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Betty Toufry will eigentlich ein ganz normales Mädchen sein, ist aber mit Gaben ausgestattet, die sie zu einer außergewöhnlichen Person machen: Sie kann Gedanken lesen und mit ihren geistigen Fähigkeiten selbst schwere Gegenstände verrücken – sie ist eine Mutantin. Nach dramatischen Ereignissen, in deren Verlauf Betty ihren Vater tötete, lebt das Mädchen nun in Galacto City, der am schnellsten wachsenden Stadt der Erde. Mit der Technik der Arkoniden errichten Menschen und Roboter gemeinsam komplette Wohnviertel, die den neuen Bürgern der Stadt behagliche Wohnungen bieten sollen. Zu diesen Menschen zählt Olga Ilmenova. Die Russin bezeichnet sich als Friedensforscherin, folgt jedoch einer gefährlichen Agenda – sie will die Technik von Außerirdischen stehlen. Die Wege des Mädchens und der Russin kreuzen sich in der Wüste Gobi ...
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Seitenzahl: 72
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Galacto City
Band 2
Die Friedensforscherin
von Tanja Kinkel
Cover
Vorspann
Die Friedensforscherin
Galacto City im Überblick
Impressum
Betty Toufry will eigentlich ein ganz normales Mädchen sein, ist aber mit Gaben ausgestattet, die sie zu einer außergewöhnlichen Person machen: Sie kann Gedanken lesen und mit ihren geistigen Fähigkeiten selbst schwere Gegenstände verrücken – sie ist eine Mutantin.
Nach dramatischen Ereignissen, in deren Verlauf Betty ihren Vater tötete, lebt das Mädchen nun in Galacto City, der am schnellsten wachsenden Stadt der Erde. Mit der Technik der Arkoniden errichten Menschen und Roboter gemeinsam komplette Wohnviertel, die den neuen Bürgern der Stadt behagliche Wohnungen bieten sollen.
Zu diesen Menschen zählt Olga Ilmenova. Die Russin bezeichnet sich als Friedensforscherin, folgt jedoch einer gefährlichen Agenda – sie will die Technik von Außerirdischen stehlen. Die Wege des Mädchens und der Russin kreuzen sich in der Wüste Gobi ...
»Friedensforscherin?«, fragte der junge Mongole mit hochgezogenen Augenbrauen in fließendem Russisch, das er vermutlich sowjetischen Lehrern verdankte. »Was darf man sich darunter vorstellen, Olga Ilmenova?«
»Ich denke, die Berufsbezeichnung spricht für sich«, entgegnete Olga freundlich. »Es sei denn, Menschen, die sich für den Frieden interessieren, sind auf dem Gebiet der Dritten Macht nicht willkommen?«
»Nur, wenn ihr Interesse dahingehend ist, diesen Frieden zu brechen«, sagte der Junge, dessen lindgrüne Uniform sie an ein Kostüm erinnerte. Er wechselte ins Englische, das er ebenfalls akzentfrei sprach. Diesmal benutzte er die amerikanische Form ihres Nachnamens. »Willkommen in Galacto City, Miss Ilmenow. Und alles Gute zum sechzigsten Geburtstag.«
Er hatte ihren Pass wirklich genau angesehen. Vor ein paar Jahren mochte er noch ein nomadischer Ziegenhirte gewesen sein, doch der amerikanische Stützpunkt, den Rhodan mitten in der Gobi zum Staat deklariert hatte, wurde rasch zu einem der größten expandierenden Arbeitgeber Asiens.
Du hättest bei den Ziegen bleiben sollen, dachte Olga. Die werden noch da sein, wenn Rhodan und seine Bande längst als Betrüger entlarvt sind.
»Danke«, sagte sie und wartete darauf, dass er ihr den Pass zurückgab.
Sie war mit einem Helikopter gekommen, den sie in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator gemietet hatte. Getreu den Anweisungen war sie im Quadranten IV des »Raumhafens« gelandet, wo man, wie es hieß, gerade ihren Helikopter »inventarisierte«, was wohl der neueste westliche Ausdruck für »verwanzen« war. Angeblich war es notwendig, weil der Verkehr dieser neuen Stadt größtenteils in der Luft stattfand.
