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Ein einzigartiges Buch über die Kraft des Neuanfangs Für die meisten Frauen ist der Tod des Ehemanns ein Schock. Er erschüttert ihre Existenz. Daneben wirft er aber auch ganz alltägliche profane Fragen auf: Der alternative Bestatter will den Leichnam zum Abschied noch einmal nach Hause bringen. Aber wo soll er liegen? Im Ehebett?? Was gebe ich ihm mit in den Sarg? Die Reizwäsche, die er so mochte, oder den Auspuff seiner Harley? Auf die Bestattung folgt Leere. Für die anderen geht das Leben weiter, der Alltag der Witwe hingegen verändert sich schlagartig: allein einschlafen, allein wach werden, allein joggen, allein zum Elternabend gehen, als Single auf Paar-Events, einsame Weihnachtstage, an denen der Schmerz aufflammt. Aber es gibt auch neue Freiheiten: laut fluchen, den Hund mit ins Bett nehmen, die Fingernägel grün lackieren, "Bauer sucht Frau" gucken. Manche stürzen sich in Abenteuer, andere suchen klösterliche Einsamkeit. Sie nehmen per Medium Kontakt mit ihm auf und erklären sein Arbeitszimmer zum Museum. Oder danken dem Universum, dass es ihn geholt hat. Sie betreten eine neue Welt. Regine Schneider lässt Frauen aller Altersschichten zu Wort kommen. Sie schreibt erfrischend ehrlich, manchmal komisch, immer ungeniert. Das etwas andere Trostbuch zum Lachen und Weinen. AUTORENPORTRÄT Regine Schneider, 1952 in Bochum geboren, studierte Publizistik und Soziologie an der Ruhruniversität. Sie war lange bei Tageszeitungen und Zeitschriften Redakteurin (WAZ, Brigitte), Ressortleiterin (Woman) und Chefredakteurin (Rubin, Junge Familie). Sie hat zahlreiche erfolgreiche Sachbücher veröffentlicht und lebt seit 25 Jahren in Hamburg.
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Seitenzahl: 248
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Witwengeschichten
Saga
Denn wir sprechen von »dem Tod«, um die Dinge zu vereinfachen, aber es gibt fast ebenso viele von seiner Art, wie es Personen gibt.
Marcel Proust
Doppelt so viele Paare werden in Deutschland vom Tod geschieden wie vom Scheidungsrichter. Im Jahr 2012 zählte das Statistische Bundesamt 179 147 Scheidungen und 349 352 neu Verwitwete. Insgesamt sind in Deutschland knapp sechs Millionen Menschen verwitwet.
Witwen, vor allem junge, kommen in unserer Gesellschaft öffentlich fast gar nicht vor. Es sei denn, sie sind prominent. Die Wahrnehmung endet nach der Beerdigung. Danach verschwinden sie in der Versenkung.
Witwen orten wir bewusst sowieso nur ab dem Alter 50 plus. Wenn es halt Zeit für den Opa ist, zu gehen. Bücher, in denen jüngere Witwen ihre akute Trauerphase schildern, von Verlust und Schmerz erzählen, gibt es. Es sind in der Regel Trostbücher für Frauen, die Gleiches durchgemacht haben. Aber das ist nur eine Phase nach dem Verlust des Partners. Danach geht das Leben weiter, ob man will oder nicht. Und es will gemeistert werden.
Wir haben leider ein verzerrtes Bild davon, wie man als Witwe zu sein hat und wie Witwen wirklich sind. Was nach der Bestattung geschieht, ist nicht von öffentlichem Interesse. Da der Tod immer noch ein Tabuthema ist, hat bisher keiner nach dem ganz normalen alltäglichen Witwen-Wahnsinn gefragt. Der ist nicht nur ziemlich traurig, sondern oft genug auch ziemlich schräg, konfus, herzergreifend, böse, makaber, kurios, skurril, empörend und auf jeden Fall zutiefst menschlich. Wie das Leben.
Deshalb mag die Abbildung der Normalität in diesem Buch für manchen verstörend wirken. Das liegt aber lediglich daran, dass die Witwen-Community gemieden wird. Witwen werden nach der Entsorgung seiner Überreste ziemlich allein gelassen. Und bitte nicht zu lange die anderen mit Trübsinn belästigen.
