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Ein Jet-Set-Leben zwischen Luxus und Skandalen Als Journalistin mit dem Spezialgebiet ›Prominenteninterviews‹ blickt Gundi Gerlach in die Schlafzimmer der Großen und Berühmten. Als ›Lady Schimmerlos‹ jettet sie wie in ›Kir Royal‹ von ihrer Redaktion in München zu den Luxusherbergen der Promis in Hamburg, Paris, Monaco und am Wörthersee. Ihren Märchenprinzen hat sie auch. Zwar ist Gerd noch verheiratet, aber Gundi hat bisher alles und alle geschafft – doch da verwandelt sich der Prinz zum Frosch ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 386
Regine Schneider
Wenn die Liebe hinfällt
Roman
FISCHER E-Books
Die Figuren in diesem Roman sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Für meine Schwester Karin und meine Freundinnen Annegret, Gitte, Sat Hari Kaur, Cornelia, Regina, Britta, Margit, Kirsten, Eva, Jutta, Birgit und Christel:
Männer sind wie Zwiebeln. Man pellt Schale für Schale, und was übrigbleibt ist zum Heulen.
Boris hat gerade sein viertes Wimbledonturnier gewonnen, verläßt in strahlendem Sonnenschein und mit Siegerlächeln den Platz. Am Rande steht Babs und strahlt auch. Hinter Babs steht noch eine Frau. Wunderschön, groß, schlank, lange blonde Haare. In einem hautengen Kleid. Wie Nadja Auermann. Boris geht auf die beiden zu. Babs streckt ihm lächelnd die Arme entgegen. Er drückt sie fest an sich, und sie vergräbt ihren Kopf in seiner linken Armbeuge. Da greift Boris plötzlich mit der rechten nach der Blondine. Läßt seine Hand sanft über ihren Rücken an ihrem Körper heruntergleiten, haucht einen Kuß in ihre Richtung. Sie blickt ihn verlangend an. Babs bemerkt es nicht. Nur ich habe alles gesehen. Ich schreie »Verräter!« Mir wird schlecht.
In dem Moment werde ich wach. Was war mit Boris los? Doch die Boeing 707 ist auf ihrem Weg nach Hamburg nur in Turbulenzen geraten und sackt ab. Alles ein Traum.
Boris und Babs, mein Traumpaar auf Abwegen, nicht auszudenken. Ich atme erleichtert auf. Da sagt gerade eine dicke Mittvierzigerin mit Paloma-Picasso-roten Lippen auf dem Sitz neben mir zu ihrer genauso dicken Claudia-Schiffer-pink aufgetakelten Nachbarin: »Am besten sollte man heute gar nicht mehr heiraten. Frauen-WG, das ist das Wahre. Und einen Mann nur ab und zu zum Vernaschen. Wenn überhaupt. Ich jedenfalls würde nie im Leben wieder mit einem Kerl unter ein Dach ziehen.«
Manche Menschen entwickeln sich einfach nicht weiter. Überholtes Feministinnengewäsch. Da hatte ich aber neuere Erkenntnisse. Ich glaubte wieder, daß man es schaffen kann, eine glückliche, dauerhafte Beziehung zu leben. Siehe Boris und Babs. Klar, jede Frau hat niederschmetternde Erfahrungen mit Männern gemacht. Die bleiben nicht aus. Aber lag nicht auch ein Teil der Schuld bei mir? Nachdem Til vor zwei Jahren ausgezogen war, hatte ich keine Mühen gescheut und in schmerzhaften Therapiesitzungen und Psychoworkshops meine eigenen Macken aufgearbeitet. Ich hatte gelernt, Verantwortung für mich zu übernehmen. Ich war nicht mehr so blöd, auf den Märchenprinzen zu warten. Das hatte ich endlich kapiert. Ich sorgte jetzt dafür, daß ich ein erwachsener Mensch wurde. Von wegen Frauen-WG. Mein neuer Leitspruch war: Aufrichtige Liebe entsteht nicht aus Besitzanspruch, sondern aus Freiraum und Distanz. Babs machte das mit Boris genau richtig.
In einem Interview darüber, warum seine Ehe mit seiner Frau jetzt besser klappt als seine Beziehungen vorher, sagte Boris: »Babs hat mein Leben umgekrempelt. Sie ist eine optimistische Frau. Sie fordert nichts und ist schlicht und ergreifend glücklich … und das ist irgendwie ansteckend.« Babs war reif genug, für Boris einfach nur da zu sein, wenn er sie brauchte. Boris würde bei so einer Frau niemals fremdgehen. Die hatte ihn ihm Griff, weil sie ihn loslassen konnte. Gerade erst hatte er in einem Interview auf die Frage nach Fremdgehen gemeint: »Warum sollte ich Frikadellen essen, wenn ich zu Hause Filet habe?«
Nachdem ich ein ganzes Jahr ohne Mann ein trostloses Leben voller Ersatzbefriedigungen, sozusagen ein Leben mit dem Massagestab geführt hatte, hatte ich das Gefühl, jetzt bist du auch soweit. Meine neue Beziehung war ich aus innerer Freiheit eingegangen. Mein Bärchen, wie ich meinen Freund zärtlich nannte, teilte meinen Leitspruch. Auch er war für Freiraum, getragen von gegenseitigem Respekt. Ich vertraute ihm voll, war froh, daß ich meine Lektion gelernt hatte. Diese resignative langweilige Männerhasserschiene war sowieso völlig out. Jawohl, und ich wollte es der Dicken neben mir mit den offensichtlich völlig am modernen Leben vorbeigehenden Erwartungshaltungen eben sagen, da sackte das Flugzeug schon wieder ab, und mir wurde richtig schlecht. Als ich zur Spucktüte greifen mußte, unterbrachen die beiden ihr blödsinniges vorgestriges Gespräch und starrten mich interessiert angeekelt an. Ich mußte aber nur ein bißchen würgen. Ich hatte von der Frauenzeitschrift, der Marina, wo ich als Redakteurin beschäftigt war, den Auftrag bekommen, eine Geschichte über den Fernsehstar Rudolph-Karl Petri zu machen. Zu seinem 65. Geburtstag.
Und so saß ich nun in dieser 10-Uhr-Lufthansamaschine München–Hamburg, Platz 3 A, Fenster, mein Lieblingsplatz, und kämpfte mit meinem Mageninhalt und dem Drang, den Fetten die Meinung über moderne aufgeklärte Beziehungen zu sagen. In zwei Stunden würde ich im Hotel Vier Jahreszeiten sitzen.
Insgeheim hoffte ich, Boris und Babs dort über den Weg zu laufen. Es war nämlich gerade Tennisturnier am Rothenbaum. Boris war zwar schon in der ersten Runde ausgeschieden wegen einer Bänderdehnung, aber vielleicht war er ja noch da. Eigentlich war ich weniger scharf auf ihn. Ich wollte für mein Leben gerne Babs begegnen und dem kleinen Noah-Gabriel. Diesem süßen Fratz. Babs gab ja leider fast keine Interviews. Sonst hätte ich sie schonmal für unsere Frauenzeitschrift vorgeschlagen. Sie hätte gut in unser Konzept von der modernen emanzipierten Frau gepaßt. Trendmäßig waren wir von der Marina nämlich führend auf dem Markt. Und Babs verkörperte den neuen Trend bei uns Frauen. In der Mode, die sie trug und auch in ihrer inneren Haltung. Aber jetzt mußte ich mich erstmal auf den bedeutenden Rudolph-Karl Petri konzentrieren.
