Perry Rhodan Kompakt 1: 2700 - Luna im Visier - Andreas Eschbach - E-Book

Perry Rhodan Kompakt 1: 2700 - Luna im Visier E-Book

Andreas Eschbach

0,0

Beschreibung

Der Beginn der neuen Ära im PERRY RHODAN-Universum - exklusiv erweitert! Das Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Wie eine Wucherung überzieht ein sogenanntes Technogeflecht den gesamten Mond - trotz ihrer hochentwickelten Technologie vermag es die Menschheit nicht mehr, zum Trabanten der Erde vorzustoßen. Es gibt keine ernsthafte Gefahr, niemand wird bedroht, aber vieles ist unklar: Was geschieht auf dem Mond, welche Macht hat sich dort eingenistet? Perry Rhodan entwickelt mit seinen Gefährten einen Plan: Mit einem speziellen Raumschiff will er zum Erdtrabanten vorstoßen. Der erste Mensch, der überhaupt jemals den Mond erreichte, muss ein weiteres Mal alles wagen, um die Erde zu retten ... Dieses E-Book enthält die vier Startromane des Zyklus "Das Atopische Tribunal" sowie vier exklusive Kurzgeschichten der Autoren. Diese neuen Texte ergänzen das Geschehen und beleuchten Facetten, für die bislang kein Platz blieb. Zum Inhalt: PERRY RHODAN 2700: "Der Techno-Mond" und die exklusive Geschichte "746 Upper West Garnaru Road" von Andreas Eschbach PERRY RHODAN 2701: "Unter der Technokruste" und die exklusive Geschichte "Ein onryonisches Schreckgespenst" von Christian Montillon PERRY RHODAN 2702: "Das positronische Phantom" und die exklusive Geschichte "Moon River" von Marc A. Herren PERRY RHODAN 2703: "Tod im All" und die exklusive Geschichte "Die, die überlebt haben ..." von Bernd Perplies Ein neues Abenteuer Perry Rhodans in einer ungewöhnlichen Form, einem "Extended Cut", wie es ihn bisher nie gegeben hat.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Veröffentlichungsjahr: 2013

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kompakt

2700: Luna im Visier

Romane und Kurzgeschichten

von

Andreas Eschbach,

Christian Montillon,

Marc A. Herren

und Bernd Perplies

Der Beginn der neuen Ära im PERRY RHODAN-Universum – exklusiv erweitert!

Das Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Wie eine Wucherung überzieht ein sogenanntes Technogeflecht den gesamten Mond – trotz ihrer hochentwickelten Technologie vermag es die Menschheit nicht mehr, zum Trabanten der Erde vorzustoßen. Es gibt keine ernsthafte Gefahr, niemand wird bedroht, aber vieles ist unklar: Was geschieht auf dem Mond, welche Macht hat sich dort eingenistet?

Perry Rhodan entwickelt mit seinen Gefährten einen Plan: Mit einem speziellen Raumschiff will er zum Erdtrabanten vorstoßen. Der erste Mensch, der überhaupt jemals den Mond erreichte, muss ein weiteres Mal alles wagen, um die Erde zu retten ...

Dieses E-Book enthält die vier Startromane des Zyklus »Das Atopische Tribunal« sowie vier exklusive Kurzgeschichten der Autoren. Diese neuen Texte ergänzen das Geschehen und beleuchten Facetten, für die bislang kein Platz blieb.

Zum Inhalt:

PERRY RHODAN 2700: »Der Techno-Mond« und die exklusive Geschichte »746 Upper West Garnaru Road« von Andreas Eschbach

PERRY RHODAN 2701: »Unter der Technokruste« und die exklusive Geschichte »Ein onryonisches Schreckgespenst« von Christian Montillon

PERRY RHODAN 2702: »Das positronische Phantom« und die exklusive Geschichte »Moon River« von Marc A. Herren

PERRY RHODAN 2703: »Tod im All« und die exklusive Geschichte »Die, die überlebt haben ...« von Bernd Perplies

Vorwort

Mit dem PERRY RHODAN-Roman »Der Techno-Mond« von Andreas Eschbach begann im Mai 2013 eine neue Ära der größten Science-Fiction-Serie der Welt. Grund genug, dieser neuen Ära im digitalen Bereich eine besondere Publikation auf den Weg zu geben – das Ergebnis ist PERRY RHODAN-Kompakt, das erste E-Book unter diesem Serientitel.

Die ersten vier Romane des Zyklus »Das Atopische Tribunal« finden sich in diesem E-Book ... doch nicht nur das! Die Autoren der einzelnen Bände ließen es sich nicht nehmen, für diese Spezialveröffentlichung noch einmal in die Handlung ihrer jeweiligen Romane einzutauchen. Zusätzlich zu dem originalen Texten steuerte jeder eine Kurzgeschichte bei und beleuchtet darin Facetten des Geschehens, für die bislang kein Platz blieb.

So ist ein erweiterter Blick auf den Beginn der neuen Ära entstanden, eine Art Director's Cut.

Vier Mal gibt es auf den folgenden Seiten einen tieferen Einblick in das, was ganz selbstverständlich ebenfalls ablief (Andreas Eschbach) ... was nie erzählt wurde, aber während der Handlung der Romane geschah (Christian Montillon) ... oder davor (Marc A. Herren) ... oder danach (Bernd Perplies).

Andreas Eschbach stellt sich in »746 Upper West Garnaru Road« eine Frage, die bisher noch keiner zu stellen wagte: Wie bei allen Galaxien des Universums ist Perry Rhodan eigentlich an das neue seltsame Haus gekommen, das im Roman eine Rolle spielt – und wie mag es einem »Makler« gehen, der dem Unsterblichen eine Wohnung vermittelt? Was vordergründig ein pures Stück terranischer Alltag in einem fernen Jahrhundert darstellt, dient auch als kleiner Vorausblick auf ein Detail der kommenden Handlung.

»Ein onryonisches Schreckgespenst« heißt der Beitrag, den Christian Montillon exklusiv für dieses E-Book geschrieben hat. Der ungewöhnliche Titel will zunächst so gar nicht zu einer Science-Fiction-Geschichte passen. Oder doch? Der Text schaut im wahrsten Sinn des Wortes in den Kopf einer der Nebenfiguren hinein, deren Geheimnis sonst für immer verlorengegangen wäre.

Der in der Schweiz lebende Autor Marc A. Herren steuert »Moon River« bei und beginnt mit einem klassischen Lied, das eine Figur hört, die der Leser aus den vorangegangenen Romanen kennt. Wie erlebte ein Kind, ein bedeutendes Kind sogar, das Geschehen auf dem Techno-Mond in den vergangenen Jahren?

Den abschließenden Exklusiv-Beitrag liefert Bernd Perplies mit »Die, die überlebt haben ...«. Für ihn war die Geschichte eines seiner Nebencharaktere mit dem Wort »Ende« unter seinem PERRY RHODAN-Manuskript 2703 noch nicht beendet. Was geschah eigentlich in den Tagen danach?

Nun aber genug der Vorrede! Ein neues und aufregendes Abenteuer Perry Rhodans wartet darauf, gelesen zu werden ... in einer ungewöhnlichen Form.

Steigen Sie ein!

Christian Montillon

Der Techno-Mond

von Andreas Eschbach

Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn andere Wasser strömen nach.

(Heraklit, altgriechischer Philosoph, etwa 4120 bis 4070 vor NGZ)

Prolog

Wiederholt sich Geschichte? Diese Frage ging Perry Rhodan seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf.

Auch nicht in diesem Moment, als er unter dem Rumpf der STARDIVER hervortrat. Fast dreihundert Meter ragte sie über ihm auf, ein stählerner Koloss, der in einer ebenso hohen, wuchtigen Halterung hing. Eines der seltsamsten Raumschiffe, die Rhodan in seinem langen Leben je gesehen hatte. Ein technisches Wunderwerk.

Trotzdem kreiste in Rhodans Gedanken nur diese eine Frage: Wiederholt sich Geschichte?

Er sah über die Reihe der Wachroboter hinweg. Jenseits der Maschinenleiber herrschte Nacht, erstreckte sich die kaum zu überblickende Fläche des Raumhafens Terrania Space Port. Teile der zum Horizont und darüber hinaus reichenden Ebene waren ausgeleuchtet, andere nicht. Vielfarbige Lichter erfüllten aber auch die dunklen Areale, ließen Umrisse erahnen von Raumschiffen, die geparkt standen, die gerade gewartet oder beladen wurden. Da und dort hob sich ein Schiff auf Antigravfeldern lautlos in die Höhe, oder es senkte sich aus dem nächtlichen Himmel eines herab.

Es hätte viel zu sehen gegeben, doch Rhodans Blick wanderte wie von selbst zum Himmel empor, suchte geradezu zwanghaft nach der vollen Scheibe des Mondes. Groß hing Luna am wolkenlosen Firmament, groß und herzbeklemmend fahlgrün leuchtend wie ein böses Auge, das die Erde beobachtete.

Wiederholt sich Geschichte?

Der Mond: Damit hatte einst, vor unfassbar langer Zeit, alles begonnen. Damit, dass er, Perry Rhodan, zum Mond aufgebrochen war. Damals hatte das Raumschiff STARDUST geheißen. Zu viert waren sie gewesen und das Unternehmen höchst gefährlich, ein Risiko ohnegleichen.

Nun würde er dasselbe noch einmal tun. Wieder würde er zum Mond aufbrechen. Wieder würden sie zu viert sein. Wieder würde es ein höchst gefährliches Unternehmen werden, ein Risiko ohnegleichen.

Noch einmal dasselbe.

Und zugleich etwas total anderes.

Wiederholt sich Geschichte?

Es sah so aus. Mit einem winzigen, aber bedeutungsvollen Unterschied: Es gab keine Garantie, dass diesmal wieder etwas begann.

1.

15. Juni 1514 NGZ, 21.00 Uhr

Terrania Space Port

Rhodan passierte die von zwei einsatzbereiten Kampfrobotern bewachte Strukturschleuse. Draußen auf dem Raumhafenfeld empfing ihn die brütende Hitze einer Juninacht in der Gobi-Region, die einem auch um diese Zeit – kurz nach neun Uhr abends – noch den Schweiß ausbrechen lassen konnte. Es roch nach dem Ozon energetischer Entladungen, nach Syntho-Schmierfett und nach dem sommerlichen Blütenmeer der Khooloi-Gobi-Ebene. In weiter Ferne waren Stimmen zu hören, summten Abschirmfelder, schabte Metall auf Metall beim Verladen von Containern.

