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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. In der Heimatgalaxis der Menschheit wappnen sich die freien Völker so gut es geht gegen den nahenden Chaoporter. An vorderster Front steht hierbei derzeit Atlan. Um den Quintarchen Farbaud aufzuhalten, scheint ihm jedes Mittel recht. Die Milchstraße wird Zeuge, wie er nicht einmal zögert, auf die RAS TSCHUBAI mit Perry Rhodan an Bord zu feuern. Der Quintarch FENERIK flieht aus dem scheinbar todgeweihten Schiff. Atlans Angriff ist ein Schock für Rhodans Lebensgefährtin Sichu Dorksteiger. Sie, inzwischen Residentin der Liga, stößt auf DIE JAHRMILLIONENKARTE ...
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Nr. 3165
Die Jahrmillionenkarte
Sie stoßen auf ein kosmisches Phänomen – der Chronodefekt erfasst sie
Michelle Stern
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Garrabo-Zug
2. Gravofeuer
3. Raumsenke
4. Sternensprung
5. Gravo-Transmitter
6. Dreigelege
7. Halutereinsatz
8. Raum-Zeit-Kokon
9. Chronowolken
10. Ins Dreigelege
11. Sprung ins Chaos
12. Zeittresor
13. Durchbruch
Fanszene
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.
Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.
Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu.
In der Heimatgalaxis der Menschheit wappnen sich die freien Völker so gut es geht gegen den nahenden Chaoporter. An vorderster Front steht hierbei derzeit Atlan. Um den Quintarchen Farbaud aufzuhalten, scheint ihm jedes Mittel recht. Die Milchstraße wird Zeuge, wie er nicht einmal zögert, auf die RAS TSCHUBAI mit Perry Rhodan an Bord zu feuern. Der Quintarch FENERIK flieht aus dem scheinbar todgeweihten Schiff. Atlans Angriff ist ein Schock für Rhodans Lebensgefährtin Sichu Dorksteiger. Sie, inzwischen Residentin der Liga, stößt auf DIE JAHRMILLIONENKARTE ...
Sichu Dorksteiger – Die Residentin will nicht zu 50 Prozent trauern.
Icho Tolot – Der Haluter begegnet einer flottierenden Raumsenke.
Dodua Silberroth – Die Oxtornerin hat einiges zu verarbeiten.
Ra-Gor-Rok – Das Dreigelege stößt auf ein Chronoartefakt.
Wyy-Chay
Das Sein ist keine Selbstverständlichkeit.
Schon ein winziger Funken
kann es zum Erlöschen bringen,
so wie an seinem Beginn
ein winziger Überschuss stand.
Soziale Weisung der Topsider
1.
Garrabo-Zug
Ferne Sterne glänzten hinter dem kugelförmigen Leib des über 2000 Meter durchmessenden Trägerschiffs. Die S.N.C. 01-80B-THORA näherte sich einer Region, in der Unvorstellbares geschehen sein sollte: Die RAS TSCHUBAI war zerstört worden, mitsamt ihrer Besatzung – eingeschlossen Perry Rhodan.
Vernichtet durch Atlan.
Mit kalten Händen und versteinerten Gesichtszügen blickte Sichu Dorksteiger vom COMMAND-Podest auf das 14 Meter große Zentraleholo. Der arkonidische Kristallkanzler Markul agh Fermi hatte sie als Residentin der Liga nach M 13 eingeladen, um auf dem Schlachtfeld nach Trümmern und Überlebenden zu suchen. Gemeinsam mit den Arkoniden wollte die Liga herausfinden, ob tatsächlich die vermuteten Bomben die Ursache der Explosion gewesen waren oder ob eine Fremdeinwirkung vorgelegen hatte.
Die THORA erreichte die Ausläufer erster Trümmerwolken. Sie waren dünn, doch das gab keinen Anlass zur Hoffnung. Der statistischen Datenbasis nach war es in diesem Raumgebiet nicht anders zu erwarten.
Das Schiff näherte sich rasch dem vereinbarten Rendezvouspunkt. Seine Namensgeberin, die Arkonidin Thora da Zoltral, hatte gemeinsam mit ihrem Ziehvater Crest vor über dreieinhalb Jahrtausenden für die Menschheit das Tor zu den Sternen aufgestoßen. Sie war es gewesen, die Perry Rhodan auf seinem Weg hinaus in die Fremde begleitet hatte und seine erste Frau geworden war. Ob sie für Perry je so gefühlt hatte wie Sichu Dorksteiger in diesem Moment? Wie sehr hatte Thora ihren Mann geliebt?
