SLEEPER - Mike Nicol - E-Book
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Mike Nicol

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Beschreibung

Zuerst wird der Energieminister ermordet. Dann bringt sich der ermittelnde Polizist um. Direkt vor den Augen von Freizeitdealer und Privatdetektiv Fish Pescado. Und er hinterlässt Fish eine Botschaft, die mit dem Fall zu tun hat. Also taucht Fish ab, in die dunklen Gegenden Kapstadts und bemerkt bald, dass es um etwas Gefährliches geht, etwas Großes. Der Name ISIS fällt, Uran spielt eine Rolle und das Gerücht, eine schmutzige Bombe solle in Paris gezündet werden, macht die Runde. Fish steckt bereits so tief in der Sache, dass er gar nicht auf die Idee kommt, die Angelegenheit könnte eventuell eine Nummer zu groß sein für ihn ...

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Zum Buch

Zuerst wird der Energieminister ermordet. Dann bringt sich der ermittelnde Polizist um. Direkt vor den Augen von Freizeitdealer und Privatdetektiv Fish Pescado. Und er hinterlässt Fish eine Botschaft auf dem Handy, die mit dem Fall zu tun hat. Also taucht Fish ab, in die dunklen Gegenden von Kapstadt, und bemerkt bald, dass es um etwas Gefährliches geht, etwas Großes. Der Name ISIS fällt, Uran spielt eine Rolle, und das Gerücht, eine Bombe solle in Europa gezündet werden, macht die Runde. Fish steckt bereits so tief in der Sache, dass er gar nicht auf die Idee kommt, die Angelegenheit könnte eventuell eine Nummer zu groß sein für ihn …

Zum Autor

MIKE NICOL lebt als Autor, Journalist und Herausgeber in Kapstadt, wo er geboren wurde, und unterrichtet an der dortigen Universität. Er ist der preisgekrönte Autor international gefeierter Kriminalromane. Die Rechte an seiner erfolgreichen Rache-Trilogie wurden gerade von einer deutschen Filmfirma gekauft.

MIKE NICOL BEI BTBDie Rache-TrilogiePayback. ThrillerKiller Country. ThrillerBlack Heart. Thriller

Die Kapstadt-SerieBad Cop. ThrillerKorrupt. ThrillerSleeper. Thriller

MIKE NICOL

Sleeper

THRILLER

Aus dem südafrikanischen Englisch von Mechthild Barth

Die südafrikanische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Sleeper« bei Umuzi / Penguin Random House South Africa (Pty) Ltd , Kapstadt.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright © Mike Nicol 2018 Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Published by Arrangement with Michael George Nicol Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Schlück GmbH, 30827 Garbsen Covergestaltung: semper smile, München nach einem Entwurf von Georgia Demertzis unter Verwendung von Motiven von © pexels.com

Teil eins

Eins

Miller’s Point. Fish Pescado öffnete die Drosselklappe. Leichte Drehung des Handgelenks an dem Mercury 800er. Achtzig Pferdestärken antworteten. Er hörte, wie der Motor stotternd und heulend anlief. Der Propeller begann sich zu bewegen, die Maryjane hob den Bug. Fish grinste über den plötzlichen Ruck nach vorne.

Flip Nel, Polizist und Fishs Nachbar, schaute sich vom Bug aus zu ihm um, mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Hat’s noch voll drauf, was?« Fish regelte den Motor etwas herunter, um das Schlauchboot von der flachen Bootsrampe ins tiefere Wasser zu lenken. »Mag alt sein, hat aber immer noch viel Power.«

»Stimmt«, meinte Flip. »Trotzdem, lass es uns etwas gelassener angehen, Boet.«

»Wieso? Hast ’nen dicken Kopf? Gestern Abend zu viel Polizistenkaffee reingekippt? Trink in Zukunft lieber Brandy, Flip.«

Flip drehte sich nicht noch einmal zu ihm um, sondern zeigte ihm nur den Stinkefinger. Fish lachte. »Ihr alten Säcke solltet nicht so schnell den Biss verlieren.« Flip saß mit dem Anker da, den er für das Boot spenden wollte. Samt einem aufgerollten Tau. Ein brandneuer klassischer Anker im Admiralstil. Musste ihn mindestens zwei Mille gekostet haben. Verrückt, so viel Geld für einen Anker rauszuwerfen.

Fish jagte den Motor also nicht hoch, sondern tuckerte gemächlich entlang des Seetangs auf Pyramid Rock zu. Trotz der niedrigen Geschwindigkeit erfasste ein kühler Wind seine Locken, und er kuschelte sich noch enger in den langärmeligen Hoodie unter seiner Schwimmweste. Eine richtige Jeans wäre heute offenbar doch geeigneter gewesen anstatt seiner kurzen Shorts.

Der Tag mochte sonnig sein, aber es war trotz allem Herbst. Ein kalter Dunstschleier lag über dem Meer, und es roch nach Algen, frisch und durchdringend. Kormorane flogen tief in Reihen dicht hintereinander. Das Meer hob und senkte sich nur leicht entlang der Flutlinie, so dass nicht einmal weißer Schaum entstand. An Tagen wie diesen gab es um die Halbinsel herum keine einzige vernünftige Welle. Da verpasste man wahrlich nichts, wenn man zur Abwechslung mal fischen ging.

Fish Pescado sieht nach typischem Surfer aus: blond, die blauen Augen seiner Mutter in einem braungebrannten Gesicht. Wenn er lächelt, lässt das Aufblitzen seiner weißen Zähne so manches Frauenherz schneller schlagen.

An diesem Morgen hatte er es ziemlich amüsant gefunden, dass Flip Nel auf einmal mit einem Anker dahergekommen war. Fish hatte keine Ahnung, was sein Kumpel damit wollte.

Brüllte deshalb über das Tuckern und Auf-und-Ab-Hüpfen des Schlauchboots hinweg: »Wozu eigentlich der Anker, Flip? Der Kerl, dem dieses Boot mal gehörte, hatte nie einen Anker.«

Flip Nel drehte sich wieder zu ihm um, hob diesmal den Anker hoch. »Du brauchst bei einem Boot immer einen Anker«, sagte er. »Du kannst dich nicht einfach so treiben lassen.«

»Treiben ist doch okay«, entgegnete Fish.

»Nein, Mann. Wenn du draußen bist, brauchst du einen Anker. Ernsthaft, Mann.«

»Da draußen ist es viel zu tief«, sagte Fish. »Der reicht nie bis zum Meeresboden. Dafür bräuchte man ein Tau, das mindestens eine Meile lang ist.«

»Manchmal gibt es Riffe. Und manchmal ist man näher an der Küste dran.« Flip ließ sich nicht abbringen. »Was ist? Gefällt dir mein Geschenk etwa nicht?«

Fish lächelte. »Doch, gefällt mir.« Wenn der Typ Geld für einen Anker ausgeben wollte, dann war das schließlich seine Sache.

»Es ist ein Geschenk. Nimm es also an, wenn auch nur aus Respekt.«

Fish war kein Angler. Ohne Flip Nel würde er die Maryjane nie benutzen. Hätte sie vielmehr schon lange verscherbelt. Aber der Polizist hängte gerne mal eine Schnur ins Wasser. Überredete Fish immer wieder, ein paar Stunden draußen in der Bucht zu verbringen. Vor allem nachdem Flips Lady gestorben war. Außerdem verdiente er sich so ein paar Pluspunkte, die er dann einsetzen konnte, wenn er Infos von der Polizei brauchte.

Fragte: »Irgendein spezieller Ort, der dir vorschwebt?« Wies mit der Hand auf den weiten Horizont.

Flip Nel zeigte in Richtung Hangklip, den Berg auf der anderen Seite der Bucht. »Fahr einfach weiter. Ich sag dir dann, wenn du anhalten sollst.«

Yes, Sir, salutierte Fish grinsend.

Während der letzten Monate war er mit Flip Nel etwa zehn Mal zum Angeln rausgefahren, hatte aber immer noch nicht kapiert, was das Ganze eigentlich sollte. Okay, es war friedlich, ruhig und entspannend hier draußen. Man konnte einen Doobie rauchen, in den Himmel starren und das glitzernde Meer betrachten. Man konnte … dahintreiben, sich schaukeln lassen.

Der Doobie brachte Flip Nel zuerst ziemlich aus der Fassung.

»Hey, Mann, ich bin Polizist. Das kannst du hier nicht rauchen.«

Fish fand das ziemlich lustig. »Entspann dich, Flip. Hier draußen herrschen die Gesetze des Meeres. Trink lieber noch ein Bier.« Warf ihm ein Ale aus der Kühlbox zu, ein Jack Black Butcher Block. Flip stand auf kleine Privatbrauereien. »Macht es leichter«, sagte er gerne. Was es leichter machte, erklärte er allerdings nie.

Fish meinte: »Das gilt auch für Cannabis.«

Allein diesen ersten Gras-Moment auf Flips Miene mitzuerleben, lohnte das Opfer einer Surfstunde. Teufelszeug, nannte es Flip. Behauptete, Dagga sei mehr Kak als Alkohol. Konnte einen woes machen, total den Überblick verlieren und durchdrehen lassen. Flip verwendete dafür sogar das Afrikaans-Wort voos – so voos wie bei einem knallharten Beach Break. Fish hatte immer nur die entspannten Vibes genossen, die ihm das Gras gab. Seiner Erfahrung nach wurde man bei zu viel von dem Zeug eher noch gechillter, so dass einen zum Schluss im Grunde gar nichts mehr tangierte.

Aber Flip ließ sich nicht beirren. »Nein, Boet. Auf lange Zeit drehst du damit durch. Und zwar so gewaltig, dass du nie zurückkommst.«

Fish widersprach nicht.

