Petergstamm - Inge Glaser - E-Book

Petergstamm E-Book

Inge Glaser

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Beschreibung

»Petergstamm«, das neue Buch der Salzburger Autorin Inge Glaser, ist die Geschichte einer jungen Familie, die es aus der Steiermark nach Salzburg verschlagen hat und die den Weltereignissen zum Trotz ihr kleines Glück zu erhalten versucht. Den zeitlichen Rahmen bilden die Jahre zwischen 1937 und 1945. »Der Funker«, so nennt die Autorin ihren Protagonisten, ist Berufssoldat im österreichischen Bundesheer der Ersten Republik. Im Ennstal als ungeliebtes Kind aufgewachsen, kann er 1937 auf einer Schiffsreise im Mittelmeer sein Fernweh stillen. Wenig später tritt die »Junglehrerin« in sein Leben. Beide wünschen sich, bald zu heiraten und eine Familie zu gründen. Im März 1938 legt der »Funker« als österreichischer Patriot nur mit Widerwillen den Soldanteneid auf Adolf Hitler ab. Die Ablehnung des Nationalsozialismus behindert seine Karriere nachhaltig. Innerlich zerrissen zwischen christlicher Überzeugung und soldatischer Pflicht gerät er immer wieder in schwierige Situationen. Inge Glaser lässt stimmungsvolle Naturschilderungen und den trotz des Krieges kaum beeinträchtigten Familienalltag in Salzburg mit den politisch-militärischen Ereignissen der Zeit in Form »harter Schnitte« aufeinanderprallen. Dabei zeigt die Autorin in ihrem kaleidoskopischen Text die Verdrängung der Kriegsrealität und richtigerweise auch, dass die Reflexion über Verantwortung, Verstrickung und Schuld in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren bestenfalls in Ansätzen stattgefunden hat. Es ist die Geschichte und das Lebensgefühl der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in dem Buch lebendig werden, es ist das kleine Leben, das doch so groß ist.

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© 2015

Praesens Verlag, Wien

www.praesens.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom verwendeten ebook-Reader kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7069-3002-4

ISBN Print 978-3-7069-0817-7

1937

Schiff ahoi!

Stolz liegt sie da, dieRex, in ihrem Heimathafen – zur Ausfahrt bereit. Ein Funker aus Österreich lehnt an der Reeling. Hinter ihm die rauchenden Schornsteine. Er ist in Zivil und auf Ur­laub. Was für ein Urlaub! Lange und hart gespart darauf, und nun der Traum in Wirklichkeit! Und doch alles so unwirklich. Er schlendert vor zum Bug. Viele Kilometer Luftlinie entfernt die Kaserne – Kameraden wünschten ihm Glück für die Reise. Von Neid keine Spur. Doch sie konnten es sich nicht verknei­fen, die Vorzüge anzusprechen, wenn man ungebunden ist. Ohne Weib und Kind, meinten sie, wäre vieles einfacher. Einfa­cher? Gewiss, aber den Preis dafür, die Einsamkeit, hatten sie vermutlich nicht auf ihrer Rechnung. Ohne Weib und Kind? Fast auf den Tag genau in fünf Jahren wird er einen Sohn ha­ben, aber das weiß er nicht. Der Mann schaut in die Tiefe. Kein Glück bei Frauen – sein Los? Bald würde das Signal zum Aus­laufen ertönen. Noch ist er voll von den Eindrücken, die er aus Monte Carlo und der Riviera mitnahm. Ganz zu schweigen von Venedig – die Gondelfahrt, der Markusdom, alles wie im Mär­chen. Erstmals in seinem Leben sieht er das weite Meer, erst­mals Palmen, erstmals verspürt er südländisches Flair … Auf­gewachsen zwischen schroffem Gebirge an den Ufern der Enns, die sich auf ihrem Lauf durch den Fels hindurch plagt, eröffnet sich ihm nun eine neue Welt.

Wenn ihn jetzt der Vater sehen könnte! Und die Mutter? Er blickt hinauf in den tiefblauen Himmel. Nachts, wenn sich die Sterne zeigen, wird er mit ihr Zwiesprache halten. Den italieni­schen Stiefel einmal zu umrunden – als Bub träumte er schon davon, wenn er oft auf der Landkarte mit dem Finger die Wegstrecke rund um die Apenninenhalbinsel entlang fuhr. Vor einigen Jah­ren, während einer Faltbootfahrt auf der Mur, erzählte er Em­merich von diesem Traum. Da würdest du aber lange paddeln müssen!, meinte der Freund, und bei hohem Wellengang …? Was du denkst!, fiel ihm der Funker damals ins Wort, nicht mit dieser Nussschale da! Auf einem großen Dampfer! Weißt du, was das kostet?, gab Emmerich zu bedenken. Das wusste der Funker, und er sparte und sparte und sparte …

Sein Reisekamerad gesellt sich zu ihm. Woran denkst du?, reißt ihn dieser aus seinen Gedanken. Die Rex – ist sie nicht eine Pracht? Der Funker nickt. Vor fünf Jahren der Stapellauf! Kö­nig Viktor Emanuel III. und Königin Elena tauften das größte Passagierschiff, das jemals in Italien gebaut wurde. Ein politi­sches Symbol des italienischen Faschismus? Ja, ja – der Funker überlegt. Doch daran denkt er jetzt nicht. Eher an das Blaue Band, das dieser prächtige Kahn schon ein Jahr nach der Jung­fernfahrt eroberte. So musste es die Bremen, die vormalige Re­kordhalterin, abgeben. Erst vor zwei Jahren ging es dann an die französische Normandie. Was du nicht alles weißt, staunt der Kamerad. Fragt sich nur, wo der »Fiesko« bleibt, der Funker schaut auf die Uhr. Fiesko?, sein Begleiter ist irritiert. Keine Ahnung, wie unser Führer wirklich heißt, meint der Funker, du bist doch der Spezialist für Schiller. Der Führer ist noch bei der Verschwörung! Diese Antwort sollte ein Scherz sein, doch der Reiseleiter hört vermutlich nur einen Sprachfetzen und steuert sogleich auf sie zu – die beiden sind erst in Genua zu ihrer Rei­segesellschaft gestoßen. Die Herren Unteroffiziere? Alles zu Ihrer Zufriedenheit? Alles bestens, bestätigt der Funker. Sollten Sie Lust haben, in die Zukunft zu schauen – an Bord ist eine Wahrsagerin, die auch deutsch versteht. Doch der Funker will das gar nicht.

Als die beiden auch noch erfahren, was so eine Vorhersage kos­tet, lassen sie es sein. Die Wahrsagerin ist hartnäckig, bedeutet ihnen, doch zu bleiben. Der hübsche Funker gefällt ihr.

Vielleicht kostenlos? Sie sieht die beiden fragend an. Der Rei­sekamerad will sogleich wissen, ob sie denn heil in Neapel an­kommen würden. Ein Rippenstoß des Funkers ist die Folge. Das kann ich dir auch sagen – ohne diese Frau hier! Er will doch nicht die Wahrsagerin verärgern? Also, wann geht das Schiff unter? Der Kamerad lässt nicht locker. In sieben Jahren kommt prompt die Antwort. Ah, meint der Funker, da ist es ohnedies schon eine alte Dame. Eisberg?, scherzt der Kamerad. Feuer!, erwidert die Frau sehr bestimmt. Solange es nicht vom Himmel fällt und wir nicht betroffen sind, entgegnet er belustigt. Eine Wahrsagerin nicht ernst nehmen? Ist es das, worauf die beiden aus sind? Die Frau sieht den Funker nachdenklich an. Sie sind Soldat?, fragt sie dann. Und wenn schon, fährt der Kamerad dazwischen, das Ärgste hat Europa schon hinter sich. Der Weltkrieg ist Geschichte, und jetzt schauen wir nach vorne. Wir melden uns, wenn Sie mit dem Schiffsuntergang Recht behalten haben werden.

Dann gehen die Männer. Obwohl – da wäre schon so einiges, was der Funker gerne gewusst hätte. Nichts Privates, aber … Ob die Deutschen unser Land kassieren? Kann der Reisegefährte Gedanken lesen? Erraten, oder? Der Funker nickt. Auf Mussolini kann man nicht mehr bauen, der hängt sein Mäntelchen stets nach dem Wind!, ereifert er sich. Nach dem Dollfuß-Attentat schickt er Divisionen an die Brennergrenze, um die Unabhängigkeit Österreichs zu verteidigen. Und jetzt, wo ihn die Deutschen beim Abessinien­krieg unterstützen, gibt er die Beschützerrolle auf? Das Juliab­kommen vom vorigen Jahr, das uns garantiert hätte, dass sich die Deutschen nicht in unsere Angelegenheiten einmischen, ist auf einmal null und nichtig. Schon vergessen? Dieser römische Imperator, der sich »Duce« schimpft, bedrängt doch jetzt schon unseren Bundeskanzler, sich mit den Deutschen zu vereinen. Mensch, wir sind im Urlaub, und verhindern lässt sich das oh­nedies nicht mehr!, der Kamerad klopft ihm auf die Schulter. Ja, ja, genau das hat der Herr Reichsluftfahrtsminister Göring dem Duce auch gesagt, erwidert der Funker resigniert.

