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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Vielleicht kann Perry Rhodan, der als erster Mensch auf Außerirdische gestoßen ist, endlich sein großes Ziel erreichen: Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Milchstraße – das Geisteswesen ist in Fragmente zersplittert worden, die sich an verschiedenen Stellen im Kosmos befinden. Mehrere dieser Fragmente konnten gefunden und geborgen werden, aber nicht immer verlief alles nach Plan. In der Milchstraße sammeln sich nun alle gefundenen Fragmente – und bilden damit ein Angriffsziel für den großen Hintertreiber des Plans, ES neu entstehen zu lassen: Kmossen, Proto-Quintarch von FENERIK. Die Galaktiker müssen versuchen, die Fragmente an einen geschützten Ort zu bringen. Entscheidendes trägt sich dabei zu UNTER DEM HIMMEL VON GATAS ...
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Seitenzahl: 164
Nr. 3297
Unter dem Himmel von Gatas
Sie sind geborene Gataser – Menschen der galaktischen Eastside
Andreas Eschbach
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Fanszene
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr.
Vielleicht kann Perry Rhodan, der als erster Mensch auf Außerirdische gestoßen ist, endlich sein großes Ziel erreichen: Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Doch ES weilt nicht mehr in der Milchstraße – das Geisteswesen ist in Fragmente zersplittert worden, die sich an verschiedenen Stellen im Kosmos befinden. Mehrere dieser Fragmente konnten gefunden und geborgen werden, aber nicht immer verlief alles nach Plan.
In der Milchstraße sammeln sich nun alle gefundenen Fragmente – und bilden damit ein Angriffsziel für den großen Hintertreiber des Plans, ES neu entstehen zu lassen: Kmossen, Proto-Quintarch von FENERIK. Die Galaktiker müssen versuchen, die Fragmente an einen geschützten Ort zu bringen. Entscheidendes trägt sich dabei zu UNTER DEM HIMMEL VON GATAS ...
Andri Saletan – Ein terranischstämmiger Gataser will seiner Heimat treu bleiben.
Symou las-Lardh – Andris Partnerin strebt nach Sicherheit.
Me'Shy – Andris Freund und jülziisher Historiker sieht die Schwarze Kreatur des Unheils.
Leede Khaamt – Eine Freundin Symous sieht eine Chance.
Lyirid Ghüra
Die Jülziish kennen in ihrer Sprache
kein Wort für »Rückspiegel«.
Wenn nötig, verwenden sie das
Interkosmo-Wort, aber selten ohne
Ausbrüche von Heiterkeit.
Liam Berlitz, »1000 Kuriositäten
der galaktischen Linguistik«
1.
Selbstverständlich war ich schon mal auf Terra. Ursprung meiner Spezies und so, aber tatsächlich war der Anlass ein Kongress in Terrania. Danach habe ich einen Cousin sechsten Grades besucht, der mit seiner Familie in Europa lebt, in einer Stadt namens Groß-Ismaning nördlich der Alpen.
Da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, was für einen schrägen Blick die Terraner auf die Welt haben.
Sie luden mich in ein Restaurant mit »echt gatasischer Küche« ein. Es lag in München, einem der ältesten Stadtteile Groß-Ismanings, hieß Zur Roten Kreatur des Genusses, und das sagte mir schon alles: Erstens gibt es in der Mythologie der Jülziish keine Kreatur des Genusses, und zweitens würde es keinem Gataser einfallen, ein Restaurant nach einer Kreatur zu benennen. Es war reine Geschäftemacherei und das Essen auf dem Niveau einer gatasischen Schulküche – die Preise dafür gesalzen.
»Ich weiß nicht, was du hast«, sagte Mads, mein Cousin, als ich ihnen das erklärte. »Schmeckt doch großartig!«
»Man merkt, dass du noch nie auf Gatas warst«, erwiderte ich.
Aber richtig geschockt waren sie, als ich erzählte, dass ich Reservist der gatasischen Raumflotte bin, im Rang eines Kalyüt, was einem Sergeanten entspricht.