Jetzt widmete er sich wieder seiner Aufgabe. Drosselte den Motor und fuhr dann nahe an Pyramid Rock vorbei, wo die Kammzähnerhaie lauerten. Dahinter lag das offene Meer, glasig und fast regungslos. Er tuckerte so fünfzehn, zwanzig Minuten dahin, bis Flip die Hand hochhielt und rief: »Hier ist es gut, genau hier!«

Genau hier. In der Mitte der Bucht. Genau im Nirgendwo. Auf der einen Seite lag Hangklip ein gutes Stück entfernt, auf der anderen Seite der Felsen von Cape Point. Im Dunst.

Okay. Fish schaltete den Motor ab. Plötzlich herrschte nach dem Jaulen des Mercury völlige Stille. Ein wenig Wasser schwappte ins Boot, während es sich stabilisierte.

»Was meinst du, was wir hier draußen fangen?« Fish hielt die Hand über die Augen und schaute über die Wasseroberfläche hinweg. Nicht das leiseste Anzeichen einer Untiefe. Keine auf sie zufliegenden Tölpel. Keine Schar von Kormoranen. Es gab nur das Meer, ohne Sandbänke, ohne Riff. »Glaubst du, hier kommen Thunfische vorbei?«

Er beugte sich vor und kramte in seiner Tasche nach dem Spezialsandwich von Olympia: Ciabatta, belegt mit Salami, Tomaten und Gewürzgurken. Biss in das knackige Brot, wischte sich mit der Hand über den Mund. Fragte sich, ob er sofort auf die Angelegenheit seiner Klientin zu sprechen kommen sollte. Ein paar Pluspunkte für Caitlyn Suarez verbraten. Er wusste, dass sie zu Flip Nels Fällen gehörte. Ein kurzer Blick in die Akte würde ihm genügen. Dreißig Minuten höchstens.

Er blickte auf, als die Maryjane zu schwanken begann. Flip stand balancierend vorne am Bug, den Anker in der Hand.

Fish kaute und musterte dabei den Polizisten. Schluckte den Bissen hinunter. »Wenn du den hier wirfst, wird er nur hin und her pendeln. Lass es gut sein.« Zeigte auf seine Tasche. »Welches Sandwich willst du? Ciabatta? Oder das mit dem portugiesischen Brot? Oder ein Croissant? Eins mit Eiern und Speck vielleicht?«

Flip antwortete nicht. Fish sah, wie sich der Mann vorbeugte und ein Kabel am Ankertau befestigte.

»He. He, Mann, Flip. Was machst du da?« Jetzt bemerkte er, dass das andere Ende des Kabels um Flip Nels Knöchel gewickelt war.

Keine Antwort.

Flip Nel starrte ihn nun an. Die Haut um die Augen des Polizisten war weiß. Tote braune Augen. Sein Gesicht eine Maske. Flip schien etwas zu sagen. Ein paar Worte. Unverständlich. Zog seine Rettungsweste aus, ließ sie neben sich fallen.

Fish erhob sich schwankend: »Flip? Was tust du?« Krabbelte zur Mitte der Bank. »Flip.« Jetzt begann er zu begreifen.

Sah, wie Flip Nel sein Handy auf den Sitz vor sich legte, den Anker über Bord warf und das Tau dem Gewicht blitzschnell ins Wasser folgte. Dann Flip Nel.

»Flip. Nein! Nein! Flip.«

Es mussten hier sechzig bis siebzig Meter bis zum Meeresgrund sein.

Fish starrte auf die Luftblasen. Mit der Zeit zerplatzten sie, lösten sich auf.

Zwei

Wembley Square. Vicki Kahn erwachte durch das Sonnenlicht. Lag still da, die Augen geschlossen, und lauschte. Ihre Ausbildung: auf Geräusche achten. Alles, was anders als sonst erscheint. Hörte Stimmen von der Straße unten. Eine Wagentür wurde geschlossen, ein Mann lachte, ein Auto fuhr fort. Dahinter das Surren der Stadt. Samstagmorgen. Die Welt so, wie sie sein sollte.

Sie erinnerte sich an ihren Gewinn. Fünftausend. Ein Spiel, an dem sie immer wieder mal teilnahm. Wirklich praktisch. Fand in einer der Hintergassen von Gardens statt, wo ein Hippietyp zwei, drei Abende die Woche ein paar Leute zusammenbrachte. Gestern hatten die Karten zu ihr gesprochen, und sie hatte ihre Schulden dort um die Hälfte verringert.

Vicki Kahn lächelte und öffnete die Augen. Das Zimmer lag in einem schummrigen Grün. Ein Sonnenstrahl drang durch die Vorhänge herein. Der Luxus, spät aufwachen zu können. Wahrscheinlich war es schon nach halb acht. Sie streckte die Hand nach ihrem Handy auf dem Nachttischchen neben ihr aus. Acht Uhr vierzig. Wann war das zum letzten Mal möglich gewesen? Vicki stützte sich auf ihren Ellbogen ab, richtete sich auf und dachte an den vor ihr liegenden Tag. Es gab nichts, woran sie denken musste – nur an sich selbst. Ein perfekter Tag also.

Ein Croissant und eine Latte im Vida E auf dem Platz. Dann zur Biscuit Mill hinüber, dort eine Weile über den Markt schlendern, ein paar Baguettes und einige Époisses besorgen. In einem Spirituosengeschäft zwei Viererpacks Ale für Fish und für sich eine Flasche Philip Jonker, den Brut: eine klassische Mischung aus Chardonnay und Pinottrauben. Danach wollte sie einen Spar suchen und zwanzig Rand im Lotto setzen. Schließlich zu Rose Farm, um dort mit ein paar Freundinnen zu Mittag zu essen. Dort konnte man gut auf der Terrasse sitzen und ins Tal hinunterschauen. Endlich ihr altes Leben wieder zurückhaben.

Damit kam sie zurecht. Nachmittags wollte sie irgendwann bei Fish aufschlagen. Vielleicht würde er zur Abwechslung sogar mal was gefangen haben. Ein Gelbschwanz wäre gut. Gebraten. Das würde ihr schmecken. Auf frischem Rahmspinat. Und Kartoffelstampf. Darüber etwas Petersilie und Salbei gestreut. Ein Schnitz Zitrone. Danach Mousse au Chocolat von Woolworths. Zum Abschluss Stinkekäse mit Baguette.

Damit konnte sie leben. Mit dem prickelnden Sekt in einem Glas. Fish, der seine typische Musik auflegte. Wen noch mal? Bruce Springsteen? Irgend so was. Jedenfalls nichts Subtiles. Klang trotzdem cool. Interessante Texte.

Genau.

Vicki duschte und nahm sich beim Auswählen ihrer Klamotten nicht viel Zeit: Jeggings, ein langärmeliges Oberteil mit Rundausschnitt und eine lederne Fliegerjacke, die sie schon seit Ewigkeiten besaß. Jedenfalls lange genug, dass der Kragen glänzte und der Reißverschluss nicht mehr funktionierte. Fish nannte das ihre Fetenjacke, die sie vor allem dann anzog, wenn sie in Partylaune war. Sie verließ ihre Wohnung nur mit einer kleinen Handtasche über der Schulter. Bei Fish lagen ein paar ihrer Klamotten, das würde fürs Wochenende reichen.

Im Vida E setzte sie sich an einen Tisch am Rand. Viele Leute waren nicht da. Zwei Einzelne, die auf ihre Handys starrten. Mama und Papa mit Baby in einem Tragebettchen zwischen sich. Vicki hatte immer noch die Angewohnheit, sich ihre Umgebung genau anzusehen. Sie scrollte gerade durch die Nachrichten auf ihrem Handy, als eine Hand sanft ihre Schulter drückte.

»Na, das ist ja toll.«

Eine bekannte Stimme. Vicki dachte: Nein. Nicht du. Bloß nicht du. Blickte mit Pokergesicht auf. Sagte: »Welche Überraschung, Henry.«

»Wohl wahr. Wohl wahr.« Er setzte sich zu ihr. »Ziemlich nett, muss schon sagen. Es ist keine Lokalität, die ich bisher häufiger besucht habe.«

Jedenfalls nicht in den zwei Jahren, seitdem sie ihn kannte.

»Ich darf doch?« Er stellte seinen Filterkaffee und seinen Kleiemuffin auf ihren Tisch, ohne ihre Antwort abzuwarten. »Sie wohnen hier in der Gegend, soweit ich mich noch erinnere. Irgendwo recht nahe.« Er schnitt seinen Muffin in vier Teile und halbierte die Viertel. Auf jedes Stück strich er eine Schicht Butter und legte die Stücke dann aufeinander. Schob den Muffin wieder zusammen. »So.« Sah sie an. »Ist es hier in der Nähe? Ich habe doch recht, oder? Eine der Wohnungen über uns. Oder? Sehr schön. Eine schöne Ecke, Wembley Square. Ideal für Menschen wie Sie. Jung und berufstätig. Wissen Sie, ich kannte diesen Ort noch, als er einer Druckerei gehörte. Der Typ verstand es, Feste zu geben. Du meine Güte. Das waren Zeiten. Wundervoll. Aber die Dinge ändern sich, nicht wahr?« Ein Lächeln. »Wie geht es Ihnen, Vicki? Genießen Sie Ihr neues Leben? Es wirkt jedenfalls so. Hübsch wie immer. Entspannt. Wundervoll. Freut mich. Freut mich.« Er tätschelte ihren Arm.

Vicki beobachtete, wie er ein Muffinviertel in die Hand nahm und elegant davon abbiss.