Sie gehen wieder an Deck, lassen sich die Seeluft um die Nase wehen. Möwen hört man kreischen. Der Kamerad wartet auf La Spezia und Livorno. Sie entfernen sich mehr und mehr von der Küste. Livorno?, der Funker stutzt, du meinst doch nicht die Wiege des italienischen Kommunismus? Nein, doch auch, das heißt, was dazwischen liegt! Ja, was liegt zwischen Kom­munismus und was sonst noch …? Jetzt werde nicht politisch, ich meine Viareggio, das liegt zwischen diesen beiden Städten! Ja und? Was ist damit? Weißt du, wer dort vor Jahren auf Ur­laub war?, fragt der Kamerad den Funker. Sollte ich? Wahr­scheinlich der Dollfuß mit dem Duce, nein, die haben sich doch meines Wissens in Rom getroffen. Der Hitler? Vielleicht der Mozart oder der Goethe – die reisten doch auch nach Italien! Sogar mehrmals. Aber mit der Postkutsche – das muss eine Quälerei gewesen sein, sinniert der Funker. Ich meine den Mann, berichtigt der Kamerad! Welchen Mann?, fragt der Fun­ker ganz entgeistert, also geheime Kommandosache? Wir sind im Urlaub, und Spitzel sehe ich auch keine weit und breit, und der Mann ist dir offensichtlich kein Begriff. So ist das eben, wenn man bei Rosegger literarisch hängen geblieben ist!, spot­tet der Kamerad. Ah, du meinst »Zither und Hackbrett«?, ätzt der Funker, der weiß, dass sein Kamerad den Rosegger nicht ausstehen kann. Vielleicht auch, weil er ihn hin und wieder mit Sprüchen des Waldschulmeisters vergrault, wenn der andere ihn mit Zitaten aus den Schiller-Balladen nervt. Die konnte er schon in der Schule nicht ausstehen, sieht man von der »Bürg­schaft« und den »Kranichen« ab. Aber sag´ schon, meint der Funker versöhnlich, welcher Herr Mann soll denn das sein? Der Thomas Mann! Sagt dir nichts? Der Funker schüttelt den Kopf. Eigentlich will er die Abendstimmung genießen, auch ein wenig für sich allein sein.

Er hat seine Papierschiffchen vor Augen, die er als Kind oft in den Bächen schwimmen ließ – bis ans Meer kamen sie nie, denn bald schon saugten sie sich voll und gingen unter … Die Rex ist da schon etwas ganz anderes. Ob sie in sieben Jahren auch volllaufen und untergehen wird? Doch die Wahrsagerin sprach von Feuer! Kanonenfeuer? Der Funker verwirft diese Vorstellung und denkt an Emmerich. Wenn er doch jetzt hier sein könnte. Seit er vor acht Jahren mit ihm zugleich einrückte, ist er sein bester Freund, obwohl sich bei ihm schnell Stern an Stern reihte und er selbst, wenn es galt, Funkstationen zu er­richten, immer er der Kommandant war und nicht Emmerich. Da war und ist kein Neid zwischen ihnen. Emmerich – ein Träumer? Zuweilen hat es den Anschein. Er ist sehr belesen und ständig verliebt …

Das Abendessen! Der Funker verspätet sich. Er kann nicht ge­nug bekommen vom Meer. Ob die Wiedereinführung der Mon­archie die Rettung wäre? Ach, auch die Mitreisenden politisie­ren. Nein, unser Untergang!, erwidern andere bestimmt. Wie schön, Landsleute zu hören! Auf den Duce ist Verlass, meinen wieder welche, als sich ein Kellner nähert. Da kann sich der Funker nicht mehr zurückhalten: Und was ist mit Äthiopien? Vielleicht bekommt er Lust auf Österreich? Und setzt vielleicht zu diesem Zweck wieder Giftgas ein?, ergänzt ein Reiseteilneh­mer und fragt den Funker: Bist du ein Steirer? Warum? Ja, was glaubst du denn, was Hitler für ein Verlangen nach eurem Erz­vorkommen hat. Der vordergründige Beweggrund, dass Blut zu Blut gehöre, glaubt ohnedies kein Mensch mehr. Dem Reiselei­ter wird unbehaglich, schnell wechselt er das Thema. Während des Essens aber wird Gott sei Dank geschwiegen.

Bevor sich der Funker zur Ruhe begibt, genießt er noch den Sternenhimmel an Deck. Den Mondaufgang will er noch ab­warten. Schon gestern war Frau Luna in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Bald würde sie sich zeigen, gestern schon war die Schei­be voll. Er trägt seinen Militär-Taschenkalender, für die »bewaffnete Macht Österreichs« be­stimmt, mit sich. Darin sind nicht nur die einzelnen Tage zu finden, sondern auch die Mondphasen und dazu leere Seiten für Eintragungen. Von Woche zu Woche auch Textstellen aus dem Evangelium. Jetzt steht zu lesen: Ich gehe zu dem, der mich ge­sandt hat. Joh. 16, 5-14. Damit kann der Funker im Augenblick nichts anfangen. Der Mond wirft eine helle Lichtstraße über das Meer. Die Welt ist schön! Das Schiff hat volle Fahrt aufge­nommen.

Im Mondenschein verblasst der gestirnte Himmel etwas. Den­noch hält er mit einem Stern Zwiesprache! In seiner Kindheit bedeutete man ihm, er sollte mit dem Abendstern reden, da würde ihn die verstorbene Mutter hören. Doch der blieb oft aus. So suchte er sich dann selbst seinen Mutterstern. Und bei dieser Unzahl fand sich immer einer. Auch jetzt tastet er das Sternenheer ab – bei einem bleibt er hängen: Mutter, was sagst du dazu, in sieben Jahren soll es diesem Kahn an den Kragen gehen … Dem Funker geht die Antwort der Wahrsagerin nicht aus dem Sinn. Woher will sie das wissen? Ein Schiffsbrand? Doch ein Kanonenfeuer? Dass nach vierundzwanzig Jahren seine Tochter die gleiche Fahrt nach Neapel – allerdings mit der Christoforo Colombo – antreten und er bereits Großvater sein würde, hätte die Wahrsagerin ihm vielleicht auch prophezeit. Auch dass der Vesuv zu dieser Zeit seine Pfeife ausgeraucht haben würde. Aber – hätte er ihr geglaubt?

Als aber am nächsten Morgen Neapel immer näher in Sichtwei­te kommt, ist von diesem Feuerberg noch eine gehörige Rauch­fahne zu sehen – wie es sich für einen richtigen Vulkan nun einmal gehört. Vielleicht hätten wir die Dame fragen sol­len, wann er wieder ausbricht, meint der Funker. Das kann ich dir sagen, triumphiert der Kamerad, heute nicht, morgen nicht, und auch nicht übermorgen, und es kann uns eigentlich gleichgültig sein, wann er wieder Feuer und Asche spuckt, wir sind dann ohnedies über alle Berge …

Endstation für das Schiff! Dem Funker fällt der Abschied schwer, er kann sich kaum von ihm trennen. Eingehend be­trachtet er noch einmal die hohen, mit roten und grünen Streifen bemalten Schornsteine. Nun qualmen sie nicht mehr. Für die Weiterfahrt nimmt die Reisegruppe ein anderes Schiff. Zuvor aber wird noch ausgiebig die Stadt samt Umgebung erkundet. Die beiden Männer kommen aus dem Staunen nicht heraus. Mit Interesse hören sie die Ausführungen des Reiseleiters, des Fiesko, wie die beiden Reisekameraden ihn nun seit der Ein­schiffung in Genua nennen. Der riesige Golf mit den vielen Schiffen! Darüber thront der Berg, dann diese eine ausgegrabe­ne Stadt, die er neben zwei anderen verschüttet hat. Ob er in sieben Jahren wieder speit und die Rex mit einer Feuerwalze in Brand steckt? Wir haben vergessen zu fragen, wo das passieren soll, fällt dem Funker ein. Verfolgt dich diese seltsame Voraus­sage immer noch?, fragt der Kamerad.

Angesichts des herrlichen Frühlingstages, der sie mit unver­gleichlichen Eindrücken überschüttet, kommen sie bald wieder auf andere Gedanken. Es duftet aus den Orangen- und Zitro­nenhainen. Ginster taucht die Berghänge in sonniges Gold. Al­les herum sieht zauberhaft aus. Am liebsten würden sie singen, nein, tanzen. Einen Walzer vielleicht? Mit wem?, der Funker sieht seinen Kameraden fragend an, denn kein weibliches We­sen ist in ihrem Umkreis zu sehen. Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?, träumt der Funker so vor sich hin. Ja, jetzt kennen wir es, den Kameraden verwundert diese seltsame Fra­ge und schüttelt den Kopf. Oder meinst du den Strauß-Walzer, bohrt er nun nach. Ja, den auch! Ach so, der heißt aber: Wo die Zitronen blühen! Der Funker ist etwas geistesabwesend, scheint Selbstgespräche zu führen. Er ist dabei, Briefmarken aufzukleben. Einige Ansichtskarten von der Rex hat er noch schnell vor der Ankunft in Neapel erstanden. Für den Vater ist keine vorgesehen. Nun summt er die schon erwähnte Walzer­melodie vor sich hin. Zumindest den Anfang … Ach, war der Strauß auch in Italien? Der Funker unterbricht seine Tätigkeit: Sehr wohl, ist auch noch nicht so lange her. Streber!, nennt ihn nun der Reisegefährte. Wegen der Zitronen?, fragt der Funker.

