Peter Behrens: Der Clown mit der Trommel - Peter Behrens - E-Book

Peter Behrens: Der Clown mit der Trommel E-Book

Peter Behrens

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Beschreibung

Peter Behrens ist den meisten vor allem als der schweigsame Clown von TRIO bekannt, der in der Band die Rolle des Underdogs perfekt spielte und mit seinem stillen Humor, mit sparsamer Mimik und Gestik die Herzen der Zuschauer gewann. Gleichzeitig ist er der Erfinder des reduzierten Schlagzeugspiels, das dem 'Weniger ist mehr'-Sound der Band das rhythmische Gerüst lieferte, auf dem Stephan Remmler und Kralle Krawinkel stabil stehen konnten. TRIO waren radikal neu und reduziert, sie schufen einen einmaligen Sound, der Generationen von Musikfans prägte.

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Peter Behrens

DER CLOWN MIT DER TROMMEL

Meine Jahre mit TRIO – aber nicht nur

Mit Klaus Marschall

Für Morlin, der ich nicht der Vater war, den sie verdient hätte

Ich? Pläne? Das Schicksal würde mich doch auslachen, wenn ich ihm davon erzählte. Und zum Clown gemacht habe ich mich von Berufs wegen doch schon oft genug.

Vorwort

Beruf: Schlaghandwerker

Mein Name ist Peter Behrens, Sie kennen mich vielleicht als den ehemaligen Schlagzeuger von TRIO, jener Drei-Mann-Spaßvogelband, die während der Zeit der Neuen Deutschen Welle den musikalischen Publikumsgeschmack mit Songs wie Anna – lassmichrein lassmichraus, Bum Bum, Turaluraluralu, Herz ist Trumpf und vor allem natürlich mit Da Da Da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha nicht nur national, sondern weltweit getroffen hat.

Aber kennen Sie mich wirklich? Seien Sie ehrlich! Die meisten verbinden mit mir den traurigen, stummen Clown von TRIO, der den kleinen, unterbelichteten Spielball von Gitarrist Kralle Krawinkel und Sänger Stephan Remmler mimte. Wahlweise diene ich der Öffentlichkeit in neuerer Zeit als Stereotyp des gefallenen, drogenumwitterten Ex-Stars, der verschwenderisch, unverantwortlich seinen Reichtum von einst zum Fenster hinauswarf.

Beides war beziehungsweise bin ich. Allerdings war beziehungsweise bin ich noch so vieles mehr, als es die wenigen in Boulevardformate gepressten, gebetsmühlenartig wiederholten Berichte ahnen lassen. Es gab Gründe für die Entwicklungen und ich habe darüber hinaus noch viel mehr erlebt, was spannend, tragisch, komisch, einfach erzählenswert ist.

Wissen Sie zum Beispiel, warum mein Äußeres so wenig deutsch wirkt? Warum ich erst im vergleichsweise hohen Alter von über 30 Jahren in der Popszene berühmt wurde? Warum ich mir ausgerechnet die Rolle des Schlagzeugclowns verpasst habe? Was TRIO mit Punk zu tun hat? Was TRIO mit den Beatles verbindet? Was mich in die Nähe der Hardrock-Heroen Scorpions rückt? Warum Herbert Grönemeyer nicht mein Freund ist? Warum mir Kummer Erfolg gebracht hat? Warum der TRIO-Gitarrist mit dem Gewehr in meine Richtung schoss? Wie ich den Engländern einmal gehörig die Laune vermiest habe? Warum TRIO einst aus einem Pufffenster flüchteten? Wie die Kombination von Kokain und Meskalin mich von einer noch härteren Droge abbrachte? Warum ich der Nachbar von Sting war? Warum ich beim Arbeitsamt als Schlaghandwerker eingetragen bin?

Das alles oder zumindest vieles davon ist Ihnen wahrscheinlich nicht bekannt, gehört aber, wie zahlreiche weitere Erlebnisse, zu meinem Leben dazu. Mehrmals wurde ich von Bekannten dazu aufgefordert, meine Autobiografie zu schreiben – dem habe ich mich jedoch lange Zeit verweigert, weil mir das Selbstvertrauen dafür fehlte … bis ein völlig unerwarteter Anruf mich an einen Besuch erinnerte, den ich 28 Jahre vorher einer Wahrsagerin in München abgestattet hatte. Die hatte mir damals eröffnet: »Von deinen Anlagen her bist du kein Schauspieler. Die Konstellationen weisen auch darauf hin, dass du kein Musiker bist. Aber du wirst irgendwann einmal ein Buch schreiben.« Seit dem Telefonat hielt ich die Zeit für gekommen, das Projekt in Angriff zu nehmen. Und hier ist das Ergebnis!

Was für ein Anruf das war? Nun, lesen Sie und Sie werden es erfahren, und im Zuge dessen …

… wandeln Sie, lieber Leser der 1980er-Jahre-Generation und davor, auf den Pfaden meiner Vergangenheit, die Ihnen vertraut vorkommen dürften.

… finden Sie, lieber Leser der späten 1990er-/frühen Nuller-Generation, heraus, welchem Typen Ihre Eltern und Großeltern in der Jugend Aufmerksamkeit schenkten.

… entdecken Sie, lieber Leser der späten Nuller-Generation, welche Geschichte hinter dem Menschen Peter Behrens steckt, der vergleichsweise oft als ehemals vermögender und heute verarmter Star mit der obskuren Nummer Da Da Da in verschiedenen Medien auftaucht.

Viel Spaß und »ab dafür«!

Peter Behrens

1

Der norddeutsche Ami

Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Norddeutschland, auch in meinem Geburtsort Sanderbusch nicht weit von Wilhelmshaven entfernt, eine ausgewachsene Hungersnot. Kein Wunder also, dass die US-Besatzungssoldaten gern gesehen waren. Sie versorgten die notleidende Bevölkerung in friedlicher Absicht und als Geste der Nächstenliebe mit CARE-Paketen.

Der Stolz trieb die Almosenempfänger bei mangelnden, wenn nicht gar komplett fehlenden Möglichkeiten, Gegenleistungen zu erbringen, dazu, nach Alternativen zu suchen, sich dennoch erkenntlich zu zeigen. Bei Frauen mit attraktivem Äußeren kam als Zahlungsmittel körperliche Hingabe in Betracht, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass die US-Soldaten aufgrund ihrer Herkunft und ihres Erscheinungsbildes auch in anderer Weise zu überzeugen wussten: Hier Dreck, Hunger, Elend und aussichtslose Zukunft – dort Sicherheit, volle Bäuche, Glück und unbegrenzte Möglichkeiten.

Vielleicht war diese Atmosphäre dafür verantwortlich, dass ich im Wechselspiel der wirtschaftlichen Abhängigkeit einerseits und der sexuellen Befriedigung andererseits circa neun Monate vor dem 4. September 1947 – meinem Geburtstag – als Kreuzung einer deutschen Kriegsverliererin und eines amerikanischen Soldaten gezeugt wurde.