Dieser war als engagierter Frauenarzt Dr. Fritz Friedmann in der Großstadtpraxis berühmt geworden. Ein gutaussehender vertrauenerweckender Mann mit grauen Schläfen, dem man sein Alter überhaupt nicht ansah. Sein Doktorkittel verlieh ihm den richtigen Touch von Halbgott in weiß.
Deshalb war er der Schwarm vieler Frauen, bekam Hunderte von Liebesbriefen täglich und beschäftigte zwei Fanclubs mit ihrer Beantwortung. Rudolph-Karl Petri war gerade durch sämtliche Klatschspalten gegangen, weil er nach 35 Jahren Ehe seine gleichaltrige Frau mit einer 40 Jahre jüngeren getauscht hatte. Seine Neue, hatte ich in der Regenbogenpresse gelesen, war Stupsi, »die zierliche Blondine mit den großen braunen Rehaugen. Ihr gewagter Minirock bringt ihre langen schlanken Beine vorteilhaft zur Geltung.« Und dann stand da noch: »Nie weicht sie auch nur einen Schritt von der Seite ihres Traummannes.«
Ich hatte mich gut vorbereitet auf Rudolph-Karl Petri, den deutschen Fernsehstar. Und was mich natürlich am meisten interessierte, war, wie kriegen die zwei ihre Beziehung hin? Ich war mir bei denen nicht sicher, ob auch sie eine aufgeklärte Liebesbeziehung eingegangen waren oder ob sie wieder dieser idealisierenden romantischen Liebe aufgesessen waren. War Stupsi auch optimistisch und glücklich? Oder mußte Rudolf-Karl ihr den Märchenprinz machen? War auch sie eine Frau, die ihre eigene Persönlichkeit in die Beziehung einbringen konnte? Hoffentlich würde ich das Thema anschneiden können. Rudolf-Karl hatte nämlich ausrichten lassen, keine privaten Fragen, keine intimen Details. Er und seine neue Lebensgefährtin lebten am Starnberger See in einer 15-Zimmer-Villa. Dort hätte ich die beiden natürlich liebend gerne besucht. Aber die Managerin von Petri hatte mir gesagt, die zwei machten keine Homestories mehr. Sie wollten in Zukunft ihre Intimsphäre schützen. Zuviel sei über sie erfunden und gelogen worden. Auch mein Einwand, schließlich seien wir nicht irgendwer, sondern die seriöse bedeutende Marina, hatte nicht gezogen. Seit Rudolph-Karl diese rehäugige Stupsi hatte, eine Ex-Fotografin, die ihn sich bei einer Bild-Reportage über den Wiener Opernball geangelt hatte, war er pressemäßig ziemlich kritisch drauf. Wohl ihr Einfluß. Wir mußten uns also im Hotel sehen. Man konnte ihn auch nicht mehr allein treffen, seit er Stupsi hatte. Die Journalisten-Szene machte sich schon drüber lustig, daß es kein Interview mehr mit Rudolph-Karl Petri gab, ohne daß Stupsi dabei saß und alles kontrollierte. Ich vermutete mal, daß sie Angst hatte, es könnte ihr eine den Rudolph-Karl wieder abspenstig machen.
Er und seine Lebensgefährtin stiegen natürlich nur in den besten Hotels der Welt ab. First class. Und so verabredeten wir uns im Hotel Vier Jahreszeiten an Hamburgs wunderschöner Binnenalster. Ihr Stammhotel. Eine Nobelherberge. Ich hoffte, daß mich Rudolph-Karl und seine Stupsi wenigstens in ihrer Suite empfangen würden und nicht im Hotelfoyer. Diese Film- und Fernsehgrößen sind unberechenbar. Man weiß nie, wie sie gerade drauf sind. Brauchen sie Publicity für irgendeinen neuen Film oder sind sie gerade nicht so gefragt, darf man sie in ihren Luxusvillen und Penthäusern besuchen und wird noch zum Essen eingeladen. Man darf in ihren Luxusautos mitfahren, mit ihren Rennbooten über den See düsen, sie zum Golfen begleiten oder ihre Rassepferde streicheln. Und auch ihre Frauen und Kinder fotografieren. Dann tun sie fast alles, um ins Gespräch zu kommen.
Sind sie aber sowieso in aller Munde, muß man ewig auf einen Termin warten, bekommt eine einzige Stunde in einem unpersönlichen Hotelzimmer oder gar Foyer zugeteilt und vorgeschrieben, welche Fragen man stellen darf. Dann wollen sie plötzlich ihre Privatsphäre aus der Öffentlichkeit heraushalten. Manchmal wollten sie dafür auch noch Geld. 2000 Mark für zwei Stunden oder so. Und wenn man Pech hat, wollen sie den Text gegenlesen, bevor er erscheint.
Rudolph-Karl Petri war sich seines Ruhmes sehr bewußt. Er hatte mir über seine Managerin ausrichten lassen, er habe keine Publicity nötig, sei aber dennoch bereit für ein Interview. Er wollte zwar kein Geld abzocken, aber er hatte das Thema vorgegeben. Wir sollten uns über seine neugegründete Stiftung für Hüftgelenksoperierte unterhalten, das sei ein vielfältiges und sehr interessantes Thema. Er mache das Interview unter der Bedingung, daß wir das Spendenkonto an gut sichtbarer Stelle fett druckten. Und natürlich wollte er den Text vorher lesen …
Meine Chefredakteurin, Gerda Dobermann, war ziemlich sauer darüber gewesen und wollte erst absagen. Schließlich haben wir es als bedeutende Frauenzeitschrift nicht nötig, auf so einen Deal einzugehen. Wir vertraten den Standpunkt, bei uns gedruckt zu werden, ist für jeden Promi eine Ehre. Aber Rudolph-Karl sah das wohl anders. Wenigstens versprach er uns die Story über seine Hüftgelenksoperierten exclusiv. Nur wir würden ihn als einziges deutsches Frauenmagazin brandaktuell zu seinem neuen Engagement befragen dürfen. Das paßte wenigstens zu seiner Arztrolle im Fernsehen. Ich schritt über den dunkelroten Teppich in dem ›ehrwürdigen Hotel‹, wie wir immer schreiben, wenn wir Stars in Nobelhotels treffen. Ich ging direkt zum Concierge. Der telefonierte nach oben, daß ich da sei und richtete mir aus, das Paar kleide sich gerade an und käme dann herunter. Mist, ich wollte doch hoch. Aber dann dachte ich, wer weiß, was die beiden gerade getrieben haben und wie die Suite nun aussieht. Vielleicht hatten sie den Nachmittag lustvoll und wild im Bett verbracht und jetzt herrschte da ein entsprechendes Tohuwabohu. Konnte ich auch wieder verstehen, daß man einer unbekannten Journalistin nicht gleich Einblicke in diese intimen Details gewährt. Hätte ich doch sofort registriert. Schließlich konnten die beiden nicht wissen, daß ich so etwas mit Rücksicht auf die zu schützende Intimsphäre nicht veröffentlichen würde. In unserer Branche gab es leider genug, die sofort getitelt hätten Stupsi und Rudolph-Karl – heiße Sexspiele in der Hotelsuite oder so. Und dann wurde oft noch etwas hinzuerfunden wie Nachbarn fühlten sich durch laute Schreie belästigt. Das war schon ärgerlich und machte uns anständigen Journalisten oft das Leben schwer. Weil wir alle in einen Topf geworfen wurden.