Was soll er ihr schreiben? Er kennt sie kaum – sieht man von einem Foto und den vier Briefen ab. Versprochen ist verspro­chen, also schreibt er. Sie würde Wolken schieben, dass er schönes Wetter hätte, versprach sie, und das Wetter ist bestens. Das mit den Zitronen schreibt er dann doch nicht auf die Karte, nur einen knappen Urlaubsgruß. Der Kamerad blickt ihm über die Schulter. Kenne ich sie? Er platzt vor Neugier. Keine Ant­wort. Schnell verstaut er die Postkarten in seiner Brusttasche. Nach den Führungen schlendern sie durch Weinberge und keh­ren schließlich ein.

Eine Junglehrerin mit dem Zeichenblock unter dem Arm ist auf dem Weg durch Weinberge – viele Kilometer Luftlinie vom Mittelmeer entfernt. »Dohrchen«, ihre Studienfreundin mit dem Familiennamen Dohr und nun Kollegin an der Klosterschule, ist mit dabei. Hat er wieder geschrieben?, fragt sie so beiläufig. Wer? Na, der geheimnisvolle Unbekannte? Irgendwann muss sie wohl Farbe bekennen. Er ist im Urlaub, erklärt sie. Aha?! Also Lehrer ist er demnach nicht. Bevor ihre Kollegin noch weiter bohrt, gesteht sie ihr, dass er Soldat ist. Soldat? Das glaube ich jetzt nicht! Ein Soldatenbräutlein also bist du! Von Braut kann nicht die Rede sein. Ich kenne ihn kaum! Eigentlich überhaupt nicht! Aha! Und wann gedenkst du, ihn näher kennenzulernen? Die Osterferien sind schon vorbei. Vielleicht nach seinem Urlaub? Die Junglehrerin überlegt: Soldatenbraut, wie sich das anhört … Ich dachte schon, überlegt Dohrchen, es würde vielleicht wieder ein Lehrerehepaar geben. Lehrerehepaar? Was redest du da für ein dummes Zeug, die Junglehrerin tut empört, alles muss ich meinen Eltern doch nicht nachmachen. Und der Lehrerinnenzölibat? Ach ja, ent­gegnet die Freundin, wir bleiben doch ledig – schon vergessen?

Vergessen, dass du uns diese Geschichte mit dem Brieferl­schreiben eingebrockt hast?, wehrt sich die Junglehrerin, und das alles nur, weil du glaubst, Brieffreundschaften bringen Ab­wechslung in unser Alltagsleben! Tun sie das vielleicht nicht? Wer wartet denn seit kurzem soooooo sehnsüchtig auf den Postboten?, trumpft Dohrchen auf, aber was ist mit Werner? Was soll sein?, kommt die ärgerliche Antwort. Der ist nicht nur Lehrer, sondern obendrein auch noch Künstler! Künstler? Den fragenden Blick der Junglehrerin versteht die Freundin nicht. Du malst, er malt, da kämen zwei Kunstseelen zusammen, er­klärt sie, schränkt aber humorvoll ein – du in Essig und Öl, er in …? In was? Ja, eben mit Wasserfarben! Wasserfarben? Noch nichts von Aquarellen gehört? Dohrchen gibt klein bei – sie wollte eigentlich Schmieragen sagen, aber das unterlässt sie jetzt, um die Freundin nicht noch mehr zu reizen. Sie kann es sich aber doch nicht verkneifen, darauf zu verweisen, dass die­ser Mann ganz vernarrt wäre in sie. Das sieht doch ein Blinder! Kunst hin oder her! Es sollte ein Spaß sein, wirft Dohrchen be­gütigend ein. Ein Spaß? Und was ist mit dir, warum hat bei dir noch keiner angebissen? Das hätte sie jetzt nicht sagen sollen. Die Freundin wird rot über beide Ohren. Der Junglehrerin ent­geht das nicht: Heraus mit der Sprache, du Schwindlerin! Die Briefbekanntschaften wollten eigentlich beide nicht ernst nehmen. Eigentlich …

Mit brennender Sorge …

Bevor es am nächsten Tag mit derVulcaniaweitergeht, trinken die beiden Männer am Abend noch reichlich Vino. Das löst die Zungen. Die Reisegruppe wird gesprächig. Da stiehlt sich der Funker nach draußen. Er will warten, bis der Mond aufgeht, auch wenn der nun schon eine kleine Delle hat. Dennoch reicht sein Licht, den Golf wundervoll zu fluten. Ist doch ein schönes Land, schwärmt der Kamerad, der nun auch gekommen ist. Bella Italia! Ein Königreich mit einem Mistkerl als Minister­präsidenten, wirft der Funker ein, und unsereViribus Unitisha­ben italienische Kampfschwimmer auch versenkt … Schon vergessen? So lass doch jetzt die Politik aus dem Spiel, wird er aufgefordert. Krieg ist Krieg und Frieden ist Frieden. Man könnte fast meinen, du traust diesem Volk nicht. Keine Ant­wort! Nach langem Zögern dann: Dem Volk schon, aber nicht seinem Führer! Welchen Führer meinst du?, fragt der Kamerad lauernd. Wieder keine Antwort. Schweigen. Der Funker denkt daran, wie Mussolini, der Duce, schon auf den österreichischen Bundeskanzler Dollfuß politischen Einfluss nahm und Druck machte, die Sozialdemokraten auszuschalten, bis es dann zum Bürgerkrieg kam. Jetzt macht noch ein anderer Führer Druck – der »böhmische Gefreite«, wie ihn der Reichspräsident Hinden­burg nannte, weil er sich offenbar in der Geographie nicht son­derlich gut auskannte und das böhmische Braunau mit dem ös­terreichischen verwechselte …

Was ist mit dem Thomas Mann, wechselt der Funker das The­ma, der Name hört sich jüdisch an. Ja und? Er hat eine Erzäh­lung geschrieben nach einem Italienurlaub, in welchem er mit den Einheimischen nicht die besten Erfahrungen gemacht ha­ben soll. Der Funker wird neugierig, schließlich war der Duce vorerst keineswegs mit Hitlers Judenhass einverstanden. Was war denn da so schlimm? Zum einen, berichtet der Kamerad, sollen die Italiener keine Freude mit den nackt badenden Kin­dern des Ehepaares gehabt haben, und zum anderen gab es da eine Zaubervorstellung, wo die Leute hypnotisiert wurden und in diesem Zustand lachhafte Dinge taten. Solltest du lesen! Warum? Ganz einfach, weil da Verführung eine Rolle spielt, und weil sich ein Verführter, nämlich der Mario, so heißt die Figur, sich das nicht gefallen lässt und sich rächt. Das also ist des Pudels Kern!, resümiert der Funker. Ich bitte dich, mault der Reisekamerad, nicht schon wieder Rosegger! Goethe! Faust, mein Lieber, um genau zu sein. Und ein Mephisto ist dieser von dir erwähnte Zauberer allemal. Aha, stutzt der Ka­merad, jetzt bringst du auch noch den Teufel ins Spiel! Ja, zum Kuckuck, um welches Spiel handelt es sich denn da überhaupt? Wer spielt da wen wie aus?, der Funker will einfach noch mehr darüber wissen. Erzähle ich dir dann morgen … Auch gut! Die Nacht ist viel zu schön, um sich mit Dingen aufzuhalten, die einen zurzeit hoffentlich nichts angehen. Das Hier und Jetzt zählt! Aha, sagt der Kamerad, ein Spruch vom Rosegger? Oder von einem griechischen Philosophen? Wieder keine Antwort.

Heute geht es auf die Vulcania. Auch ein imposantes Schiff! Und was weißt du über dieses? Steht überall zu lesen, erwidert der Funker. Jedenfalls ist sie um sechs Jahre älter als die Rex, und beim Stapellauf war sie das größte Motorschiff der Welt! Im Vorjahr aber noch im Einsatz beim Äthiopienkrieg!, ergänzt der Kamerad, statt der italienischen Truppen hat es nun friedli­che Touristen an Bord. Wollen wir es hoffen!, der Reiseleiter mischt sich ein und fragt danach wieder nach dem Befinden der beiden. Leider ist hier keine Wahrsagerin an Bord, die sie wis­sen lassen könnte, wie viele Jahre dieses Schiff noch seine Dienste tun wird, spaßt er. So fragen ihn die beiden Männer, ob er denn daran glaube, dass diesem Kahn einmal ein natürlicher Tod beschieden sein würde. Der Reiseleiter ist verdutzt: Die Herren belieben wohl zu scherzen? Was versteht man bei ei­nem Schiff unter natürlichem Ende? Nicht, dass es sinkt oder auf irgendeine andere Weise zerstört wird, wirft der Funker ein. Rührend, wie sie sich um ein Schiff sorgen, der Reiseleiter schaut sie etwas ratlos an. Sie verstehen nicht, oder?, der Rei­sekamerad will ihm auf die Sprünge helfen, doch der winkt ab. Das Schiff ist doch nur ein Vorwand für die Zukunft! Nicht wahr? Sie wollen wissen, wie es in der nächsten Zeit weitergeht – kriegerisch oder friedlich! Habe ich Recht? Ein Kanonenschuss kann für ein Schiff ein gewaltsames Ende bedeuten – und auch Krieg oder einen auslösen! Ein Pistolenschuss auch, wirft der Funker ein. Acht Jahre war er alt, als dieser fiel und die Welt danach in fürchterliche feindliche Auseinandersetzungen stürzte. Meine Herren, ich erwarte Sie dann bei Tisch – und fort mit den düs­teren Gedanken! Sind Sie nicht auf Urlaub? Ja, das sind sie wohl, und es gibt vorerst keinerlei Anzeichen, sich Sorgen zu machen. Vorerst …

