden demnach die Grundlage für eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt und den alterstypischen Entwicklungsaufgaben. So kann das Streben nach Befriedigung des Bedürfnisses nach Bindung als Motivation für das Eingehen von engen zwischenmenschlichen Beziehungen gesehen werden. Grawe verweist hierbei auf die angeborenen psychologischen Bedürfnisse nach Bindung, Orientierung und Kontrolle, Selbstwerterhöhung sowie Lustgewinn/Unlustvermeidung (vgl. Grawe 2004). Die Befriedigung dieser Bedürfnisse wird dabei primär im sozialen Miteinander gesucht. Bei einer sicheren Bindung öffnet das Autonomieerleben dem Kind eine Welt von freier Bestimmung, von aktivem Gestalten und Mitwirken.

Babys und Kleinkinder erkunden eigenständig die Welt in ihrem eigenen Tempo und ihren Interessen entsprechend, wenn die sozialen Beziehungen dies zulassen und unterstützen. Auch in der Eingewöhnung sollte die Selbstwirksamkeit des Kindes im Vordergrund stehen, die seinen autonomen Raum des Einlebens effektiv erweitert und seine „motivationale Tendenz sich mit anderen Personen in einer sozialen Umwelt verbunden zu fühlen“ (Becker-Stoll et al. 2020, S. 35) unterstützt.

1.2 Grundlagen der Bindungstheorie

Unter Bindung versteht man das „imaginäre Band zwischen zwei Personen, das in den Gefühlen verankert ist und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet“ (Ainsworth 1979 zit. n. Grossmann & Grossmann 2012, S. 71).

Dieses imaginäre, emotionale Band besteht „insbesondere zwischen Eltern und Kindern“ und betrifft „hauptsächlich den Schutz und die Sicherheit des abhängigen Kleinkindes in der Beziehung zur Bezugsperson“ (Tenorth & Tippelt 2012, S. 118).

„Ein Säugling verfügt von Geburt an über die notwendigen biologischen Gegebenheiten, die eine Verständigung mit der sozialen Umwelt möglich machen und den Bindungsaufbau zu den Eltern begünstigen. So fungiert das sogenannte Kindchenschema als Schlüsselreiz, um Eltern an ihr Kind zu binden. Dabei lösen die typischen kindlichen Proportionen eines Babys eine gewisse Faszination sowie ein Fürsorgeverhalten bei Erwachsenen aus“ (Kirschke & Hörmann 2014, S. 4).

Papoušek und Papoušek (1987, 2002) zeigen in ihren Arbeiten eindrücklich auf, dass Eltern in der Regel über ein intuitives Verhaltensrepertoire verfügen, um ihre Kinder gut zu versorgen. In den westlichen Ländern wird das Bedürfnis nach Bindung in der Schwangerschaft, nach der Geburt und in der ersten Lebenszeit in der Regel von den Eltern und weiteren engen und vertrauten Bezugspersonen beantwortet.2 Ainsworth und Bell (1974/2003) konnten in ihren empirischen Arbeiten nachweisen, dass der Aufbau einer sicheren Bindung insbesondere davon abhängt, wie feinfühlig sich Eltern ihren Kindern gegenüber verhalten (vgl. ebd., S. 414). Feinfühligkeit zeichnet sich in diesem Zusammenhang dadurch aus, dass die Bindungsperson die Signale des Kindes aufmerksam verfolgt und wahrnimmt, dass sie die wahrgenommenen Signale im Sinne des Kindes richtig interpretieren kann und daraufhin prompt und angemessen reagiert. So kann das Kind einen Zusammenhang zwischen der eigenen Bedürfnisäußerung und der Bedürfnisbefriedigung durch die Bindungsperson herstellen (vgl. Grossmann & Grossmann 2012, S. 122 f.)

Wenn Eltern sich somit feinfühlig in die Lage des Kindes hineinversetzen und es als selbsttätigen Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Interessen anerkennen, kann eine sichere Bindung aufgebaut werden, in der zum einen das Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit und Trost angemessen beantwortet sowie das Autonomiebedürfnis des Kindes unterstützt und dem Wunsch nach Kompetenz nachgekommen wird. Ein intuitives elterliches Antwortverhalten zeigt sich vor allem dann, wenn die Eltern selbst eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung erleben durften und ihre Bedürfnisse feinfühlig beantwortet wurden (vgl. Levy 1999; Papoušek 2006).

Der Aufbau einer ersten Bindungsorganisation, bestenfalls einer sicheren Bindung, wird als grundlegende Entwicklungsaufgabe im ersten Lebensjahr gesehen. Hierfür sind die drei Kernelemente, elterliches Engagement, Struktur und Autonomie, notwendig. Elterliches Engagement wird in der Beziehung zum Kind durch Freude und Interesse am Kind sichtbar und ist vom offenen Ausdruck der jeweils relevanten Gefühle geprägt. Die Bezugspersonen sollten emotional und zeitlich für das Kind verfügbar sein. Die Befriedigung des Grundbedürfnisses der Kompetenz bedarf Strukturen, die dem jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes angepasste Herausforderungen anbieten und ihm Hilfestellungen für den Erwerb von neuen Strategien zur Verfügung stellen. Das Erleben von Autonomie verhilft dem Kind dazu, seine eigenen Ziele zu erkennen und diese zu verfolgen (vgl. Becker-Stoll et al. 2020, S. 36). Anlehnend an die Bindungstheorie stellt demzufolge die Entwicklung einer sicheren Eltern-Kind-Bindung die Grundlage für eine gesunde Entwicklung des Kindes dar.