»Das tue ich, Henry. Danke.«

»Fehlen wir Ihnen?«

»Seltsamerweise …« Sie lächelte. »Gar nicht.«

»Hmm. Ob das stimmt. Sagen Sie das nicht vielleicht nur so? Die Zeit wird es zeigen, glauben Sie mir.« Henry Davidson schluckte und tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. Sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Sie kennen den alten Spruch: einmal Agent, immer Agent. Ist leider so. Da gibt es kein Entkommen.«

»Ach, ich weiß nicht. Ich komme gut zurecht.«

»Es liegt einem dann im Blut.« Henry hörte nicht auf sie. »Unmöglich, das loszuwerden. Im Grunde sogar unmöglich, ein anderes Leben zu führen. Wo sonst kriegt man diesen Kick? Wenn das Adrenalin durch die Adern rauscht, während man still seinen Triumph genießt. So wie Sie das taten, Vicki. So wie Sie das taten. Schafften es, den Kinderhandel zu unterbinden. Das war ein Aufwand, der sich wahrlich gelohnt hat. Können Sie sich auf die Fahnen schreiben. Zeigte, dass nicht einmal der Sohn des Präsidenten über dem Gesetz steht. Darauf kann unsere Demokratie stolz sein, würde ich behaupten. Wir sind für solche Dinge nötig, Sie und ich.«

»Paranoid. Verschlossen. Immer auf der Hut. Sie mögen sein, was Sie wollen, Henry, aber ich bin nicht so. Deshalb habe ich auch gekündigt. Ich will nicht, dass Leute meine Wohnung abhören.«

»Tut das jemand? Das tut doch niemand, oder?«

»Soweit ich weiß, nicht.«

»Gut, gut. Sie erledigen also Ihre Hausarbeit. Nach den kleinen Widerlingen suchen. Eine nützliche Angewohnheit. Sollten Sie beibehalten, Vicki. Beruhigend zu wissen, dass man Sie vom Radar verschwinden ließ.«

»Man?«

»Man. Sie wissen schon …«

»Ich weiß nichts.«

»So eine Ausdrucksweise.«

»Ich bin raus, Henry. Ich habe gekündigt. Schon vergessen? Und Sie haben meine Kündigung akzeptiert. Ich arbeite nicht mehr für den Staat. Nie mehr. Ich will nicht mehr mit Gangstern und Verbrechern konspirieren.«

»Gangster und Verbrecher. Das ist etwas heftig, meine liebe Vicki. Nennen wir sie doch lieber einfach Politiker.« Henry Davidson aß das Viertel Muffin zu Ende. »Dieser Muffin ist wirklich ausgezeichnet. Auch der Kaffee lässt sich trinken. Obwohl die Baristas hier für meinen Geschmack zu laut sind. Und diese ganzen modischen Begriffe sind nervtötend. Aber erzählen Sie mir von Ihrem Leben als Anwältin. Für Legal Aid, nicht wahr? Sehr lobenswert, wirklich sehr lobenswert.«

»Es gefällt mir.« Vicki nippte an ihrer Latte. »Da kann ich Menschen helfen.«

»Darin sind Sie ja auch gut. Und Ihr Lebensgefährte? Wie hieß er noch mal? Dieser Surfer?«

»Fish.«

»Stimmt. Fish.« Henry Davidson schüttelte den Kopf. »Ein törichter Name. Sie sind also immer noch ein Pärchen, wie es heutzutage heißt?«

»Das sind wir.«

»Toller Fang für ihn. Sie könnten allerdings mehr erreichen. Viel mehr. Andererseits ist das menschliche Herz ja oft unerklärlich. Wie Alice so schön sagt: ›Ich bin schon in vielen Gärten gewesen, aber niemals haben die Blumen sprechen können.‹ Und in dem einen Garten können sie es auf einmal. Erstaunlich, nicht wahr? Das Leben ist unglaublich irrational.«

Vicki brach ein Stück Croissant ab und schob es sich in den Mund. Betrachtete Henry Davidson: sein Gesicht mit den braunen Altersflecken, sein Toupet, sein Halstuch, seine Wildlederjacke. Der Meisterspion. Der Doppelagent. Ein kommunistischer Maulwurf im Geheimdienst der Apartheid. Henry Davidson gab es schon sehr lange. Er hatte das Kesseltreiben nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf den Präsidenten überlebt. Andere Agenten ganz weit oben auf der Leiter waren gestürzt, doch Henry hatte sich behauptet. Samt Toupet.

»Warum sind Sie hier, Henry?« Vicki schluckte das Croissant mit einem Schluck Latte hinunter.

»Ich erkunde gerne alle Ecken meiner Stadt.«

»Bullshit.«

Er lachte. »Es stimmt. Ehrlich. Sie kennen mich. Ich bin immer auf der Suche nach geeigneten Orten. Für ein ruhiges Treffen unter vier Augen.«

Wie jetzt, dachte Vicki. Ihr Handy klingelte. Fishs Name auf dem Display. »Ich muss da ran.«

»Natürlich.« Henry Davidson senkte den Kopf. Er hatte offenbar nicht vor, sie ungestört telefonieren zu lassen.

Drei

False Bay. Fish starrte auf die letzten Luftblasen. Die Wasseroberfläche wurde zu einem Spiegel: blau auf blau. Starrte regungslos, von der Stille wie eingefroren. Für lange Momente lehnte er sich immer wieder über die Bootsseite, als ob er nach Erkenntnis suchen würde. Nach einer Erklärung. Er stellte sich vor, den Anker unten im Sand zu sehen, Flip Nel daran hängend, im Meer schwebend. »Du kannst dich nicht einfach so treiben lassen. Wenn du draußen bist, brauchst du einen Anker. Ernsthaft, Mann.«

Fish verharrte so, bis ihn die Welt irgendwann zurücknahm. Die Stille wurde vom Klatschen des Wassers gegen das Boot durchbrochen.

»Verdammt, Flip.« Sagte es leise ins Meer hinaus. Wandte sein Gesicht zum Himmel und brüllte: »Verdammt, Flip! Warum hast du das gemacht?« Als ob Flip ihn in der Tiefe hören könnte. Oder im Himmel.

Fish sah zu Hangklip hinüber. Zu Cape Point. Zu dem langen Horizont, der sich zwischen den beiden Landzungen dehnte. Wie sollte er diese Stelle jemals wiederfinden? Das war unmöglich. Kein GPS-Chip, keine GPS-Koordinaten. Kein X, mit dem der genaue Punkt hätte markiert werden können. Kein Handysignal, um die Wasserrettung zu rufen. Verloren auf weiter See. Flip Nel verschwunden. Schien alles bedacht zu haben.

Er bemerkte Flips Nokia. Krabbelte zu ihm. Das Aufnahmegerät war angeschaltet, es lief seit genau siebzehn Minuten. Fish machte es aus. Warum hatte Flip das getan? Ein Polizist wie er tat nichts ohne Grund. Immer rührte er in trüben Gewässern. Wartete ab, was aus dem Dreck auftauchen würde. Wer allerdings nicht mehr so schnell aus dem Trüben auftauchen würde, war Flip Nel selbst. Fish schaltete das Handy wieder an.

Motorengeräusch. Flips Stimme: »Hier ist es gut, genau hier!« Dann leiser: »Schau unter Caitlyn Suarez. Du willst die Suarez-Akte, sie liegt in meiner Küche.« Der Motor wurde ausgemacht. Fishs Stimme: »Was meinst du, was wir hier draußen fangen? Glaubst du, hier kommen Thunfische vorbei?« Ein paar Sekunden lang hörte man Flips Atem. Wieder Fishs Stimme, nachdem Flip den Anker hochgehoben hatte: »Wenn du den hier wirfst, wird er nur hin und her pendeln. Lass es gut sein.« Zeigte auf seine Tasche. »Welches Sandwich willst du? Ciabatta? Oder das mit dem portugiesischen Brot? Oder ein Croissant? Eins mit Eiern und Speck vielleicht?« Sein eindringliches »He. He, Mann, Flip. Was machst du da?« Ein paar kaum hörbare Worte von Flip: »Die Akte … Schau unter S nach.« Sein »Flip. Nein! Nein! Flip.« Das Platschen des Ankers im Wasser. Das Platschen von dem ihm folgenden Flip Nel.

Fish schaltete die Aufnahme ab. Das alles war innerhalb von zwei Minuten und siebenundzwanzig Sekunden passiert. Der Rest bestand aus dem Rauschen des Meeres. Er spielte es noch einmal ab.

In Flips Leben musste ernsthaft etwas Mieses los gewesen sein. Das Ganze zeigte mal wieder: Trotz all der Menschen um einen herum war man letztlich immer allein in der Welt. Ganz allein, China. Es lief stets auf dasselbe hinaus: Man war allein.

Allerdings hatte Flip Nel eine Hinterlassenschaft vorbereitet. Die Akte Caitlyn Suarez. Fish hörte es sich noch einmal an: »Schau unter Caitlyn Suarez. Du willst die Suarez-Akte, sie liegt in meiner Küche.« Dann leiser: »Die Akte … Schau unter S nach.«

»Sie hat also nicht gelogen«, stellte Fish laut fest. »Da geht es noch um etwas anderes.«

Er schaute übers Meer zum Kamm der Gebirgskette auf der Halbinsel. Besser, wenn er Flips Handy zerlegte, ehe er an Land fuhr. Er konnte so tun, als wäre es mit ihm über Bord gegangen. Besser, wenn niemand von der Akte wusste. Fish schaltete das Handy aus, schob einen Fingernagel unter den Rückdeckel, nahm Akku und SIM-Karte heraus. Steckte die Teile in die Tasche seines Kapuzenpullis. Dann kroch er wieder zu seinem Platz am Außenbordmotor.

Es kam ihm falsch vor, einfach wegzufahren. Obwohl ihn das Meer wahrscheinlich schon von der Stelle weitergetrieben hatte, wo Flip untergegangen war. Es konnte bereits hundert Meter woanders sein, selbst bei einem ruhigen Seegang wie an diesem Tag.

Noch einmal redete er laut: »Oh, Mann, Flip. Was soll ich sagen, mein Freund? Ich hoffe, dir hat das Fischen gefallen.« In seinen Augen brannte es, und sein Mund fühlte sich trocken an.

Fish startete den Motor und wendete die Maryjane, steuerte auf die Halbinsel zu. Gab Gas. Warf immer wieder einen Blick auf sein Handy, bis er sich in Reichweite eines Signals befand. Dann drosselte er den Motor, damit dieser nicht mehr so laut war, und rief die Seenotrettung an.