Die Vulcania pflügt ungeachtet ihrer noch nicht eruierbaren Le­benserwartung durch das Mittelmeer – Sizilien entgegen. War da auch der Thomas Mann?, will der Funker wissen. Keine Ah­nung! Aber der Goethe, wirst du mir jetzt gleich sagen. Will ich nicht, aber dich fragen, was dich an dieser Erzählung so faszi­niert, vor allem an dem Mario. Ganz einfach, erwidert der Ka­merad, er hat Widerstand geleistet – auf seine Art. Welche Art? Gewaltsam? Der Kamerad gibt keine Antwort. Du bist noch immer für den Anschluss?, fragt der Funker dann. Nicht mit Italien, aber mit Deutschland, das weißt du doch. Denk an die Tausend-Mark-Sperre! Wir können es uns nicht leisten, auf deutsche Touristen zu verzichten. Sie beenden das Gespräch, in diesem Punkt sind sich die beiden nicht einig. Der Funker weiß, die Deutschen, besser gesagt, der Führer der Deutschen, werden so lange keine Ruhe geben, bis er sich Österreich einver­leibt hat. Blutig oder unblutig, das ist noch die Frage. Dem Funker graut. Er weiß mehr. Er ist auf seiner Funkstation mit Spezialaufgaben betraut …

Vielleicht, grübelt der Funker, ist es in unserer Zeit gar nicht ratsam, eine Familie zu haben. Obwohl – wünschen würde er sich schon eine. Mit der Briefbekanntschaft jedenfalls wird es wohl nichts Ernstes werden. Dazu befindet er sich viel zu weit weg von ihr. Wenn man sich nicht oder nur hin und wieder sehen kann – das ist auch nicht das Wahre. Und eine Lehrerin ist sie auch noch! Ihm schwebt eher ein Hausmütterchen vor. Ehrlicherweise hat er sie seine Bedenken wegen einer näheren Beziehung auch wissen lassen. Und mit einer freundschaftli­chen Verbundenheit erklärte sie sich einverstanden.

Unversehens legte das Schiff fast schon die halbe Strecke um den Stiefel zurück. Wie im Fluge vergeht die Zeit. Die beiden Männer denken an den, der der Dritte in ihrem Reisebunde hät­te sein sollen. Der sitzt nun zu Hause, dieser gutgläubige Mann, und versteht die Welt nicht mehr. Ein Halunke hatte ihn finanziell hereingelegt, so konnte er jedenfalls die Schiffsreise mit den beiden abschreiben, aber das war noch das Wenigste. Er war nahe dran, sich den Strick zu geben. Schimpf und Scha­de waren kaum auszuhalten. Doch die Kameraden waren treu auf seiner Seite, so konnte einiges abgewendet werden. Schreibst du ihm, fragt der Funker den Reisegefährten. Muss ich wohl, du bist ja mit deinem Fräulein Briefpartnerin ausge­lastet. Wenn wir ihm schreiben, lenkt der Funker ab, sieht er sich doch nur leid … Auch eine Überlegung! Nun fahren sie in die Straße von Messina ein. Im Osten die Stiefelspitze Italiens, im Westen die sizilianische Insel, wo sie nun bald landen. Die Leute an Bord ergehen sich in Schätzungen, wie lange sie wohl brauchten, diesen Teil der Meerenge von drei Kilometern schwimmend zu bewältigen. Nicht viele Luftkilometer entfernt von ihnen befindet sich der höchste Vulkan Europas. Das letzte Mal hat dieser vor neun Jahren durch seinen Ausbruch große Verwüstungen angerichtet. Zurzeit scheint er friedlich zu sein.

Schließlich gelangen sie zum »Tor Siziliens«, nach Messina! War der Schiller auch in Italien?, wird der Funker gefragt. Warum? Wegen der »Braut«! Ach, der von Messina!, kommt die Antwort. Ach, wegen der, meint der Funker dann gedehnt, denn er weiß es nicht. Ziemlich genau vor 150 Jahren ist er nach Sizilien übergesetzt, mischt sich der Reiseleiter ein. Wer? Der Schiller? Doch nicht der Schiller!, er­eifert er sich, der Goethe, wer sonst? Dann berichtet er über die schwere Naturkatastrophe, die diese Stadt vor nicht ganz drei­ßig Jahren heimsuchte. Durch das heftige Erdbeben wurde vie­les zerstört, unzählige Menschen mussten ihr Leben lassen … Ein Krieg ist da nichts dagegen, merkt ein Reiseteilnehmer an. Diese Aussage wäre entbehrlich, schütteln einige den Kopf. Auch der Funker ist dieser Meinung. Im wieder aufgebauten Dom wohnt er einer Heiligen Messe bei. Es ist wie ein Nachhausekommen, denkt er. Als ehemaliger Ministrant sind ihm die lateinischen Worte bestens bekannt. Die Messfeier in der Heimat oder hier im fernen Land – da ist kein Unterschied. Unwillkürlich spricht er das lateinische Stufengebet mit. Er muss an den Papst denken, genauer gesagt an seine letzte Enzyklika, die heuer zu Frühlingsbeginn herauskam – »Mit brennender Sorge!«. Sie ist in Deutsch abgefasst. In Österreich kann sie frei verteilt werden, in Deutschland wird sie unter der Hand verbreitet. Auf Pius XI. setzt der Funker die Hoffnung, dass man endlich einsehen würde, was die nationalsozialistische Bewegung letztlich für eine Gefahr bedeutet. Pontifex soll der Papst sein, aber welche Brücken gäbe es da noch zu bauen, wenn nichts Verbindendes vorhanden ist? Als er wieder ins Freie tritt, empfängt ihn laue Luft und der betörende Duft der Mimosen, die alles ringsum in sonniges Gelb tauchen.

Der Reisekamerad ist nicht mitgekommen. Er stürzt sich ins pulsierende Leben der Stadt. Im Gewühl hätte er bald die Ori­entierung verloren. Zu allem Überfluss zieht auch noch ein Gewitter auf. Unter Blitz und Donner schafft er es dann doch zum vereinbarten Treffpunkt. Na, die Braut von Messina gefunden? Oder gar das Gretchen?, scherzt der Funker. Welches Gretchen?, der Kamerad versteht vorerst nicht. Dann dämmert es ihm: Du meinst das vom Faust? Womit wir wieder beim Goethe wären! War der Roseg­ger auch auf Sizilien? Falsche Frage! Leider konnte ich mich nicht entscheiden! Wofür?, fragt der Funker, wolltest du womöglich abhauen? Dann aber däm­mert es ihm – er meinte wohl die Damenwelt hier. Sie ist ein­fach umwerfend, schwärmt der Kamerad. Die Braut?, der Rei­seleiter mengt sich wieder ein. Die Braut eines Soldaten ist doch … Der Schießprügel, ergänzt der Funker und ist ärgerlich, es müssen nicht alle ringsum wissen, dass sie Militärangehöri­ge sind, und dass er stets mithört, passt ihm auch nicht.

Die Vulcania läuft wieder aus, setzt kurz an der Küste Kalabri­ens ihre Fahrt fort und quert dann das Jonische Meer. Die bei­den Männer liegen faul in der Sonne an Deck. Genießen die Geruhsamkeit. Keine Kommandos, kein Exerzieren, keine Uni­form, kein Salutieren … Urlaub, wie er nicht schöner sein könnte. Seit der Frühjahrsparade sind es keine zehn Tage her. Glück gehabt mit dem Wetter. Kaum war alles vorbei und der letzte Marsch verklungen, öffnete der Himmel seine Schleusen. Jetzt jedenfalls hält er sie dicht geschlossen und lässt der Sonne die Vorherrschaft. Die Seekrankheit, vor der sich der Funker so ängstigte, blieb aus. Der Reisekamerad ist in ein Buch vertieft. Wie war das doch mit dem Thomas Mann und seinem mutigen Mario, der es dem Zauberer gegeben hat?, fragt der Funker. Der Reisekamerad legt das Buch zur Seite. Die Familie Mann hat eben nicht so schöne Urlaubseindrücke mitgenommen, wie wir sie haben. Kein Wunder, gibt der Funker zu überlegen, das katholische Italien und nackte Kinder? Das passt vermutlich nicht. Von Feindseligkeit der Italiener ist doch nichts zu spüren. Oder? Vielleicht macht das die geschlossene Gesellschaft, in der wir jetzt reisen?, gibt der Kamerad zu überlegen. In San Remo, in Nizza, in Monte Carlo waren wir doch auch auf eigene Faust unterwegs, und da konnten wir uns bei Gott nicht beschweren. Alle Leute waren zuvorkommend und freundlich – abgesehen vom italienischen Temperament, das erst einmal etwas gewöh­nungsbedürftig ist. Es wird doch nicht am Namen des Literaten gelegen haben?, überlegt der Funker. Wer weiß …, der Kame­rad vertieft sich wieder in seine Lektüre, und der Funker träumt vor sich hin.