Die Bindungstheorie von John Bowlby benennt den Zusammenhang von Bindungs- und Explorationsverhalten. Das angeborene und evolutionär entstandene Bindungsverhalten des Säuglings sichert, steuert und reguliert die Nähe, Schutz und Versorgung, die es zum Überleben benötigt (vgl. Bowlby 2008). Wenn das Kind sich unsicher fühlt, es Angst hat oder nach Nähe und Liebe ruft, so nutzt es seine verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten wie beispielsweise wimmern, weinen, schreien oder auch mit den Armen nach der Bezugsperson greifen, um sein Bedürfnis kundzutun. Es aktiviert sein Bindungsverhalten aber auch, wenn es Hunger hat oder durstig ist. Es drückt somit seine Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse aus, die im Optimalfall daraufhin von den Eltern als solche erkannt und interpretiert werden können. Der kindliche Ausdruck der Gefühle kann daher als „[…] intentional, als Bemühungen des Säuglings etwas mittteilen zu wollen“ (Grossmann & Grossmann 2012, S. 54), erlebt und verstanden werden.

Das Explorationsverhalten, als zweites angeborenes Verhaltenssystem, wird dann aktiv, wenn das Kind sich sicher und wohl fühlt. Nun möchte es seinem Drang nach Erkundung folgen und aktiv seine Erlebensräume erforschen, diese begreifen und erweitern. Nur so kann das Kind sich auf sein Spiel und auf neue Erfahrungen einlassen (vgl. Brisch 2020, S. 26). Diese beiden Systeme sind wie eine Wippe miteinander verbunden, die gerade bei sehr jungen Kindern ständig hin und her wechseln kann. Wenn das Kind sich sicher und wohl fühlt, ruht das Bindungssystem, und das Explorationssystem ist aktiv. Fühlt das Kind jedoch Unsicherheit oder Angst, so ist sein Bindungsverhalten aktiviert und das Explorationsverhalten wird gehemmt. Folglich kann das Kind nur dann seinem Erkundungsdrang folgen oder auch neue Kontakte und Beziehungen eingehen, wenn es sich sicher und wohl fühlt (vgl. Becker-Stoll et al. 2020, S. 40 f.).

Diese angeborenen Verhaltenssysteme spielen auch in der Eingewöhnung eine wichtige und existenzielle Rolle. So kann sich das Kind nur dann aktiv einleben, wenn es sich sicher und wohl fühlt. Sobald das Kind sich jedoch verunsichert fühlt, etwa weil die Bezugsperson sich nicht wohl fühlt oder sich für das Kind komisch verhält (z. B. wenn die Bezugsperson nicht mit dem Kind mitgeht, da sie auf einem bestimmten Stuhl sitzen bleiben soll, obwohl das Kind seine Bezugsperson dazu auffordert, mitzukommen) oder aber auch eine zu frühe Trennung stattfindet, bevor das Kind eine Beziehung zu der neuen pädagogischen Fachkraft aufbauen konnte (weil die pädagogische Fachkraft den Trennungszeitpunkt vorgibt, ohne die kindlichen Signale einzubeziehen), wird das Kind in seinem Bindungserleben erschüttert. In Folge wird es sein Bindungsverhalten aktivieren und im weiteren Verlauf der Eingewöhnung nicht mehr offen erkunden und sich auf Neues einlassen können.

Abb. 1: vgl. Das Konzept der Bindungs-Explorations-Balance; nach Grossmann & Grossmann (2012), S. 137

Fassen wir zusammen: Bei Verunsicherung und Angst wird das Bindungssystem des Kindes aktiviert, bei Wohlbefinden das Explorationssystem.

Deshalb begleitet die pädagogische Fachkraft im Partizipatorischen Eingewöhnungsmodell das Eltern-Kind-Paar empathisch, bezieht kindliche und elterliche Signale in ihr Vorgehen mit ein und versucht selbst, für das Eltern-Kind-Paar einen Raum der Sicherheit und des Wohlfühlens zu schaffen. Sie spiegelt der Bezugsperson, dass sie sich während der Ankommenszeit so verhalten kann, wie sie es immer ihrem Kind gegenüber tut, um ihrem Kind wiederum Sicherheit zu vermitteln.

Die Sicherheit, die die pädagogische Fachkraft insbesondere der Bindungsperson des Kindes während der ersten Zeit in der Eingewöhnung schenkt, kann dann vom Elternteil an das Kind weitergegeben werden. Nur so kann das Kind sein Explorationssystem aktivieren und sich für die neue Umgebung und die neuen Menschen öffnen (vgl. ebd.).

Grossmann & Grossmann (2012) unterscheiden zwischen den Systemen sichere Basis und sicherer Hafen. Bei dem Bedürfnis nach emotionaler Sicherheit werden beide Systeme angesprochen. Wenn das Kind beim Empfinden einer psychischen Verunsicherung bei der Bindungsperson nach Trost, Schutz und Sicherheit sucht, spricht man von der Bindungsperson als „sicherem Hafen“. So kehrt das Kind beispielsweise zu seinem Elternteil als sicherem Hafen zurück, wenn es sich erschreckt. Wenn das Kind jedoch Rückhalt beim Explorieren sucht, so stellt die Bindungsperson eine „sichere Basis“ zur Verfügung, von der aus das Kind in die Welt hinausgehen kann (vgl. Grossmann & Grossmann 2012, S. 57). Die Bindungsperson als sichere Basis sendet ihrem Kind das „Zutrauen“ aus, dass es hier etwas Spannendes, Neues zu entdecken gibt.

