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»Der beste der südafrikanischen Thrillerautoren!« BBC Radio • Der letzte Fall für Privatdetektiv Fish Pescado und Agentin Vicki Kahn in Kapstadt
Kinder finden eine Leiche in den Sanddünen von Strandfontein. Ein populistischer Politiker wird vor dem Parlament niedergeschossen. Sein Stellvertreter wird im Bett hingerichtet. Ein Kabinettsminister wird beim Verlassen einer Sicherheitsanlage erschossen. Ein Polizist wird in seinem Auto ermordet. Ein anderer in seinem Strandhaus. Und alles hängt mit der Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme im Jahr 1986 zusammen – wie Privatdetektiv Fish Pescado bald herausfindet. Er ist an dem Fall dran und jagt einen abtrünnigen Agenten durch Industriegebiete, Altersheime und eine Farm in der Moordenaars Karoo. Er ist auch davon überzeugt, dass jemand seine Geliebte Vicki Kahn, die im Krankenhaus im Koma liegt, umbringen will. Aber er kann nicht rund um die Uhr auf sie aufpassen.
Fish und Vicki werden von der Geschichte eingeholt. Und Geschichte kann brutal, blutig und tödlich sein.
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Seitenzahl: 566
Kinder finden eine Leiche in den Sanddünen von Strandfontein. Ein populistischer Politiker wird vor dem Parlament niedergeschossen. Sein Stellvertreter wird im Bett hingerichtet. Ein Kabinettsminister wird beim Verlassen einer Sicherheitsanlage erschossen. Ein Polizist wird in seinem Auto ermordet. Ein anderer in seinem Strandhaus. Und alles hängt mit der Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme im Jahr 1986 zusammen – wie Privatdetektiv Fish Pescado bald herausfindet. Er ist an dem Fall dran und jagt einen abtrünnigen Agenten durch Industriegebiete, Altersheime und eine Farm in der Moordenaars Karoo. Er ist auch davon überzeugt, dass jemand seine Geliebte Vicki Kahn, die im Krankenhaus im Koma liegt, umbringen will. Aber er kann nicht rund um die Uhr auf sie aufpassen.
MIKENICOL lebt als Autor, Journalist und Herausgeber in Kapstadt, wo er geboren wurde, und unterrichtet an der dortigen Universität. Er ist der preisgekrönte Autor international gefeierter Kriminalromane. Die Rechte an seiner erfolgreichen Rache-Trilogie wurden von einer deutschen Filmfirma gekauft.
MIKE NICOL BEI BTBDie Rache-TrilogiePaybackKiller CountryBlack Heart
Die Kapstadt-Serie
Bad Cop
Korrupt
Sleeper
Das Schlupfloch
Hitman
MIKE NICOL
THRILLER
Aus dem südafrikanischen Englisch von Meredith Barth
Die südafrikanische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Hammerman. A Walking Shadow« bei Umuzi, Penguin Random House South Africa (Pty) Ltd, Kapstadt.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2024
Copyright © Mike Nicol 2022
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Published by Arrangement with Michael George Nicol
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Covergestaltung: semper smile nach einem Entwurf von Georgia Demertzis
Covermotiv: © Shutterstock / Franscois Laubser
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
SL · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-29539-4V001
www.btb-verlag.de
www.facebook.com/penguinbuecher
»In der Unterwelt von Kapstadt nennt man einen Auftragskiller u. a. ›Hammerman‹ – ein Wort mit einer doppelten Bedeutung: Zum einen bezieht es sich auf das englische Nomen ›hammer‹ und somit auf den Abzugshahn einer Pistole, zum anderen bedeutet es als Verb den bildlich vorstellbaren Akt des Tötens oder des Angriffs auf eine Person.«
Hitmen for Hire von Mark Shaw (2017)
»Geheimdienste, deren Einsätze ohne Kontrolle von außen erfolgen, verbocken es letztlich alle ausnahmslos.«
The New Spymasters von Stephen Gray (2015)
Fish Pescado – Privatdetektiv
Vicki Kahn – Anwältin und Agentin, früher für die State Security Agency tätig
Wiederkehrende Personen:
Janet – eine Obdachlose, die in einem Schuppen in Fishs Hinterhof lebt
Die Stimme – für die State Security Agency tätig, Leiterin einer verdeckten Operation
Mart Velaze – für die State Security Agency tätig, Agent bei der verdeckten Operation
Professor Summers – Akademiker und Hersteller von Produkten auf Marihuana-Basis
Weitere Personen:
Tamora Gool – Kopf der Mongols-Gang
Rings Saturen – früherer Bandenchef, jetzt Politiker
Pellie – ein Gangster, von der CIA in Kapstadt als Auftragskiller engagiert
Nandipha (Nandi) Dlamini – Agentin der State Security Agency
Andre Jacobs (AJ) – Polizeioberst
Sonja Jacobs – ehemalige Polizeibeamtin, Ehefrau von Andre Jacobs
Cesar Mapula – Parteivorsitzender der Peoples Power Party
Boyd Mvambu – stellvertretender Parteivorsitzender der Peoples Power Party
Jacks Sipati – hoher Beamter im African National Congress
Dominee Mostert – ehemaliger Priester für den Polizeidienst
Willie Hopper – Polizeioberst
General Willem (Oom) Raats Viljoen – ehemals für der Security Branch des südafrikanischen Nachrichtendienstes tätig, inzwischen pensioniert
Brigitte Enthoven – Agentin des belgischen Geheimdienstes
Philippe Renaud – pensionierter Führungsoffizier des belgischen Geheimdienstes
Man nennt ihn AJ. Hat ihn immer schon so genannt. Seine Mutter gab ihm irgendwann den Spitznamen. Das A steht für Andre. Das J für Jacobs, seinen Nachnamen. Kein Mensch nennt ihn Andre. Er würde auch gar nicht darauf reagieren. Spricht ihn jemand am Telefon mit Andre an, legt er auf. Für seine Untergebenen bei der Polizei ist er Oberst AJ. Beziehungsweise Ohne-Scheiß-Jacobs, hinter seinem Rücken. Denn AJ ist kein Mann, mit dem man Ärger haben möchte. Er gehört der Spezialeinheit für Bandenbekämpfung an.
Jetzt sitzt AJ in seinem Auto. Einem gebrauchten Tiguan. Welcher in der Branche als Wagen »mit Vorbesitzern« bezeichnet wird. Gebraucht, mit Vorbesitzern – so etwas stört AJ nicht. Es ist ein solider Familienwagen. In verdammt gutem Zustand. Gerade hockt er auf einem der Ledersitze des Tiguans. Und wartet. 21 Uhr 56.
Er raucht nicht, um sich die Zeit zu vertreiben. Hasst Raucher. Kann es nicht ausstehen, wie sie sich vor den Gebäuden versammeln und vor sich hin paffen. Reine Zeitverschwendung. Was diese Dampfer mit ihren Rauchwolken betrifft, hofft er, dass sie eines Tages allesamt an den gefürchteten Krankheiten sterben.
Kein freundlicher Gedanke, aber das ist ihm egal.
Im Soundsystem des Autos steckt eine CD mit Opernchören. Seine bevorzugte Fahrmusik. Vorhin war die Musik noch zu hören. Der Zigeunerchor hallt auch jetzt in seinem Kopf wider. Er muss ihn bewusst beiseiteschieben. Denn nun geht es darum, auf die Stille zu horchen. Mit höchster Aufmerksamkeit.
In seinem Schoß liegt ein 38er Colt Detective. Für den Notfall. Man kann nie wissen. Bei Leuten wie ihr muss man auf alles gefasst sein.
Er hat sie schon früher hier getroffen. Einmal tagsüber. Einmal nachts. Sie zieht die Nacht vor. Er meinte, ihm sei es gleichgültig.
Woraufhin sie sagte: »Ich will nicht, dass man mich mit Ihnen sieht.« Und lachte. »Was würde Ihre Frau dazu sagen?«
Er hatte mit den Schultern gezuckt. Er mochte sie. Sie konnte witzig sein. Sie war auch eine umwerfende Frau. Strahlte Sexappeal aus. Jedenfalls empfand er das so.
Wichtiger war allerdings, dass sie miteinander reden konnten. Sie hatten das, was im Psychogeschwätz vermutlich eine Verbindung genannt wurde. Wie auch immer man es bezeichnen wollte, jedenfalls hatten sie sich auf Anhieb verstanden.
Also wieder zu nächtlicher Stunde. Der abgemachte Zeitpunkt: 22 Uhr. Die Vereinbarung: auf die Minute pünktlich, oder es fällt aus.
Er ist vorsichtig. Zweimal fährt er bewusst am Treffpunkt vorbei. Ein kiesiger Fleck zwischen Pinien am Rand des Gemeindelandes. Hier parken tagsüber Hundebesitzer. Jeder, der nachts hier anhält, verfolgt andere Pläne. Dann geht es um Deals.
AJ ist auch gekommen, um einen Deal zu machen.
Er wartet bis ein paar Minuten nach zehn. Dann will er gerade losfahren, als jemand gegen seine Scheibe klopft.
Noch eine Person wartet zwischen den Bäumen. Seit einer halben Stunde steht sie in der Dunkelheit und starrt über das Gemeindeland. Blickt zum anderen Ende hinüber, zu den Lichtern der Häuser, dem Rot-Kreuz-Krankenhaus, den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos. Eine nachdenkliche Person. Von dort, wo sie in der Stille der Nacht steht, kann sie das Brummen der Stadt hören. Kann sich die Stadt als ein ächzendes Tier vorstellen.
Die Person – eine Frau – trägt einen Mantel und Handschuhe. Sie reibt ihre Hände aneinander, um sie warm zu halten. Tritt von einem Fuß auf den anderen. Sich nur nicht von der winterlichen Kälte angreifen lassen. Geschmeidig bleiben.