 

Er stellt sich seine Briefbekanntschaft in natura vor. Dem Foto nach zu schließen, ist sie dunkelhaarig und hat braune Augen. Kennst du das Land, wo die Mimosen blühen, deklamiert er leise vor sich hin. Mimosen?, der Kamerad wird hellhörig, ich dachte es geht um Zitronen. Ja, ja wehrt, der Funker ab, die sind auch gelb! Die Blüten? Nein, die Früchte! Aha, aber was ist nun mit dem Land, wo die Zitronen blühen?, der Kamerad klappt sein Buch zu. Lass mich raten? Goethe oder Schiller? Der Funker tippt mit den Fingern! He, du, wir sind außer Dienst, mit Morsen geht jetzt nichts! Goethe! Und weiter? Was weiter? Geht es vielleicht genauer?, der Kamerad scheint sich tatsächlich zu interessieren. Roman!, erklärt der Funker, Wil­helm Meister – die Lehrjahre! Sagt dir nichts? Oder? Doch, doch, beeilt sich der Kamerad zu sagen, aber mir sind nur die Wanderjahre ein Begriff. Das heißt, gelesen habe ich sie nicht! Und was ist mit den Zitronen? Das ist ein Gedichtanfang! Die Figur, die das singt, heißt Mignon, das ist französisch und heißt auf deutsch so viel wie Liebling oder Herzchen, erklärt der Funker. Und der Wilhelm ist davon begeistert?, fragt der Kamerad. Auch, aber es hat mit der Sehnsucht nach Italien zu tun! Aha!, sagt der Freund und dann: Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide …! Respekt, Respekt, der Funker ist beeindruckt. Das singt auch die Mignon, aber mit ihrem Vater, dem Harfner. Habe ich nicht gewusst, gibt der Kamerad zu.

 

Der Funker denkt wiederum an Emmerich. Er war es, der ihm von Goethes Italienreise erzählte und ihm den Roman zu lesen gab, bevor er die Seereise antrat. Vielleicht wollte er, dass er sich für diesen Dichterfürsten begeistern würde? Wenigstens einmal nicht der Faust, der dem Funker schon zum Hals her­aushing. Hatte sein Reisegefährte einen Hang zu Schiller-Bal­laden, so Emmerich einen zu Faust-Zitaten. Nach dieser Goethe­schen Roman-Lektüre befasste der Funker sich ein wenig mit der Person des Geheimrats, vor allem mit seinen Italienreisen. Sehr zur Freude seines Freundes. Aber die Urpflanze hat der Goethe auf Sizilien auch nicht gefunden, sinniert der Funker. Hätte nach Österreich kommen und nach einem Edelweiß su­chen sollen, scherzt der Kamerad. Der Funker denkt an seinen letzten Edelweißfund. Ist noch gar nicht so lange her. Am Zei­ritzkampel fand er ein wunderschönes Exemplar. Die Vulcania nimmt Kurs auf Patras. Auf zum nächsten Königreich!, bedeu­tet der Reiseleiter der Gesellschaft.

Zu dieser Zeit sitzt die Briefbekanntschaft des Funkers, die Junglehrerin, in einer Klosterschule vor vielen Heftstößen. Sie ist heilfroh, hier eine Anstellung bekommen zu haben. Vorletz­tes Jahr war sie als Erzieherin in Budapest, um ihrer Mutter nicht als Arbeitslose auf der Tasche zu liegen. Trotz ausge­zeichneter Matura keine Anstellung! Sie blättert in ihrem Tage­buch, das sie in Ungarn schrieb. Das Heimweh dort war kaum auszuhalten, obwohl die Familie, wo sie tätig war, sie sehr freundlich aufnahm. In ihrer freien Zeit schlenderte sie durch die Stadt und machte Skizzen, um sie dann auszuarbeiten. Doch sie hatte zu wenig Malutensilien dabei, und wegen der lebhaften Kinder fehlte auch die nötige Ruhe und Konzentrati­on dazu. Zu Weihnachten war es dann ganz besonders arg, fern der Heimat zu sein. So also fühlt sich die Fremde an, liest sie noch, dann legt sie das Buch wieder beiseite. Jetzt gibt es we­nig Anlässe für Eintragungen. Vom ersten Schultag als Lehrerin sind einige Notizen zu lesen und über den ersten Brief, den sie von ihrem Briefpartner erhielt – danach leere Seiten …

Sie lebt für ihren Beruf. Die Schulschwestern hier mögen sie. Manchmal aber sind sie auch ekelhaft. Wenn sie und ihre Freundin aus ihrer feuchten Unterkunft flüchten und durch Wiesen und Felder unterwegs sind, gibt es zuweilen schon ta­delnde Worte. Doch die beiden sind sehr pflichtbewusst, das ist bekannt – schon von ihrem Studium her. Nur jung sind sie halt noch und zu allerlei Späßen aufgelegt. Sie genießen das Leben. Beim Dechant haben sie einen besonderen Stein im Brett. Für die »Fräuleins« hat er immer ein gutes Tröpfchen. Auch Fink, der Kooperator, findet Gefallen an den hübschen Dirndln. Vor allem aber lieben die Kinder ihre Lehrerinnen und über­schütten sie mit Aufmerksamkeiten. In ihrer Bude geht es manchmal drunter und drüber. Wie in einem Krautgarten sieht es da oft aus, wenn überall Pflanzen herumliegen und darauf warten, bestimmt, dann gepresst und schließ­lich ins Herbarium eingeklebt zu werden. Manchmal kommt es gar nicht so weit, weil sie schimmlig geworden sind.

Der Frühling lässt sich hier zaghaft an. Viel Regen fiel in die Apfelblüte – hoffentlich macht er einen Umweg um die Kränz­lein der Kinder, denn bald haben sie ihre Erstkommuni­on. Nun steht ein Maifest bevor. Wieder sind es die Lehrerin­nen, die ihren Beitrag leisten, mit den Kindern singen und musizieren und auch Theater spielen. Maiglöckchen, ein Früh­lingsgruß der Kinder, verströmen ihren Duft. Vor der Jungleh­rerin liegt eine Karte mit Bordgrüßen von der Rex. Sie liest noch einmal den letzten Brief, der noch vor seiner Abfahrt in den Süden bei ihr eingetroffen ist. Er bezeichnet sich als »Sohn der obersteirischen Berge«! Na, so was! Sie stellt sich diesen Mann auf dem imposanten Schiff, das auf der Ansichtskarte in voller Größe zu sehen ist, vor. Aber mehr als eine Brieffreund­schaft wird daraus ohnedies nicht – sie nimmt das zur Kenntnis. Offensichtlich scheint sie nicht sein Typ zu sein. Er stellt sich wohl ein Heimchen am Herd vor, mutmaßt Dohrchen. Schade eigentlich, denkt die Junglehrerin. Seine Briefe tun ihr wohl. Jedenfalls ist er um diese Reise zu beneiden.

Währenddessen nähert sich die Vulcania dem Peloponnes, der Wiege Griechenlands, vor allem seinem westlichen Tor! Der Reiseleiter kommt ins Schwärmen. Der Funker ist neugierig auf dieses Land. Patras! Von dieser Stadt soll die Christianisierung der Halbinsel ausgegangen sein. Der Apostel Andreas ist hier den Märtyrertod gestorben. Er hat sich infor­miert! Werden wir diesem Stadtheiligen einen Besuch abstat­ten?, fragt er den Reisleiter. Wir werden nicht nur seine Kirche aufsuchen, sondern auch die Zitadelle. Sie ist leider nur noch eine Ruine. Als die Reiseteilnehmer bald nach der Landung dort oben stehen, erfahren sie, welche Rolle die ehemalige Burg während des Befreiungskrieges vor beinahe hundert Jah­ren spielte. Die Stadt, völlig zerstört von einem Erdbeben und den kriegerischen Auseinandersetzungen, wurde neu aufgebaut. Zuvor waren die Griechen den Osmanen untertan. Nun sind sie wieder ihre eigenen Herren in ihrem Land – mit einem König, den man ihnen verordnete. Auch hier gibt es Pinien samt den Zikaden mit ihrem Geschrei und Olivenhaine. Besonders ange­tan ist der Funker von den Agaven, vor allem von den blühen­den. Aber dieses Blühen bedeutet auch ihren baldigen Tod! Unvorstellbar, dass sie oft bis zu mehreren Jahrzehnten benötigen, bis sie ihren oft zwölf Meter hohen Blütenstand ausbilden. Den Ausführungen des Reiseleiters nach soll der Name dieser »Jahrhundertpflan­ze« aus der griechischen Mythologie herrühren – nach dieser sei Agave die Tochter von Kadmos und Harmonia …

Die Gegend um die Stadt herum zeigt sich in einem blüten­prächtigen Gewand. Der Besuch antiker Ausgrabungen faszi­niert ausnahmslos alle. Kennst du dich bei den griechischen Göttern aus?, fragt der Reisekamerad den Funker. Der aber schaut eher ein wenig ratlos drein. Den Zeus schafft er gerade noch sowie den Eros und den Apollon. Ich glaube, bei den Aposteln wüsste ich mehr, gibt der Funker zu. Zumindest weiß er, welchen Tod der Hl. Andreas erlitt. Sie betreten ehrfurchts­voll die beeindruckende Kirche am Ufer. Dem Funker ist leid darum, nicht mehr von diesem Land näher kennenlernen zu können. Delphi hätte ihn interessiert und Korinth – vor allem aber Athen. Er würde wiederkommen, irgendwann. Die Spra­che behagt ihm weniger. Da ist das Italienische schon ganz et­was anderes – wie Musik. Er beschloss, diese Sprache zu erler­nen.

