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In den letzten Jahren häufen sich die Aufdeckungen von Missbrauchsfällen in der römisch-katholischen Kirche. Schon im Jahre 1845 hat Otto von Corvin auf solche Fälle und ihre Hintergründe hingewiesen. Historische Denkmale des Fanatismus in der römisch-katholischen Kirche ist der Untertitel dieses Werkes. Ein Buch für das Volk hatte Otto von Corvin im Jahr 1845 geschrieben. Es sollte die Menschen aufrütteln, indem es den Machtmissbrauch der römisch - katholischen Kirche von den Anfängen an aufzeigt. Corvin deckt Verbrechen auf, die die Grundfeste der Institution Kirche schwer erschütterten. - „Wir würden uns sehr täuschen, wenn wir der Meinung wären, daß sich in so kurzer Zeit die Zustände der römisch-katholischen Geistlichkeit geändert hätten. Es ist durchaus kein Grund vorhanden, das anzunehmen; sie sind heutzutage mit geringen Modifikationen wahrscheinlich noch dieselben, welche sie vor Jahrhunderten waren, und werden sich nicht ändern, bis einst dem fluchwürdigen Zölibat und der Ohrenbeichte ein Ende gemacht wird. - Die heutige (2014) Leserschaft sollte mündig genug sein, das vorliegende, polemische ebook zu lesen und sich Gedanken darüber zu machen, was heute glücklicherweise überholt ist und was heute immer noch zutrifft. Sein Wert litt zweifellos unter der Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten, denen es, nach einigen Anpassungen, sehr zupass kam.
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Otto von Corvin
Pfaffenspiegel
Historische Denkmale des römisch-katholischen Fanatismus
1. elektronische Auflage 2014
[email protected], Basel
Das vorliegende Werk wird äusserst kontrovers diskutiert, was aus seinem Inhalt und Zweck als logisch angesehen werden kann. Dazu kommt noch, dass es von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert wurde. Aus der Diskussion zum Artikel „Pfaffenspiegel“ in der Wikipedia geht hervor, dass die Nazis das Werk zuerst verboten haben und es erst nach eigenen Änderungen für den Gebrauch und Verkauf freigaben.
Interessant ist ausser dem Artikel in der Wikipedia, der behauptet, es gehe hier um Geschichtsklitterung auch die Diskussion zum Artikel. Ich empfehle jedem Leser des Pfaffenspiegels in erster Linie mal die Diskussion zum Artikel in der Wikipedia durchzulesen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Pfaffenspiegel
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Pfaffenspiegel
(Meine Anmerkungen zu den oben erwähnten Wikipedia Links beziehen sich auf den Stand vom 14.1.2014)
Weitere Recherchen im Internet brachten mich zur Einsicht, dass die Kritiker mit allen Mitteln versuchen, dieses durchaus polemisch Werk herabzusetzen, und dass diese Kritiker in erster Linie der römisch-katholischen Kirche angehören.
Jedermann, jede Frau soll sich seine eigene Meinung bilden können! Dies ist für mich Grund genug, den Pfaffenspiegel neu herauszugeben.
Beat Bucher, im Januar 2014
Pio Nono! »Sollte Dir, heiligster Vater, dieses Büchlein gefallen und Du mir solches öffentlich zu erkennen geben, so will ich mich bemühen, mit ähnlichen Geschenken aufzuwarten.«
Ulrich von Hutten
Aus der Vorrede zur ersten Auflage (1845)
Die Welt ist schon oft mit einem Narrenhause verglichen worden. Der Vergleich ist für uns nicht schmeichelhaft, aber leider ist er passend. Schauen wir um uns! Wo wir hinsehen, finden wir die charakteristischen Kennzeichen eines Tollhauses ... Dort erblicken wir hochmütige Narren, die sich für die Herren der Welt halten und steif und fest glauben, Gott habe dieselbe mit allen Menschen nur zu ihrem Privatvergnügen geschaffen; vor ihnen liegen Millionen noch größerer Narren im Staube, die ihnen glauben und demutsvoll gehorchen.
Dort sitzt ein anderer und nennt sich Vizegott. Er liebt das Geld wie ein altrömischer Statthalter, und die Menge rennt herbei und füllt ihm die Taschen mit Gold, wofür er ihr Einlaßkarten – zum Himmel gibt. Dort knien Tausende anbetend vor einer Bildsäule, dort vor einer Schlange, dort vor einem Ochsen. Jene beten die Sonne an, diese den Mond, andre das Wasser.