Dann hört sie, wie ein Auto abbremst und auf den Parkplatz einbiegt. Das Knirschen des Kieses unter den Reifen. Sie späht hinter den Bäumen hervor und beobachtet, wie der Fahrer den Wagen Richtung Straße stellt, um schnell davonbrausen zu können. Der Motor wird abgeschaltet. Sie muss grinsen: Der Mann will offenbar kein Risiko eingehen. Sie schätzt vorsichtige Menschen.
Die Frau zwischen den Bäumen holt jetzt eine Neun-Millimeter-S&W-Shield aus der Umhängetasche. Schraubt den Schalldämpfer auf. Nähert sich dem Auto vom toten Winkel her. Selbst in der Dunkelheit soll der Fahrer nicht die geringste Bewegung bemerken. Mit weichen Sohlen über den Kies, kein Geräusch. Sie schleicht gebeugt um den Wagen. Streckt den Arm hoch, um an das Fenster auf der Fahrerseite zu klopfen.
Sie weiß genau, was passieren wird. Der Fahrer wird die Tür öffnen. Sie denkt an den Fahrer nicht als AJ. Sie kennt zwar den Namen der Zielperson, nennt ihn aber innerlich nur den Hammerman. Vermutet, dass er eine Waffe in der Hand haben wird. Ihr erklären, dass sie sich verziehen soll. Der Hammerman ist so ein Mensch. Sie wird ihn mit drei Schüssen in die Brust erledigen.
März 2018
Fish Pescado auf Observierung in seinem Polo. Er war einer Beamtin bis zum Haus eines Firmenbosses gefolgt. Das Haus lag in der ruhigen, begrünten Croft Road in Constantia. Jetzt saß er bereits seit fünfzig Minuten hier. Hatte auf seinem Handy die Surfvorhersage angeschaut. Der Atlantik rockte. Anständige Wellen mit einer frischen ablandigen Brise. Je rascher die beiden hier fertig waren, desto schneller konnte er an den Strand. Hatte einen Podcast gehört: Surfen bei den Dungeons. Nicht, dass er jemals auch nur in die Nähe der Dungeons kommen wollte. Eine Selbstmordwelle.
Dann hatte er seine Freundin angerufen, die Anwältin Vicki Kahn. Ihr Gesprächsthema: Zum Abendessen Makkaroni mit Käsesoße oder doch lieber vegetarische Lasagne? Fish gewöhnte sich allmählich daran, dass Vicki Vollzeit bei ihm zu Hause war. Es waren schon viele Monate vergangen, seitdem sie das letzte Mal in ihrer Wohnung am Wembley Square übernachtet hatte. Sie erwog sogar, ob es nicht sinnvoller wäre, die Wohnung zu verkaufen. Und dann ganz bei ihm einzuziehen.
Die beiden waren gerade in ihre Abendessensdiskussion vertieft, als Fish einen weiteren Anruf bekam: Professor Summers. Ein Professor Summers, der mit den Nerven fertig war.
»Sie müssen mir helfen, Fish.« Keine sarkastische Bemerkung. Kein übliches: »Wie geht es dem blonden Surfer, dem Privatdetektiv?« Stattdessen Panik, Furcht, Angst.
Ein Tonfall, den Fish von ihm bisher nicht gekannt hatte. Der Prof war sonst immer ganz der lässige Akademiker. Dem gewöhnlichen Fußvolk weit überlegen.
Fish fragte: »Worum geht’s?«
»Ich brauche Personenschutz. Diese Männer schießen aufeinander.«
»Etwas dramatisch, wie mir scheint, Professor.«
»In Gottes Namen, Pescado. Ich mache keine Scherze. Hier tobt ein Krieg. Leute sind verletzt. Möglicherweise am Sterben.«
Fish hörte Schüsse im Hintergrund. Klang nach Handfeuerwaffen. Einzelne, bewusst abgegebene Schüsse.
»Haben Sie das gehört?«
»Hab ich. Wo sind Sie da reingeraten, Professor?«
Weitere Schüsse. Diesmal eine Runde aus einer Automatik.
»Holen Sie mich hier raus, Fish. Ich bin mit ein paar Kunden in einem Haus der Verdammnis. Geschäftlich. Es sollte jedenfalls geschäftlich sein.«
»Was für Kunden? Wo?«
»In Manenberg.«
Bandenterritorium.
»Sie wollen, dass ich Sie aus Manenberg raushole? Fahren Sie selbst. Und zwar sofort. Dort hätten Sie nie sein dürfen.«
»Ich habe kein Auto. Man hat mich hierhergebracht.«
Fish rollte teenagermäßig mit den Augen.
»Sie haben sich von einem Gangster fahren lassen? Haben Sie noch alle Tassen im Schrank, Professor? Wozu? Glauben Sie, in den Cape Flats finden Sie einen neuen Markt für Ihr CBD? Meinten Sie, die könnten bei Ihnen einen Großeinkauf starten? Tik gegen Cannabisöl? Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht? Sie dämlicher hirnloser …« Beinahe wäre ihm »Flachwichser« rausgerutscht, doch er entschied sich im letzten Moment für »Trottel«. Klang irgendwie akademischer. Mehr nach Professor.
»Bitte, ich flehe Sie an. Das ist so gar nicht mein übliches Umfeld. Ich brauche Sie hier. Ich brauche jemanden, der die versteht. Ich brauche einen Übersetzer.«
Fish ließ sich die Adresse geben. Riet dem Professor, sich ruhig zu verhalten. Und sich am sichersten Ort zu verstecken, den er finden konnte.
»Bin auf dem Lokus«, erwiderte dieser mit brüchiger Stimme.
Nach all den Jahren, dachte Fish, tut es echt gut, den Professor in Poep-Angst zu erleben. Irgendwie gerecht. Sollte er ruhig auch mal mit der Welt da draußen in Kontakt kommen.
Er schaltete zu Vicki zurück und meinte: »Ich muss los. Kleiner Notfall. Der Prof ist im Kriegsgebiet verschüttgegangen.«
»Ich besorge Makkaroni mit Käsesoße«, entgegnete Vicki.
Auf dem Gebiet der Mongols. Manenberg, Cape Flats. Die Straße verlief von Osten nach Westen. Umkämpfte Grenzlinie mit den Sexy Boys. Jetzt war sie an beiden Enden von Polizeiwagen abgesperrt. Um die Wagen standen bewaffnete Beamten, in der Mitte der Straße lag die Leiche eines jungen Mannes. Hinter dem Toten auf dem Asphalt eine Waffe. Rechts von ihm ein lebloses Mädchen, das an einer Betonwand zusammengebrochen war. Eine niedrige Wand mit einem Muster aus Wagenrädern.
Oberst Andre Jacobs näherte sich vom östlichen Ende der Straße. Die Polizisten traten zur Seite, um ihn durchzulassen.
In seinem Mund war noch der bittere Geschmack des Kantinenkaffees. Unter seinen Achseln brannte der Schweiß. Seine Schläfen pochten zornig.
Märzhitze. Märzwind. Eine Mischung aus Erstarrung und Sand.
Wie viele mussten noch im Kreuzfeuer sterben?
Wie viele waren es dieses Jahr schon gewesen? Mitte März. Bereits fünf? Sechs?
Das Mädchen wirkte nicht älter als neun oder zehn. Mehr oder weniger im Alter seiner Tochter. Zusammengesackt lag sie da.
»Hat sich einer von ihnen bewegt?«, fragte er in die Runde, ohne jemanden direkt anzusprechen.
Eine Beamtin, die am Auto lehnte, erwiderte: »Nein, jedenfalls nicht der Okie. Aber vielleicht das Mädchen.« Reichte dem Oberst ein Fernglas.
Oberst AJ fixierte mehrere Minuten lang das Kind. Er war sich nicht sicher, ob er eine Bewegung wahrnahm. Also gab er der Frau das Fernglas zurück und fragte, ob jemand versucht habe, es herauszufinden. Die Beamtin verneinte. Kurz bevor der Oberst eingetroffen sei, habe es weitere Schusswechsel gegeben. Sie zeigte auf zwei Häuser die Straße hinunter.
In den Fenstern waren Einschüsse zu sehen. An den Wänden ebenfalls.
»Handfeuerwaffen?«
»Die meisten ja. Vielleicht auch eine Maschinenpistole.«
Wunderbar. Einfach wunderbar.
So etwas sollten sich die Politiker mal anschauen. Ein kleines Mädchen, das erschossen wurde, nur weil es zufällig auf der Straße gespielt hatte. Man sollte diesen Vergewaltiger-Politikaster Cesar Mapula von seiner Ledercouch zerren. Er müsste mal die Wirklichkeit am eigenen Leib miterleben. Seine Gangster-Revolution persönlich sehen. Der Arsch. Mit seinem Holt-euch-die-Stadt-zurück-Mist.
Oberst AJ stand die politische Elite bis zum oberen Rand. Wäre es nach ihm gegangen: ab ins Cape Town Stadium und alle erschießen. Samt dem milchgesichtigen Präsidenten. Hatte er auch schon oft seinem Vorgesetzten erklärt. Genau so. Mit diesen Worten.
Er setzte seine Sonnenbrille ab und wischte sich mit dem Unterarm Wut und Schweiß vom Gesicht.
Wollte wissen, wann sie den Tatort abgesperrt hatten.
Vor einer halben Stunde, hieß es.
»Sind die Eltern des Mädchens irgendwo?«
Die Beamtin schüttelte den Kopf. »Es gibt eine Oma. Ist noch im Haus. Wir können sie noch mal anrufen.«
Oberst AJ sprach mit der Oma. Oma Cupido. Zwischen den Schluchzern verstand er, dass das Mädchen Jolyn hieß. Hörte noch, dass die Oma um Gottes Gnade beten würde, ehe er auflegte.