Meine leiblichen Eltern verlobten sich daraufhin sogar, was in der Konstellation damals keineswegs selbstverständlich war. Das hatte zur Folge, dass man mich beim amerikanischen Headquarter in Wiesbaden registrierte. Schließlich galt eine Verlobung damals als Heiratsversprechen, ein Umstand, der in der heutigen Zeit der Beliebigkeit und Austauschbarkeit so manchen verwundern mag.

Ich profitierte von diesen Rahmenbedingungen, indem ich sowohl die deutsche als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft bekam, was mir in späteren Jahren die Einreise in die USA erheblich vereinfachen sollte. Während der TRIO-Phase bedachte man mich am Kontrollschalter stets mit der einladenden Geste des Durchwinkens, ohne dass ich vorher hätte etwas dafür tun müssen. Meine Bandkumpane Kralle und Stephan sahen sich hingegen im Vorfeld jeweils einem Wust von Dokumenten gegenüber, mussten sich durch einen imposanten Antragsdschungel kämpfen und konnten dann immer noch nicht sicher sein, am Arrival-Schalter freien Durchlass zu bekommen. Manchmal habe ich noch die genervten, grimmigen Gesichter der beiden vor Augen, wenn sie wieder einmal in eine langwierige Kontrolle geraten waren, während ich bereits in der Empfangshalle genüsslich einen Donut nebst Cappuccino zu mir nahm.

Wie nicht selten in damaliger Zeit, verschwand auch mein Erzeuger irgendwann unauffindbar, und meine Mutter konnte mich nicht allein versorgen und aufziehen. In dieser Situation erwies sich meine Erfassung bei der amerikanischen Militäraufsicht als Glücksfall, da ich nach der Adoptionsfreigabe in einem gut geführten Waisenhaus untergebracht wurde. Dort achtete man sehr genau darauf, dass die potenziellen Vormünder der Kinder geordnete Verhältnisse aufwiesen und finanziell auf festen Füßen standen.

Meine zukünftigen Adoptiveltern, beides Beamte der Bundesbahn und somit den Ansprüchen völlig genügend, mussten ein drei Jahre dauerndes Verfahren hinter sich bringen, um mich als Zögling zu bekommen. Der Fairness halber will ich aber auch bemerken, dass als Entlohnung für den Erziehungsaufwand Wiesbaden bis zu meinem 21. Lebensjahr monatlich 40 DM überwies, ein nettes Sümmchen für damalige Verhältnisse.

Nachdem ich das Waisenhaus verließ, bezog ich meine neue Heimstatt im norddeutschen Varel, legte den Nachnamen meiner leiblichen Mutter, Gerdes, ab und heiße seitdem Peter Behrens. Ich habe nie versucht, nach meinen leiblichen Eltern zu forschen, da ich der Meinung bin, dass man schlafende Hunde nicht wecken darf … und der schlafende Hund ist in diesem Fall die Neugier.

Ich wuchs als Einzelkind heran, denn der Grund, warum meine Ernährer mich so hartnäckig zu sich nehmen wollten, war, dass sie auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen konnten. Ich vermute, dass das an meinem Adoptivvater lag. Nicht weil ich ihn direkt darauf angesprochen hätte, nein, ich schlussfolgere das aus seinem Verhalten mir gegenüber: Er zeigte keine Liebe, so als ob ich ihm durch meine Anwesenheit stets sein biologisches Versagen vor Augen führte, was eine immerwährende Frustration nach sich zog.

Meine Erziehung lag ihm aber trotzdem am Herzen, wozu auch das Prügeln gehörte. Wohlgemerkt nicht das »Verprügeln«, also der Züchtigungsakt, der von bloßem Sadismus herrührt, sondern jener, der neben dem Bestrafen vor allem eine gewichtige orientierende Note in sich barg. Denn es war so: Hatte ich etwas ausgefressen, dann wurde ich nie für die begangene Tat handgreiflich zur Verantwortung gezogen. Erst wenn mein Vater mir nachweisen konnte, dass ich mich mit einer Lüge herauswinden wollte, drang kurz darauf ein unheilvolles Quietschen an meine Ohren …

Woher das kam? Nun ja, mein männlicher Vormund hatte eine Vorliebe dafür, mir die aus seiner Sicht notwendige körperliche Lektion per Gartenschlauch zu erteilen, auf den Hintern. Dazu schraubte er den Spritzkopf ab, was ein akustisches Signal absonderte: »Quiek, quiek, quiek.«

Denjenigen, welche beim Lesen den Impuls verspüren, als Zeichen der Verständnislosigkeit angesichts dieser Erziehungsmethode empört den Kopf zu schütteln, sei entgegnet, dass die Lehrer damals noch viel gemeiner waren. Es gehörte zum Alltag, Schülern wegen irgendwelcher Nichtigkeiten mit dem Rohrstock auf die Finger zu schlagen oder ihnen schallende Ohrfeigen zu verpassen. Davon blieb auch ich nicht verschont. Ich sehe mich noch heute das eine oder andere Mal nach einer monströsen Schelle benommen durch den Klassensaal torkeln.

Die Distanz meines Adoptivvaters zu mir zeigte sich auch durch seinen Hang, der hohen gesellschaftlichen Position, die er als verbeamteter Bahnhofsvorsteher innezuhaben glaubte, deutlich den Vorrang vor meinem kindlichen Spiel- und Abenteuertrieb zu geben. Zumindest durfte ich ihn bei Weitem nicht in dem Maße ausleben wie andere Gleichaltrige. »Das fällt doch alles auf uns zurück!« war einer der gebetsmühlenartig wiederholten Sätze, wenn ich dann doch einmal Blödsinn gemacht hatte, der an die Öffentlichkeit gekommen war. Und dann begannen gegebenenfalls auch schon die Vorbereitungen für die nächste Tracht Prügel.

2

Der schwarze Flitzer

Die erste Klasse meiner Bildungskarriere absolvierte ich in Oldenburg, wo mein Vater als Bahnhofsvorsteher arbeitete. Weil er aber bei der Deutschen Bahn Aufstiegsambitionen verfolgte, war er gezwungen, alle paar Jahre den Standort zu wechseln. Deshalb verbrachte ich meine ersten Lebensjahre in Sande, darauf in Oldenburg und ab der zweiten Klasse war ich in Varel.

In Norddeutschland zur Volksschule zu gehen bedeutete in meiner Kindheit gemeinhin, sich unter vornehmlich blonden Jüngelchen oder wahlweise blonden Mädelchen zu befinden. Das war in Varel nicht anders. Ich entsprach dieser Vorgabe jedoch überhaupt nicht. Mit meinem dunklen Teint und den pechschwarzen Haaren gab ich den Exoten und rundete die für meine Akzeptanz ohnehin schon schwierige Situation denkbar ungünstig ab, indem ich auch noch der Kleinste war. Was daraus folgte, dürfte niemanden überraschen: Ein überdimensionierter Duracellhase mit roter Warnleuchte auf dem Kopf, Pauke auf dem Rücken und brennender Silvesterrakete im Hintern hätte keine exklusivere Zielscheibe für Hänseleien und Pöbeleien sein können.

