payback - Mike Nicol - E-Book + Hörbuch

payback Hörbuch

Mike Nicol

4,6

Beschreibung

Cool, böse, abgebrüht

Postkartenidylle am Kap der guten Hoffnung? Das Ende der Apartheid ist besiegelt. Seit über einem Jahrzehnt. Die früheren Waffenschmuggler Mace Bishop und Pylon Buso wollen ihr Leben ruhig angehen. Ein entspanntes Kapstadt-Dasein, danach sehen sie sich. Ihr Sicherheitsservice für wohlhabende Touristen, die Schönheits-OPs mit anschließender Safari buchen, floriert. Denn wer nach Südafrika kommt, der hat Angst. Doch Mace schuldet einem alten Bekannten noch einen Gefallen. Und plötzlich ist ihm Sheemina February auf den Fersen, Anwältin einer islamistischen Antidrogen-Gruppe. Sie beobachtet Mace. Schickt seiner Frau Oumou Blumen. Stiehlt den heißgeliebten Teddy seiner Tochter. Kennen sie sich von früher? Maces Vergangenheit ist düster, bewegt, zwielichtig. Und Rache ist süß.

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Zeit:15 Std. 51 min

Sprecher:Umut Dirik
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Mike Nicol

payback

Thriller

Aus dem südafrikanischen Englisch von Mechthild Barth

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Die südafrikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel»payback« bei Umuzi/Random House Struik, Kapstadt.

Deutsche Erstveröffentlichung Dezember 2011

Copyright © 2009 by Mike Nicol

Published by Arrangement with Umuzi/ Random House Struik (PTY) Ltd.,Cape Town, South Africa

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur ThomasSchlück GmbH, 30827 Garbsen.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by btb Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: Theo Allofs/Corbis

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

UB · Herstellung: BB

ISBN 978-3-641-06706-9V002

www.btb-verlag.de

Das Ende der Apartheid ist besiegelt. Seit über einem Jahrzehnt. Die früheren Waffenschmuggler Mace Bishop und Pylon Buso wollen ihr Leben ruhig angehen. Ein entspanntes Kapstadt-Dasein, danach sehnen sie sich. Ihr Sicherheitsservice für wohlhabende Touristen, die Schönheits-OPs mit anschließender Safari buchen, floriert. Denn wer nach Südafrika kommt, der hat Angst. Doch Mace schuldet einem alten Bekannten noch einen Gefallen. Und plötzlich ist ihm Sheemina February auf den Fersen, Anwältin einer islamistischen Antidrogen-Gruppe. Sie beobachtet Mace. Schickt seiner Frau Oumou Blumen. Stiehlt den heißgeliebten Teddy seiner Tochter. Kennen sie sich von früher? Maces Vergangenheit ist düster, bewegt, zwielichtig. Und Rache wird am besten heiß serviert …

Cool, böse, abgebrüht – der furiose Auftakt einer rasanten Thrillerserie aus Südafrika.

MIKE NICOL lebt in seiner Geburtsstadt Kapstadt und unterrichtet an der dortigen Universität. Er ist der preisgekrönte Autor international gefeierter Romane, Gedichtbände und Sachbücher, zuletzt einer autorisierten Biografie über Nelson Mandela, mit einem Vorwort von Kofi Annan. Seine Rache-Trilogie – payback, killer country, black heart – wird parallel in Südafrika und England veröffentlicht. Nicol verbrachte ein Jahr als Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms in Deutschland, 2002 hatte er eine Gastprofessur als Poet in Residence an der Universität Essen inne.

STÜRZEN

»… in dieser Stadt aus Bomben und Schmerz …«

– namenloses Opfer

PROLOG

Sie saßen zwei Stunden da und warteten. Drei Männer in einem alten weißen Toyota blickten auf die regennasse Straße hinaus. Keiner, der sie bemerkte. Keiner, der sich draußen in diesem dunklen Vorort über der Stadt herumtrieb. In einigen der Häuser brannte in den oberen Stockwerken Licht. Die Häuser hinter Mauern. Unten konnte man die hohen Gebäude der Stadt zwischen den Bäumen erkennen.

»Das ist so was von Scheiße«, sagte der Mann auf der Rückbank – Mikey. Er hatte eine Neun-Millimeter in der Hand, spannte den Schlitten an, ließ ihn wieder los. Spannte ihn wieder an.

»Ist völlig egal, was du denkst.« Abdul Abdul drehte sich grinsend zu ihm um. »Du hast keine Ausdauer, Bru.« Er trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad. »Geduld, Mann.«

Mikey gab ein Grunzen von sich. Er blickte zu dem Berg hinauf, der sich düster über ihnen erhob. Bedrohlich wie der Himmel. Trotz der Regenböen hatte er sein Fenster geöffnet; die Kälte, die seine Füße taub werden ließ, drang bis in sein Knochenmark vor. Er hatte das Fenster auf, weil Abdul und Val eine Zigarette nach der anderen pafften.

»Es ist scheißkalt«, sagte er und legte die Pistole beiseite, um sich in die Hände zu blasen.

»Dann mach das Fenster zu.«

»Dann hört mit dem Rauchen auf.«

»Kannste vergessen«, sagte Abdul.

Zwischen den Zigaretten holte er einen Joint heraus. Mikey zog daran.

»Einen Spliff raucht er, aber keine Zigaretten«, meinte Abdul zu Val. »So ’n Idiot. Mikey Moegoe.«

Mikey hörte als Erster, wie sich ein Wagen näherte. Sagte: »Scheiße, Mann, pass auf. Er sieht sonst die Glimmstängel.« Der Wagen, ein Alfa Spider, fuhr an ihnen vorbei und bog dreißig Meter weiter in eine Einfahrt mit einem offenstehenden Tor ein.

»Das ist er«, meinte Mikey. »Mace Bishop.«

Abdul drehte Abdullah Ibrahims Mannenberg leiser, das als Endlosschleife lief.

»Und jetzt?«, fragte Mikey.

»Warten wir«, meinte Abdul.

»Nur warten?«

»Nur warten.«

»Vielleicht kommt er nicht mehr raus.«

»Der kommt.«

Mikey lehnte sich zurück, seufzte. »Wie lange, Mann? Wie lange müssen wir warten?«

»So lange es dauert.« Abdul stellte den Song wieder lauter.

»Es reicht«, sagte Mikey. »Wir hören uns das jetzt seit zwei Stunden an. Drei, seit wir los sind, wenn man’s genau nimmt.«

»Na und?«, erwiderte Mikey. »Ist ’n guter Song. Kapstadts Erkennungsmelodie.«

Mikey sog ein letztes Mal an dem Joint. Trat die Kippe mit dem Schuh aus. Spielte wieder mit seiner Pistole. Verschluss anspannen. Verschluss loslassen.

Sie lauschten Mannenberg eine weitere Dreiviertelstunde, ehe Mace Bishop mit seinem Alfa wieder aus der Einfahrt herausgeschossen kam.

»Los geht’s«, sagte Mikey und lehnte sich vor.

»Noch nicht«, meinte Abdul.

Sie warteten weitere fünf Minuten. Alles ruhig. Mickey blieb die ganze Zeit über nach vorn gebeugt sitzen.

Abdul ließ den Motor an. »Du stopfst der Frau die Pille in den Hals, Mickey. Das ist deine Aufgabe.«

»Danach kann ich sie dann poppen.«

»Dachte, du stehst mehr auf Kids«, sagte Val.

»Kids. Erwachsene. Jedenfalls kriegt die heute noch einen mit der Rute verpasst.«

»Ag sies, Mann!« Val öffnete die Wagentür. Spuckte auf den Kiesboden.

»Vergiss nicht«, meinte Abdul. »Wir sind wegen des Mädchens hier.« Er drehte sich zu Mickey um und gab ihm einen Klaps auf die Wange. »Keinen Scheiß. Verstanden? Keine Rute. Was wir wollen, ist das Mädchen.« Er fuhr die Einfahrt rückwärts hoch.

Die Männer zogen ihre Sturmhauben über. Mikey hatte seine Pistole in der Hand, Val und Abdul schoben sich ihre Waffen in den Gürtel. Abdul machte einen auf Amerikanisch, indem er den Lauf zwischen seine Hinterbacken schob. Sie betrachteten das viktorianische Haus. Keine Gitter vor den Fenstern. Hätte man genauso gut gleich die Tür offenstehen lassen können.

»Die Fenster«, sagte Abdul.

Mickey schlug eine Scheibe kaputt, und sie stiegen ein. Drinnen stank es nach feuchtem Ton und Terpentin. Ehe Mikey den Mund aufmachen konnte, legte Abdul eine Hand darüber. Sie lauschten. Irgendwo lief ein Fernseher. Val zeigte nach oben. Abdul nickte.

Sie traten auf einen Gang hinaus. Gegenüber lag eine Treppe. Wieder zeigte Val nach oben.

Abdul zückte seine Pistole. Er ging als Erster die Treppe hinauf, hielt sich nahe am Geländer. Zwischendurch knarzten einige der Stufen. Jedes Mal blieb er abrupt stehen. Lauschte. Nichts. Nur der Fernseher – Schießereien und Sirenengeheul von einer Polizeiserie. Er wartete oben auf Mikey und Val.

Sie kamen getrennt, Mikey der Einzige, der so leise wie eine Katze war.

Er grinste Abdul und Val an. Formte unhörbar die Worte »Gut, was?« mit den Lippen.

Abdul schnitt eine Grimasse und wies mit der Waffe auf die dritte Tür des Flurs. Sie war angelehnt. Er gab ihm ein Zeichen. »Die Frau«, flüsterte er. »Stopf ihr einfach die Pille rein.«

»Relax, Mann«, sagte Mikey. »Bleib cool.« Er stieß die Tür auf und trat ins Zimmer. »Hallo, meine Süßen.«

Mutter und Tochter lagen auf dem Bett. Die Frau mit geschlossenen Augen, das Mädchen unter der Decke sah fern. Die Frau machte die Augen auf und sprang im gleichen Moment auch schon vom Bett. Mikey musste ihr einen Schlag mit dem Pistolenknauf verpassen. Sie sackte in sich zusammen, und er stürzte sich auf sie. Konnte dabei ein wenig ihre Brüste begrapschen.

