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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. Mit an Bord: mehrere Terraner, darunter Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon. Die Quintarchin Schomek, die Lohe, versucht, Alaska – ebenso wie seine aus dem Anti-Universum stammende Entsprechung – als neuen Quintarchen zu rekrutieren und muss diesen Versuch mit ihrer Existenz bezahlen. Reginald Bull indessen gilt bereits als potenzieller Quintarch und erhält während seiner Probezeit das Kommando über eine Chaos-Bake. Er erlebt nun DIE LETZTEN TAGE VON PORDYPOR ...
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Seitenzahl: 182
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Nr. 3188
Die letzten Tage von Pordypor
Vor einer entsetzlichen Entscheidung – Bull gerät in eine Zeitsenke
Michelle Stern
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog: Pordypor, tiefste Vergangenheit
1. So weit das Chaos reicht
2. Es ist, es ist nicht
3. In einer fremden Zeit
4. Auf dort und dann
5. Der Ruf ins Nichts
6. Ein Echo aus der Zukunft
7. Die Legende der Zeitmutter
8. Von Kommandanten und Pfaden
9. Die Beschwichtiger
10. Was seine Schatten wirft
11. Pläne und andere Irrtümer
12. Zurück in Raum und Zeit
Report
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.
Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.
Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. Mit an Bord: mehrere Terraner, darunter Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon.
Die Quintarchin Schomek, die Lohe, versucht, Alaska – ebenso wie seine aus dem Anti-Universum stammende Entsprechung – als neuen Quintarchen zu rekrutieren und muss diesen Versuch mit ihrer Existenz bezahlen. Reginald Bull indessen gilt bereits als potenzieller Quintarch und erhält während seiner Probezeit das Kommando über eine Chaos-Bake. Er erlebt nun DIE LETZTEN TAGE VON PORDYPOR ...
Reginald Bull – Der Aktivatorträger steht vor einer Entscheidung.
Mieke Meideina – Die Ash'sharal stellt entscheidende Fragen.
Yoko Aquinta – Die Kommandantin setzt sich entschieden für ihre Mannschaft ein.
Hotra-Syrd – Dem Tefroder geht das Pflichtbewusstsein der Terraner entschieden zu weit.
Betty Echomag
Prolog
Pordypor, tiefste Vergangenheit
Das halbmondförmige Plateau schmiegte sich an die nadelförmige Spitze des scharfkantigen Bergs. Asche regnete vom Himmel, wirbelte im Wind um die in Jahrmillionen geschliffenen Gesteinskanten, drehte sich in Kreisen um sich selbst, um dann zu Boden zu sinken und eine immer dicker werdende, graue Schicht zu bilden. Eine Schicht, die Boden und Hoffnung gleichermaßen begrub: ein Zeugnis der Katastrophe.
Dicht am Berg ragten zwei Gestalten in den wirbelnden Flocken auf, transparent wie minderwertige Holoprojektionen. Eine von ihnen berührte scheinbar das Steingeäder, aus dem sie hervorgekommen waren: PEW-Metall. Es hatte den beiden fremden Bewusstseinen die Reise an diesen Ort erlaubt, doch keiner der beiden hatte seinen Körper mitnehmen können. Es war ihre sechsdimensionale Energiekonstante, die ihren Geist in sich barg und ihnen vorgaukelte, einen Leib mit Füßen und Händen zu haben.
So standen sie auf dem Bergplateau wie Gespenster. Ein Terraner, dessen Konturen immer wieder verblassten, und ein weniger als anderthalb Meter großer Paramag, der drei Beine hatte, große, runde Ohren, ein vorstehendes, spitzes Gesicht und einen Kopf, der an den eines haarlosen Pavians erinnerte.
»Affenbiber« und »Paramagnetiseure« hatte der beste Freund des Terraners die Wesen genannt, als er ihnen begegnet war. Wahrscheinlich hatte das hintere Wirbelbein, das die Paramags am Rücken hochklappen konnten, seinen kleinen, pelzigen Freund an einen Biberschwanz erinnert.