Diese zwei Aspekte des Bindungsverhaltenssystems – sichere Basis und sicherer Hafen – zu kennen, ist für die pädagogische Fachkraft enorm wichtig. Es hilft ihr, die kindlichen Signale noch genauer zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Im „Kreis der Sicherheit“ von Powell et al. (2015) stellen die zwei Hände diese Qualitäten der Bindungsperson dar.

Abb. 2: vgl. Kreis der Sicherheit nach Hoffman, Cooper & Powell (2019), S. 120

Das Kind startet von der sicheren Basis aus zu seinen Erkundungen. Dabei braucht es von der erwachsenen Person die Unterstützung für seine Erkundung. Übertragen wir dies auf die Phase zwei des Ankommens in der Kita bei der Eingewöhnung, so ist hier die Anforderung an das Elternteil, es zulassen zu können, dass ihr Kind die neuen Spielsachen, Räume und Personen in seinem eigenen Tempo erkunden wird. Bindungspersonen kennen ihr Kind in der Regel am besten und wissen, wann es Hilfe braucht, wann sie aufpassen müssen, damit es nicht gefährlich wird, wie z. B. beim Klettern, Schneiden oder bei Konflikten mit anderen Kindern. Wenn das Kind etwas geschafft hat und strahlend zu seiner Bindungsperson schaut, diese sich ehrlich mitfreut und sie zusammen die Erfahrung, die das Kind gerade gemacht hat, genießen können, spürt das Kind eine stärkende Bestätigung, die es ermuntert, weiter auf Erkundungstour zu gehen und neue Dinge auszuprobieren. Powell et al. (2015) beschreiben in ihrem Modell und Interventionsprogramm für Eltern von Klein- und Vorschulkindern die wichtige Fähigkeit von Bindungspersonen als ein „Mit-sein“, das bedeutet, die Bedürfnisse des Kindes durch die eigene Bezogenheit erfüllen zu können (vgl. Powell et al. 2015, S. 69). Das Kind vergewissert sich hierbei, dass es auch den Eltern gut geht. Die gegenseitige Bezugnahme, auch social referencing genannt (vgl. Vaish et al. 2009), zeigt deutlich, dass Kinder schon früh in der Lage sind, die Gefühle und Bedürfnisse anderer in ihr eigenes Handeln zu integrieren. Gelingt es (den Bindungspersonen) nicht, „Mit-sein“ zu realisieren, wird es zu „Ohne-sein“. Durch ihr „Mit-sein“ lassen sie dem Kind die erforderliche Fürsorge zukommen, und außerdem sichern sie so die Erfüllung seiner Bedürfnisse im Sinne des Kreises der Sicherheit. Entscheidend für die Entwicklung einer sicheren Bindung ist das Wissen des Kindes, dass seine Bezugsperson emotional zum „Mit-sein“ bereit ist, wenn es dies braucht“ (Powell et al. 2015, S. 69).

Die andere Hand in dem Schaubild stellt den sicheren Hafen dar. Das ist die Fähigkeit der erwachsenen Person, es zulassen zu können, dass das Kind immer wieder die Nähe oder auch den Körperkontakt sucht. So kann es sich von den neuen aufregenden Erkundungen während der Eingewöhnung erholen und emotional auftanken. Im Kreis der Sicherheit beschreiben Cooper et al. (1999/2000) das Bedürfnis des Kindes nach Trost („Tröste mich“), nach Schutz („Schütze mich“), nach der positiven, offenen Haltung der Bindungsperson, wenn das Kind sich annähert („Freu dich an mir“) und der Hilfe bei der Regulation der Gefühle („Organisiere meine Gefühle“). Jedes intensive Gefühl, egal ob Ärger, Trauer, Wut oder Freude, kann ein Kleinkind überwältigen bzw. überfordern, und es braucht eine Bindungsperson, die ihm hilft, dieses Gefühl zu verarbeiten. Dies bezeichnet man auch als Ko-Regulation (vgl. Gutknecht et al. 2017). Es wird Eltern geben, die sich sehr unterstützend im Hinblick auf die Erkundung des Kindes zeigen, und andere, die sehr auf die Beruhigung und das Trösten fokussiert sind. Beides zu können, also die unterschiedlichen Bedürfnisse des Kindes wahrnehmen zu können und angemessen in den jeweiligen Situationen darauf zu reagieren, ist die Grundlage für eine sichere Bindung (vgl. Cooper et al. 1999/2000, S. 84–89). Während der Eingewöhnung kann die Fachkraft den Kreis der Sicherheit beim Kind genau beobachten und auf seine Bedürfnisse in den unterschiedlichen Phasen reagieren.

So bestätigt sie beispielsweise das Kind darin, noch einmal zum Elternteil zurück zu krabbeln und dort aufzutanken, wenn es Blickkontakt zur Bindungsperson aufnimmt, nachdem es vielleicht zuvor etwas Spannendes entdeckt oder (die ersten) Kontaktversuche zur pädagogischen Fachkraft oder den anderen Kindern aufgenommen hat. Werden die unterschiedlichen Bedürfnisse des Kindes von den pädagogischen Fachkräften erkannt und unterstützt, so kann das Kind die Kindertagespflege, Krippe oder die Kita als einen Ort erleben, der von Sicherheit, Schutz und Vertrauen geprägt ist, an dem es seinem Anfängergeist mit Neugierde nachgehen kann. Es kann auf eigene Art und Weise und in tragfähigen Beziehungen seine neue Welt erkunden.