Das Mädchen schrie.

Abdul packte die Kleine und zog sie unter der Bettdecke hervor. Ihr Pyjamaoberteil wurde dabei nach oben geschoben.

»Still, Christa«, sagte Abdul und hielt sie so fest, dass ihr einen Moment lang die Luft wegblieb. »Bru«, er wandte sich an Val, »zünd mir ’ne Zigarette an.«

Val tat es. Mikey hob die Frau hoch, die Pistole an ihren Nacken gepresst. Blut tropfte aus der Wunde auf ihrer Stirn, wo er sie mit dem Knauf getroffen hatte.

»Oumou«, sagte Abdul. »Mein Freund hier hat eine Pille, die du jetzt brav nimmst.« Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und sog daran. Blies den Rauch seitlich aus dem Mund. »Wenn du dich weigerst …« Er schob den Pyjamaärmel des Mädchens hoch, so dass die weiche Haut darunter entblößt wurde. »… dann drück ich die hier aus.« Strich mit der heißen Asche über Christas Arm.

1

1998

Mace Bishop mit einer Sonnenbrille auf der Nase sagte: »Es gibt Leute, denen biete ich meine Dienste gerne an, Ducky. Und es gibt andere, denen ich noch was schulde.« Er stand wegen fünf RPGs, zwei Dutzend chinesischer AKs und eines Sortiments von Pistolen, Granaten und Munition in Ducky Hartnells Schuld. Eine Schuld, die Ducky fünfzehn Jahre lang geflissentlich vergessen hatte.

Vor fünfzehn Jahren war Duckys Sohn Matthew zehn gewesen. Als Ducky ihn wieder an seine Schuld erinnerte, wusste Mace, dass Matthew nun als stotternder Idiot einen Nachtclub leitete, den sein Vater aufgebaut hatte.

»Ich will’s dir lieber zurückzahlen«, erklärte Mace, während er mit Ducky im Café Paradiso oben in Kloof beim Frühstück saß, inmitten junger Anzugträger, Männer und Frauen, Typ aufstrebende Führungskräfte.

»Klar willst du das«, erwiderte Ducky und schob sich eine Gabel voll Ei mit Speck in den Mund. »Aber ich brauch keine Rückzahlung. Ich brauch jemanden wie dich. Einen skrupellosen kalten Knochen. Als Babysitter.«

»Das kann ich für dich arrangieren, wenn du willst. Nur ich selber mach so was nicht. Oder Pylon.«

Ducky wischte sich etwas Ei vom Kinn. »Wie geht’s dem schwarzen Wichser eigentlich?«

»Dem?«, meinte Mace. »Verliebt.«

»Konnte seinen Schwanz noch nie drin behalten.«

Mace trank seinen Espresso in einem Schluck aus. »Verliebt, Ducky. Das ist nicht das Gleiche.«

»Heißt das, er poppt sie gar nicht?«

Mace zuckte mit den Achseln. Ducky Donald Hartnell war schon immer ein vulgäres Schwein gewesen.

»Hab gehört, dass ihr da eine hübsche Sache am Laufen habt, du und Pylon. Muskeln für die Reichen und Berühmten.«

»Läuft ganz gut.«

»Complete Security. Was für ein beschissener Name ist das denn? Für zwei Waffenschmuggler.«

»Die Zeiten ändern sich.«

»Kann man wohl sagen.« Ducky Donald zerschnitt seinen Schinkenspeck. »Hör zu, Mace. Es geht um einen Gefallen, okay? Der Junge hat bereits Muskeln, Centurion Armed Response. Er zahlt Schutzgeld …«

»Wem?«

»Den Americans. Das ist ihre Ecke der Stadt.«

Mace beobachtete, wie Ducky eine Gabel voll Schinkenspeck, Pilzen und frittierten Bananenstücken in den Mund schob. Schloss ihn nur halb, um weiterreden zu können.

»Ich hab Matt gesagt, er soll’s endlich kapieren mit der Aufteilung der Stadt. Man bezahlt den, den man bezahlen muss, wenn man im Geschäft bleiben will. Das Finanzamt verlangt seinen Anteil, die Gangs kriegen ihr Schutzgeld, und die Nutten und Penner brauchen auch eine kleine Gehaltszulage. Na und? Wir werden in diesem Land schwer zur Kasse gebeten. Dafür haben wir Meer und Sonne. Zahl das Nötige, zahl nicht zu viel, hab ich ihm gesagt.«

Er kaute einen Moment lang.

»Zugegeben, das hat er gemacht. Ich war stolz auf ihn. Das packt er, hab ich gedacht. Und dann fangen die Fundamentalisten an, Bars in die Luft zu jagen, sogar dieses Steakhaus, Planet Hollywood. Ich hab ihn gewarnt: Matt, die kommen auch zu dir. Reg dich ab, Dad, sagt er, die können mich mal. So ’ne Haltung zeigt mir, dass er zu viel White Stuff nimmt, Mace. Du weißt, was ich meine?«

Mace nickte. Matthew Hartnells protzige kleine Rave-Höhle stand in dem Ruf, ein Ort zu sein, wo man alles bekam. Zu einem stolzen Preis. Aber alles.

»Ich will dich ja nicht beunruhigen«, meinte Mace, »aber dein Sohn wäre auf einem Minenfeld vermutlich weniger gefährdet.«

»Weiß ich doch, China. Mir geht’s darum, die Mutter des Jungen in Hampshire bei Laune zu halten. Ihr zu versichern, dass alles in unserem wunderbaren neuen Land in bester Ordnung ist, wo wir ja so lange und so hart gekämpft haben. Das Land, das sie den Einheimischen großmütig zurückgegeben hat, als sie ins Land ihrer Vorväter heimgekehrt ist. Wie auch immer … Jedenfalls will sie garantiert nicht hören, dass ihr geliebter Sohnemann hier in die Luft gejagt wird. Oder auch nur ein paar Finger verliert wie sein alter Herr.«

»Wär tragisch.«

Ducky blickte von seinem Teller hoch, von dem er gerade mit einem letzten Stück Toastrinde Eierreste und Brown Sauce auftunkte. Mace behielt sein Pokerface so lange bei, bis sich Ducky wieder seinem Fraß zuwandte. »Deine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass das auch nicht passiert. Tu mir den Gefallen, okay? Damit ich den Leuten sagen kann, dass sich Mace Bishop an seine Versprechen hält.«

Mace verstand die Drohung, ließ sie aber fürs Erste unbeantwortet. Leichter gesagt als getan. Er nahm die leere Espressotasse in die Hand, stellte sie wieder hin. Blickte aus dem Fenster auf die Hochhäuser unter ihnen und das Meer dahinter. Brauner Dunst trübte die Aussicht. An den meisten Herbsttagen verschwand die Stadt in dieser Brühe, nur der Berg ragte in ein strahlendes Blau hinein.

»Dein Sohn ist Drogendealer«, sagte er. »Das stellt gewisse Schwierigkeiten dar.«

»Klar, weiß ich«, erwiderte Ducky. »Ich arbeite ja auch dran.«

»Außerdem kann ich die Leute verstehen, die versuchen, Drogenbosse und Gangster auszuschalten.«

»Tun wir das nicht alle. In der Zwischenzeit brauch ich aber den Schutz meines alten Kumpels Mace Bishop.« Ducky wischte sich mit einer Serviette den Mund ab, während er Mace mit zusammengekniffenen Augen betrachtete. »Vielleicht sollte ich noch zwei andere Dinge erwähnen, die deine Entscheidung erleichtern könnten.«

»Nämlich?«

Ducky legte eine wirkungsvolle Pause ein. »Die Cayman-Konten. Oder das, was in Techipa passiert ist.«

Mace zuckte mit keiner Wimper, als sich Ducky zu ihm lehnte. »Ich weiß über beides Bescheid, China. Kannst mir glauben – ich will deine Geheimnisse bei Gott nicht verraten.«

Mace dachte: Woher um Himmels willen?

Ducky Donald sagte: »Also, wie sieht’s aus? Der Junge trifft sich in ein paar Stunden mit diesen Typen. Frau namens Sheemina February.« Ducky grinste.

2

Matthew Hartnell hatte ein Büro in einem tristen Gebäude auf der Harrington Street, einen Block vom Castle of Good Hope entfernt. Ein Viertel der Stadt, in dem nie viel passierte, weder tagsüber noch nachts. Nur einen Sprung von einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Kapstadts entfernt, verliefen sich selten Touristen hierher, diese Vogelscheuchen mit Kameras vor den Bäuchen. Stattdessen wankten Obdachlose und Kartonsammler durch die Straße, während Angolaner den Parkplatz bewachten. Maces kleiner roter Alfa Spider rief einige Aufregung hervor. Er ließ das Dach nach hinten geklappt, eine CD-Tasche im Handschuhfach, die Becker-Radioanlage eine funkelnde Einladung für jeden mit einem Schraubenzieher.

Ein Parkplatzwächter kam lächelnd auf ihn zugeschlendert.

»Hi, Cuito«, sagte Mace. »Den Arbeitsplatz gewechselt?« Das letzte Mal, als er den Angolaner gesehen hatte, war dieser noch Parkplatzwächter eines Einkaufszentrums in einem grünen Vorort gewesen. Hatte Mace den Gefallen getan, einen reichen Klienten im Auge zu behalten.

Cuito schenkte ihm ein breites, weiß strahlendes Grinsen. »Manchmal gefällt den ansässigen Xhosa unsere Arbeit nicht, Mr. Mace. Sie machen uns Probleme. Dann ist es das Beste, woandershin zu gehen.«

»Tut mir leid.«

Cuito zeigte auf den Spider. »Der ist hier sicher.« Nahm den angebotenen Zehner entgegen.