Der Mann und der Paramag erfassten die Lage. Vor ihnen im Tal durchzog ein breiter, glutroter Riss die Oberfläche des Planeten. Lava strömte hervor wie sprudelndes Wasser aus einer unter Druck stehenden Flasche. An mehreren Stellen spritzte sie aus kreisrunden Löchern in den Himmel, bildete feurige Fontänen, die sich in Kaskaden ergossen, und warf einen roten Schein in den aschigen, immer dunkler werdenden Himmel.
Die rote, dampfende Gesteinsschmelze wälzte sich über Büsche, Bäume und abgestorbene Stämme. Sie setzte in Brand, was sie berührte, schuf eine Schneise der Vernichtung. Eine weite Lichtung ging im schwarz gesprenkelten Glühen unter, mitsamt einer Freizeitanlage, die von den Paramags dieser Welt errichtet worden war. Sport- und Spielgeräte verschwanden, brusthohe Tische aus Holz loderten auf und wurden umgerissen. Sie versanken Stück um Stück im Rot. Ein weitverzweigtes Röhrensystem aus bronzefarbenem Kunststoff, das wie ein geschlossenes Labyrinth aufgebaut war, fand sein Ende in Hitze und Rauch.
Reginald Bull erkannte das ganze Ausmaß der Zerstörung, obwohl er keine Augen hatte und viel zu weit entfernt stand, um Details zu erkennen. Alles, was er in diesem Moment sah, konnte er sehen, weil er mit Betty Echomag verbunden war – dem Echo eines Paramags mit dem Bewusstsein von acht Parabegabten.
Er atmete tief ein, doch sein Brustkorb hob sich nicht. Sein Atem war eine Vorstellung, eine gedankliche Illusion, ebenso wie sein Körper. Bull hasste es, keinen Körper zu haben. Er hätte gerne physisch zum Ausdruck gebracht, was er fühlte, und wenn er nur gegen einen Stein hätte treten können.
Es war falsch! Es stimmte einfach nicht! Reginald Bull kannte die Geschichte dieser Welt: die Geschichte von Pordypor. Der Planet, die Heimat der Paramags, war in tiefster Vergangenheit vernichtet worden. Über 100.000 Jahre vor der Gegenwart.
Fassungslos blickte er auf den Keil aus Magma, der sich Hunderte Kilometer weit in das Innere des Planeten zog wie eine hässliche, entzündete Wunde. Er dachte an Sälsinde und den Riss in sich. Einen Riss, der dem da unten ganz ähnlich war. Wie Sälsindes Spaltung in Bull hinterließ auch dieser Keil eine tiefe Verletzung. Eine Verletzung! Doch weder Reginald Bull noch Pordypor waren psychisch oder physisch zerrissen worden. Im Fall des Planeten war das falsch. In Bulls Gegenwart existierte Pordypor nicht. Eine Antimaterieexplosion hatte die Welt in unzählige Bruchstücke zerlegt.
»Erkennst du es?«, fragte Betty Echomag.
»Ja«, gab Bull widerwillig zu. Er konnte seine eigene Stimme hören, und obwohl er wusste, dass er nicht körperlich sprach, sondern Symbole an Betty sendete, kamen ihm seine Worte real vor. Bull wünschte, er müsste sie nicht in seinen Gedanken hören. Er hätte sie gerne ausgelöscht. Wenn Betty Echomag recht hatte, stand er vor einer entsetzlichen Entscheidung.
Er dachte daran, wie er als Junge aus dem Comicladen gekommen war, ein neues Comicheft in der Hand. Er hatte ein Held sein wollen. Einer von den Guten. Der edle Held, der sich für die Schwachen einsetzte. Nun spielte er aufgrund der Lage in der Milchstraße mit dem Gedanken, Quintarch zu werden – das genaue Gegenteil eines Ritters in strahlender Rüstung. Und das, obwohl er nie auf die Seite der Chaotarchen hatte wechseln wollen.
Bull stieß einen Fluch aus. Neben ihm zuckte Betty Echomag zusammen. Das Paramag-Echo der acht Parabegabten bildete ihre Persönlichkeit so gut nach, als würde Betty Toufry persönlich im Körper eines Paramags neben ihm stehen.