1.3 Der Aufbau weiterer tragfähiger Beziehungen durch responsives Antwortverhalten

Für die anstehende Eingewöhnung in eine außerfamiliäre Betreuung spielen die erkennbaren Bindungsverhaltensweisen des Kindes eine wichtige Rolle.3 Die pädagogische Bezugsperson kann die ersten Phasen der Eingewöhnung dafür nutzen, die Eltern-Kind-Interaktionen zu beobachten und die Wahrnehmung der kindlichen Bindungs- und Erkundungssignale in die Gestaltung der Eingewöhnung einzubeziehen.

Kinder können nicht nur eine, sondern mehrere Bindungsbeziehungen entwickeln, die in einer Art „Bindungspyramide“ dargestellt werden können (vgl. Howes & Spiecker 2008 nach Grossmann & Grossmann 2012, S. 71 f.; Brisch 2020).

Abb. 3: Mögliche Bindungspyramide im Bindungsverhalten des Kindes, Bindungspersonen des Kindes können aber auch auf einer Ebene stehen

Die pädagogische Fachkraft kann demnach neben den familiären Bindungspersonen zu einer weiteren Bindungsperson werden, die für das Kind sowohl als sicherer Hafen wie auch als sichere Basis fungiert. Es muss also nicht immer eine Pyramide sein, es gibt auch Konstellationen, in denen die Fachkraft „neben“ die Eltern tritt. Wenn die pädagogische Fachkraft dem Kind korrigierende, sichere Bindungserfahrungen ermöglicht, falls das Kind im bisherigen Zusammensein mit seinen Eltern unsichere Erfahrungen gemacht hat (vgl. Becker-Stoll 2007, S. 155; Schleiffer 2016, S. 2), kann sie für das Kind darüber hinaus von großer Bedeutung sein.

Der Anspruch einer Partizipatorischen Didaktik liegt darin, die Eingewöhnung so zu gestalten, dass das Kind während der Begleitung durch seine elterliche Bindungsperson eine tragfähige Beziehung zu einer pädagogischen Bezugsfachkraft aufbauen kann, die sowohl die psychischen Bedürfnisse nach Sicherheit, Schutz und Halt erkennt und beantwortet als auch dem Wunsch nach Exploration durch Erfahrungslernen mit neuen Dingen und Materialien über Spielen und Gestalten nachkommt.4

Wie kann das Antwortverhalten der Fachkraft auf die kindlichen und elterlichen Signale erfolgen, um die Eingewöhnung bindungssensibel zu gestalten und dabei die bildungswissenschaftlichen Grundlagen wie das kompetente Bild vom Kind mit seinem Anfängergeist nicht aus dem Auge zu verlieren?

Während in der Bindungstheorie in Bezug auf elterliches Verhalten häufig das Antwortverhalten als „Responsivität“ benannt und oftmals mit „Feinfühligkeit“ gleichgesetzt wird (vgl. Ainsworth et al. 1978), prägen das empathische, feinfühlige Verhalten von Fachkräften im pädagogischen Bereich die Begriffe „Sensitive Responsivität“ (Remsperger 2011) und „professionelle Responsivität“ (Gutknecht 2014).

Die rasche und prompte Reaktion auf das Kind kann als responsiv bezeichnet und durch das Beiwort „sensitiv“ oder „feinfühlig“ ergänzt werden, um die Qualität der Antwort herauszustellen (vgl. ebd.). Bei einer bindungssensiblen Eingewöhnung geht es demnach unter anderem um die qualitative Betrachtung des Antwortverhaltens der pädagogischen Fachkraft unter Berücksichtigung des Bindungsverhaltens des Kindes.

Remsperger-Kehm gliedert das pädagogische Antwortverhalten in übergeordnete Komponenten, wie die Promptheit der Reaktion auf das Kind, das Eingehen und „Dabei-Sein“, der Umgang mit Stimmungen/Emotionen, das Zeigen von Wertschätzung/Loben, die Stimulation, das Spiegeln und Fragen (vgl. Remsperger 2011). So erklärt sie, dass beispielsweise beim Dabei-Sein der Fachkraft das Interesse und ihre Aufmerksamkeit offenkundig gezeigt werden sollen und dass sie Freude und Begeisterung mit den Kindern teilt. Indikatoren fehlender Responsivität wären beispielsweise Gehetztsein und Ungeduld, die auch als Desinteresse oder Gleichgültigkeit wahrgenommen werden könnten.

Gutknecht benennt für die pädagogische Beziehungsarbeit die responsive Abstimmung auf das Kind sowie die Eltern und das Team, da „[…] auch die Interaktion der Fachpersonen mit den Eltern und die Interaktion im Team Auswirkungen auf Entwicklungs- und Bildungsprozesse der Kinder haben“ (Clarke-Stewart & Allhusen 2005 zit. n. Gutknecht 2014). Die Fachkraft benötigt ein umfassendes Wissen und Können, um die Bedürfnisse des Kindes, der Eltern und des Teams feinfühlig wahrzunehmen sowie situationsgerecht beantworten zu können (vgl. Gutknecht 2014). Gutknecht (2014) verweist explizit auf situationsspezifisches Fachwissen, was im Falle der Partizipatorischen Eingewöhnung neben einem umfangreichen Wissen über U3-Kinder, die Säulen der Partizipatorischen Didaktik, die sieben Phasen der Eingewöhnung und gleichzeitig aber auch die in diesem Buch vorgestellten theoretischen Grundlagen zur prä-, peri- und postnatalen Zeit, zur Bindungstheorie, die Auseinandersetzung mit einem Ansatz der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung und vieles mehr wären.