Mit über die Jahre stetig verfeinerter Pfiffigkeit gelang es mir allerdings zunehmend, Bloßstellungen, Streitereien, die sich bis hin zu Raufereien auswachsen konnten, zu umgehen. Ich ahnte schnell, wenn Unheil drohte, was meinen Fluchtinstinkt kitzelte, dem blitzschnell die Tat folgte. Und laufen, mich einem Zugriff entwinden … das konnte ich. Der schwere Stand innerhalb des Schullebens härtete mich für meinen weiteren Weg ab und erteilte mir die Lektion, dass ich mich auch allein durchboxen kann.

Trotz meiner Strategien, mich zu wehren, drohte mir das Schicksal eines Außenseiters, denn wer will schon – gerade in jungen Jahren – etwas mit jemandem zu tun haben, der äußerlich so gar nicht in die Gemeinschaft passt?

Nun darf man sich die Situation allerdings nicht als aussichtslose, brutale Drangsal vorstellen, wie sie heutzutage auf so manchem Schulhof anzutreffen ist. Oftmals suchten sich Schüler einfach ohne erkennbares Auswahlkriterium eine Person aus, umzingelten diese und schubsten sie wie einen menschlichen Punchingball kreuz und quer durch den Kreis. Ich war also keinesfalls immer das Opfer, war mir aber nichtsdestotrotz meiner Sonderrolle bewusst, und ich kann mich auch nicht erinnern, Freunde in der Volksschule gehabt zu haben.

Vor dem Dasein als graues Anhängsel der ansonsten heilen Schulwelt rettete mich der Sport. Ich war der Schnellste im 75-Meter-Lauf, der Schnellste beim Schwimmen und der gelenkigste Turner, der bereits in jungen Jahren die Riesenfelge schaffte. Mit diesen Fähigkeiten verwies ich in Wettkämpfen die Konkurrenten von anderen Schulen regelmäßig auf die hinteren Plätze und heimste mehrere Siegespokale für unsere Bildungseinrichtung ein. So ein Aushängeschild, welches außerdem noch die Auszeichnung Bezirksschwimmmeister Oldenburg und Dritter bei den niedersächsischen Schwimmmeisterschaften in der Altersklasse bis 14 Jahre trug, musste, Aussehen hin oder her, natürlich hofiert werden. Auch wenn die Anerkennung lediglich darin bestand, in Ruhe gelassen zu werden.

Da funktionierte unser Mikrokosmos damals nicht anders als das öffentliche Leben heute: Ein Sportler – die Nichtberücksichtigung der weiblichen Form hat nichts mit Diskriminierung zu tun – kann sich noch so sehr von der übrigen Gesellschaft abheben und nicht der Norm entsprechen, und sei es, weil er so dumm ist, dass er sich im Dixi-Klo verläuft. Hauptsache, er holt Titel, Pokale und Ehrungen, in deren Glanz sich Heerscharen von Funktionären, Offiziellen, letztlich alle Menschen eines Volkes spiegeln können.

3

Das erste Schlagzeug

Die Freizeitgestaltung in Varel bot für mich nicht viel. Einen großen Freundeskreis hatte ich nicht, Spiele wie Cowboy und Indianer, bei denen Kleidung verdreckt oder gar zerstört wurde, verboten sich mir, da ich, Sohn der gesellschaftlichen Respektsperson des örtlichen Bahnhofsvorstehers, als sauberes Vorbild zu erscheinen hatte, und Streiche auszuhecken war aus demselben Grund ebenfalls undenkbar.

Dabei war nicht ausschließlich mein Adoptivvater die treibende Kraft, das porentief reine Image gebührend zu pflegen. Er wollte mich sogar unbedingt, dem Wunsch seiner Gattin entgegen, einem kugeligen Spielgerät nachjagen sehen, am liebsten in Form eines Fußballs. Dem Zetern meiner Mutter sich geschlagen gebend, die unter anderem ins Feld führte, dass der Sohn sich auf dem örtlichen Schlackeplatz nur die Knie blutig schürfen und die kostspielige Kleidung ramponieren würde, ließ der Familienvorstand es zähneknirschend zu, dass ich dem frisch gegründeten Schwimmverein beitrat. Im Lehrbecken, damals besaßen alle Schulen eines, konnte der Sprössling der Gefahr irgendwelcher Wunden weitestgehend entkommen.

Über die Tummelei im Wasser hinaus blieben nicht viele bis gar keine Möglichkeiten, sich zu beschäftigen … bis ich eines Tages irgendwann im Alter von sechs oder sieben Jahren auf die Idee kam, die im Radio gesendeten Werbemelodien, die mir auszugsweise sehr gut gefielen und die schon lange mein Interesse geweckt hatten, nachzuspielen. Nur, ohne Begleitung dieses Vorhaben anzugehen erschien mir reichlich albern. Deswegen rekrutierte ich zwei Mitstreiter, die ebenfalls außerhalb der Schule freiwillig oder erzwungen zu Tob- und Schmutzmuffeln mutiert waren. Für mich war klar, dass ich den Part des Schlagzeugers übernahm, während die anderen sich die Rollen des Gitarristen und des Sängers aufteilten. Bereits bei der Zusammenstellung des Schulchores hatte man festgestellt, dass ich nicht singen konnte, und mir alternativ die Trommel als Einsatzgebiet zugewiesen. Diese ursprünglich willkürliche Entscheidung, der ich mich emotionslos gefügt hatte, entpuppte sich als genau zu meinem Naturell passend.

Und so standen beziehungsweise saßen wir Dreikäsehochs dann da: der in eine Klobürste singende Frontmann, der wild auf einen wehrlosen Tennisschläger eindreschende Klampfengott und die taktgebende Rhythmusmaschine Peter Behrens, der die vor sich stehende Persil-Papptonne, die monatlich wegen Feuchtigkeit gegen eine neue Version ausgetauscht werden musste, mit Kochlöffeln traktierte. Naheliegenderweise drehten wir die Radiowerbemelodie des Waschpulvers durch unseren eigenen musikalischen Wolf.

Übrigens: Die Musikformation des Trios sollte sich schicksalhaft mit meinem Leben verknüpfen und sich unter verschiedensten Zusammenstellungen als Konstante erweisen, was ich natürlich noch nicht ahnen konnte, als ich die erste »Band« ins Leben rief. Aber irgendwie hatte es mir die Zahl Drei offensichtlich schon damals angetan.