Sagte das, was er sich zuvor überlegt hatte: Sie waren zum Angeln, der Freund ging mitten in der Bucht über Bord. Ein Unfall.

Der Mann am anderen Ende der Leitung stellte ihm sofort wie erwartet ein paar Fragen: Name des Boots, genaue Lage, Uhrzeit des Unfalls. »Wollen Sie damit sagen, dass er ertrunken ist? Haben Sie seinen Leichnam? Haben Sie versucht, ihn wiederzubeleben?«

»Das geht nicht. Er ist untergegangen.«

»Bleiben Sie dort. Wir sind in zwanzig Minuten bei Ihnen. Wie lauten Ihre Koordinaten?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Fish. »In zwanzig Minuten bin ich bei Miller’s. Geben Sie es einfach der Polizei weiter, okay? Der Mann, der untergegangen ist, war auch Polizist.« Legte auf.

Dann rief er Vicki an. Stellte sich vor, wie sie ihre Haare zurückwarf, als sie das Handy an ihr Ohr führte. Wahrscheinlich lächelnd, weil sie annahm, dass er ihr gemeinsames Abendessen gefangen hatte.

»Fish.« Ihre Stimme klang leise. Im Hintergrund Restaurantgeräusche. »Ich rufe zurück.«

Nicht gerade das, was er erwartet hatte. »Nein, einen Moment, es ist dringend. Warte, okay? In der Schublade mit den Schlüsseln liegt einer für Flip Nels Haus. Für seine Hintertür. Klettere über die Gartenmauer und hol aus seiner Küche die Akte Caitlyn Suarez. Die musst du sofort kopieren. Sofort.«

»Ich bin in der Stadt, Fish.«

»Schnell, Vics. Bitte, schnell.«

»Was ist los?«

»Flip ist tot.«

Fish hörte, wie der Profi in Vicki das Steuer übernahm. »Ich rufe dich zurück.«

»Kopiere einfach die Akte, Vics. Die Akte.«

Vier

Stonehurst Mountain Estate. »Nette Hütte«, hatte Fish als Erstes zu Caitlyn Suarez gesagt. Er hatte in einen langen Raum mit freigelegten Holzbalken, unverputzten Ziegelwänden und sehr viel Glas geblickt. Sah fast wie ein Saal aus. An den Wänden hing afrikanische Kunst. Masken, Holzschnitzereien, abstrakte Gemälde.

»Eine Mordanklage macht das Ganze weniger großartig«, hatte sie geantwortet und war zur Seite getreten. »Schließen Sie die Tür, ja? Ich habe drüben neugierige Nachbarn.«

Fish schloss die Tür. Sein Blick war jetzt auf ihre langen Beine in engen schwarzen Jeans gerichtet, die auf eine Gruppe Ledersofas zuliefen. Beine, die mit denen von Vicki mithalten konnten. Ein wirklich hübscher Rückenanblick. Halb verborgen durch eine weiße Baumwollbluse, die lose herabhing, der Kragen geöffnet, so dass man beinahe den Brustansatz erkannte. Die Ärmel waren ordentlich bis in die Mitte ihrer Unterarme hochgerollt. Es geschah nicht oft, dass er einen Körper sah, der es mit Vickis aufnehmen konnte. Caitlyn Suarez musste etwa gleich alt wie Vics sein. Mitte dreißig. Oder Ende dreißig. Kastanienbraune Haare, die zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Scharfe Gesichtszüge. Nichts Schlaffes in ihrer Miene.

Sie stand barfuß zwischen den Sofas aus Zebrafell und zündete sich eine Zigarette an. Hielt ihm das Päckchen hin.

Fish schüttelte den Kopf.

»Sie haben doch nichts dagegen?« Blies Rauch durch ihre sinnlichen Lippen.

Wieder schüttelte Fish den Kopf. »Ihr Haus. Also Ihre Regeln.«

»Ich sollte eigentlich nicht. Hab es auch nicht mehr getan. Ich hatte jahrelang damit aufgehört.« Blies erneut Rauch aus. »Bis dieser furchtbare Albtraum mein Leben zu bestimmen begann. Der Mord. Die Drohungen. Die Telefonanrufe. Das seltsame Zeug, das mir geschickt wird.«

Fish bemerkte eine Bewegung am anderen Ende des Raums. Eine junge Frau. Kurze Haare, durchtrainierter Körper, in einem schwarzen Badeanzug. Sagte: »Ich ziehe jetzt ein paar Bahnen. Hab gerade alles kontrolliert. Sicher.« Sie schob eine Glastür in einer Glaswand auf und ging auf den Swimmingpool draußen zu. »Wer ist das?« Fish deutete auf sie.

»Mein Bodyguard«, erwiderte Caitlyn Suarez. »Sehr aufmerksam. Schwimmt viel. Liest viel. Redet wenig.«

»Mal was anderes.«

»Alles ist jetzt anders.«

»Hätten Sie denn gerne eine traditionellere Bewachung? Ich hab einen auf Steroid. Kahl rasierter Kopf. Stets die richtige finstere Miene.«

»Nein, danke. Lassen Sie sich nicht täuschen, Mr. Pescado. Sie würden es nicht mit ihr aufnehmen wollen.«

Wohl wahr, dachte Fish. Vicki würde sich zu sehr aufregen. Ihn als Pädophilen beschimpfen. Die junge Frau sah aus wie gerade mal sechzehn.

Er richtete den Blick wieder auf Caitlyn Suarez. So viel Ablenkung in diesem Haus.

»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie. »Ein Bier? Ein Rock Shandy? Wasser? Oder vielleicht etwas Stärkeres?«

Fish meinte, dass er nichts wolle. Ihm fiel auf, dass sie weder Tee noch Kaffee angeboten hatte. Ein Espresso wäre nicht schlecht gewesen. War aber keine Bitte, die er zu diesem frühen Zeitpunkt äußern mochte. Für eine neue Klientin zeigte er sich von der besten Seite. Ihre Bank hatte ihn ihr empfohlen. Es stellte sich heraus, dass sie sich dort um den Devisenhandel kümmerte. Eine Frau von Welt. Hatte bereits in New York, London, Paris, Hongkong, Singapur, Dubai, Teheran gearbeitet. Offenbar kannte sie sogar wichtige Leute bei der Weltbank. Caitlyn Suarez hatte wirklich gute Kontakte. Flog in andere Länder mit einer Selbstverständlichkeit, als benutzte sie Uber-Taxis.

Sie setzten sich auf zwei Sofas, die durch einen Couchtisch voneinander getrennt waren. Auf dem Tisch lagen zwei zusammengefaltete Zeitungen des heutigen Tages auf einem Stapel brauner Umschläge. Daneben ein Messingaschenbecher und ein paar Fernbedienungen für einen Achtundvierzig-Zoll-Flachbildfernseher an der Wand. Der Ton war stummgeschaltet, während Finanzdaten in einer langen Liste über den Bildschirm rollten.

»Kennen Sie die Hintergrundgeschichte?«

»Ja.« Fish hatte sich umgehört. Caitlyn Suarez war drei Jahre lang mit Victor Kweza zusammen gewesen, Kabinettsminister, Energieressort. Interessante Kombi. Daran bissen sich die Reporter von You, Marie Claire und Glamour die Zähne aus. Auch gesellschaftlich eine harte Nuss: der charmante Politiker und die internationale Bankerin.

Victor war in seinem Haus auf einem Golfanwesen erschlagen worden. Ein Haus mit Kletterrosen an der Terrassenmauer, Töpfen mit Lorbeerbäumen neben der Haustür und Holzjalousien vor den Schiebefenstern. Den Gerichtsmedizinern zufolge hatte ihn jemand mit einem Golfschläger ermordet.

Besagter Golfschläger ein Neuner-Eisen. Das Caitlyn Suarez gehörte und in ihrer Golftasche in Kwezas Haus gefunden worden war, ihre Fingerabdrücke auf dem Griff. Ein Tröpfchen seines Bluts in den Rillen des Eisens.

Genug, um Kwezas Blutgruppe nachweisen zu können. Genug, um Caitlyn Suarez zwölf Stunden lang festzuhalten. Ohne sie zu verhören. Ihr Pass wurde ihr entzogen. Sie wurde mit einer Verwarnung freigelassen. Es würde noch eine Befragung geben, und sie solle Dodge nicht verlassen. Caitlyn Suarez kehrte zu Todesdrohungen nach Hause zurück. Zu einer ständigen Belagerung durch Journalisten.