»Obrigado«, sagte Mace.

Die Eingangshalle von Harrington Street Nummer 23 war kalt und düster und stank nach Urin. Den Lift hatte man mit Brettern vernagelt, den Treppen alles Linoleum entrissen, das sie je bedeckt hatte. Mace stieg zu Matthew Hartnells Geschäftsräumen im ersten Stock hinauf. Sie lagen am Ende eines Korridors, in dem jede der Türen mehrfach gesichert war. Früher einmal hatte es hier vermutlich Milchglasscheiben gegeben, und die Leute hatten ihre Namen in dekorativen Schnörkelschriften eingravieren lassen. Obromowitz & Söhne, Juweliere. Jackman & Jackman, Schiffsausrüster. Jetzt hatte man keine Ahnung mehr, was hinter den geschlossenen Türen vor sich ging. Oder auch warum der Nachtclubbesitzer Matt diesen Ort für eine gute Adresse hielt. Mace klopfte. Matthew machte die Tür auf.

»Yo, der Wa-Waffenhändler«, begrüßte er ihn.

Mace schob sich an ihm vorbei ins Zimmer. »Komm mir nicht auf die Tour, Matt, okay? Ich tu deinem Dad einen Gefallen. Und kein Gras, bevor du jemanden treffen sollst.«

Ließ Matthew schmollen. »Ich br-br-brauche Sie nicht. Ich hab mei-meine ei-eigenen Jungs. Um mich k-k-kümmert man sich besser als um den Präsidenten. Ich k-kann das selbst erledigen.«

Mace dachte: Ich, ich, ich, Scheiße. Er musterte den dürren jungen Kerl mit seiner Beanie, den Baggy Pants und einer Bomberjacke, die mal trendy gewesen war, als Neil Young noch Heart of Gold gesungen hatte.

»Matt«, sagte er. »Matt, wir sprechen hier von ›People Against Gangsters and Drugs‹. Du hast die Bilder gesehen. Die sind ernsthaft bewaffnet. Wie viele Bomben waren das? Wie viele Tote? Fünfzehn? Zwanzig? Ich weiß es nicht. Aber das sind die Leute, die dir gleich einen Besuch abstatten.«

Matthew klopfte mit dem Handy gegen seine Vorderzähne. »Ich ka-kann das allein.«

Mace warf einen Blick aus dem Fenster. Das nächste Gebäude war nur eine Armlänge entfernt. Er musterte flüchtig die vier Plastikgartenstühle, den heruntergekommenen Schreibtisch und den grau-grünen Aktenschrank, die als Büroeinrichtung dienten. Zog einen Stuhl neben den Tisch und setzte sich.

»Klar kannst du das. Wie lange müssen wir warten?«

Matthew ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder.

»Da s-sind sie«, sagte er. Auf der Betontreppe war der Widerhall von hochhackigen Schuhen zu hören.

Sie traten ein: zuerst eine Frau, dann ein dicker Mann, schließlich ein Schlägertyp, der so viel trainiert hatte, dass Hals und Kopf eine Einheit bildeten. Die Frau wirkte ausgesprochen gepflegt: seidener Hosenanzug, Fingernägel wie perfekte Blutstropfen an der rechten Hand, die linke in einem schwarzen Handschuh, pflaumenfarbener Lippenstift. Augen eisig blau, ein Seidenschal über den Haaren, der für Mace eine bloße Äußerlichkeit war. In der behandschuhten Hand hatte sie einen Lederaktenkoffer, Anwaltsstil.

Sie hieß Sheemina February, war Seniorpartnerin in der Firma Fortune, Dadoo & Moosa, Anwälte der Anti-Drogen-Bürgerwehr. Soweit Mace wusste, hatte sie Matthew angerufen und ein Treffen vorgeschlagen, das sicherlich auch in seinem Interesse sei, wie sie meinte.

Der Fette war ein Markennamentyp, alles an ihm sah nach Labels aus. Goldene Armbanduhr. Goldene Manschettenknöpfe. Offenes Hemd unter einem Lederjackett. Sehr kurze Haare, so dass sein Schädel nur noch mit einem schwarzen Flaum bedeckt war. Seine Wangen von Akne gezeichnet, seine Vorderzähne spitz zugefeilt. Mace erkannte das Gesicht: Abdul Abdul, wegen zweifachen Mordes angeklagt, gegen Kaution frei. Seine Spezialität Kugeln in den Hinterkopf.

Der Muskelprotz trug falsche Schlangenlederschuhe und einen schwarzen Anzug. Mace beobachtete, wie er sich neben der Tür positionierte, so wie es die Typen immer in den Filmen machten. Das Seltsame an ihm war nur, dass er weiß war.

»Matthew?«, fragte die Frau und sah Mace stirnrunzelnd an, als ob sie ihn erkennen würde, ehe ihr Blick von ihm zu Matthew wanderte.

»Mr. Matthew Hartnell für Sie«, sagte Mace.

Sie wandte sich ihm abrupt wieder zu. »Und Sie sind?« In ihrem Gesicht eine gewisse Aggressivität.

»Egal. Bin einfach dabei.«

»Er ist mein Be-berater«, sagte Matthew.

»Ein Rechtsanwalt?«

»So was Ähnliches.«

Sie streckte Matthew ihre Hand entgegen. Nachdem er sie geschüttelt hatte, reichte sie diese auch Mace. »Mr. Berater …«

Er ignorierte den Sarkasmus und nahm die ausgestreckte Hand: kalt, fest. »Wer ist der?«, fragte er und wies auf den weißen Muskelprotz.

»Ein Freund«, sagte Abdul. »Mikey. Sag brav Hallo, Mikey.«

»Hi«, sagte Mikey, die Stimme tonlos, nasal.

Sheemina February und Abdul setzten sich auf die zwei Stühle, die vor Matthews Schreibtisch standen. Sie legten ihre Handys vor sich auf den Tisch, wo sich bereits das von Mace und das von Matthew befanden. Sheemina February stellte ihren Aktenkoffer auf den Boden, blickte dann Matthew an und sagte: »In Ihrem Club werden Drogen verkauft, und das gefällt uns nicht.«

Matthew schüttelte den Kopf. »N-n-nein, das kann n-n-nicht sein. So wa-was passiert da nicht. Ga-ga-garantiert nicht.«

Sheemina February zuckte mit den Schultern. »Vielleicht glauben Sie das, aber das stimmt nicht.«

»Ich l-l-lasse keine Drogen zu«, sagte Matthew. »Nicht mal Gr-gr-gras.«

Mace wunderte sich, wie der Junge so unverfroren lügen konnte. Offenbar doch etwas von dem alten Herrn geerbt.

Abdul Abdul lachte. Sheemina February beugte sich nach unten und holte einen durchsichtigen Plastikbeutel voller Sticks und Haschbröckchen aus ihrem Aktenkoffer, den sie auf den Schreibtisch warf. Lässig. Cool.

»Ganja«, sagte Abdul und lachte erneut, rau und hässlich. »Bestes Cannabis«, fügte er hinzu. »Verdammt erstklassiges Gras.«

Mace zog seine Augenbrauen hoch, ließ den Beutel jedoch liegen.

»Wurde einem unserer Leute gestern Abend in Ihrem Club verkauft«, sagte Sheemina February.

»Da-da-das behaupten Sie«, entgegnete Matthew.

»Stimmt.« Sheemina February klopfte mit dem Finger auf den Beutel. »Aber wir haben keinen Grund, Sie anzulügen.« Sie sahen sich an. Matthew wandte als Erster den Blick ab. »Sie behaupten also, dass Sie dieses Zeug nicht zulassen. Dann sind wir ja einer Meinung, Matthew. Wir sind also beide gegen Drogen und Gangster.«

»Wem zahlt ihr Schutzgeld?«, mischte sich Abdul Abdul ein und zählte einige Namen auf: »Den Twenty-eights? Den Americans? Den Pretty Boys?«

»K-K-Keinem«, erwiderte Matthew.

Abdul ließ die schlechte Imitation eines Lachens hören. »Den Americans«, sagte er. »Lass den Scheiß, ich weiß sowieso Bescheid.«

»Es geht nicht nur um das Gras«, meinte Sheemina February. »Sie verkaufen auch harte Sachen.«

»Un-un-unmöglich«, erklärte Matthew.

Sheemina February holte einen weiteren Beutel aus ihrem Aktenkoffer und legte auch diesen auf den Tisch. »Heroin«, sagte sie.

»Könnte genauso gut Talkumpuder sein«, meinte Mace. »Das wissen wir nicht.«

»Probier’s.« Abdul schob Matthew den Beutel zu. »Nimm etwas, mein Freund, das ist doch deine Szene.«

»Glauben Sie mir«, sagte Sheemina February und legte ihre Hand auf das Päckchen.

»Wenn Sie das alles haben«, meinte Mace, »warum gehen Sie dann nicht zur Polizei?«

Abdul Abdul schnaubte verächtlich. Sheemina February lächelte einen Moment lang und wandte sich wieder Matthew zu.

»Das hier bringt unsere Kinder um.« Sie hielt den Beutel mit Heroin hoch.

»Sie haben die Beweise? Rufen Sie die Bullen«, sagte Mace. »Der Mann hat Ihnen doch schon erklärt, dass er keine Ahnung hat.«

Abdul Abdul warf Mace einen gereizten Blick zu und winkte dann ab.