Der mongolische Einwanderungsbeamte musterte noch einmal ihr Foto. Es war schon ein paar Jahre alt. Vielleicht fragte er sich, ob Olgas Geburtsdatum nicht gefälscht war. Sie wusste, dass sie älter als ihre 60 Jahre wirkte. In Wahrheit war sie bereits grau geworden, als auf die Säuberungen der 1930er der Große Vaterländische Krieg folgte. Ihre Jugend war in Blut, Hunger und Verrat ertrunken, und anschließend hatte sie damit leben müssen, dass es die Hälfte der Menschen, mit denen sie in der Schule gewesen war, laut der offiziellen Geschichtsschreibung nicht gab und nie gegeben hatte. Olga Ilmenova kannte sich mit Staaten aus, die ihre Wirklichkeit ständig umschrieben, und mit dem Blutvergießen, das unweigerlich folgte, wenn man die Lügen einfach hinnahm.
»Haben Sie Freunde hier, Miss Ilmenow?«
»Noch nicht«, entgegnete sie sanft. Streite niemals mit Beamten, die dich ins Gefängnis bringen können, nur, weil sie einen schlechten Tag haben; vor allem nicht, wenn du Wichtiges planst. Das war eine Regel, an die sie sich für gewöhnlich hielt.
Wenn sie tatsächlich hätte sagen können, was ihr im Herzen lag, hätte sie ihn wohl gefragt, wie sie in einem Potemkinschen Dorf, das von ein paar Amerikanern aufgestellt worden war, zu Freunden kommen sollte, doch er hätte sie bestenfalls gefragt, wer Potemkin gewesen war, und sie sehr viel wahrscheinlicher umgehend wieder fortgeschickt.
»Also, wenn Sie noch nicht wissen, wo Sie Ihren Geburtstag feiern wollen«, sagte der Mongole, und lächelte, was sein Gesicht gleich noch etwas jünger wirken ließ, »besseres Essen als im Li(e)belle kriegen Sie nirgends. Und der Blick auf den Goshun-See ist auch traumhaft.«
Konnte es sein, dass er einfach nur freundlich sein wollte? Dass er für einen weiteren jener Blender und Machtmenschen arbeitete, von denen es in Olgas Leben mehr als genug gegeben hatte, hieß nicht notwendigerweise, dass er selbst bar aller menschlichen Qualitäten war. Sie versuchte, sich so zu sehen, wie er sie wohl sah, wenn er sie nicht für eine weitere Agentin hielt, die sich seit Jahren die Klinke in die Hand drückten, die ihn aufs Glatteis führen wollte. Eine Frau mit grauen, zu einem Zopf geflochtenen Haaren, die in einer alten Pilotenlederjacke und Leinenhosen einerseits herumlief, aber sich andererseits eine Reise von Irkutsk über die Mongolei zum jüngsten »Staat« der Erde nebst geliehenem Helikopter leisten konnte.
Da sie dünn und sehnig gebaut war, tippte er am Ende auf eine jener früheren Athleten der Sowjetunion, die gewisse Reiseprivilegien genossen, und hätte damit nicht völlig falschgelegen. Sie hatte als Trainerin mehrerer Olympiasiegerinnen gearbeitet, und damit sowohl ihren Lebensunterhalt als auch Reisemöglichkeiten verdient.
»Danke für den Tipp«, gab sie zurück. Sie war nicht gekommen, um zu feiern, aber als Tarnung war die Geburtstagsidee ausgezeichnet. »Wenn dort kein Tisch mehr zu haben ist, gibt es dann noch weitere Möglichkeiten?«
Statt ihr mitzuteilen, dass er kein Auskunftsbüro sei, gab er ihr mehrere Adressen und Kontaktnummern, bis die »Inventarisierung« ihres Helikopters abgeschlossen und ihr eine angeblich fälschungssichere ID-Nummer zugeteilt worden war. Die Hilfsbereitschaft wirkte nicht geheuchelt, was jedoch nichts zu sagen hatte. Olga besaß einen sehr guten Instinkt dafür, ob die Menschen ihr übelwollten, und manchmal hatte ihr dieser Instinkt das Leben gerettet. Doch sie konnte nie vergessen, dass ihre beste Schulfreundin felsenfest davon überzeugt gewesen war, ihr einen Gefallen zu tun, als sie Olga wegen verbotener Lektüre denunziert hatte.