»Ich will, dass Sie herausfinden, wer ihn umgebracht hat, Mr. Pescado.«

»Fish.«

»Fish.« Sie musterte ihn. Ihr Finger klopfte die Asche von der Zigarette. Sie zog ein letztes Mal und drückte den Rest dann aus. »Wie heißen Sie wirklich?«

»Bartolomeu. Aber so nennt mich nur meine Mutter. Nach dem Entdecker.«

»Ein Name ist nie nur ein Name.« Ein flüchtiges Lächeln. »Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie vielleicht auch gleich noch herausfinden, warum man es jetzt auf mich abgesehen hat.«

»Sie meinen die Morddrohungen und die anonymen Telefonanrufe?«

»Nicht nur die. Auch E-Mails. Auf Facebook. Twitter. Eine Wachshand, die mir zugeschickt wurde. Ich meine, was soll das alles? Wer schickt denn eine Wachshand? Soll das irgendein verrücktes Zeichen sein? Dann wurde ›Schlampe‹ in Blut auf die Windschutzscheibe meines Autos geschmiert. Sehr dramatisch, ekelhaft, das wieder wegzukriegen. Danach habe ich mir Personenschutz geholt. Die Vorstellung, dass mir jemand folgt, ist …« Sie hielt inne. »… verstörend.«

»Wann war das? Das Graffito, meine ich.«

»Vor drei Tagen.«

»Und der Mord geschah vor zwei Wochen?«

»Ja.«

»Wann kam die Hand?«

»Einen Tag vor der Blutbotschaft.«

»Seitdem?«

»Nichts. Nur dass man mich verfolgt. Mein Bodyguard meint, es sind Profis. Sie wechseln die Autos. Haben einen Peilsender installiert.«

»Sie müssen also Geld haben.«

»Scheint so.«

Fish lauschte dem regelmäßigen Spritzen der Schwimmerin in dem schwarzen Badeanzug. »Wie kam die Hand?«

»In einer Schachtel, hübsch als Geschenk eingewickelt. Wurde von einer offiziellen Kurierfirma geliefert, während meine Sicherheitsleute vorne am Tor standen. Irgendwer hat die Sendung in einer Filiale in der Innenstadt aufgegeben. Rechnung mit falschem Namen und falscher Adresse. So viel weiß ich, dank meiner Beschützerin.«

Fish zeigte zu der Frau im Pool, deren Arme immer nur kurz bei jedem Zug aufblitzten. »Sie?«

»Genau sie. Kann sehr überzeugend wirken. Sie hat auch herausgefunden, dass die Hand von einem Coloured aufgegeben wurde. Angeblich ein ausgesprochen gut gekleideter Typ. Ich zitiere nur.«

Fish zog ein Notizbuch aus der Gesäßtasche seiner Jeans. Ein zerknittertes Büchlein mit Spiralbindung. »Haben Sie sich bei den sozialen Medien abgemeldet?«

»Nein, hab ich nicht.«

»Nicht?« Fish klickte hinten am Kugelschreiber und kritzelte etwas auf eine Seite, um die Tinte zum Fließen zu bringen. »Warum nicht?«

»Ich dachte, sie könnten noch nützlich sein.«

Offenbar hatte er es mit jemandem zu tun, der anders tickte als üblich. Seiner Erfahrung nach meldeten sich Leute, die belästigt wurden, sofort von den sozialen Medien ab. Den Hass, der ihnen dort entgegenschlug, konnten nur die wenigsten ertragen. »Macht es Ihnen denn nichts aus? Sie bekommen doch sicher widerliche Nachrichten.«

»Die muss ich ja nicht lesen. Nein, es macht mir nichts aus.«

Caitlyn Suarez saß entspannt auf ihrem Ledersofa. Ruhig. Ruhig und kühl wie weißes Leinen. Mitte der Woche sah sie aus, als wäre sie im Urlaub.

»Weshalb haben Sie so lange gewartet, bis Sie einen Privatdetektiv kontaktierten?«

»Ich dachte, die Polizei würde den Mörder bald finden. Mein Anwalt ging auch davon aus. Ein Fall mit einer großen Publicity. Da sollte man doch denken, dass sie sich dahinterklemmen. Mein Gott, Victor lebte auf einem Golfanwesen – dort gibt es eine ständige Überwachung. Jemand muss etwas gesehen haben. Aber nein. Das Einzige, was ihnen einfiel, war, mich zu verdächtigen.«

Dafür werden sie allerdings auch einen Grund gehabt haben, dachte Fish. Sagte stattdessen: »Suchen Sie immer noch Ihr Büro auf?«

»Nicht mehr. Seit dieser Blutbotschaft nicht mehr. Wenn irgendetwas sofort von mir unterschrieben werden muss, wird es mir per Kurier geschickt. Den Rest kann ich auf meinem Laptop erledigen. Und zwar von hier.« Sie stand auf. »Ich brauche einen Schluck Wasser. Möchten Sie vielleicht doch auch etwas trinken?«

»Ein Kaffee wäre schön.« Fish hatte das Gefühl, jetzt den Punkt im Gespräch erreicht zu haben, wo er um etwas bitten konnte.

»Gerne. Einen Espresso? Cappuccino? Filterkaffee? Latte?« Caitlyn Suarez schritt zu der offenen Küche hinüber mit ihrem eindrucksvollen Gasherd und Ofen, den Arbeitsflächen aus Marmor und einer raffiniert aussehenden, teuren Kaffeemaschine auf der Theke. »Sie haben hoffentlich nichts gegen Pads? Kann Ihnen leider kein Truth bieten.«

»Pads sind okay.« Wenn man nicht zu viel Wasser darübergoss, waren Pads in Ordnung. Allerdings war Truth natürlich der Himmel der Kaffeesnobs. Fish kannte Truth. Wenn man in Kapstadt lebte und die Stadt immer im Blick behielt, konnte einem Truth nicht entgehen. Ein von Vicki gern aufgesuchtes Café, fußläufig von ihrer Wohnung erreichbar. »Ein einfacher Espresso reicht.«

»Was ich wissen will: Wer hat ihn ermordet und warum? Es muss irgendeine dunkle Sache sein, in die er da hineingeraten ist. Das ist kein weiterer zufälliger Kapstädter Mordfall. Es geht hier um die große Politik, vermutlich weil Victor nicht an der allgemeinen Mästung der Politiker teilhaben wollte.«

Caitlyn Suarez nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank, drehte vorsichtig den Deckel auf und ließ die Kohlensäure entweichen. Sie trank direkt aus der Flasche und tupfte sich dann mit dem Handrücken den Mund ab. Erst jetzt fiel Fish auf, dass sie keinen Lippenstift trug. Caitlyn Suarez brauchte keinen Lippenstift.

»Ich befürchte einfach, dass der Fall nie gelöst wird. Und als weiterer ungelöster Mord abgeheftet werden soll.«

Sie brachte Fish eine Espressotasse von Illy und stellte sie auf den Couchtisch. »Und warum ich? Warum soll ich den Sündenbock geben?« Sie ließ sich wieder auf dem Sofa nieder und streckte mit übereinandergeschlagenen Knöcheln die Beine aus, die Wasserflasche in der Hand. »Ich weiß natürlich, dass ich als Geliebte die erste Verdächtige bin. Die Mordwaffe war mein Golfschläger, bla bla bla. Aber wozu die Wachshand? Und die Drohungen?«

Genau das dachte Fish auch. Meinte: »Es gibt ein paar Dinge, die ich Sie fragen muss. Persönliches über Sie und ihn, über Mr. Kweza.«

»Zum Beispiel?«

»Wie Sie sich kennenlernten. Wie lange Sie sich kannten. Familie. Freunde. Feinde.«

»Viele Feinde«, stellte Caitlyn Suarez fest. »Von ganz oben angefangen.«

»Wen meinen Sie?«

»Den Präsidenten.«

Fünf

Die Blue Route. Vicki Kahn blieb mit dem MiTo knapp unterhalb der Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn. Hundert Kilometer pro Stunde. Man wusste nie, wer da mit einem Blitzgerät lauerte. Sie erreichte Fish über die Freisprecheinrichtung.

»Wird aber auch Zeit. Verdammt, Vics.«

Sie achtete nicht auf seine Stichelei oder die Empörung. War nicht typisch für Fish, angespannt zu sein. »Wo bist du gerade?«

»Am Miller’s. Gleich an der Bootsrampe.«

»Hast du die Polizei informiert?«

»Die Seewache. Denen hab ich vorgeschlagen, die Polizei zu rufen.«

»Sind sie vor Ort?«

»Nein. Kein Willkommenskomitee. Noch nicht.«

»Gut. Warte lieber dort auf sie. Geh bloß nicht aufs Revier.«

»Das hatte ich auch nicht vor, Agentin Kahn.«

Vicki dachte: Oh, Mist. Lass ihn. Keine Anweisungen. Sagte: »Entschuldige.« Dabei beließ sie es. Im Hintergrund konnte sie das Tuckern des Außenbordmotors hören, der offenbar heruntergeschaltet wurde.

Fish fragte: »Bist du noch im Auto?«

»Fast bei dir zu Hause. Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«

Sie hörte sich Fishs Geschichte an. Eines nach dem anderen sprudelte aus ihm heraus. Endete mit: »Und dann wirft der Kerl den Anker ins Wasser und springt einfach hinterher. Scheiße. Platsch. Auf Nimmerwiedersehen, Flip Nel. Ist sofort untergegangen.« Ein Fingerschnipsen. »Blitzschnell. Weg. Für immer. Verdammt, Mann, warum hat er das gemacht? So wahnsinnig radikal.«

Vicki hielt es für besser, diese Frage erst einmal auszublenden und sich stattdessen auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Und was hat es mit der Suarez-Akte auf sich?«

»Flip meinte, er hat sie mit nach Hause genommen. Und für mich dort liegen lassen.«

»Das hat er dir gesagt?«

»Nein, er hat eine Sprachnachricht auf seinem Handy hinterlassen. Mit Hilfe des Aufnahmegeräts.«

Eine neue Form des Abschiedsbriefs. Vicki bog von der Autobahn ab, raste auf die Hauptstraße zu und bretterte bei Gelb über die Ampel. »Ich muss wissen, was in dieser Akte steht, Vics«, fuhr Fish fort. »Aber sobald sein Name raus ist, wird sein Haus voller Polizisten sein. Jede Wette.«

»Sonst noch was?«

»Auf dem Aufnahmegerät? Die ganze Tonspur seines Abschieds.«

»Mein Gott.«

»Kannst du laut sagen.«

»Ich meinte, sonst noch was außer der Akte?«

»Keine Ahnung. Schau selbst nach, was da so rumliegt. Vielleicht hat er auch einen richtigen Abschiedsbrief hinterlassen.«

»Gib mir eine halbe Stunde.«

»Wenn ich kann. Ich sehe bereits Blaulicht auf der Straße in meine Richtung rasen.«

»Bleib ganz ruhig. Sie dürfen nicht misstrauisch werden.« Vicki legte auf. Sie hatte andere Dinge im Kopf, um die sie sich kümmern musste. Solche Dinge wie Polizisten, die sehr bald Flip Nels Haus durchsuchen würden. Super. Außerdem war Flip Nel immer stolz auf die Kameras gewesen, die er im ganzen Haus versteckt hatte und die er gerne seine Mommy-Kameras nannte.