Aber in diesem Moment sah Rhodan die Wüste vor sich, die einmal an diesem Ort geherrscht hatte.

Die Menschen hatten es weit gebracht. Das konnte man ohne Übertreibung sagen.

Er hob das rechte Handgelenk, an dem er einen Kommunikator in Form einer dezenten Metallspange trug. »Basil?«

»Na endlich!«, vernahm er eine lebhafte, jung klingende Stimme. »Ich versuche schon den ganzen Nachmittag, dich zu erreichen. Dein Kommunikator war abgeschaltet!«

»Ich hatte einen privaten Termin«, sagte Rhodan. Er musterte die mattsilbern schimmernde Kuppel hinter sich. Ein Paratronschirm, der dank eines vorgeschalteten Spiegelfelds nicht erahnen ließ, was sich darunter verbarg. Er würde die STARDIVER bis zu ihrem Einsatz zuverlässig schützen, und niemand würde sich etwas dabei denken, denn Schutzschirme wie dieser erhoben sich in diesem Teil des Raumhafens zu Dutzenden. »Und danach noch einen vertraulichen«, fügte er hinzu.

»Hab ich mir schon gedacht. Aber weil doch diese Besprechung anberaumt ist und wegen heute Abend ...«

»Ja, ich weiß«, sagte Rhodan. »Hol mich erst mal ab. Terrania Space Port. Sagen wir, an der Raumhafenmeisterei Ost. Weißt du, wo das ist?«

»Also bitte! Klar weiß ich das«, empörte sich die Stimme aus dem Akustikfeld. »Mann, du solltest mal einen Blick ins Trivid werfen. Terrania-3. Meine speziellen Freunde ... oder nein, lass es. Ich komme. Bin sozusagen schon unterwegs.«

Basil Nunn lachte, dann unterbrach er die Verbindung.

Rhodan setzte sich in Bewegung, folgte den sanft leuchtenden Bodenmarkierungen, auf denen zu bleiben ratsam war, wenn man sich als Fußgänger auf dem Gelände des Raumhafens bewegte. In weiter Ferne hoben gerade zwei Schlachtschiffe ab, stählerne Kugeln, die auch aus dieser Distanz – zwanzig Kilometer, schätzte Rhodan – noch ungemein imposant wirkten. Vor allem, weil das einzige Geräusch, das man hörte, das der Luft war, die sie verdrängten: Es klang wie das tiefe, unheilvolle Fauchen eines Drachen. Alles andere machten die Antigravs.

Unterwegs musste er schmunzeln. Hatte dieser Bursche es mal wieder geschafft, ihn neugierig zu machen! Er tippte auf ein Sensorfeld an seinem Kommunikator, das ein kleines Holofeld erscheinen ließ. Terrania-3. Wenn es denn sein musste. Er hielt nicht viel von Trivid-Nachrichten, insbesondere nicht von diesem Kanal.

Was dort lief, war eine Gesprächsrunde mit zwei Frauen, die aussahen wie Mutter und Tochter, angeblich aber Zwillinge waren. Die eine war zusammen mit der Erde in jene Anomalie versetzt worden, aus der das Neuroversum entstanden war, ihre Schwester hatte sich zu dem Zeitpunkt auf Olymp aufgehalten. Als das Solsystem am 26. August 1503 NGZ an seinen angestammten Platz zurückgekehrt war, hatte man auf der Erde noch das Jahr 1470 NGZ geschrieben – die Bewohner der solaren Welten hatten somit rund 33 Jahre einfach übersprungen. Und um so viel war nun die eine Zwillingsschwester älter als die andere.

Erstaunlich, dass das elf Jahre danach immer noch ein Thema ist, dachte Rhodan und sagte laut: »Basil?«

Die Verbindung wurde blitzschnell wieder aufgebaut. »Bitte nicht hetzen«, kam die Antwort. »Rings um den Raumhafen gelten Geschwindigkeitsbeschränkungen.«

Perry Rhodan lächelte flüchtig. »Ich wollte dich nur fragen, was du an der Sendung auf Terrania-3 relevant findest.«

Ein gedämpftes Ächzen war die Antwort. »Habe ich Terrania-3 gesagt? Ich meinte natürlich Live-3.«

»Gibt es inzwischen so viele Kanäle, dass die einprägsamen Namen ausgegangen sind?« Rhodan beobachtete das Holo, das gerade eine Zusammenfassung der damaligen Ereignisse zeigte. Das Solsystem war nämlich bei seiner Rückkehr nicht vollständig gewesen: Luna, der Mond der Erde, hatte gefehlt.

Ein ziemliches Problem. Da damit auch das Mondgehirn NATHAN ausgefallen war, hatte man in aller Eile die gesamte terranische Verwaltung neu organisieren müssen. Doch das war harmlos verglichen mit den Folgen des fehlenden Mondes selbst: Das Holo zeigte Aufnahmen der Ozeane, die ohne den Einfluss des Erdtrabanten keine Ebbe und keine Flut mehr gekannt hatten. Ein Schwenk über eine Felsenküste der Bretagne und einen Atlantik bei Windstille, der dalag wie ein riesiger See. Dann wieder Bilder verheerender Unwetter, die die Wetterkontrolle nur abmildern, aber nicht hatte verhindern können: Das gesamte Erdklima hatte sich damals verändert. Immer wieder Blicke auf Messinstrumente, die anzeigten, wie das Erdmagnetfeld schwächer wurde.

»Es könnte auch die Sendung Aktuell um 3 auf Terrania-1 gewesen sein. Irgendwas mit 3 auf jeden Fall.« Im Hintergrund war ein Dröhnen zu vernehmen. »Ich kann gerade nicht nachschauen. Hier im Zufahrtsbereich ist die Hölle los ...«

»Schon gut«, meinte Rhodan. »Hat alles Zeit.«

Noch jedenfalls.

Er unterbrach die Verbindung. Etwas ließ ihn zögern, einen der genannten Kanäle einzustellen. Erinnerungen, wieder einmal. Die Bürde der Unsterblichen.

Elf Jahre lag das alles zurück. Nur. Sie hatten damals Pläne für Schutzvorkehrungen gegen Sonnenwinde und kosmische Strahlung entwickelt, um für den Tag gerüstet zu sein, an dem der Van-Allen-Schild gänzlich erlosch. Wobei man die ganze Zeit gehofft hatte, der Mond würde irgendwann doch noch auftauchen. Wenn das gesamte Sonnensystem – mit all seinen Planeten und Monden, mit Tausenden von Asteroiden und seiner aus Millionen winzigster Objekte bestehenden Oort'schen Wolke – mit einer Transit-Dilatation von mehr als dreißig Jahren ankommen konnte, war es kein Ding der Unmöglichkeit, dass Luna einfach Verspätung hatte.

Wie sich zeigen sollte, war diese Hoffnung berechtigt gewesen.

Man hatte nur nicht damit gerechnet, dass der Mond, der schließlich wieder in genau der richtigen Umlaufbahn auftauchte, nicht mehr der sein würde, den man kannte.

*

Aufgabe einer Raumhafenmeisterei waren Instandhaltung und Wartung der Anlagen. Rhodan beobachtete eine Weile den nie endenden Strom von Robotern und kleinen, automatisch gesteuerten Transportwagen, der das Gebäude auf der einen Seite verließ, um auf der anderen zurückzukehren. Dann fragte er sich, wo Basil blieb.

Er versuchte, ihn anzurufen, doch Basil sprach gerade. Rhodan verspürte eine Ungeduld, wie er sie von sich nicht gewohnt war.

Weil ich mich frage, ob sich Geschichte wiederholt.

Weil sie vielleicht bald endet.

Da ihm ohnehin immer die gleichen Gedanken im Kopf herumgingen, beschloss er, sich abzulenken. Er aktivierte das Trivid-Holo wieder, suchte den Kanal Live-3, ging die Zeitleiste ein Stück zurück und fand die Meldung, die Basil vermutlich gemeint hatte: Auf der SINT JORIS, einem Raumschiff, von dem aus Schaulustige den Mond aus der Nähe beobachten konnten, war es zu einem Zwischenfall gekommen.

Eine Frau namens Ughalla Flekk, Anführerin einer Gruppe, die sich Die Exodisten nannte, hatte dem jenseits der Luna-Bahn stationierten ehemaligen BISON-Tender die Ehre ihres Besuchs erwiesen. Nach einem kurzen Blick durch eines der Fernrohre war sie jedoch theatralisch zusammengebrochen und hatte anschließend ihren Anhängern – und den »zufällig« anwesenden Medien – ihre Eingebungen hinsichtlich des Schicksals diktiert, das der Erde, dem Sonnensystem und dem Rest des Universums bestimmt sei. Es gab Bilder davon; der Wortlaut ihrer Erleuchtungen blieb dem Zuschauer gnädigerweise erspart.

Rhodan schaltete das Holo schmunzelnd ab. Basil konnte Gruppierungen wie diese Exodisten nicht ausstehen, konnte sich über »solche Typen« endlos aufregen – doch er bekam nie genug von Neuigkeiten über sie.

Eine eingehende Kurzmitteilung. Basil natürlich. »Entschuldige, ich stecke immer noch fest! Keine Ahnung, warum, aber die kontrollieren den Zugang, als sei das hier ein Hochsicherheitsbereich ... Bis gleich, hoffe ich.«

Perry Rhodan hätte ihm sagen können, warum: Dieser Teil des Terrania Space Port war tatsächlich Hochsicherheitsbereich, denn er hatte früher dem diplomatischen Dienst gehört. Hier waren die Raumschiffe der akkreditierten Botschafter gestartet und gelandet, eine kunterbunte Show galaktischer Raumschiffstechnik, und der Schutz dieser Schiffe gegen alle Eventualitäten hatte stets hohe Priorität genossen.

Da Terra nicht mehr Sitz der Regierung der Liga Freier Terraner war, bestand dieser Bedarf nicht länger. Gegenwärtig wurde dieses Raumlandefeld von Firmen und Privatpersonen benutzt, standen auf den Landefeldern vorwiegend kleine interplanetare Jachten und schlanke Geschäftsraumer – aber die Sicherheitsvorrichtungen waren natürlich alle noch vorhanden: Paratronschirme, Schleierfelder, Deflektoren, geschützte Zugänge und so weiter. Um Infiltrationen zu verhindern und Diebstähle von Geräten, die militärischer Geheimhaltung unterlagen, wurde der Zutritt nach wie vor streng kontrolliert.