Kommen wir auf die Frage zurück, wie feinfühlig wahrgenommen werden kann, um eine passgenaue Antwort auf die kindlichen Signale zu finden.

1.4 Wahrnehmendes Beobachten

Das Wahrnehmende Beobachten stellt ein differenziertes „professionelles Instrument pädagogischen Handelns“ dar (Schäfer 2021, S. 48), um die Interessen, Tätigkeiten und Beteiligungsmöglichkeiten der Kinder in den Fokus zu setzen. Es geht darum, „die Stimme der Kinder zu hören“ (Alemzadeh 2018, S. 5), sie mit ihren Bedürfnissen und Signalen zu sehen, sie in ihrem gesamten Wesen wahrzunehmen und ihnen mit Resonanz und Verständigung zu begegnen. Das Wahrnehmende Beobachten „stützt sich auf das Konzept des ‚multiple listening‘ aus der Reggio-Pädagogik (Rinaldi 2006) und steht für eine Verständigung mit allen Mitteln, also auch der nicht-sprachlichen Kommunikation“ (Alemzadeh 2020, S. 61).

Diese Differenzierung beinhaltet, dass verschiedene Wahrnehmungsformen dafür genutzt werden, um eine möglichst dichte Wahrnehmung und Beschreibung vornehmen zu können – und somit hilfreiche Informationen zu gewinnen (vgl. Alemzadeh 2018, S. 6). Unter dem Aspekt, dass Krippen und Kindertagespflegen bindungsrelevante Lernorte darstellen und die pädagogischen Fachkräfte insbesondere in der Eingewöhnung (aber natürlich auch darüber hinaus) bindungssensibel in Beziehung gehen sollten, ist es „[…] wichtig, die kindlichen Signale differenziert wahrnehmen zu lernen, sie professionell zu deuten und empathisch darauf einzugehen“ (ebd., S. 6). Die Fachkräfte dürfen und sollen bewusst die eigenen Wahrnehmungen mit einer körperlichen und emotionalen Wahrnehmungsfähigkeit intensivieren. Um dem inneren Erleben des Kindes noch besser auf die Spur zu kommen, nutzen die Fachkräfte dabei aufmerksames Hinschauen, bewusstes Zuhören und ihre eigenen Gefühle (vgl. Schäfer & Alemzadeh 2012). Die Fachkräfte dürfen sich hierfür in das Kind einfühlen, um darüber der Bedeutung des Geschehens auf den Grund zu gehen, sich aber auch gleichzeitig die Erlaubnis geben, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und sie zu benennen (vgl. Alemzadeh 2020, S. 61).

Das Wahrnehmende Beobachten dient aber auch dazu, die Möglichkeiten und Ressourcen der Eltern und der Fachkraft zu erkennen. Es unterstützt die Fachkräfte dabei, in der Eingewöhnung sensitiv-responsiv zu handeln. Oftmals kann das Kind über die Sprache noch nicht seine Bedürfnisse oder Wünsche ausdrücken. Jedoch besitzt es von Geburt an verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten, die über Töne, Gestik, Mimik und Körperhaltung sichtbar werden. Wenn beispielsweise die Fachkraft dem Kind ein Kontaktangebot unterbreitet und dabei beobachtet, dass das Kind sich seinem Elternteil zuwendet oder gar seine Arme nach der Bindungsperson ausstreckt, so ist es ein klares Zeichen dafür, dass das Kind in diesem Moment die Sicherheit und den Schutz benötigt und nicht auf das Angebot der Fachkraft eingehen möchte.5 Das Wahrnehmende Beobachten hilft der Fachkraft, sich in das Kind hineinzufühlen und entsprechend zu antworten. Das Kind fühlt sich ernst genommen und gehört, auch wenn es sich um nonverbale Ausdrucksvarianten handelt.

Während das Wahrnehmen nach innen gerichtet ist, ist das Beobachten nach außen gerichtet. Wahrnehmendes Beobachten verfolgt somit eine doppelte Perspektive und Aufmerksamkeit (vgl. Alemzadeh 2018, 2020). Einerseits richtet sich die Beobachtung der Fachkraft auf das Verhalten und auf die nonverbalen Signale des Kindes und andererseits lenkt die Fachkraft die Aufmerksamkeit auf das, was die Beobachtung in ihr selbst auslöst bzw. bewirkt. Neben dem feinfühligen, responsiven und auf das Kind abgestimmte Verhalten der Fachkraft (vgl. Gutknecht 2012; Remsperger 2011) wird ihr ein Blick in eigene relevante biografische Themen ermöglicht. „Denn das, was das kindliche Tun in uns auslöst, hat auch immer etwas mit unserer eigenen Geschichte zu tun“ (Alemzadeh 2020, S. 61). Die pädagogische Haltung wird über die eigenen biografischen Erfahrungen geprägt. Gerade die offensichtlichen Themen einer Eingewöhnung wie Trauer, Abschied, Verlust und Schmerz sind Themen, die viele pädagogische Fachkräfte selbst in der eigenen Biografie erlebt haben. Die „doppelte Aufmerksamkeit“ des Wahrnehmenden Beobachtens öffnet der Fachkraft einen Raum, in dem sie den eigenen Gefühlen und Empfindungen, die beim Beobachten ausgelöst werden können, nachgehen kann (vgl. Alemzadeh 2018, 2020, 2021). Oftmals sind sich pädagogische Fachkräfte nicht darüber bewusst, auf welche Art und Weise ihr biografisches Erleben ihre Verhaltens- und Denkstrukturen geprägt hat und ihr Verhalten gegenüber dem Kind beeinflussen kann. Den Einfluss persönlicher Wahrnehmungen und Prägungen anzuerkennen, nimmt einen hohen Stellenwert in der professionellen pädagogischen Arbeit ein.