Ich ließ mich also im Foyer in einen der tiefen weichen Sessel fallen und ging noch einmal meine Fragen durch. Natürlich würde ich doch versuchen, ein bißchen Privatleben auszuquetschen. Weil es mich persönlich brennend interessierte. Schließlich kriegten die zwei ihr privates Glück offensichtlich hin. War doch bereits von Hochzeit die Rede. Und da hätte ich schon gern Anteil genommen.
Dazu mußte ich natürlich erstmal eine angenehme vertrauenerweckende Atmosphäre schaffen. Das macht man so, daß man den Star zu einem Gourmetmenü einlädt und sich anfangs über Dinge unterhält, die ihn brennend interessieren. Dazu gibts natürlich Alkohol, und wenn man sich lange genug angehört hat, was die Promis freiwillig absondern, werden sie zutraulich. Meistens jedenfalls. Man muß ihnen das Gefühl geben, endlich sitzt ihnen mal eine einfühlsame, seriöse Journalistin gegenüber, die wirkliches Interesse am Menschen in ihnen hat und nicht nur am Star und seiner Popularität. Die nicht gleich alles weitertratscht, was sie ihr anvertrauen. Manche werden dann richtig redselig. Ich konnte in der Regel ganz gut Promis knacken. Ich bin eine vertrauenswürdige Person, nicht so eine Brutalabfragerin wie manche aus meiner Branche, und ich frage auch nicht plump direkt und konfrontativ, sondern eher hintenherum. So, daß es für den Befragten aussieht, als sei er von selbst auf das Thema gekommen. Manche Dinge behalte ich sogar wirklich für mich.
Beispielsweise, als mir Irene Mußmann, eine alternde Burgschauspielerin aus Wien anvertraute, sie habe vor einem halben Jahr entdeckt, daß sie lesbisch sei und nun lebe sie das mit ihrer Freundin voll aus. Aber top secret! Ich habe sie in meinem Porträt nicht geoutet, und sie ist mir so dankbar, daß sie mich manchmal anruft und mir Tips gibt. Auch das ist nämlich wichtig. Man darf sich seine Informanten nicht vergrätzen.
Ich ließ das wunderschöne Hotel auf mich wirken. Die Großzügigkeit der Räume, die herrlichen Gobelins an den Wänden. Alles hatte Stil. Die braune Holztäfelung, die dunkelroten schweren Teppiche, die rot mit gold durchwirkten Sessel. Dicke Ölschinken an den Wänden und diskrete Beleuchtung. Kronleuchter hingen von den Stuckdecken herab. Alles sehr edel und teuer. Mir gefiel’s.
Irgendwann wollte ich in diesem Hotel eine Nacht verbringen. Und zwar in einer Suite. Vielleicht in der von Boris und Babs. Aber eine Suite gab es nicht unter 990,– Mark die Nacht. Und es ging hoch bis 1600,– Mark. Boris und Babs hatten bestimmt nicht die billigste. Deshalb mußte ich noch ein bißchen warten. Denn, obwohl ich bei der bedeutenden Marina arbeitete, so klotzig fiel mein Gehalt natürlich nicht aus. Ein stinknormales kleines Einzelzimmer hätte ich schon für 355,– Mark die Nacht mieten können, aber ich wollte partout eine Suite!
Endlich, nachdem ich zwei Stunden im schönen Vier-Jahreszeiten-Foyer meinen Gedanken nachgehangen hatte, waren Rudolph-Karl und seine ›entzückende Stupsi‹ angekleidet. Sie traten aus der Fahrstuhltür, und ich war entsetzt. Rudolph-Karl war ja viel kleiner als im Fernsehen! Und viel faltiger! Tränensäcke unter den Augen, eine fahle altersfleckige Haut. Außerdem hatte er einen leichten Tatterich und ging schief. Auch seine Zähne waren nicht so blütenweiß wie auf dem Bildschirm. Eher gelb und zu den Rändern hin braun. Seine strahlenden Augen wirkten ziemlich trüb. Und wieder einmal bekam ich Hochachtung davor, was Technik und Maskenbildner leisten. Das sollte der Frauenliebling Dr. Fritz Friedmann aus der Großstadtpraxis sein?
Natürlich versuchte ich, mir überhaupt nichts anmerken zu lassen. Mit dem strahlendsten Lächeln, das ich in dem Moment hinkriegte, ging ich auf die beiden zu und sagte: »Ich freue mich sehr, sie endlich einmal persönlich kennenzulernen. Sie sehen noch besser aus als im Fernsehen!«
Rudolph-Karl Petri strahlte zurück: »Ja, das macht meine Frischzellentherapie.« Und zu Stupsi gewandt: »Siehst du, Kleines, wieder einmal ein Beweis, daß man mit Frischzellen seine Uhr fünfzehn Jahre zurückstellen kann.«
Er war sichtlich hocherfreut, daß ich gleich auf sein jugendliches Aussehen ansprang. Und ich dachte, für den muß Stupsi wirklich nicht den Wachhund spielen.
Sie stützte ihren Lover so unauffällig, wie sie konnte. Auch sie sah ganz anders aus als auf dem briefmarkengroßen Foto, das ich in der meistgelesenen Boulevardzeitung unter der Schlagzeile Deutschlands hübschester Grund, seine Frau zu verlassen gelesen hatte. Mein Geschmack war sie jedenfalls nicht! Noch eineinhalb Köpfe kleiner als er. Dürr. Mit basedowsch hervorquellenden Augen, gedrungener niedriger Stirn, eher wie die Schwester von Kermit, dem Frosch aus der Sesamstraße, als wie ein Reh.
Und ihre Minirockbeine! Wie zwei Leberwürste. Also, wären das meine Beine, ich würde nur lange Röcke ohne Schlitz oder Hosen tragen. Sie aber hatte Goldlurexstrumpfhosen an, einen extrem kurzen Faltenminirock und einen Goldlurexrippenpullover. Ihre formlosen Beine steckten in goldenen Westernstiefeln. Und auf dem Pullover prangte auffällig und gewichtig eine Mickeymausbrosche aus bunten Straßsteinen. Die Steine wiederholten sich in einem bunten Haarreif, der ihre lange blonde Mähne aus dem Gesicht hielt. Sollte wohl geschmackvoll und teuer aussehen, auf mich wirkte aber alles ziemlich billig. In dem Moment sagte Rudolph-Karl zu mir: »Ist sie nicht wunderschön, meine kleine Frau?« Ich bemühte mich, sehr zustimmend zu nicken. Und dachte: »Die Liebe betritt manchmal Pfade, die ich nicht nachvollziehen kann.« Gott sei Dank schlugen sie nun den Weg ins Restaurant ein, und so sahen sie nicht meinen Gesichtsausdruck. Ich kann nämlich sehr schlecht verbergen, wenn ich lüge.
Zu Rudolph-Karls Ehrenrettung muß ich sagen, daß das Fernsehen die meisten Menschen anders rüberbringt, als sie in Wirklichkeit aussehen. Ich habe in meiner Zeit bei der Marina schon viele Prominente interviewt und immer wieder festgestellt, daß jemand in natura viel kleiner, dicker, blasser oder auch schöner ist als auf der Mattscheibe. Worum es geht, ist ja die ›Präsenz‹ auf Bildschirm und Leinwand. Und die kann man den Menschen wohl im wirklichen Leben nicht ansehen. Die kommt erst durch die Linse raus.