Angestachelt von der Faszination Schlagzeug, auch wenn es zunächst nur aus Behältnissen zur Aufbewahrung von pulverisiertem Reinigungsmittel bestand, entschloss ich mich, alles daranzusetzen, in den Besitz einer professionellen Ausführung zu kommen. Im Alter von 13 bis 14 Jahren arbeitete ich dafür regelmäßig auf Baustellen zu einem Stundenlohn von zwei DM, was heute kaum vorstellbar ist. Entsprechend lange musste ich entbehrungsreich – obwohl … viele Versuchungen, die Ersparnisse für andere Reize auszugeben, gab es in unserem beschaulichen Ort nicht – sparen, um endlich das Objekt der Begierde bezahlen zu können: ein edles SONOR-Schlagzeug.

Durch meine Neuerwerbung wurde ich bei Tanzbands in und um Varel herum eine begehrte Größe, denn es herrschte ein ausgesprochener Mangel an Personen wie mir. Da spielte es auch keine Rolle, dass ich keineswegs ausreichende Kenntnisse vorweisen konnte, denn Schlagzeugunterricht hatte ich aus verschiedenen Gründen nicht genossen. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich autodidaktisch in der Leidenschaft zu schulen. Im Verlaufe des kontinuierlichen Übens und Probens versuchte ich zunächst, die Muster des Swings zu lernen, und verbesserte mich zusehends, wodurch sich mein Weg in Richtung Musiker schwach am Horizont abzeichnete.

Die Schulband bot mir eine weitere Entwicklungschance, und tatsächlich ergatterte ich dort einen festen Platz. Bis heute hat sich mir die Erinnerung eingegraben, wie die Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihren Eltern und den Lehrerinnen und Lehrern völlig enthemmt auf unserem Schulabgangsfest zu dem Song I Scream, You Scream, We All Scream for Ice Cream tanzten.

Das Wettkampfschwimmen rückte für mich immer weiter in den Hintergrund, da mir die Schlagleidenschaft die Zeit raubte, regelmäßig unter Trainingsbedingungen im Wasser Bahnen zu ziehen beziehungsweise alternativ Kacheln zu zählen. Ein Jahr lang versuchte ich noch, in der Leistungskategorie »Herren« (Altersklasse ab 16 Jahren) beide Beschäftigungen unter einen Hut zu bringen, musste aber feststellen, dass es in der geforderten Intensität unvereinbar war. Auch die Tätigkeit als Übungsleiter – die Befähigung hatte ich mir durch meinen bloßen Werdegang im Schwimmverein erworben – gab ich nach einer kurzen Phase auf, sodass ich dem kühlen Nass in der Folge zwar immer noch verbunden blieb, jedoch nur noch im Rahmen eines Hobbys, indem ich zum Beispiel Wasserball spielte. Gleich einem Eheversprechen bleibe ich ihm jedoch bis heute treu, denn ich folge dem Prinzip: Wenn schon Sport, dann nur im Wasser!

4

Lehrjahre auf verschiedenen Wegen

Eigentlich hätte es sich angeboten, nach dem Volksschulabschluss den Einfluss meines Adoptivvaters zu nutzen und in die Lehre bei der Deutschen Bahn einzusteigen. Davon machte ich aber keinen Gebrauch, weil mich während meiner Schulzeit ein Lehrer überredet hatte, in seiner Fotografie-AG mitzuwirken, was mit viel Spaß verbunden war. Es hatte mich einfach gepackt, und ich war dermaßen geschickt, dass der AG-Leiter mich einem befreundeten Fotografen empfahl. Sicherlich war es dabei von großem Vorteil, dass ich mittlerweile über gesicherte Grundkenntnisse, insbesondere bei den chemischen Vorgängen, verfügte.

Auf diese Weise gelangte ich in die Ausbildung nach Oldenburg zu Photo Wöltje in der Heiligengeiststraße, was mir während der TRIO-Phase den Vorteil verschaffte, mitreden zu können, wenn von unserer Truppe gestellte Fotos für Zeitschriften geschossen wurden. Ich lernte zum Beispiel, wie man Dynamik in einem eigentlich statischen Bild erzeugen konnte, oder war in der Lage zu analysieren, warum ein Fotograf bestimmte Posen von uns wollte.

Wöltje bot neben dem Kameraverkauf nebst Zubehör die gemeinhin übliche Lichtbildfilmentwicklung an, einen heutzutage im Zuge der Digitalfotografie nahezu in Vergessenheit geratenen Dienst. Mein Spezialgebiet waren Schwarzweißfotos, denen ich mich mit Hingabe widmete, denn durch das Fehlen von Farben traten die Formen und Konturen in den Vordergrund, was auf mich eine große Faszination ausübte. Um zu erlernen, wie man einem Foto eine große Ausdrucksstärke verleiht, nahm ich auch an vielen Locationterminen, inklusive Theaterbesuchen, teil.

Im Anschluss an die Lehre absolvierte ich die abzuleistende Bundeswehrzeit in der Schwanewedener Lützow-Kaserne bei der Infanterie, genauer den Panzergrenadieren – bundeswehrdeutsch: »Heckklappen-Vieh«, und von anderen Gattungen umschrieben mit: »Er ist kein Mensch, er ist kein Tier, er ist ein Panzergrenadier.«

In meiner Kompanie lernte ich einen Kameraden in der Nachbarstube kennen, mit dem ich über Musik fachsimpelte, während wir gleichzeitig intensiv dem Grundsatz bundesdeutscher Rekruten Geltung verliehen, der da lautete: »Täuschen, tarnen und verpissen« respektive »Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt«. Er hörte auf den Namen Klaus Meine und wurde später bekannt als Frontmann der Hardrock-Gruppe Scorpions, Weltstars in der Szene. Wir sind bis heute freundschaftlich verbunden.

Obwohl mir mein erlernter Beruf ganz gut gefiel, erteilte ich dem vertrauten Schoß nach dem Ende meiner Dienstzeit eine Absage. Es zieht sich bis heute durch, dass in mir ein unruhiger Geist wohnt, der mir das Interesse, die Motivation nimmt, sobald ich es auf einem Gebiet zu einer gewissen Reife gebracht habe, was immer ungefähr nach drei Jahren passiert. Das Einzige, zu dem ich mit Unterbrechungen stets zurückkehrte, war das Schlagzeug, vergleichbar einer temporär verstoßenen, aber unglaublich treuen Liebe.

Nach meinem Wehrdienst strebte ich an, meiner zweiten großen Passion neben der Musik intensiv nachzugehen und Sport auf Lehramt zu studieren. Dafür galt es zunächst, über den zweiten Bildungsweg die mittlere Reife und das Fachabitur zu erwerben, was ich von 1965 bis 1968 an der Loges Schule auch machte, eine Einrichtung, die heute Physiotherapeuten ausbildet.

Da es nicht zulässig war, lediglich ein Fach zu belegen, wenn es anschließend beruflich in die Volksschule gehen sollte, nahm ich noch Sozialwissenschaften und Germanistik dazu. Gerade für Letzteres entschied ich mich nicht aus Interesse, sondern damit die BAföG-Unterstützung reibungslos floss; es erschien mir eine machbare Angelegenheit ohne hinderliche Probleme zu sein. Ob diese Regelung noch Bestand hat, weiß ich nicht, aber das war und ist ja ohnehin landesregierungsabhängig. Ebenso verhielt es sich mit der mir in Erinnerung gebliebenen Mengenlehre aus der Mathematik. Mir wurde das Gebäude von Schnittmengen, Teilmengen, Vereinigungsmengen etc. noch nahegebracht. Landesregierung: SPD. Nach mir planierte man das Lektionshäuschen wieder. Landesregierung: CDU …

Sechs Semester benötigte ich für das erste Staatsexamen, das ich in Hannover ablegte, bevor ich dann zum Referendariat an einer Grund- und Hauptschule im zentralen Wilhelmshavener Stadtteil Heppens anheuerte. Innerhalb eines Jahres stellte ich zu meiner Frustration allerdings fest, dass ich den falschen Weg eingeschlagen hatte, und verließ ihn noch vor dem Abschluss. Meine Vorstellungskraft hatte es nicht zugelassen, mich ein Berufsleben lang nervlich 30 entweder übermütig lärmenden, zwar herzensguten, aber wuseligen laufenden Metern oder wahlweise desinteressierten, verstärkt nach Lebensorientierung suchenden (Spät-)Pubertierenden auszusetzen.

Gott sei Dank war der Verzicht auf die gesicherte Beamtenlaufbahn kein Wagnis für mich, denn parallel zu meiner gesamten Ausbildungsphase einschließlich des einjährigen Lehrerintermezzos hatte ich weiter Unterhaltungsmusik auf Volksfesten gespielt und dort gutes Geld verdient.

Diesen Einsatz intensivierte und professionalisierte ich, indem ich mich in wechselnden Musikformationen versuchte und stetig verbesserte. Die Herausforderung ließ auf Dauer gesehen zwar zu wünschen übrig, sicherte mir aber, wenn auch ohne Aussicht auf große Konsumsprünge, den Lebensunterhalt und machte nichtsdestotrotz, handwerklich betrachtet, Spaß.

Das abgespulte, in weiten Bereichen mir missfallende Songmaterial entlehnte sich zu einem großen Teil aus den jeweils aktuellen Top 40, wobei wir den Grundton des Repertoires dem Anlass und der Zusammensetzung des Publikums anpassten. So bliesen wir den geneigten, bierseligen Zuhörern auf Schützenfesten mehrmals die Schützenliesel um die Ohren, versorgten den pseudorebellischen jugendlichen Nachwuchs auf Landjugendfesten mit Satisfaction von The Rolling Stones oder lieferten liebeshungrigen Pärchen mit Tränen lügen nicht von Michael Holm einen Vorwand, den eng umschlungenen Begattungsblues zu tanzen.

Eine Konstante existierte jedoch, gleichgültig, welche Setliste gespielt wurde, und zwar der Tempoübergang nach drei Titeln – da ist sie wieder, die meinen Lebensweg ewig begleitende Zahl Drei. Stand zum Beispiel ein Rock-Pop-Sortiment auf dem Plan, konnte es sein, dass wir in einem Teil mit Wild Thing von The Troggs starteten, dann Mighty Quinn von Manfred Mann hinterherschoben – ein Stück, bei dem Klaus Voormann, der für meinen Lebenspfad noch sehr wichtig werden sollte, die Flöte spielte – und mit Hey Tonight von Creedence Clearwater Revival aufhörten. Nach einer kurzen Pause ging es dann in die gemächliche Phase, indem möglicherweise ein Dreierpack des Kalibers von The Sound of Silence von Simon & Garfunkel, A Whiter Shade of Pale von Procol Harum, House of the Rising Sun von Frijid Pink den Schweißflecken der Tanzwütigen Gelegenheit gab zu trocknen.

Schwenkte der Pegel der Musikvorliebe in Richtung Schlager, zählten zum »flotten Dreier« Stücke wie Mendocino von Michael Holm, Rote Lippen soll man küssen von Cliff Richard, Marmor, Stein und Eisen bricht von Drafi Deutscher, gefolgt von kompositorischen Beruhigungspillen wie Tanze mit mir in den Morgen von Gerhard Wendland, Es fährt ein Zug nach Nirgendwo von Christian Anders und Du bist nicht allein von Roy Black.

Natürlich musste unser Rahmen an Spielkunst auch Auswüchse zu beiden Extrempolen abdecken. Stammtischbedienende Grölbanalitäten wie Schnaps, das war sein letztes Wort von Willy Millowitsch, Es gibt kein Bier auf Hawaii von Paul Kuhn oder Hämmerchen Polka von Chris Howland gehörten genauso zum abspulbaren Programm wie Whole Lotta Love von Led Zeppelin, Paranoid von Black Sabbath oder Ballroom Blitz von The Sweet zur Versorgung langhaarliebender Zottelviecher.

Für die Fähigkeit, mit einem Publikum umzugehen, es zu führen, zu begleiten, gerade auch dann, wenn es erforderlich war, Barrieren abzubauen, leistete mir die Tanzbandphase unschätzbare Dienste. Deswegen sprachen Kralle und Stephan von TRIO in späterer Zeit gerne mich an, wenn wir bei einem Auftritt den Kontakt zu unseren Zuhörern nicht gefunden hatten. Nicht selten fand ich den hemmenden Knackpunkt, den wir bei nächster Gelegenheit versuchten zu umgehen.

Im Vergleich zu vielen anderen Auftrittsorten war das Publikum bei Landjugendfesten sehr dankbar und leichter berechenbar. Es scherte sich nicht großartig darum, ob wir schlecht spielten, Hauptsache, die Qualität des musikalischen Nährbodens reichte aus, um es ordentlich krachen zu lassen. Demgegenüber mussten wir in Tanzlokalen genau auf die Zusammensetzung und Reaktion der unmittelbaren Konsumenten achten. Bahnte es sich an, dass sich der Raum des schwingenden Tanzbeins einer kompletten Verwaisung bedrohlich näherte, musste sofort mit einer Änderung der Titelabfolge reagiert werden, wollten wir einer Unfähigkeitserklärung entgehen.

Lobe ich auf der einen Seite die angenehme Genügsamkeit der Festzelt- und Schützenhallenanhänger, muss der Vollständigkeit halber auch das häufig durch Alkohol bedingte Aggressionspotenzial Erwähnung finden. Meist hatte die auf einer Bühne stehende Tanzband jedoch ausreichend Abstand zum Geschehen, wenn es zu einer Schlägerei kam. Wir erfüllten indessen wie einst die Kapelle beim Untergang der Titanic stoisch unser Pensum und schauten dem zum Teil blutigen Treiben teilnahmslos zu.

Anders verhielt es sich, wenn pöbelnde, reichhaltig promilleversorgte Leute dauerhaft bedrohlich direkt in unsere Richtung gestikulierten, um ihren Unmut auszudrücken, etwa weil vielleicht gewünschte Lieder keine Berücksichtigung fanden. In so einem Fall war die erste Vorsichtsstufe erreicht. Sobald auch noch probiert wurde, die Empore zu entern, legten wir die Instrumente – wahlweise die Sticks – beiseite und postierten uns als menschliches Bollwerk zur Abwehr an der Rampe. Besoffene waren immer, auch für sich selbst, schwer einzuschätzen, woraus eine große Gefährdung erwuchs. Solch eine Unterbrechung blieb dem Veranstalter natürlich nicht verborgen, der dann oft Helfer schickte, die sich der Unruhestifter annahmen und sie wenig zimperlich hinauskomplimentierten. Glücklicherweise kam es nie zu einer Eskalation.

In Tanzlokalen ging es in der 1960er-Dekade wesentlich gesitteter – vielleicht besser umschrieben: steifer – zu. Es war noch üblich, die Dame zum Tanz aufzufordern. Und so saßen die Parteien fein säuberlich nach Geschlechtern getrennt an den Tischreihen. Die Herren zur Linken, die Damen zur Rechten – von uns Musikern auch Hühnerbank genannt –, alles von meiner Position hinter dem Schlagzeug aus gesehen.

Ich bemerkte die Unruhe der Männer, wenn die Musiker ihre Positionen einnahmen, denn jeder war selbstverständlich darauf bedacht, eine möglichst gute Partie zu machen, und wollte es vermeiden, Exemplare der »Resterampe«, der Mottenkiste oder Ladenhüter tänzelnd im Kreise durch den Saal führen zu müssen.

Genau in diese Kerbe schlug ich gern, indem ich mit gehässiger Schadenfreude zwei- bis dreimal die Schlagzeugkünste nur anwuppte, was die Sitzenden der linken Tischreihe ähnlich Formel-1- Piloten hochschnellen ließ. Reichlich irritiert, stoppten sie den Schritt, wenn ihre Sinnesorgane die Unterbrechung erfolgreich ans Gehirn weitergeleitet hatten, nur um wenige Sekunden später wieder auf denselben Trick hereinzufallen.

Unterschiede in der Aufnahme unserer Kunst gab es auch regional. Ostfriesen tauten schwerer auf als die an Karnevalstradition gewöhnten Rheinländer, wohingegen meine Erfahrung lehrte, dass es keinen Unterschied machte, ob man Land- oder Stadtmenschen beschallte.

Wollte man als gewissenhafter Unterhalter einen Auftritt akribisch vorbereiten, um eine gute Visitenkarte zu hinterlassen, kam das einer vergeblichen Mühe gleich. Planungen waren meistens unnütz. War ein Abend gedanklich durchdrungen, kippte das löbliche Ansinnen beim Kontakt mit dem Publikum fast immer, weil dieses plötzlich ganz andere Vorlieben zeigte. Sämtliche Zeit für Vorarbeit hätte besser in gewissenhaftes Nasepopeln investiert werden können.

Innerhalb der 1960er-Jahre änderten sich die Gewohnheiten des Publikums. Während zu Beginn des Jahrzehnts Paartanz vorherrschte, individualisierte sich das im Laufe der Zeit zu Gunsten der Art, allein per kreativer Bewegungsabläufe der Musik Ausdruck zu verleihen. Dabei bevölkerten je nach Klangfärbung mehrheitlich Mädchen oder Jungs, Frauen oder Männer die Tanzfläche.

Übrigens, dem Vorurteil, dass Musiker reihenweise hübsche Mädels vernaschen, sei von meiner Seite schon einmal an dieser Stelle entgegengetreten. Ich gebe zu, dass sich die weibliche Spezies durchaus gern um uns Tanzbandmitglieder – allerdings natürlich nicht so zahlreich wie bei angesagten Stars – scharte, aber hauptsächlich die Sänger und Gitarristen empfingen mit ihrem unsichtbaren Radarsystem die gesendeten Lockangebote und nahmen die Gelegenheiten ab und zu wahr. Ich sah keinen Reiz in derartigen Abenteuern. Zum einen stand mir die Schüchternheit ohnehin im Wege, und zum anderen muss ich für einen sexuellen Akt verliebt sein. Weiß man außerdem noch, dass ich nur sehr schwer eine Liebe aufbauen kann, dann lässt sich daraus schließen, wie unwahrscheinlich es für einen Groupie war, mich für ein Liebesspiel ins Bett zu zerren.

Lange, sehr lange kam ich auch der Pflicht als Musiker nicht nach, Drogen jeglicher Art zu konsumieren. Im Gegenteil, ich verweigerte den Kontakt beharrlich. Sämtliche Wegbegleiter, ob nun in der Schule, während der Lehre oder jene, mit denen ich in der Musikbranche bis dato zusammengekommen war, wussten von Alkohol-, Zigaretten- oder sonstigen Drogenerfahrungen und von damit in Verbindung stehenden Ausschweifungen zu berichten. Bei diesen Schilderungen war belustigter Stolz im Spiel, denn schließlich war es gängige Meinung, dass solche Eskapaden zum Reifeprozess gehörten. Ich hingegen empfand solche Erfahrungen als sinnlos, denn was brachten sie einem schon ein?

Bier, Schnaps etc. verminderten die Konzentration und die Selbstbeherrschung, und außerdem meldete sich am Tag darauf der Brummschädel mit der Nachricht: »Du Vollidiot, das machst du nicht noch einmal!« Die qualmenden Sargnägel wirkten sich negativ auf die Ausdauer aus und hinterließen einen Geschmack im Rachen, der an totes Tier erinnerte. Die Spaßtüten verliehen dem Geist eine Gleichgültigkeit, die selbst dann noch das Grinsen ins eigene Gesicht meißelte, wenn sämtliche denkbaren Katastrophen auf einen Schlag über einen hereinbrachen … und das alles kostete je nach Verbrauch auch noch eine Stange Geld. Was für ein Quatsch! Wäre damals jemand auf mich zugekommen mit der Bitte, eine Drogeneskapadengeschichte von meinen Bekannten und Wegbegleitern zu erzählen, hatte ich passen müssen, so wenig hatte ich davon aufgenommen. Es interessierte mich einfach nicht.

Mit Abstand betrachtet, bin ich froh, dass ich in jungen Jahren noch nicht derlei Selbstversuche mit anschließendem Gewohnheitskonsum unternahm, wobei ich zugeben muss, dass ich vieles ausgiebig nachgeholt habe. Gleichaltrige Bekannte, die mit 13, 14 Jahren oder in der Studienzeit mit Alkohol, Zigaretten, Hasch etc. begannen, sehen heute älter aus als ich und sind gedanklich langsamer und weniger flexibel. Meiner Überzeugung nach liegt die Ursache darin, dass die Giftstoffe den noch im Wachstum befindlichen Organismus stärker und nachhaltiger schädigen als später.