Das Integrieren dieser Wahrnehmungsebene ermöglicht es der Fachkraft, sich selbst, mit den eigenen biografisch geprägten Themen, in der alltäglichen Arbeit zu reflektieren. Daher wird dem Wahrnehmenden Beobachten eine zentrale Rolle in der pädagogischen Arbeit und insbesondere in der Eingewöhnung zuteil. Bei diesem Vorgehen kann eine wertschätzende Reflexion im Team oder auch eine Supervision hilfreich sein, um dem Kind weiterhin mit Nähe, Herzlichkeit und Empathie begegnen zu können. Um den Schmerz des Kindes, den es vielleicht bei der Trennung von der Bezugsperson empfindet, „containen“ (Trescher & Finger-Trescher 1992, S. 94) zu können, müssen sie empathisch mitfühlen, ohne mitzuleiden.

Durch Wahrnehmendes Beobachten kann die pädagogische Bezugsfachkraft den Eingewöhnungsverlauf sensitiv-responsiv begleiten und auf Situationen zeitnah eingehen, in denen sie erkennt, dass das Kind oder die Bindungsperson Schwierigkeiten hat, Kontakt zu ihr oder den anderen Kindern aufzunehmen, und gegebenenfalls ein traumatisches Ereignis reaktiviert wurde. Sie weiß, dass hier besondere Sensibilität und Unterstützung gefragt sind. Falls die Fachkraft merkt, dass das Thema Trennung bei ihr selbst Unverarbeitetes zu Tage fördert, holt sie sich Unterstützung – bei einer vertrauten Kollegin, in einem wertschätzenden Team, aber auch durch externe Spezialisten wie einer Supervisorin bzw. einem Supervisor oder einer (Trauma-)Therapeutin bzw. einem Therapeuten.

Merkt die Fachkraft, dass sie bei Eingewöhnungssituationen selbst immer wieder großen Kummer erlebt und den beim Kind wahrgenommenen Schmerz zu ihrem eigenen macht, ist es wichtig, dass sie sich zunächst mit ihren persönlichen biografischen Erfahrungen zum frühen Trennungserleben auseinandersetzt, diese reflektiert und bei Bedarf auch therapeutisch verarbeitet. Auch wenn sie merkt, dass sie bei Eingewöhnungen eher gefühlstaub ist, die Gefühlsäußerungen der Kinder also tendenziell unterdrücken („Ach, das ist doch nicht schlimm.“) und die Kinder von ihren Gefühlen ablenken möchte („Du brauchst nicht zu weinen, wir spielen hier doch ganz schön.“), lohnt es sich zu schauen, ob eigene unverarbeitete Erlebnisse einem sensitiv-responsiven Begleiten der Kinder im Wege stehen. Eine biografische Aufarbeitung des eigenen frühen Trennungserlebens empfiehlt sich für alle Pädagoginnen und Pädagogen, die Kinder und Bindungspersonen in Eingewöhnungsprozessen unterstützen möchten. Sie ist eine wichtige Voraussetzung, um Eltern und Kinder professionell bei diesem Schritt begleiten zu können. Hilfreich sind dabei die Fragen zur Selbstreflexion (siehe die Kästen mit Reflexionsfragen in Kapitel 6).

Was bedeutet Containment?

Containment, so formuliert es der Psychoanalytiker Martin Dornes in seinem Buch „Die emotionale Welt des Kindes“, ist die Fähigkeit, „die Affekte des Kindes – insbesondere die negativen – nicht nur zu verstehen und zu beantworten, sondern in ihrer Antwort gleichzeitig so zu verändern, dass sie für das Kind erträglich werden. Containment ist also eine Form der Regulierung negativer Affekte“ (Dornes 2004, S. 76). Containen bedeutet also, die Gefühle des Kindes aufzunehmen und sie gleichzeitig zu regulieren, etwa mit ruhiger und anteilnehmender Stimme zu sagen: „Oh, ich sehe, das tut dir weh. Lass uns mal gemeinsam gucken, wo es denn genau wehtut“ und das Kind dabei beruhigend in den Arm zu nehmen.

1.5 Selbststabilisierung – die Grundlage, um Familien emotional gut begleiten zu können

CORINNA SCHERWATH

In der Eingewöhnungszeit begegnen und berühren sich die lebensgeschichtlichen Hintergründe und emotionalen Welten von drei Parteien: Kinder, Bindungspersonen und Fachkräfte. Obwohl die Fachkraft in dieser Situation die größte Verantwortung für das Gelingen des Eingewöhnungsprozesses trägt, da es ihre Aufgabe ist, allen Beteiligten ein hohes Maß an Sicherheit in unsicherer Lage zu vermitteln, fehlt es den meisten Eingewöhnungsmodellen an einer Klärung dazu, wie es der Fachkraft in diesem hochsensiblen Prozess geht und was sie für sich braucht und nutzen kann, um selbst in stabilem Zustand zu sein.

Eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass Kinder (und Bindungspersonen) den Transitionsmoment der Eingewöhnung gut bewältigen können, um sich kraftvoll und offen dem dahinter wartenden Neuanfang zu widmen, ist die feinfühlige Begleitung durch die Fachkraft.