Deswegen war es ja eine so gute Idee gewesen, die STARDIVER an genau diesem Ort zu montieren: getarnt als eher nebensächliches wissenschaftliches Projekt der Waringer-Akademie. Derartige Projekte gab es ständig, derzeit ein halbes Dutzend.

Zu Rhodans Erstaunen hatten sich die Bürger Terranias problemlos damit abgefunden, nicht mehr Mittelpunkt des terranischen Sternenbundes zu sein. Dass die schimmernde Stahlblüte der Solaren Residenz nun über Goyn schwebte, der größten Stadt auf Maharani, rund fünfhundert Lichtjahre von der Erde entfernt, schien längst niemandem mehr auch nur ein Stirnrunzeln zu entlocken.

Im Gegenteil: Es war, als seien Terrania und seine Bewohner erleichtert gewesen, die Bürde der Verantwortung los zu sein. Als hätten die Menschen insgeheim gedacht: Wir haben den Job lange genug gemacht. Zeit, dass ihn jemand anders übernimmt. Anstatt dass der von manchen befürchtete Niedergang einsetzte, schien auf einmal ein frischer, fröhlicher Wind durch die immer noch glitzernden Straßenschluchten zu wehen, waren die immer noch prächtig blühenden Parks und die immer noch weiten, immer noch belebten Plätze plötzlich von mehr Lachen erfüllt als je zuvor. Besucher hatten begonnen, Terrania als die heitere Stadt zu bezeichnen.

Das hatte auch gestimmt.

Bis der Mond schließlich zurückgekehrt war. Das hatte alles verändert.

*

Endlich näherte sich ein Gleiter, drehte eine schwungvolle Kurve und kam exakt vor Rhodan zum Stehen. Die Seitentür hob sich mit asthmatischem Zischen.

»Entschuldige die Verspätung!«, rief der junge Mann hinter der Lenkkonsole. »Ich glaube, was Stureres als Wachroboter gibt's nicht, oder?«

»Dafür baut man sie. Weil man sie nicht beschwatzen kann.« Rhodan schwang sich auf den Beifahrersitz. »Und am Ende haben sie dich ja passieren lassen.«

»Stimmt. Aber frag nicht, wen ich alles dafür anrufen musste.«

»Gut. Ich frag nicht.«

Basil Nunn war dreiundzwanzig Jahre alt, hatte dicht gelocktes schwarzes Haar und die bläulich schimmernde Haut der Venusgeborenen. Und er war eher untersetzt und stämmig gebaut wie die meisten Venusgeborenen, die als Kinder auf die Erde kamen und dann blieben.

Trotz seiner Jugend – oder vielleicht gerade deswegen – liebte Basil Nunn alte Dinge, je älter, desto besser. Der Gleiter, den er flog, war ein 1402er Hanna-Pinto, ein über hundert Jahre altes Luxusmodell, das er von seinem Großvater geerbt hatte und liebevoll instand hielt. Er sammelte Füllfederhalter und andere Handschreibgeräte, gebundene Bücher, funkfreie Uhren und dergleichen mehr.

Und wahrscheinlich, so Rhodans Verdacht, hatte er sich vor allem deswegen um die ausgeschriebene Stabsstelle beworben, weil ein mehrere tausend Jahre alter Unsterblicher auch irgendwie in seine Sammlung passte.

Warum auch nicht? Der Hanna-Pinto war wirklich ein Schmuckstück. Man konnte unangenehmer von einem Ort zum anderen gebracht werden.

»Themenwechsel: die Besprechung.« Rhodan berührte den Sensor, der die Seitentür dazu veranlasste, sich wieder zu schließen. »Hat die Chefwissenschaftlerin endlich geruht, uns wissen zu lassen, wann sie einzutreffen gedenkt?«

»Hat sie.« Basil Nunn zückte ein Notizbuch, schlug es mittels eines Lesezeichens auf. Herrlich anachronistisch. »Frau Dorksteiger hat vor etwa vier Stunden den Besprechungstermin für morgen früh zehn Uhr definitiv bestätigt. Sie plant, heute gegen Mitternacht aus dem Transmitter in Terrania City zu steigen; ein Zimmer im Intergalactic ist gebucht. Ihr Stab ist bereits eingetroffen, zieht aber die Gastzimmer der Waringer-Akademie vor.«

»Dann sollte es wohl endlich klappen.« Rhodan wusste, dass Sichu Dorksteiger ab und zu auf Distanz zum Wissenschaftsbetrieb ging, der dazu neigte, die jeweiligen Chefwissenschaftler völlig zu vereinnahmen. Sie würde die Nacht im traditionsreichsten Hotel Terranias (das, leicht übertrieben, damit warb, seit zweitausend Jahren jede Spezies der Milchstraße beherbergen zu können) dazu nutzen, sich mental zu sammeln. Und davon würden alle profitieren.

»Das war es, was ich dir gleich mitteilen wollte«, fuhr Basil fort. »Aber sogar dein Mitteilungsdienst war ausgeschaltet!« Er sagte es fast vorwurfsvoll.

»Wie gesagt«, meinte Rhodan. »Ich hatte einen privaten Termin.«

»Hast du erwähnt«, sagte der junge Assistent arglos. »Ich wusste bloß nicht, dass man den Mitteilungsdienst überhaupt ausschalten kann.«

Rhodan überlegte. Dank seines Zellaktivators brauchte er nicht viel Schlaf; anderes war ihm im Augenblick wichtiger. »Morgen um zehn. Das heißt, es bleibt genug Zeit, um den Termin auf der KOROM-KHAN wahrzunehmen. Hast du das organisiert?«

Die Finger des jungen Venusiers blätterten raschelnd um. »Hab ich. Allerdings bat Oberst Valsolda, du mögest lieber keine Space-Jet nehmen, sondern eine Korvette. Er hat eine bereitgestellt, die dich schon erwartet.« Er tippte auf eine Stelle seiner Notizen. »Landeplatz P-101-17. Einmal quer über den Raumhafen.«

»Eine Korvette? Um in die Mondumlaufbahn zu fliegen?«

»Mit Kanonen auf Spatzen geschossen, ich weiß«, sagte Basil, sichtlich stolz darauf, ein uraltes terranisches Sprichwort anbringen zu können. Die sammelte er natürlich auch. »Der Oberst meinte, es sei ihm erheblich lieber so.«

Mit anderen Worten, Oberst Evrem Valsolda schätzte die potenziell von Luna ausgehende Gefahr höher ein als das letzte Mal.

»Na, von mir aus«, meinte Rhodan. »Dann los.«

*

Selbstverständlich war nicht im Traum daran zu denken, mit einem zivilen Gleiter einmal quer über den Raumhafen zu fliegen. Erst recht nicht in Anbetracht dessen, was derzeit los war. Also fädelte sich Basil Nunn in eine der Ringstrecken ein, die den Gleiterverkehr in unbedenklichem Abstand um das Landefeld herumführten. Er wählte die höchste zulässige Bahn, von der aus man einen guten Blick auf Terrania hatte, trotz des Sichelwalls, der um den Raumhafen lag.

Rhodan sah hinab auf die Stadt, die er vor gut dreitausend Jahren gegründet hatte. Damals, als er das erste Mal vom Mond zurückgekommen und an jener Stelle gelandet war. Von der steinigen Wüste, die sich dort erstreckt hatte, war freilich schon lange nichts mehr zu sehen; ausgeklügelte Bewässerungssysteme und andere agrotechnische Einrichtungen hatten ihr innerhalb weniger Jahrzehnte wirkungsvoll den Garaus gemacht. Und dann hatte die wachsende Stadt einem Großteil der frisch begrünten Ebene ihrerseits den Garaus gemacht.

»Was ist denn da los?«, fragte er und deutete hinab auf die Beteigeuze Road, auf der Tausende von Leuten unterwegs waren und immer mal wieder jemand ein Kleinfeuerwerk zündete.

Basil warf nur einen kurzen Blick in die Tiefe. »Das Jahresfest der Venusgeborenen.«

Rhodan hob die Brauen. »Ich dachte, das fände immer in Rio de Janeiro statt?« Die meisten Exilvenusier zog es in die Amazonasgegend, die der Venus zumindest entfernt ähnelte.

»Eigentlich schon. Aber der Vorstand hat beschlossen, es dieses Jahr ausdrücklich in Terrania City zu feiern. Um ein Zeichen zu setzen gegen die Auswanderungswelle.«

»Aha«, meinte Rhodan. War das logisch, von Leuten, die selbst ausgewandert waren? Er beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken.

Basil Nunn zog den Gleiter zur Seite, nahm eine der ausgewiesenen Luftstraßen zum Raumhafen. Plötzlich versperrte ihnen ein in Alarmfarben leuchtendes Schrankenfeld den Weg. Auf dem Armaturenbrett blinkte ein Licht. Basil zog einen Hörer aus einer Halterung, lauschte der Durchsage einer monotonen Roboterstimme.

»Wir müssen eine andere Route nehmen«, erklärte er. »Hier ist wegen der Erweiterungsarbeiten am Terminal 17 bis morgen früh gesperrt.«

Rhodan nickte. Terminal 17 war eine der Abflughallen für private Raumpassagiere und Aussiedler. Es war riesig, aber derzeit zu klein.

Es lag am Mond. Er war nicht mehr das melancholische Licht am Nachthimmel, das Dichter aller Zeiten inspiriert hatte, sondern ein bösartig glimmendes Auge, das die Menschen bis in ihre Träume verfolgte, ein Himmelskörper, dessen fahlgrünes Licht alles kränklich und trostlos wirken ließ.

Mit dramatischen Folgen: Fast eine Milliarde Menschen hatten die Erde inzwischen verlassen, waren auf die anderen Planeten gezogen oder gleich in ein anderes Sonnensystem. Seit Luna zurück war, hatte eine nicht zu unterschätzende Wanderungsbewegung begonnen.

»Machen die vielleicht eine Ausnahme, wenn du ihnen sagst, wer wir sind?«, fragte Rhodan.

»Glaube ich eher nicht. Um die Zeit sind nur noch Roboter an der Arbeit. Ehe ich da einen Verantwortlichen aufgetrieben habe, habe ich dich schneller über den Südeingang hingebracht.«

Rhodan ließ sich den groben Aufbau des Raumhafens durch den Kopf gehen. »Ich weiß etwas Besseres«, sagte er. »Setz mich einfach vor Terminal 2 ab. Ab dort nehme ich die Untergrundbahn.«

Basil Nunn riss die Augen auf. »Aber da musst du quer durch die ganze Halle marschieren! Voller Leute!«

»Ich glaube kaum, dass ich davor Angst haben muss«, meinte Rhodan milde.