Das flüchtige Lächeln zeigte sich erneut auf Sheemina Februarys plaumenfarbenen Lippen. »Mr. Berater, die Polizei würde den Club Ihres Mandanten sofort schließen lassen.« Sie sah ihn direkt an. »Wollen Sie das?«

»Nein«, mischte sich Matthew ein. »Nein. Es muss ei-eine Mö-Möglichkeit geben, dass wir uns ei-einigen.«

»Gut, das denke ich auch. Es ist im Grunde ganz einfach, Matthew. Die Drogen müssen aufhören.«

Ein »Oder« brauchte nicht ausgesprochen zu werden. Sie legte den Beutel wieder auf den Tisch. »Also, wir können Ihnen folgendermaßen helfen.«

»Sie we-werden mir nicht helfen«, entgegnete Matthew. »W-wir ei-einigen uns so, dass Sie si-si-sich verpissen.«

Eine Stille, eine plötzliche Stille, die so lange andauerte, dass Mace das ferne Rauschen der Stadt wahrnahm. Er ließ seinen Blick von einem Gesicht zum anderen wandern: Sheemina February amüsiert, Matthew auf seine Hände starrend, Abdul mit einem nervösen Zucken unter seinem rechten Auge.

Abdul Abdul gab als Erster klein bei. Er griff nach seinem Handy und fuchtelte damit vor Matthews Nase herum. »Wir haben’s dir klar und deutlich gesagt!«, rief er. »Wir haben dir klar und deutlich gesagt, dass das aufhören muss!«

Sheemina February legte ihre Hand auf Abduls Arm. Er schüttelte sie ab. Sagte: »Du hältst das Ganze wohl für ein Spiel, was, Freundchen? Du findest es witzig, all diese Drogen zu haben, oder? Du willst Ecstasy? Ich kann dir so viel Ecstasy ins Maul stopfen, dass du einen Höllentrip hast. Du bist nur ein Haufen Scheiße. Du bist ein kleiner Haufen Scheiße, mein Freund.«

Matthew stand auf. Der Muskelprotz verließ sofort seine Stellung neben der Tür und trat näher an seinen Boss heran, wobei er seine Jacke zur Seite schob, um eine Achtunddreißiger zu enthüllen, die in seinem Gürtel steckte.

»W-w-was wollt ihr ma-machen?«, gab Matthew zurück. »Eine Rohr-Rohrbombe in mei-meinem Club zünden? Lauter un-un-unschuldige Menschen tö-tö-töten, wie ihr das in diesen Lo-Lokalen gemacht habt? Einem Kid die Fü-Füße wegknallen, um mich zu wa-wa-warnen? Wer ist hier der Hau-Haufen Scheiße?«

»Pass auf, Freundchen.« Abdul Abdul war inzwischen auch aufgestanden. Speichel sammelte sich in einem seiner Mundwinkel.

Sheemina February sagte leise: »Still.« Sagte es lauter, ohne jedoch zu brüllen und den Blick von Mace abzuwenden. »Still, seid beide still.« Mace ließ sie gewähren. Er mischte sich nicht ein, sondern hielt so lange ihrem Blick stand, bis sie schließlich wegsah. Überlegte, ob sie sich schon einmal irgendwo begegnet waren. Was hatte es mit dieser Frau auf sich? Ihr Gesicht kam ihm irgendwie bekannt vor. Aber warum? Von wann? Aus jener Zeit, als es noch jede Nacht eine andere Frau gegeben hatte? Eine nach der nächsten, so wie die endlose Kette der Drinks?

Matthew, der Drogendealer, und Abdul Abdul, der Auftragskiller, blieben still.

»Setzen Sie sich, Matthew«, sagte sie. »Setzen Sie sich, und hören Sie mir genau zu.« Er gehorchte – ebenso wie Abdul. »Hier ist mein Vorschlag. Sie trennen sich von Ihren bisherigen Sicherheitsleuten. Sowohl von Centurion als auch von den Americans. Sie schließen für eine Woche. Sie sind nett zu Abdul, und dann helfen wir Ihnen wieder auf die Beine. Nichts Wesentliches wird sich ändern, es wird bloß etwas anders organisiert.«

Matthew würgte. Er wirkte wutentbrannt und brachte nur mühsam den ersten Teil eines Wortes hervor. »Ve-ve-ve«, stotterte er.

Sheemina February wartete. »Sie wollten sagen?«

»Ve-ve-ve.«

Sie wandte sich an Mace. »Vielleicht sollten Sie ihn beraten, Mr. Berater.«

Mace setzte sich aufrecht hin und kippte dann den Plastikstuhl nach hinten. Die Sache mit Sheemina February, so vermutete er, waren ihre ruhigen blauen Augen in dem olivfarbenen Gesicht. Augen aus einem nordischen Eisland. Ungerührte Augen. Die Art von Augen, an die man sich erinnerte. Augen, die sich über alles lustig machten. Wie ihr Lächeln. Das Violett ihres Lippenstifts vor den weißen Zähnen. War sicher leicht, davon eingelullt zu werden und zu glauben, dass aus ihr die Stimme der Vernunft sprach.

»Und?«

Er ließ den Stuhl wieder nach vorn kippen. »Wie viel Prozent kriegen Sie?«

Sie zeigte die Spitzen ihrer Zähne. »Wenn ich bitten darf, Mr. Berater. Matthew bezahlt für unsere Dienste. Nichts anderes, als was er bisher getan hat, nur sind wir günstiger. Und wir stellen sicher, dass er sauber bleibt. Ein Riesenvorteil.« Sie bedachte Mace mit einem strahlenden Lächeln, ehe sie sich wieder an Matthew wandte. »Also, Matthew, was meinen Sie?«

Matthew sagte: »Ve-ve-verdammt.«

»Überlegen Sie.« Sheemina February erhob sich. »Beraten Sie sich mit Ihrem Berater.« Sie legte eine Visitenkarte auf den Schreibtisch. »Lassen Sie mich heute Nachmittag wissen, wie Sie sich entschieden haben. Vor Ende der Geschäftszeiten.« Ein Lächeln. »Wenn Sie nicht anrufen, nehme ich an, dass Sie unser Angebot ablehnen. Ihre Entscheidung. Das ist ein freies Land.«

Sie ließ ihren Aktenkoffer zuklappen und nahm ihr Handy an sich. Der Muskelprotz beugte sich vor und fegte die Beutel mit den Drogen in die Tasche.

»Denkt darüber nach, meine Lieben«, sagte Abdul Abdul und biss sich mit seinen spitzen Reißzähnen in die Unterlippe. »Wir machen uns echt Sorgen um euch.«

»Bye-bye«, verabschiedete sich Sheemina February. Das Muskelpaket schob sich an ihr vorbei, um die Tür zu öffnen. Er trat als Erster in den Korridor hinaus, sie folgte. Abdul schüttelte sein Handgelenk, um das goldene Armband seiner Uhr klimpern zu lassen. Er zeigte mit dem Handy auf Matthew und hob es an die Lippen – tat so, als würde er Rauch von einem Gewehrlauf blasen. Dann war er verschwunden. Die Tür blieb offen. Mace lauschte dem Widerhall von Sheemina Februarys Absätzen – zuerst im Korridor, schließlich die Treppe hinunter. Er stand auf, schob den Plastikstuhl an seinen Platz zurück und ging zur Tür. Auf dem Weg nach draußen hielt er noch einmal inne. »Ich hab mit Donald vereinbart, dich zwei Wochen lang zu beschützen. Lass mich wissen, was du tun willst.«

»Wa-was denken Sie?«, entgegnete Matthew. Er hatte seine Stimme wiedergefunden, auch wenn sie noch etwas zittrig klang. »Denken Sie, dass ich den Laden ei-ei-einfach dichtmache, wie sie da-das will? Die kann mich mal. Ve-verdammt, Mann, die kann mich mal!«

Mace zuckte mit den Achseln. »Du bist ein Drogendealer, Matthew. Du hast einen Club, in dem man leichter an Coke kommt als an Cola. Und außerdem machst du mir gerade mein Leben schwer.«

»Dann ve-verpissen Sie sich.«

»Würd ich gern, aber leider hab ich diese Verpflichtung.«

»Nicht mir gegenüber.«

Mace schüttelte den Kopf. »Das ist eine Ehrensache, Matthew. Etwas, was du nicht verstehen würdest.«

Matthew holte einen Joint aus den Tiefen seiner Jeanstasche und entzündete ihn mit einem Bic, ehe er einen langen Zug tat. Nachdem er den Rauch ausgeatmet hatte, hustete er. Meinte: »Ich-ich-ich will Sie nicht, China. Ich we-werd schon beschützt. Von erfahrenen Leuten. El-el-elektronische Ü-Ü-Überwachung. Metalldetektoren. Die-die-die werfen keine Bo-Bombe auf mich.«

»Träum weiter.« Maces Handy klingelte. Pylons Name auf dem Display. Während er abhob, sprach er noch mit Matthew. »Noch was. Wenn ich nichts von dir höre, treffen wir uns um Viertel nach vier in deinem Club.«

»Und?«, meinte Pylon an seinem Ohr. »Haben wir einen neuen Kunden?«

»Ein Gratisgeschenk.«

Pylon stöhnte. »Was willst du damit sagen?«

Mace erzählte ihm alles. Ließ auch den pflaumenfarbenen Lippenstift nicht aus, wobei er das Beste bis zum Schluss aufhob: Cayman und Techipa.