Er ist nicht tot.
Sichu zählte nicht mehr nach, wie oft sie diesen Gedanken schon wiederholt hatte. Es war ein Mantra, das sie ihrem nüchternen, wissenschaftlichen Geist fast zwanghaft entgegensetzte. Perry war in einer Schlacht gefallen, ausgerechnet durch Atlan, einen seiner ältesten und treusten Freunde. Sie wusste das, weil sie es von Terranern und Arkoniden erfahren hatte, denen sie vertraute. Es muss also wahr sein.
Gleichzeitig kannte sie Perry und Atlan wie sonst kaum jemand. Es muss ein Garrabo-Spielzug gewesen sein. Ein Trick, weil Perry etwas vorhat. Atlan und er haben sich garantiert abgesprochen.
Müsste Sichu die Wahrscheinlichkeit ihrer Hoffnung anhand der bestehenden Datenlage berechnen, käme sie auf eine Chance von 50 zu 50, wenn sie die Verzerrungen von persönlicher Betroffenheit, Optimismus und Wunschdenken außer Acht ließ.
50 Prozent. Das war wie das Spiel, bei dem man die Blütenblätter einer Blume abzupfte und dazu sagte: »Er liebt mich, er liebt mich nicht.« Nur dass Sichus Sätze lauteten: »Er lebt, er lebt nicht.«
Sichu entschloss, nicht zu 50 Prozent zu trauern. Sie würde sich gegen die Statistik entscheiden und darauf hoffen, dass ihr Mann lebte, bis sie vor anderslautenden, vollendeten Tatsachen stand. Alles andere war Energieverschwendung und zehrte unnötig an ihren Nerven.
»Zielpunkt erreicht«, verkündete Icho Tolot, der wie Sichu in der Zentrale Platz genommen hatte. Wegen seiner Größe von dreieinhalb Metern saß der gewaltige Haluter hinter allen anderen in der letzten Reihe.
Es kam vor, dass manche Besatzungsmitglieder Icho Tolot mieden, weil er unverhofft laut loslachen konnte. Obwohl er sich in Gegenwart der Kleinen meist zurücknahm, erreichte sein Gelächter schnell unangenehme bis schmerzhafte Ausmaße. Besonders in den ersten Jahrhunderten, in denen er mit Terranern zu tun gehabt hatte, war das eine oder andere Trommelfell dabei gerissen.
Nun hörte aber niemand das gefürchtete Geräusch. Es gab nichts zu lachen. Tolot, der seinen Körper strukturverhärten konnte, schien nun auch emotional erstarrt zu sein. Mehr als das Nötigste kam nicht über seine Lippen. Die drei roten Augen wirkten ausdruckslos.
Holger Bendisson lehnte sich im Kommandantensessel vor. Auch der blonde Kommandant hatte auf dieser Reise weder gelacht noch gelächelt, ganz entgegen seinen Gewohnheiten.
Er drehte sich zu Sichu um. »Kristallkanzler Markul agh Fermi hat seinen Besuch angekündigt.«
»Gut.« Das Wort klang so hohl, wie Sichu sich fühlte. Was, wenn es die Wahrheit war? Wenn Atlan Perry wirklich in dieser Schlacht umgebracht hatte? Würde sie Markul agh Fermi in die roten Augen sehen und erkennen, dass es tatsächlich geschehen war? Dass Perry – ihr Perry – es dieses Mal trotz Zellaktivator und Jahrtausende währender Erfahrung nicht geschafft hatte?
Aber hatte Perry nicht selbst seinen unzweifelhaften Tod durch die Tiuphoren überlebt?
In der Zentrale und den sich daran anschließenden Nebenzentralen herrschte angespannte Stille. Im Holo erkannte Sichu Dodua Silberroth, die derzeit in der Wissenschaftszentrale das Kommando führte. Auf der Schulter der Oxtornerin hockte Prinz in Lauerstellung, eine personalisierte Mikro-Biopositronik swoonscher-siganesischer Fertigung in Gestalt eines faustgroßen, stilisierten, jadegrünen Okrills. Durch die Farbe und den Körperbau erinnerte der Miniatur-Okrill an einen achtbeinigen Frosch.
