Peter Weiss - Bremer Verortungen - Anne E. Dünzelmann - E-Book

Peter Weiss - Bremer Verortungen E-Book

Anne E. Dünzelmann

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Beschreibung

Einen Großteil seiner Kindheit verbrachte Peter Weiss in Bremen und zwar in verschiedenen Stadtteilen. Besonders prägte ihn die Zeit in der Neustadt, mit ihrer Nähe zum Hafen. Die hier erhaltenen Eindrücke haben deutlich Spuren in seinem Schaffen als Maler und Autor hinterlassen, wie z. B. in seinem Hauptwerk Ästhetik des Widerstands. Daher erhält dieser Zeitraum eine spezifische Bedeutung. Vor allem ist hier endlich nachzulesen, welches Gymnasium er in Bremen besucht hat. Peter Weiss selbst bezeichnete sich als verlorenen Sohn dieser Stadt.

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Kartenauszug Bremen

1 Grünenstraße

2 Marcusallee

3 Außer der Schleifmühle

4 Horner Straße

5 Sögestraße

6 Peter Weiss-Straße

Inhalt

I

Die Eltern

Przemyśl und Nowawes

II

Bremen – ein Neuanfang

Grünenstraße

Marcusallee

Außer der Schleifmühle

Horner Straße

III

Von Ort zu Ort

IV

Nach 1945

Gespaltene Erinnerungen

Bremer Reminiszenzen

V

Anhang

Die Geschwister

Dokumente

Anmerkungen

Abbildungsnachweise

Bibliografie

I

Die Eltern

Franziska Frieda Weiss

geb. Hummel, gesch. Thierbach

Geb. 1885 in Basel, gest. 1958 in Bad Oeynhausen, beerd. in Alingsås.

Frieda war die älteste Tochter eines protestantischen Uhrenfabrikanten aus Eningen unter Achalm bei Reutlingen. Er heiratete im schwarzwäldischen Furtwangen eine Katholikin, die bei der Eheschließung zum Protestantismus konvertieren musste. Zunächst lebte das Paar in Basel, wo auch die insgesamt sechs Töchter geboren wurden mit deutscher Staatsangehörigkeit (entsprechend dem Schweizer ius sanguinis), ab 1898 in Straßburg. Hier wurde Frieda Mitglied der Schauspielschule am Deutschen Theater. (PWA 1609) 1905 verheiratete der inzwischen verwitwete und äußerst strenge Vater die zwanzigjährige Frieda mit dem deutlich älteren, aber vermögenden Ernst Thierbach in Düsseldorf. Das Paar hatte zwei Söhne, Arwed und Hans. 1912 ließ Frieda sich scheiden und ging mit den Kindern und der Hausangestellten Auguste nach Berlin, wo sie in der Spichernstraße lebten.

In Berlin nahm Frieda unter ihrem Geburtsnamen Hummel die Schauspielausbildung wieder auf. Nach einem Jahr Unterricht wurde sie 1913 von Max Reinhardt entdeckt und am von ihm geleiteten Deutschen Theater engagiert. Sie avancierte zu einer beliebten und anerkannten Schauspielerin. Zu ihren Kollegen und Freunden gehörte u. a. Fritz Murnau. (Vgl. Weiss-Eklund, Suche) Zu ihm, dem offen Homosexuellen, gab es zwar eine freundschaftliche Beziehung, mehr aber nicht. Hingegen wurde sie heftig umworben von dem gleichaltrigen österreichischen Textilkaufmann Eugen Weiß.

Eugen Weiß (Jenö Weisz)

Geb. 1885 in Nitra, Westslowakei, gest. 1959 in Gent/Belgien, beerd. in Alingsås.

Eugens Vater, ein jüdisch-orthodoxer Getreidehändler, ging mit der Familie 1895 nach Wien und schrieb sich fortan Weiß. Hier ließ sich Eugen zum Textilkaufmann an der Export-Akademie ausbilden. Danach war er in der Exportabteilung einer nordböhmischen Spinnerei und Weberei tätig, anschließend in Wien Verkaufschef. Von 1909 bis 1914 lebte er in Südamerika und konnte dort langanhaltende Verbindungen knüpfen. 1914 hielt er sich in Berlin auf, wo er während einer Theatervorstellung sich in die Schauspielerin Frieda Hummel verliebte und sie heftig umwarb. Die Verlobung mit ihr bedeutete auch die Trennung von seiner damaligen jüdischen Freundin in Wien.