Sagte zu der Beamtin: »Ich schaue nach. Haben Sie eine Weste für mich?«
Dann stellte er sich vor den Polizeiwagen, sodass alle ihn sehen konnten. Diesen groß gewachsenen Mann in Jeans, mit einer kugelsicheren Weste über einem schwarzen T-Shirt. Tarnstiefel. Sonnenbrille. Er hatte einen Lautsprecher in der Hand. Hielt ihn sich an den Mund.
Erklärte auf Afrikaans: »Hey, Manne. Ihr Manne in den Häusern. Hört zu. Hört ihr? Ich schaue mir jetzt die Toten an. Nicht schießen, hört ihr? Nicht schießen.« Wiederholte es auf Englisch.
Zückte seine Pistole. Hielt sie über den Kopf, und legte sie auf den Boden neben sich.
Sagte in den Lautsprecher: »Ich gehe jetzt zu dem Kind. Danach zu dem toten Mann. Ihr habt mich gehört. Nicht schießen.«
»Sie sollten kein Risiko eingehen, Oberst.« Die Beamtin nahm ihm den Lautsprecher ab.
»Haben Sie eine andere Idee?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Na dann. Wir haben keine Wahl. Dieses Mädchen lebt vielleicht noch. Bei dem Mann glaube ich es eher nicht, so wie der daliegt.« Er hätte am liebsten hinzugefügt, dass es ihm bei dem Kerl auch egal war. Aber manchmal – nicht oft – behielt Oberst AJ seine Meinung für sich.
»Da drüben sind Sanitäter«, sagte die Beamtin und zeigte die Straße hinunter.
Gut zu wissen.
Oberst AJs Blick wanderte die Häuser auf beiden Seiten der Straße hinab. Kleine Gebäude mit niedrigen Dächern, ein paar Meter nach hinten versetzt. Vor einigen parkten Autos auf dem Bürgersteig. Ein paar hatten kleine Vorgärten. Gärten aus Sand. In einem Vorgarten stand ein windgebeugter Baum. Hinter keinem der Fenster regte sich etwas. In zwei Häusern auf gegenüberliegenden Seiten hockten die Gangster. In all den anderen kauerten Menschen unter den Fenstern auf dem Boden. Oder verbargen sich in ihren Hinterhöfen. Darauf wartend, dass keine Schüsse mehr fielen.
Nicht leicht, in einem Kriegsgebiet zu leben.
Er wollte gerade los, als das Funkgerät der Beamtin etwas von sich gab.
Eine Stimme erklärte: »PPP-Leute. Befugnis. Mr. Cesar Mapula will zu Ihnen.«
»Sagt ihm, es geht nicht«, erwiderte Oberst AJ. »Er soll bleiben, wo er ist. Das ist eine Anweisung.«
Die weitergegeben wurde.
Die Peoples Power Party war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte.
Als Nächstes hörte man die Stimme von Cesar Mapula: »Sagen Sie dem Oberst, ich komme. Ich akzeptiere keine Anweisungen vom südafrikanischen Polizeidienst.«
Oberst AJ nahm das Funkgerät. »Mr. Mapula, wir haben hier eine ernste Situation. Nur ausgebildete Beamte dürfen sich hier aufhalten. Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich Sie eingehend informieren kann.«
»Das reicht nicht, Oberst. Das sind meine Leute. Was tun Sie, um sie zu beschützen?«
Oberst AJ blickte zu den Bergen hoch. Die Höhen von Kirstenbosch waren in dunstiges Blau getaucht. Unter ihnen die grünen Vororte. Wo man diesen Krieg nicht hörte. Wo Leute wie Cesar Mapula ihre Häuser hatten.
»Bitte bleiben Sie, wo Sie sind, Mr. Mapula. Man wird Sie informieren, wenn es weitere Entwicklungen gibt. Ich bitte Sie, das Funkgerät dem Beamten zurückzugeben. Wir brauchen momentan direkten Funkkontakt. Danke.«
Arschloch.
Er reichte das andere Funkgerät der Beamtin. »Halten Sie ihn ruhig.«
Die Beamtin runzelte die Stirn. Sie hatte die Lippen geschürzt und wirkte nicht sonderlich erbaut.
»Ich meine es ernst. Ich will von diesem Mann nicht gestört werden.«
»Aber, Oberst …«
»Nichts ›Aber, Oberst‹. Wenn er hierherkommt, sperren Sie ihn in einen Wagen.«
Damit hob AJ die Hände auf Höhe seiner Schultern und trat auf die Straße. Ein Schritt, zwei Schritte. Langsam und gemessen, ohne zu zögern. Hinter ihm warteten nervöse Polizisten, den Finger am Abzug. In den Häusern saßen hochangespannte Gangster, mit allen möglichen Waffen ausgerüstet.
Der Tag hatte anders begonnen. Die übliche Hetze beim Frühstück, die Kinder mussten zur Schule. Der Abschiedskuss.
Der letzte Kuss. Das wusstest du nie: wie sich der Tag entwickeln würde. Dass du auf einer kurvenreichen Straße auf zwei Tote zuläufst. In die Sonne blinzelst.
Mit jedem Schritt den Knall eines Schusses erwartend. Das Knattern, das dem Knall folgen würde. Der Aufprall von Kugeln gegen die Weste. Der Aufprall, der dich ins Wanken bringt, Blei, das in deine Beine eindringt. In deinen Schädel.
Du konntest hier auf dieser Straße sterben. Ganz einfach. Ein verdammt scheußlicher Ort zum Sterben.
Oberst AJ erreichte den jungen Skollie. Tief geschnittene Jeans. Das T-Shirt hochgezogen und bluttriefend. Tätowierungen. Auf seinem Rücken befand sich das Austrittsloch dort, wo seine Leber gewesen sein musste. Lag mit dem Gesicht nach vorn in seinem eigenen Blut. Die Sonne spiegelte sich darin.
Der Oberst, die Hände noch immer erhoben, warf einen Blick auf die Waffe.
Eine Sig Sauer. Eine P365 mit Fünfzehner-Magazin. Sah man eher selten. Nicht schlecht. Wie sie in die Hände eines Gangsters gelangte, war eine andere Frage. Er ließ sie für die Spurensicherung liegen. Wenn diese Geschichte ausgestanden war. Nachdem das, was passieren musste, passiert war.
Er ging zu dem Mädchen hinüber. Ihr Brustkorb war blutig. In ihren Haaren klebte ebenso wie auf ihren Beinen Blut. Ihre Augen sahen ihn an. Er beugte sich hinab und tastete nach ihrem Fußknöchel. Ein leichtes Lebenszeichen. Tastete ihren Hals ab. Wieder spürte er den Puls.
Sagte auf Afrikaans: »Jolyn, die Ärzte sind unterwegs, um dir zu helfen.«
Er wollte sie berühren, sie beruhigen, ihr die Haare aus dem Gesicht streichen.
Sollte er sie hochheben und hinter die Mauer in Sicherheit bringen? Hörte die warnende Stimme in seinem Kopf: Verletzte nie bewegen, wenn man auf die Sanitäter warten kann.
Konnte er denn auf die Sanitäter warten? Während die Tik-Idioten ihre Waffen auf sie richteten?
Sagte: »Jolyn, du musst jetzt ein mutiges Mädchen sein. Hör mir zu: Ich bleibe bei dir, bis sie kommen. Es dauert nicht mehr lange. Dann wird es dir besser gehen.«
Hob den Arm. Rief: »Sanitäter! Schnell, schnell!«
Er hörte, wie die Beamtin mit dem Lautsprecher seinen Befehl wiederholte. Die Gangster warnte, nicht zu schießen.
In dem Moment, in dem die Sanitäter aus der Deckung gelaufen kamen, zu dem Kind eilten und sich über es beugten – in dem Moment stürzte Oma Cupido aus ihrer Haustür.
»Mein Liefie, mein Liefie. Jolyn, mein Liefie.«
Sie rannte zu dem Kind und ließ sich auf die Knie fallen. Die Hände hatte sie zum Gebet gefaltet.
»Mein Vader, asseblief. Nimm sie mir nicht. Moenie haar vat. Bitte, Vater.«
In diesem Moment begann von gegenüber die Schießerei.
Die Kugeln ließen Fenster explodieren. Prallten an Wänden, an Dachziegeln ab. Wurden in parkende Autos versenkt.
Oberst AJ sah, wie die Sanitäter umdrehten.
Rief: »Nein, nein! Kommt hierher, Leute! Hierher!«
Sah das Aufblitzen von Waffen auf der anderen Straßenseite. Schnelle Schüsse in rascher Abfolge. Salven wie Leuchtspuren auf dem Boden. Ganz in ihrer Nähe. Zu nahe.
Die Großmutter hinter ihm heulte auf.
»Gehen Sie zurück«, schrie er sie an, während er sie am Arm packte. »Zurück ins Haus.«
Dann spürte er einen stechenden Schmerz im Arm.
Er hob das Mädchen hoch.
Hörte das Knattern von Pistolenschüssen, die aus den Polizeiwagen drangen.
Mehr als spät, verdammt.
Er duckte sich mit dem Kind durch das offene Gartentor und warf sich hinter der Mauer in den Sand. Die Oma heulte noch immer auf der Straße.
Blut, diesmal sein Blut, strömte ihm über den Arm.
Sanft legte er das Mädchen auf den Boden.
»Alles in Ordnung, Jolyn. Ich bin bei dir. Und die Ärzte kommen auch gleich.«
Er stand auf. Vielleicht mochte er gerade das Hauptziel abgeben, aber das war ihm so was von egal. Er zeigte auf das Haus der Gangster und brüllte: »Stopp! Es reicht. Stopp!«
Und die Schüsse hörten auf.
Er rief den Sanitätern zu: »Kommt jetzt!«
Sie rannten zu ihm.