»Transmitterübergang abgeschlossen«, sagte Holger Bendisson mit belegter Stimme. Winzige Schweißperlen lagen ihm unter dem blonden Haar auf der Stirn.
Seine Reaktion zeigte, dass etwas nicht in Ordnung war.
»Was?«, fragte Sichu argwöhnisch.
»Es ist nicht Markul agh Fermi. Wir haben Atlan da Gonozal an Bord.«
Sichu presste die Zähne aufeinander. Atlan also. Sie musste es dem Arkoniden lassen, die Konfrontation scheute er nicht. »Danke. Ich möchte allein mit ihm und Icho Tolot in Konferenzraum Zwei sprechen.«
»Wunsch respektiert«, sagte der Kommandant der THORA. »Ich gebe euch zehn Standardminuten. Dann komme ich nach.«
Sichu nickte knapp.
Icho Tolot stand auf. Seine vier Arme hingen tiefer als sonst. Er wirkte angeschlagen.
Atlan trat in die Zentrale. Seine Mimik war ausdruckslos. »Residentin, Tolotos«, sagte er, als wären die Anreden eine Begrüßung. Kühle lag darin, Distanziertheit.
Statt einer Antwort drehte Sichu sich von Atlan weg und ging vor.
Gemeinsam erreichten sie den Konferenzraum. Kaum war die Tür hinter ihnen zugeglitten, fragte Sichu: »TOIO, sind wir unter uns?«
»Selbstverständlich«, bestätigte die Bordpositronik.
Sichu fuhr zu Atlan herum. »Du verfluchter Mistkerl! Wieso habt ihr mir nichts erzählt?« Sie war mit zwei Schritten bei dem weißhaarigen Arkoniden und gab ihm einen wütenden Stoß gegen die Brust.
Unglücklicherweise stand Atlan trotz seiner geringeren Größe wie ein unverrückbarer Felsen, was Sichu noch ärgerlicher machte. Gleichzeitig kam endlich die Erleichterung voll bei ihr an. Sie war so groß, dass Sichu noch eine Weile in ihrer gespielten Wut bleiben musste. Sie wollte nicht, dass ihr vor Icho Tolot und Atlan die Tränen kamen.
Schon bei Atlans erstem Wort, der Anrede »Residentin«, hatte sie gewusst, dass Perry noch lebte. Atlan bot der Besatzung der THORA ein Schauspiel. Das Ganze war irgendeine Art von strategischem Garrabo-Zug, den er und Perry ohne sie geplant und umgesetzt hatten.
»Deine Vermutung stimmt«, sagte Atlan nüchtern, ohne sich gegen ihren Angriff zu verteidigen. »Perry lebt. Wir konnten dir vorab nichts sagen. Es hätte die Mission gefährdet.«
»Und wer hat das entschieden?«
»Es war Perrys Idee.«
Erneut stieß Sichu ihm gegen die Brust, doch dieses Mal deutlich schwächer. »Das würde ich an deiner Stelle auch behaupten! Schieb es einfach auf den, der nicht vor Ort ist! Ein beliebter Trick!«
»Kleines ...« Tolot griff sanft mit einer Hand nach ihrer Schulter und schob sie von Atlan weg.
Es blieb Sichu keine Wahl, als von dem unsterblichen Arkoniden abzulassen. Gegen einen Haluter hatte sie keine Chance. Da hätte sie ebenso gut versuchen können, einem ertrusischen Sturm standzuhalten. »Also gut! Rede! Was genau habt ihr getrieben?«
»Wir haben eine Schlacht mit Verlusten vorgetäuscht, wodurch der Quintarch Farbaud gezwungen wurde, sich von der RAS TSCHUBAI zurückzuziehen. Dem Schiff, Perry und dem Rest der Besatzung geht es gut. Sie bleiben an Farbaud dran und nutzen den Vorteil, den wir nun haben.«
»Wo ist Farbaud? Zurück an Bord des Chaoporters?«
»So ist es. Inzwischen können wir den Chaoporter mit der RIBALD CORELLO orten.«
Atlan setzte sie rasch über weitere Details ins Bild, unter anderem erzählte er von der Entführung einiger Besatzungsmitglieder. Das wiederum waren schlechte Neuigkeiten.