Sollte es darauf hinauslaufen? Musste er, Reginald Bull, um Quintarch zu werden und seine Gegenwart und Zukunft zu retten, eine ganze Welt auslöschen? Was würde das mit ihm machen?
Eine schwache Hoffnung regte sich in ihm. »Ich finde, du überstürzt es. Wir haben Zeit. Der Keil wird sich weiter ausbreiten. Der Planet wird untergehen. So ist es in meiner Gegenwart.«
Die eigenen Worte klangen schal und abgestanden wie Lügen. Er redete sich die Lage schön, und er wusste es. Das war menschlich, allzu menschlich.
»Ich kenne die Zukunft nicht«, sagte Betty Echomag. »Für mich ist sie offen.«
»Ja«, sagte Bull langsam. »Von hier aus ist sie offen.«
Die Erkenntnis lähmte ihn. Er musste eine Entscheidung treffen, wie sie grausamer kaum sein konnte. Er, Reginald Bull, musste entweder den Planeten Pordypor vernichten oder die Zukunft.
*
»Manchmal habe ich geglaubt zu sterben. Manchmal es sogar gewünscht.
Was würde aus mir werden? Aus meiner ÜBSEF-Konstante, die einige Seele nennen? Ist sie vielleicht mit etwas verbunden, das noch über unser Universum hinausreicht? Ist der Tod nicht ein Sklave der Zeit? Ohne Zeit kann es ihn kaum geben. Manchmal stelle ich mir vor, nach meinem Tod im besten aller Momente zu verharren. Einfach darin zu sein, ohne gestern und morgen.«
1.
So weit das Chaos reicht
Gegenwart, 25. Februar 2072 NGZ
Reginald Bull trat fester auf als gewöhnlich. Sein Fuß rammte den Boden wie einen Feind. Bull war die weißen, gewundenen Räume müde, so sehr sie ihn faszinierten. Der Rote Stern hatte vieles an sich, was ihm nach zwei Wochen Aufenthalt mehr und mehr auf die Nerven ging. Das sternförmige Raumschiff der Ash'sharal war in seinem Inneren unspezifisch wie Nebel, halb da, halb dort, ein vages Etwas ohne Konturen, Ecken und Kanten.
Wie hatte Mieke Meideina es über ihre Arbeit als Navigatorin gesagt? »Es ist, es ist nicht. Es war nie, wird nie gewesen sein und ist doch da. Kurze Geschichten verketten sich zu langen. Aber jene letzte, einzige Geschichte, die zum Schluss die gesamte Unendlichkeit umfasst, ist und war immer schon die früheste, kürzeste von allen.«
Vieles im Roten Stern schien ein solcher Fall von »es ist, es ist nicht« zu sein. Manchmal stieß Bull sich unverhofft den Fuß an etwas, das unmöglich vorher zu erkennen gewesen war. Dann wieder gab es Wege, die so steil waren, dass sie sich nur im SERUN, im Flug zurücklegen ließen. Aber bitte nicht zu schnell, denn sonst bemühte man noch aus Versehen den Prallschirm. Auch war es zweimal passiert, dass der SERUN grundlos gestreikt hatte und Bull wie ein Stein auf den Boden geschlagen war. Inzwischen hatte er gelernt, seine Kommunikation mit den Ash'sharal an Bord zu verbessern, um solch schmerzhaften Erfahrungen vorzubeugen.
Auch Mieke Meideina kam Bull in diesem Moment schwammig vor. Sie war nichts Halbes und nichts Ganzes; Ash'sharal und Mensch in einem. Sie hatte ein Gesicht, einen menschlichen Vorderkopf, Hände und Arme und doch den Leib eines Wesens, das einer nackten, bunt gepunkteten Meeresschnecke glich. Aus der hinteren Kopfpartie wuchsen zwei zapfenförmige Gebilde, die nicht nur extrem lichtempfindlich waren, sondern auch Holoprojektionen erzeugen konnten.