Feinfühligkeit umfasst die Fähigkeit, das Gegenüber in seinen Ausdrucksformen, Emotionen, Anliegen und Bedürfnissen enträtseln zu können, um diese responsiv (vgl. Remsperger 2011) zu beantworten. Diese Form der Feinfühligkeit als Schlüsselkompetenz pädagogischen Handelns steht uns jedoch nicht immer zur Verfügung. Wie feinfühlig oder „unfeinfühlig“ wir wahrnehmen und reagieren können, hängt stark von unserem grundlegenden Zustand und unserer situativen Verfassung ab. „Wenn wir gestresst sind, fallen die Kanäle für Feinfühligkeit aus. Einfühlsamkeit, angemessene Reaktionen und Krisenfestigkeit sind dann erschwert“ (Scherwath 2021, S. 121).

Stress als Ausdruck einer inneren Überforderungsreaktion kann unterschiedliche Auslöser haben. Neben strukturellen Faktoren – wie personeller Situation, räumlichen Gegebenheiten, Teamatmosphären (siehe Kapitel 5) – spielt die persönliche Resilienz jeder einzelnen Fachkraft eine entscheidende Rolle bei der Frage, was sie als Stress empfindet bzw. inwieweit sie sich in unsicheren und herausfordernden Situationen als belastbar und handlungsfähig erlebt. Auch unsere Fähigkeit zur Resilienz ist Schwankungen unterworfen und abhängig von der jeweiligen Situation, in der wir uns bewegen.

Eingewöhnungssituationen bringen eine hohe Stress-Vulnerabilität mit sich. Es werden beträchtliche emotionale Anforderungen an alle Beteiligten gestellt, da Eingewöhnung einen Raum öffnet, in dem es zunächst um Sicherheitsverlust geht, bevor neue Sicherheit hergestellt ist. Bindungsfragen und Trennungsschmerz stehen im Vordergrund des Erlebens bei Kindern und Bindungspersonen. Aufgabe der Fachkraft ist es, diesen Themen und emotionalen Qualitäten Raum und Geleit zur Verfügung zu stellen sowie währenddessen Halt zu geben. Die Voraussetzung, um Halt geben zu können, besteht wiederum darin, dass die Fachkraft selbst Halt hat bzw. ihn in sich finden kann, wenn eine Eingewöhnungssituation sich für alle Beteiligten anspruchsvoll und schwierig gestaltet.

Dieses Kapitel soll eine Hilfestellung für pädagogische Fachkräfte sein, um nicht nur Kinder und Bindungspersonen gut im Blick zu haben, sondern zunächst sich selbst, um in der Situation angemessen „mit sein“ zu können. Das Partizipatorische Eingewöhnungsmodell geht davon aus, dass ein solches „Mit-sein“ einen wichtigen Faktor für emotionale Sicherheit darstellt (siehe Kapitel 1.2). Im Folgenden geht es darum, wie die Fachkraft zunächst „mit sich sein“ kann, um anschließend gut bei Kindern und Eltern sein zu können.

1.5.1 Selbstregulation und Ko-Regulation

Eine der grundlegenden Funktionen des komplexen Nervensystems des Menschen ist darauf ausgerichtet, für das Gefühl von Sicherheit zu sorgen. Sobald ein Mensch eine Situation als neu und verunsichernd oder gar als bedrohlich empfindet, fährt sein Stresssystem hoch. Der Organismus wechselt unwillkürlich von einem Zustand der Entspannung in einen Zustand der Anspannung, der aus neurobiologischer Sicht der Vorbereitung des Organismus auf eine mögliche Gefahrenabwendung dient.

Wie stark diese unwillkürliche Aktivierung des Nervensystems ausfällt, hängt davon ab, wie „gefährlich“ die Situation vom gesamten System des Organismus eingestuft wird. Diese Gefahreneinschätzung bezieht sich nicht nur auf die tatsächliche Situation, sondern es findet ein unbewusster, innerer Abgleich statt mit alten Erfahrungen, die durch die aktuelle Situation wachgerufen werden. Da es sich bei Eingewöhnungssituationen um solche neuen, verunsichernden Situationen handelt, stoßen Fachkräfte dabei also meist auf kleine und große Menschen, deren Stresssysteme gerade mehr oder weniger stark aktiviert und auf eine Wiederherstellung von Sicherheit ausgerichtet sind. Ob der innere Seismograf der Betroffenen sich von einer gelb-roten Warnstufe in einen grünen Bereich zurückbewegen kann, hängt wesentlich davon ab, ob außen „Signale der Sicherheit“ zu finden sind. Solche Signale können Fachkräfte durch sicherheitsspendende Handlungen aussenden, wie sie in diesem Buch vielfach beschrieben werden. Manchmal scheint es jedoch, als sei der äußere Rahmen perfekt gestaltet und auf den Handlungsebenen alles Wichtige berücksichtigt – und dennoch will sich keine Beruhigung einstellen. Natürlich können die Gründe hierfür vielfältig sein. Ein besonders beachtenswerter Aspekt für spannungsreiche Eingewöhnungen ist der innere Zustand der Fachkraft. Wichtig ist also nicht allein die Frage „Was tut die Fachkraft?“, sondern „Wie geht es der Fachkraft?“. Denn ob wir es wollen oder nicht: Ausgelöst durch unsere Nervensysteme senden wir stets auch unbewusste Signale in den Raum. Verbunden über unsere Spiegelneuronen (vgl. Bauer 2016) sind wir in Kontakt und Beziehung stets auf gegenseitigen Empfang geschaltet und befinden uns dabei in wechselseitiger „Ansteckung“. Wir als Fachkräfte spüren daher nicht nur z. B. Angst, Anspannung, Erschöpfung bei Kindern und Eltern, die wir durch die Eingewöhnung begleiten, sondern auch unsere jeweilige Befindlichkeit hat eine Wirkung in der Situation. Ist in uns Anspannung, Verzweiflung, Angst, Wut, Müdigkeit, Erschöpfung aktiviert, so überträgt sich dies möglicherweise auf unser Gegenüber, das sich daraufhin bei uns nicht sicher fühlt, weil wir selbst uns gerade nicht sicher fühlen.