»Ich verstehe«, sagte Sichu. Sie hätte Perry gerne getroffen, doch er war ganz in seinem Element. Mit kosmischen Ereignissen dieses Ausmaßes konnte sie schwerlich konkurrieren. »Was soll ich nun tun? Dem Schein nach mit den Untersuchungen vor Ort beginnen?«
»Ja«, sagte Atlan. »Es wäre schön, wenn du wenigstens einen Tag bliebest und die Trümmer untersuchtest, ehe du zurückkehrst.«
»Ich werde Jesper Pan informieren. Mein Stellvertreter muss wissen, was Sache ist.«
Atlans rötliche Augen verengten sich. »Das halte ich für eine schlechte Idee. Je weniger Eingeweihte, desto besser. Wir müssen den Glauben an Perrys Tod aufrechterhalten.«
»Dieser Punkt steht nicht zur Diskussion.« Es fiel Sichu leicht, Atlans stechendem Blick zu begegnen. Sie kannte ihn lange genug und war erprobt im Umgang mit Unsterblichen. Seit ihrer Kindheit in der Frequenz-Monarchie hatte es nur wenig in ihrem Leben gegeben, das nicht außergewöhnlich gewesen wäre.
Der Freund presste die Lippen zusammen, verzichtete jedoch auf eine Entgegnung.
Es war Icho Tolot, der das Schweigen brach. »Dann beginnen wir mit den Untersuchungen.«
*
Sichu zeigte sich in der Zentrale und spielte ihre Rolle. Einen Tag nahm sie gemeinsam mit einem Team Untersuchungen vor, maß, analysierte, berechnete.
In Gedanken war Sichu bei Perry und der RIBALD CORELLO. Dieses ganz besondere Schiff hatte nun einen ganz besonderen Auftrag. Es lag auf der Hand, dass Perry in Gefahr schwebte, noch mehr als üblich. Doch er lebte, und es ging ihm gut. Sie konnte darauf hoffen, ihn wiederzusehen, auch wenn es wohl nicht kurzfristig möglich sein würde.
Sichu erinnerte sich an ein Gespräch, das sie vor einer Ewigkeit geführt hatten, ehe sie den Ehevertrag schlossen.
»Ich werde dir viel zumuten müssen«, hatte Perry gesagt. »Vielleicht zu viel.«
Damals hatte sie das abgetan und gescherzt, dass auch sie Perry einiges zumuten würde. Sie hatte ihn für zu grüblerisch gehalten, für zu besorgt. In Momenten wie diesem war sie unsicher. Was machte einen Experten aus? Perry hatte durch seine Erfahrung mehr Wissen als sie. Machte ihn das zu einem Kenner des Lebens und besonders sozialer Beziehungen? Oder half ihm sein Wissen an dieser Stelle so wenig wie den vielen, hochgelobten Darena-Wirtschaftsprofis auf Rudyn, die nie besser waren als die Marktberechnungen der Szenario-Positroniken, weil sie sich von Verlustängsten und Gewinnaussichten beherrschen ließen?
Illustration: Dirk Schulz
Was hätte eine Positronik für sie und Perry berechnet? Wäre das Ergebnis ein Belastungswert gewesen, der Sichu dazu gebracht hätte, die Bindung nicht dauerhaft einzugehen?
Sie lächelte hinter dem Schutz eines Sicht- und Akustikschirms. Nein. Egal, wie das Ergebnis ausgefallen wäre: Es gab nichts zu bereuen. Selbst wenn das hieß, nun Kommandant Holger Bendisson und viele, die ihr nahestanden, belügen zu müssen und vor ihnen zu verheimlichen, dass Perry noch lebte.
»Die Untersuchungen sind abgeschlossen«, teilte Icho Tolot ihr mit. Der schwarzhäutige, gutmütige Riese war ein schlechter Schauspieler. Seit Atlan gegangen war, waren Schwung und Spannkraft in seinen Körper zurückgekehrt. Sicher kochte die bordinterne Gerüchteküche bereits.
»Gut.« Sichu warf dem Raumabschnitt, in dem Perry Rhodan angeblich gestorben war, einen letzten, langen Blick zu. »Machen wir uns auf den Rückweg.«
Hier ist Hier.
Jetzt ist Jetzt.
Sein ist Sein.