Seht euch diese Leute genauer an, denn von ihnen handelt dies Buch. Ihr findet unter ihnen Wahnsinnige von allen Graden, vom rasend Tollen bis zum armen Blödsinnigen, der unter Zittern und Zagen seinen Rosenkranz betet und beständig fürchtet, der Teufel möchte ihn holen. Wie mannigfach sind nicht die Äußerungen ihres Wahnsinns, oft grauenerregend, oft lächerlich, oft Abscheu und Zorn, oft Mitleid erweckend. Diese Religionstollheit verdient schon eine genauere Betrachtung, denn sie ist über die ganze Erde verbreitet und hat unsägliches Elend über die Menschen gebracht. Und ist denn diese Krankheit unheilbar? O nein! Aber die Ärzte, die es vermöchten, sie zu heilen, meinen es nicht ehrlich, denn sie beuten diese Pest des Menschengeschlechtes zu ihrem Vorteil aus und fürchten ihre Macht zu verlieren, wenn die Welt von diesem Übel befreit wird. Andere meinen es ehrlich; aber Machthaber fesseln ihnen nicht allein die Arme, sondern versiegeln ihnen auch den Mund.
Vor etwa zweitausend Jahren wurde zum Glücke der Menschheit der Welt ein Heiland geboren. Er war ein großer Arzt, und wer sein Mittel gebrauchte, der genas von der Religionstollheit, die schon von Anbeginn unter der Menschheit wütete. Aber er fiel als ein Opfer seiner Menschenfreundlichkeit. Die Narren hängten ihn ans Kreuz!...
Es ist meine ehrliche und aufrichtige Meinung, daß das Christentum unendliches Elend über die Welt gebracht hat! Das Gute, welches es erzeugte, wäre auf anderen Wegen gewiß weit herrlicher erreicht worden, und dann steht es mit dem Bösen, dessen Ursache es war, in gar keinem Verhältnis ...
Rom und Griechenland sind ohne Christentum groß geworden, und welcher christliche Staat kann so herrliche Beispiele von Bürgertugend und wahrer Mannesgröße aufweisen? Was hätte aus dem trefflich begabten deutschen Volke werden können, wenn es sich auf ähnlichem Wege wie das griechische entwickelt hätte, oder auch – wenn ihm Christi Lehre in ihrer reinen Gestalt überliefert worden wäre! Aber was hat die christliche Kirche mit Christus gemein! Er predigte die Freiheit – sie aber die Sklaverei. Was haben die Deutschen durch das von den Pfaffen verpfuschte Christentum gewonnen? – Sie, die sonst frei waren, wurden durch dasselbe Sklaven und sind es geblieben bis auf den heutigen Tag. Statt hölzerner und steinerner Götzenbilder, die keinen Schaden taten, bekamen sie lebendige Pfaffen.
Die Verteidiger des Christentums rühmen, daß es die Barbaren entwilderte. Ich will zugeben, daß dies für den Augenblick geschah, allein wie bald zerknickte nicht das Papsttum die durch die neue Lehre hervorgerufenen dürftigen Blüten der Kultur und versenkte ganz Europa in eine Barbarei, die weit finsterer war, als sie es zu heidnischer Zeit je gewesen. Die heidnischen Preußen waren so dumm nicht, als sie den »heiligen« Adalbert totschlugen, und verdienten weit eher das Denkmal, welches nun diesem gesetzt werden soll.
Papst Alexander VI. sagte: »Jede Religion ist gut, die beste aber – die dümmste.« Er sprach es aus, was alle Päpste vor und nach ihm dachten. »Rom kann nur herrschen, wenn die Welt dumm ist«, stand als unumstößlicher Grundsatz in ihrer Seele geschrieben, und deshalb schickten sie ihre Apostel aus, welche die Menschheit systematisch verdummen mußten ... Völker und Fürsten lagen vor den Päpsten im Staube. Das Weltreich, das sie errichteten, und sein Bestehen bis auf den heutigen Tag ist das größte Wunder, das die Geschichte kennt. Des großen Alexander Reich zerfiel; das der alten Römer und das Napoleons ging in Trümmer; sie waren gebaut auf die Gewalt der Waffen. Aber das Reich von Neu-Rom besteht schon fast anderthalbtausend Jahre und wird wer weiß noch wie lange bestehen, denn es ruht auf dem solidesten Fundament – auf der Dummheit der Menschen.