Deshalb hatte sie auch ihre Burka geholt. Wenn man schon irgendwo einbrach, wollte man schließlich nicht gleich erkannt werden.

Im Vida E hatte sie Fish mit einem unverfänglichen »Ich rufe dich zurück« geantwortet und dann wieder Henry Davidson angelächelt.

»Vicki, Sie werden mir jetzt vermutlich gleich sagen, dass Sie losmüssen.«

»Das stimmt.« Sie trank ihren Kaffee aus. »Schön, Sie mal wieder gesehen zu haben, Henry.«

»Ebenfalls. Ich hoffe, die Dringlichkeit bedeutet nicht größere Probleme.«

Typisch Henry Davidson. Er versuchte immer, etwas aus einem herauszulocken.

»Nein. Eine Lebensmittelvergiftung. Akuter Durchfall.«

»Oh je.«

»Der Mann braucht Imodium, Liebe und fürsorgliche Aufmerksamkeit.«

»Das brauchen Männer immer, Vicki. Jedenfalls eine bestimmte Art von Mann. Dann gehen Sie nur.«

Vicki reagierte nicht auf die Krallen in Henrys Tonfall, sondern nahm das restliche Croissant von ihrem Teller und warf ihm einen letzten Blick zu. Der alte Agent sah zu ihr auf. Wie immer mit einem undurchdringlichen Grinsen. Wie die Katze aus Alice. Vermutlich würde er sich gleich in Luft auflösen und nur sein Toupet zurücklassen.

Dann war sie zu ihrer Wohnung geeilt und hatte nebenbei ihre Verabredung zum Mittagessen mit einer SMS an ihre Freundinnen abgesagt. »Tut mir echt leid, Mädels. Ich schulde euch was!«

Hatte ihr muslimisches Gewand eingepackt und war zu Fish aufgebrochen, während sie dachte: So viel zu einem perfekten Tag.

Sechs

Stonehurst Mountain Estate. Folgende Geschichte hatte Fish von Caitlyn Suarez:

Sie hatte Victor Kweza bei einer Sause in Davos kennengelernt – ihre Wortwahl. Vor drei Jahren. Damals war Kweza stellvertretender Energieminister gewesen. Spezialisiert auf Atomkraft. Hochtemperaturreaktoren. Ein Jahr später, bei einer Umverteilung der Ministerposten, wurde er Energieminister. Große Zustimmung von Seiten des Präsidenten. Der Präsident ein starker Befürworter der Atomkraft, vor allem der russischen Atomkraft.

Persönliches: Er – geschieden, drei Kinder, alle unter zehn. Seine Eltern beide tot. Ihre ebenfalls. Ein Bruder Dozent in Harvard. Sie – US-Amerikanerin, aber seit über zehn Jahren dort nicht mehr wohnhaft. Keine Geschwister, keine Kinder, keine frühere Ehe.

Er hatte ein Haus auf dem Weinanwesen Steenberg und ein weiteres in Tshwane, genauer gesagt, im Reichenviertel Waterkloof von Pretoria. Sie nur das eine. Dieses eine. Der Einfachheit halber. Zwanzig Minuten in die Stadt, wenn man nicht zur Hauptverkehrszeit fuhr. Dreißig Minuten bis zum Flughafen. Und dann der Lifestyle. Sehr wichtig: der Lifestyle. Fantastisches Sportstudio auf dem Anwesen, beheizter Innenpool, gute Rundumüberwachung, schneller Zugang zu den Bergen, um dort wandern zu gehen. Um die Ecke der besten Strände. Was wollte man mehr? Klar, auch der Blick direkt über das Constantia Valley. Einfach ein toller Ort.

Kapstadt: warum nicht? Neben dem Devisenhandel bot man ihr einen Fünf-Jahres-Vertrag, um ein Portfolio hochvermögender Kunden zusammenzustellen. Hatte noch nie südlich des Äquators gearbeitet, das war der entscheidende Anreiz. Schon bald liebte sie die Stadt und den Lifestyle – wie schon erwähnt. Dann kam Victor Kweza.

Ihre Beziehung zueinander: »Gut. Würde ich sagen.« Antwortete nach einem Schluck aus der Wasserflasche. Nachdem sie eine Zigarette aus einem Päckchen gezogen hatte, suchte sie ein Feuerzeug. Nachdem sie »Ich muss damit aufhören« erklärt hatte, drückte sie die Zigarette in einem Aschenbecher auf dem Couchtisch aus, in einer schweren Muschelschale.

»Hören Sie, unsere beruflichen Verpflichtungen …« Sie hielt inne. Formulierte es anders: »Sein Job war sehr fordernd. Es kam uns beiden entgegen, getrennt zu leben. Ich habe noch nie mit jemandem zusammengelebt und hatte nicht die Absicht, das zu ändern. Victor wollte das auch nicht. So war es für uns beide richtig. Eine Beziehung, wenn und wann man wollte. Jemand, mit dem man einen verregneten Sonntag vor dem Feuer verbringen konnte. Wir waren dabei, uns ein Wochenendhaus einzurichten. Wir wollten ein altes Farmhaus aufmotzen.«

»Ach?«

»Ja, draußen im Weingebiet. Irgendwo muss hier noch ein Bild herumfliegen.« Caitlyn Suarez wies auf eine Mappe, die auf dem Couchtisch lag, machte sich aber nicht die Mühe, sie zu holen. »Wir hatten bereits eine Anzahlung geleistet. Und unsere Kaufabsicht unterzeichnet.«

Fish hörte zu, ohne richtig aufzunehmen, was sie sagte. Er wollte das Gespräch wieder zum Präsidenten zurückbringen. Zu Caitlyn Suarez’ Anschuldigung. »Sie meinten, der Präsident …« Fish beendete den Satz nicht. Während sie sprach, hatte er zwei Wörter auf seinen Notizblock geschrieben: In echt. Zeichnete ein Ausrufezeichen in Form eines Surfbretts dahinter.

Sie ließ sich Zeit. Fish merkte, dass die Schwimmerin nicht länger ihre Bahnen zog. Er sah sie neben dem Pool stehen. Nachdenklich. Aufmerksam. Lauschend.

Er fragte sich, ob etwas mit Caitlyn Suarez nicht stimmte. Sie zeigte keinerlei Trauer. Allerdings war es auch schon vor zwei Wochen passiert. Wenn man dann noch ihre toughe Art berücksichtigte. Ein Profi durch und durch.

»Nach dem gescheiterten Mordanschlag auf den Präsidenten wurde Victor völlig unvermittelt kaltgestellt. Seine Ideen in puncto Atomkraft waren auf einmal alle auf Eis gelegt. Eine Minute zuvor sollten wir die Welt noch mit Hochtemperaturreaktoren versorgen, und schon in der nächsten waren diese Geschichte. Da freuten sich die Russen.«

»Warum?«

»Warum was? Warum sie die Hochtemperaturreaktoren gecancelt haben? Keine Ahnung. Heutzutage fehlt es an wissenschaftlichem Fachwissen. Wen haben wir denn noch, der ein Atomkraftwerk bauen könnte? Vielleicht lag’s auch am Preis. Allerdings nicht zu vergleichen mit dem russischen Deal. Der ist zum Heulen.«

»Nein, ich meinte, warum wurde er kaltgestellt? Victor Kweza?«

Sie zuckte mit den Achseln. Ein weiterer Schluck aus der Wasserflasche. »Paranoia. Ich weiß es nicht. Wer hat den Präsidenten schon in letzter Zeit gesehen? Er ist untergetaucht. Lebt in seinem Bunker. Wenn man ihn sprechen will, muss man es übers Telefon versuchen. Oder man verwendet Signal – er liebt solche Verschlüsselungs-Apps.« Sie machte eine Pause. »Die Sache war die: Victor hatte sich letztlich gegen den Deal mit den Russen ausgesprochen. Und zwar klar und deutlich. Sehr klar und deutlich. Er tendierte eher zu erneuerbaren Energien und ließ dafür sogar seine geliebten Hochtemperaturreaktoren links liegen. Er hatte ausgerechnet, dass es günstiger kommt, wenn man auf jedes Haus im Land Solarzellen montiert, anstatt sich auf die Russen einzulassen. Aber was hätte man dann absahnen können? Die Russen kommen mit Aufträgen, Ausgleichszahlungen, Agentenhonoraren und Unmengen von Black-Economic-Vorteilen.«

Fish sah sie an. Auf einmal schwang in ihrer Stimme Verbitterung mit.

Sie lächelte. »Ich bin keine Befürworterin des Black Economic Empowerment. BEE ist ein Betrug. Kennen Sie den Witz über die Kraftwerke?«

Fish zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«

»Die Apartheidregierung wollte sie vor ANC-Sabotage schützen, aber sie hätten sich das sparen können, denn der ANC hat es trotzdem geschafft.«

»Stimmt«, meinte Fish, »den hab ich schon gehört.« Dachte: Wenn man Caitlyn Suarez in einen Vorstand beruft, kriegen bestimmt einige Oligarchen die Krise. Er rutschte auf dem Ledersofa nach vorne. »Noch etwas. Sie waren es, die Victor Kweza tot aufgefunden hat?«

»Ja.« Ihr Blick wanderte zu dem leeren Pool. Die Schwimmerin war nirgendwo zu sehen. »Ich habe Ihnen meine Aussage bei der Polizei gemailt.«

»Das haben Sie. Aber ich würde es gerne noch einmal von Ihnen persönlich hören.«

Ein weiterer Schluck aus der Wasserflasche. »Ich habe ihn ab etwa neunzehn Uhr dreißig mehrmals zu erreichen versucht. Ich war früher als erwartet zu Hause, hatte Lasagne und Salat mitgebracht und eine Flasche Rotwein geöffnet. Es schien mir eine gute Gelegenheit für einen gemütlichen Abend zu zweit.« Solche Abende kannte Fish gut von Vicki. »Etwa um halb neun erreichte ich immer noch nur die Voicemail. Victor lebt … lebte … mit seinem Handy. Wenn man eine Nachricht hinterließ, bekam man normalerweise innerhalb weniger Minuten eine Antwort. Ich fragte die Jungs am Tor. Sie meinten, sie hätten ihn um neunzehn Uhr fünfundfünfzig als anwesend eingetragen. Okay, vielleicht hatte er geduscht, ehe er zurückrufen wollte, aber das nahm ich nicht an. Er erledigte immer zuerst seine Rückrufe. Deshalb fand ich das alles seltsam.«

»Hätten Sie nicht die Sicherheitsleute vorbeischicken können?«

»Natürlich, hätte ich. Aber ich wollte ihn sowieso sehen, weshalb ich es für das Beste hielt, selbst zu kommen. Ist ja auch keine große Sache. Nicht mal zwei Kilometer entfernt. Ich bin also selbst hinübergefahren. Die genauen Zeiten stehen in meiner Aussage. Ich schloss mit meinem Schlüssel auf, rief seinen Namen und ging ins Wohnzimmer. Er lag dort auf einem Teppich neben einer Couch beziehungsweise vor dem Couchrücken.«

»Mit dem Gesicht abgewandt von der Haustür, haben Sie ausgesagt.«

»Genau.« Sie hielt inne.