Pflege das Gelege, das ist.
Soziale Weisung der Topsider
2.
Gravofeuer
Die Geräusche in der wissenschaftlichen Nebenzentrale waren gedämpft.
Ral Pichofki folgte den Bewegungen der Holofrau vor ihm. Sie nahm den Fuß zurück, er seinen vor. Dann drehte sie sich, und er gab ihr den Raum dazu. Es war eine einfache und doch schöne Figur in einem uralten Tanz, der Ral faszinierte. Sie nutzten die Enge des Sitzpodests, um ihre Präzision zu erhöhen.
Vor ihm und seiner virtuellen Tanzpartnerin veränderte das fast mannsgroße Holo die Farbe. Eine rote Region bildete sich innerhalb der dargestellten Sternkarte. Gleichzeitig erklang eine Tonfolge, die Ral für besonders wichtige Meldungen ausgewählt hatte.
»Was ist?«, fragte er TOIO. »Ich habe noch fünf Minuten Pause.«
»Das hat Vorrang.«
Ral ließ sich in den Sessel fallen und schaltete die virtuelle Tanzpartnerin mit einer wischenden Handbewegung ab. Wenn das so weiterging, würde er Sivia beim nächsten Date kein bisschen beeindrucken können. Auch nach zehn Jahren Beziehung liebte er es, sie zu überraschen.
Im Holo vergrößerte sich eine bestimmte Region, die vorab markiert gewesen war. Es erschienen Datenkolonnen, die Ral zum Blinzeln brachten. Er öffnete die Augen weiter, rieb sie sich. Die Werte, die dort standen, erschienen ihm wie ein hyperphysikalisches Leuchtfeuer.
»Dodua!«, rief er in sein Armbandkom und schaltete dabei den visuellen Schirm ab, den er zu Beginn seiner Pause um sich gelegt hatte, damit er niemanden durch seine Tanzeinlage störte. »Schau dir das an!«
Die glatzköpfige Oxtornerin, die ein wenig kleiner war als er, kam sofort von der Hauptstation zu seinem Platz. Gemeinsam starrten sie das Phänomen im Holo an.
Eigentlich war das ein Moment, der sich gut anfühlen sollte. Sie hatten mithilfe der Positronik eine sensationelle Entdeckung gemacht. Im aufgerufenen Raumabschnitt ging etwas vor, das – den Daten nach zu schließen – außergewöhnlich war. Trotzdem war Ral, als läge etwas Nasses und Totes auf seinem Nacken. Er war Hypermathematiker, und was sich dort abbildete, war erschreckend, brutal und kein bisschen schön. Es widersprach den Normen, verspottete die Eleganz der erweiterten, absoluten Relativitätstheorie und verhöhnte jeden, der auch nur einen Anflug vom Traum einer Universalformel kannte.
Das Muster, das durch die Positronik sichtbar wurde, war in sich selbst entstellt. In einem Moment schien es sich zu entfalten, um im nächsten gleichzeitig in sich zu stürzen und zu wuchern. Es explodierte und implodierte gleichermaßen, wobei es sich selbst auslöschte oder besser auszulöschen schien, denn statt des erwarteten Endes entstand etwas ganz und gar Neues, das niemals dort hätte geschehen sollen.
»Sind das Gravitationswerte?«, fragte Dodua. Ihre grauen Augen waren weit aufgerissen. Auf ihrer Schulter duckte sich Prinz, als wollte er in die Darstellung springen.