Die Witwen, die ich interviewt habe, übrigens überwiegend relativ junge Frauen, haben alle unterschiedlich getrauert und unterschiedlich lange getrauert. Wenn die ausschließliche Trauer nur vier Wochen statt zwei Jahre dauerte, sagte das nichts über die Tiefe des Schmerzes aus. Der Schmerz bleibt. Nur jede lernt früher oder später mit ihm zu leben. Den Verlust in ihr eigenes Leben zu integrieren.
Teresa Enke, die Frau des Nationaltorwarts Robert Enke, der sich wegen seiner Depressionen in der Nähe seines Hauses vor einen Zug geworfen hat, konnte nur immer wieder unter Tränen schreien: »Oh, mein Gott, das kann nicht wahr sein, nicht Robert.« Jeder erinnert sich an die berührenden Bilder seiner Trauerfeier. Kürzlich sagte sie in einem Interview mit der Gala: »Ich gehe inzwischen offen auf alle zu. Aber ich sehe dann schon das Entsetzen in den Augen der Menschen, wenn es um meine Geschichte geht. Es kann nicht jeder so damit umgehen wie ich. Ich habe schwarzen Humor, wie mein Mann ihn übrigens auch hatte. Damit erschrecke ich manchmal mehr die anderen als die mich mit ihren Fragen.«
Prinzessin Caroline von Monaco saß beim Friseur, als sie 1990 erfuhr, dass ihr Mann Stefano Casiraghi während der Rennbootweltmeisterschaften vor der Küste Monacos tödlich verunglückt war. Sieben Monate zeigte sie sich danach nicht in der Öffentlichkeit. Wie sie ihre Trauer bewältigt hatte, ist nicht bekannt. Als man sie wieder sah, hatte sie sich gefangen.
Auch die Moderatorin und Buchautorin Bärbel Schäfer erlebte, wie ihr damaliger Freund Kay Degenhard 1998 mit seinem Auto auf der Autobahn ins Schleudern geriet und unter einen Bagger raste. Er war sofort tot. Das Paar war frisch verliebt und gerade vier Monate zusammen. Schäfer, so die Illustrierte Bunte: »Ich wurde von einer Minute zur anderen vom Himmel in die Hölle gestoßen.« Und: »Das, was mein Leben ausgemacht hat, war weg. Ich fürchtete, es würde niemals wiederkommen.« Sie bekam, so heißt es, ihr Leben durch intensive Arbeit wieder in den Griff. Zwei Wochen nach dem Unfall stand sie wieder vor der Kamera. Manche mögen das für herzlos halten, aber es war ihre Bewältigungsstrategie.
Beatrice von Keyserlingk verlor ihren Lebensgefährten, den Focus-Redakteur Christian Liebig, bei einem Reportereinsatz im Irak. Sie sagte gegenüber Bunte: »Als der Anruf kam, arbeitete ich gerade in der Schweiz. Ich hatte schlagartig das Gefühl, als hätte ich einen Eimer Säure getrunken. Ich bin einfach an der Wand zusammengesunken. Drei Tage habe ich durchgeweint und mich danach sofort in Arbeit gestürzt.« Sie hat danach die Christian-Liebig-Stiftung gegründet, mit deren Hilfe sie seine Vision von einer Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika verfolgt. »Mein Ventil zur Trauerbewältigung.«
Andere stürzen sich in Abenteuer, ziehen sich aus dem Verkehr, suchen One-Night-Stands, machen die verrücktesten Sachen. Sie nehmen per Medium oder Pendel Kontakt mit dem Verstorbenen auf, sie verabreden sich in der Nacht mit seiner Seele, sie gehen an sein Grab und beschimpfen ihn oder halten innere Zwiesprache, sie schmeißen alles raus, was an ihn erinnert. Oder sie verkaufen oder verschenken, was sie immer gestört hat, sie erlauben sich Abenteuer, die er nie gutgeheißen hat. Manche ziehen sich auch für eine Weile völlig zurück und wollen niemanden sehen außer ihren Hund oder ihr Pferd. Andere hüten sein Arbeitszimmer im Haus wie ein Museum. Alles ist in Ordnung.