Die Sanitäter kümmerten sich um das Kind. Es hatte eine Wunde an der Seite. Organe schienen nicht verletzt zu sein. Eine Kugel hatte sein linkes Schlüsselbein durchschlagen. Eine weitere seinen Oberschenkel. Das Blei steckte noch in dem Mädchen. Vorsichtig schnitt man ihr die Kleidung auf. Reinigte die Wunden. Legte einen intravenösen Zugang. Das Mädchen jammerte nicht. Ihre Augen verfolgten genau, was geschah. Die Sanitäter redeten leise mit ihr. Oder miteinander. Es war eine Frau dabei, was den Oberst nicht überraschte. Frauen waren heutzutage überall – so wie auch die Polizeibeamtin zuvor – und erledigten die Arbeit, die früher Männern vorbehalten war. Das fand er auch gut so, aber was, wenn die Frauen Kinder hatten? In solchen Situationen konnten Kinder ihre Mutter verlieren.
Er warf einen Blick auf die Sanitäter in ihren Overalls und wusste nicht, wer von ihnen Frau und wer Mann war. Nur der Sanitäter, der Oma Cupido bat, ihnen Platz zu lassen, war der Stimme nach ein Kerl. Oma Cupido betete und schluchzte immer noch. Die Sanitäter arbeiteten schnell. Sie hatten ihre Hände in den blauen Handschuhen überall, geschickt, erfahren. Klappten eine Liege auf. Hoben das Mädchen eins, zwei, drei darauf.
In dem Zeitraum, den die Sanitäter brauchten, stand Oberst AJ aufrecht da: weiterhin Zielperson Nummer eins. Den Blick auf die unsichtbaren Gangster gerichtet. Sollten sie es bloß wagen, auch nur einen weiteren Schuss abzugeben! Die linke Hand presste er auf seine Wunde. Blut quoll durch die Finger. Es brannte wie Hölle. Schmerzte zum Verrücktwerden. Doch das sollte niemand wissen. Das einzige Anzeichen für die Qualen, die er litt, waren seine weißen Fingerknöchel. Er rief der Beamtin zu, den Gangstern noch einmal klarzumachen, dass sie nicht schießen sollten. Sondern bleiben, wo sie waren. Er konnte sie sich lebhaft in ihrem Haus vorstellen. Wie sie an ihren Tik-Pfeifen sogen und mit Bierdosen ihren Durst löschten. Zum Zerreißen angespannt. Keiner von denen war vermutlich bei Sinnen. Alle irre. Wie er hier so stand, die Waffen auf ihn gerichtet, wusste er, dass es für sie nichts bedeutete, den Abzug zu drücken. Ihr Leben war so oder so beschissen.
»Wir sind so weit, Oberst«, sagte die Sanitäterin.
»Noch einen Moment«, erwiderte er und rief der Beamtin zu, wie die Lage war. Die Sanitäter würden jetzt rauskommen und das Mädchen zum Krankenwagen tragen. Und dann noch den Toten zu holen.
Die Polizistin teilte das den Gangstern mit.
»Kommen Sie«, sagte Oberst AJ und führte die kleine Gruppe durch das Gartentor. Oma Cupido trottete ihnen hinterher.
»Oberst, Sie müssen jemanden Ihre Wunde anschauen lassen«, sagte die Beamtin.
Die beiden standen auf der Straße. Im Niemandsland. Genau in der Mitte der beiden Gangsterhöhlen. Zu ihren Füßen trocknete das Blut des toten Mannes. Ein Fleck in der Form des Kaps.
»Ja, mach ich. Es ist nur eine Fleischwunde. Momentan gibt es Wichtigeres.«
Wie zum Beispiel die Banden zur Räson zu bringen. Dieses Schussgelage zu beenden.
Die Sexy Boys mussten zuerst ins Freie. Dann konnte man sich ihre Waffen holen. So lautete sein Plan.
Doch ehe er diesen umsetzen konnte, war da Cesar Mapula. Der Politiker, der die Polizei überrumpelte, indem er die Linien durchbrach und laut brüllend auf die beiden zu rannte. Mit einer Assistentin im Schlepptau, die ein Smartphone hochhielt. Um den obersten Krieger auf Video festzuhalten.
»Was ist los, Oberst? Sie wissen, wer ich bin. Ich lasse mich so nicht behandeln. Ich bin der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtskomitees für das organisierte Verbrechen. Ich bin Parlamentsabgeordneter und dementsprechend befugt, hier zu sein. Sie können mich nicht ignorieren. Ich verlange Antworten.«
Cesar Mapula in einem langärmligen Hemd. Einer Armani-Anzughose. Italienischen Budapestern. Ein Mann des Volkes.
Für Oberst AJ ein verdammter Kretin. Der sich aufspielte, um Punkte zu machen. Sein Gesicht in den Nachrichten zu finden. Seine Tweets bei Twitter. @CesarMapula; @PPP; #Polizeigewalt.
Er sagte: »Mr. Mapula, Sie können hier nicht sein. Gehen Sie zurück. Sie behindern eine Ermittlung. Wenn Sie meinen Anweisungen nicht folgen, werde ich das Gesetz durchsetzen müssen. Ich will Sie nicht verhaften lassen.«
Cesar Mapula rückte ihm auf die Pelle. Stieß ihn gegen die Brust.
Ein Schwarzer, der einen Weißen herumschubste. Zudem einen Polizisten. Auf Twitter würden sie das lieben. Solche Clips wurden sofort ohne Ende geteilt.
Die Polizistin rief: »Hey, hey, hey.« Und wechselte zu Xhosa. Ohne Wirkung. Cesar Mapula achtete nicht auf sie. Sondern schubste erneut.
Der Oberst bewahrte die Ruhe. Erklärte: »Lassen Sie das. Ich muss Sie ansonsten verhaften lassen.«
»Versuchen Sie’s, Oberst.« Cesar Mapula streckte ihm die Handgelenke entgegen. »Na los. Legen Sie mir Handschellen an. Wie es der weiße Mann immer getan hat. Zeigen Sie’s uns, Apartheids-Bulle, zeigen Sie uns, dass Sie noch der Bure sind.« Er grinste ihn anzüglich an. »Verschwinde von hier, Malungu. Suka, wena. Das ist jetzt unser Land. Ihr wart hier nie eingeladen. Nie willkommen.«
Die Assistentin mit dem Smartphone stand die ganze Zeit daneben und twitterte immer wieder die Videos, die sie aufnahm.
»Sie soll damit aufhören«, sagte der Oberst zu seiner Kollegin. »Wenn sie es nicht freiwillig tut, verhaften Sie sie. Beschlagnahmen Sie das Handy.«
»Sie lassen sie in Ruhe.« Cesar Mapula drehte sich zu der Polizistin. »Wem dienen Sie? Sie hören auf einen Weißen? Sie Impimpi. Solche wie Sie werden vor Gericht kommen. Nach der Revolution. Im neuen Land können Sie einpacken, Sie Isifebe.«
»Es reicht«, sagte Oberst AJ. Schlug der Assistentin das Smartphone aus der Hand. Es schlitterte über die Straße. Die Frau stand da, die Hand vor dem Mund.
»Das ist polizeiliche Schikane.« Cesar Mapula triumphierte. Er wedelte mit seinem Finger vor dem Gesicht des Obersts. »Das war’s für Sie, Oberst. Das ist mutwillige Beschädigung von Privatbesitz. Tätlicher Angriff. Geschlechtsspezifische Diskriminierung. Ihr Bullen seid das Letzte.«
Die Assistentin hielt das Handy hoch, um zu zeigen, dass der Bildschirm einen Riss hatte.
»Sehen Sie.« Cesar Mapula riss der Frau das Gerät aus der Hand. »Schauen Sie sich das an. Das haben Sie kaputt gemacht, Oberst. Dafür müssen Sie zahlen. Nicht die Polizei. Sie selbst müssen das aus Ihrem eigenen Geldbeutel zahlen. Ich will, dass Sie mich verhaften. Ich will, dass Sie mich anzeigen. Und ich werde Sie anzeigen. Ich bringe Sie vor den OCOC, wo Sie sich verantworten müssen.«
Oberst AJ hörte zwar die Schimpftiraden des Mannes, beachtete ihn jedoch nicht. Seine Aufmerksamkeit galt einer Frau, die mit großen Schritten auf sie zukam. Er erkannte sie. Wie es ihr gelungen war, durch die Polizeiabsperrungen zu gelangen, konnte er sich in etwa vorstellen. Eine toughe Frau. Für die es kein Problem darstellte, die Polizisten in Grund und Boden zu reden.
»Sie sind AJ?«, fragte sie, drängte Cesar Mapula zur Seite und streckte dem Oberst die Hand entgegen. »Oberst AJ?«
Er nahm ihre Hand. Klein. Ein fester Handschlag.
»Wir haben telefoniert.«
Er hatte gehört, dass sie atemberaubend war. Sex aus jeder Pore ihres Körpers ausstrahlte. Hatte ihre Bilder in den Akten gesehen. Die ihr allerdings nicht gerecht wurden und mit der Frau, die vor ihm stand, nicht mithalten konnten.
»Ich kümmere mich um die Angelegenheit hier«, sagte sie zu ihm.
Dabei zeigte sie auf die zwei gegenüberliegenden Häuser. »Um dieses Durcheinander.«
Oberst AJ hielt die Augen auf ihr Gesicht gerichtet. Er war versucht, sie zu ihren Brüsten in dem tiefgeschnittenen Oberteil wandern zu lassen. Doch das durfte er sich nicht leisten. Sie war etwa einen Kopf kleiner als er.
»Nicht so schnell«, erwiderte er. »Es gibt einen Toten und ein Kind, das ins Kreuzfeuer geraten ist.«
»So sollte das nicht laufen«, entgegnete die Frau. Sie sah aus, als würde sie gerade von einer Beerdigung kommen. Von oben bis unten in Schwarz gekleidet. »Ich werde versuchen, es zu beenden. Das habe ich Ihnen bereits gesagt.«
Das hatte sie. Während des einzigen, zehnminütigen Gesprächs, das sie geführt hatten. Um die Grundregeln zu klären, ehe sie sich trafen. Vor diesem »Durcheinander«, wie sie es nannte.