So unterhaltsam und einträglich die Erfahrung mit der Tanzmusik auch war, ich wäre ohne Ausblick auf Veränderung vor die Hunde gegangen, denn mir fehlten die Anreize, Neues lernen zu können. In kleinem, überschaubarem Maße versuchte ich, dem durch »Bandhopping« zu begegnen, wobei die hohe Austauschrate in Tanzbands sowieso Normalität war und um einiges höher ausfiel als bei Rock-’n’-Roll-Bands. Im Schnitt wechselte die Besetzung jährlich, was dem jeweiligen Trend geschuldet war. Zum Beispiel wurde der Klavierspieler überflüssig, als die Elektronik – und dadurch das Keyboard beziehungsweise der Synthesizer – Einzug hielt. Maximal drei bis vier Jahre blieb ich in einer Formation, kann mich aber auch an eine 14-tägige Verweildauer erinnern, weil die Instrumentierung aus Saxofon, Akkordeon, Gitarre und Schlagzeug bestand. Wie will man damit Party- und Bewegungslaune erzeugen? Man stelle sich das Intro von Satisfaction unter Quetschkommodenbegleitung vor! Lächerlich! Dann doch lieber sofort die Stöcke hinschmeißen.

Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung trommelte ich 1967 beim Bremer Konservatorium vor und wurde tatsächlich genommen. Ab da führte mich mein Weg regelmäßig montags und dienstags zum Unterricht. Für den Rest der Woche, in der ich weiterhin Tanzmusik spielte, versorgte man mich mit Hausaufgaben, die ich in der darauffolgenden Woche vorstellte und vorspielte, um dann abermals mit Arbeitsaufträgen entlassen zu werden usw. Auf diese Weise lernte ich nicht nur die notwendigen Noten – unabdingbare Grundlage beim Zusammenspiel mit einem Orchester bei Tanzbällen –, sondern ich bekam auch ein Gefühl dafür, wie man in einem Stück den geeigneten Rhythmus einbringt. Der wiederum gab verlässlich darüber Auskunft, ob ein stehendes Stück rund und fertig war. Außerdem sensibilisierte mich das Konservatorium dafür, dass das Schlagzeug eine Dynamik entwickeln kann, die eine Komposition positiv voranbringen – aber auch kippen – kann. Das führte mir die Bedeutung meines Instruments innerhalb eines Arrangements pointiert vor Augen, womit sich der graue Schleier der bloßen Ahnung darüber endgültig verzog.

Nach einem halben Jahr war das Hochschulintermezzo beendet, aber auch das Leben als Dorfhochzeits-, Dorfvolksfest- und Dorfjubiläumsbespaßer genügte mir nicht mehr, füllte mich nicht mehr aus. Ein Abzug von dieser Front stand auf dem imaginären Zettel der beschlossenen Sachen. Gerade aber als mein Widerstand mangels Alternativen anfing zu bröckeln und ich mir eingestand: Halt, halt, halt! So einfach ist das nicht, Peter!, schlug das Schicksal begünstigend zu.

Ein Hamburger Bekannter überredete mich 1969, mit ihm zusammen in seinem klapprigen Renault, einem R4, nach Lausanne zu fahren, wo wir beide mit zwei weiteren Musikern – dieses Mal also ausnahmsweise die Zahl Vier – in der Band Crazy Four durchschnittlich 50- bis 60-Jährigen per Barmusik den Après-Ski versüßen sollten. Spontan sagte ich zu und erlebte eine schöne Abwechslung, die noch mit einer weiteren Überraschung aufwartete, als eines Tages auf unserer Clubtour durch die Schweiz in Basel ein Franzose den Kontakt suchte. Er stellte sich als Hotelbesitzer vor und sprach uns in seiner Heimatsprache an mit: »Hört mal, Jungs, wollt ihr nicht in meiner Bar spielen?«

»Ja wo issn die?«, entgegneten wir mäßig interessiert. »Gib doch mal die Adresse.«

Verschmitzt lächelnd, da eine Wissenslänge voraus, schüttelte der Franzose den Kopf und sagte sinngemäß: »Ne, ne, so einfach ist das nicht. Mein komfortables Gästehaus ist an der Elfenbeinküste, in Abidjan.«

Nun ja, vier Wochen später hielten die Mitglieder von Crazy Four die Flugtickets in den Händen, jetteten zum westafrikanischen noblen, warmen Bestimmungsort und bebluesten und bejazzten die dortigen Hotelgäste. Schöne Erfahrung.

Zurück vom einjährigen Zwischenspiel, beseelte mich in der heimatlichen Tiefebene immer noch die Überzeugung, auf keinen Fall erneut im Top-40-Hafen ankern zu wollen. Es war Zeit für etwas komplett Neues … und es sollte sich Anfang der Siebziger auch etwas ergeben.

5

Krautrock mit Silberbart – und der Alkohol schmeckt doch

Hippie-Zeit? Tja, von außen mitbekommen habe ich diesen ganzen Kram – Flower Power, Love, Peace and Happiness, »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment« – schon, aber innerlich miterlebt nicht. Es wirkte ziemlich lächerlich, wenn sich Lieschen Biedermann plötzlich das Haupt mit einem Blümchenkranz dekorierte und zu der Ansicht gelangte, nun in eine neue Ära aufbrechen und die Welt verändern zu können. Mir huschte bei solchen Anblicken nur durch den Kopf: Bei denen stimmt doch etwas nicht. Vielleicht haben die zur Befestigung des Kopfschmuckes in halluzinogene Tinkturen getränkte Heftzwecken benutzt. Kurzum: Ich habe mich nicht breitschlagen lassen, das Blumenkind zu machen.

Eine andere musikalische Entwicklung interessierte mich schon eher, und zwar die neue Art, mit Rockelementen zu experimentieren und Musikstücke in epischer Ausdehnung zu kreieren. Hinzu kam neben vielen Boxen und Verstärkern der enorme instrumentelle Aufwand. In Deutschland lag der Ursprung dieses Trends, und er erfuhr hier auch die größte Akzeptanz und Verbreitung. Wen wundert es da, dass international die Richtung den Namen »Krautrock« bekam?

Der aufwendige Stil schlug sich auch auf das Schlagzeug nieder. Mir erschien die Bezeichnung »Schlagzeug« angesichts des Ungetüms auf der Bühne gar nicht mehr angemessen zu sein. »Bollwerk«, mindestens »Schlagfestung« wäre die treffendere Umschreibung gewesen. Für mich war das eine ausgezeichnete Spielwiese, auf der ich unbedingt dabei sein wollte. Endlich einmal richtig Krach machen und mein Handwerk umfassend ausleben!

Musikalisch gab es nie irgendwelche Vorbilder für mich, aber der Vergleich meiner Fähigkeiten mit jenen anderer reizte stets mein Ego, so auch hier. Deshalb ergriff ich sofort die Chance, bei der 1970 in Varel gegründeten Krautrockformation Silberbart einzusteigen, als der Drummer Gerd Bäcker die Band 1971 verließ.