Jede, die in diesem Buch ihre Geschichte erzählt, geht anders mit dem Tod des Ehemannes oder Lebensgefährten um. Manche erzählen sehr trocken, sodass es wie eine Realsatire wirkt. Andere sind sehr tapfer, weil sie die alleinige Verantwortung für sich und ihre Kinder haben. Ältere Witwen sind gefasst und richten sich ihr Leben nun ganz so ein, wie es ihnen gefällt. Andere holen nach, was sie mit Mann nie durchgezogen haben. Egal, ob sie eine Riesenparty feiern oder in Trauer versinken, sich neue Kleidung kaufen, sich die Haare lila färben lassen oder die Wohnungseinrichtung völlig verändern. Die Erinnerung, die sie nur mit diesem einen Mann geteilt haben, bleibt. Sein Tod ist ein Wendepunkt. Irgendwann wird weitergelebt, so oder so.
Und jedem muss zugestanden werden, dass alles sein darf. Und zwar authentisch, egal ob es Wut, Erleichterung, Traurigkeit, Erlösung oder Fröhlichkeit ist. Deshalb habe ich diese alltäglichen Geschichten gesammelt und aufgeschrieben. Würde der Tod selbstverständlich ins Leben integriert, würde er sicher seinen Schrecken verlieren. Alles hat seine Zeit. Das Entscheidende, ist, den Tod des Mannes als Teil des eigenen Lebens anzunehmen.
Um ihre Anonymität zu wahren, sind Namen der Witwen, persönliche Details und Orte verändert, ihre Geschichten nicht.
Paul ist tot! Er wollte zu Hause sterben. Nicht im Krankenhaus und auch nicht im Hospiz. In seinem eigenen Bett. In seiner blau-weiß gestreiften Seemannsbettwäsche mit den kleinen Ankern. Seine Lieblingsbettwäsche. Hatten wir von unserer letzten Kreuzfahrt mit der Queen Mary mitgebracht. Sein letzter Wunsch.
Der Bauchspeicheldrüsenkrebs – da war nichts mehr zu machen. Die Diagnose traf uns unerwartet. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Paul wurde nach zwei OPs und drei Chemos innerhalb von zwei Jahren, die ihn nicht mehr retten konnten, palliativ optimal eingestellt, hatte keine Schmerzen. Er wurde nur schwächer und schwächer, er war sehr gefasst, ist friedlich eingeschlafen. An einem sonnigen Morgen. Die ganze Nacht hatte ich an seinem Bett gesessen, seine trockenen Lippen mit einer Honigsalbe betupft, seine Hand gehalten. Als seine Atemzüge in Schnappatmung übergingen und gegen Morgen schließlich aussetzten, wusste ich, dass es endgültig vorbei war. Ich öffnete das Fenster, um seine Seele herauszulassen, und hörte die Vögel singen. Ich sagte noch: »Paul, es war schön mit dir. Meistens jedenfalls. Gute Reise!« Dann musste ich heulen und konnte erstmal nicht wieder aufhören. Ende! Ende einer schweren Zeit. Ende einer schönen Zeit. Ende einer ambivalenten Zeit. Unweigerlich vorbei.
Ich hätte zum Beispiel auch noch sagen können: »Du warst rechthaberisch und dominant.« Aber das verkniff ich mir. Über die Toten nichts Schlechtes. Deswegen wird wohl nirgends so viel gelogen wie an Gräbern.
Paul ging nicht plötzlich, und auch nicht unerwartet. Vor seinem Tod hatte er noch alles geregelt. Berliner Testament, seine guten Signum-Hemden hatte er seit 25 Jahren nie ausrangiert, die sollte sein Freund Otto bekommen. Seine Lederhose vermachte er seinem Bruder. Eine Uhr aus seiner Uhrensammlung seiner Schwester. Er wollte eingeäschert und anschließend auf der Ostsee seebestattet werden.