Von Pylon eine lange Pause. Dann: »Herr im Himmel.« Dann: »Glaubst du, er weiß Bescheid, oder hat der nur ins Blaue geraten?«

»Bei Cayman wär’s möglich. Diese Banker behaupten zwar, sie seien verschwiegen wie ein Grab, aber hier und da sickert doch was durch. Wenn man sich dafür interessiert.«

»Wir haben keine Hinweise gegeben. Kein Luxusleben. Geschäft so lala.«

Mace meinte: »Wenn er’s verrät, sind wir geliefert. Und zwar gewaltig.«

Pylon erwiderte: »Was ich nicht versteh, ist Techipa. Waren doch alle tot.«

»Irgendjemand offenbar nicht.«

»Er hat mit den Waffen angefangen? Einen Gefallen, den wir ihm noch schulden und so?«

»Ja.«

»Ich hatte die Waffen ganz vergessen.«

»War auch vor langer Zeit in einem anderen Land. Wenn er’s nicht gewesen wäre, hätt’s ein anderer gemacht. Wir hätten sie letztlich immer gekriegt.«

Nur war es letztlich eben Ducky Donald gewesen, der sie vor dem gerettet hatte, was für sie möglicherweise DAS ENDE mit durchschnittenen Kehlen bedeutet hätte. Mace erinnerte sich daran, dass der Araber nicht sehr glücklich gewesen war, als seine Lieferanten auf einmal einen Engpass vermelden mussten. Ganz gleich, wen die beiden Partner auch kontaktierten – es gab zu jenem Zeitpunkt in jener Ecke der Sahelzone nichts, was ihren aufgebrachten Käufer beschwichtigt hätte. Bis ein verzweifelter Anruf bei Ducky Donald das Erforderliche hervorzauberte, aus einem geheimen Waffenlager in einem Grubenschacht in Johannesburg. Mace fragte nie nach, woher die RPGs stammten. Nur so viel: Er vermutete, dass Ducky Donald auch mit der südafrikanischen Armee handelte. Für ihn war Geschäft immer Geschäft. Für Mace und Pylon war Geschäft damals Revolution. Was nach einer Weile etwas kurios anmutete. Und jetzt regelrecht idealistisch, dachte Mace.

»Wir könnten ablehnen«, meinte Pylon. »Ihn zwingen, seinen Bluff zuzugeben.«

Mace tat den letzten Schritt durch das nach Urin stinkende Foyer. »Könnten wir. Nur dass Ducky das nicht tut. Bluffen. Er würde es rumerzählen, und das wär’s dann. Ciao, Kapstadt.«

»Na toll.«

»Genau. So weit zu alten Kampfgefährten. Was ich mir dachte: Besser zwei Wochen lang die Kröte schlucken und danach zu einer runden Vereinbarung kommen.«

»Das klappt, glaubst du?«

»Wird ein Eiertanz. Den wir früher doch so gut draufhatten. Das übliche Pylon-und-Mace-Programm eben.«

Daressalam 1984: ein Haus an der Küste, nördlich der Stadt. Altes Strandhaus im Kolonialstil. Fenster mit Fensterläden, an drei Seiten eine überdachte Veranda mit Glastüren zu den Schlafzimmern. Ein kurzer Weg von der Veranda über die Dünen zum Strand bis ins Meer hinein – lauwarm und salzig.

Sie verbrachten einen Monat dort, warteten, spielten Backgammon. Warteten auf den Käufer, dass er seine Ware abholte. Niemand kam, tagein, tagaus. Manchmal segelte eine Dhau am Horizont vorbei. Das Licht gleißend grell. Zum Essen nur Fisch und Kokosnuss. Im Haus Antipersonenminen, eine Auswahl an Gewehren, kanadische Sterling-MPs, weitere Maschinenpistolen von MAT und Madsen, einige chinesische Neunundsiebziger. Schwitzen in der Hitze. Genügend Waffen, um einen afrikanischen Diktator zu entthronen. Alles ordentlich in den Zimmern verstaut, wo früher einmal die Kolonialherren ausgelassen ihr weißes Unheil angerichtet hatten.

Mace und Pylon saßen in der Klemme. Sie hatten nichts mehr flüssig, da ihr Mittelsmann bar bezahlt werden wollte. Wenn der Deal schieflief, konnten sie das Zeug auch anderswo losschlagen – mit der Zeit. Und das mit der Zeit war das Problem. Jeder Tag erhöhte das Risiko, dass irgendwelche Gangster die Ware ohne Bezahlung an sich brachten. Sie schwitzten. Nachts dann der Eiertanz. Bis der Deal über die Bühne war und sie die Bezahlung in drei Koffern davontrugen. Wer es aussitzt, der sitzt es aus. Das erste Mal, dass sie eine fette Provision kassierten.

Freetown 1986. Auf der Start- und Landebahn wurden die Waffen von einer Hercules in drei UNO-Laster geladen, um zu einem Warlord in den Hügeln gebracht zu werden. Bis ein besseres Angebot auftauchte. Kam vielmehr mit quietschenden Reifen in Gestalt eines Landrovers aus einem Zuckerrohrfeld geschossen: drei Soldaten, einer am Steuer, zwei auf der Rückbank, bewaffnet mit brasilianischen Urus. Und ein Mann in einem Smoking auf dem Beifahrersitz. Smoking legte sein Angebot in bar – US-Dollar – auf die Kühlerhaube des Landrovers. Mace zählte nach. Meinte zu Pylon: »Überlassen wir sie ihm.« Zum Glück würden sie ja tout de suite mit der Hercules davonfliegen. Pylon war unsicher. Sie plauderten. Pylon meinte, der Warlord sei jemand, den sie schon früher beliefert hätten. Einer, der ihnen wieder Ware abnehmen würde, wenn er am Leben blieb. Mace entgegnete, dass sie mit einem Anruf bei ihrer neuen Waffenlieferantin Isabella in zwei, maximal drei Tagen alles noch mal verkaufen könnten. Beide behielten währenddessen Smoking im Auge, der abseits stand und geduldig in die Ferne starrte, während sie abwägten. Entschieden sich schließlich fürs Bare. Smoking brauste davon, die Laster folgten. Hatte kein einziges Mal während der ganzen Transaktion gelächelt.

In der Luft gab Mace dem Warlord durch, dass die Lieferung geraubt worden sei. Würden in zwei Tagen mit neuer Ware wiederkommen. Innerhalb von zwei Tagen war der Mann tot. Mace und Pylon veranstalteten einen weiteren Eiertanz, leiteten die neue Lieferung, von Isabella auf die Beine gestellt, nach Sierra Leone. Das übliche Mace-und-Pylon-Programm. Ein üppiger Batzen landete auf dem Cayman-Konto.

»Wisst ihr, Jungs«, hatte Isabelle gesagt, »ohne mich wärt ihr jetzt tot. Oder Schlimmeres.« Mace gab es nur ungern zu, aber das entsprach der Wahrheit – trotz geschicktem Eiertanz.

»Immer flexibel bleiben«, sagte er jetzt zu Pylon. »Vor allem wenn es um Ducky Donald geht. Ganz cool. Denk nicht zu sehr darüber nach, was er in der Hand hat.«

»Wir könnten das Konto woanders eröffnen.«

»Könnten wir. Für den Moment ist es aber das Beste, nach seiner Pfeife zu tanzen.«

Pylon stimmte zu. Wollte wissen: »Kommst du heute eigentlich noch ins Büro?«, während Mace über die Harrington Street zum Parkplatz hinüberlief. Cuito schlenderte bereits auf ihn zu, grinste von einem Ohr zum anderen.

»Muss erst Oumou abholen, damit wir uns ein Haus ansehen. Dann noch Christa von der Schule. Vielleicht am Nachmittag. Falls nicht – um Viertel nach vier im Club Catastrophe. Könnte übrigens ein passender Ort für dich sein, Treasure zum Abtanzen einzuladen.«

»Steht sicher ganz oben auf Treasures Liste.«

»Puppen lieben diesen Beat.«

»Wir reden hier von einer Mama mit ihrer Tochter, im selben Alter wie die deinen.«

»Trotzdem ’ne Puppe.«

»Treasure war noch nie ’ne Puppe.«

Sie legten auf. Cuito grinste Mace an, während er die Schlüssel des Alfas aus der Tasche seiner Jacke fischte.

»Die Leute, die Sie hier besucht haben – sind das die Muslime gewesen?«, fragte er.

Mace schob seine Sonnenbrille nach unten, um den Angolaner über den Rand hinweg anzusehen.

»Waren schon gestern hier. Rumgefahren. Der Fette ist die Treppe rauf.«

Mace warf den Schlüsselbund von einer Hand in die andere. »Wieso glaubst du, dass ich das wissen will?«

Cuito lachte. »Ich hab Augen im Kopf.«

»Kennst du auch den dürren Kerl, der da oben ein Büro hat?«

Cuito nickte.

»Hör zu. Wenn du die Typen wiedersiehst, rufst du mich an.«

»Für wie viel?«, fragte er.

»Wird sich lohnen.« Mace holte sein Portemonnaie heraus.

»Auch im Club?«

Mace lachte. »Cuito, du weißt offenbar einiges.«

»Vieles, Mr. Mace, vieles«, erwiderte er. Seine Finger legten sich um einen weiteren Zehner.

3

Mikey, auf dem Beifahrersitz des weißen Toyotas, sagte: »In den Gelben Seiten gibt’s einen Verein namens DAWG, wo man Katzen kriegen kann. In Hout Bay.«

Der Schwarze hinter dem Lenkrad meinte: »DAWG hat Katzen?«

Mikey hielt den Finger auf der Anzeige. »Warum nicht? Das ist ein Pseudonym, Val. Wie PAGAD.«

»Ein Akronym.«

»Hä?«

»Es ist ein Akronym. DAWG steht für etwas. Ein Akronym. Pseudonym ist was anderes. Wie Madonna.«

»Madonna mit den spitzen Titten?«

»Das macht die nicht mehr.«

»Nein? Schade.« Er warf erneut einen Blick auf die Anzeige. »Da steht, dass die auch Zwinger haben. Leute bringen ihre Haustiere da hin, wenn sie sie loswerden wollen. So wie die SPCA.«

»Klingt gut, solange sie wirklich Katzen haben. Du hast gehört, was Abdul gesagt hat. Müssen Katzen sein. Und zwar kleine Kätzchen.«

Val fuhr die Ausfahrt Richtung Constantia ab. Die Verkehrsschilder wiesen nach Hout Bay über den Nek, eine Fahrt, die er gern an einem Sonntagnachmittag mit einer neuen Tussi an seiner Seite unternahm. Eine Fahrt um die Halbinsel – auf der einen Seite das Meer, auf der anderen die Berge. 1A-Eindruck. Noch für jedes Täubchen romantisch. Unter den Eichen entlang. Den Berg hinauf, wo all diese schicken Herrenhäuser links und rechts von der kurvenreichen Straße zur Hout Bay hinabblickten. Das Einzige, was nach Vals Ansicht den guten Eindruck ruinierte, war diese Siedlung mit Illegalen – Imizamo irgendwas, ein Zungenbrecher –, gleich dort oben auf dem Berg, eine überschwappende Sickergrube menschlichen Abfalls. Bei jedem Regen wurden Fäkalien von hier den Hügel hinabgespült. Man konnte die Weißen im Tal verstehen, wenn sie sich da aufregten.