»Geht das überhaupt?«, rief mein Cousin aus. »Du bist doch Terraner!«
»Bin ich nicht«, widersprach ich. »Ich bin ein Mensch, klar. Aber ich bin Gataser.«
»Gataser?«
»Ich bin auf Gatas geboren. Meine Eltern sind auf Gatas geboren. Deren Eltern sind auf Gatas geboren. Und so weiter, viele Generationen zurück. Ich bin auf Gatas aufgewachsen, zur Schule gegangen, ich lebe dort, zahle meine Steuern dort – also, ich würde schon sagen, dass ich ein Gataser bin.«
Ist das nicht merkwürdig? Auf Terra leben buchstäblich seit Jahrtausenden Jülziish und stellen längst den größten Anteil nichtmenschlicher Bürger der Liga. Man kann kaum irgendwo hingehen, ohne Jülziish zu begegnen. Sie sind in allen Berufen vertreten, leiten Unternehmen, bekleiden öffentliche Ämter – und, ja, führen Restaurants, darunter auch richtig gute –, und nicht wenige dienen in den terranischen Streitkräften. Das finden Terraner alles völlig normal.
Aber wenn ein Mensch in der Flotte der Herrlichkeit von Gatas Dienst tat, knallten ihnen die Sicherungen raus.
»Ich stelle mir das heikel vor«, räsonierte Mads so besorgt, als stünde mindestens das Schicksal der Galaxis auf dem Spiel. »Ich meine, angenommen, es käme jemals wieder zu einem Krieg zwischen der Liga und Gatas – wem würde dann deine Loyalität gelten?«
»Gatas natürlich«, erwiderte ich ohne Zögern. Klar, dass ihn das schockieren würde.
»Du würdest allen Ernstes auf Menschen schießen?«, rief er aus.
Ich musste lachen. »Hast du schon mal ein Geschichtsbuch gelesen? Auf Menschen zu schießen ist eine altehrwürdige Tradition bei Menschen. Und Jülziish haben auch schon immer auf ihresgleichen geschossen.«
Nimmt man die bekannte Geschichte als Maßstab, sind Kriege gegen andere intelligente Spezies immer noch eine Neuheit, bei den Menschen, erst recht aber bei den Jülziish, deren Geschichte deutlich länger zurückreicht und nicht weniger blutig ist als die menschliche.
»Also, ich weiß nicht«, meinte Mads. »Ich stell mir das heikel vor.«
»Frag dich doch mal, was passieren müsste, damit die Liga einen Krieg gegen Gatas beginnt«, schlug ich vor. »Kannst du dir das vorstellen?«
»Eigentlich nicht«, musste er zugeben.
»Nicht wahr? Und wenn du mich fragst, ob ich mir vorstellen kann, dass Gatas in den Krieg mit der Liga zieht, würde ich dir das Gleiche sagen.«
*
Mein Name ist Andri Saletan. Nach galaktischer Zeitrechnung wurde ich am 30. September 2048 NGZ geboren, in Byaznii, der Hauptstadt von Gatas, genauer, in Ryoanshi, einem Vorort, der auch »Terratorium« genannt wird, weil dort die meisten Gatas-Terraner leben. Als ich fünf war, zogen meine Eltern mit mir nach Hülin'perl, eine für gatasische Verhältnisse beschauliche Stadt im Süden von Paosyli, an der Ziirysh-Bucht gelegen. Dort bin ich aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe meine Frau kennengelernt, und dort lebe ich noch immer. Nur als ich studiert habe – Xenosoziologie –, habe ich zeitweise anderswo gelebt. Was seine Reize hatte, aber ich bin gerne nach Hülin'perl zurückgekommen.
Ich weiß noch, wie ich meinen Vater einmal fragte, wieso die meisten der Kinder, mit denen ich spielte, anders aussahen als ich. Sie hatten diskusförmige Köpfe, die an hohen Hälsen hoch über ihren Körpern schwebten, und vier Augen anstatt, wie ich, nur zwei.
»Du bist ein Mensch, Andri«, erklärte er mir. »Die anderen sind Jülziish. Es sind einfach zwei verschiedene Spezies, nichts weiter.«
»Warum ist das so?«, fragte ich.
Es war Abend, die Sonne ging mit violettem Leuchten unter. Vater nahm mich mit in den Garten. Auf einem Göryll-Strauch saß ein Asmüül, zupfte blinde Schuppen aus seinen Flügeln und drehte den Kopf, als wollte er uns aus jedem seiner vier Augen begutachten.
»Die Jülziish sind auf Gatas entstanden, vor Millionen von Jahren, es ist ihre Ursprungswelt«, erklärte mir Vater. »Wir Menschen dagegen stammen von einem anderen Planeten. Er heißt Terra und ist ... nun, schrecklich weit weg von hier.«
Ich muss damals alt genug gewesen sein, um zu begreifen, dass damit ein Stern gemeint war. Als ich den Kopf hob, zeigte Vater auf einen milchig schimmernden Streifen, der sich quer über den Himmel zog. »Einer dieser Punkte ist Sol, die Sonne unserer Ursprungswelt. Von dort sind unsere Ahnen einst gekommen.«
»Aber wir sind jetzt hier zu Hause, oder?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er. »Wir sind jetzt hier zu Hause.«
*
Mein Vater hat übertrieben: Man kann Sol von Gatas aus nicht sehen. Beide Gestirne liegen in der Milchstraßenebene und sind nicht nur durch 68.319 Lichtjahre Entfernung voneinander getrennt, sondern auch durch etliche Dunkelnebel und das strahlende galaktische Zentrum.
Die Vorgeschichte der Gatas-Terraner, wie wir im Sprachgebrauch der Liga-Diplomatie genannt werden (hektische Naturen sprechen auch von »Gaterranern«), reicht 17 Jahrhunderte zurück. Im Jahr 441 NGZ, kurz nachdem die Endlose Armada durch die Milchstraße gezogen war, brach auf Gatas eine Epidemie aus, deren Erreger für Jülziish hochgradig ansteckend und gefährlich war, auf andere Spezies jedoch, wie das oft ist, überhaupt nicht ansprach. Daraufhin eilte eine hauptsächlich aus Terranern und Aras bestehende Hilfsorganisation namens »Galaktische Ärzte ohne Grenzen« zu Hilfe, die sich nicht nur um die vielen Erkrankten kümmerte, sondern der es auch gelang, den Erreger zu isolieren und einen Impfstoff zu entwickeln.
Einer dieser Ärzte hieß Ormond Saletan, und er war einer von denen, die sich in dieser Zeit in Land und Leute verliebt hatten und nach Ende der Krise darum baten, bleiben zu dürfen. Was ihm mit Freuden gestattet wurde.
Heute leben auf Gatas rund eine halbe Million dort geborener und aufgewachsener Menschen, größtenteils Terraner, aber auch Angehörige anderer lemuroider Völker. Wir genießen, was man auf Terra »volle Bürgerrechte« nennt, haben eine Interessenvertretung in den Gremien der Regierung, und obwohl die Unterschiede unserer Spezies oftmals Anlass zu Missverständnissen geben, bemühen sich beide Seiten, einander zu respektieren und mehr über die anderen zu lernen.
In aller Regel jedenfalls.
Freilich sind wir nur eine winzige Minderheit, verglichen mit den Milliarden Jülziish allein auf Gatas und den Billionen auf den Zehntausenden anderen Welten der Herrlichkeit. Wir menschlichen Gataser leben unser Leben, suchen und finden Freunde, heiraten und ziehen unsere Kinder groß, aber all das wird uns niemals in eine Lage bringen, in der wir irgendeinen Einfluss auf die große galaktische Politik haben werden.
2.
Alles begann am 26. September 2098 NGZ.
Das weiß ich, weil wir eine Uhr im Schlafzimmer haben, die außer der Gatas-Zeit auch die galaktische Standardzeit anzeigt. Ich bräuchte das nicht, aber meine Frau besteht darauf. Symou ist Akonin, und wie viele Akonen orientiert sie sich heutzutage, siebenhundert Jahre nach der Zerstörung des Planeten, nicht mehr an der Drorah-Zeit, sondern am galaktischen Kalender.
Dass die sogenannte Standardzeit nichts anderes ist als die Ortszeit von Terrania, ist kein Problem für sie: Die Terraner hatten nun mal die Idee, eine galaktische Standardzeit einzuführen, basta.
Akonen sind ziemlich pragmatisch, glaube ich.
Auf Gatas erwacht man als Mensch immer sehr ausgeruht. Ein Tag dauert etwas über dreißig irdische Stunden, das heißt, man kann spät zu Bett gehen und trotzdem genug Schlaf finden.
An diesem Tag erwachte ich, nicht zum ersten Mal, vom Gekecker der Pyroi, die wie wild in den Ästen des alten Nogawyrbaums herumturnten, in den unser Baumhaus gebaut ist. Unser Schlafzimmer liegt im obersten Stock, ich schlüpfte also leise aus dem Bett und trat hinaus auf die Terrasse. In der Nacht war Nebel vom Meer her über Land gezogen, die grün-violetten Blätter des Baums schimmerten feucht, und es roch angenehm nach Holz.
Die Pyroi gingen auf Abstand, klammerten sich an Äste und Streben und wackelten mit ihren diskusförmigen Köpfen. Einer wagte sich näher, Ompo, ihr Anführer. Er weiß, dass er von mir nichts zu befürchten hat, denn Symou und ich haben ihn aufgezogen, als ihn seine damalige Horde verletzt zurückgelassen hatte.
»Ma–rion?«, artikulierte er mühsam. »Yu–sha?« Die Namen unserer Töchter, die nie müde werden, mit ihm zu spielen.
»Die beiden schlafen noch«, sagte ich und kraulte ihm den Rücken.
»Schla-fen«, echote er, machte alle vier Augen zu und neigte den Kopf zur Seite, um mir zu zeigen, dass er verstand, was ich damit meinte.
»Du kannst ja versuchen, sie zu wecken. Marion muss in die Schule und Yusha ins Kindernest.«
Er gab einen Pfeiflaut von sich, entzog sich meinem Kraulen und hangelte sich davon, gefolgt von den anderen. Er weiß genau, hinter welchem Fenster die Mädchen schlafen.
Illustration: Swen Papenbrock
Alles deutete darauf hin, dass es ein schöner Tag werden würde. Am Firmament zog gerade die Losungsscheibe dahin, ein riesiger Satellit, der Gatas auf einer tiefen Polbahn rund dreißigmal pro Tag umkreist. Sein einziger Zweck ist, jede Nacht eine Losung anzuzeigen, das sogenannte Kyketsu: mal eine politische Parole, mal ein kurzes Gedicht, meistens aber ein erbaulicher Satz aus der Mythologie der Jülziish.
Es war schon zu hell, als dass ich das Kyketsu noch hätte entziffern können. Das bedeutete, es war höchste Zeit, die anderen aus den Betten zu scheuchen.
*
»Brauchst du heute den Gleiter?«, fragte ich Symou beim Frühstück.
»Wieso?«, fragte Symou. Sie ist morgens bildschön, aber wortkarg.
»Ich hab mir überlegt, dass ich heute zur Alm hochgehe«, antwortete ich. »Es ist Zeit, dass die Kyatapira auf die Weide kommen. Ich könnte die Mädchen am Schulzentrum absetzen und dann hochfliegen. Aber ich kann auch den Gravopak nehmen.«
Symou schüttelte unwillig den Kopf. »Du weißt, dass ich es hasse, wenn du dieses alte Ding benutzt. Nimm den Gleiter, ich kann mit dem Fahrrad fahren.«
Ich muss dazu sagen, dass wir keine zwei Syr vom berühmten Perlstein Sanatorium entfernt wohnen, wo Symou als komparatistische Medikerin arbeitet. Die Strecke legt man zu Fuß locker in einer Standardstunde zurück, mit dem Rad ist es ein Klacks.
»Das alte Ding«, verteidigte ich meinen Kauf, »stammt aus Beständen der gatasischen Flotte ...«
»... die es ausgemustert hat. Mach einen Fehler in der Wartung, und du endest in einer Felsschlucht.«
Symou vertraut im Grunde nur Produkten akonischer Technik, am liebsten solchen, die sie selbst angeschafft hat.
Ich seufzte. »Gut. Ich nehme den Gleiter.«
Die Frau meines Herzens überließ es mir, die Kinder von ihren Spielen mit den Pyroi loszueisen, sie für den Tag fertigzumachen und den Haushaltsroboter zu instruieren. Dann bestiegen wir den Gleiter und holten drei Häuser weiter Myar und Eftüli ab, die Töchter der Weesyls im gleichen Alter. Marion und Yusha wechselten übergangslos ins Jülziish. So flog ich dann los, vier zwitschernde Plappermäuler auf dem Rücksitz, zum Schulzentrum unten im Tal, in Hülin'perl.
Soweit ein normaler Tag. Das, was uns überrollen sollte, begann ganz, ganz langsam.