Paul hatte sich sogar seinen Sarg und seine Urne selbst ausgesucht. Wir hatten uns auch zwei Krematorien gemeinsam angeschaut. Eins gefiel ihm besonders. Es war nicht nur modern eingerichtet. In der Broschüre lasen wir: »Im Vordergrund bei der Gestaltung der Trauerfeier stehen die individuelle Persönlichkeit des Verstorbenen, wie er gelebt hat und seine letzten Wünsche. Beim feierlichen Abschied können Angehörige den Verstorbenen noch einmal vor ihrem inneren Auge auferstehen lassen.« Das gefiel ihm. Auch, dass wir uns vor der Einäscherung am offenen Sarg von ihm verabschieden konnten. Das wollte er unbedingt. Neben seiner Urne sollte das Foto, Paul in Lederkluft auf seiner Harley, aufgestellt werden. Wenn er so aussah, nannte ich ihn immer meinen Cowboy.
Beim Googeln nach schönen Zitaten für eine Anzeige sprang mich zuerst eine Werbung für Vivante-Naturschuhe an. Verärgert drückte ich sie weg. Schon landete ich auf Youtube bei Star Trek: »He’s dead, Jim. He’s dead, Jim. He’s dead!« Das trieb mir wieder die Tränen in die Augen. Dann fand ich polnische Sprichwörter: »Das Ende krönt das Werk.« Auch ungeeignet. Beim nächsten Klick sprang mir eine um neun Kilo erleichterte Bärbel Schäfer ins Bild, die Werbung für Weight Watchers machte. Langsam wurde ich sauer. Was für eine Zumutung. Das nächste Zitat, das ich fand, war ein Graffiti: »Sterben ist männlich«. Schließlich wurde ich fündig und wählte ein Zitat von Marcus Aurelius: »Der Tod lächelt uns alle an, das Einzige, was man machen kann, ist zurücklächeln!« Mir war nicht nach Lächeln. Aber es passte irgendwie dazu, wie Paul gegangen war. Es war annehmbar.
Später saßen wir dann alle in der kleinen Kapelle im Krematorium. Blumen, Kerzen, Räucherstäbchen. Dämmerlicht. Wandfarbe türkis mit Goldrand. Über uns dunkelblauer Sternenhimmel. Bevor der Sarg auf einer Schiene in den Ofen gefahren wurde, hatten wir Paul noch einmal angeschaut. Wachsbleich. Seine Gesichtszüge waren sehr verändert. Es berührte mich merkwürdig, sein Gesicht so entlebt zu sehen. Sein Körper wie aus dem Wachsfigurenkabinett. Ich streichelte zum letzten Mal unter Tränen seine eiskalte Hand. Das gab mir Gewissheit: Er war nicht mehr unter uns. Das war nur seine Hülle.
Zum Abschied hatte Paul sich »He’s gone« von Grateful Dead gewünscht. Und von den Stones »Satisfaction«. Fand ich unpassend. Aber er wollte sich im Tod noch einmal ganz persönlich ausdrücken. Stimmungsvoll, authentisch und ergreifend, wie im Prospekt versprochen. Bei der Musik musste ich wieder weinen.
Seine Urne thronte dunkelblau und bauchig auf dem Altar. »Die sieht aus wie Paul«, flüsterte seine Schwester schniefend, »eine kleine dicke Kugel.« Das fand ich in diesem Moment gehässig, obwohl es stimmte. »Sei nicht so pietätlos«, zischte ich und dachte schuldbewusst: »Er war ein 1,68 Meter großes meist wonniges rundes Kerlchen.« Bei dem Bild musste ich grinsen. Doch dann übermannte mich wieder der Schmerz. »Nothin’s gonna bring him back«, sangen Grateful Dead.
Paul hatte gesagt: »Leute, haltet die Tränen zurück, wenn ich gehe. Organisiert die Seebestattung und denkt auf dem Schiff daran, das ist eure Party. Betrinkt euch, lasst euch die Schnittchen schmecken und denkt an mich. Das fände ich gut.« Wir hatten Prosecco dabei, den, den Paul am liebsten getrunken hatte.