»Als ob er ins Haus gegangen wäre?«

»Ja.«

Draußen trat die junge Frau in den Schatten der Stoep. Sie trug jetzt ein T-Shirt und Jeans, offenbar ohne eine Waffe. Die Bewegung lenkte sowohl Caitlyn Suarez als auch Fish ab.

»Blut war keines zu sehen. Oder nur sehr wenig. Eine kleine Wunde am Hinterkopf, die ich zuerst gar nicht bemerkte.«

Fish richtete den Blick wieder auf die Frau in dem weißen T-Shirt.

»Ich nahm an, dass er ohnmächtig geworden war. Aus irgendeinem Grund das Bewusstsein verloren hatte. Also beugte ich mich zu ihm herab und fasste nach seiner Hand. Sie fühlte sich weich und geschwollen an. Da habe ich vermutet, dass er einen Herzinfarkt erlitten hatte.«

»Er lag mit dem Gesicht nach unten?«

»Na ja, halb-halb, würde ich sagen.« Sie hielt inne und überlegte.

»Und dann?«

»Ich drückte den Alarmknopf, um Hilfe zu holen. Den Rest kennen Sie.« Caitlyn Suarez sah ihn kühl und distanziert an. »Es war ein Attentat. Ein Auftragsmord. Nichts wurde gestohlen. Wer immer das gemacht hat, ist direkt hinter ihm ins Haus. Vielleicht hat man auf ihn gewartet. Oder es war jemand, der ihn kannte.«

»Warum?«

»Wie ich schon sagte: Victor war zu einem politischen Problem geworden.«

»Aber warum gleich ein Auftragsmord? Hätte man ihn nicht einfach aus dem Kabinett entfernen können?«

»Natürlich. Aber Tote reden nicht. Der Geist von Victor Kweza wird wohl kaum das Green von Steenberg heimsuchen, um doch noch eine Anhörung zu erwirken.«

Sieben

Ermington Road. In Fishs Hintergarten entdeckte Vicki Janet, die es sich dort bequem gemacht hatte. Sie döste in der Sonne. Als Vicki erschien, sprang sie hastig auf. Ein wenig schwankend, wie Vicki fand.

»Sie haben so einen schicken Wagen, Miss Vicki. Alfa Romeo ist der Beste.« Janet strich über die Karosserie. »Man spürt richtig das Feuer in der Farbe. Wann wollen Sie ihn mir endlich verkaufen?« Ihre übliche Eingangsfrage. Seit über sechs Monaten.

»Jetzt.« Vickis übliche Antwort.

»Sie haben die Karre, ich hab die Knarre.« Janet prustete so heftig los, dass ihre Spucke durch die Luft spritzte. Sie schlug sich auf den Schenkel. Schwankte zu dem Stuhl zurück.

Seit sie ihn kannte, hatte Fish hinter seinem Haus einen Stuhl für Obdachlose aufgestellt. Nannte ihn den BOG-Szenetreff: Bergies ohne Grenzen. Janet nutzte diesen Ort am meisten. Die Frau hatte eine Schwäche für Fish, wie Vicki vermutete, während sie eine Wolke aus Feuerrauch und Wein wahrnahm, als Janet an ihr vorbeiging.

»Mister Fish ist nicht hier, Miss Vicki«, sagte sie, das eine Auge offen, das andere blau zugeschwollen. Keine Maryjane. »Ist beim Fischen.« Ließ ihr verrücktes Lachen über das Sprachspiel vernehmen. »Glauben Sie, Mister Fish fängt vielleicht einen Fisch für uns? Einen guten Snoek?«

»Inschallah«, sagte Vicki und schlüpfte in die Burka.

»Oh, là, là, Miss Vicki. Ich wusste gar nicht, dass Sie Muslima sind.«

»Bin ich auch nicht«, erwiderte Vicki und sperrte das Haus auf. »Warte einen Moment, ich brauche gleich deine Hilfe.«

Sie hörte, wie Janet ihr hinterherrief: »Eine Tasse Tee wäre schön. Und ein Marmeladentoast.«

In der Schlüsselschublade entdeckte sie eine Fernbedienung mit den Initialen FN und einem Hausschlüssel daran. Nahm ihre Ringe ab und legte sie auf den Küchentisch. Sie war froh, dass sie ihre Fingernägel nicht lackiert hatte. Rückte die Burka zurecht, um besser durch den Augenschlitz sehen zu können. Sie verstand auf einmal, warum manche Frauen dieses Kleidungsstück mochten. Man verschwand darin. Man wurde unsichtbar. Sie ging nach draußen zu einer sie überrascht anstarrenden Janet.

»Oh je, Miss Vicki, was würde nur Mister Fish sagen? Ag, wie schade, jetzt könnte er gar nicht mehr Ihr L’Oréal-Haar sehen.«

Vicki dachte: Interessant, Janet hat keine Ahnung, ob ich jetzt lächle oder die Stirn runzle. Sie sagte: »Hilf mir doch hinüber.« Zeigte auf die Betonmauer, die Fishs Hintergarten von Flip Nels trennte.

»Oooh.« Janet schlug eine Hand auf den Mund. »In dem Kleid werden Sie sicher stolpern.« Sie nahm das Ende der Leiter, die Vicki aus dem Schuppen zerrte. »Da drüben ist niemand, das kann ich Ihnen sagen. Der Polizist ist mit Mister Fish angeln gegangen.«

»Ich weiß. Hilf mir einfach.«

Sie trugen die Leiter durch den Hof und lehnten sie gegen die Mauer. Vicki kletterte nach oben und prüfte, wie weit es nach unten ging. Vielleicht zwei Meter auf dünnes Vlei-Gras in sandigem Boden. Die Frage war, wie sie wieder zurückkehren sollte. Vielleicht würde das Gitterwerk in einer Ecke, wo Flips Frau Gemüse gezogen hatte, sie halten. Es musste sie halten. Sie sagte zu Janet: »Wenn ich rübergeklettert bin, kommst du die Leiter hoch und hältst Ausschau. Sobald sich jemand nähert, rufst du.« Von hier aus konnte man gerade auf die Straße neben dem Haus sehen.

»Wie wer, Miss Vicki?«

»Polizei.«

»Nein – ich hab Angst vor der Polizei.«

»Mach es einfach, Janet. Okay?« Sie sah zu ihr herab und bemerkte die Angst in den Augen der Frau. Dann kletterte sie von der Leiter und sprang nach unten. Auf einmal hatte sie das Gefühl, als ob sie sich wieder in ihrer Ausbildung zur Geheimagentin befände. Damals, vor langer Zeit. Sie klopfte den Sand aus der Burka und ging rasch zur Hintertür. Schaltete mit der Fernbedienung den Alarm ab. Schaute zur Kamera Nummer eins hoch, die sie beobachtete, während sie aufschloss und die Küche betrat. War sich sicher, dass sie direkt vor das Objektiv einer weiteren Kamera lief. Diesmal versteckt. Sie hielt inne. Eine Schale, ein Becher, ein Löffel im Spülbecken. Eine Schachtel Weetabix, eine Tasse mit Zucker auf der Theke. Flip musste am Fenster gestanden und sein Frühstück gegessen haben.

Es stank nach altem Zigarettenrauch und modriger Feuchtigkeit. Sie lauschte. In dem alten Haus wurde die Stille durch ein Rattern des Kühlschranks, das Tropfen eines Wasserhahns und das stete Ticken einer Uhr durchbrochen. Von ferne erklangen das Rauschen des Verkehrs und das Bellen eines Hundes. Erst jetzt schloss sie die Tür, versperrte sie und stellte sicher, dass sie keine Spuren hinterließ. Spionageregel 101 kam ihr in den Sinn: Tu nie das Offensichtliche. Ignoriere die Akten auf dem Küchentisch und durchsuche stattdessen das Haus.

Effizient filzte sie alle Räume. Ein Badezimmer neben der Küche, das Notwendige in einem Medikamentenschränkchen über dem Waschbecken. Die Emaille der Wanne voller Flecken und Kerben. Die Toilette mit einer hohen Zisterne und einer Spülung zum Ziehen. Auf dem Boden eine Ausgabe der Pferderennzeitschrift Parade. Sie hatte Flip eigentlich nicht als Spieler eingeschätzt.

Dann das Gästezimmer. Auf dem Bett stapelten sich Kleider, Blusen, Hosen. In einer Ecke ein Trainingsrad. Offenbar kein Raum, den Flip oft benutzt hatte. Die Vorhänge standen offen, und durch das Fenster sah Vicki das besorgte Gesicht von Janet über der Mauer. Im Flur ein halbmondförmiger Klapptisch, dessen Oberfläche grau vor Staub war. Ein neues Telefon mit großen Tasten stand darauf, die Nachrichtendiode blinkte, und auf dem Display war eine Nummer zu sehen. Der Anruf war eingegangen, während sie mit Fish geredet hatte. Vicki tippte die Nummer in die Notizen-App ihres Handys.