Die pädagogische Verantwortung während der Eingewöhnungszeit liegt also auch darin, den eigenen Zustand zu reflektieren sowie sich selbst möglichst gut zu stabilisieren und zu regulieren. Der Anspruch an eine innere Stabilität der Fachkraft bedeutet nicht, dass diese stets „gut drauf sein muss“. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass auch Fachkräfte in Eingewöhnungssituationen immer wieder von äußeren oder inneren veränderten, emotionalen Befindlichkeiten erfasst werden. Diese jedoch zu bemerken und sich selbst darin unterstützen und steuern zu können, ist wichtig, um ko-regulierend und Sicherheit spendend wirken zu können.

1.5.2 Stufen der Selbststabilisierung

1.5.2.1 Selbstwahrnehmung

Der erste Schritt auf dem Weg zur Selbststabilisierung ist die Selbstwahrnehmung. Hierfür spielt das Wahrnehmende Beobachten (siehe Kapitel 1.4) eine zentrale Rolle, denn auch hier geht es um das Erfassen von Signalen. Woran merken wir, wenn wir innerlich aus der Balance geraten sind? Welche Anzeichen weisen darauf hin, dass der Stresspegel sich erhöht hat? Um einem „inneren Notfall“ vorzubeugen, bedarf es im Laufe des Tages eines regelmäßigen Selbstchecks, um die Frühwarnstufen rechtzeitig zu bemerken. Wie beim Blick auf das Armaturenbrett beim Autofahren geht es darum, regelmäßig die eigene „Tankanzeige“ zu überwachen, um mitzubekommen, wie es um den Energiehaushalt steht, und ggf. die „Warnleuchte“ des Nervensystems rechtzeitig wahrzunehmen.

Drei Ebenen können uns Auskunft darüber geben, ob „alles im grünen Bereich ist“ oder proaktiv Maßnahmen zur Re-Stabilisierung erforderlich sind:

• Körpersignale: „Um für uns sorgen und schnell reagieren zu können, müssen also wir in erster Linie merken, was da in unserem Körper gerade passiert“ (Hantke & Görges 2019, S. 23). Wie fühlt sich mein Körper an? Gibt es irgendwo Anzeichen für Verspannungen, die gelockert werden möchten? Ist mein Atem flach (Stressanzeichen)? Fühle ich irgendwo Schmerz? Habe ich Hunger oder Durst? Wie fühlen sich Kopf und Bauch an? Schwitze ich vor Aufregung (der Organismus kämpft) oder ist mir vor lauter Anstrengung schon ganz kalt (die „Batterie“ ist leer)? Jeder Mensch hat seine individuellen somatischen Marker, die feinfühlig wahrgenommen und in guter Selbstresonanz beantwortet werden möchten.

• Gedankenströme: Ein weiterer Indikator für unseren aktuellen Zustand sind unsere Gedanken. Bemerken wir, dass unsere Gedanken sehr hochtourig fahren, sich ständig im Kreis drehen, Sorgen und Befürchtungen im Vordergrund stehen, ist dies meist Ausdruck einer Übermobilisation des Nervensystems. Diese Form der Rastlosigkeit zeigt, dass der Organismus gerade auf Gefahr programmiert ist. Mit den rotierenden Gedanken versucht der Organismus, die Ursache für die Beunruhigung des Nervensystems auszumachen. Dadurch verengt sich die Wahrnehmung und fokussiert auf Schwierigkeiten. So beginnt ein psychosomatischer Teufelskreis, in dem sich Körper und Gedanken stetig gegenseitig alarmieren und aus dem sie ohne gezielte eigene Unterbrechung durch entsprechende Maßnahmen (siehe nachfolgende Abschnitte) nicht herausfinden.

• Verhaltensäußerungen: Auch unsere Verhaltensweisen können uns einen Hinweis darauf geben, dass wir „vom Kurs abgekommen“ sind. Unter Stress werden wir oft lauter, hektischer, schneller. Zielgerichtetes Handeln fällt uns schwer. Während wir von A nach B laufen, vergessen wir, was wir eben noch wollten. Wir fangen Dinge an und bringen sie nicht zu Ende. In der Sache sind wir unkonzentrierter, gegenüber anderen werden wir unfreundlicher und abweisender. Fast alles dauert länger und wir machen deutlich mehr Fehler, als wenn wir „gut beieinander“ sind.

Um selbstbemächtigt handeln zu können, sollte jede Fachkraft ihre eigenen „Signalleuchten“ gut kennen, damit sie entsprechende Zeichen schnell einordnen und beachten kann. Die nachfolgenden Abschnitte verstehen sich als Impulse, wie und wo Fachkräfte Ansatzpunkte finden können, um basal und akut für ihre Selbstsicherheit zu sorgen.

1.5.2.2 Selbsterkundung

Biografische Selbstreflexion: