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Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 1,3, Ruhr-Universität Bochum, Sprache: Deutsch, Abstract: Patrick Süskinds polarisierende Geschichte stand nach ihrem Erscheinen 1985 über 316 Wochen an der Spitze der Lesercharts. Das Parfum wurde in 46 Sprachen übersetzt und über 15 Millionen Exemplare wurden bisher verkauft, ein beispielsloser Erfolg seit Remarques Im Westen nichts Neues, der die Kritiker zur Einführung der neuen Kategorie des „Longsellers“ greifen ließ.1 Besonders im Schulkontext der späten 80er und bis zur Jahrtausendwende hinein setzte der Roman seine beachtenswerte Präsenz fort und avancierte zu einer kanonischen Lektüre für den Deutschunterricht. 2006 gelangte das Werk dann wieder in den Fokus der Öffentlichkeit, als der Regisseur Tom Tykwer seine Romanversion auf die Kinoleinwand brachte. Über den qualitativen Gehalt dieser Adaption2 mag und muss man streiten - auch im Deutschunterricht. Das Medium „Buch“ hat mit dem Medium „Film“ einen produktiven und keinesfalls konkurrierenden Partner bekommen, deren gemeinsamen Einsatz im Deutschunterricht ich als sehr fruchtbar erachte. Denn als mittlerweile „vierte literarische Großgattung“3 impliziert der Spielfilm im Textbegriff der Germanistik seit nun mehr zwei Jahrzehnten. Von einem „offenen Austauschverhältnis mit den Printmedien“ wird gesprochen, denn während auch derzeit zahlreiche gedruckt-literarische Vorlagen in Filmen adaptiert werden, wirken sich umgekehrt seit nunmehr 100 Jahren auch Kinofilme und ihre Ästhetik auf die schriftliche Erzählweise aus.4 Eine Behandlung auch der Filmadaption in einem didaktischen Unterrichtsentwurf, in dessen Fokus Süskinds Roman steht, erachte ich daher für unumgänglich. In dieser Arbeit werden in einem ausführlichen literaturwissenschaftlichen Teil zunächst all jene Aspekte aufgezeigt, die in dem nachfolgenden Unterrichtsentwurf thematisiert werden. In dieser Sachanalyse steht eindeutig der didaktische Schwerpunkt im Vordergrund, weshalb davon abgesehen wurde, die gesamte verfügbare wissenschaftliche Sekundärliteratur zum Roman, zur Person des Autors sowie zum Begriff der Postmoderne zu zitieren. Vielmehr wird hier eine sorgsame Auswahl aus dieser getroffen. Überdies werden nur jene Aspekte aufgegriffen, deren thematische Essenz auch im Unterricht Anwendung findet. Nach weiteren Betrachtungen zur Gattungsdiskussion, dem Erzählstil Süskinds und zwei möglichen Interpretationsansätzen folgt im didaktischen Teil dieser Arbeit der Entwurf einer Unterrichtssequenz zum Roman. Dabei sind die einzelnen Stunden vom Einstieg bis zur Abschlussdiskussion nur in Ansätzen ausgearbeitet, während die Doppelstunde zur Filmanalyse detailliert dargestellt wird.
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Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. SACHANALYSE
2.1 AUTOR UND WERK
2.2 INHALT UND STRUKTUR
2.3 DIE ZEIT: POSTMODERNE
2.4 POSTMODERNE STILMITTEL IM ROMAN DAS PARFUM
2.5 FORMEN DES ERZÄHLENS
2.5.1 DIE ERZÄHLPERSPEKTIVE
2.5.2 DER ERZÄHLSTIL
2.5.3 DIE FIGURENGESTALTUNG
2.5.4 DIE BEZIEHUNG VON AUTOR, LESER UND TEXT
2.6 THEMEN & MOTIVE
2.6.1 ILLUSION UND THEATERTECHNIK
2.6.2 DIE TEUFELSTHEMATIK
2.7 DIE FILMADAPTION UND KRITIK
3. DIDAKTIK
3.1 DER ROMAN IM UNTERRICHT
3.2 DIDAKTISCHER ANSATZ: HANDLUNGS- UND PRODUKTIONSORIENTIERTER UNTERRICHT
3.3 GLIEDERUNG
3.4 DETAILPLANUNG DER STUNDEN
3.4.1 STUNDE 1: EINSTIEG IN DIE BESTSELLERTHEMATIK
3.4.2 STUNDE 2: INHALT
3.4.3 STUNDE 3+4: STRUKTUR UND DER ENTWICKLUNGSROMAN
3.4.4 STUNDE 5+6: FIGUREN