Sie hatte den Eindruck, als sei jemand vor ihr hier gewesen und habe sich umgesehen. Nur ein Gefühl, nichts Eindeutiges. Ging ins Schlafzimmer. Flip hatte die Bettdecke ausgeschüttelt, weiter hatte er nicht aufgeräumt. Die Kleidung vom Tag zuvor hing noch über einem Stuhl, und seine Socken waren in ein Paar Lederschnürstiefel gestopft. Hinter einer Kleiderstange mit Jacken fand sie in der Wand einen Tresor. Die Tür war geschlossen, aber nicht versperrt. Leer. Flip hatte seine Waffe garantiert nicht auf den Angelausflug mitgenommen. Sie hätte dort liegen müssen, ebenso wie weitere Patronen und wahrscheinlich ein paar persönliche Dokumente und vielleicht der Schmuck seiner Frau. Vicki durchsuchte die Schubladen in dem Schminktisch: Parfümflaschen, Nagellack, Lippenstifte, Stapel von Fotos. Nichts, das Flip gehört hatte.

Sie bemerkte ihr Spiegelbild – schwarz, formlos. Ihr düsterer Blick. Wie sie über den Teppich zu schweben schien. Eine Erscheinung aus einer vergangenen Zeit. Unheilvoll. Und auch mächtig. Als ob ihr nichts etwas anhaben könnte.

Sie verließ das Schlafzimmer und ging ins Wohnzimmer hinüber. Hier waren die Vorhänge geschlossen. Die Luft wirkte grau und düster. Ein Raum voller Möbel aus dem Großmarkt: große Stühle, großes Sofa. Zu groß für dieses Zimmer. Ein Fünfzig-Zoll-Flachbildfernseher an der Wand. Auf dem Kaminsims ein paar Porzellanfiguren: eine Ballerina, ein Junge mit einer Angel, ein paar Hunde. Vicki war hier ein oder zwei Mal gewesen, als Flips Frau noch lebte. Dieses Zimmer hätte sie am liebsten sofort wieder verlassen.

Entdeckte einen Aschenbecher voller Kippen auf der Armlehne des Sofas. Daneben das offene Cover einer CD. Auf dem Boden standen eine beinahe geleerte Flasche Brandy sowie zwei leere Coladosen. Die CD in der Stereoanlage: Roger Luceys Now is the Time. Jetzt war es offenbar für Flip an der Zeit gewesen. Man konnte sich vorstellen, wie seine letzte Nacht hier verlaufen war.

There is no time like the present

No life left in the past

Rogers Song drehte sich um ein Liebespaar mit einer Zukunft. Nichts, was Flip noch hatte.

Das Telefon im Flur klingelte.

Vicki sah sich ein letztes Mal im Wohnzimmer um: ein Ort der Verzweiflung. Jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Allerdings war Flip Nel seit dem Tod seiner Frau ziemlich grenzwertig drauf gewesen. Im Grunde hatte es Vicki nicht überrascht, dass er sich das Leben genommen hatte. Eher, dass er eine so lange Anlaufzeit gebraucht hatte.

Sie trat zu dem klingelnden Telefon. Eine andere Nummer als die zuvor. Vicki tippte auch diese in ihre Notizen-App und lief dann zur Küche. Zeit für die Akte Suarez.

Nur dass diese nicht da war. Drei Mordakten, das schon: eine Messerstecherei wegen Schutzgelderpressung; eine Schießerei aus einem vorbeifahrenden Gangsterauto; ein nach einer Entführung ermordeter Geschäftsmann. Nichts zur Untersuchung von Caitlyn Suarez.

Sie rief Fish an. Hörte Stimmen. Hörte, wie Fish erklärte: »Einen Moment, da muss ich kurz ran.«

Sagte in den Hörer: »Hast du sie?«

Vicki erwiderte: »Da ist keine Akte.«

»Flip meinte, sie liegt auf dem Küchentisch.«

»Auf dem Tisch liegen auch Akten. Drei. Ich schaue sie gerade an. Aber nicht die ihre.«

»Such nach. Auf dem Kühlschrank. Unter dem Kühlschrank. Im Mülleimer. Keine Ahnung, überall …«

»Jemand ist hier gewesen, Fish. Und hat die Akte bereits mitgenommen.«

Stille.

»Glaubst du?«

»Ja.«

»Derjenige hätte Spuren hinterlassen.«

»Nein.«

»Schau dich rasch noch mal um.«

Das tat Vicki. An den Orten, die Fish erwähnt hatte, zudem im Herd und in der Herdschublade. Erklärte Fish: Niks.

Draußen vor dem Fenster sah sie, wie Janet winkte und die Straße hinunterdeutete.

»Ich muss weg. Es kommt jemand.«

»Den Polizisten habe ich seinen Namen noch nicht genannt.«

Vicki legte auf. Ein lautes Klopfen an der Haustür. Das Ding-Dong der Klingel. Stimmen. Stimmen von Männern.

Acht

Stonehurst Mountain Estate. Am Tag, ehe Caitlyn Suarez verschwand.

Als Fish von Caitlyn Suarez erfuhr, was geschah, als Victor Kweza ermordet wurde, kam ihm das alles noch ziemlich erwartbar vor. Hohe Einsätze, hohes Risiko. Die Tatsache, dass man Caitlyn Suarez noch nicht verhaftet hatte, bedeutete gar nichts, die Arbeit der Polizei schien nun mal meist planlos. Dennoch rückten sie näher. Sie hatten die Mordwaffe sichergestellt und eine Verbindung zwischen Caitlyn Suarez und dem Tatort. Es gab zwar kein Motiv, zeitlich haute es auch nicht ganz hin, aber was hieß das schon. Man würde das garantiert noch irgendwie deichseln.

Als Caitlyn Suarez Fish Pescados Klientin wurde, vermutete dieser sogleich, dass der Mord mit der düsteren Welt des Staates im Staate zu tun hatte. Wenn das stimmte, würde es nicht einfach sein, herauszufinden, wer Victor Kweza um die Ecke gebracht hatte.

Was auch der Fall war.

Das bedeutete, dass er zwei Wochen später für seine erste Berichterstattung bei Caitlyn Suarez nichts vorzulegen hatte. Fast nichts. Er hatte nur das Gutachten der Gerichtsmediziner, das ihm sein Kontakt von der Polizei hatte zukommen lassen. Die einzigen DNA-Spuren, die man im Haus gefunden hatte, gehörten zu Kweza, Suarez und einer Haushaltshilfe. Das war alles, was er hatte. Plus seine Rechnung.

Darauf standen das Mieten eines Leihautos, ein Flugticket und eine Übernachtung in einem City Lodge Hotel sowie der Stundensatz für zwei Tage.

Caitlyn Suarez hatte ihn neugierig gemustert. Ihre Augen funkelten, als sie »Und?« fragte.

Und. Sie hatten in ihrem eindrucksvollen Wohnzimmer gesessen, wo die Vormittagssonne hell auf den Boden schien. Draußen zog die Sicherheitsfrau wieder ihre Bahnen.

Und.

Er war zu Victor Kwezas Haus in Waterkloof gefahren. Ein großes, zweistöckiges Gebäude hinter einer hohen Mauer, auf dem sich oben ein Elektrozaun befand. Ein Grundstück, das der Regierung gehörte, was der Sicherheitsbunker am Eingangstor zeigte. Der Wachmann war an einer Unterhaltung eindeutig nicht interessiert.

Hatte Fish erklärt: »Bitte fahren Sie, Sir.«

Als Fish ihn umrunden wollte, um einen Blick auf das Haus zu werfen, hatte er seinen Arm mit einem Schraubstockgriff gepackt. »Gehen Sie bitte wieder zu Ihrem Wagen, Sir.«

Fish schüttelte den Mann ab und wich zurück. Ihm war ein gepflegter Garten mit Rosenbeeten, einem gemähten Rasen und einer Reihe Mandelbäume entlang der Einfahrt aufgefallen. Ein Gärtner fischte gerade Blätter aus einem Pool.

Dann war Fish mehr als dreihundert Kilometer zu einem Dorf zwischen riesigen Felsblöcken gefahren. Das Dorf war eine Ansammlung von Kleinbauernhöfen, eine Mischung aus Schlackenbetonblöcken mit Metallfenstern, Lehmhütten und Baracken. Eine ausgebrannte Schule, ein Krankenhaus, ein paar Spaza-Shops. Straßen aus roter Erde liefen zwischen den Felsen zusammen. Jemand von der Klinik hatte ihn zu einem Haus gelotst, einem dreistöckigen Gebäude im Farmhausstil mit Dachziegeln aus Zement. Um das Grundstück Stacheldraht. Nach vorne hinaus kein Garten, nur ein trauriger Papayabaum und ein kahler Erdboden, der ordentlich gerecht worden war. Das Haus von Victor Kwezas Großmutter Gogo Makatu.

»Und wie haben Sie das herausgefunden?«

»Über Google.«

»Erzählen Sie weiter.«

»Es gibt nichts weiter zu erzählen. Die Frau konnte nicht sprechen. Hat seit Jahren nicht gesprochen. Es kamen nicht mal Laute aus ihrem Mund. Man hatte sie auf ein Sofa gesetzt, in den Händen hielt sie einen Packen Stoff, und ihre Finger schienen zu Klauen erstarrt zu sein. Ihr Gesicht war wie eine Maske, keine Ahnung, ob sie überhaupt merkte, dass ich da war. Eine junge Frau hat sie mit einem Löffel gefüttert. Als ich wieder abfahren wollte, hat mich ein Mann angehalten. Wollte wissen, was ich von der Gogo wolle. Ich behauptete, ich müsse im Auftrag einer Versicherung Kwezas Hinterlassenschaft checken. Er meinte: Selbst die Kobra fürchtet den Tlhame.