»Wer sind Sie, Sisi?« Jetzt wollte Cesar Mapula auch mitmischen. »Oberst, wer ist diese Frau? Warum wird es dieser Frau gestattet, sich in laufende Ermittlungen einzumischen?«
Oberst AJ hatte nicht vor, irgendeine der Fragen zu beantworten.
»Ich kenne Sie, Cesar Mapula«, antwortete die Frau. »Ich hab den Dreck gehört, den Sie fabrizieren. Ihre Revolution für die Coloured. Wenn Sie solchen Unsinn verzapfen wollen, dann machen Sie das woanders. Voetsak, Herr Politiker. Diese Angelegenheit geht nur mich und den Oberst was an.«
Aber Cesar Mapula ließ sich nicht so leicht abschütteln. Das tat Cesar Mapula nie. Er fasste nach ihrem Arm. »Sagen Sie mir, wer Sie sind.« Musterte sie von Kopf bis Fuß. »Ich bin stellvertretender Vorsitzender von OCOC.«
Sie entwand ihm ihren Arm. »Fassen Sie mich nicht an.«
»Wie heißen Sie? Sagen Sie mir, wie Sie heißen.«
»Wie ich heiße?« Sie lachte. Ein Lachen, das ebenso satt klang wie ihre Stimme. »Sie kennen meinen Namen nicht? Sie wissen offenbar gar nichts, Cesar Mapula. Führen Sie Ihre PPP in den Busch zurück. Ich heiße Tamora Gool.«
Der Name sagte ihm etwas. Oberst AJ genoss es, wie der Mund von Cesar Mapula auf einmal offen stand – ein Guppy in einem Teich voller Koi-Karpfen. Der an ein paar erbärmlichen Brotkrumen saugte.
»Sie sind die Mongols!«
»Ja, Meneer. Und jetzt lassen Sie mich mit diesem freundlichen Polizisten reden.«
»Nein, wir müssen uns zu einer Indaba zusammentun, Schwester. Sie und ich. Mit Ihnen können wir einen echten Wandel bewirken. Das Kap endlich in Form bringen.«
Oberst AJ wandte Cesar Mapula den Rücken zu. Sagte: »Ms Gool, bringen Sie Ihre Männer dazu, die Waffen niederzulegen. Ich rede mit den Sexy Boys.«
Fish Pescado nahm den Weg auf der Rückseite durch die Hinterhöfe. Lief durch benachbarte Höfe, sprang über Zäune. Es war nicht schwer, das Haus zu finden. Leute hingen über den Mauern und warteten auf den großen Showdown. Ein Gangmitglied hielt ihn an der Küchentür auf. Dürrer Kerl, die Arme vor der Brust verschränkt. Im Stil eines Türstehers. Eine kastenförmige Uzi in der Rechten. Für Fish sah die Maschinenpistole wie eine Imitation aus.
»Kein Zutritt«, sagte der Dürre.
»Was ist los?«, wollte Fish wissen.
»Nichts. Ein paar Sexy Boys bauen Kak.«
Fish erklärte ihm, dass er nur den Professor abholen wolle.
Der Dürre zeigte mit dem Daumen auf eine geschlossene Tür. »Da drin, am Knuiping.« Machte mit den Händen einen zitternden Hintern nach. Dem Grinsen nach zu urteilen ein echter Brüller.
In der Küche lag ein dünner Mann auf dem Boden und stöhnte laut. Er lehnte mit dem Oberkörper am Kühlschrank. Blut lief aus seinem Bein. Sagte zu Fish: »Schnell, Doktor, schnell.«
»Ich bin kein Doktor«, erwiderte Fish. »Der kommt gleich.«
Fish bahnte sich seinen Weg einen kurzen Gang entlang zu einem Wohnzimmer, wobei er einer Blutschliere auswich, die auf dem Boden verlief. Von der Tür aus konnte er vier Kerle sehen, die an den Wänden lehnten, Waffen in jeder Hand. Das Glas war zerbrochen. Durch das Fenster hatte man einen Blick auf die Straße: eine Gruppe von Polizisten, ein paar andere. Er erkannte den Politiker Cesar Mapula. Sein fieses Gesicht war ständig im Fernsehen. Eine schnippisch wirkende Frau erklärte ihm offenbar gerade, was Sache war. Ein groß gewachsener Polizist in Zivil stand neben den beiden. Dann wandte sich der Polizist in Richtung des gegenüberliegenden Hauses, und die Frau begann auf das zuzugehen, in dem sich Fish befand. Es war an der Zeit, zu verschwinden.
Er fand den Professor auf der Toilette. Saß mit verknoteten Händen im Schoß auf dem Thron.
»Wir müssen los. Und zwar sofort.«
Der Professor starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Oh, Dank sei dem Herrn in seiner unendlichen Gnade.«
Der Professor war einer von Fishs Dagga-Kunden, der sich zu einem CBD/THC-Ölhersteller gemausert hatte. Er nutzte die Räumlichkeiten und Gerätschaften an der Universität, um sein Produkt zu destillieren. Was für Fish ein neues Angebot in seinem Sortiment bedeutete. Und dafür war er dankbar. Ein kleines, aber stetiges Einkommen. Wobei der Erfolg den Professor offensichtlich ein wenig größenwahnsinnig hatte werden lassen, denn der Hersteller war nun zu einem Möchtegernhändler geworden.
Entgegen Fishs Rat.
Deshalb auch die Lage, in der sie sich jetzt befanden.
Mit den Worten des Profs: »Das ist wahrhaftig die Hölle. Dantes siebter Kreis. Ich war noch nie glücklicher, Sie zu sehen, mein lieber Mr. Sugarman. Wenn diese Männer unsere Landsleute sind, denen wir täglich auf der Straße begegnen, dann gnade uns Gott. Unsere Welt ist weitaus schlimmer, als ich befürchtet habe.« Er lehnte sich an den Türrahmen, um nicht ins Wanken zu geraten. »Himmel, der Mann da blutet ja! Kommen Sie, mein Lieber, wir müssen raus.« Dann zischte er in Fishs Ohr: »Das ist nicht meine Welt. Das sind nicht meine Leute. Mir ist jetzt klar geworden, dass ich hier nie hätte sein sollen.«
Fish hätte ihn am liebsten gefragt, was er dann zum Teufel hier verloren hatte, entschied sich aber dagegen.
Hastig führte er den Professor durch den Hinterhof, geleitete ihn über eine niedrige Mauer und einen Weg entlang zwischen zwei Häusern. Einige Leute halfen ihnen und wollten dafür wissen, ob die Schießerei vorbei sei und wie viele Tote es gegeben habe. Auf einmal bemerkte Fish ein ihm bekanntes Gesicht. Nur einen Moment lang. Unerwartet. Doch als er sich umdrehte, war der Mann verschwunden. Wenn er überhaupt da gewesen war.
In Fishs Auto fehlte es dem Professor nicht an Worten, um die fürchterliche Lage zu schildern, in der er sich befunden hatte. Sagte, dass er niemals solche Angst verspürt habe, nicht einmal während des nationalen Notstandes, nicht einmal bei der Razzia des Geheimdienstes in seinem Haus 1986.
»Als sie bei mir reinstürmten, diese riesigen Afrikaanse Polisie, habe ich gezittert. Sie waren grausam, wirklich furchteinflößende Fleischberge. Doch selbst ihnen habe ich pampig geantwortet. Ich habe mich nicht kleinkriegen lassen. Und sie waren gemein zu mir, aber nichts im Vergleich zu diesen Leuten. Diese Leute sind von einem anderen Stern. Sie sprechen in keiner diesem Planeten bekannten Sprache. Sie kennen keine Furcht. Sie bluten, aber wissen wir, ob es wirklich Blut ist?«
Ohne Unterlass, bis Fish fragte, wen er denn zu treffen geglaubt hatte.
»Das sollte eine Frau sein, sagte man mir. Eine Ms Gool. Ich habe erst einmal nicht mit ihr gesprochen, sondern mit einem ihrer Handlanger. Ein ruhig wirkender Mann. Er meinte, sie sei es, mit der ich reden müsse. Also dachte ich: Eine Frau? Wie gefährlich kann das schon sein? Natürlich ist Gool ein bekannter Name. Eine Familie von Revolutionären während des tapferen Kampfes. Das hat mich überzeugt. Ob Ms Gool aus dieser Familie stammt oder nicht – jedenfalls klang sie cool. Um mit Ihren Worten zu sprechen.«
»Und Sie hielten es nicht für nötig, erst einmal mich zu fragen?«
»Sie sind ein beschäftigter Mann, mein lieber Fish. Ein Privatdetektiv. Ein Ganja-Händler. Ein Surfer. Ganz zu schweigen von Ihrer Betätigung als heißblütiger Liebhaber der von uns so geschätzten Anwältin, Ms Kahn. Ich dachte, ich sollte Ihnen ein wenig Last abnehmen. Ich dachte, ich könnte ein paar inoffizielle Kanäle für Sie öffnen. Außerdem führen wir Akademiker meist ein Leben stiller Kontemplation. Da hielt ich es für keine schlechte Idee, mir mal etwas die Front anzuschauen. Es wird Sie freuen zu hören, dass mich diese Idee inzwischen nicht mehr überzeugt.«
Weiter und weiter – bis Fish ihn fragte, wie er den Kontakt hergestellt hatte.