»Aber ich könnte dich ...«

»Du setzt mich vor T2 ab und gehst dann auf das Jahresfest der Venusier«, sagte Rhodan. »Nimm es als Befehl.«

*

So ging Perry Rhodan wenig später quer durch die gigantische Abfertigungshalle von Terminal 2, die selbst um diese Zeit voller Leute war. Auswanderer die meisten, wie man vermuten durfte, wenn man sie so niedergedrückt wirkend in den Schlangen stehen sah, umschwebt von ihrem Leibgepäck. Violette, eiförmige Antigravkoffer waren derzeit groß in Mode. Die Farbe konnte Perry Rhodan noch tolerieren, aber was um alles in der Welt war an eiförmigen Koffern praktisch?

Kaum jemand nahm von ihm Kenntnis. Ein kleiner Junge stieß seine Schwester an, deutete aufgeregt in Rhodans Richtung. Rhodan lächelte ihm zu. Die Familie kam bestimmt nicht aus Terrania. Die Einwohner Terranias waren galaktische Prominenz genauso gewohnt wie exotische Außerirdische; höchstens ein Stepp tanzender Haluter konnte sie dazu bringen, den Kopf zu drehen.

2.

15. Juni 1514 NGZ, 21.00 Uhr

Eastside-Sektor Ghatamyz

»Das sieht unfriedlich aus.«

Die das sagte, war Oberst Anna Patoman, die Kommandantin der GALBRAITH DEIGHTON V, derzeit stationiert im Eastside-Sektor Ghatamyz und zu diesem Zeitpunkt 59.475 Lichtjahre von der Erde entfernt. Sie sagte es, während sie hinter dem Kontursitz von Ortungsoffizier Goron Deker stand und die Ortungsanzeigen auf dessen Schirm betrachtete. Sie pustete dabei über ihren Tee, den der Servo wie üblich zu heiß zubereitet hatte. Pfefferminzgeruch umgab sie, zum Missfallen ihrer Crew. Die meisten waren im Solsystem geboren und assoziierten Pfefferminze mit kindlichen Bagatellerkrankungen und Unwohlsein. Anna Patoman dagegen stammte von Alburi, wo terranische Minze nur an wenigen Plätzen wuchs und deswegen als Luxus galt.

Auf dem Schirm waren vier Punkte aufgetaucht. Rote Punkte, was so viel hieß wie: verdächtig. Den Kennungen nach tefrodische Aufklärer; der Vektor, mit dem sie aus dem Linearraum gekommen waren, deutete in die Northside. Und sie flogen, als gehöre ihnen die Galaxis.

Goron Dekers Finger glitten über die Kontrollen. »Was wollen die hier?« murmelte er.

»Das werden dir deine Instrumente nicht sagen können«, meinte Patoman und nahm einen vorsichtigen ersten Schluck.

»Sieht aus, als checkten sie die Korona. Und die Gashüllen der Riesenplaneten.«

»Lauter Plätze, an denen sich Verteidiger verstecken könnten.«

»Und wir? Sie tun, als wären wir gar nicht da!«

»Wir sind auch keine Verteidiger«, sagte die Kommandantin. »Das wissen die genau.«

Das sah alles nicht gut aus. Anna Patoman nippte an ihrem Tee, schnupperte Minzeduft und witterte nahendes Unheil.

Es ging um ITHAFOR-5, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Den Tefrodern ging es darum und dem Galaktikum – in dessen Auftrag sie vor Ort waren, mit fünfzig Schiffen unter ihrem Kommando, dazu einhundert Fragmentraumern der Posbis unter deren eigenem Kommando sowie einem unbemannten arkonidischen Robotraumer – natürlich sowieso.

Der Polyport-Hof ITHAFOR-5 war bis vor vierzehn Jahren beim Nabeg-Sonnenfünfeck stationiert gewesen, dem Sonnentransmitter am südöstlichen Rand der Milchstraße. Doch Mitte 1500 NGZ waren plötzlich merkwürdige Ausfallerscheinungen aufgetreten: Transporte hatten auf einmal länger gedauert, als sie hätten dauern dürfen. Zunächst hatte es sich nur um Sekunden gehandelt, sodass der Effekt nicht bemerkt worden war, doch dann waren Fälle aufgetreten, in denen sich Transporte durch die hyperdimensionalen Transferkamine um Minuten oder gar Stunden verspätet hatten. In einem Fall waren es sogar zwei Tage gewesen!

Auftritt der Wissenschaftler. Wie üblich in solchen Fällen.

Anna Patoman furchte die Stirn. Sie war nicht dabei gewesen, aber sie wusste, wie so etwas ablief, und hatte ihre eigene, nicht öffentlichkeitstaugliche Meinung über diese besondere Spezies. Jedenfalls, die Herren und Damen Wissenschaftler hatten ihre Instrumente aufgestellt, gemessen und räsoniert und sich die Köpfe gekratzt und waren schließlich zu der Ansicht gekommen, dass es sich vermutlich um hyperphysikalische Wechselwirkungen zwischen dem Polyport-Hof und dem alten lemurischen Sonnentransmitter handelte.

Warum die erst nach so langer Zeit auftraten? Wussten sie nicht.

Was man dagegen tun konnte? Auch nicht.

Wie gesagt: Anna Patoman hatte ihre eigene, nicht öffentlichkeitstaugliche Meinung über Wissenschaftler. Dass sie mal mit einem verheiratet gewesen war, kam erschwerend hinzu.

Jedenfalls hatte man entschieden, den Polyport-Hof vorsichtshalber woandershin zu bringen, und nach langem Grübeln in den zuständigen Gremien war ITHAFOR-5 am 30. Januar 1501 NGZ von der Nabeg-Konstellation weg in das 50.800 Lichtjahre entfernte Ghatamyz-System versetzt worden.

Mit der Folge, dass die hyperphysikalischen Störungen verschwunden und dafür politische Störungen aufgetaucht waren. Denn das Ghatamyz-System lag im Einflussbereich der Blues – der Jülziish, wie man sie nannte, wenn man korrekt sein wollte –, genauer gesagt, der Archimboiden und vor allem der Weddonen, und zugleich in geradezu verlockender Nähe zum Einflussbereich der Northside-Tefroder, jenes Zweigs der Humanoiden, die aus Andromeda in die Milchstraße rückgesiedelt hatten.

Anna Patoman nahm einen weiteren Schluck Pfefferminztee und überlegte, ob ihre Meinung über Politiker und deren weise Entscheidungen eigentlich öffentlichkeitstauglich war.

Eher nicht.

Jedenfalls hatte die Verlagerung des Polyport-Hofs rapide wachsende Spannungen zwischen Blues und Tefrodern nach sich gezogen. Vor etwa vier Jahren war es erstmals zu offenen Kampfhandlungen gekommen, und seither verwehrten die Blues den Tefrodern den Zugang zu ITHAFOR-5. Was Letzteren natürlich überhaupt nicht gefiel.

Und nun tefrodische Aufklärer, die das Terrain sicherten.

Das war kein gutes Zeichen.

»Erster«, sagte Anna Patoman.

»Kommandantin?«, sagte Oberstleutnant Iratio Awrusch.

3.

15. Juni 1514 NGZ, 22.00 Uhr

etwa 30.000 Kilometer über Luna

Die ELAS KOROM-KHAN war ein Ultraschlachtschiff der Jupiter-Klasse: ein 2500 Meter durchmessender Omni-Träger, zugleich Flaggschiff des eintausend Kampfeinheiten zählenden Luna-Sicherungsverbandes. Man konnte mit Fug und Recht sagen, dass kein Quadratzentimeter der Mondoberfläche auch nur eine Sekunde lang unbeobachtet blieb.

Das Problem war nur, dass sie das in zwei Jahren keinen Schritt weitergebracht hatte.

»Rhodan«, begrüßte Oberst Evrem Valsolda ihn. Zwei Jahre Frustration lagen in der Art und Weise, wie er den Namen aussprach.

»Gleichfalls einen guten Abend«, sagte Rhodan. »Und danke für die Fürsorge. Wenngleich ich den direkten Blick aus der Kanzel einer Space-Jet vorgezogen hätte.«

»Den direkten Blick hast du aus unserem Bordobservatorium viel besser. Und Terkonitstahl um dich herum statt nur Panzertroplon.«

»Mit anderen Worten, es gibt keine neuen Erkenntnisse?«

»Gibt es überhaupt Erkenntnisse?«, fragte der Kommandant zurück, der den veränderten Mond seit dessen Auftauchen am 22. Mai 1512 NGZ nicht nur gegen den Rest des Sonnensystems absicherte, sondern auch unter permanenter Beobachtung hielt. Ganze Bataillone von Wissenschaftlern aller Fakultäten hatten sich auf den von ihm befehligten Schiffen ein Stelldichein gegeben – bisher ohne nennenswerte Resultate. »Doch«, fügte er hinzu. »Ein paar Kleinigkeiten haben wir.«

»Manchmal kommt es auf Kleinigkeiten an«, sagte Rhodan.

»Hoffen wir, dass so eine dabei ist«, sagte Valsolda. »Komm!«

Sie gingen gemeinsam hinüber in das Bordobservatorium, das zugleich so etwas wie das Hauptquartier der Mondbeobachter war. Valsolda bat die anwesenden Wissenschaftler und Soldaten um eine kurze Unterbrechung. Er ließ das Licht im Observatorium ausschalten und alle bildgebenden Elemente aktivieren. Von einem Augenblick zum anderen sah es aus, als schwebten sie mitten im All, nur wenige Hundert Kilometer von der Mondoberfläche entfernt.

Rhodan musste zugeben, dass dieser durch die Instrumente des Luna-Verbandes verstärkte Blick tatsächlich beeindruckender war, als ein simpler Blick aus der Kanzel einer Space-Jet es gewesen wäre.