Mikey sagte: »Hout Bay ist im Arsch. Unter den Illegalen geht’s voll ab. Hab gehört, dass eine schwarze Familie aus Jo’burg hierhergekommen ist, um am Argus-Rennen teilzunehmen. Die buchen dieses teure Gästehaus mit voller Security, Patrouille, Elektrozaun, allem Drum und Dran. Steht der schwarze Daddy nachts auf, weil er mal muss, und dann ist da plötzlich ein anderer schwarzer Daddy im Flur, der eine Einkaufsliste aus dem Barackenland mit dabeihat, und der knallt ihn einfach ab. Peng! Neun-Millimeter, mitten in die Brust.«

»Nicht gut für die Stadt, so was.«

»Da hast du recht, Bru.«

Val sah die Hinweisschilder für das Tierheim. Fuhr über die Brücke, bog in eine Seitenstraße ab. Wieder hinunter ins Tal, am Fluss entlang, fort vom Meer. Hier wurden die Grundstücke größer, und die Straßen waren nicht mehr geteert. Auf einem Schild über dem Eingangstor stand: DOMESTIC ANIMAL WELFARE GROUP. Er parkte den Wagen am Straßenrand. Sie liefen einen Pfad entlang zu einem Gebäude im Ranchstil, das unter Blauen Eukalyptusbäumen stand. Alles lag im Schatten. Das Haus hätte dringend einen neuen Anstrich gebraucht, eine Glasscheibe in der Tür war gesprungen. Ein Zettel an der Klingel wies den Besucher darauf hin, dass man läuten müsse.

Das taten sie. Und noch einmal. Zwei weitere Male folgten, ehe eine Frau mit einem Papagei auf der Schulter öffnete. Einige Welpen tollten kläffend um ihre Beine. Mikey fiel auf, dass die Frau Schaffellhausschuhe trug, die so aussahen, als wären sie bereits von mehreren Hunden heftig zerkaut worden.

Beide sagten »Guten Tag, Ma’am«. Schenkten ihr ein strahlendes Lächeln.

Wen die Frau vor sich sah, waren zwei gepflegte, sympathische junge Männer in Baumwollhosen und Polohemden mit V-Ausschnitten, in denen ihre Sonnenbrillen steckten. Sie nahm auch einen Hauch von Aftershave wahr.

Val sagte: »Wir sind von Mitchell’s Plain Baptist Congregation, Ma’am. Ich bin Val, das ist Mikey, und wir organisieren gerade eine Party für ein Waisenhaus, das von unserer Kirche geführt wird.«

Mikey streckte ihr einen Brief mit einem gedruckten Briefkopf entgegen. »Hier ist unsere Adresse mit der Registrierungsnummer unseres Wohltätigkeitsverbands, Ma’am. Wenn Sie unseren Pastor anrufen möchten, wird er Ihnen unseren Auftrag gern bestätigen.«

Sie warf kaum einen Blick auf das Blatt Papier. »Was wollen Sie?«

»Gott segne Sie«, sagte Mikey.

Val sagte: »Wir hoffen, dass Sie zwölf Kätzchen für uns haben, die ein neues glückliches Zuhause suchen. Wir möchten unseren Waisen ein paar Haustiere überantworten, um die sie sich kümmern können. Natürlich unter unserer ständigen Aufsicht.«

»Im Namen des Herrn, des Allmächtigen«, fügte Mikey hinzu, »wollen wir unseren jungen Zöglingen die Möglichkeit geben, ein vernachlässigtes Tierchen ins Herz schließen und ihm ein echtes Zuhause bieten zu dürfen.«

»Ach«, meinte die Frau. Der kleine Papagei auf ihrer Schulter pickte an ihren Haaren, und sie schüttelte den Kopf, um ihn davon abzubringen.

»Wir müssten Sie allerdings bitten, dass Sie die Kätzchen unserer Kirche schenken, Ma’am, denn die Statuten unserer Kirche verlangen, dass wir unsere finanziellen Mittel ganz und gar dem Waisenhaus zugutekommen lassen.«

»Tatsächlich?«, fragte die Frau und blickte von einem zum anderen, ehe ihre Augen an Vals Gesicht hängenblieben. »Na schön. Ich habe ein paar junge Katzen, die ich Ihnen geben kann. Sie müssen mir aber versprechen, sich wirklich um sie zu kümmern.«

»So wahr uns Gott helfe«, erwiderte Mikey.

»Wir sind Christenmenschen, Ma’am«, meinte Val.

Sie folgten der Frau durch das düstere Haus, das nach Katzenurin roch, bis sie zu den Käfigen im hinteren Hof gelangten. Dort gab es reihenweise traurig wirkende Hunde, Katzen, die zusammengerollt in der Sonne schliefen, sowie Kätzchen in einem Holzverschlag, der bestialisch stank.

»Sie sind aus zwei Würfen«, sagte die Frau. »Ich musste sie mit der Hand aufziehen, weil es ihre Mütter nicht tun.« Sie starrte die Männer an. »Sie wissen, wie man junge Katzen füttert?« Die beiden schüttelten den Kopf. Sie zeigte ihnen, was sie tun mussten, und erklärte, wie viel Futter jede der Katzen brauchte.

»Kein Problem«, meinte Val. »Die Kinder sind sicher begeistert, wenn sie das übernehmen dürfen.«

Die Frau holte zwei Kartons und setzte jeweils die gleiche Anzahl an Kätzchen hinein.

»Gott möge es Ihnen vergelten«, sagte Mikey und nahm eine der Schachteln entgegen.

Die Frau warf ihm einen Blick zu, als könnte sie nicht ganz glauben, was sie gerade gehört hatte. Dann zeigte sie den beiden einen Weg, der um das Haus herumführte, um so zu ihrem Wagen zurückzukehren.

Die Männer stellten die Kartons mit den Kätzchen in den Kofferraum, und Val fuhr an der Küstenstraße unter dem Twelve Apostles Mountain vorbei. Er schaltete das Radio ein, wo gerade irgendein R-&-B-Song gespielt wurde. Trotzdem konnte man das leise Wimmern der Kätzchen hören.

»Ich hasse Katzen«, sagte Mikey. »Hunde auch.«

»Und was ist mit ihrem Vogel?«, fragte Val. »Der hat ständig auf ihren Pulli geschissen. Echt – manche Leute!«

»Total krank.« Mikeys Hand klingelte: Abdul Abdul.

»Ich hab Sheemina auf der anderen Leitung«, sagte Abdul. »Ich will ihr eine hübsche Geschichte erzählen können.«

»Wir fahren gerade durch Camps Bay«, erwiderte Mikey. »Lauter scharfe Babes am Strand. Mamis mit ihren Babys unter Palmen.«

»Lass den Scheiß«, entgegnete Abdul. »Wenn du Reiseleiter werden willst, können wir das gern arrangieren. Kriegst auch spezielle Konditionen für Querschnittsgelähmte.«

Mikey tat so, als würde er das Handy aus dem Fenster schleudern. Sagte: »Gib uns eine halbe Stunde, dann sind wir so weit. Mikeys Tapeziertrupp im Einsatz.«

Er hörte, wie Abdul seufzte: »Du kannst mich mal. Ich ruf den Tierschutz an.«

Mikey legte auf. »Was ist mit dem los?«

Val zuckte mit den Achseln und stellte sich vor, wie angenehm das Leben in einer Wohnung in Clifton wäre, mit dem Blick aufs Meer und auf die Berge. Eine Wohnung, wie sie Sheemina February hatte. Mitten unter den reichen Säcken.

4

Oumou bedachte das Haus mit einem einzigen Blick und sagte: »Nein.«

Fuhr in Französisch fort. Was er sich dabei gedacht habe? Hatte er denn ganz und gar den Verstand verloren? Wechselte wieder ins Englische, damit Mace sie auf keinen Fall missverstand. »Das ist eine Ruine. Wir werden in keinem kaputten Haus wohnen. Wir haben eine Tochter.« Sie gestikulierte in Richtung des überwucherten Gartens. »Da gibt es bestimmt schreckliche Insekten. Ein kleines Mädchen kann in keinem Garten mit schrecklichen Insekten spielen. Nein, nein, nein. Das Haus kommt nicht in Frage. Wir müssen ein neues bauen.«

»Ruhig! Immer mit der Ruhe, meine Beste. Reißen Sie Ihrem Mann nicht gleich den Kopf ab!«

Oumou wandte den Blick von Mace zu Dave Cruikshank, dem Makler.

»Meine Liebe«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. »Das hier ist Wonderland. Beatrix Potter – Sie wissen schon.« Er blies Rauch aus seinem Mundwinkel. »Holen Sie einfach einen Gärtner, der wird das hier in kürzester Zeit im Griff haben. Die Kleine wird glauben, dass jemand gezaubert hat.«

»Es ist eine Ruine«, erwiderte Oumou.