Bevor sie wieder an Bord gehen, werden sie mit kulinarischen Köstlichkeiten verwöhnt. Auch den Likören und Schnäpsen, die ihnen zur Verkostung angeboten werden, sprechen sie reichlich zu. Schwankt das Schiff oder schwanken sie? Das ist nun die Frage. Während in den steirischen Weinbergen die Maibäume wie Schwammerl aus dem Boden wachsen, nimmt die Vulcania Kurs auf Ragusa. Wir schwimmen von Königreich zu Königreich, merkt der Funker an. Ja, und du träumst noch immer von unserem Kaiserreich!, entgegnet der Kamerad. Viel­leicht, der Funker ist in Gedanken. Vor allem, sagt er dann, wünsche ich mir, dass Österreich Österreich bleibt. Der Kame­rad sagt nichts, und das sagt alles. Dann aber ruft er plötzlich, als er eine Schar Seemöwen über das Schiff hinweg fliegen sieht: Sieh da, sieh da, Thimotheus, die Kraniche des Ibykus! Wie?, erkundigt sich eine Reiseteilnehmerin beim Funker, ihr Kollege heißt Thimo­theus? Ja, wie denn sonst, kommt ihm dieser zuvor. Das gibt ein Gelächter. Wo bleibt der Fiesko, der sonst seine Ohren überall hat? Der hätte dich auffliegen lassen können?, bemerkte der Reisegefährte auf dem Weg in die Kabine. Wenn schon! Der Funker ist sich sicher, in der nächsten Zeit von ihm nicht mit Schiller genervt zu werden …

Der 1. Mai in Ragusa wird zu einem Frühlingstraum ohneglei­chen. Der Funker kann sich nicht genug sattsehen an allem – Natur, Kultur … Und er wird elegisch. Die Reise, diese herrliche Reise, steuert dem Ende entgegen. Lange Zeit hat er sich diese Schifffahrt in seinen Träumen ausgemalt, doch die Wirklichkeit hat alle seine Vor­stellungen übertroffen. Diese Fahrt mit einer Herzallerliebsten zu teilen, wäre vielleicht noch schöner gewesen. Aber er will nicht unbescheiden sein. In 35 Jahren wird auch seine Tochter diese Stadt besichtigen. Sie wird nicht mit dem Schiff kommen, sondern mit einer viermotorigen Propellermaschine, und die Stadt wird dann auch anders heißen … Die Fahrt geht weiter durch die Adria. Nun ist es endlich so weit – die beiden Herren dürfen auf die Kommando­brücke. Der Funker informiert sich natürlich sofort über die Nachrichtenvermittlung. Der Kapitän, der sich extra für sie Zeit genommen hat, staunt, wie der Passagier die Funkanlage fach­männisch begutachtet. In Kürze werden sie in Venedig anlegen. Der Aufenthalt wird nicht von langer Dauer sein, ehe dann die Vulcania in Triest, ihrem Heimathafen, einlaufen würde. Dort ist auch eine Stadtbesichtigung vorgesehen, bevor sich die bei­den Männer von der Reisegruppe trennen werden.

 

Die Junglehrerin schreibt einen Brief, betrachtet die Ansichts­karte, die heute aus Patras eintraf. Neben ihr liegt der Atlas, den sie in letzter Zeit oft aufgeschlagen hat. Auf der Landkarte verfolgt sie die Urlaubsreise rund um die Apenninenhalbinsel. Ob er seekrank wurde? Sie wünscht, dass sich seine Befürch­tungen nicht bewahrheitet haben. Früh genug wird sie es erfah­ren und hoffentlich noch mehr. Was soll sie schreiben? Was würde ihn interessieren? Vielleicht, dass sie selbst einmal gerne nach Rom gefahren wäre. Dorthin ging nämlich ihre Maturareise, jedoch ohne sie, denn für ihre Mut­ter, eine Oberlehrerswitwe, war das finanziell nicht zu schaf­fen. Für das Studium aber tat sie alles. Sie selbst, eine enga­gierte Lehrerin, hatte Verständnis für den Berufswunsch der Tochter. Ob sie jemals in die Ewige Stadt kommen würde? Sie wird! Dann aber wird sie schon sehr betagt sein … Für die Freundin ist sie jedenfalls jetzt nicht zu sprechen. Sie sitzt im Klassenzimmer, nachdem die Kinder davongestürmt sind. Hier ist sie nun allein und kann in Ruhe die versprochenen Zeilen an den Funker nach Graz richten, damit er Nachricht hätte bei sei­ner Rückkehr. Dohrchen macht dennoch einen Blick durch die offene Klassentür. Sie scheint aber zu verstehen, dass da je­mand nicht gestört werden möchte …

In Venedig sammelt sich die Reisegruppe auf dem Lido. Der Leiter berichtet vom Frieden von Campo Formio, in welchem Venedig Österreich zugesprochen wurde. Napoleon hatte es erobert. Napoleon – wo war der nicht? Die beiden Reisekame­raden begeben sich noch einmal auf den Markusplatz, genießen die wundervolle Atmosphäre und auch die Tauben. Vor dem Marinemuseum betrachtet der Funker eingehend den Anker des Schlachtschiffes Viribus Unitis, das italienische Taucher ver­senkten. Dann aber müssen sie zurück auf das Schiff. Triest wartet! Triest, wo nicht nur die Vulcania vor elf Jahren vom Stapel lief, sondern vor 26 Jahren auch auf Drängen des Thron­folgers für die k.u.k. Kriegsmarine die Viribus Unitis, ein Jahr danach dann die Tegethoff. Versteht sich, dass es sich der Erz­herzog Franz Ferdinand nicht nehmen ließ, beim Stapellauf da­bei zu sein. Der konnte auch nicht ahnen, wirft der Funker ein, dass es mit ihm einige Jahre später vorbei sein würde und aus­gerechnet die Viribus Unitis ihn mausetot nach Triest bringen würde. Und nicht nur das, ergänzt der Reiseleiter, das neutrale Italien trat damals der Entente bei und erklärte im Mai vor 22 Jahren Österreich-Ungarn den Krieg. »Katzelmacher!«, sagt der Funker nur verächtlich …

»Katzelmacher«?, der Reiseleiter hat einfach überall seine Oh­ren … Über 500 Jahre – mit einigen kleinen Unterbrechungen – gehörte Triest zu Öster­reich, war der bedeutendste Handelshafen und einer der Kriegshäfen der Österreichischen Marien, setzt nun der Reiseleiter seine Erläuterungen fort. Er weist auch darauf hin, dass der österreichische Erfinder Josef Ressel hier vor über hundert Jahren die Schiffsschraube erstmals erfolgreich testete. Dass Kaiser Franz Joseph I., der hier zur 500-Jahrfeier weilte, knapp einem Bombenattentat entging, erwähnt er nicht. Die beiden Männer allerdings denken daran, vor allem an die anti­österreichischen Demonstrationen damals. Was sagt uns das?, fragt der Kamerad. Der Funker weiß, worauf er hinaus will: Keine neue Monarchie unter Otto, dem Thronfolger! Doch das steht ohnedies nicht zur Debatte. Dem österreichischen Kanz­ler, der nach der niederträchtigen Ermordung von Dollfuß nun die Regierungsgeschäfte führt, steht das Wasser bis zum Hals – was die Nationalsozialisten angeht. Sie scharren nicht nur vor den Toren Österreichs, sondern auch im Land selbst, denn die Zahl der Illegalen steigt …

Der Funker vermutet, dass sein Reisegefährte auch so einer ist. Einmal fragte ihn der Funker unumwunden, ob er beim Natio­nalsozialistischen Soldatenring Mitglied sei. Er verneinte zwar, doch gab er freimütig zu, dass er ihm, dem doch eine Spezial­verwendung zugewiesen worden ist, das nicht auf die Nase bin­den würde. Ich weiß, sagte er, du würdest mich niemals verra­ten, aber ich bin wirklich nicht dabei. Noch nicht!, fügte er ehr­licherweise hinzu. Der Funker trat schon als Korporal dem Ka­tholischen deutschen Soldatenbund bei. Aus seiner österreichi­schen Gesinnung machte er nie ein Hehl.

Nun ist die Zeit gekommen, sich von der Reisgruppe zu verab­schieden. Der Leiter wünscht den beiden Männern viel Glück für die Heimreise. Zuvor aber nächtigen die zwei noch in Triest. Sie genehmigen sich einen Bummel durch die Straßen und Gassen und kehren schließlich wieder zum Hafen zurück und genießen das dortige Treiben. Die Bemerkung des Reise­leiters, dass Triest zu einem Provinzhafen verkommen wäre, halten die beiden für übertrieben. Dass er allerdings nicht mehr den Anschein erweckt, Österreichs maritimes Tor zur Welt zu sein, ist auch augenscheinlich … Der Funker erinnert sich an seine Zeit in Wien, wo er im Marinesaal des Heeresgeschichtlichen Museums das 6 Meter lange Modell der Viribus Unitis bestaunte. Ein Holzschiffchen, das er als Knabe baute, nannte er auch so, aber weder das Original noch das Modell hatten, abgesehen einmal von der Größe, kaum eine Ähnlichkeit mit diesem. »Viribus Unitis« – mit vereinten Kräften! Der Wahlspruch von Kaiser Franz Joseph I. …

Am nächsten Morgen, ehe sie zur Adelsberger Grotte aufbre­chen und danach spät abends die Heimreise antreten, steht noch eine Schlossbesichtigung auf dem Programm – Miramare! Einen Katzensprung von Triest entfernt, thront es auf einer Fel­senklippe. Einst für Erzherzog Ferdinand Maximilian von Ös­terreich, den Bruder von Kaiser Franz Joseph I., erbaut, gehört es nun Amadeus von Savoyen. Über den geschichtlichen Hin­tergrund wissen die beiden noch von ihrem Reiseleiter bestens Bescheid: Nach dem tragische Ende von Maximilian in Mexiko wurde das Schloss von den Habsburgern als Sommerresidenz benützt. Zur 500-Jahrfeier von Triest logierte dort nicht nur der Kaiser mit Gemahlin Sisi, sondern auch Kronprinz Rudolf mit seiner Frau … Beeindruckend dieses Schloss!, der Funker ver­fällt ins Schwärmen. Kommt da vielleicht wieder deine monar­chistische Seele zum Vorschein?, der Reisekamerad kann es einfach nicht lassen, ihn zu necken. Aber auch die Tropfstein­höhlen faszinieren die beiden Männer. Der Funker ist froh, dass sie dieses Naturwunder in ihren Besuchsplan aufgenommen ha­ben. Die Eindrücke übersteigen alle ihre Erwartungen, die sie von diesem Höhlensystem hatten. Schweigsam sitzen sie dann nach dieser Tour im Zug nach Hause. Tagelang im Paradies verweilt zu haben, wird den Alltag nicht einfach machen. Die unzähligen wunderschönen Erinnerungen, da sind sich die bei­den einig, kann ihnen nun niemand nehmen – mag da kommen, was will … Am frühen Morgen ist in der steirischen Landeshauptstadt Endstation.