Technokruste wurde gemeinhin genannt, was aus der einst so vertrauten Oberfläche des Mondes geworden war. Die Experten benutzten lieber den Begriff Technogeflecht, was, aus der Nähe betrachtet, die Sache auch besser traf: Es war, als habe jemand Luna in ein dickes, vielfach in sich verdrehtes und verwickeltes Netz aus Maschinen, Panzerungselementen und anderen technischen Strukturen gewickelt, ein Netz, das anschließend erstarrt und ausgehärtet war. Von der ursprünglichen Mondoberfläche, den Kratern und Maaren, war nichts mehr zu sehen – und von den Städten, die einst auf der Oberfläche gestanden hatten, auch nicht. Was war aus ihnen geworden? Wo war Luna City geblieben, die riesige Mondstadt im Kopernikus-Krater?

Wo war der Kopernikus-Krater selbst?

Der Mond sah so verändert aus, dass man zunächst daran gezweifelt hatte, es überhaupt mit dem ehemals so vertrauten Trabanten zu tun zu haben. Erst genauere Messungen und Beobachtungen hatten bestätigt, dass es sich tatsächlich um Luna handelte. Der Durchmesser des Himmelskörpers betrug nach wie vor 3476 Kilometer, auch Masse und Anziehungskraft stimmten mit den bekannten Werten weitgehend überein.

Als man mit eingehenderen Beobachtungen begonnen hatte, hatte man hinreichend viele Strukturen der Mondoberfläche unter dem Technogeflecht identifizieren können, um letzte Sicherheit zu gewinnen: Sie hatten es mit Luna zu tun – nur hatte irgendetwas oder irgendjemand den ehemaligen Erdbegleiter völlig entstellt.

Rhodans Blick folgte metallisch schimmernden, technoiden Strängen, graugrünen, verdrillten, in sich verwundenen Strukturen, die an verunglückte Stahltrossen denken ließen. Das sah aus, als habe jemand den Abfallhaufen einer Fabrik für überdimensionale Eisennetze über den Mond ausgeleert, um anschließend ausgiebig mit der Flamme eines gigantischen Schweißbrenners darüberzugehen und alles miteinander zu verbacken und zu verschmelzen.

Wobei die »Kruste« alles andere als gleichmäßig war: Weder war sie gleichmäßig dick, noch war sie gleichmäßig geformt. Vielerorts maß sie Hunderte von Metern, an anderen Stellen wiederum schien nur eine dünne, technische Haut über Kraterhänge und Rillenstrukturen gespannt zu sein.

Größtenteils wirkte das Technogeflecht, als habe man es vor ewigen Zeiten aufgetragen oder installiert und als habe sich seither nichts mehr daran verändert – aber es gab auch Zonen, die vor Aktivität geradezu brodelten, Zonen, in denen sich das Geflecht fortwährend umzuformen oder zu erweitern schien. Zwar war nicht auszumachen, wie diese Umformungen vor sich gingen, was sie auslöste und wozu sie dienten, doch was das anbelangte, war man auf Spekulationen angewiesen.

Das Technogeflecht war wie ein Rorschachtest; die Phantasie hatte freie Bahn, darin zu entdecken, was immer sie wollte: Waren das Fabrikationsanlagen? Waffensysteme? Landeplätze? Abschussrampen? Treibhäuser? Alles war denkbar, nichts davon ließ sich beweisen.

Natürlich hatte man versucht, auf dem Mond zu landen und das Geflecht aus der Nähe zu untersuchen – doch das war nicht möglich. Ein Kraftfeld unbekannter Natur umgab den Mond, und das ausgesprochen weiträumig: Über zwölftausend Kilometer weit in alle Richtungen erstreckte sich eine Zone, die eine Annäherung unmöglich machte: Ausgeschickte Sonden blieben darin schlicht und einfach stecken. Egal, wie viel Energie man aufwandte, irgendwann kam man nicht mehr weiter. Ein Pilot hatte einmal gesagt, es sei, als flöge man durch sich verhärtendes Gelee.

Immerhin blieb man nicht für immer darin stecken: War alle Energie aufgebraucht, wurde der betreffende Raumflugkörper wieder abgestoßen, zurück in den Leerraum. Dieses Verhaltens wegen hatten die Wissenschaftler das unbekannte Kraftfeld Repulsor-Wall getauft.

Diesen Wall zu durchdringen war bislang niemandem gelungen, keiner Sonde und keinem Raumschiff, nicht einmal der JULES VERNE mit ihren einzigartigen Möglichkeiten.

»Rätselhaft«, knurrte Oberst Valsolda leise. »Egal, wie oft ich mir das anschaue, ich kann immer nur dasselbe denken: Wie rätselhaft das alles ist.«

Rhodan nickte. »Trotzdem werden wir eines Tages eine Erklärung finden.«

»Schwer vorstellbar.«

»Ja. Aber es ist nicht das erste Rätsel, mit dem wir es zu tun haben. Und es wird nicht das letzte bleiben.«

Natürlich hatten sofort die Spekulationen begonnen. Schon einmal war sogar ein Planet des Sonnensystems plötzlich durch ein Feld von der Umwelt abgeschnitten gewesen: Trokan hatte den Mars ersetzt, war aber in ein Zeitrafferfeld gehüllt gewesen, in dem eine rasend schnelle Evolution stattgefunden hatte, eine Evolution, der man hatte zusehen können. Knapp dreihundert Jahre war das her, und es hatte nahegelegen, hier Parallelen zu ziehen: War der Repulsor-Wall womöglich auch eine Art Zeitrafferfeld?

Da die Zeit beim Rücktransport aus dem Neuroversum sowieso verrückt gespielt hatte – wer mochte wissen, was das alles sonst mit sich gebracht hatte? Vielleicht war der Mond subjektiv Millionen von Jahren unterwegs gewesen? Vielleicht hatte sich die lunare Menschheit in dieser Zeit drastisch weiterentwickelt, vielleicht war das Technogeflecht ihr Produkt? Oder vielleicht, so eine der grausigeren Theorien, war das Technogeflecht das, was aus der lunaren Menschheit geworden war?

Das hätte zumindest erklärt, warum es keinerlei Antworten auf alle Versuche gab, mit dem Mond Funkkontakt aufzunehmen: Vielleicht verstanden die fortentwickelten Luna-Bewohner die alten Kodes nicht mehr?

Oder es war niemand mehr am Leben, der auf die Funksprüche antworten konnte.

Oder die Funksprüche durchdrangen den Repulsor-Wall schlicht und ergreifend nicht. Die Hypertaster jedenfalls versagten vollkommen bei dem Versuch, Informationen über den Mond zu sammeln, ihn auf Hohlräume zu durchleuchten oder Vitalimpulse anzumessen. Nicht nur dass man keinerlei Daten gewann, es war, als verschwänden die Tastimpulse im Nichts. Für diese Instrumentenklasse sah es aus, als existiere der Mond gar nicht.

»Du hattest ein paar Kleinigkeiten angekündigt«, erinnerte Rhodan den Kommandanten der ELAS KOROM-KHAN. »Erkenntnismäßig.«

»Ja«, sagte Oberst Valsolda und schaltete einen Teil der Beleuchtung wieder ein. »Doktor Awrat?«

Der angesprochene Wissenschaftler, ein knochiger Mann mit straff nach hinten gekämmten silbergrauen Haaren, trat zu ihnen, ein dünnes Terminal in Händen.

»Wir haben seit einiger Zeit«, wisperte er, als habe er Angst, dass sie belauscht wurden, »eigenartige, bruchstückhafte Impulse angemessen. Wir können nun sicher sagen, dass sie vom Mond kommen, und wir vermuten, dass es sich um Tasteremissionen handelt.«

Er rief Diagramme auf, um seine Worte zu unterstreichen. Rhodan erkannte ein paar Strukturen, das meiste aber sagte ihm nichts.

»Beachte die Impulsdichte«, fuhr Awrat fort. Mit einer Handbewegung vergrößerte er einen Bereich, der auf den ersten Blick wie ein heller Block wirkte, sich in starker Vergrößerung aber als ein Muster von Tastimpulsen erwies. »Mit anderen Worten, aus dem Technogeflecht wird gescannt und getastet, was das Zeug hält.«

»Erlaubt das irgendwelche Rückschlüsse auf die Technologie der Unbekannten?«, fragte Rhodan.

»Bis jetzt nicht.« Der Wissenschaftler wackelte mit dem Terminal, eine ungeduldig wirkende Geste. »Aber es heißt, dass wir davon ausgehen müssen, dass man dort unten längst jeden unserer Kodes geknackt hat und alle flotteninternen Gespräche mithört. Dass das gesamte Solsystem – vielleicht sogar die ganze Milchstraße – informationstechnisch ein offenes Buch für das Technogeflecht ist.«

»Und wer immer darunter lebt«, sagte Rhodan. Er nickte. »Das müssen wir berücksichtigen. Kannst du mir die Unterlagen mitgeben? Ich treffe morgen die Chefwissenschaftlerin.«

»Selbstverständlich. Ich habe bereits alle Daten zusammengestellt.« Awrat zog einen Datenkristall seitlich aus dem Terminal und reichte ihn Rhodan. »Brisante Informationen per Kurier zu befördern dürfte eine geeignete Sicherheitsvorkehrung in dieser Situation sein.«

»Genau.« Rhodan schob den Kristall in seine Brusttasche. »Wenn man davon ausgehen muss, dass man belauscht wird, sozusagen klassisch.«

»Ich gehe lieber davon aus, dass die Unbekannten längst alles

4.

16. Juni 1514 NGZ, 9.00 Uhr

Eastside-Sektor Ghatamyz

»Kommandantin!«

Anna Patoman betrat gerade die Zentrale, unausgeschlafen nach einer viel zu kurzen Nacht. Doch der Klang in der Stimme ihres Ortungsoffiziers vertrieb jede Müdigkeit auf einen Schlag.

Es war keine ordnungsgemäße Meldung gewesen. Das war nicht mehr nötig; sie sah auf einen Blick, was los war: Hundert tefrodische Kampfraumer, bis an die Zähne bewaffnet, waren aus dem Linearraum gekommen, bereits in Angriffsposition verteilt.

Und zweihundert Blues-Schiffe. Kleine Einheiten der Weddonen, den tefrodischen Schiffen trotz des zahlenmäßig besseren Verhältnisses rettungslos unterlegen. Sie begleiteten drei Diskusraumer von Superschlachtschiffsgröße, die aber laut Ortung so gut wie unbewaffnet waren. Personentransporter offenbar; die Biosensoren maßen zwischen zehn- und fünfzehntausend Lebewesen pro Schiff an.

»Tefrodische Schiffe gehen auf Angriffskurs!«, rief der Ortungsoffizier.

»Hoffentlich nur eine Drohung«, murmelte der Erste Offizier, Oberstleutnant Awrusch.