Die Ash'sharal, die mit Mieke verschmolzen war, hatte beide Arme der Terranerin erhalten und in den eigenen Leib inkorporiert. Die Symbiose war durchaus gelungen. Miekes Gestalt war bezaubernd, keine Frage. Von ihrer Fremdartigkeit ging eine exotische Schönheit aus. Doch der Charakter der Terranerin im Körper der Ash'sharal war ebenso diffus und nebulös wie die Räumlichkeiten in diesem schneeblind machenden Raumschiff.
Mieke Meideina wirkte wie ein Mensch, der so schwer traumatisiert worden war, dass er nie ganz hatte erwachsen werden können. Wahrscheinlich hatte ihr dafür das entsprechende Umfeld gefehlt. Das sorgte dafür, dass sich Bull wie der einzige Erwachsene an Bord fühlte. Die Sprache der Ash'sharal, die in Form von Piktogrammen über den Zapfengebilden ihrer Köpfe aufleuchtete, konnte er nicht lesen. Er war auf Übersetzungen angewiesen.
»Du wirkst unzufrieden«, stellte Mieke fest. »Was stört dich?«
»Die Sparsamkeit eurer Innenarchitekten.«
Mieke lächelte. Sie machte eine Handbewegung, und der blasenartige Raum veränderte sich. Bull schien plötzlich mitten in einer Bar zu stehen, die ihn entfernt an das Silverbridge in Terrania erinnerte. Im silbergläsernen Fußboden irrlichterten Impulse, als wollten sie quer durch die Zeit reisen. Konnte sie etwa seine Erinnerungen lesen? Ein Hauch Verärgerung mischte sich in Bills Denken, dann atmetet er tief durch. Unsinn! Und wenn doch – was soll's?
Illustration: Dirk Schulz
Ein schlichter, roter Barhocker stand vor einem Tresen, hinter dem sich ein vom Boden bis zur Decke reichendes Fenster erstreckte. Bull blickte weit in die Stadt Terrania hinein, doch waren die Umrisse der über 100 Stockwerke tiefer liegenden Parks und kleineren Gebäude seltsam unscharf und blass. Der Tresen der Bar hingegen war scharf umrissen. Auch durch seine glassitartige Oberfläche liefen farbige Impulse, die Bull entfernt an das Irrlichtern hinter der Maske von Alaska Saedelaere erinnerten. Zum Glück waren sie weniger verstörend.
»Besser?«, fragte Mieke.
Mit schnellen Schritten ging Bull auf den Barhocker zu und griff danach. Noch während er es tat, wuchs aus dem Boden ein Hocker hervor, der sich der Form des Holos perfekt anpasste. Seine Finger berührten das dicke, weiche Material der roten Rückenlehne, das rasch fester wurde. Wenigstens war nun nicht mehr alles weiß.
»Ja«, sagte Bull und schwang sich auf den roten Hocker. »Jetzt noch ein Drink und ein deftiges Mahl.« Er warf einen Blick auf seinen ungewöhnlich flachen Bauch. »Ich habe in letzter Zeit Probleme, mein Gewicht zu halten.«
Mieke kam zu ihm an den Tresen. Erst dachte Bull, sie würde sich in ihren schnellen, fließenden Bewegungen dahinter schieben, um die Barkeeperin zu geben, doch stattdessen verharrte sie neben ihm. Auf der silbrigen, zart irrlichternden Tresenfläche wuchs ein gefülltes Glas in die Höhe. »Der Rote Stern kann viel für dich tun. Wenn wir wissen, dass du zu uns gehörst.«
Bull schluckte. Es war das erste Mal, dass Mieke Meideina ihn auf seine Loyalität ansprach.
Während des Besuchs auf Pallas in der Zinnwelt hatte zwischen ihnen ein unausgesprochener Waffenstillstand gegolten. Bull hatte dem Chaoporter ein Geschenk gemacht. Er hatte Wort gehalten und dafür gesorgt, dass die Liga den Asteroiden Pallas in FENERIKS Obhut gab. Dafür war kein Angriff auf die Liga erfolgt, ja, es war nicht einmal einer angedroht worden, auch wenn diese Möglichkeit im Raum gestanden hatte.