Rechts um, vorwärts, marsch …

Nach kurzem Schlaf geht es wieder in den Kasernenalltag. Vom Exerzierplatz sind die Kommandos zu hören. Vieles an Arbeit blieb liegen. Der Funker sieht die Post durch. Der »Gute Kame­rad«, eine Zeitschrift, findet sich darunter, der Brief, den er er­wartet, aber nicht. Noch gab er seine Adresse nicht bekannt. Von der Offiziersschule kommt eine Absage – kein Wunder bei 360 Bewerbern! Davon aber wurden nur 30 genommen! Die Offiziersschule! Das wäre sein Traum gewesen. Töricht von ihm zu glauben, er hätte Chancen gehabt. Der Funker sollte zu­frieden sein mit dem, was er bisher beruflich schon erreichte. Er ist es auch, schließlich wird nicht jeder nach so kurzer Zeit immer wieder befördert. Von den ausgezeichneten Dienstbe­schreibungen ganz abgesehen … Danach überfliegt er noch schnell die wichtigsten Meldungen der letzten Tageszeitungen – im Osten nichts Neues, im Westen auch nichts. Oder doch! Am 12. Mai gibt es in England eine Königskrönung! Das be­geistert ihn, noch mehr, dass es anlässlich dieser Thronbestei­gung eine internationale Schiffsparade geben soll – mit dabei die Admiral Graf Spee! Ein gepanzertes Schiff, das schon beim spanischen Bürgerkrieg zum Einsatz kam. Warum, ärgert er sich nun, habe ich die Wahrsagerin nicht gefragt, wann dieses Schiff untergeht …

 

Jäh wird er aus seinen Gedanken gerissen, denn die Kameraden stürmen auf ihn ein, wollen wissen, wie das Reiseabenteuer war. Du hast uns den Frühling gebracht!, meint Walter, mit dem er zusammen arbeitet und der ihn auch schon sehnsüchtig zu­rückerwartete. Auch Emmerich funkt ihn an, weil er es nicht mehr erwarten kann, mit dem Freund in die Berge zu kommen. Sogar eine Paddelboottour fasst er schon ins Auge. Tatsächlich ist Kaiserwetter. Der Funker aber ist in Gedanken noch bei den Palmen und Pinien. Es fehlt ihm der Duft nach Meer und so manches andere auch noch. Die Rekruten hören wieder auf sei­ne Anweisungen beim Frühsport, auf seine Ausführungen beim Unterricht. Diesmal sind sie besonders aufmerksam, sie schät­zen ihren Vorgesetzten, der sie auch in Funktechnik, Gelände­kunde und schriftlichem Dienstverkehr unterweist.

Am Tag darauf holt er sich den postlagernden Brief ab. Sie hat Wort gehalten und geschrieben. Leider nichts davon, wann er sie einmal zu Gesicht bekommen sollte. Dennoch freut ihn der Brief, besonders, dass sie eine Ennstalerin ist. Auch er kommt aus dieser Gegend. Am nächsten Sonntag steigt er auf den Schlossberg. Hier hat er Muße und kann in Ruhe wieder in Ge­danken die Reiseerinnerungen abrufen. Eichkätzchen machen sich zu seinen Füßen zu schaffen. Nüsse hat er heute keine da­bei. Vom Uhrturm begibt er sich weiter hinauf zum Schloss und dann zur Liesl, so nennen die Grazer den Glockenturm da oben. Abends wird er an sie schreiben. Eine Sehnsucht nach Zweisamkeit keimt in ihm auf. Die Liebespärchen auf den Bän­ken ringsum geben Anlass dazu. Auf dem Weg zurück in die Kaserne beschäftigt ihn wieder ein Schiff, nicht die Rex, son­dern ein anderes, ein Luftschiff! Die Hindenburg, die kurz vor seiner Heimkehr an der Ostküste der USA kurz vor ih­rer Landung in Flammen aufging … In diesem Zusammenhang drängt sich ihm der Gedanke an den nun vor einigen Jahren verstorbenen deutschen Reichspräsidenten auf, der es mit der Geographie nicht so genau nahm. Damals verfolgte er mit In­teresse, wie dieser Mann immer wieder Mittel und Wege fand, den »böhmischen Gefreiten« als Reichskanzler zu verhindern, obwohl Franz von Papen alles andere als ein besonders fähiger Regierungschef war. Zumindest hatte es für den Funker den Anschein – und nicht nur für ihn. Dann kam es, wie es kommen musste, Hindenburg konnte die Kanzlerschaft des Führers der Nationalsozialisten nicht mehr verhindern …

Nach wenigen Tagen weiß die Junglehrerin, dass ihr Briefpart­ner wieder gut zurückgekehrt ist. Dass er auch aus dem Ennstal stammt, freut sie. Allerdings dort, wo sie her ist, macht es die Umgebung dem Fluss nicht so schwer durchzukommen – an­ders im Gesäuse, wo er sich zwischen hohen Bergen durch­zwängen muss. Die Pfingstferien nahen, und die beiden »Fräu­leins«, wie die Schulkinder sie nennen, sind schon voller Pläne, was sie in der freien Zeit unternehmen würden. Bald aber kommt die Einladung zu einer Lehrerinnenversammlung da­hergeflattert. Jetzt oder nie, denkt die Junglehrerin und über­legt nicht lange. Ihre Mutter hofft umsonst auf einen Besuch der Tochter, nur eine Karte aus Radkersburg erhält sie. Aus der geht hervor, dass sie mit ihren Freundinnen dorthin fuhr, dienstlich! Von allem weiteren erfährt sie erst später. Irgendwie ist sie enttäuscht, hat doch der Bruder, also ihr Sohn, Geburts­tag! Tatsächlich fährt die Tochter am Pfingstsamstag abends noch nach Graz …

Ennstalerin trifft Ennstaler. Na so was! Da bekommt der Fun­ker doch Nachricht, dass da ein Fräulein mit dunklem Kleid, Sommerhut und leichtem Mantel am Hauptplatz vor dem Rathaus in der Murmetropole abends auf ihn warten würde – mit Blick zum Erzherzog-Johann-Denkmal! Ob er vielleicht Zeit hätte? Er hat! Auch tags darauf, wäre sie erschienen, wäre er nicht gekommen. Er steht vor dem Schrank. Viel Aus­wahl an ziviler Kleidung hat er nicht. Froh gelaunt und voll Er­wartung verlässt er die Kaserne. Überall duftet es nach Flieder. Ein wundervoller Maienabend. Was dann folgt, ist überirdisch. Beide schwelgen sie noch Tage später im Glück. Beim Funker scheint es gefunkt zu haben, obwohl die Dame erst mit einer halbstün­digen Verspätung erschien. Gut Ding braucht wirklich Weile. Die Liebespärchen am Schlossberg waren alsbald um eines mehr. Auch am nächsten und am übernächsten Tag ist ein Stell­dichein möglich. Und der Ennstaler und die Ennstalerin kosten die gemeinsame Zeit aus. Nur die Schwester Oberin in der Schule ist in Sorge, als das Fräulein Dohr ohne die Freundin zurückkommt. Sogleich wird sie um deren Verbleib befragt. Diese zeigt sich ahnungslos, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht ist. Die Schulleiterin ist besorgt: Hoffentlich passiert ihr nichts! Natürlich ist ihr nichts passiert, obwohl vieles passiert ist. Dohrchen ist froh, als sie endlich auftaucht. Die Neugier ist groß! Wie sieht er denn aus, der »Sohn der obersteirischen Ber­ge«, will sie gleich wissen. Das strahlende Gesicht der Jungleh­rerin spricht Bände …

 

Die Ennstalerin schlägt ihr Tagebuch auf. Wes das Herz voll ist … Doch sie schafft es einfach nicht, in Worte zu fassen, was ihr da in den Pfingsttagen Wun­derbares widerfahren ist. Noch immer klopft ihr Herz zum Zer­springen, wenn sie an ihn denkt. Schon bei der Begrüßung war sie von ihm eingenommen. Dann flossen die Worte wie von selbst, und dann … Die Briefanfänge und die Schlussformeln der Schreiben, die nun zwischen den beiden hin und her gehen, lassen darauf schließen, dass aus der Brieffreundschaft mehr geworden sein muss. Viel mehr! Vor dem Schlafengehen nach ihrer Rückkehr in ihren Dienstort schreibt sie noch einen Brief an den Funker, und der schreibt fast postwendend zurück. Er wäre wieder am Schlossberg gewesen, berichtet er, auch im Stadtpark, nicht aber in Maria Trost, wo sie zuletzt waren, als es galt, Abschied zu nehmen. Von dort nahm die Junglehrerin eine weiße Taubnessel mit – als eine botanische Rarität, wie sie meint! Bei der Zuordnung zu den Lippenblütlern wird Dohrchen jedoch skeptisch …