Przemyśl und Nowawes1

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs veränderte die Situation dramatisch. Frieda blieb in Berlin, während Eugen als k.u.k. Oberleutnant in der Garnison Lemberg (Lwiw) eingesetzt wurde, und zwar in der von einem Festungsring umgebenen Stadt Przemyśl. Schon bald musste nach starker Belagerung von September 1914 bis März 1915 durch russische Truppen der Festungsbereich aufgegeben werden. Im Sommer 1915 wurde Przemyśl zurück erobert.

1 Beschädigtes Fort in Przemyśl

2 Frieda + Eugen Weiß nach der Heirat 1915

Die damit verbundenen Kämpfe veranlassten Eugen am 5. Mai 1915 ein Testament zu verfassen. (PWA 1612) In Fluchtpunkt zitiert Peter Weiss neben einigen Verfügungen diese im Brief enthaltenen Textstellen: »Mein sehnlichster Wunsch war, noch einmal aus diesem Krieg nachhause zu Dir zu kommen (...) Die Sachen in meiner Wohnung sind alle zu deiner Verfügung. Und der Ring von dir, den ich am Finger habe, ich hoffe, du erhälst ihn wieder«. Nach einer schweren Verwundung in den Kampftagen Anfang Juni ließ er das Testament mit einem Feldpostbrief seiner Verlobten Frieda zustellen. Sie holte Eugen umgehend unter vielen Mühen zur Gesundung nach Berlin. Im August heirateten beide mutmaßlich nach jüdischem Ritus in einer Berliner Synagoge.

Während Eugen zu seinem Regiment in Przemyśl zurückkehrte und dort eine Militärwerkstatt leitete, bezog Frieda mit ihren zwei Söhnen und Auguste in Nowawes an der damaligen Berliner Straße Nr. 146 eine von vier Wohnungen in der Villa Tannwald. Das zugehörige Wohngebiet liegt zwischen Bahnstrecke und Griebnitzsee und weist eine lockere Bebauung mit Gartengrundstücken auf. In diesem Haus wurde am 8. November 1916 das erste Kind der Eheleute Weiß mit Hilfe einer Hebamme geboren: Peter Ulrich. Da dieser nach der Geburt nicht beschnitten worden ist, wird es auch keine Kontakte zu einer Synagogengemeinde im Raum Berlin gegeben haben. Nach der anscheinend sicheren Verlagerung der Front Richtung Osten hielt sich auch Frieda mit Familie von April 1917 bis kurz vor Kriegsende in Przemyśl bei ihrem Mann auf, unter Beibehaltung der Wohnung in Nowawes.

3 Geburtshaus Berliner Straße 146 (aktuell Rudolf-Breitscheid-Str. 232)

4 Peterle mit Elefant um 1919

Gegen Endes des Krieges reiste EW nach Bremen, um dort im Auftrag des Militärs geschäftliche Transaktionen zu erledigen. Möglicherweise war damit der Plan vebunden, den späteren Wohnsitz in die Handelsstadt Bremen zu verlegen und sich dort eine Existenz dank seiner Beziehungen aufzubauen. Er quittierte seinen Dienst in der aufgelösten habsburgischen Armee und nahm bei der Gründung der ČSR die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit an, die dann auch Peter und die nachfolgenden Geschwister erhielten. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Frieda mit den Kindern ebenfalls im Bremer Raum auf, so im Hotel Nordischer Hof in der Bahnhofstraße 13/14, Ecke Breitenweg. Wegen der November-Revolution 1918 kehrte sie allerdings 1918/192 mit den Kindern wieder nach Nowawes zurück, wo sie bis zum Herbst 1919 blieb. Danach lebten alle erneut in Bremen, und zwar zunächst in einer Fremdenpension in der Straße Fedelhören 51(?). Dort freundeten die Eltern sich mit Fritz Wiegand an, der in Abschied öfters genannt wird und den Peter damals als eine Art Vateridol ansah.