Anna Patoman starrte finster auf den Schirm, außerstande, diese Hoffnung zu teilen.

»Weddonische Schiffe schwärmen aus. Bilden Verteidigungsring.«

Das Dumme war, dass sich sowohl Tefroder wie Jülziish Einmischungen verbeten hatten. Die Beobachterflotte hatte deswegen strikten Befehl, sich aufs Beobachten zu beschränken.

»Waffeneinsatz. Thermostrahler, Desintegratoren.«

»Wer hat zuerst geschossen?«, fragte der Erste Offizier. Das war in derlei Situationen nicht leicht zu sagen; positronische Waffenleitsysteme reagierten auf Attacken mit nur wenigen Millisekunden Verzögerung.

»Die Tefroder«, erklärte Goron Deker schließlich. Anna Patoman hörte ihn scharf einatmen. »Da! Drei tefrodische Einheiten haben den Verteidigerring durchbrochen und greifen einen der Transporter an!«

Ein seltsames Geräusch in der Zentrale. Als könne man Gänsehaut hören.

»Die Transporter reagieren nicht. Offenbar tragen sie tatsächlich keine Waffen.«

Anna Patoman hatte ihre eigene, nicht für den diplomatischen Dienst taugliche Meinung über Raumfahrer, die unbewaffnete Zivilisten angriffen. »Funkverbindung zu tefrodischem Kampfverband herstellen!«, befahl sie voller Ingrimm.

»Steht.«

Sie trat hinter die Kommandokonsole, richtete den Blick auf den großen, bis jetzt leeren Kommunikationsschirm. »Hier spricht Oberst Anna Patoman, Kommandantin der GALBRAITH DEIGHTON V und der LFT-Beobachterflotte. Ich rufe den Kommandanten des tefrodischen Verbandes.«

Tefroder waren Lemurerabkömmlinge. Menschen quasi. Sie würden keine Mühe damit haben, Anna Patomans finstere Miene richtig zu deuten.

Im Kom-Schirm erschien das Gesicht eines Tefroders, eine samtbraune Visage, die so blasiert dreinblickte, dass selbst ein Arkonide noch etwas hätte lernen können.

»Maalun«, geruhte er, sich knapp und herablassend vorzustellen. »Was willst du?«

»Protestieren!«, fauchte Patoman. »Ihr greift drei unbewaffnete Schiffe voller Zivilisten an.«

»Im Umfeld einer Schlacht gibt es keine Zivilisten, nur Beteiligte«, belehrte sie Maalun hochnäsig. »Abgesehen davon sind die Blues, die du für Zivilisten hältst, alles andere als das. Es sind Siedler, die zum Planeten Zoit gebracht werden sollen. Der, wie dir bekannt sein sollte, zum Neuen Tamanium gehört.«

»Der von euch beansprucht wird«, hielt ihm Anna Patoman scharf entgegen. »Ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied. Der Planet, den du Zoit nennst, ist in unseren Karten unter dem Namen Gheyndrii verzeichnet und gehört seit Jahrtausenden zum Siedlungsgebiet der Weddonen.«

Maalun hob eine Braue. Allein für diese Geste hätte sie ihm die Augen auskratzen können.

»Es ist irrelevant, unter welchem Blues-Namen das Galaktikum diesen Planeten führt. Die Ansprüche der Tefroder auf Zoit sind wesentlich älter als die eurer tellerköpfigen Schützlinge, das dürfte unbestreitbar sein. Im Übrigen hat der Hohe Tamaron Vetris alle Beteiligten wissen lassen, dass er die Provokationspolitik von Dafhes Feszyn und ihrem Regime nicht länger hinzunehmen bereit ist. Und wie dir klar sein sollte, kann ein Regierungschef so etwas nicht ankündigen, ohne der Ankündigung auch Taten folgen zu lassen. Das ist es, was du siehst und ... als unbegründeten Angriff auf unschuldige Zivilisten fehlinterpretierst.« Es klang, als habe er sich eine noch direktere Beleidigung verkniffen. So etwas wie in deiner Beschränktheit.

»Eure sogenannten Ansprüche auf Gheyndrii werden meines Wissens von praktisch allen bestritten, außer von euch. Auf diesem Planeten hat es vor fünfundfünfzigtausend Jahren eine kleine lemurische Forschungsstation gegeben – das ist alles!«

»Mag sein«, sagte Maalun sichtlich desinteressiert, »aber das tefrodische Tamanium ist nun einmal der Rechtsnachfolger des Lemurischen Reiches und damit rechtmäßiger Eigentümer der Altwelten.«

Anna Patoman verschlug es die Sprache angesichts der Borniertheit ihres Gegenübers. Wenn es so etwas wie einen Rechtsnachfolger des Großen Tamaniums gab, war das ja wohl Terra selbst. Schließlich war Terra mit der Stammwelt Lemur identisch!

»Ich sehe ein«, sagte sie, sich mühsam zügelnd, »dass es völlig sinnlos ist, mit dir derartige Dinge zu diskutieren. Ich beschränke mich hiermit auf meine ursprüngliche Forderung, die Angriffe auf die unbewaffneten Ziviltransporter sofort einzustellen.«

Maalun spitzte abfällig die Lippen. »Du hast nichts zu fordern. Meine Befehle sind eindeutig. Ich werde nicht zulassen, dass diese Unmengen von Blues Zoit erreichen, denn einmal dort angekommen, würden sie nur den Kampf gegen uns Tefroder aufnehmen.«

»Das Galaktikum hat Gheyndrii – oder von mir aus auch Zoit – zur neutralen Welt erklärt. Das heißt, die Bewohner stehen unter dem Schutz des Galaktikums, egal ob Tefroder oder Jülziish.«

Maalun gab jemandem außerhalb des Sichtbereichs einen Wink und sagte dann mit unerwarteter Heftigkeit: »Das kannst du – oder meinetwegen das Galaktikum – gern den Hinterbliebenen der zahllosen tefrodischen Terroropfer auf Zoit erklären. Im Übrigen gestatte mir, mich zu wundern, dass es sich ausgerechnet eine Terranerin herausnimmt, Vertreter des Neuen Tamaniums maßregeln zu wollen. Gerade ihr Terraner seid es, die durch eure Weigerung, uns Tefrodern freien Zugang zum Polyport-Netz zu gewähren, den Konflikt erst geschürt habt! Da sind humanitäre Appelle wohlfeil, aber verlogen, meine Beste.

Hältst du uns für zu dumm, um zu merken, was hier gespielt wird? Wie ihr Terraner versucht, mithilfe des Polyport-Netzes – das ihr nicht selbst gebaut, sondern das euch nur ein glücklicher Zufall in die Hände gegeben hat – die Galaxis logistisch und technologisch zu dominieren und in altgewohnter Weise wieder eurer Hegemonie zu unterwerfen? Das Solare Imperium neu zu errichten – nur verkappt diesmal, gut getarnt durch fromme Sprüche?«

»Kampfhandlungen«, erklang die Stimme des Ortungsoffiziers in ihrem Ohr, unhörbar für den Tefroder.

Anna Patoman blickte hoch auf den Zentralschirm. Ein Gewitter an bunten Linien tobte vor dem Sternenhintergrund.

»Was geht da vor, Maalun?«, zischte sie.

Maalun lächelte nur abfällig. »Die Rolle des Friedensengels steht dir nicht, Oberst Anna Patoman. Nicht einer Terranerin.« Damit schaltete er ab.

»Die Tefroder greifen die Ziviltransporter jetzt mit allen Schiffen an«, meldete Goron Deker. »Schwere Treffer. Hilferufe. Reaktorbruch in Schiff eins, Hüllendefekte in Schiff zwei. Rettungskapseln werden ausgestoßen ... Oh nein! Es sind viel zu wenige ... Sie geraten in die Strahlbahnen, werden von den Explosionswolken zerfetzt!«

»Anruf von der EP-2124!«, rief der Funker dazwischen.

»Durchstellen.« Die EP-2124 war der arkonidische Robotraumer, ein fünfhundert Meter durchmessendes Schiff der EPPRIK-Klasse, schnell, schwer bewaffnet und beschirmt – und völlig unbemannt.

»Hier EP-2124, im Namen des Kristallimperiums«, meldete sich die leidenschaftslose Stimme des Robotkommandanten in makellosem Interkosmo. »Ich weise vorsorglich darauf hin, dass sowohl ich selbst als auch deine Schiffe ausschließlich Beobachterstatus haben. Ein Eingreifen in die Kampfhandlungen wäre eine Übertretung unseres Mandats, die ich nicht dulden darf.«

»Und wie bewertest du die Lage?«, fragte Anna Patoman zurück. »Haben wir es etwa nicht mit einer Notsituation zu tun?«

»Doch, aber damit war im Falle eines Scheiterns der Vermittlung von vornherein zu rechnen. Es ist daher keine unerwartete Situation.«

Positroniken! Anna Patoman hatte ihre eigene, nicht öffentlichkeitstaugliche Meinung über Roboter, die Kampfraumschiffe befehligten.

»Verstanden«, sagte sie zähneknirschend. »Wir werden nicht in die Kampfhandlungen eingreifen. Patoman, Ende.« Sie drehte sich um. »Erster?«

»Kommandantin?«, fragte Oberstleutnant Iratio Awrusch.

»Wir schleusen alles aus, was wir an Leichten Kreuzern, Korvetten, Space-Jets und so weiter haben, und versuchen, so viele Überlebende zu retten wie nur möglich.« Sie schnaubte. »Und das Ganze schnell, bitte!«

5.

16. Juni 1514 NGZ, 9.35 Uhr

Terrania

In den frühen Morgenstunden hatte es leicht geregnet, was dem Morgen eine angenehme Frische gab. Die Büsche entlang der Straße glitzerten noch feucht, als Basil Nunns Gleiter auftauchte und vor Perry Rhodan zum Stehen kam.

Mit leichter Verspätung, wie Rhodan nicht umhin kam zu bemerken. Er kam auch nicht umhin zu bemerken, dass sein junger Chauffeur beachtliche Anstrengungen unternommen haben musste, die Verspätung nicht wesentlich größer ausfallen zu lassen.

»Guten Morgen«, sagte Rhodan aufmunternd und stieg ein.

»Mo'ng«, lautete die genuschelte Antwort.

Rhodan schloss die Gleitertür. Das Fahrzeug glitt ein Stück die Straße entlang und stieg dann auf, um sich in eine Verkehrslinie in etwa vierzig Metern Höhe einzufädeln.