»Indem ich einfach einen Putzmann in der Uni gefragt habe. Manchmal stehen wir um sechs Ecken herum mit einer Person in Verbindung, manchmal ist es viel weniger. Doch von nun an sind Sie mein Dante. Sollte ich mich jemals wieder in die Unterwelt vorwagen, dann in Ihrer Begleitung.«
»Wäre ratsam«, meinte Fish. »Was Sie getan haben, war unverantwortlich. Verdammt gefährlich. Sie müssen mit mir sprechen. Wir brauchen keine Geschäfte mit Gangstern.«
»Ich fühle mich gebührend ermahnt«, sagte Professor Summers. »Sie sind wahrlich ein Mann für jede Lage, Mr. Surfer Dude.«
Oberst AJ in seinem Wagen, auf dem Weg nach Hause. Auf der Schnellstraße war um diese Zeit nach Sonnenuntergang wenig los. Kiri Te Kanawa sang über das Soundsystem die Juwelenarie aus dem Faust. Er war beschwingter Laune. Zwar spürte er das Brennen der Wunde an seinem Arm, aber es kümmerte ihn nicht weiter. Er trug einen Verband – eine Erinnerung daran, dass sein Leben auch nicht immer rund lief. Zufrieden dachte er an die nachmittäglichen Ereignisse. Wie Tamora Gool ihre Mongols dazu gebracht hatte, die Waffen niederzulegen. Wie er einen Deal mit den Sexy Boys ausgehandelt hatte. Wenn sie ihm ihre Knarren gaben und sich erkennungsdienstlich ablichten ließen, konnten sie gehen. Sie entschieden sich fürs Gehen. Er machte Bilder von ihnen und sammelte ihr Arsenal ein. Sie würden bald wieder Waffen haben, natürlich, aber schon eine Knarre weniger im Umlauf war seiner Meinung nach ein Erfolg. Außerdem hatte er die Namen, die Gesichter. Für die Akten. Wenn er sie wieder erwischte, würde es anders ausgehen.
Niemand würde diesen Krieg gewinnen. Das war ihm klar. Die einzige Art, wie zumindest zeitweilig Ruhe herrschen konnte, war ein Waffenstillstand, Straße um Straße erweitert.
Und dann gab es noch diese Gool. Sie war eine ganz eigene Kraft. Eine Gangsterin, die sich von diesem faschistischen Möchtegern Cesar Mapula nichts sagen ließ. Eine echte Niederlage für den Kerl, denn sie war eigentlich eine Frau, mit der er reden konnte. Sie hatte Macht, ihre Mongols gehorchten ihr aufs Wort.
Trotzdem.
Das Letzte, was Oberst AJ erwartet hatte, war, mit einer Gangsterin zu verhandeln. Selbst in dieser Branche ließen sich die Frauen nicht mehr aufhalten. Wie sich auch seine Frau bei der Polizei nicht hätte aufhalten lassen, wenn es nicht die Kinder gegeben hätte. Kinder brauchten ihre Mutter. Eine Mutter, die zu Hause war.
Als er den Hügel in Panorama hochfuhr, klingelte sein Handy. Eine unbekannte Nummer. Als guter Polizist hatte er immer ein Headset im Ohr. Er nannte seinen Namen und fragte, wie er helfen könne. Professionell, nicht unfreundlich.
Die Stimme einer Frau. »Ah, Oberst, es freut mich, Sie zu erwischen. Ich melde mich, weil wir wieder Ihre Dienste benötigen.«
»Wer sind Sie?«, wollte er wissen.
»Sie können mich S nennen«, sagte sie. »Staatssicherheit. Meine Kollegen nennen mich ›Die Stimme‹.«
»Und das soll ich glauben?«
»Das ist viel verlangt. Kann ich verstehen. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Diskretion sieht schnell wie ein Vorwand aus. Aber glauben Sie mir: Ich muss diskret vorgehen. Denn Sie wissen, wir leben in extremen Zeiten, die nach extremen Maßnahmen verlangen.«
»Ich werde auflegen, Mevrou. Totsiens, auf Wiedersehen.«
Die Stimme entgegnete rasch: »Ehe Sie das tun, Oberst, möchte ich Ihnen ein paar Beweise für meine Position liefern. Ich nenne Willie Hopper, Gert Meintjies und General Raats Viljoen. Und das Jahr 1986. Ebenfalls eine extreme Zeit. Nationaler Notstand. Massaker. Erschießungen. Attentate. Folter. Rätselhaftes Verschwinden. Festnahmen unter dem Antiterrorgesetz, Abschnitt 29. Sie erinnern sich an Abschnitt 29: so lange ohne Kontakt zur Außenwelt gefangen gehalten werden, wie es der Staat für angemessen erachtet. Sie erinnern sich an diese Zeit, Oberst? An die Männer, die ich genannt habe?«
»Was wollen Sie?«
»Wie gesagt, Oberst, wir benötigen Ihre Dienste. Ihren speziellen Service. Im Dienste einer guten Sache, das versichere ich Ihnen.«
»Ich nehme an, dieser Anruf wird mitgeschnitten.«
»Das wird er nicht.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?«
»Ob Sie das glauben oder nicht, ist Ihre Angelegenheit. Sie werden sehen, dass ich eine Frau bin, die ihr Wort hält. Bis dahin müssen Sie mir vertrauen, Oberst AJ.«
»Ich soll einer englisch klingenden Stimme trauen? Das ist ja wohl ein Witz. Sie klingen so englisch, als kämen Sie aus Großbritannien. Sie könnten vom MI6 sein.«
»Das könnte ich, bin es aber nicht. Wenn es Sie beruhigt, Oberst AJ, sollten Sie wissen, dass ich ein wenig so spreche, als käme ich aus Westlondon, weil ich dort während des Kampfes viele Jahre im Exil verbracht habe. Übrigens habe ich auch diese Te-Kanawa-Aufnahme. Von 1967. Als sie noch sehr jung war, ehe sie die Welt im Sturm eroberte. Sehr bewegend, finden Sie nicht auch? Sehr vielversprechend. Niemand hat diese Arie besser gesungen. Einer der Vorteile von London war es übrigens, dass ich sie einmal vor langer Zeit auftreten sah. Aber Sie wissen ja, was ich meine, auch Sie haben sie auf der Bühne erlebt. Leider bieten sich uns hier solche Gelegenheiten nicht. Dennoch behaupten sich unsere jungen Opernstars in der Welt.« Sie lachte. »Das Empire singt zurück. Aber lassen Sie mich zum Punkt kommen: Ich will dieses Briefing gleich über die Bühne bringen, Oberst. Es läuft ausschließlich mündlich. Keine schriftliche Dokumentation. Keine Papiere. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass wir uns für diese Lösung entschieden haben, nachdem wir alle anderen Optionen ausprobierten. Wir hatten gehofft, dass die Gerechtigkeit siegen würde, aber Gerechtigkeit reicht nicht bis in die Gräber hinein. Und so bleibt uns nur eine Wahl. Kurz und knapp: Ich möchte, dass Sie Cesar Mapula töten. Lassen Sie mich das anders formulieren: Ich erteile Ihnen den Auftrag, Cesar Mapula zu töten. Ich nehme an, das wird Ihnen nicht allzu schwerfallen. Wenn man seinen Auftritt heute Nachmittag Ihnen gegenüber bedenkt.«
»Das mache ich nicht.«
»Sie haben keine Wahl, Oberst. Entweder tun Sie es, oder Gott und die Welt wird von der Geschichte erfahren. Das wollen Sie sicher nicht. Sie mit Ihrer Frau und den kleinen Kindern. Sie wollen doch nicht die Demütigung einer Auslieferung erleben müssen. Eine Gerichtsverhandlung, die sich in die Länge zieht. Gefängnis, möglicherweise für Jahrzehnte. Internationale Enthüllungen. Ihr Leben auf dem Prüfstand. Wir wollen das auch nicht. Es würde unangenehm sein. Wir müssten uns rechtfertigen. Mit ›wir‹ meine ich unser demokratisches, rechtsstaatliches Land.«
»Ich bin kein Auftragsmörder.«
»Nicht? Seien Sie sich selbst ehrlich gegenüber, wenn Sie es schon mir gegenüber nicht sind, Oberst.«
Schweigen. Ein langes Schweigen. Als der Oberst die Spitze des Hügels erreicht hatte, lagen die Cape Flats ausgebreitet unter ihm. In der Ferne, die kaum erkennbare Beule der Hangklip am Rand von False Bay. Er dachte: Wer ist diese Frau? Woher hatte sie die Namen? Die Information? Besaß sie wirklich so viel Macht? Das Schweigen zog sich in die Länge, bis er fragte, ob sie noch da sei.
»So schnell wird man mich nicht los, Oberst. Wenn es einfacher für Sie ist, sollten Sie an die Geschichte denken. An die Vergangenheit. Es gibt vieles, wofür wir geschichtlich betrachtet dankbar sein sollten. Geschichte kann uns Hinweise liefern. Sie kann uns befreien. Genauer gesagt, zeigt uns Geschichte in diesem Fall, dass der selbst ernannte Krieger der PPP an einen Naziführer erinnert, an einen gewissen Adolf Hitler. Schauen Sie sich die Ähnlichkeiten an: eine Bande gewaltbereiter Krimineller, in ihrer neuen Erscheinungsform ›Verteidiger der Revolution‹ genannt. Menschen, die vor ihm bewundernd und ehrerbietig auf die Knie sinken. Wie der eine Deutschland vereinen wollte, so will unser Kandidat alle Afrikaner unter seiner Herrschaft vereinen. Ein Afrika, geführt von einer Partei, beschützt von einer Armee. Klingt das vertraut? Und warum dieser Wunsch nach einem ›Lebensraum‹? Weil alle Afrikaner Opfer derselben Feinde sind. Er verteufelt Weiße, Inder und Nichtafrikaner als Fremde. Sie sind seine Sündenböcke, so wie die Juden und Sinti und Roma es für Hitler waren. Die Bedrohung liegt nach Mapula im weißen kapitalistischen Monopol. So hat er das gesagt. Es soll niedergeschlagen werden, und in diesem Sinne will er alles Land in Privatbesitz enteignen und die Banken nationalisieren. Er will unsere Verfassung ändern. Um konkret zu werden, hat Hitler 1938 einen Erlass unterschrieben, mit dem die Enteignung jüdischen Besitzes ermöglicht wurde. Das plant auch die PPP. So sieht Mapulas Afrikanisches Reich aus. Seine Utopie von dem Kontinent, ehe sich die Siedler hier niederließen. Und nun frage ich Sie, Oberst: Wollen Sie das?«
Schweigen.