Ich habe auch schon oft festgestellt, daß die, die auf der Mattscheibe ganz tolle begehrenswerte Typen darstellten, im wirklichen Leben ganz häßliche, miese, unsympathische Wichte sind. Und umgekehrt, wenn ich aus dem Fernsehen mal jemanden nicht mochte, habe ich oft festgestellt, daß er in Wirklichkeit ein angenehmer kluger Mensch war. Fernsehen verzerrt die Menschen. Manche leider, manche Gott sei Dank. Rudolph-Karl jedenfalls konnte dem lieben Gott und der Fernsehtechnik dankbar sein.
Auf der Treppe ins Restaurant versuchte ich mir erneut vorzustellen, wie die zwei es wohl im Bett trieben. Das versuche ich mir übrigens oft vorzustellen, wenn ich Paare neu kennenlerne. Das ist wie ein Zwang. Ich kann mich in solche Phantasien richtig reinknien. Aber bei diesem Paar hatte ich plötzlich massive Vorstellungsblockaden. Diese zwei trieben es bestimmt nicht wild, wie ich anfangs fast ein bißchen neidisch vermutet hatte. Ob er bequem unten liegen blieb und sie auf ihm herumturnte? Besonders beweglich wirkte er nicht mehr. Ob sie es wohl noch oft miteinander machten? Oder vielleicht nur noch manuell? Oder vielleicht hatten sie gar keinen Spaß am Sex? Das gibt es ja. Vielleicht hatte Stupsi einen Vaterkomplex oder sie war frigide und hatte sich deshalb so einen Greis jenseits seiner Manneskraft ausgesucht. Vielleicht reichte es ihr, sich nur vertrauensvoll an ihn zu kuscheln. Das schien mir noch am ehesten zutreffend. Höchstwahrscheinlich sah sie über alle Runzeln, Falten und andere altersbedingte Verfallserscheinungen hinweg, weil Prominenz und ein dickes Konto schließlich auch nicht zu verachten sind. Das hatte sie ja jetzt reichlich. Und dann bemerkte ich, daß ich wieder in meine gehässige negative Gedankenwelt abgeglitten war und rief mich zur Räson.
Ich stellte mir schließlich auch manchmal ganz gerne vor, daß ich eines Tages in den Armen eines berühmten Stars landen würde – bei meinem Beruf immerhin nicht unwahrscheinlich –, aber ich dachte da eher an so Typen wie Tom Hanks oder vielleicht noch Richard Gere. Kevin Costner war auch nicht zu verachten. Um Rudolph-Karl jedenfalls beneidete ich die Stupsi nicht. Nur um eines beneidete ich sie glühend: Er hatte sich ihretwegen von seiner Frau getrennt. Sie hatte ihn ganz. Er wollte sie sogar heiraten. Wie hatte sie das bloß hingekriegt?
Das war der einzige Schönheitsfehler, den mein Bärchen hatte. Mein lieber, knackiger, bärtiger Gerd mit seinem saftigen Ärschlein, in das ich so gerne hineinkniff. Nicht so ein Hängepo wie Rudolph-Karl Petris. Und ich dachte, lieber ein appetitlicher Nichtberühmter als ein unästhetischer Promi! Gerd war meine große Liebe. Aber ich mußte Gerd teilen. Noch! Gerd war verheiratet und hatte eine achtjährige Tochter. Und er hatte sich bis jetzt nicht von seiner Suse getrennt. Um es genau zu sagen: Ich war Gerds Verhältnis. Seit fast einem Jahr. Gerd liebte mich über alles und ich ihn. Wir paßten wunderbar zusammen. Mit Gerd konnte man über alles reden. Er gehörte nicht zu dieser schrecklichen Sorte Männer, die sich ausschweigen, sobald es um gefühlsmäßige Dinge geht. Und er war, was meinen Leitspruch angeht, ganz meiner Meinung. Gibt es eine bessere Basis für eine glückliche Partnerschaft? Aber der Arme hatte eine schreckliche Frau. Er litt furchtbar unter ihr. Suse war eine Psychopathin. Die bekam alle Nase lang Panikattacken und Atemnot. Gerd konnte nicht das kleinste Problem bei ihr anreißen, schon bekam sie einen Anfall. Ein wunderbares Druckmittel, einen Mann an sich zu binden, dachte ich manchmal verbittert. Aber auch die Tochter war natürlich eine Bindung, und das konnte ich irgendwie nachvollziehen. Ein Kind verläßt man nicht so leicht. Und mitbringen konnte er sie schlecht, schließlich wollte ich noch nicht Hausfrau und Mutter werden.
Vielleicht später mal. Gerd hatte mir versprochen, an einer langsamen, sanften Trennung zu arbeiten. Er wollte weder seine Tochter noch seine kranke depressive Frau dem Schock eines abrupten brutalen Abgangs aussetzen. Er wollte daran arbeiten und beide einfühlsam dahinführen. Seine Frau sollte eines Tages freiwillig sagen, eine Trennung ist wohl das beste für uns beide. Jetzt war sie einfach noch nicht so weit.
Ich muß sagen, das fand ich richtig gut an Gerd. Ich sagte mir immer, so wie er jetzt mit seiner Frau umgeht, wird er später auch mit mir umgehen. Einfühlsam und sanft, aber offen. Wohldosiert. Das fand ich korrekt. So einen verantwortungsbewußten Mann konnte sich jede Frau nur wünschen. Gerd würde mich mit der gleichen Achtung und dem gleichen Respekt behandeln, wie jetzt seine Frau. Manchmal beglückwünschte ich mich selbst zu diesem Mann. Und die kurze Zeit, bis ich ihn endlich für mich hatte, würde ich auch noch überstehen.
Sexuell war bei den beiden selbstverständlich tote Hose. Keine Bedürfnisse mehr. Das war mir auch wichtig, denn im Bett hätte ich Gerd auf keinen Fall teilen mögen. Suse und Gerd schliefen in getrennten Schlafzimmern, und Gerd sagte immer: »Suse ist wie eine Schwester für mich.« Ich glaubte ihm, Gerd war ein redlicher, ehrlicher Mensch. Außerdem sei seine Frau nicht besonders reizvoll, eher unhübsch, hatte er mir anvertraut. Sie sei nicht nur nervig mit ihren Ausbrüchen, sie vernachlässige sich auch. Er hätte sie nur geheiratet, weil sie schwanger geworden sei. Und das sei ihm leider passiert, als er total betrunken gewesen sei. Er könne sich schon kaum noch daran erinnern. Aber da sei es eben passiert. Und dann habe er sie aus Pflichtgefühl zum Traualtar geführt. Er hätte ja nicht ahnen können, daß ihm eines Tages seine einzige, ganz große Liebe – ich! – begegnen würde. Er erzählte das so, daß ich mich wahnsinnig geschmeichelt fühlte. Wir mußten nun gemeinsam sehen, wie er aus seiner verfahrenen Situation herauskam.