»Und?«, fragte Rhodan. »Wie war das Fest gestern Abend noch?«

»Oh. Ja. Gut.« Ein Seitenblick aus geröteten, leicht verquollenen Augen. »Es ist bloß ziemlich spät geworden.«

»Verstehe«, sagte Rhodan.

»Oder ziemlich früh, besser gesagt.«

»Hab ich durchaus in diesem Sinne verstanden.«

»Es war ... Ich ... ich wollte eigentlich gar nicht so lange bleiben. Aber dann habe ich jemanden kennengelernt ...«

»Schön.«

»Nein, nein, nicht, was du denkst. Wir haben nur geredet.«

»Ich denke gar nichts«, wehrte Rhodan schmunzelnd ab.

»Nein, ehrlich. Sie ist Cheborparnerin; ich werde sie noch mindestens fünfmal treffen müssen, ehe ich ihren Namen aussprechen kann! Dabei weiß ich nicht mal, ob sie und ich überhaupt ... Du weißt schon.«

»Alles klar. Ihr habt einfach geredet, und ehe ihr es euch versehen habt, ist die Sonne aufgegangen.«

»Ja. Genau so war es«, sagte Basil Nunn und seufzte schwer.

Sie glitten eine Weile schweigend dahin. Der Antrieb des Gleiters summte leise. Über der Stadt stieg Dunst auf, und der Goshun-See glänzte in der Sonne wie flüssiges Silber.

»Wie kriegt man so etwas überhaupt raus?«, fragte Basil schließlich. »Ob sie und ich ... Ich meine, mal gesetzt den Fall ... Du weißt schon.«

Rhodan hob verwundert die Brauen. »Lernt man das heutzutage nicht mehr in der Schule? Es gibt Kompatibilitätstabellen. Für die Verträglichkeit von Lebensmitteln, von Medikamenten und so weiter. Und auch dafür.«

»Ah.«

»Wobei man in dem Fall natürlich auch versuchen kann, es selbst herauszufinden.«

»Ah ja. Klar.« Basil hüstelte. »Ist ehrlich gesagt sowieso verfrüht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.«

Rhodan hob die Schultern. »Und ehrlich gesagt bin ich sowieso der Letzte, den du in Beziehungsdingen um Rat fragen solltest.«

»Ah ja?« Basil warf ihm einen weiteren Seitenblick zu, prüfender diesmal, und blinzelte dabei, als litte er unter trockenen Augen. Dann schien ihm wieder einzufallen, was man in der Schule so lernte. Über die Kompatibilität interstellarer Spezies. Und über das Leben eines gewissen Perry Rhodan. »Verstehe.«

Basils Fahrkünsten tat die kurze Nacht keinen Abbruch: Pünktlich um fünf vor zehn setzte er Rhodan vor dem Solaren Haus ab, dem Sitz der Regierung von Terra und den bewohnten Welten des Solsystems.

*

Das Gebäude war ein Hingucker: Man konnte es nicht anders sagen. Unwillkürlich blieb auch Rhodan wieder stehen, um den Anblick auf sich wirken zu lassen. Die Architekten, die es gebaut hatten, hatten dafür im Jahr der Eröffnung so ziemlich alle Preise abgeräumt, die es auf dem Gebiet zu gewinnen gab: zu Recht.

Das Solare Haus war ein Kubus von hundertsechzig Metern Kantenlänge, ringsum verkleidet mit von innen durchsichtigen Holoelementen. Betrachtete man das Gebäude von außen, meinte man, einen gläsernen Würfel zu sehen, in dem ein kleines Abbild der Sonne den Lauf des Zentralgestirns am Himmel von Terrania nachvollzog. Um diese Zeit strebte die hell strahlende, virtuelle Kugel dem Zenit zu.

Nachts allerdings bot das Solare Haus den nach Rhodans Meinung spektakuläreren Anblick: Dann drehte sich in dem gläsernen Würfel ein hundert Meter großes, detailgetreues holografisches Abbild der Milchstraße.

»Bereite dich vor, Bruder!«

Rhodan drehte sich zu der Stimme um. Ein ausgezehrt wirkender Mann stand da, wollte ihm ein Flugblatt aufdrängen.

»Hab keine Angst vor der Technokruste, Bruder! Das ist nur die Schale des Eis, in dem der Messias heranwächst, des Messias, der uns alle erlösen wird. Wenn sie bricht – und sie wird bald brechen, sehr bald! –, dann wird er erscheinen ... der Techno-Mahdi!«

Weiter kam er nicht, denn da war schon Basil Nunn heran, Empörung aus allen Knopflöchern dampfend, und trieb den Wirrkopf in die Flucht.

»Hau bloß ab!«, schrie er ihm nach. »Blöder Techno-Mahdi-Freak! Geh doch heim zu all den anderen Spinnern! Zu den Anbetern des Grünen Auges! Den Fünftausend-Jahr-Apokalyptikern! Den Exodisten! Den Parusie-Kalender-Grützköpfen! Den Determinismus-Idioten! Den ...!«

»Basil«, mahnte Rhodan.

Der Junge fuhr herum. »Entschuldige«, stieß er hervor. »Man darf hier ja nicht parken, also musste ich erst ...«

»Schon gut. Ich bin sicher, er war nicht gefährlich. Danke trotzdem.«

Basil schnaubte immer noch. »Wir sind in der Bannmeile. Das geht einfach nicht.«

»Ich muss los«, sagte Rhodan. »Ich will die anderen nicht warten lassen.«

Hinweise zur Pünktlichkeit brachten Basil Nunn stets zuverlässig zur Vernunft. Er nickte, drückte die Taste an seinem Interkom, die seinen auf Autopilot kreisenden Gleiter veranlasste, zurückzukommen. »Du gibst Bescheid, wann ich dich abholen soll?«

»Wenn du versprichst, erst mal auszuschlafen.«

Basil brummte so etwas wie eine Bestätigung und dass er ja abends wieder fit sein wolle, dann stieg er ein und flog davon.

Rhodan setzte sich lächelnd in Bewegung. Es war immer noch, sobald er den Eingang passiert hatte, faszinierend zu sehen, dass der von außen so leer wirkende Glaswürfel in Wirklichkeit alles andere als das war. Die Uhr zeigte 9.58, als er den Antigravlift hinauf zur Besprechungsebene nahm.

*

Sichu Dorksteiger war schon da, ordnete mit einem Assistenten, den Rhodan zum ersten Mal sah, Unterlagen, ließ Datenträger auf dem Tisch verteilen. Die große, geradezu ätherisch grazile Frau bewegte sich rasch und präzise. Das Grün ihres Gesichts wirkte wie ein Widerschein der dichten Bepflanzung des Dachgartens, und wie immer kam es einem vor, als bewegten sich die zahllosen goldenen Einsprengsel auf ihrer Haut. Was sie in Wirklichkeit definitiv nicht taten.

»Hallo.« Sie sah kaum auf.

»Hallo.« Er nahm auf einem der Stühle Platz.

»Die Solare Premier kommt gleich, außerdem eine Sozio-Analytikerin aus Vancouver, die ...«, die Chefwissenschaftlerin warf einen kurzen Blick auf die Uhr, »... jetzt gerade in den Transmitter steigen sollte.«

Die Tür zum Hygienebereich ging auf, ein untersetzter Mann mit schlohweißen Augenbrauen kam herein: Fionn Kemeny, Professor für Hyperphysik an der Waringer-Akademie. Er nickte Rhodan zu. Sie kannten einander, aber Kemeny war nicht unbedingt der Umgänglichste.

»Wie sieht es mit der Abschirmung aus?«, wandte sich Dorksteiger an zwei weitere Assistenten, einen blonden jungen Mann und eine pummelige Frau, die mit stabdünnen Detektoren Wände und Fenster abtasteten.

»Scheint dicht zu sein«, sagte die Frau.

»Das will ich hoffen«, kam es in diesem Moment von der Zugangstür her, durch die auch Rhodan den Raum betreten hatte. »Die Anlage ist erst vorige Woche inspiziert und neu zertifiziert worden. Wenn ihr da Lücken finden solltet, muss ich jemandem den Kopf abreißen.«

Es war Cai Cheung, die seit den letzten Wahlen das neu geschaffene Amt des Solaren Premiers innehatte: eine schlanke, fast hagere Frau mit dunklen, widerspenstigen Haaren, die jünger wirkte, als sie war, nämlich gerade mal 49 Jahre. Man munkelte, sie habe sich genkosmetisch behandeln lassen.

Was man eben so munkelte. Vermutlich stimmte es sogar, aber Perry Rhodan fühlte sich nun wirklich nicht berechtigt, anderen irgendwelche Tricks, um jünger auszusehen, vorzuhalten.

Cai Cheung war ihm kurz nach der Rückkehr des Solsystems in einer Trivid-Diskussion aufgefallen. Es war um die Frage der Regulierung der Schäden gegangen, die der Fimbul-Winter auf der Erde hinterlassen hatte. Cheung hatte sowohl aus ingenieurwissenschaftlicher als auch aus politikwissenschaftlicher Sicht – ihre beiden Studienschwerpunkte – argumentiert, und das auf eine klare und vernünftige Weise, die Rhodan imponiert hatte. Obwohl er nicht in allem ihrer Auffassung gewesen war, hatte er sie kontaktiert und ermutigt, über eine Laufbahn in der terranischen Politik nachzudenken.

Mit durchschlagendem Erfolg, wie sich gezeigt hatte.

Begleitet wurde sie von einer kleinen, weißhaarigen Frau, die weit über hundert sein musste und etwas erschöpft wirkte. Sie hatte einen Stapel Folien bei sich, den sie mit einem dumpfen Knall auf dem Konferenztisch absetzte; dann sagte sie: »Jennah Bergmann, Universität Vancouver, Abteilung Soziologie und Analytik. Tut mir leid, wenn ich etwas derangiert daherkomme, aber ich habe einen langen Tag hinter mir.«

»Wie spät ist es in Vancouver?«, wollte Sichu Dorksteiger wissen.

»Es war, glaube ich, achtzehn Uhr vierzig, als ich in den Transmitter gestiegen bin. Und ich ...« Sie seufzte, ließ sich auf den Sessel sinken. »Es ist wegen meiner Tochter. Sie und ihre Familie haben jetzt auch beschlossen auszuwandern. Nach Reyan.«

»Das ist ja nicht so weit«, meinte Kemeny.