»Dann reißen Sie sie eben ab, meine Gute.« Dave schnippte Asche in die wilde Vegetation. »Was ich Ihnen und Mace hier zeige, ist ein Schnäppchen. Diese Sorte Immobilie kommt normalerweise gar nicht erst auf den Markt. Diese Sorte Immobilie ist so selten wie Regen in der Wüste.« Er entblößte seine Zähne. »Wenn Sie ein neues Haus bauen wollen, meine Liebe, dann tun Sie das. Bringen Sie Ihren Mace dazu, mit seinen Kumpeln in der Baubranche zu reden, und in sechs Monaten öffnen Sie die Tür zu einem funkelnden Foyer aus Travertinmarmor.« Er grinste erneut; seine oberen Zähne standen nicht ganz gerade. Legte eine Hand auf Oumous Arm. Sie schüttelte ihn ab. »Betrachten Sie nicht nur die Oberfläche, meine Schöne. Schauen Sie sich auch das Potential an, das hier drinsteckt.« Dave schob den Schlüssel ins Schloss der Haustür. »Und jetzt treten Sie etwas zurück. Das ist kein angenehmer Geruch.«

Bevor er mit Immobilien angefangen hatte, war Dave im Autogeschäft gewesen. Er hatte Mace den Spider verkauft – ein guter Deal und ein kluger Kauf. Nach einer Generalüberholung des Motors ein fantastischer Wagen. Wie Dave erklärte: »Das ist die Spitzenklasse der Siebziger-Alfas, Mace. Das Mindeste, was du tun kannst, ist eine Generalüberholung.«

Mace fand, dass es nun an der Zeit war, auch ihren Lebensstandard generalzusanieren. Aus der sicherheitsumzäunten Reihenhaussiedlung im Vorort in die Stadt ziehen. Wenn man in Kapstadt lebte, dann musste man in der City Bowl leben. Die Vororte auf der Halbinsel waren zu sehr House & Garden, die Küste befand sich auf beiden Seiten außerhalb seiner Preisklasse – sowohl in Richtung Atlantik als auch in False Bay. Er wollte das Leben der Stadt genießen: die Sirenen, die Lichter, das Rufen des Muezzins, die dichten Nebelschwaden. Er wollte im Schatten des Berges wohnen, sein Herz schlagen spüren. Was er an der Stadt besonders mochte, war dieser große Klotz mittendrin. Wohin man auch blickte, der Berg ragte immer ins Sichtfeld. Er hatte erfahren, dass Dave nun mit Immobilien handelte. Also rief er ihn an. Der sagte: »Witziger Zufall, dass du gerade anrufst. Wir haben soeben ein Haus reingekriegt, das musst du dir anschauen, Mace.«

Oumou erklärte: »Nein. Dave ist nicht sauber. Wenn er was verkauft, dann ist da irgendwas faul dran.«

Mace meinte: »Schauen wir doch erst mal, was er zu bieten hat.«

Oumou entgegnete: »Ich weiß, was du tun wirst. Du wirst dieses Haus kaufen. Weil es ein Schnäppchen ist.«

Sie hingegen wollte nur Beton, Glas und Chrom. Diese Frau aus der Wüste, die ihr bisheriges Leben fast ausschließlich in einer Lehmhütte verbracht hatte, wollte Beton, Glas und Chrom. Mace kapierte es nicht.

Ehe Dave die Tür öffnete, erklärte er noch einmal: »Wie ich schon sagte, meine Liebe: Sie können es jederzeit abreißen. Aber warum sollten Sie das tun, wenn Sie hier doch bereits Wände und Böden haben? Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«

»Wir ziehen in die Stadt, um eine bessere Aussicht zu haben«, meinte Oumou.

Sie drehten sich zu dem Fenster, das auf die Stadt hinausschauen sollte. Vor dem Fenster befand sich eine Hecke, die derart dicht zugewuchert war, dass in ihr nicht einmal Vögel nisteten.

»Dann lassen Sie all das Kraut eben stutzen, meine Gute«, schlug Dave vor. »Und Sie kriegen den tollsten Ausblick, den Sie sich vorstellen können.«

Er öffnete die Tür. Das Haus verströmte einen Geruch von Moder, Staub, Fäulnis und Tod.

»Das ist zugegebenermaßen nicht so angenehm«, meinte Dave. Er holte zwei Taschenlampen heraus, von denen er eine Oumou reichte. »Wie ich schon sagte: Was wir hier haben, sind Träume, meine Schöne. Vergessen Sie die Gegenwart. Sehen Sie die Zukunft.«

Oumou reichte Mace die Lampe weiter, damit sie das Tuch, das sie sich um die Haare gebunden hatte, noch einmal wickeln konnte. Mace beobachtete sie und bemerkte dabei einen Fleck Ton hinter ihrem rechten Ohr, wo sie eine lose Strähne zurückgestrichen hatte. Auch ihre Latzhose war tonverschmiert. Ihre Segeltuchschuhe waren ebenfalls so fleckig und verklebt, als wäre sie durch Lehm gewatet.

»Heute ist mein Töpferkurs«, hatte sie erklärt, als Mace ihr von dem Hausbesichtigungstermin erzählte.

Dave hatte gesagt: »Das muss schnell gehen, mein Freund. Ich versuch die anderen noch hinzuhalten.«

»In einer Dreiviertelstunde«, hatte Mace zu Oumou gemeint. »Ich hol dich ab.«

»Was wir hier haben«, erklärte jetzt Dave, »ist der typische Fall einer Nachlassimmobilie. Der Besitzer ist vor zwanzig Jahren ins Heim gezogen. Letzte Woche gestorben. Der einzige Sohn in Kanada, und der will das Haus nur loswerden. Um es mal anzudeuten: Dem ist jeder Preis recht.«

»Und deine Kommission?«

»Orientiert sich am gewünschten Preis, der allerdings Verhandlungssache ist. Wenn du weniger zahlst, schuldest du mir was.«

Mace hörte, wie Dave an seinen Zähnen saugte. »Einverstanden?«

Mace warf einen Blick über Oumous Schulter in den Gestank und die Düsterkeit des Hauses. Zerfetzte Tapeten, alte Zeitungen, überall Fäkalien, auch von Menschen.

»Passen Sie auf die Dielenbretter auf, meine Liebe«, warnte Dave. »Einige sind etwas brüchig.«

Sie folgten ihm ins Haus – Mace zuerst, Oumou hinterher, ihre Hand an seinem Gürtel. Dave öffnete eine Tür, die ins Wohnzimmer führte. Lichtstrahlen fielen durch die Löcher und Risse in den Wellblechblenden vor den Fenstern.

»Denkt euch Sonne«, sagte er. »Denkt euch große Sofas, dicke Teppiche und noch mal Sonne, Sonne, Sonne. Im ganzen Zimmer Sonne. Eure Kleine liegt da vor dem knisternden Feuer und macht ihre Hausaufgaben.« Dave strich mit der Hand über die Kacheln des Kamins. Unter der Rußschicht zeigte sich ein mattes Grün. »Die sind original, mein Guter. Viktorianisch. Das ist es, was ihr hier kauft: Geschichte. Echtes altes Kapstadt. Elegantes Ambiente. Was meinen Sie, meine Liebe? Können Sie es sich jetzt besser vorstellen? Wie das alles schon bald ausschauen könnte?«

Mace ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die Wände wandern. Rußgeschwärzt, die Fußleisten angekokelt. In allen Räumen die gleichen Brandflecken, überall Schmutz und Dreck. Flaschen, zerbrochenes Glas, leere Dosen, Fäkalien, zu Staub vertrocknete Essensreste, Spinnweben, die über ihre Gesichter strichen. Oumou hinter ihm musste niesen und begann auf Französisch zu fluchen.

Dave sagte: »Wenn ich selbst etwas kaufen wollte, würde ich mir das hier auf keinen Fall entgehen lassen.«

»Wo liegt dann das Problem?«, wollte Oumou wissen.

Dave klopfte auf seine Hosentasche. »Ich hab nichts flüssig, meine Liebe. Dave Cruikshank ist leider blank.«

Er führte sie zum Eingangsbereich zurück. Eine Treppe verschwand in der Dunkelheit des ersten Stocks.

»Etwas wacklig«, sagte er und trat gegen die unterste Stufe. »Ihr müsst mir eben glauben: großartiger Ausblick von da oben.« Er lehnte sich vor, um eine Tür unter der Treppe aufzustoßen. »Aber jetzt schaut euch das an. Hier unten habt ihr noch den Originalkeller mit einem gestampften, unbefestigten Boden. Der Historiker, den wir an der Uni kontaktierten, meinte, er habe wahrscheinlich zu einem früheren Haus gehört. Er nimmt an, dass hier an diesem Teil des Bergs mal ein Farmhaus oder so was Ähnliches gestanden haben könnte. Wie klingt das? Ist das nicht Wahnsinn? Wenn du den wieder herrichtet, kannst du deine Cape-Rotweine da unten lagern und Wein-Connaisseur werden.«

»Willst du ihn uns nicht zeigen?«

Oumous Handy klingelte, und sie eilte in das warme Sonnenlicht hinaus, um abzuheben.

»Momentan ist es das Beste, wenn du mir einfach vertraust.« Dave machte wieder die Tür zu. »Sind vor allem Spinnen da unten. Der Historiker meinte, er würde da nicht hinunterwollen, ehe nicht alles ausgeräuchert sei. Offensichtlich nicht der Typ Mann, der gern in Pyramiden herumklettert. Bin ich allerdings auch nicht. Und? Was denkst du? Gefällt es dir?«

Mace nickte. Lauschte mit halbem Ohr Oumou.

Dave klopfte sich den Staub von den Händen. »Deine Frau spricht ursprünglich Französisch, nicht wahr? Schaut wie dieses Model aus. Diese Glatzkopftussi. Iman.«

»Sie stammt aus Mali. Ort namens Malitia. Eine dieser Lehmstädte.«

»Hab mich immer gefragt, was passiert, wenn’s da mal regnet. Diese Orte müssen doch einfach weggewaschen werden, oder?«

»Meistens tut’s das nicht. Regnen, mein ich.«

»Echt? Kein einziger Tropfen?«

Oumou kam wieder zu ihnen zurück. Sie streckte Mace ihr Handy entgegen. »Da ist eine Frau dran, die dich sprechen will.«

Mace nahm das Handy entgegen und meldete sich, aber die Verbindung war abgebrochen. Die Rückrufnummer war ihm nicht bekannt.