Man schämt sich, ein Mensch zu sein, wenn man überdenkt, durch welche Mittel es den Päpsten gelang, die Geister der Menschen in das Joch zu schmieden. Der grobe Betrug, der nichtswürdigste Eigennutz lagen so klar und offen da, daß es fast unbegreiflich erscheint, wie sie nicht auf der Stelle und selbst von dem Dümmsten erkannt wurden, besonders da die Pfaffen sich nicht einmal große Mühe gaben, ihr Tun und Treiben zu verbergen. Mit der schamlosesten Frechheit wurde die dummgläubige Christenheit geplündert, denn Geld! Geld! war die Losung Roms. Scharen feister Mönche und Nonnen mästeten sich von dem sauer erworbenen Sparpfennig der Armen, die um so mehr bereit waren, die Koffer der Pfaffen zu füllen, weil es ihnen hier auf Erden so schlecht ging und sie sich doch wenigstens nach dem Tode ein bequemes Plätzchen sichern wollten.
Von allen Seiten erhoben sich zwar Stimmen gegen das tolle Pfaffenwesen; sie wurden in Flammen erstickt, und bornierte Fürsten halfen getreulich die Ketzer vertilgen. Aber jeder vergossene Blutstropfen schien dem Pfaffentum einen neuen Feind zu gebären, und nun begann der Kampf Roms mit der Vernunft, welche es schon längst erstickt zu haben meinte.
Wie ein Riese hieb der deutsche Grobian Luther die italienischen Finten durch; »aber ach«, sagt sein Zeitgenosse Caspar von Schwenkfeld, »Luther hat uns aus Ägypten geführt und durch das Rote Meer, aber in der Wüste sitzenlassen und Israel nicht ins gelobte Land gebracht.« Und heute, nach dreihundert Jahren, ist der Josua noch nicht erschienen. Auch Luther ging erst allmählich ein Licht auf; er war Mönch gewesen und zu Rom die Treppe zur Peterskirche auf den Knien andächtig hinauf- und hinuntergerutscht. Bis zum Ende seines Lebens konnte er seinen Geist nicht ganz von der Mönchskutte befreien.
An seinen Schülern war es, auf dem von Luther gelegten Fundament zeitgemäß fortzubauen; aber es ging ihnen wie den Christen der ersten Jahrhunderte; sie klebten an den Worten ihres Meisters und blieben Lutheraner. Luther selbst klagt schon: »Ich wollte Lust machen zur Heiligen Schrift, nun hängen sie bloß an meinen Büchern; ich wollte, daß sie alle zu Pulver verbrannt wären.« Dieses starre Festhalten am Wort hat uns unendlich geschadet.
Vorrede zur zweiten Auflage
»Welchen nun die Bienen werden stechen, der mag schreien und sich rechen, so werden sie in noch mehr stechen.«
Philipp von Marnix, Herr von St. Aldegonde
Es sind nun mehr als zwanzig Jahre verflossen, seit die erste Auflage dieses Buches in Leipzig erschien. Es begann damals sich überall zu regen. Der sich mündig fühlende Geist der Menschheit empörte sich gegen die ihm von dem Despotismus vergangener Jahrhunderte aufgezwängten Formen, und die Regierungen wandten die schon oft erprobten Mittel an, ihn zur Unterwürfigkeit zu bringen. Die Zensur übte ihr Amt mit bornierter Strenge; Zeitungen wurden widerrechtlich unterdrückt und Schriftsteller gemaßregelt und eingesperrt, denn durch sie sprach der Geist der Zeit zum Volk, welches nicht wissen sollte, daß es der Kinderstube entwachsen war.
Die Kirche blieb nicht zurück. Die alten und bereits beiseite gestellten Dogmen und Reliquien wurden aus der römischen Rumpelkammer wieder vorgesucht, und mit mitleidsvollem Zorn sah der Genius des neunzehnten Jahrhunderts die gläubige Herde zu Hunderttausenden nach Trier wallfahrten, einen von dem dortigen Bischof ausgestellten, angeblichen Rock Christi anzubeten.
Leipzig war zu jener Zeit noch die ziemlich unbestrittene Metropole des deutschen Buchhandels, und in ihr vereinigte sich ein Kreis tüchtiger, strebsamer Männer, deren Namen zum Teil schon damals ruhmvoll bekannt waren oder es seitdem geworden sind. In dem neu erstandenen deutschen Schriftsteller-Verein fanden sie einen Vereinigungspunkt, wo mancher Gedanke geboren wurde, der später zur Tat reifte.