»Mir sind es 27 Lichtjahre zu weit«, stieß die Wissenschaftlerin hervor. »Außerdem ist meine Enkelin krank ... Nun ja. Es gibt einfach so Tage, und heute ist einer davon.«

»Ziehen wir deinen Bericht über die politische Situation vor, damit du so schnell wie möglich zurückkannst«, schlug die Solare Premier vor. Sie sah Rhodan an und sagte, als habe sie seine Gedanken gelesen. »Sichu und ich haben bewusst jemanden gesucht, der nicht aus Terrania kommt.«

Rhodan nickte anerkennend. »Guter Gedanke.«

Terrania war in vielerlei Hinsicht nicht mit anderen terranischen Städten zu vergleichen, und dieser Sonderstatus wirkte sich bisweilen verzerrend auf die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität aus.

Die weißhaarige Frau nahm ihren Folienstapel auseinander. So fahrig ihre Bewegungen wirken mochten, ihre Unterlagen hatte sie tadellos im Griff: Sie fand jede Folie, die sie zur Illustration ihrer Worte suchte, auf Anhieb.

»In den Medien ist das Technogeflecht nach wie vor eines der drei größten Themen«, berichtete sie. Sie schob die Folie auf die Zoomzone, die ein mehrfach vergrößertes Holo davon über dem Tisch erscheinen ließ. »Das gilt für alle Kontinente und auch für alle bewohnten Planeten des Solsystems mit Ausnahme der Uranusmonde, wo ein Schädling in den hydroponischen Anlagen gerade das Thema Nummer eins ist. Die am häufigsten diskutierte Frage ist natürlich, was mit den Mondbewohnern passiert ist – ob sie noch leben, ob das Technogeflecht sie getötet hat und so weiter.«

»Verständlich«, sagte einer der Assistenten. »Viele Leute haben Verwandte oder Freunde auf Luna.«

»Manche auch Kollegen, die sie vermissen«, warf Kemeny brummig ein.

Jennah Bergmann musterte ihn irritiert, weil sich ihr nicht erschloss, wie er das meinte. Aber sie beließ es dabei, wechselte zu einer anderen Auswertung.

»Auch die Theorie, dass wir es mit einem Zeitrafferfeld ähnlich wie seinerzeit um Trokan zu tun haben könnten, taucht oft auf. Gemeint ist die Idee, dass die Mondbewohner einer vielfach beschleunigten Eigenzeit ausgesetzt gewesen sein könnten, mit der Folge, dass sie sich vom Homo sapiens recens wegentwickelt und das Technogeflecht selbst hervorgebracht haben.«

Auf einmal waren alle Blicke auf Perry Rhodan gerichtet. Vermutlich, weil er der Einzige im Raum war, der die Ereignisse um Trokan vor dreihundert Jahren leibhaftig miterlebt hatte.

Er schüttelte den Kopf. »Naheliegend, aber unwahrscheinlich. Das Phänomen lässt sich mit den Ereignissen um Trokan nicht vergleichen.«

»Das sehen unsere Auswertungen genauso«, warf Sichu Dorksteiger ein.

»Es wäre sinnvoll, solche Erkenntnisse verstärkt zu publizieren«, empfahl die Sozio-Analytikerin mit mildem Tadel. Sie wechselte das Diagramm aus. »Die Zahl der Auswanderer war in den letzten Wochen leicht rückläufig, aber es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob der Trend vorbei ist. Es könnte auch an den gestiegenen Transportpreisen, zeitweiligen Einwanderungsstopps wegen organisatorischer Probleme auf einigen Welten und dergleichen liegen.«

Rhodan betrachtete das Diagramm, das die Auswandererströme darstellte. Man hatte nach dem Auftauchen des so dramatisch veränderten Mondes zeitweise eine komplette Evakuierung der Erde in Betracht gezogen; ein Volksbegehren hatte gar eine allgemeine Abstimmung darüber erzwungen. Dabei hatten die Terraner und wahlberechtigten LFT-Bürger der Erde mit einem deutlichen »Nein« votiert, was aber bislang fast eine Milliarde Menschen nicht daran gehindert hatte, sich in Eigenregie zu evakuieren.

Die Bevölkerung Terras war in den vergangenen zwei Jahren von 5,34 auf 4,40 Milliarden gesunken, mit bevölkerungspolitischen Konsequenzen, welche die Professorin aus Vancouver nun ausführlich erläuterte: Da überdurchschnittlich viele junge Menschen und Familien auswanderten, veränderte sich die demografische Zusammensetzung ganzer Regionen, verwaisten Schulen und Kinderstätten, fehlten vielerorts Fachkräfte.

»In absehbarer Zeit wird man darüber nachdenken müssen, Städte, die nur noch zu Teilen bewohnt sind, aufzugeben und diejenigen, die geblieben sind, umzusiedeln«, warnte sie.

Es wäre besser, in absehbarer Zeit das Problem Luna zu lösen, sagte sich Rhodan. Er wechselte einen Blick mit Sichu Dorksteiger, die, ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, dasselbe dachte.

»Was ist mit denen, die entschlossen sind zu bleiben?«, fragte die Solare Premier, die bis jetzt mit gefurchter Stirn zugehört hatte.

»Die Bevölkerung ist nach wie vor ruhig. Es herrscht Angst um Angehörige und Freunde auf dem Mond, ja, bis hin zu Trauer bei denen, die das Schlimmste befürchten – aber keine Anzeichen einer Massenhysterie.« Die Sozio-Analytikerin strich sich eine weiße Strähne aus den Augen. »Man geht weitgehend rational mit der Bedrohung um. Die Terraner sitzen allerdings auf gepackten Koffern – die von den staatlichen Stellen angebotenen Notfallausrüstungen sind stark nachgefragt worden, Führungen durch die subterranen Bereiche der Städte sind so gut besucht wie nie, die Teilnehmerzahlen aller Arten von Notfallkursen hoch. Nach unseren Befragungen wissen selbst ausgesprochen staatskritisch eingestellte Bürger Bescheid, wo und wann im Notfall Raumschiffe starten oder welchem Transmitter sie sich anvertrauen müssen.«

»Herrscht eher Besorgnis oder eher Angst?«, wollte Cheung wissen.

»Besorgnis. Eindeutig. Die, die Angst haben, sind schon gegangen.«

»Ist allgemein bekannt, dass wir versucht haben, den Mond in einen umgreifenden Paratronschirm zu hüllen, dass der Repulsor-Wall aber hochwertige Schirme destabilisiert?«

»Ja, das wissen die meisten. Vor allem in den Regionen, wo die Destabilisierungseffekte zu Schäden geführt haben – Neuguinea, Nordaustralien, Hawaii, Japan und so weiter. Dort laufen im Trivid immer wieder Dokumentationen der Vorfälle und Hintergründe.«

Die Professorin sammelte ihre Folien ein. »Momentan ist meines Erachtens auf politischer Ebene nichts zu befürchten. Die Menschen – das gilt auch weitgehend für die nichtmenschlichen Bürger – gehen gefasst mit der Gefahr um. Auf lange Sicht sieht es allerdings anders aus. Wir haben es bei dem Technogeflecht psychologisch mit einem Damokleseffekt zu tun: Das Schwert schwebt ständig über uns. So etwas bleibt seelisch nicht ohne Folgen.

Der Anblick des Mondes macht allen zu schaffen. Depressionen nehmen zu, der Verbrauch entsprechender Medikamente ebenfalls. Kinder schlafen schlecht, zeigen Verhaltensauffälligkeiten. Wie die Lage in zwei, in fünf, in zehn Jahren aussehen wird, darüber können wir heute nur spekulieren.«

*

Nachdem sie die Ergebnisse diskutiert hatten und alle Fragen, soweit möglich, beantwortet waren, bedankte Cai Cheung sich bei Jennah Bergmann und bat die Assistenten, die Wissenschaftlerin zur Transmitterstation des Solaren Hauses zu begleiten.

Sobald die Tür und damit die Abschirmung geöffnet wurde, meldete sich schon der Kommunikator der Professorin. Sie hörten sie noch rufen: »Anisa! Wie geht es dir? Ich bin jetzt auf dem Heimweg ...«, dann fiel die Tür wieder zu, und sie waren unter sich: Sichu Dorksteiger, Fionn Kemeny, Cai Cheung und Perry Rhodan.

»Wir müssen handeln«, sagte die Solare Premier. »Projekt STARDIVER: Wie ist der Stand?«

Kemeny beugte sich vor, faltete die Hände. »Das Raumschiff ist einsatzbereit. Im Prinzip jedenfalls.«

»Im Prinzip ja heißt meistens nein«, kommentierte Cheung trocken. »Woran hakt es?«

»Nun, wie ich schon mehrfach erklärt habe, ist der Hypertrans-Progressor als intergalaktischer Antrieb konzipiert«, sagte der Hyperphysiker. »Dass er imstande sein könnte, den Repulsor-Wall zu durchdringen, ist nur eine Vermutung. Es ergibt sich aus den Formeln, wenn man die bislang gewonnen Messwerte, sagen wir ... sehr wohlwollend interpretiert. Aber ob es stimmt, wissen wir erst, wenn wir es ausprobiert haben.« Er wedelte ungeduldig mit der Hand. »Wenn wir nur Jamila Boukman fragen könnten! Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sie sich auf Luna befindet.« Er hüstelte. »Oder befunden hat. Wie auch immer.«

Alle am Tisch wussten, was er meinte. Jamila Boukman war die Leiterin des Instituts für Triebwerksentwicklung, einer Außenstelle der Waringer-Akademie, die sich auf Luna befand, im Mare Crisium. Von ihr stammten, laut Kemeny, wesentliche Grundideen für den Hyperraum-Progressor.

Dorksteiger räusperte sich, durchbrach damit den Moment nachdenklicher Stille. »Ein anderes Problem ist nach wie vor die Steuerung«, sagte sie. »Die Besatzung muss im Zustand der Suspension fliegen. Und vor allem im Zustand der Suspension steuern. Das können nur wenige. Und die, die es können – Emotionauten –, können es für diesen Einsatzzweck nicht gut genug.«

Sie sah Rhodan an. »Das war es, was ich heute berichten wollte. Unsere Versuche mit ertrusischen Emotionauten sind alles andere als ermutigend verlaufen. Für intergalaktische Missionen – kein Problem. Aber auf eine Distanz von nur zwölftausend Kilometern reichen die Parameter nicht.«

Rhodan war klar, worauf das hinauslaufen würde. Es war ihm schon seit Langem klar.