3.4.5 STUNDE 7+8: GRENOUILLE ALS MÖRDER UND DER KRIMINALROMAN
3.4.6 STUNDE 9+10: TEUFELSTHEMATIK UND DER MONSTRÖSE ROMAN
3.4.7 STUNDE 11: GATTUNGSDISKUSSION
3.4.8 STUNDE 12: ZEIT (POSTMODERNE)
3.4.9 STUNDE 13+14: SPRACHE UND STIL
3.4.10 STUNDE 15: OLFAKTORIK (INTERDISZIPLINÄR)
3.4.11 STUNDE 16+17: THEATERMETAPHORIK
3.4.12 STUNDE 18+19: FILMADAPTION
3.4.13 STUNDE 20: REZENSION
3.4.14 STUNDE 21: ABSCHLUSSDISKUSSION
3.5 LERNZIELE
3.6 STUNDE 19: VISUELLES ERZÄHLEN
3.6.1 DIDAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN
3.6.2 METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN UND RAHMENBEDINGUNGEN
3.6.3 GLIEDERUNG DER UNTERRICHTSTUNDE
3.6.4 UMSETZUNG DER UNTERRICHTSSTUNDE
4. KRITISCHE STELLUNGNAHME ZUM UNTERRICHTSENTWURF
5. Literaturverzeichnis
Patrick Süskinds polarisierende Geschichte stand nach ihrem Erscheinen 1985 über 316 Wochen an der Spitze der Lesercharts. Das Parfum wurde in 46 Sprachen übersetzt und über 15 Millionen Exemplare wurden bisher verkauft, ein beispielsloser Erfolg seit Remarques Im Westen nichts Neues, der die Kritiker zur Einführung der neuen Kategorie des „Longsellers“ greifen ließ.[1] Besonders im Schulkontext der späten 80er und bis zur Jahrtausendwende hinein setzte der Roman seine beachtenswerte Präsenz fort und avancierte zu einer kanonischen Lektüre für den Deutschunterricht. 2006 gelangte das Werk dann wieder in den Fokus der Öffentlichkeit, als der Regisseur Tom Tykwer seine Romanversion auf die Kinoleinwand brachte. Über den qualitativen Gehalt dieser Adaption[2] mag und muss man streiten - auch im Deutschunterricht.
Das Medium „Buch“ hat mit dem Medium „Film“ einen produktiven und keinesfalls konkurrierenden Partner bekommen, deren gemeinsamen Einsatz im Deutschunterricht ich als sehr fruchtbar erachte. Denn als mittlerweile „vierte literarische Großgattung“[3] impliziert der Spielfilm im Textbegriff der Germanistik seit nun mehr zwei Jahrzehnten. Von einem „offenen Austauschverhältnis mit den Printmedien“ wird gesprochen, denn während auch derzeit zahlreiche gedruckt-literarische Vorlagen in Filmen adaptiert werden, wirken sich umgekehrt seit nunmehr 100 Jahren auch Kinofilme und ihre Ästhetik auf die schriftliche Erzählweise aus.[4] Eine Behandlung auch der Filmadaption in einem didaktischen Unterrichtsentwurf, in dessen Fokus Süskinds Roman steht, erachte ich daher für unumgänglich.
In dieser Arbeit werden in einem ausführlichen literaturwissenschaftlichen Teil zunächst all jene Aspekte aufgezeigt, die in dem nachfolgenden Unterrichtsentwurf thematisiert werden. In dieser Sachanalyse steht eindeutig der didaktische Schwerpunkt im Vordergrund, weshalb davon abgesehen wurde, die gesamte verfügbare wissenschaftliche Sekundärliteratur zum Roman, zur Person des Autors sowie zum Begriff der Postmoderne zu zitieren. Vielmehr wird hier eine sorgsame Auswahl aus dieser getroffen. Überdies werden nur jene Aspekte aufgegriffen, deren thematische Essenz auch im Unterricht Anwendung findet. Nach weiteren Betrachtungen zur Gattungsdiskussion, dem Erzählstil Süskinds und zwei möglichen Interpretationsansätzen folgt im didaktischen Teil dieser Arbeit der Entwurf einer Unterrichtssequenz zum Roman. Dabei sind die einzelnen Stunden vom Einstieg bis zur Abschlussdiskussion nur in Ansätzen ausgearbeitet, während die Doppelstunde zur Filmanalyse detailliert dargestellt wird. Eine kritische Stellungnahme zu didaktischen Konzepten, der Nutzbarkeit des Romans im Deutschunterricht sowie eine Reflexion des eigenen Unterrichtsentwurfs schließen diese Arbeit ab.