Gott sei Dank konnten wir uns relativ oft sehen. Gerd arbeitete in der gleichen Branche, als Ressortleiter bei der großen Zeitschrift Auto auf einen Blick. Da hatte er natürlich jede Menge Termine, keine festen Arbeitszeiten. Und so konnten wir sogar manchmal gemeinsam ein paar Tage verreisen. Er hatte mich auch schon als seine Frau auf einige seiner zahlreichen Pressetermine in ganz Europa mitgenommen. Er wurde immer dort eingeladen, wo wieder ein neues Auto vorgestellt wurde. ›Präsentation‹ nannte sich das. Und das kam manchmal zweimal die Woche vor. Die Autofirmen waren in der Regel sehr großzügig, denen war es egal, ob sie nun ein Bett mehr bezahlten. Meistens flogen sie die Motorjournalisten mit gecharterten Maschinen nach Lissabon, Nizza, London, Madrid, auf die Kanarischen oder Baleareninseln oder sonstwohin in Europa. Gerd war allein dieses Jahr schon neunmal in Nizza im Hotel Negresco gewesen. Einmal war ich mit. Ein tolles Hotel! Die Chartermaschinen waren nie voll besetzt, und so fiel es nicht ins Gewicht, ob ich nun auch noch mitflog oder nicht.
Anfangs war mir das unangenehm, doch mit der Zeit kriegte ich mit, wie Firmen mit Geld um sich warfen, um Journalisten zu ködern. Eine einzige Bestecherei. Ich dachte öfter, wenn das die Öffentlichkeit erfahren würde, wie für Journalisten das Geld aus dem Fenster geworfen wird. Nur damit sie positive Artikel schreiben. Meine Kollegin aus dem Medizinressort beispielsweise flog nächste Woche zum dritten Mal in diesem Jahr nach Rio zu einem Pharmakongreß. Vor zwei Wochen war sie in New York gewesen und geschrieben hatte sie darüber nur eine Meldung von zehn Zeilen. Und dafür so eine weite Reise! Aber bei unserer Auflage von über einer Million spendierte ihr die Pharmaindustrie gerne für zehn Zeilen eine Reise nach New York. Oder meine Kolleginnen aus dem Reiseressort. Mal abgesehen, daß sie auf Kosten der Touristikbranche durch die Welt jetteten, mußten sie selbst ihre privaten Urlaube nicht bezahlen, wenn sie anschließend ein paar Zeilen über das betreffende Hotel schrieben. Jeder Reiseveranstalter war froh und dankbar, mit ein paar Worten bei uns in der Marina erwähnt zu werden. Mit der Zeit hatte ich mir abgewöhnt, Skrupel zu haben. Das war naiv in meiner Branche.
Mein Gerd gehörte schließlich zu der meistgelesenen Autozeitschrift in Deutschland. Und andere Kollegen brachten auch ihre Frauen mit. Es gab sogar einige, die hatten keine Skrupel, mit ihren Kindern aufzukreuzen. Die kamen dann mit ihrem ganzen Troß zu einem Termin ins Carlton in Cannes. Sie suchten sich das beste Auto mit den meisten PS aus der zur Verfügung gestellten Fahrzeugflotte aus und machten mit ihren Familien große Spritztouren. Gaben vor Frauen und Kindern mit ihren Fahrkünsten so richtig an. Die anderen konnten dann sehen, wann sie auch mal die PS-starken Autos ausprobieren durften. Die blieben dann auf den langweiligen schwachen Motoren hängen.
Die Presseabteilungen der Autofirmen übergingen so etwas mit einem Schulterzucken. Hauptsache, der Artikel hinterher war lang und positiv. Da machten sich die paar Mark mehr doch richtig bezahlt! Je höher die Auflage, desto großzügiger die Handhabung.
Rudolph-Karl und seine Stupsi hatten die Speisekarte studiert und bestellten nun beim Oberkellner, der selbstverständlich persönlich unseren Tisch bediente und ein Amuse gueule vorweg gereicht hatte. Die zwei wollten als Aperitif einen Wermut, dann eine legierte Sauerampfersuppe mit Lachsstreifen. Er wählte als Vorspeise Gelée vom Kaisergranat mit Salat von Gartenkräutern und sie Gelantine von der Barbarie-Ente auf Selleriesalat. Als Hauptspeise bestellte Stupsi Pot au feu von der Bresse-Poularde mit Gemüsen und Grießklößchen und Rudolph-Karl wollte Entrecôte vom Aberdeen Angus in Rotweinbutter. Er fragte doch tatsächlich, ob er Pommes dazu haben könnte. »Muß das sein?« zischte Stupsi peinlich berührt und trat Rudolph-Karl unterm Tisch vors Schienbein. »Röstis« sagte der Oberkellner entgegenkommend.
Rudolph-Karl, der Sturkopf, ließ nicht locker: »Wie, ihr habt keine Pommes? Schwaches Bild.« Dann bestellte er Kartoffelbrei. Den gabs. Den Nachtisch wollten sie sich noch offenlassen, ob Nougatparfait mit Rumtopffrüchten oder Clementinenkaltschale mit eigenem Sorbet. Ich rechnete blitzschnell mit. Pro Menü kam ich locker auf 195,– Mark. Ohne Getränke! Und die zwei bestellten bestimmt nicht den billigsten Wein. Schon schlug Rudolph-Karl, der Weinkenner, vor: »Vielleicht ein Fläschchen 1991 er Macon Villages A.C.?» Da kostete schon das Viertel 16 Mark! Mensch, die wollten ja reinhauen, als hätten sie den ganzen Tag nichts gegessen. Ich hatte nur 500,– Mark Spesenvorschuß mitbekommen, es hatte nämlich eine Verlagsanweisung gegeben, daß wir sparen sollten. Und außerdem kam ich damit in der Regel dicke hin. Normalerweise drängten sich bei meinen Interviews ja nicht die Partner mit auf. Außerdem waren die meisten Promis wesentlich bescheidener. Mit dem Geld kriegte ich normalerweise fünf Promis satt und blau.
Und ich mußte ja nun auch noch etwas essen. Daß ich gar nichts oder nur jeden zweiten Gang mitmachte, hätte auch blöde ausgesehen. Das hätte ja gewirkt, als arbeitete ich bei einem armen Verlag. Arm waren wir nun wirklich nicht, auch wenn wir sparen mußten. Ich war sehr stolz, bei einem der reichsten Verlage in Deutschland zu arbeiten. Jeder, der bei einem Blatt dieses Verlages arbeitete, hatte das Gefühl, zur Elite zu gehören. Wir waren eine große elitäre Familie. Wir gehörten zur journalistisch ersten Sahne in diesem Lande. Und wer dort eine Redakteursstelle ergattert hatte, gab die sein Leben lang nicht wieder auf. Ich hatte Kolleginnen, die waren schon alt und grau, die saßen schon seit 25 Jahren auf ihrem Posten, waren unkündbar und hatten auch in der ganzen Zeit nie einen Gedanken daran verschwendet, nochmal die Stelle zu wechseln. Warum auch? Schließlich waren sie auf dem Olymp gelandet. Darüber war meine Chefredakteurin Gerda Dobermann manchmal sauer, sie hätte die Redaktion gerne verjüngt, aber es war schwierig, eine altgediente Redakteurin auf die Straße zu setzen.
Gerda Dobermann war selbst auch nicht mehr die jüngste. Schätzungsweise Ende 50. Sagen wir mal, eine flotte Anfangsechzigerin. Typ Joan Collins in hellhaarig. Wir rätselten manchmal, ob sie schönheitsoperiert war. Jedenfalls hatte sie sich ganz gut gehalten und war immerhin eine außergewöhnlich erfolgreiche Chefredakteurin. Seit 13 Jahren. Mein Blatt schrieb anhaltend schwarze Zahlen, und die Auflage steigerte sich ständig. Und wer den Job so erfolgreich macht, bei dem spielt Alter keine Rolle. Auch nicht, wenn er eine Frau ist. So ist das nunmal.