»Ja.« Ral lehnte sich vor. Er versuchte einen Sinn im Irrsinn zu finden. »Ein Teil von dem, was da passiert, erinnert mich an das Spiel des Lebens.«
»Was ist das?«
»Das ist ein vom Mathematiker John Horton Conway entworfenes Spiel. Es basiert auf zweidimensionalen zellulären Automaten in einem Spielfeld. Das Feld ist in Zeilen und Spalten unterteilt. Dabei ist jedes Gitterquadrat eine Zelle, die entweder tot oder lebendig sein kann, da oder nicht da. Die Zellen, die eingetragen sind, sind die lebenden Zellen. Jede Zelle, egal ob lebend oder tot, hat genau acht Nachbarzellen. Die nächste Generation ergibt sich durch einfache Regeln. Je nachdem wie die Nachbarzellen aussehen, wird die Zelle in der Mitte entweder absterben, also gelöscht, oder sie entsteht neu.«
»Verstehe« Dodua strich mit der Hand über Prinz. »Je nach Anfangskonstellation und den Regeln in Bezug auf die Nachbarzellen verändert sich das Muster.«
»Exakt.« Ral zeigte auf das Holo. »Bei diesen Gravitationsphänomenen scheint es ebenfalls Muster zu geben, nur dass sie mehrdimensional sind. Allerdings scheinen sich diese Muster nach kürzester Zeit sprunghaft zu verändern, als würden sie mutieren oder die Naturgesetze plötzlich nicht mehr gelten. Oder ...« Er suchte nach den richtigen Worten. »... als wäre da an derselben Stelle von einem Sekundenbruchteil auf den anderen ein neues Universum mit neuen Regeln.«
»Ein Multiversumsdurchbruch?«
»Wir sind zu weit weg für sichere Strangenessmesswerte. Aber es wäre möglich.«
»Positronik«, sagte Dodua. »Sondereintrag. Wir haben den 17. Januar 2072 NGZ, 12.45 Uhr Standardzeit. Auf dem letzten Drittel der Leerraumstrecke zwischen M 13 und der Milchstraße sind wir auf ein rätselhaftes Phänomen gestoßen. Es handelt sich um schwerste gravitative Verwerfungen, deren Ursprung unersichtlich ist. Der Ort des Phänomens liegt ungefähr 6800 Lichtjahre oberhalb der Milchstraßenebene.«
Obwohl auch TOIO die Daten speicherte, und das weit genauer, als Dodua es angegeben hatte, hatte es sich als hilfreich erwiesen, wenn beide, Mensch und Positronik, ihre Beobachtungen auf ihre Weise festhielten.
Dodua tippte auf ihr Armbandkom. »Sichu! Hol Tolot und kommt her! Wir haben da etwas entdeckt!«
*
Sichu deutete auf das Zentraleholo. »Dieses Phänomen ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Es scheint lokal eng begrenzt zu sein, doch noch wissen wir zu wenig darüber, auch über eine eventuelle Ausbreitung. Möglicherweise bedeutet es Gefahr.«
Holger Bendisson betrachtete die sichtbar gemachten gravitativen Verwerfungen, die einander rasch ablösten. In diesem Moment erinnerte das Bild an eine sprudelnde Quelle, die in einem eleganten Bogen zu sich selbst zurückfloss.
In einem kleinen Nebenholo waren Dodua Silberroth und Ral Pichofki von der Nebenzentrale zugeschaltet. Die beiden hatten Sichu und Tolot das Phänomen gezeigt, woraufhin Sichu sofort in die Hauptzentrale gegangen war, um sich mit Bendisson vor Ort abzustimmen.
»Wir sollten es erforschen«, empfahl Sichu. »Umgehend.«
»Gute Idee«, sagte Bendisson. »Wir stoppen den Rückflug. Stell ein Team zusammen! Lass uns aber Tolot an Bord, um die Möglichkeiten der THORA zu nutzen und die Erkundungssonden zu koordinieren. Wir werden diesem Rätsel schon auf die Spur kommen.«
»Gut. Welches Schiff ist am besten geeignet?«
»Nimm die TOMISENKOW! Ich informiere Kommandant Eosebio Shahin.«
Sichu stand auf.
Keine zwei Stunden später hatte sie die Vorbereitungen abgeschlossen und war bereit, an Bord der TOMISENKOW zu gehen. Zusammen mit Dodua Silberroth samt Prinz sowie einem nervösen Ral Pichofki, der sich mit den Fingern der rechten Hand unentwegt auf den linken Handrücken tippte, saß sie auf den Gästeplätzen des COMMAND-Podests. Die 240 Meter durchmessende Erkundungsfregatte verfügte über deutlich weniger Waffen und Verteidigungssysteme als ein Schwerer Kreuzer gleicher Größe. Der überlichtfähige Kugelraumer hatte in seiner aufgerüsteten Version eine Besatzung von 165 Personen. Für diesen Einsatz hatte Bendisson die Stärke inklusive der Wissenschaftler auf 40 reduziert. Trotz des großen Abstands, den sie zum Phänomen halten würden, war es ein zeitlich eng begrenzter Hochrisikoeinsatz, für den sie keinen Schichtbetrieb brauchten.