Das konnte der erste Schritt zu einer friedlichen Lösung in diesem Konflikt sein. Der Chaoporter war trotz fehlender Quintarchen zu mächtig, um ihn offen herauszufordern. Die Völker der Milchstraße mussten einen anderen Weg finden. Nicht zuletzt wegen dem, was Bull von Spateese erfahren hatte, dem Botschafter der Kosmokratin Mu Sargai: Der Chaoporter drohte am Ende seines Sturzes beim Aufschlag in der Yodor-Sphäre zu einer chaokosmokratischen Schimäre zu werden; dem schlimmsten Übel beider Seiten.
Nachdem Bull und Mieke Meideina wieder an Bord des Roten Sterns gegangen waren, waren sie umeinander geschlichen und wichtigen Fragen ausgewichen. Warum schnitt Mieke das Thema ausgerechnet in dieser Lage an?
»Du misstraust mir?«, fragte er.
»Ich kenne die Geschichten über dich und den großen Perry Rhodan. Ihr seid die Helden, die den Drachen mit einer Lanze erlegen wollen. Ich habe Mitleid mit dem Drachen.«
»Du redest vom Chaoporter? Nicht dass ich ihn wie einen Drachen töten könnte ...«
»Aber du würdest, wenn du eine magische Lanze fändest?«
»Wäre ich dann hier?«
»Vielleicht suchst du ja nach der verwundbaren Stelle, Vizeadministrator.«
»Ich bin schon lange kein Vizeadministrator mehr.«
»Wie soll ich dich dann ansprechen? Meister Mammut? Du erinnerst mich manchmal an ein polterndes Spielzeug.«
»Und du mich an eins, das jemand zerbrochen hat.« Bull biss sich auf die Zunge. Er konnte Toio vor sich sehen, ihren warnenden Blick, wenn seine Ehrlichkeit und seine scharfe Zunge auf dem besten Weg waren, für Probleme zu sorgen.
Mieke jedoch wirkte nicht verletzt. »Zerbrochen, ja ... und wieder zusammengesetzt.« Sie lächelte und bewegte beide Arme, die aus dem Schneckenleib ragten. Ihre Finger glitten über die spiegelglatte, schwach irrlichternde Oberfläche des Tresens. »Aber du bist meiner Frage ausgewichen, Meister Drachentöter. Willst du dem Chaoporter schaden? Vielleicht wäre es besser, dich den Gharsen zu übergeben, damit sie dich sicher verwahren.«
Bull schauderte. Als angehender Quintarch fand er ganz sicher einen Ehrenplatz in den kranken Galerien dieser Monster. Er wägte seine Worte ab.
»Ich will die Milchstraße schützen. Das wollte ich schon immer. Und im Moment schütze ich die Milchstraße, indem ich FENERIK helfe. Wir müssen ihm den Weg freiräumen, ohne dass dabei jemand zu Schaden kommt. Eure Chaofakta will keiner vor seiner Haustür randalieren haben.« Er griff sich mit der Hand zum Mund. »Als ich sehr jung war und eine Freundin verteidigt habe, hat mir ein Idiot fast einen Zahn ausgeschlagen. Andere hätten vielleicht aufgegeben, aber ich nicht. Es hat mich angestachelt, besser zu werden. Ich möchte andere beschützen.«
»Du willst also Jungfrauen in Not vor dem Drachen retten?«
»Ich habe auch ein Herz für ältere Damen. Ich bin selbst nicht mehr der Jüngste, auch wenn ich mich jung fühle.«
Mieke kicherte. Eine wellenförmige Bewegung ging durch ihren weichen, beweglichen Körper. Die Punktmuster auf der Oberfläche erzitterten. »Es ist schön, dass du Humor hast. Ich habe lange nicht so viel gelacht.«
Sie versteifte sich. Die harmonischen Wellen ihres Körpers stoppten für ein bis zwei Sekunden und wurden schlaff wie eine Fahne im ausbleibenden Wind.