Dann: »Es sind bereits zu viele Morde geschehen, Morde an jenen, die sich gegen diese Pläne geäußert haben. Zu viele Überfälle, begangen, um ihre Koffer zu füllen. Sie werden unsere Verfassung über Bord werfen. Es wird Ausgangssperren geben. Einschränkungen. Schnellverfahren vor Gericht. Gekaufte Richter. Keine Pressefreiheit. Eine Militärpolizei. Oberst, ich frage Sie noch einmal: Wollen Sie das?«
Oberst AJ wollte es nicht, doch seine Stimme versagte. Ehe er antworten konnte, fuhr sie fort: »Wir wollen es nicht. Und deshalb müssen wir uns – als Staat – an Sie wenden. Aber wenn Sie anders beauftragt werden wollen, dann ist das Ihre Entscheidung. Ich werde mich jetzt jedenfalls verabschieden. Bitte führen Sie das Projekt so rasch wie möglich durch. Unsere Frist ist Mai.«
Diesmal legte sie auf. Oberst AJ fuhr in den Vorort ab. Parkte zwei Straßen von seinem Haus entfernt. Saß in dem Tiguan, Fausts Traumata leise gestellt. Sie hatte ihn nicht gefragt, ob er es machen könne. Dieses wertlose Stück Dreck zu entsorgen, würde ihm ein Vergnügen sein, und die Logik dieser Frau war überzeugend: Cesar Mapula war ein gefährlicher Mann, seine Partei ein Risiko für das Land. Es beunruhigte ihn, was sie mit »anders beauftragt« meinte. Sorgte sich um die Folgen. Er wusste, dass sich die Geschichte verselbstständigen würde, wenn einmal die Katze aus dem Sack gelassen war. Es gab nur eine Möglichkeit: der General. Doch noch ehe er ihn kontaktieren konnte, rief ihn der Mann von sich aus an.
»Ja, Kolonel.«
»Ja, Generaal.«
»AJ, mein Seun, es scheint, wir haben ein kleines Problem.« Sagte es auf Afrikaans, wo das Problem zu einem Problemkie, einem kleinen Problem, wurde. »Die Frau meint, Sie würden ihr nicht zuhören.«
»Ich habe ihr zugehört. Aber wer ist diese Frau? Diese Stimme? Sie tritt auf wie ein Geist. Warum soll ich von einer Stimme Anweisungen entgegennehmen?«
»Sie ist echt.«
»Haben Sie sie jemals gesehen?«
»Wie bei Ihnen hat sie auch bei mir angerufen. Diese Frau weiß Bescheid. Sie hat die Akte über die Operation Hammer. Ich dachte, die Akte wäre vernichtet worden, aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Damit müssen wir leben.«
»Wie ist das möglich?«
»Wer weiß? Nicht alle Geheimpapiere landeten im Schredder, ehe diese Mistkerle an die Macht kamen. Egal. Momentan interessiert uns nur die Anweisung der Stimme. Können Sie es ausführen?«
»Natürlich.«
»Umso besser. Der Mann ist Abschaum.«
Das Pescado-Heim, an einem friedlichen Abend. Fish und Vicki Kahn sitzen sich am Küchentisch gegenüber. Makkaroni mit Käse überbacken, in der Mikrowelle erhitzt, liegen neben einer Tomatensoße auf Fishs Teller. Bei Vicki sind es weniger Nudeln und mehr Salat.
Fish ist nach den Missgeschicken des Professors bester Dinge.
Vicki hält sich den Bauch vor Lachen. Sagt: »Hör auf, Fish. Es reicht. So genau will ich es nicht wissen.«
Fish hatte die Geschichte nämlich ausgeschmückt. Erzählte, er habe den Professor auf dem Klo gefunden, die Hose um seine Knie, der Gestank der Angst so widerlich, dass er fast habe würgen müssen. »Richtig sauer.« Das Halstuch schief, die Hände zum Gebet gefaltet.
»Echt, ich mache keine Witze.«
»Du lügst.«
»Tu ich nicht. Ich erfinde das nicht. Es roch nach Poep.«
Dann schilderte er ihren Rückzug durch die Hinterhöfe. Wie der Professor wie ein Hase Haken geschlagen und dabei seine offene Hose festgehalten hatte. Wie sie so schnell wie möglich abgezogen waren. Wie er auf einer Mauer hängen blieb und in einen Hühnerstall gestürzt war. Zerbrochene Eierschalen und Federn, die an seiner Cordhose klebten.
Dieses Bild brachte Vicki erneut zum Lachen.
»Eine Sache noch«, sagte Fish. Er hielt inne, um eine weitere Flasche Butcher Block Ale zu öffnen. »In der Menge habe ich ein Gesicht erkannt. Nicht vorn bei den Bullen. Sondern im Hintergrund. Wahrscheinlich hat er von einem Nachbarhaus aus zugesehen.«
»Und? Agent?«
»Yep. Unser alter Freund: Mart Velaze.«
»Interessant.«
»Nicht wahr? Die Frage ist nur, was ein Agent bei einer Schießerei unter Banden verloren hat.«
Vicki hielt ihr leeres Weinglas hoch. »Herrscht hier Trockenzeit?« Während Fish die Flasche aus dem Kühlschrank holte, sagte sie: »Sich relevante Informationen besorgen.«
»Glaubst du?«
»Die Banden werden alle von der Agency im Auge behalten.«
»Dafür haben sie doch garantiert Impimpis. Es gibt immer jemand Internen, der andere verpfeift. Velaze ist für Straßendienste viel zu hochrangig.«
»Stimmt. Aber bei ihm weiß man nie. Wir wissen nur, dass er ernsthaft unerfreulich sein kann. Das wissen wir. Wir haben das beide mit ihm erlebt.«
»Andererseits war er auch hilfreich.«
»Das Problem bei ihm ist, dass man nicht weiß, wann er hilfreich ist. Und wann nicht.«
Dezember 2017
Urlaubsmonat. Eine Woche vor Weihnachten. An der V&A Waterfront. Genauer: im One&Only Hotel. Das Geschäftshotel erster Wahl.
An einem festlichen Freitagnachmittag. Die Luft feucht und schwül. Im Pool tummelten sich Leute. Andere streckten sich auf Liegen unter Strohschirmen aus. Überall schöne Körper. Drei Männer an einem Tisch im Schatten: zwei junge, ein älterer Anfang siebzig. Das Dreigespann war nach dem Lunch hier herausgekommen. Nach einem Sushi-Lunch im Restaurant Nobu. Drei Flaschen Wein: Seven Flags Pinot noir vom Weingut Paul Cluver im Elgin-Tal. Platter’s Wine Guide hatte dem Pinot fünf Sterne verliehen. Inzwischen waren sie zu Johnnie Walker Black übergegangen. Hier und da noch ein Craftbier. Vom Fass.
Die zwei jüngeren Männer in leichten Gucci-Anzügen, Hemden mit offenen Kragen, italienische Slipper ohne Socken. Der ältere Mann trug braune Socken und braune Budapester. Zwei hatten ihre Jacken über ihre Stuhllehnen gehängt. Ihre Gesichter glänzten. Der eine hieß Boyd Mvambu, der ältere Mann Jacks Sipati. Der lässige Kerl war Cesar Mapula.
Jacks Sipati meinte gerade: »Uns gefällt, wie Sie unverblümt sagen, was Sie denken. Sie haben die Stimme des Volkes. Sie sprechen über das Gemetzel der Geschichte. Sie sprechen davon, wie die Weißen ins Meer gejagt werden. Brüder, vergesst den Neubeginn. Vergesst den neuen Präsidenten. Er hat die Revolution hintergangen. Die Bewegung ist zerrissen. Ihr, meine Brüder, ihr seid jung, ihr seid die Zukunft.«
Jacks Sipati nahm an, dass es das war, was die jungen Männer hören wollten.
Wie aufs Stichwort erhob Boyd Mvambu sein Glas. Wandte sich an Cesar Mapula: »Verdammt direkt. Du hörst den Mann. Das habe ich doch gesagt. Wir sind die Revolution.«
Cesar Mapula schenkte sein weißes Lächeln dem einen und dann dem anderen Mann. Musterte die schönen Körper rund um den Pool. Einige junge Frauen lagen mit dem Gesicht nach unten da, die Bikinioberteile hinten geöffnet. Die Wölbungen ihrer Brüste waren gut zu erkennen.
Meinte: »Auf unsere Zeit.«
Jacks Sipati stieß mit Cesar an. »Es wird Ihre Zeit sein. Unsere Anführer sind alte Männer und Frauen. Unsere Zeit ist vorbei. Sie können sich jetzt unser Land zurückholen. Sie werden sich das Land zurückholen. Das hätten wir schon vor fünfundzwanzig Jahren tun sollen. Die Siedler werden nicht aufgeben. Ich habe es unserer Führung oft gesagt, aber sie hört nicht auf mich. Sie erklärt mir, das sei der Neubeginn. Die Sonne gehe auf, und dass wir es diesmal richtig machen würden. Aber das stimmt nicht, Brüder. Ihr wisst, dass das Fake News sind. Ich weiß, dass es Fake News sind.«
»Das ist genau der richtige Kampf für uns«, erwiderte Boyd Mvambu. »Für die Kämpfer der Peoples Power Party. Wir müssen die Schwarzen Oligarchen stoppen. Und das weiße monopolistische Kapital.«
»Sie sagen es, Bruder.« Jacks Sipati trank von seinem Bier. Leerte das Glas. Es lief gut. Cesar Mapula war zwar schwer einzuschätzen, aber dafür dieser Boyd! Boyd wirkte begeistert.