Als wir auf dem Schiff waren, wollte meine Tochter bunte Luftballons in den Himmel steigen lassen. »Papa ist doch kein kleines Kind mehr«, protestierte ich. Ich erlaubte ihr einen mit einem Briefchen: »Hab Dich lieb, Papa.« Den ließ der Seewind in die Höhe trudeln. Die Tränen liefen, zig Tempotücher kamen zum Einsatz, als die See-Urne aus löslichem Salzkristall, in die seine Asche umgefüllt worden war, ins Wasser gelassen wurde. Außerhalb der Dreimeilenzone über rauem Grund, also da, wo nicht gefischt wird, wurde Paul nach Seemannsart dem Meer übergeben und der Kapitän in Marineuniform fand noch ein paar tröstliche Worte. Danach trank ich die letzte halbe Flasche Prosecco allein aus. Pauls Überreste waren per Paketdienst an die Reederei geschickt worden. Das sei wohl so üblich, wurde mir gesagt. Ich war nach der halben Flasche in der richtigen Stimmung, mir Paul als Paket im United Parcel Service vorzustellen. Makaber.
Es gibt kein Grab, das wir besuchen können. Ich bin jetzt Witwe und Paul lebt weiter in meiner Erinnerung. Manchmal kommen die guten Erinnerungen. Bisweilen auch die, die nicht so schön sind. Was geblieben ist, ist Ambivalenz. Trauer, Schmerz, aber auch Erleichterung und ein ganz neues Gefühl von Freiheit. Nicht sofort, aber doch bald. Vieles musste ich lernen. Allein einschlafen, allein wach werden, allein frühstücken, allein joggen, allein mit dem Hund gehen, Finanzen regeln und Nachlass ordnen. Vieles kann ich jetzt tun, was ich mit Rücksicht auf Paul nie getan habe: Laut fluchen, den Hund mit ins Ehebett nehmen, im Fernsehsessel mit Keksen herumkrümeln, das Badezimmer knallrot streichen, meine Fingernägel grün lackieren, »Bauer sucht Frau« gucken, endlich zum Dalai Lama fahren ... Natürlich gibt es auch viele Dinge, die ohne Paul keinen Spaß mehr machen. Wochenenden in unserem selbst renovierten Bauernhaus verbringen. Fahrradtouren durchs schöne flache Münsterland machen, wo wir beide herkommen und wo wir uns von unserer Kindheit erzählen. Im Regen spazieren gehen. Und so fühlt sich Witwe werden am Anfang an wie Disneyland. Eine ganz verrückte Welt. Auf und ab. Unwirklich, künstlich, blöd und komisch. Irre traurig und verzweifelt. Gewöhnungsbedürftig und fremd. Aber man verlässt diese Welt auch irgendwann wieder. Es geht weiter. Bloß ganz anders.
▸ Bestattungskultur im Wandel
Die Friedhofskultur ist im Wandel begriffen. Der Friedhof ist kein christlich umflorter Gottesacker mehr. Er ähnelt eher einem Park, einem Naturpark mit Toten, der nun der Pluralisierung der Gesellschaft Rechnung trägt. Es gibt einen Bereich für totgeborene Kinder, eine Rasenfläche für anonyme Beisetzungen, einen urwaldartigen Ruheforst mit Urnengräbern um Stieleichen, Rotbuchen und Waldkiefern. Es gibt das erste Gemeinschaftsgrabfeld von Aids-Toten genauso wie den von einem privaten Verein betriebenen »Garten der Frauen« im Geiste der Frauenbewegung, in dem prominente und nicht prominente Damen ruhen. Während Einzel- wie Familiengräber an Bedeutung verlieren und klassische Begräbnisse den immer beliebter werdenden Feuerbestattungen weichen - 54,7 Prozent der Verstorbenen werden heute bereits eingeäschert -, entstehen Begräbnisanlagen sozialer Gemeinschaften, der sich der Tote zu Lebzeiten zugehörig fühlte. Das können beispielsweise Grabanlagen von HSV- oder Schalke-04-Anhängern sein, von Kirchengemeindemitgliedern und Kegelvereinen. Die Begräbniskultur ist Ausdruck sich verändernder Lebensstile. Familien sind zersplittert, Angehörige leben oft weit