Der verbliebene Rest und ich kannten einander schon länger. Die Ursache dafür lag darin, dass der Bass zupfende Werner Klug seine Haare hüftlang trug, meine evolutionären Fellrestbestände des Hauptes ebenfalls weit über Nackenlänge ragten und der die Gitarre bedienende Hans Joachim »Hajo« Teschner, der außerdem für den Gesang sorgte, eine ungebändigte Wuschelmähne sein Eigen nannte. Im kleinstädtischen, circa 20.000 Einwohner umfassenden Varel galten wir damit als Exoten, die sich durch ihre Exklusivität fast zwangsläufig zusammenrotteten. Man lese, zähle zusammen und staune: Es war wieder ein Trio! Die Namensfindung der Band hatte sich schwieriger gestaltet als erwartet. Englisch lautende Kreationen waren angesagt nach den Vorgaben The Who, The Rolling Stones, The Beatles, The …, The …, The … Das ging zwar am Geschmack der Mitglieder vorbei, aber eine zündende Alternative fiel ihnen auch nicht ein, bis Teschner an einem Heiligabend zum Bandtreffen einlud. Nachdem der Genuss von reichlich Alkohol eine ausgelassene Stimmung gebracht hatte, gesteigert und abgerundet durch kreisende Tüten, die ich aber ablehnte, schnappte sich der Gitarrist übermütig Lametta vom weihnachtlichen Traditionsnadelgehölz und legte es sich über seinen üppig sprießenden Bart. Im allgemeinen Gelächter schlug jemand – ich weiß gar nicht mehr wer, vielleicht sogar ich – vor: »Mensch, das ist es! Wir nennen uns Silberbart!«

Die Zusammenarbeit gestaltete sich in kreativer Hinsicht ganz erfolgreich. Wir nahmen als Erste in der Region eine Langspielplatte auf mit dem Titel 4 Times Sound Razing und bekamen dadurch zusätzlich zu den Gigs im näheren und etwas weiteren Umkreis von Varel auch Möglichkeiten, jenseits der Frieslandgrenzen unser Können zu zeigen.

Leider verschlangen allein die Fahrten zu den Auftritten wegen des großen Instrumenten- und Equipmenttrosses dermaßen viel Kohle, dass, obwohl wir uns sehr knapp hielten und zum Beispiel verzweifelt versuchten, im Tourbus in den Schlaf zu finden, nichts übrig blieb. Um einmal einen konkreteren Eindruck zu vermitteln: Für einen Gig in Nürnberg krabbelte eine Gagenzahlung von 600 DM auf die Habenseite. Auf der Sollseite standen jedoch mindestens die Mietgebühr für den Transporter, der aufgrund der opulenten Instrumentenausstattung groß sein musste, die Treibstoffkosten und die Kreditraten für die noch nicht bezahlten Verstärker, Boxen etc. War am Ende der Abrechnung für uns noch ein gutes Mittagessen drin, zählte das in jenen Tagen als Erfolg.

Während der Krautrockepisode begann ich im Alter von 25 Jahren, erstmals Alkohol zu trinken und Zigaretten zu rauchen. Ich kann mich nicht mehr erinnern warum. Vielleicht hatte sich in meinem Oberstübchen der Gedanke festgesetzt, dass es in dieser drogengeschwängerten Zeit das Mindeste war, derartige Alltagsgenussmittel zu konsumieren.

So ziemlich alle Musikstücke entstanden unter dem Einfluss des Rauchens von getrocknetem, in Papier gehülltem Hanfkraut, wodurch angeblich eine bewusstseinserweiternde, bemerkenswert farbenfrohe Ebene hervorgezaubert wurde, auf der die wahre Genialität zu Hause war. Sprich, man hielt sich für unerreichbar gut und in der Lage, die auf dem Trip intensiven visuellen Empfindungen akustisch umzusetzen. Das konnte am nächsten Tag, bei klarem Verstand, wieder ganz anders aussehen. Die Euphorie über die eigene schöpferische Kraft schlug dann nicht selten um in das kleinlaute Eingeständnis: »Was haben wir denn da für einen langatmigen Müll zusammengejammt?«

Eindeutige Merkmale des Krautrocks, zu dessen Vertretern unter anderem Can, Amon Düül und zu Anfangszeiten auch Kraftwerk zählten, waren schwer auszumachen. Es existierte keine einheitliche Richtung, weder im Stil noch im Look. Es bot sich als Basis am ehesten der Hang zum Experimentellen, zur Improvisation und zur epischen Länge an. Jeder konnte sich im Gefüge eines Stückes individuell austoben.

Im Sammelbecken des Stilragouts Krautrock befand sich Silberbart in der tonalen Gewürznote Psychedelic, das heißt, wir mieden durch die Wahl komplexer Strukturen oftmals den einfachen Aufbau des Rock ’n’ Rolls, probierten Rückkopplungs- und Echoeffekte aus, variierten Geschwindigkeiten oder grübelten lange über neue Klangkompositionen nach, um möglichst Interessantes, Innovatives zu liefern.

Trotz vielfacher Improvisation und Hallu-Trips galt bei uns der Grundsatz, dass das Handwerk stimmen musste, wozu Disziplin unverzichtbar war. Wir verloren bei aller Individualität keineswegs die Fans aus den Augen, und ich beobachtete diese während eines Konzertes genau. Nur bemaß sich der Raum, unmittelbar auf Stimmungen reagieren zu können, äußerst sparsam, weil die Stücke lang ausfielen. Es bestand lediglich die Möglichkeit, bei folgenden Auftritten die Titelreihenfolge anzupassen.

Kein einziges Mal in meinem gesamten Musikerleben wagte ich mich daran, eigenes Material zu entwickeln. Der Gedanke, zur Feder zu greifen, stand im Dauerstau, was meine Bitterkeit befeuerte.

Mir war es einfach nicht vergönnt, schreiben zu können, wofür mir letztendlich die Erklärung fehlte. Vielleicht kam meine Unzufriedenheit aber auch daher, um die Ursache der Kreativbarriere zu wissen, aber den Mechanismus zum Lösen der Bremsen namens Eifer und Ehrgeiz vergessen zu haben.

In der Silberbart-Phase versagte sowieso mein Selbstvertrauen, schöpferisch initiativ zu werden, weil Klug und allen voran Teschner das Hamburger Konservatorium besuchten, was mein finanzielles Budget überstieg. Die beiden waren in meinen Augen also die »Männer vom Fach«, denen es oblag, professionell die Kompositionen und Texte zu entwerfen.

Ich lebte permanent von der Hand in den Mund, nahm diesen Lebenswandel aber aufgrund der Unabhängigkeit gerne in Kauf. Mir stand nicht vordergründig der Sinn danach, Reichtum anzuhäufen. Ich wollte nur spielen, spielen, spielen, lernen, lernen, lernen.

Schlussendlich gab die finanzielle Misere den Ausschlag für die Auflösung der Band Ende 1972. Die originale Silberbart-Vinylscheibe – eine Nachpressung existiert mittlerweile ebenfalls – erzielt bei Plattenbörsen einen Preis von bis zu 600 Euro, was mich schon ein wenig stolz macht.