*
Alm ist ein terranisches Wort und bezeichnet einen Gasthof mit Viehzucht in Gebirgslage: eine präzise Beschreibung des Anwesens, das ich von meinem Vater geerbt habe und dieser von seinem. Achthundert Meter unterhalb des Gipfels des Syanchyo im südlichen Tyrr-Gebirge gelegen, biete ich in der Urlaubszeit einfache Gerichte terranischen Ursprungs an, zum Beispiel Residentenschmarrn, Omelette, Bratkartoffeln mit Spiegelei oder Apfelkrapfen. Für bergwandernde Jülziish, die bei mir einkehren, sind das exotische Genüsse, und sie kommen so gut an, dass ich kaum Werbung zu machen brauche.
Weil das, wie gesagt, nur in der Urlaubszeit läuft, gehe ich – da bin ich ein typischer Gatas-Terraner – noch zwei weiteren Beschäftigungen nach. Zum einen arbeite ich ebenfalls am Perlstein Sanatorium, nicht im medizinischen Bereich, sondern im xenosoziologischen Institut, das dem Austausch zwischen gatasischer und terranischer Kultur dient.
Und zum anderen züchte ich Kyatapira.
Das sind Bergtiere, eine Art Riesenraupen mit bis zu zwanzig Beinstummelchen, die sich leise summend durch das harte, perlmuttfarbene Gras der Höhenlagen fressen, was manchmal wie ein Konzert klingt. Kyatapira haben ein seidig-wolliges Fell, das in allen Farben des Spektrums schillert und sehr gefragt ist, bei Gatasern wie bei Touristen aus der lemurischen Allianz. Die Wollseide wärmt im Winter, kühlt im Sommer und ist unverwüstlich. Die Schur erfordert Geschick und ist anstrengend, aber in guten Jahren bringt das so viel, dass ich meine anderen Jobs gar nicht bräuchte. Eine sehr komfortable Position, finde ich.
Als ich auf der Alm ankam, machte ich als Erstes einen Kontrollgang. Alles war in Ordnung: die Kühltruhen gefüllt, die Vorratsregale auch. Die Automatiken zeigten Blau, für Gataser das Zeichen, dass alles in Ordnung ist.
Ich checkte auch das Notfallsystem, das für Bergnotfälle vorgeschrieben ist: eine Notfall-Medokammer sowie eine mobile Medoeinheit. Letztere hatte Symou aufgetrieben, als das vorige Gerät, das über hundert Jahre alt gewesen sein muss, den Geist aufgegeben hatte – ohne jemals benutzt worden zu sein, übrigens.
Auch diese Geräte zeigten alle ein beruhigendes Blau.
Das einzig Ärgerliche war, dass sich an der Wetterseite des Gebäudes wieder Schwarzstein gebildet hatte, eine Ablagerung des feinen Staubs, den Winterstürme in diesen Höhenlagen herantragen. Also holte ich mein altes Multifunktionsgerät und entfernte den Belag mit dem Desintegrator.
Obwohl weit und breit niemand zu sehen war, beeilte ich mich. Das Gerät stammte noch von meinem Vater und war nicht mehr zugelassen, ich hätte es längst abgeben müssen. Der Grund: Wenn man den Intensitätsregler über den Anschlag hinaus drehte, wurde aus dem hauchdünnen Desintegrationsfeld ein richtiger Strahl, kurzum, es ließe sich als Waffe missbrauchen. Aber moderne Geräte konnte man kaum bedienen, wenn man keine drei Daumen an der Hand hatte, deswegen behielt ich es.
Nachdem das erledigt war, stieg ich hinab in die Ställe. Die Kyatapira begrüßten mich aufgeregt. Es drängte sie ins Freie, genau, wie ich es mir gedacht hatte. In der kühleren Jahreszeit sind sie gerne drinnen, mümmelten das Trockenfutter aus dem Automaten und liegen den lieben langen Tag summend beisammen. Aber nun war es Zeit. Ich öffnete das Tor, sie hoppelten hinaus auf die Weide, und alles, was mir zu tun blieb, war, den Roboter einzuschalten, damit er den streng riechenden Stall reinigte.