voneinander entfernt, Lebensformen sind heute ganz unterschiedlich, Singlehaushalte Normalität. Trauer und Gedenken wandern wie bei Lady Diana oder Robert Enke in den öffentlichen Raum, wo sich Emotionen kollektiv entladen. Oder sie werden festgehalten in der immateriellen Ewigkeit des WWW-Gedächtnisses, wo man den Verstorbenen per »Digital-Memorial« auf virtuellen Friedhöfen kommerzieller Portale »Internet-Gedenkstätten« errichtet. Kreuze für Unfalltote an Straßen werden Mahnmale und Erinnerungsorte, wo jeder Blumen oder Stofftiere deponieren kann. Die Kirche hat ihren Alleinvertretungsanspruch auf Tod und Trauer längst eingebüßt.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich noch im Tode individuell auszudrücken und in einer bestimmten Form in Erinnerung zu bleiben:
Weltraumbestattung
Ballonbestattung
Asche an individuellen Orten verstreuen
Erinnerungsporzellan
Waldbestattung
Urne im Grab bestatten
Urne aufstellen
Kolumbarium
Feuerwerk aus Asche der Verstorbenen
Asche als Nährstoff für einen Baum
Bleistifte aus der Asche der Verstorbenen
Ascheabfüllung in ein Amulett
Anonyme Bestattung
Asche als Baumaterial für ein Korallenriff
Asche in ein Memorial Piece einarbeiten
Mit dem Wandel der Bestattungskultur in den vergangenen Jahren sind in Deutschland viele neue Anlagen zur Feuerbestattung erbaut sowie staatliche Krematorien privatisiert worden. Moderne Krematorien sind Häuser der offenen Tür und alles, was dort geschieht, von der Anlieferung über das Einfahren in den Ofen bis hin zur Asche in der Urne, ist transparent. Man kann seine Bestattung vor dem Tod selber planen und alle offenen Fragen klären. Moderne Krematorien sind hell und freundlich eingerichtet. Es besteht die Möglichkeit, vor der Einäscherung eine Trauerfeier in Krematoriumsräumen in sehr individuellem Rahmen auszurichten. Besonders geschulte einfühlsame Mitarbeiter klären auch über Mythen oder Befürchtungen auf und versichern einem zum Beispiel, dass nur ein Sarg pro Ofen eingeäschert wird und die richtige Asche in die Urne kommt.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und manche Bestattung bekommt durch Musik, humorvolle Reden, Gesang und Tanz Festivalcharakter, ganz wie es der Persönlichkeit des Verstorbenen entspricht.
Gegen zwei Uhr morgens kam der Anruf aus dem Krankenhaus: »Aus unerklärlichen Gründen ist soeben Ihr Mann verstorben.« Ich war schockiert. Damit hatte keiner gerechnet. »Ich komme sofort.« In erster Panik versuchte ich noch, meine beste Freundin anzurufen, vergeblich um diese Uhrzeit. Ich zog mich an, lief zum Auto, fuhr los. Wie fremdgesteuert. Durcheinander. Wieso war er plötzlich tot? Im Krankenhaus angekommen fand ich keinen Parkplatz, weil überall Baustelle war. Ich parkte einfach schnell in einer Lücke zwischen einem Bauwagen und einer Absperrung und suchte dann im Dunkeln den Eingang. Alles war etwas unübersichtlich. Ich nahm den Aufzug direkt hinauf zu seiner Station. Zimmer 356, dritter Stock. Der Flur war menschenleer. Dafür standen ein paar Bahren und ein fahrbares Tropfgerät herum. Links ging es zur Isolierstation. Rechts zur Chirurgie. Ich desinfizierte meine Hände. Eigentlich Quatsch, denn infizieren konnte ich ihn ja nicht mehr. Aus einem der Krankenzimmer hörte ich ein leises, verwirrtes Rufen: »Schwester!« Die alten Menschen finden oft nicht die richtige Klingel. Oder sie wissen häufig nicht, wo sie sind. Leises Huschen auf leisen Gesundheitsschlappen über den Flur.
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