Als Vertreterin eines so angesehenen Verlages konnte ich natürlich schlecht sagen, ich habe nicht genug Geld mit, wie hätte ich da mein Blatt repräsentiert? Ich hätte uns alle blamiert! Gott sei Dank hatte ich meine Visacard eingesteckt, der feine Jahreszeiten-Grill akzeptierte selbstverständlich Kreditkarten.
Rudolph-Karl glänzte satt und zufrieden. Eine kleine Kruste Kartoffelbrei hatte sich in seinen Mundwinkeln abgesetzt. Laut schnaubte er seine Nase aus, und ich machte einen Vorstoß Richtung Privatleben. »Haben Sie eigentlich Konsequenzen für ihre jetzige Beziehung aus ihrer letzten Ehe gezogen?«
»Wie«, meinte er irritiert, »wie meinen sie das?«
»Ich meinte, sie haben doch bestimmt Fehler erkannt, die sie in dieser Beziehung vermeiden werden? Man lernt doch aus jeder Partnerschaft.«
Er ging tatsächlich auf die private Frage ein: »Natürlich habe ich etwas gelernt. Junge Frauen sind einfach griffiger …« wich er anstößig aus.
Stupsi wischte ihm mit einem weißen Stofftaschentuch mit den eingestickten Initialen RKP die Mundwinkel ab und schwieg. Er fuhr redselig fort: »Nee, im Ernst, ’ne junge Frau ist wie ’ne Frischzellenkur. Ich habe jetzt sozusagen ’ne doppelte Frischzellenkur.«
Ich versuchte es nochmal: »Aber Sie sind doch heute bestimmt viel reifer als früher und streben sicher eine gleichwertige Beziehung an, in der Sie beide sich verwirklichen können.«
»Schatzi, zieh dir mal die Lippen nach«, sagte Rudolph-Karl rügend zu Stupsi und zu mir gewandt: »Natürlich darf meine zukünftige Frau sich selbst verwirklichen, sooft und solange sie will. Da lege ich ihr keine Steine in den Weg. Sie darf mir damit nur nicht auf die Nerven gehen. Meine Stupsi hat ein wunderbares Naturell. Sie gibt und gibt und gibt. Sie ist durch und durch Frau.«
Irgendwie schien das meine Theorie zu bestätigen. Halbwegs. Zumindest insofern, als sich dadurch bestätigte, daß wer gibt auch bekommt. Schließlich hatte sie Rudolph-Karl bekommen. Die Frage war nur, war sie glücklich? Also unglücklich wirkte sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie, was sie wollte. Es wollen ja nicht alle Frauen das Gleiche. Aber unterm Strich und bei realistischer Betrachtung schien mir dies hier doch eher eine neurotische Beziehung zu sein. Ich beschloß, nicht weiter zu bohren. Es hatte keinen Zweck. Es gab einfach nicht viele Beziehungen wie die von Boris und Babs.
Ich hätte zu gerne noch gewußt, wie Stupsi ihn bewogen hatte, sich zu trennen. Man weiß ja, daß es nicht ganz einfach ist, so ein eingefahrenes Ehegespann voneinander zu lösen. Die Pistole hatte sie ihm bestimmt nicht auf die Brust gesetzt. Das ist nicht der Weg, wie man verheiratete Männer von ihren Frauen loseist. Da sagte er: »Wissen Sie, meine Ex-Frau hat auf ihre alten Tage noch einmal einen Mann kennengelernt, der sie sehr fasziniert. Da wollte ich ihr keine Steine in den Weg legen.« Ach so war das, die hatte Stupsi ihren Ex sozusagen abgetreten. Freiwillig. Geschenkt. Großzügig von ihr. Obwohl ich es auch irgendwie verstehen konnte, jetzt, wo ich Rudolph-Karl kannte. Aber Suse würde das nie machen. Suse war eine keifige Klammerfrau.
Ich stellte nun mein kleines Tonbandgerät an und lenkte die Diskussion auf sein Lieblingsthema, die Hüftgelenksoperierten. »Wie kam es dazu, sich gerade für diese Menschen zu engagieren? Haben Sie einen kennengelernt?«
»Ich sage Ihnen nur«, flüsterte er jetzt verschwörerisch, »in dem Bereich wird soviel Mist gebaut, das ist ein Skandal. Da herrscht eine Medizinmafia«. Also auch da. Gerade war durch die Tageszeitungen der Millionenschwindel mit Herzklappen gerauscht. Die Deals der Chefärzte an deutschen Herzkliniken. Rudolph-Karl Petri wurde lauter: »Eine Medizinmafia! Schreiben Sie das!« Ich überlegte, wie ich geschickt den Bogen spannen könnte von Hüftgelenken zu Mafia und schließlich zu Rudolph-Karl, denn schließlich wollte ich ja über ihn schreiben, da platzte es entschlossen aus ihm heraus: »Ich oute mich! Ich selbst habe vor drei Monaten ein künstliches Hüftgelenk bekommen, und ich sage ihnen, es funktioniert nicht! Und ein anderes bekomme ich nicht. Ich sage nur Medizinmafia! Schreiben Sie das!« Langsam wurden andere Gäste aufmerksam und blickten zu unserem Tisch.
Das hätte ich mir auch gleich denken können, daß er selbst ein künstliches Hüftgelenk hat. Der Arme. Aber wer kommt schon darauf, wenn er im Fernsehen immer so einen tollen Hecht mimt. Ein Frauenheld mit einem künstlichen Hüftgelenk. Das paßt natürlich nicht. Umso mutiger fand ich es jetzt, daß er sich outen wollte. Fast bewunderte ich ihn. Und etwas betroffen war ich auch.
Als Journalistin darf man aber nie zeigen, daß man peinlich berührt ist. Also sagte ich in möglichst munterem Ton: »Na, dann sind sie ja in bester Gesellschaft mit Liza Minelli oder Elizabeth Taylor. Die ist ja bekanntlich schon mehrmals am Hüftgelenk operiert worden.«
»Eben!« zischte Rudolph-Karl mir zu, und Stupsi nickte bedeutungsschwanger. Er wiederholte: »Eben! Und die werde ich auch noch ansprechen. Die sollen mir helfen, den Sumpf trockenzulegen.« Als ob er sie persönlich kennen würde. So bekannt war er nun auch wieder nicht. Er war zwar ein deutscher Star, aber die Liza und die Elizabeth waren schließlich Weltstars. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die zwei mit Rudolph-Karl wegen ihrer Hüftgelenke zusammenkungeln würden. Und vielleicht waren sie mit ihrem ja auch zufrieden.
Jetzt stellte ich mich mal ganz dumm. Das muß man manchmal auch in solchen Interviews. »Wieso funktioniert es denn nicht?«
»Medizinmafia!« wiederholte Rudolph-Karl Petri stereotyp und schneidend. »Die wollen Geld verdienen! Wollen den Menschen zum Ersatzteillager machen mit lauter schnell verschleißbaren Teilen! Haben kein Interesse, den Menschen gesund zu machen … wollen Geld, Geld, Geld.«
Auf dem Rückweg im Taxi überlegte ich, wie ich aus dem Gespräch ein halbwegs intelligentes Porträt machen könnte. Das Thema ›Medizinmafia‹ war irgendwie abgenudelt und holte keinen mehr hinterm Ofen vor. Bei Hüftgelenken schon gar nicht. Leider war Rudolph-Karl immer wieder auf Hüftgelenke gekommen, was meinem Porträt natürlich eine tragische, aber ziemlich einseitige Komponente gab. Ich konnte ja verstehen, daß ihn das bewegte, aber ich hatte kaum etwas anderes erfahren. Outing hin, Mut her, Hüftgelenke gaben einfach kein rundes Porträt. Schwierig. Und das bißchen Privatleben, das er offenbart hatte, gab auch keine trendige Story her. Das würde Gerda Dobermann eher abturnen, sie überhaupt zu drucken. Na ja, mir würde schon etwas einfallen. Zur Not würde ich nochmal nachlesen, was die anderen so über ihn geschrieben hatten. Ein bißchen Abschreiben ist durchaus üblich. Unauffällig natürlich, in eigene Worte gekleidet. Es gibt auch welche, die schreiben plump Wort für Wort ab. Aber das konnte ich mir bei meinem angesehenen Blatt nicht erlauben. Und ich hatte das auch nicht nötig. Schließlich hatte ich eigene Ideen.