Dann folgte ich den glitzernden Tieren ins Freie. Das weißblaue Licht Verths ließ den Himmel leuchten und schimmerte auf den Wassern der Ziirysh-Bucht, die man von meiner Alm aus sehen kann. Herrlich. Mit mir und der Welt zufrieden, setzte ich mich auf meinen Lieblingsplatz, eine alte Bank unter einem Shökekr-Busch, und aktivierte ein Holobuch.
Ich gebe es zu: Meine Alm ist zugleich ein Refugium, und meine Arbeit dort oft nur ein Vorwand, um mal für mich zu sein.
Doch das war mir an diesem Tag nicht vergönnt. Aus dem Tal näherte sich ein Gleiter, und er kam direkt auf mich zu.
*
Wenn sich zwei Jülziish treffen, entbieten sie einander üblicherweise den Gruß »Gazzys´pryzayar!«, eine Segensformel, mit der man dem anderen zahlreiche Nachkommen wünscht – ein veralteter Wunsch, denn moderne Jülziish beschränken die Zahl ihrer Kinder mit empfängnisverhütenden Mitteln. Aber es ist eben Tradition.
Trifft ein Jülziish einen Nicht-Jülziish, grüßt er ihn dagegen wohlwollend mit »Bhüy´eshell!«, was so viel heißt wie: Augen voller Licht!
Der Jülziish hingegen, der seinen altersschwachen Gleiter schräg über mir zum Stillstand brachte, das Verdeck auffahren ließ und auf mich herabsah, grüßte mich mit: »Hallo, Zweiäuglein!«
Worauf ich erwiderte: »Hallo, alter Tellerkopf. Was machst du hier?«
Denn es handelte sich um niemand anderen als Me'Shy, meinen ältesten und besten Freund.
Eigentlich hieß er Merülüyoi Shyliial, aber schon in der Schule hatten wir ihn immer Me'Shy genannt. Womit er übrigens, verglichen mit den Spottnamen, die andere erdulden mussten – Pliegül, die im Wettlauf alle abhängen konnte, nannten wir zum Beispiel »Trampeltier« –, gut wegkam.
Ich als Gatas-Terraner bekam natürlich alle Spottnamen ab, die es gab: Kugelkopf, Zweiäuglein, Langbein, Rückspiegelbenutzer, Kurzarm, Daumenloser und so fort. In dieser Hinsicht konnte mich nichts mehr überraschen.
»Ich dachte mir, dass du hier oben bist«, meinte Me'Shy. »Noch drei Zehntage, dann geht der Sommer los. Logisch, dass du jetzt ... ähm, schwer arbeiten musst, um die Alm für die Eröffnung vorzubereiten.«
Ich hob das Holobuch hoch. »Wie du siehst.«
»Wie ich sehe.« Er deutete auf die Alm. »Ich stell meine Schüssel ab und setz mich zu dir, üyii?«
»Üyii«, bekräftigte ich.
Nach der Schule hatten wir unterschiedliche Wege eingeschlagen. Während ich Xenosoziologie studierte, verschrieb sich Me'Shy dem Studium der gatasischen Geschichte, einem anspruchsvollen Gebiet angesichts einer Geschichtsschreibung, die so viele Tausend Jahre zurückreichte. Zudem neigte er dazu, sich auf langwierige Seitenwege zu verlaufen; so arbeitete er seit Jahren an einer Studie, welchen Einfluss die Veröffentlichungen von Homer G. Adams zur Wirtschaftspolitik auf die großen galaktischen Zivilisationen gehabt hatten: Mal ehrlich – wen interessierte das?
»Und, was liest du?«, wollte er wissen, als er sich schwer neben mir auf die Bank fallen ließ.
Ich zeigte ihm das Titelblatt. »Lonzym, Vom einfachen Leben. Interessant.«
Me'Shy gab einen missbilligenden Pfiff von sich. »Ach, die Hanen mit ihrer Ablehnung der Technik. Das ist doch albern. Ohne Technik hätten ihre Vorfahren Zülüt niemals erreicht, erstens, und zweitens: Jülziish haben Hunderttausende von Jahren ohne nennenswerte Technik gelebt, und ich schwöre bei der Weißen Kreatur der Wahrheit, in diese Zeiten will niemand zurück, auch die Hanen nicht.«
»So einfach ist das nicht«, widersprach ich. »Lonzym bringt gute Argumente. So sagt sie zum Beispiel ...«