Zur Erinnerung an den Aufenthalt von Peter Weiss in Nowawes wurde auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung in Potsdam an seinem Geburtstag 8. November 2010 der Peter-Weiss-Platz eingeweiht. Das Geburtshaus von PW in der heutigen Rudolf-Breitscheid-Straße 232 wurde inzwischen vollständig renoviert und befindet sich in Privatbesitz. Im Eingangsbereich des nunmehr denkmalgeschützten Hauses weist eine Tafel auf Peter Weiss hin.

II

Bremen – ein Neuanfang

Mit dem Umzug nach Bremen setzte ein Prozess ein, der den Kindern einiges an räumlicher Um- und Neuorientierung abverlangte. In Bremen verortete sich die größer werdende Familie in den nächsten 10 Jahren in vier unterschiedlichen Habitaten, so wie es ihren sozio-ökonomischen Verhältnissen entsprach. Signifikant ist, dass Bremen keine ganzheitliche Folie bildete. Jeder Wechsel von einem Habitat in ein anderes machte eine Neuverortung notwendig und führte zum Abbruch mit dem Gewesenen. Denn jeder Stadtteil besaß eine eigene Struktur, die Gegangene ausschloss. Hier werden die Verortungen Grünenstraße, Marcusallee, Außer der Schleifmühle und kurz Horner Straße aufgezeigt, in Verknüpfung mit den tatsächlichen Fakten. Jeder Stadtteil war ein Raum, der PW zum Teil stark beeinflusst und auf sein Schaffen eingewirkt hat. Das trifft in besonderem Maße auf das Neustädter Zeitfenster zu. Denn als »grundlegende Bilder« haben sich die »Fabrikgebäude, Werften, Hafenanlagen« in sein Gehirn eingeritzt und sind »in Träumen ganz deutlich wieder heraus[ge]kommen«, so PW anlässlich der Verleihung des Bremer Literaturpreises. (Emmerich) Von daher erhält die Zeit in Bremen auch ihre spezifische Relevanz.

Grünenstraße

in der Alten Neustadt

Die Neustadt wurde im 17. Jahrhundert als Stadterweiterung am linken Weserufer angelegt und mit Befestigungsanlagen versehen, um die Stadt und den Hafen zu schützen. Später wurde das Areal Alte Neustadt zum Stadtteil Neustadt mit mehreren Ortsteilen erweitert. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden auf dem zugeschütteten Neustadtsgraben Grünanlagen sowie Kasernen und Exerzierplätze. Die Alte Neustadt gehört nicht zum Hafenbereich, der befindet sich jenseits der Bahnstrecke auf der rechten Weserseite (aktuell Stadtteil ›Häfen‹), war aber vom Hafen geprägt. Weserseitig wurde sie seinerzeit durch eine Eisenbahn-Drehbrücke abgegrenzt, der letzten Brücke vor der Nordsee. Auf der neustädtischen linken Seite und jenseits der Bahn liegt gut erreichbar der Mitte des 19. Jahrhunderts als Winter- bzw Sicherheitshafen angelegte Hohentorshafen. Mit dem Bau der Hafenanlagen auf der rechten Weserseite seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte er sich zum Werftstandort mit kleineren Betrieben. Größere Werften wie die AG „Weser“ lagen weit entfernt auf der rechten Weserseite flussabwärts. Südlich der Brücke ist die Weser nur noch für Binnenschiffe bzw. Lastkähne, Ausflugsschiffe und Boote schiffbar. Die dortigen Anlegestellen und Löschanlagen für das Braugewerbe gehören ebenfalls zum Hafenbereich. Die demografische Struktur war kleinbürgerlich geprägt und keineswegs proletarisch. Beispielhaft dafür war die Grünenstraße mit ihren unterschiedlichen Bewohnern.

1 Grünenstr. 23

2a Häschenstraße

2b Kurze Straße

3 Am Deich

4 Brautstraße

5 Große Allee

6 Grünenkamp

7 Kleine Allee

8 Neustadtswall

9 Kasernen

10 Osterstraße / Westerstraße

11 Kaiserbrücke

12 Teerhof