Jetzt freute ich mich auf meinen Gerd. Nicht lange, und ich würde ihn in meinen Armen halten. Er wollte nach Hamburg kommen, und wir wollten die Nacht in einem hinreißenden kleinen Hotel in Pöseldorf verbringen. Unser Stammhotel. Seiner Suse hatte er gesagt, er sei auf einem Pressetermin, komme erst übermorgen zurück. Wie ich mich nach ihm sehnte. Nach seinen zärtlichen Händen, nach seinem weichen Mund, der mich immer an die Nüstern von Pferden erinnerte. Er mochte den Vergleich nicht, weil er keine Pferde mochte. Ich aber liebte Pferde und fand den Vergleich sehr passend. Ich sehnte mich danach, meine Nase in seine Halsgrube zu stecken und an ihm zu schnuppern.
Ich vergaß Rudolph-Karl und seine geschmacklose Stupsi und malte mir aus, wie mein Bärchen und ich den Tag und die Nacht zusammen verbringen würden. Wir hatten Karten vorbestellt für Alpenglühen von Peter Turrini unter der Regie von Claus Peymann im Thalia Theater. Ich mochte Peymann sehr, trotz allem, was über ihn verbreitet wurde. So wie er Stücke inszenierte, wollte ich Theater sehen. Anschließend sollte es zu unserem Lieblingschinesen auf der Reeperbahn gehen und dann ins Bett …
Ins Bett! Es war gar nicht einfach gewesen, mein Bärchen dorthin zu bekommen. Ich hatte sehr lange baggern müssen. Wir waren uns zwar häufig im ›Journal‹ begegnet, einem Journalistentreff, und wir hatten auch fürchterlich geflirtet, aber er hatte mich nie berührt. Ich wertete das als Verantwortung seiner Frau und seiner Familie gegenüber. Es gefiel mir. Damals hatte er mir noch nicht anvertraut, was für eine unmögliche Frau er hatte. Er war sehr verschwiegen. Er behielt seinen Kummer lange für sich. Das imponierte mir.
Das erste Mal passierte es auf dem Rücksitz von seinem alten Daimler. Die Spannung war unerträglich geworden, es hatte den ganzen Nachmittag geprickelt, und ich dachte, ich werde noch verrückt, wenn der mich nicht endlich berührt. Da nahm er meine Hand. Fing an, meinen Arm zu streicheln, seine Hände wanderten schnell höher, als könnten sie es auch nicht mehr erwarten, und als sie meine Brüste erreicht hatten, fielen wir wie zwei Verrückte übereinander her. Er riß mir förmlich meine Bluse vom Leib, beachtete überhaupt nicht meinen teuren BH von Gaultier, den ich mir extra für dieses Ereignis gekauft hatte und immer präventiv bei unseren Treffen trug. Die 198,– Mark hätte ich mir sparen können, aber das war mir jetzt egal. Es ging alles tierisch schnell, und dann endlich fühlte ich ihn ganz. Himmlisch. Ich vergaß den Daimler, ich vergaß, daß ich mir das erste Mal ganz anders vorgestellt hatte.
Gerd war nicht zögernd oder fummelig, er nahm mich so, wie ich mir das immer ausgemalt hatte. Stürmisch und sehr sehr zärtlich. An diesem ersten Abend schenkte er mir noch ein Gedicht von dem Holländer Hermann van Veen »Ich hab ein zärtliches Gefühl, für den, der sich zu träumen wagt …« Ich war gerührt über diese aufmerksame Geste, und ich wußte, Gerd ist der Mann, der für mich geschaffen wurde. Ich schenkte ihm eine Postkarte mit einem fliegenden Vogel, auf der ein Spruch von Khalil Gibran stand: »Wenn die Liebe dich ruft, folge ihr, wenn ihre Wege auch hart und steil sind.« Das sollte natürlich ein Wink mit dem Zaunpfahl sein.
Es wurde in Hamburg einer unserer wunderbaren Abende. Wir fielen natürlich sofort miteinander ins Bett. Beide konnten wir es wieder nicht aushalten, uns zu spüren. Nach dem Essen bei unserem Chinesen fuhren wir in Gerds Daimler die Elbchaussee entlang zum Jenisch-Park. Es gibt keinen schöneren Park für nächtliche Spaziergänge, wenn man verliebt ist. Die rauschenden Baumkronen, der Duft des frisch geschnittenen Rasens, vereinzelt Spaziergänger, die ihre Hunde ein letztes Mal Gassi führten. Sogar ein Jogger drehte um Mitternacht noch seine Runden. Wenn wir zusammen in Hamburg waren, fuhren wir immer in diesen Park. Wir liebten ihn beide. Wir schwiegen, jeder hing seinen Gedanken nach, ab und zu küßten wir uns. Im Jenisch-Park haben wir unsere besten Gespräche geführt. Wie Gerd sich von Suse lösen wollte, wie wir uns unser Zusammenleben vorstellten. Daß es nicht einfach werden würde. Und Gerd hatte mir hoch und heilig versprochen, er würde daran arbeiten.
Glücklich hing ich in seinen Armen. Wir ließen uns am Rand einer Lichtung ins trockene Gras nieder. Gerds Hände fuhren meine nackten Beine hoch. Meine Haut kribbelte. Das Kribbeln stieg in meinen Unterleib und dann erfüllte es meinen ganzen Bauch. Leise stöhnte ich und drückte mich fest an mein Bärchen. Und dann liebten wir uns nochmal an diesem Abend.
Hinterher, als wir verschwitzt und zerzaust im Gras lagen, dachte ich dankbar, was für eine wunderbare Fügung, daß ich diesen Mann kennengelernt hatte. Manche Frauen geraten immer an den Falschen und suchen den Richtigen bis an ihr Lebensende. Ich aber hatte den Richtigen schon jetzt getroffen.
Ich glaube, daß es zu jedem Menschen die Entsprechung im anderen Geschlecht gibt. Und daß es nur eine Frage der Zeit und natürlich der inneren Haltung ist, bis wir unser Pendant gefunden haben. Und eine Frage des Gespürs. Ich hatte im Gefühl, Gerd war der Mann, der zu mir gehörte. Nicht umsonst hatte ich in vielen Workshops geübt, meine innere Stimme wahrzunehmen. Meine Intuition zu spüren. Vor drei Wochen noch hatte ich in einer Übung, die ›katathymes Bilderleben‹ hieß, gesehen, wie mein Bärchen und ich Hand in Hand durch ein großes buntes Blumentor schritten und dahinter sang ein fröhlicher Engelschor und begrüßte uns herzlich in seiner freundlichen hellen Welt. Wenn das kein Zeichen war. Mit Gerd würde ich den Rest meines Lebens verbringen. Wenn er sich erst von Suse getrennt hatte, würden wir ein glückliches, harmonisches Leben miteinander führen. Ich mußte ihn nur noch ganz für mich bekommen.