Bull hatte genug Zeit gehabt, dieses Verhalten in den vergangenen zwei Wochen zu beobachten. Es erinnerte ihn an Atlan, wenn der Arkonide mit seinem Extrasinn sprach. Doch Mieke Meideina hatte keinen Extrasinn, auch wenn ihr Bewusstsein besonders war. Sie erhielt gerade eine Nachricht, auf einem für Bull unbekannten Weg von einem der Ash'sharal an Bord. Vermutlich von einem, der das Sextaskop nutzte.
»Wir müssen die Begleitschiffe kontaktieren«, sagte Mieke, nachdem die Sekunden verstrichen waren.
Bull griff nach dem Glas und trank es in einem Zug leer. Die Flüssigkeit darin war ganz offensichtlich zuckerfreier Pfirsicheistee mit einem Hauch Limette. So würde er sein altes Gewicht nie zurückbekommen. »Gibt es ein Problem?«
»Nein. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
Zum ersten Mal kam Bull das freundliche Lächeln in dem zugleich kindlich-naiven und einsichtigen Gesicht falsch vor.
*
Der Kontakt zu den beiden Begleitschiffen und ihren Kommandanten war rasch hergestellt. Die Holos des Tefroders und der ungewöhnlich kleinen Terranerin leuchteten vor Reginald Bull in dem nun wieder kalkweißen, blasenförmigen Raum auf.
Auf Bulls Wunsch hatten Terra und die Liga nur einen OXTORNE-Kreuzer zur Begleitung und Beobachtung des Roten Sterns geschickt. Er wollte nicht mehr Schiffe gefährden als nötig – wer wusste schon, was auf einer Reise mit einer Chaos-Bake alles geschehen konnte? Die Technik des Roten Sterns überstieg die der Galaktiker bei Weitem. Während das Schiff des Chaoporters sich schützen und verteidigen konnte, falls es hart auf hart kam, konnten das der mit Ringwulst 600 Meter durchmessende OXTORNE-Kreuzer SALADIN ONTARIO und sein tefrodisches Gegenstück, die VEA ABARR womöglich nicht.
Die VEA ABARR hatte sich zufällig gerade auf diplomatischer Mission im Solsystem befunden und sich der SALADIN ONTARIO angeschlossen. Bull hatte sich darauf eingelassen, um einem Konflikt mit dem Tamanium aus dem Weg zu gehen. Ein wenig verstand er Vetris-Molauds Leute sogar. Die Tefroder fürchteten, dass die Terraner chaotarchische Technik an sich bringen wollten. Sie würden den Teufel tun, den Roten Stern allein den Terranern zu überlassen.
»Was ist los?«, fragte Hotra-Syrd. Der tefrodische Kommandant lümmelte auf eine Weise in seinem Kommandosessel, die selbst Gucky neidisch gemacht hätte. Jede Faser seines Körpers schien auszudrücken, wie wenig er von Etikette hielt. Sein Gesicht zeigte einen dunklen Bartschatten, und die blauschwarzen Haare standen von einem dünnen Fixierfilm gehalten in alle Richtungen ab. Am auffälligsten war die dunkle, bügellose Brille, die vor seinem Gesicht schwebte. Angeblich brauchte er sie, da er empfindliche Augen hätte und mit anderen Hilfsmitteln nicht zurechtkäme.
»Wir erreichen in Kürze das Pordyporsystem«, unterrichtete ihn Mieke Meideina. »Es wäre gut, wenn die SALADIN ONTARIO und die VEA ABARR von der Chaos-Bake Abstand halten.«
Hotra-Syrd legte den Kopf schief. »Weshalb?«
»Seid ihr weit weg, geratet ihr bei einem möglichen Zwischenfall nicht in Gefahr.«
»Welcher Zwischenfall könnte das sein?«, hakte Kommandantin Yoko Aquinta nach. Im Gegensatz zu Hotra-Syrd trug sie die rosafarbenen Haare so glatt, als wären sie aus einem Stück gegossen. Nicht ein einzelnes Haar wich von der betoniert wirkenden Fläche ab.