Ihre Hände zitterten nicht, als sie den »inventarisierten« Helikopter wieder in Gang setzte. Sie war an diesem Tag nur eine von vielen Neuankömmlingen. Rhodans neue Stadt in der mongolischen Steppenwüste lockte mit der Aussicht auf billiges, fast freies Wohnen, märchenhafte Technologie und der Chance auf einen Neuanfang für jedermann.
Wenn Olga recht behielt, wenn ihr gelang, zu beweisen, wovon sie überzeugt war, würden all diese Menschen sie hassen. Das Zerstören von Träumen war keine Tätigkeit, mit der man sich beliebt machte.
Aber Träume, die auf einer Lüge aufgebaut waren, machten die Träumer sehr bald zu Kanonenfutter, bereit, um des Traumes willen Verbrechen zu begehen. Das war die Lektion, die Olga in ihrem Leben immer wieder hatte lernen müssen. Diesmal, das hatte sie sich geschworen, würde sie nicht einfach abwarten und zusehen, wie sich die nächste Katastrophe anbahnte. Diesmal nicht. Niemals wieder.
*
Übergangslos wurde Betty Toufry wach. Sie hörte Carri und Mina nebenan streiten und empfand einen Moment großer Dankbarkeit, denn das Gezänk der Manoli-Kinder erinnerte sie sofort daran, wo und zu welcher Tageszeit sie sich gerade befand. Es gab nicht viel, vor dem Betty Angst hatte, aber das morgendliche Aufwachen gehörte oft genug dazu. Es kam immer noch viel zu oft vor, dass sie in den schläfrigen Sekunden des Übergangs glaubte, sie sei noch in New Mexico, an diesem schrecklichen Nachmittag.
In New Mexico, wo ihr Vater noch am Leben war und Außerirdische nur im Fernsehen existierten.
Dann schlug die Realität zu. Betty erinnerte sich wieder, dass sie acht Jahre alt war, und nicht sechs, und sie verlor ihren Vater erneut. Es tat auch bei der hundertsten, tausendsten Erkenntnis nicht weniger weh, und je länger das Aufwachen dauerte, desto schmerzhafter wurde das Erleben. Aber nicht heute.
Heute wusste sie sofort, wo sie war: im Bungalow der Familie Manoli am Goshun-See. Dr. Manoli und seine Frau hatten sie adoptiert. New Mexico lag auf der anderen Seite des Planeten, genau wie das Grab ihres Vaters, und wenn eine unmittelbare Gefahr drohte, dann höchstens, dass die gleichaltrige Mina Manoli ihr Salz in den Frühstückskakao schüttete, weil sie sich gestern geweigert hatte, für sie die Gedanken ihres Lehrers zu lesen.
Ihr Herzschlag wurde ruhiger. Im Bungalow gab es nur die vertrauten Gedankenmuster der Familie Manoli. Sie bemühte sich, nicht mehr von ihnen wahrzunehmen. Zu Anfang war es schwer gewesen.
Die anderen Mutanten konnten Betty in diesem Punkt nicht helfen, Die meisten von ihnen hatten erst als Erwachsene oder frühestens mit dem Einsetzen der Pubertät Zugang zu ihren Gaben gefunden. Betty hingegen hatte bereits die Gedanken ihres Vaters erfasst, solange sie selbst denken konnte. Eine Mutter hatte sie nie gekannt, sie war bei der Geburt gestorben. Erst als die Manolis erschrocken reagierten, wenn sie auf Dinge antwortete, die ihre neue Familie nicht laut ausgesprochen hatte, lernte sie, dass ein solches Verhalten bestenfalls als taktlos und schlimmstenfalls als üble Einmischung verstanden wurde.