Hinter ihm fragte Dave: »Was denken Sie, meine Gute? Können Sie sich und Ihre Kleine hier vorstellen? Wie Ihr Mann den Rasen mäht?«

Noch ehe sie antworten konnte, fragte Mace, der das dumpfe Gefühl hatte, dass die Anruferin Sheemina February gewesen war: »Hat die Frau ihren Namen genannt?«

Oumou schüttelte den Kopf.

»Sie kannte aber deinen Namen?«

»Oui.«

»Hat sie irgendwas gesagt?«

»Nein. Sie hat nur gesagt: Mrs. Bishop, kann ich Ihren Mann sprechen?«

Dave sperrte die Haustür ab und trat dann vertraulich nahe an die beiden heran. »Kinder, ich will euch nicht unter Druck setzen, ganz und gar nicht. Die Sache ist nur die: Ihr steht ganz oben auf der Liste, aber die anderen holen auf. Jetzt ist eine schnelle Entscheidung gefragt. In vierundzwanzig Stunden hat dieses Haus einen neuen Besitzer. Wenn dieser Jemand ihr seid, würde mich das freuen.«

Maces Handy klingelte: Matthew Hartnell. »Sie-Sie-Sie müssen he-he-herkommen«, sagte der Junge. »In-in-in den Club. Jetzt.«

5

Im Auto meinte Mace, während er auf die Molteno Road hinunterzeigte: »Schau dir das an. Willst du denn diesen Anblick nicht jeden Tag haben?«

Die City von Kapstadt breitete sich unter ihnen aus, klar und strahlend. Der braune Dunst hatte sich gelichtet, die Sonne grell auf den Gebäuden. Auf der anderen Seite der Bucht sah man an der Westküste eine weiße Sichel von einem Strand. In der Ferne wirkte sie zum Greifen nahe, so dass man sogar fast das Atomkraftwerk dahinter erkennen konnte.

Mace war begeistert. »Oh, Mann.«

Oumou legte die Hand auf seinen Arm. »Oui, das ist schön. Aber nicht das Haus. Im Haus herrscht eine schlechte Atmosphäre.«

»Ach, komm schon.« Mace wurde langsamer, um an der roten Ampel neben dem Molteno Reservoir anzuhalten. »Es ist ein altes Haus. Lass uns einfach ein paar Leute holen, die alles neu streichen und herrichten. Wie Dave gesagt hat: Es geht darum, was aus diesem Haus werden kann, und nicht darum, was es jetzt ist.«

Oumou zog lächelnd ihre Hand fort.

Mace, das wusste sie, konnte eigensinnig und fordernd sein. Manchmal widerstand sie ihm und manchmal nicht. Diesmal wollte sie abwarten. Während des Wartens würde sich viel tun. Vielleicht würden sie in dieses Haus ziehen, vielleicht auch nicht. Sie lächelte weiter vor sich hin und dachte daran, wie sie sich ihm ganz zu Anfang standhaft widersetzt hatte, eigentlich gegen ihren Willen.

»Du bist zu uns gekommen, um Geschäfte zu machen. Du bist nach Malitia gekommen, um Waffen zu verkaufen. Du wirst auch wieder gehen«, hatte sie ihm erklärt. »Monatelang bist du weg. Dann kehrst du mit dieser Frau zurück – Isabella. Ich dachte, sie ist deine Ehefrau.«

»Isabella ist eine Geschäftskollegin. Eine Amerikanerin. Sie kann uns Waffen besorgen. Es geht ums Geschäft.«

»Du schläfst mit ihr. Das nennst du Geschäft?«

Mace hatte »Das ist vorbei« gesagt und nach ihrer Hand gefasst. Hatte sie zu sich gezogen.

Sie hatte über seine Unverfrorenheit gelacht und ihn weggestoßen.

In Paris waren die Männer auch so gewesen. Sie lernten sie kennen, redeten mit ihr, glaubten, sie könnten sie rumkriegen. Sie lehnte ab. Drei Jahre verbrachte sie damit, die Männer abzuwehren, auf die eine oder andere Weise. Vier- oder fünfmal musste sie ein Messer zu Hilfe nehmen, um sich klarer auszudrücken. Der Keramiker, für den sie arbeitete, fragte sie: »Warum machst du Töpfe, wenn so viele reiche Männer mit dir schlafen wollen?«

»Weil ich nicht mit ihnen schlafen will – und mit Ihnen auch nicht«, sagte sie.

Er starrte sie lüstern an. Immer wieder versuchte er, ihren Hintern und ihre Brüste anzufassen, bis sie ihm das Messer zwischen die Beine hielt und erklärte, sie würde ihm die Eier abschneiden, wenn er nicht aufhörte.

Als ihre Zeit bei ihm vorbei war, kehrte sie in die Wüste zurück, nach Malitia, um dort Gefäße aus dem Ton der Umgebung zu fertigen.

Der Töpfer sagte: »Bleib in Frankreich, dort verdienst du viel mehr Geld. Wir können eine Ausstellung für dich organisieren.«

Oumou bedankte sich. Vielleicht ein andermal.

Der erste Mann, den sie nach ihrer Rückkehr kennenlernte, war Mace Bishop. Er saß mit ihrem Bruder in einem Café, in dem sich nachmittags die Männer trafen, Hookahs rauchten und Kaffee tranken. Domino spielten. Er sah sie so an, wie das die französischen Männer getan hatten, sagte aber nichts. Am selben Abend kam er zu ihnen zum Essen. Er und der andere Mann, Pylon, scherzten mit ihrem Bruder.

Mace bewunderte ihre Gefäße. Sein Französisch war schlecht, und sie schlug ihm vor, sich auf Englisch zu unterhalten.

»Sie können Englisch?«, fragte er überrascht.

»Wie Französisch ist auch Englisch die Sprache der Waffen«, antwortete sie. »Als ich ein kleines Mädchen war, kam ein Mann hierher, so wie Sie. Ein Engländer. Wenn er nichts anderes zu tun hatte, brachte er mir Englisch bei.«

»Dann wird er wohl nicht sehr viel zu tun gehabt haben.«

Sie lachte. Während er sie anlächelte, fragte sie: »Warum müssen Sie hier Ihre Waffen verkaufen?«

Das Lächeln verschwand nicht. »Wegen des Geldes.«

Oumou warf einen Klumpen Ton auf die Drehscheibe, die ihr der französische Keramiker überlassen hatte. »Damit sich die Menschen gegenseitig umbringen. Damit sie Frauen und Kinder umbringen. Sogar Babys.«

»So ist das eben«, sagte er. »Auf der ganzen Welt.«

»Sie sind ein herzloser Mann.«

Daraufhin erzählte er ihr von seinem Land und dem Krieg dort und der Notwendigkeit, das zu finanzieren, was er den Kampf nannte. Er erzählte ihr nichts von Cayman. Nichts von seinem kleinen Schatz.

»Und das macht es richtig, Waffen zu verkaufen?«, fragte sie.

»Ich verkaufe denjenigen Waffen, die kämpfen müssen. So wie wir.«

»Kids.«

»In meinem Land haben sie die Zügel in die Hand genommen. Sie haben die Zukunft noch vor sich.«

»Leere Worte«, sagte sie und wandte sich ihrem Ton zu. Sie strich ihn glatt, machte ihn rund und begann schließlich eine Form zu bilden, die lang und elegant wie ihr Hals war. Sie brachte die Drehscheibe zum Kreisen und erlaubte dem Mann, der Waffen verkaufte, ihr zuzuschauen, während sie etwas Schönes erschuf.

Eine Weile widerstand sie ihm und seiner freundlichen Aufmerksamkeit, mit der er sie neckte. Er berührte sie nie, sondern brachte sie zum Lachen. Bei Sonnenuntergang liefen sie durch die staubigen Straßen, durch die Kasbah, wo Männer ihre Waren wegräumten, liefen die Stufen zur Stadtmauer hinauf, die einmal die Stadt umgeben hatte, blickten in das Wadi hinab, wo Jungen Fußball im Sand zwischen den Palmen spielten. Hinter ihnen riefen die Imame in ihren Moscheen die Gläubigen zum Gebet. Mace sagte: »Ich will mit dir schlafen.«

Die Worte überraschten sie. Sie erstarrte, wich zurück. »Sie kommen hierher nach Malitia, um Ihre Geschäfte zu erledigen. Sie bleiben einige Wochen hier, dann gehen Sie wieder. Wollen Sie mich jetzt als Ihre Sexgespielin?«

Mace kam auf sie zu. »Das habe ich nicht gesagt.«

»Halt.« Sie legte eine Hand auf seine Brust. Starrte ihn an. »Wenn Sie mit dem Waffenhandel aufhören.«

Er lachte. »Was?«

»Sie müssen mit den Waffen aufhören.«

Er sah sie lange an, ohne dass sie den Blick senkte. Im Wadi beendeten die Kinder ihr Spiel, da es dunkler wurde. Ihre Stimmen durchdrangen die Stille. »Okay.« Er wandte sich von ihr ab. »Ich werde darüber nachdenken.«

Zwei Tage später brachte Mace den Leichnam ihres Bruders aus der Wüste nach Hause. Sie weinte nicht, ihre Trauer war leise. Er sagte, er wüsste von den Männern, die sie vergewaltigt hätten, als sie noch ein Mädchen war. Die sie vergewaltigt, ihr ein Messer in den Bauch gerammt und sie dann liegen gelassen hatten, weil sie glaubten, sie sei tot. Ihr Bruder habe ihm in den langen Stunden, die er brauchte, um zu sterben, alles erzählt. Mace erklärte, dass er den Tod ihres Bruders nicht ungesühnt lassen könne. In jener Nacht widerstand sie ihm nicht.

Aber sie blieb hartnäckig. Du musst mit den Waffen aufhören. Du musst mit den Waffen aufhören.

Als sie ihm sagte, dass sie schwanger sei, versprach er, mit dem Waffenhandel aufzuhören.

»Versprichst du das?«

»Ja«, erwiderte er.

Sie glaubte ihm.

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