Cesar Mapula entgegnete mit einer ruhig geäußerten Herausforderung: »Und Ihr Plan, Genosse?«
Jacks Sipati beugte sich vor und berührte Cesar Mapula am Knie. »Folgendes, Bruder: Das Lager des Präsidenten ist schwach, meine Fraktion hingegen stark. Er wird bald von seinem Posten abgerufen werden. Vielleicht sogar verhaftet. In dem Moment können wir mit Ihnen dem Volk seine Macht zurückgeben.«
Er beobachtete, wie Cesar Mapula das verdaute. Sein Kiefer zuckte dabei leicht, und er hatte den Blick auf den dunstverhangenen Berg gerichtet. Bis sich seine Augen schlagartig auf ihn richteten.
»Sollen wir Ihnen das glauben? Sie können uns doch alles erzählen.«
Jacks Sipati entspannte sich und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Kicherte. »Das würde ich an Ihrer Stelle auch sagen. Aber ich versichere euch, Brüder: Ich habe die volle Unterstützung der Parteispitze.« Er nannte Namen. »Sie wissen, dass ich mich heute mit Ihnen treffe. Ich bin ihr Bote. Kommt schon! Ein Selfie. Das könnt ihr an meine Genossen schicken.« Er stand auf. Wandte sich an eine Frau auf einem Liegestuhl. »Entschuldigen Sie, Sisi, Schwester. Würden Sie uns helfen? Machen Sie ein Bild von uns.« Er ging zwischen Cesar Mapula und Boyd Mvambu in die Hocke, seine Hände auf ihren Schultern. Als ob sie jetzt seine Männer wären.
Die Frau meinte: »Klar, kein Problem.« Setzte sich auf und schloss hinten ihr Bikinioberteil. Schamlos. Sah die drei amüsiert an. Machte zwei Bilder mit Boyd Mvambus iPhone. Das Dreigespann. Der Einzige, der nicht lächelte, war Cesar Mapula.
Sie sagte zu Boyd: »Cooles Handy, Bruder.«
»Wollen Sie etwas zu trinken?«, fragte Boyd Mvambu. »Champagner?«
Die Frau bejahte. Boyd Mvambu meinte, er würde etwas organisieren. Zuerst noch das Geschäftliche. Okay, Sisi?
Wie auch immer, erwiderte die Sisi und glitt elegant zu ihrem Liegestuhl zurück. Legte sich hin, öffnete den Bikiniverschluss und ließ sich den Rücken bescheinen. Ihre Augen waren auf Cesar Mapula gerichtet, der sie beobachtete. Sie lächelte.
»An wen sollen wir das schicken?«, fragte Boyd Mvambu. Wählte aus seinen Kontakten die ersten fünf Namen, die Jacks Sipati ihm genannt hatte. Boyd Mvambu war ein Mann mit Connections. Er hatte in seinem Handy die Telefonnummern von Politikern, Bankern, Schwarzen Oligarchen, weißen monopolistischen Kapitalisten. Innerhalb von fünf Minuten hatte er mehrere Happy-Emojis von Jacks Sipatis Genossen erhalten.
»Ihr seht, ich bin echt, Brüder. Diese Sache muss über die Bühne gehen.« Jacks Sipati lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, schlug die Füße übereinander und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Sah von Cesar Mapula zu Boyd Mvambu. Bemerkte, wie Cesar nickte.
»Angenommen, wir ziehen das durch«, sagte Cesar Mapula, »was geschieht jetzt?«
Jacks Sipati wusste, dass Cesar Mapula eine Schlange war. Schmales Gesicht, kleine Augen, straffe Wangen. Cesar Mapula setzte sich als Erstes, als Zweites und bis zum Allerletzten immer für Cesar Mapula ein. Jetzt schenkte er ihm sein weißes Grinsen: »Reden wir.« Das Problem war, dass Cesar Mapula eine Schlange war. Eine giftige Schlange, die schnell zubiss.
»Gut«, erwiderte Jacks Sipati. »Wenn Sie einverstanden sind, können sich unsere Leute treffen. Wo auch immer. Jederzeit.« Ihm war klar, was als Nächstes kommen würde: Cesar Mapula würde erklären, dass es ein Problem gebe. Boyd Mvambu würde hinzufügen: »Wissen Sie, was wir meinen, Baba?«
»Wir haben ein Problem.« Cesar Mapula hatte jetzt den Blick auf die Frauen im Pool gerichtet.
»Wissen Sie, was wir meinen?« Boyd Mvambu hielt Jacks Sipati sein Handy entgegen. Auf dem Bildschirm war ein Dollarzeichen zu sehen.
»Ich verstehe«, sagte Jacks Sipati. »Ich habe da eine Lösung.«
Sie werden sich absichern wollen, hatte Jacks Sipati seinen fünf Emoji-Genossen erklärt. Und für sie bedeutet das Geld. Wie viel Geld? Eine Million? Die Verschwörer einigten sich auf fünf Millionen. Sie werden es auf ein Londoner Konto überwiesen haben wollen. Die Verschwörer waren einverstanden.
Jacks Sipati hielt seine rechte Hand hoch und spreizte die Finger. »Das können wir anbieten.«
In Cesar Mapulas Augen zeigte sich nicht das geringste Funkeln.
In Boyd Mvambus hingegen gingen die Lichter an.
»In London«, sagte er.
»Natürlich«, erwiderte Jacks Sipati. »Damit hätten wir dieses Problem gelöst?«
Jacks Sipati und Boyd Mvambu lachten.
»Hätten wir.« Boyd Mvambu suchte in Cesar Mapulas Gesicht nach Zustimmung. Cesar Mapula nickte.
Jacks Sipati gab dem Kellner ein Zeichen, eine weitere Runde Johnnie Walker Black zu bringen.
Sie lag da und lauschte ihren Stimmen. Konnte nicht alles verstehen, aber das Mikro würde die Einzelheiten ausmachen. Jetzt wirkten sie entspannt. Das Geschäftliche war erledigt. So weit hatte sie verstanden. Auch um wie viel Geld es ging. Cesar und Boyd waren nicht billig.
In der Voliere war sie von der Einsatzabteilung angefordert worden. Man hatte ihr erklärt: »Es gibt Leute, die wollen den Präsidenten absägen.« Die Voliere war der Spitzname der Agenten für die State Security Agency. »Sie kennen diese Leute.« Man hatte ihr Fotos von drei Männern gezeigt. Sie kannte sie. »Sie essen heute im One&Only, im Nobu. Sie werden das ebenfalls tun. Versuchen Sie, so viel wie möglich mitzubekommen. Aber seien Sie vorsichtig.«
Sie war den Anweisungen gefolgt. Allerdings hatte sich keine gute Gelegenheit im Restaurant ergeben. Sie hatte die drei nur beobachten können. Eines war jedenfalls sicher: Sie hatten viel zu besprechen. Und dabei tranken sie ebenso viel.
Als die Männer zum Pool hinausgingen, ergriff sie die Initiative. Vermutlich zu viel Initiative. Wahrscheinlich war es riskant. Aber Nandi war an Risiken gewöhnt. Mochte den Adrenalinkick. Wollte etwas wagen. Und fuhr meist reiche Ernte ein.
Auf der Toilette schlüpfte sie in einen Bikini und zog ein Kleid darüber, das bis zur Mitte aufgeknöpft war. Dazu Flipflops. Jeans, Schuhe, Jackett legte sie in ihr Auto im Parkhaus unter dem Hotel.
Sie saßen unter einem Sonnenschirm – drei Playboys der westlichen Welt. In der Nähe fand sie eine freie Liege und breitete dort ihr Handtuch aus.
Es dauerte keine zehn Minuten, da verwickelte Boyd Mvambu sie in die Fotogeschichte. Eine glückliche Einführung. Sie kehrte zu ihrer Liege zurück und machte sich sprungbereit.
Wieder dauerte es nicht lange. Vielleicht zwanzig Minuten, höchstens eine halbe Stunde. Dann kehrte Boyd zu ihr zurück. Berührte sie an der Schulter. Sagte: »Sisi, Sie können zu uns stoßen, wenn Sie Lust haben?«
Sie blickte zu ihm hoch. »Ich kenne Sie, Buti. Sie und ihn.« Sie zeigte auf Cesar Mapula. »PPP. Sie sind böse Jungs.«
Boyd Mvambu stieß einen leisen Pfiff aus. »Sie kennen uns, Schwester. Sie sind gut vernetzt.« Grinste sie an.
»Ich halte die Augen offen. Und der Baba, das ist Jacks Sipati.«
»Wer sind Sie, schlaue Schwester? Keine Journalistin, oder? Sie sind zu hübsch für eine Journalistin.«
»Nandipha. Nandipha Dlamini. Für meine Freunde Nandi.«
»Heißa, Sisi, schöne Nandi. Wir sollten Freunde werden. Sind Sie Model?«
»Manchmal.«
»Sie sollten immer Model sein. Wir können Sie zum Model machen, wenn Sie wollen. Wir können Sie zu allem machen, was Sie möchten. Kommen Sie, schöne Nandi, bitte setzen Sie sich zu uns.«
Das ließ sich die schöne Nandi nicht zweimal sagen. Dachte: Läuft wie am Schnürchen. Doch sie wusste, dass die Männer Tsotsi waren. Pass auf, Sista. In solchen Situationen sollte sie Rückendeckung haben, jemanden, der auf sie aufpasste. Aber Nandi mochte den Nervenkitzel.
»Das hier ist Nandi-für-ihre-Freunde, unsere Fotografin mit den langen Beinen«, sagte Boyd Mvambu.