Liebe auf den ersten Blick? Auf den zweiten vielleicht oder auf den dritten? Der Funker vermag es nicht zu sagen. Schon nach dem Abend der ersten Begegnung lag er nachts lange Zeit wach vor Glück, und den ganzen nächsten Tag dachte er nur an den kommenden Abend. Schon beim Anblick, als sie aufeinander zugingen, verschlug es dem Funker die Rede. Auf alles war er gefasst, nicht aber auf so eine charmante junge Frau. Ihre Anmut nahm ihn sogleich gefangen, ihr Lächeln, ihre ansteckende Fröhlichkeit und ihre dunklen Kirschenaugen …

Und auch die Ennstalerin wusste nicht, wie ihr geschah, als sie neben dem galanten Herrn auf den Schlossberg stieg. Er gefiel ihr auf Anhieb. Und sie begegneten sich in ihren Worten ganz anders als in den Briefen. Dennoch musste sie sich gestehen, dass durch das Schreiben schon von Anfang an eine gewisse Vertrautheit vorhanden war. Seine dunkle Stimme, die sie noch nicht kannte, beeindruckte sie – wie auch seine Ernsthaftigkeit, wenn sie über dieses und jenes sprachen. Es ist ihr noch immer ein Rätsel, wie sie es anstellen konnte, die nächsten Abende ein Treffen einzurichten. Ein Glück, dass es das Internat in Eggen­berg gab, in dem sie stets willkommen war und auch öfters übernachten durfte.

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann eben der Berg zum Propheten – in diesem Fall eine Prophetin! Die Mutter der Junglehrerin steht schon um sieben Uhr morgens vor der Klosterschule. Schon zeitig in der Früh fuhr sie von zu Hause weg. Schließlich ist ihre Tochter zum Wochenende bereits wie­der unterwegs … Ja, ja der Wonnemonat! Zehn Jahre ist es schon her, dass der nun pensionierten Lehrerin der Mann starb. Ihr Sohn war damals neun, ihr Hannerl, die Tochter, die sie nun besucht, vierzehn. Vieles ist seither geschehen. Auch die Toch­ter maturierte mit Auszeichnung, dann aber musste sie auf eine Anstellung warten. Sie fiel ihr nicht zur Last, sondern arbeitete in Budapest als Erzieherin. Welche Freude, als vor zwei Jahren die Nachricht kam, dass in der Klosterschule in Straden eine Stelle für sie frei wurde. Jetzt steht die Lehrbefähigungsprü­fung an. Auch sie hatte sich einer solchen unterziehen müssen. Erst nach zwei Jahren Berufspraxis wird man zu dieser zuge­lassen. Nun ist die Mutter der Junglehrerin in Sorge, dass es die Tochter nicht recht ernst nehmen würde mit der umfangreichen Prüfung. Überdies muss auch noch eine anspruchsvolle schrift­liche Arbeit abgeliefert werden. Sie wird das wohl nicht unter­schätzen?

Wie schlecht doch oft Mütter ihre Kinder kennen. Ihr Hannerl ist sehr wohl eine Frohnatur und lebenslustig, aber ihren Ver­pflichtungen kommt sie stets nach. Im Stillen aber gönnt sie der Tochter alle Freuden, die das Leben für sie bereithält. Jung ist man nur einmal! Wer weiß, was noch alles kommt. Sie denkt an die schweren Jahre des Weltkrieges. Der Mann im Feld! Oft ohne Nachricht von ihm! Die Tochter noch klein, als alles losging. Und im letzten Kriegsjahr kam dann noch der Bub auf die Welt. Das Ende des Krieges brachte Jahre der Not und des Elends. Doch sie und ihr Mann hatten ihren Beruf und im Lehrerhaus einen Garten, den sie bebauten, dass sie nicht zu darben hatten. Mit dem Tod des Vaters war dann die bis dahin schöne Kindheit ihrer Sprösslinge vorbei …

 

Bald aber kann sie sich von den Fortschritten der schriftlichen Arbeit ihres Hannerls überzeugen. Die Schwester Oberin ist großzügig und übernimmt den Unterricht der Junglehrerin, so haben die beiden Zeit füreinander. Die Mutter fährt am frühen Nachmittag wieder nach Hause und die Tochter nimmt an einem Wochenendausflug nach Klagenfurt teil. Es gibt aber zuvor noch eine Überraschung für die beiden Damen. Zur großen Verwunderung feiern die Schulkinder den Namens­tag ihrer »Fräuln«. Rosen werden überbracht und so einige Fla­schen Wein, Lieder gesungen. Mutter und Tochter sind so ge­rührt, dass sie es nicht über das Herz bringen zu berichtigen, dass an diesem Tag im Mai noch nie der Namenstag gefeiert wurde, sondern stets im August …

Namenstag! Die Mutter muss auf der Heimreise schmunzeln. Sie ist glücklich und zufrieden, dass ihre Tochter in dieser Schule so gut aufgehoben ist. Leider steht eine Versetzung an. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie das ist, wenn man sich eingewöhnt hat und einem die Kinder ans Herz gewachsen sind, wieder sein Bündel zu schnüren für den nächsten Dienstort. Sie muss sich aber eingestehen, dass sie es mit den Anstellungen immer gut getroffen hat. Nun ist die Zeit anders geworden, noch viel unsicherer als damals. Sie ist eine Frau, die viel nachdenkt. Zu viel vielleicht? Zwar sind die National­sozialisten jetzt verboten, doch im Untergrund rumort es ge­waltig. Sie erinnert sich einer Radioübertragung im Februar dieses Jahres, als sich der deutsche Außenminister anlässlich eines Staatsbesuches in Wien aufhielt. Trotz des Verbotes wur­de dieser Mann ganz unüberhörbar mit »Heil Hitler«-Rufen empfangen. Ob die geistlichen Schwestern das meinten, als sie ihr zu verstehen gaben, sie würden darum beten, dass nicht ein anderes Kreuz die Oberherrschaft in diesem Land gewinnen würde? Mit ihrem Schwager, dem Bruder ihres verstorbenen Mannes, gibt es darüber auch Diskussionen, die ihr nicht so ge­fallen. Er bekam damals die Vormundschaft über ihre Kinder zugesprochen und war ihr eine große Hilfe, aber irgendwie lässt sie jetzt das Gefühl nicht los, dass er mit einem Anschluss sympathisieren würde … Auch ihre Tochter hat sich verändert, oder bildet sie sich das nur ein?

»Lustig ist das Zigeunerleben«, singen die Wochenendausflüg­lerinnen, als sie über die Pack in Richtung Süden fahren. Nicht nur Dohrchen ist diesmal dabei, sondern auch Philo, eine Freundin aus der Studienzeit, die in diesem Schuljahr in der Nähe von Straden eine Anstellung gefunden hat. Ihren Spitzna­men bekam sie schon im Internat, da sie stets nach einer ent­sprechenden Nachdenkphase Weisheiten von sich gab, die ent­weder Gelächter auslösten oder wirklich zu Überlegungen An­lass gaben. In der Stadt des Lindwurms gibt es vieles zu sehen. Beim Anblick dieses Wahrzeichenmonsters der Klagenfurter entwischt Philo wieder ein Sager, der die Mitreisenden schmunzeln lässt. Zunächst aber geht es auf ein Schiff. Der Wörthersee lockt. Bei Maria Wörth legt es an. Nach der Be­sichtigung des Kirchleins geht es weiter – wie ein Lied klingen noch die Glocken über den See. Abends gibt es nach dem Es­sen noch Musik und Tanz, und schließlich landen die Mädchen noch in einer Bar. Die Junglehrerin wäre lieber zu Bett gegan­gen und hätte von ihrem Funker geträumt, aber daraus wird nichts …

Lustig ist das Lehrerleben, sinniert der Funker, als er die An­sichtskarte vom Wörthersee in Händen hält. Die Aufnahme zeigt die Insel Maria Wörth im Abenddämmerschein. Er ahnt nicht, wie gerne die Schreiberin ihn bei den Ausflügen in ihrer Nähe gehabt hätte. Wenn er Glück hat, gibt es für ihn in nächster Zeit auch einige Urlaubstage, eigentlich nur ein ver­längertes Wochenende. Emmerich, der Freund, der seine Nach­folge in der Funkstation in Judenburg angetreten hat, nachdem der Funker als Kommandant nach Graz versetzt wurde, ist schon beim Pläneschmieden. Ginge es nach ihm, würde es hoch hinaufgehen. Doch die Schneegrenze wird ihnen wohl bei ihren geplanten Gipfelstürmen einen Strich durch die Rech­nung machen. Am Fronleichnamstag geht es in die Garnisons­kirche, nach der Messfeier nimmt der Funker an der Prozession teil. Er denkt an seine Kinderzeit, wie er als Ministrant dem »Himmel« vorausging. Später dann trug er auch einmal eine der Stangen, an denen der Baldachin festgemacht war und unter welchem von einem Geistlichen die Monstranz hinaus in Wald und Flur getragen wird. Auch er hat Bedenken, dass dem christlichen Kreuz ein anderes in die Quere kommen könnte. Walter, sein Kamerad, mit dem er zusammenarbeitet, zerstreut immer wieder seine Bedenken. Du siehst Gespenster!, beruhigt er ihn stets.