Die führende Frauenzeitschrift Marina war das Ziel meiner beruflichen Träume gewesen. Ich hatte alles drangesetzt, dort Redakteurin zu werden, hatte gearbeitet wie wild und in der Zeit die Liebe hintangestellt. Redakteurin bei Marina war für mich der Inbegriff der beruflichen Karriere. Ich fand die Mode toll, ich hatte mir schon manchen Kosmetiktip abgeguckt, und den Textteil fand ich sehr informativ und fortschrittlich.
Komischerweise traf Marina immer genau die Themen, die mir sowieso durch den Kopf gingen. Vor allem die Psychothemen sprachen mich immer sehr an. ›Warum Sex klug, schön und schlank macht‹, ›Dein Mann und seine Mutter‹ oder auch ›Reinkarnation, eine Reise ins andere Ich‹. Besonders gut fand ich Themen wie ›So werde ich eine Persönlichkeit – Mut zum eigenen Leben‹ oder ›Warum es sich lohnt, Partnerschaftskrisen durchzustehen‹. Solche Artikel trafen wirklich den Nagel auf den Kopf. Die Redakteurinnen, die so etwas schrieben, waren bestimmt selbst durchtherapiert und hatten ihr Leben im Griff. Wie sonst kämen solche Artikel zustande?
Ein zweiter Grund, warum mich die Arbeit bei einer fortschrittlichen trendweisenden Frauenzeitschrift interessierte, war das gute solidarische Arbeitsklima, das in solch einer Redaktion herrschen mußte. Ich war sicher, so ein Blatt kann man nur in einem kooperativen, solidarischen Team erarbeiten. Mit aufgeklärten Frauen, die ihr eigenes Leben im Griff hatten, und in harmonischem kreativem Miteinander. Und das fand ich gut.
Außerdem hatte ich die Vorstellung, wer bei der Marina arbeitet, ist um ein gepflegtes Äußeres bemüht. Wer mit Kosmetik- und Moderedaktion vis à vis arbeitet, hatte bestimmt seinen eigenen Stil entwickelt. War doch naheliegend – oder?
Als es mir endlich gelungen war, eine der wenigen begehrten Stellen zu ergattern, fühlte ich mich wie Prinzessin Diana, als sie sich Charles geangelt hatte. Genauso glücklich. Aber ich war auch genauso naiv. Der Alltag bei Marina gestaltete sich nämlich ganz anders, als ich mir vorgestellt hatte. Genau wie im englischen Königshaus.
Schon mein Einstellungsgespräch war irgendwie desillusionierend. Daß ich als regelmäßige Leserin naiverweise immer geglaubt hatte, die Redakteurinnen seien genauso gepflegt und hübsch angezogen wie die Models, die die neueste Mode vorführten, erwies sich als erster Irrtum. Natürlich hatte ich mich entsprechend zurechtgemacht. Ich bin ein sportlicher Typ und unterstreiche meine Linie mit einem dezenten Make-up. Die Haare trage ich mal länger, mal kürzer, aber immer ordentlich geschnitten. Zum Einstellungsgespräch hatte ich mir ein schickes Kostüm in mint gekauft und mir ein Tüchlein von Hermès dazu geleistet. Dezent, aber teuer, wie die Mode in Marina. Dazu hatte ich mir eine moderne Bobfrisur schneiden lassen. Man hätte mich glatt für die Modeseite ablichten können. Mein Auftritt würde einen guten Eindruck hinterlassen, ich läge totsicher auf der richtige Linie, war ich überzeugt. Ich hätte mich vorher erkundigen sollen, was für ein Typ meine zukünftige Ressortleiterin war.
Sie hieß Hilda Kaiser-Schmidtchen, war 42 Jahre alt und hatte zu Hause drei Kinder. Ihr Mann war Hausmann. Ein Ex-Grundschullehrer. Er hatte seiner emanzipierten Frau den Vortritt bei der Karriere gelassen. Aus ihm wäre ja sowieso höchstens ein Schuldirektor geworden, und Hilda Kaiser-Schmidtchen ließ keinen Zweifel dran, daß sie gewillt war, es zu etwas zu bringen, und mit allen Mitteln an ihrer Karriere zu arbeiten.
Hilda trug bequeme Klamotten. Leggins und dazu einen lila Pulli, der zu kurz für Leggins war. Sie hatte einen starken Busen und meinte offensichtlich, keinen BH zu benötigen. Dafür hatte sie doch tatsächlich ein Palästinensertuch um ihren Hals geschlungen, dieses Relikt aus alten 68er Zeiten. Ich wußte gar nicht, daß es die noch zu kaufen gab, aber es sah auch eher so aus, als habe es bereits 25 Jahre und etliche Wäschen hinter sich. Die Leggins brachten ihre kräftigen Beine zur Geltung. An den Füßen trug sie erstaunlicherweise die teuren Travel Fox in schwarz, im Ohr hatte sie einen orangenen Federring und die kurzen abstehenden Haare waren vor Monaten mal hennarot gefärbt worden. Jetzt waren sie am Kopf grau-schwarz und fettig. Überlas sie denn immer die Seiten des Modeteils? Sie saß doch an der Quelle! Ein Gang in die Kosmetikredaktion, eine Nachfrage bei der Mode, und sie hätte ihren Typ perfekt herausstreichen können. So hätte sie jedenfalls nicht aussehen müssen. Aber vielleicht war das ja Absicht. Hilda legte möglicherweise keinen Wert auf Aufmachung und Make-up. Ihr Gesicht war nämlich ungeschminkt. Ich überlegte, wahrscheinlich wollte sie sich nicht zum weiblichen Lustobjekt degradieren lassen. Solche Frauen gab es ja. Und so würde ihr das bestimmt nicht passieren. In ihrem Büro roch es nach ganz natürlichem Schweiß ohne Beimengung von irgendeinem Parfum oder Deo.
Auf ihrem chaotischen Schreibtisch entdeckte ich ein Foto ihrer Familie. Die Kinder blond und niedlich, wie alle Kinder. Ihr Mann ein pummeliger Glatzkopf mit Vollbart und Brille. Genau wie Hilda nicht gerade auf dem Modetrip. Überhaupt kein Hingucker. Aber bestimmt hatte er jede Menge menschliche Qualitäten, sonst hätte meine emanzipierte Ressortleiterin bestimmt keine Kinder mit ihm gezeugt.
»Er geht richtig in seiner Hausmannsrolle auf«, schwärmte Hilda mir später einmal vor. »Er genießt das Zusammensein mit den Kindern und ist echt dankbar, daß er die Chance bekommen hat, seine weibliche Seite zu leben.«
Sie machte im Gespräch auf kumpelhaft. Sagte jovial: »Jetzt erzähle ich erstmal ein bißchen von mir, damit du ein Gefühl für den Laden hier bekommst.« Sie hatte mich geduzt. Sollte ich sie auch einfach duzen? »Wir duzen uns hier alle«, nahm sie meine Frage vorweg, »bis auf die Chefredaktion, die wird gesiezt.« Ich fragte mich, warum nicht alle, wenn einem schon das du aufgedrängt wurde, da sagte sie »Ich bin die Hilda«.