Wenig ist über den öffentlichkeitsscheuen Autor bekannt[5], der im Alter von 36 Jahren einen Welterfolg schrieb: Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders. Geboren am 26. März 1949 in Ambach am Starnberger See als zweiter Sohn des Publizisten Wilhelm Emanuel Süskind[6], spielte in Patrick Süskinds Kindheit die musikalische Früherziehung eine große Rolle. Dieser konnte den elterlichen Erwartungen jedoch nicht entsprechen und stattdessen wurde das Klavierspiel sogar zum traumatischen Erlebnis, das Süskind später als Autor weniger Texte literarisch verarbeitete.[7] Nach bayrischer Dorfschule, Gymnasium mit Abitur und Zivildienst[8] studierte er sechs Jahre in München Geschichte, ein Studienjahr verbrachte er in Frankreich. Nach der Magisterarbeit über die sozialen und politischen Interessen des irischen Dramatikers Georg Bernard Shaw verdiente sich Süskind seinen Lebensunterhalt als freischaffender Schriftsteller von kleineren Prosastücken und Drehbüchern, später auch in Zusammenarbeit mit Helmut Dietl.
Süskinds literarischer Erfolg begann mit dem Ein-Mann-Theaterstück Der Kontrabass, das 1981 in München uraufgeführt wurde. Vier Jahre später folgte der Roman Das Parfum[9], 1987 die Erzählung Die Taube und im Jahr 1991 die autobiografisch geprägte Geschichte von Herrn Sommer. Bei den Figuren in diesen vier Werken handelt es sich um Sonderlinge, die sich aufgrund der von ihnen als Bedrohung empfundenen Umwelt in die räumliche oder physiologische Isolation[10] zurückziehen - ein Charakterzug, der ohne weiteres auch dem zurückhaltenden und medienscheuen Autor zugeschrieben werden kann. „Ja so lasst mich doch endlich in Frieden!“, ein Satz aus dem Munde von Süskinds Figur des Herrn Sommers[11], verdeutlich dabei auf eine beinahe schon geistlose Weise des Autors Wunsch nach schriftstellerischer Anonymität. Für Frizen wurzelt diese Zurückhaltung im „tiefen Misstrauen gegenüber der Heiligsprechung des Künstlers in der klassisch-romantischen Tradition“ und der darauf unweigerlich folgenden „Hochstapelei mit der Kunst“[12]. Süskind, als postmoderner Autor, will sich nicht zum Urheber für unterrichtliche Interpretationsversuche machen lassen, nicht zum Künstler mit tieferem Sinn avancieren. Marcel Reich-Ranicki erlaubt ihm in einer der damals zuerst erscheinenden Rezensionen genau diese Haltung mit den Worten: „Der Epiker hat das Recht, die Beantwortung einer derart plumpen Frage zu verweigern“[13]. Darüber hinaus verweigert sich der Autor des Romans DasParfum auch heute weiterhin einer breiten Öffentlichkeit. Sein „Bestseller“[14] bildet jedoch eine periodisch auftretende Lektüre im Deutschunterricht.
Das Parfum erzählt die Biographie und Psychogenese des Mörders Grenouille anhand einer einsträngigen Handlung von dessen Geburt (ab ovo) bis zu seinem Ende und entspricht in der Darstellung der einzelnen Entwicklungsphasen scheinbar dem Aufbau eines Entwicklungs- oder Bildungsromans[15]. Die Struktur dieses Romans, die sich hier in den drei Teilen der Lehr-, Wander- und Meisterjahre[16] veranschaulicht, konstituiert sich durch die einzelnen Stationen, Krisen, psychologischen Veränderungen sowie den sich beständig expandierenden Erfahrungsräumen Grenouilles und dessen künstlerischen Reifeprozess.
Der erste Teil schildert die Lehrjahre des Protagonisten Grenouille, deren harte Wirklichkeit bereits mit seiner Geburt beginnt. Nebenbei und ohne Aufmerksamkeit geboren, muss dieser auf den Abfallhaufen der Gesellschaft geworfene Schlemihl bereits ums nackte Überleben kämpfen. Obwohl noch ein Säugling[17] erstreitet sich Grenouille schreiend seinen Platz in der Welt und rächt sich (nebenbei) noch am so gar nicht mütterlichen Liebesentzug, indem er seine Mutter als potentielle Kindsmörderin an der Galgen bringt. Diese Entsagung an die Liebe und dieses Bekenntnis zur Macht des Hasses bereitet die Bühne für seine nachfolgenden (Un-)Taten. Durch diverse Institutionen wird Grenouille anschließend durchgereicht und es folgt eine Auflistung von gesellschaftlicher Ausgrenzung und mitmenschlicher Verweigerung. Die Amme verweigert ihm die Milch, die Kirche die Zugehörigkeit zur Kinderschar Gottes und das Kinderheim die Möglichkeit auf Nestwärme. Auch die Sozialisation durch Gleichaltrige wird ihm verwehrt. Stattdessen versuchen diese den unheimlichen, weil geruchlosen Grenouille sogar umzubringen. Doch bereits im Heim von Madame Gaillard beginnt für den Protagonisten die Erschließung seines olfaktorischen Erfahrungsraumes und damit seine autodidaktische Bildung.