»Es ist bekannt, dass sich im Pordyporsystem große Mengen an PEW-Metall befinden. Es könnte zu bislang unbekannten Interferenzen kommen.«
»Willst du uns loswerden?«, fragte Hotra-Syrd respektlos dazwischen.
In einer sehr menschlichen Geste schüttelte Mieke Meideina den Kopf. »Ich will eure Sicherheit gewährleisten.«
Hotra-Syrd schwang die Beine von der Lehne, stellte die Füße auf und neigte sich vor, dem Feld der Kameraerfassung entgegen. »Was wollt ihr überhaupt in diesem System? Warum sind wir hergeflogen?«
Yoko Aquinta verdrehte die Augen, die exakt die gleiche Farbe wie ihre Haare hatten. »Darf ich?«, fragte sie ebenso kühl wie geringschätzig.
Bull nickte. Beide Kommandanten waren eingewiesen worden, und Hotra-Syrd hätte wissen sollen, warum sie dieses System ansteuerten. Vermutlich hatte der Tefroder sich informiert, doch ließ er sich gerne Dinge doppelt erklären, als hoffte er, dass der böse Rote Stern auf diese Weise düstere Geheimnisse ausplauderte.
Die gerade einmal etwas über 1,30 Meter große Terranerin richtete sich kerzengerade auf. »Wir sind hier, weil Mieke Meideina, die Navigatorin an Bord des Roten Sterns, das angewiesen hat. Die Roten Sterne haben eine klar umrissene Aufgabe. Sie sind Chaos-Baken für FENERIK auf seinem Weg. Und das System, das wir gerade ansteuern, ist eine Wegmarke der Hypergravitativen Trasse. Diesen Punkt wird FENERIK auf seinem Sternensturz in Richtung Yodor-Sphäre passieren.«
Hotra-Syrd klatschte in einer abfälligen Geste mit den Fingerspitzen der drei langen Mittelfinger gegen den Handballen der anderen Hand. »Brav auswendig gelernt.« Er wandte sich an Mieke Meideina. »Und was wollt ihr wirklich hier?«
»Wir prüfen eine Wegmarke der Hypergravitativen Trasse«, wiederholte Mieke Meideina freundlich. Sie schaffte es, dabei sogar zu lächeln. Yoko Aquinta dagegen hatte die Augen zu engen Schlitzen zusammengekniffen.
»So weit, so klar«, mischte sich Bull ein. »Haltet Abstand! Die nötigen Distanzen bekommt ihr von Navigatorin Meideina.«
Der Tefroder zog eine Augenbraue so hoch, dass sich die jugendliche Stirn darüber in zahlreiche Falten legte. »Du denkst nicht ernsthaft, dass ich dir das Feld überlasse, Terraner? Gibt es keine andere Möglichkeit?«
Mieke Meideina zögerte. Über den Zapfen auf ihrem Hinterkopf leuchtete kurz ein kreisförmiges Symbol auf, das jedoch sofort wieder verblasste. »Ihr könntet euch auch sehr dicht in unserer Nähe aufhalten, damit wir euch im Notfall schützen können, aber ...«
»Na also!«, fiel ihr Hotra-Syrd ins Wort. »Abgemacht. Wir gehen auf Kuschelkurs.«
Yoko Aquinta nickte zögernd. Obwohl ihr deutlich anzusehen war, wie wenig sie den tefrodischen Kommandanten schätzte, wollte auch sie ganz offensichtlich lieber in der Nähe der Chaos-Bake bleiben.
»Damit ist diese Frage geklärt«, knurrte Bull. »Roter Stern Ende.«
Die Holoprojektionen Hotra-Syrds und Yoko Aquintas verblassten.
Mieke kicherte. »Roter Stern Ende. Das klingt ja wie im guten alten Solaren Imperium.«
2.
Es ist, es ist nicht
Auf dem Panoramaholo leuchtete Paramag-Alpha vor dem Hintergrund des Milchstraßenzentrums auf. Das System lag 39.949 Lichtjahre vom Solsystem entfernt am äußersten Rand des Zentrums.