Von den Erkenntnissen unter Zuhilfenahme eines ersten olfaktorischen Vokabulars durch Erkundung seiner unmittelbaren Umgebung lernend, dann über den Erwerb eines „Alphabets der Gerüche“ (35) durch Streifzüge durch einen später erweiterten Handlungsradius, erschafft sich Grenouille seinen ersten eigenen Kosmos. Zunächst auch gänzlich ohne Lehrer, denn diese halten ihn ohnehin für schwachsinnig (35). Die nachfolgenden beiden Lehren[18], in die Grenouille scheinbar aus Zufalls Willen gerät, haben nur den Zweck des methodischen Erlernens von Techniken, um die „Liebe in Flaschen zu bannen“ (58), das heißt, um einerseits eine gesellschaftliche Integration zu erzwingen und um andererseits durch Schöpfung zu sich selbst zu finden.
Tabelle 1: Grenouilles Lehrjahre
Im Alter von acht Jahren bei dem brutalen Gerber Grimal landend, besteht Grenouilles Erfahrungsraum zu Anfang seiner „Lehre“ nur aus einem kleinen Verschlag, in dem er mehr tier- denn menschengleich haust. Wohlwissend, dass er sich in den Händen eines brutalen Menschen befindet, verpuppt sich der Zeck Grenouille für die vier Jahre dieser „bevorstehenden Eiszeit“ (41), erlernt genügsam das Skalpieren und Häuten, jedoch auch die Grundsätze der Sklaverei: Härte und Ausbeutung. Ohne ästhetisches Prinzip kombiniert er auf dieser Stufe seiner künstlerischen Entwicklung die Düfte und erwächst durch die lebensbedrohliche Krankheit des Milzbrands (42) erneut einer Krise. Obwohl ihn diese Krankheit physiologisch noch mehr entstellt, wird Grenouille in seiner Unverwüstlichkeit und seinem Erfolg gegen den „darwinistischen Kampf ums Dasein“[19] absurderweise kostbarer für seinen tumben Herrn. Er steigt zum „Haustier“ (43) auf und sein Erfahrungsraum dehnt sich auf die Straßen Paris aus, dem „größten Duftrevier der Welt“ (43). Hier erkennt Grenouille zum ersten Mal die Strukturen hinter den Düften und erfährt durch seinen ersten Mord, den man paradoxerweise als einen schöpfenden bezeichnen muss, ein Schlüsselerlebnis: Seine wahre Bestimmung zum „größten Parfumeur aller Zeiten“ (58). Durch diese erste Duftprobe des Ewig-Weiblichen, die das Enzym für den späteren Schöpfungsakt bildet, fühlt sich Grenouille nun endlich (wieder-)geboren.
Im nächsten Bildungsabschnitt kommt er zum Parfümeur Baldini, dessen „künstlerisch impotenter Philisterexistenz“ [20] Süskind ganze fünf Kapitel widmet und in dem sich der klassisch-romantische Gegensatz vom ordnenden Bürger und intuitiven Künstler aufzeigt. Eingeschlossen in Baldinis Werkstatt, einem mit Fläschchen und Tiegeln wirbelnden Spinnentier gleichend, lebt und erlebt Grenouille unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit neue Duftwelten, die seinem Lehrherrn sogar zu einem „Ichliebdich“ (111) bewegen. Drei Jahre dauert dieser Pakt, doch dann, als alle Kunst, alles Handwerk vermittelt scheint und Olfaktorik in Formel gebannt ist, deutet sich die nächste Krise an. Wie ein bockiges Kind erkrankt das werdende Genie Grenouille erneut an einer todbringenden Krankheit. Doch die Verheißung auf neues Wissen lässt den faustschen Geist in Grenouille erneut auferstehen, sein Körper heilt auf wundersame Weise und die Krise löst sich im Hinauswandern in den Frühling, in den Süden, in die „geruchsfreie“ Welt jenseits der Enge der Stadt (147ff.) und letztlich in den mütterlichen Schoß der Natur auf.