Ich war einer der vierzehn Stifter dieses Vereins und kein untätiges Mitglied. Wir erlebten das Jahr 1848. Ich hatte den fünften Band meiner Geschichte der großen niederländischen Revolution vollendet und mit Held die illustrierte Weltgeschichte begonnen. Zu meiner geistigen Erfrischung diente mir die Teilnahme an Helds Wochenschrift »Die Lokomotive«, deren scharfer Pfiff dem verschlafenen Volk verkündete, daß die Zeit der geistigen Hauderer und Landkutscher vorüber sei, daß der Genius der Freiheit mit neuer Kraft durch die Welt brause und die abgetriebenen Mähren des geistlichen und weltlichen Despotismus dem Abdecker verfallen seien.
Die Rockfahrt nach Trier empörte selbst die gebildete katholische Welt. In den von Robert Blum inspirierten sächsischen Vaterlandsblättern erschien der bekannte Absagebrief von Johannes Ronge. Es entstand eine große Bewegung, von der man sich viel versprach und die auch bedeutendere Folgen gehabt haben würde, wenn die Leiter derselben ihrer Aufgabe mehr gewachsen gewesen wären. Sie hatten guten Willen, aber zu wenig Talent.
Ich teilte die Hoffnungen vieler und beschloß mein Teil zur Erfüllung derselben beizutragen. Meine historischen Quellenstudien, namentlich die für meine Geschichte der niederländischen Revolution gegen Philipp II. von Spanien, in welcher das religiöse Element eine Hauptrolle spielte, hatten mich mit Dingen näher bekannt gemacht, welche dem Volk von den seine Erziehung eifersüchtig bewachenden Priestern sorgfältig verhehlt oder nur verstümmelt oder kirchlich zurechtgemacht mitgeteilt wurden. Ich hatte die Schriften der »Kirchenväter« und die der geachtetsten Kirchenschriftsteller zu lesen, und je mehr ich las und forschte, desto mehr wurde mir die Nichtswürdigkeit des entsetzlichen Verbrechens klar, welches die römische Kirche an der Menschheit verübt hatte, desto mehr erstaunte ich über die unerhörte Dreistigkeit und Perfidie, mit welcher es begangen wurde und noch immer begangen wird. Ich sah immer mehr ein, daß die Knechtschaft, unter welcher das Menschengeschlecht seufzt, in der Kirche wurzelte und daß all unsere Bestrebungen zur Freiheit ohnmächtig sein würden, wenn wir uns nicht zuerst von den Fesseln befreiten, in welche die Kirche den Geist der Menschen geschlagen hatte. Dieser Erkenntnis entsprach der Entschluß, ein Buch zu schreiben, welches dem von den Priestern betörten Volk die Decke von den Augen nahm und ihm gestatten sollte, einen Blick in die Werkstatt zu tun, in welcher seine Fesseln geschmiedet wurden.
Der religiösem Glauben entspringende Fanatismus zeigte sich überall als der entsetzlichste Feind der Freiheit, und um ihn zu bekämpfen und zu vernichten, schien es mir nötig, dem Volke nicht allein die gräßlichen Folgen des Fanatismus durch historische Beispiele vorzuführen, sondern auch zugleich die trüben Quellen des Glaubens selbst nachzuweisen, dessen Folge er ist. Da nun dieser Glauben auf angeblichen Tatsachen beruht, an deren Wahrheit das Volk deshalb nicht zweifelt, selbst wenn sie der Erfahrung und der Vernunft widersprechen, weil sie von Priestern erzählt werden, an deren größeren Verstand, Wahrheitsliebe, Uneigennützigkeit und sittlichen Charakter das Volk glaubt: so habe ich zur Bekämpfung dieses Autoritätenglaubens ebenfalls für nötig gehalten, die Natur dieser Autoritäten, das heißt der Päpste und Priester, historisch zu beleuchten und nachzuweisen, daß das gläubige Volk in dieser Hinsicht von durchaus falschen Voraussetzungen ausgeht.
Um diese verschiedenen Zwecke zu erreichen, beschloß ich, in einer Einleitung darzulegen, wie sich die Macht der Päpste und Priester im Laufe der Zeit entwickelte, welche Mittel sie dazu benutzten und welche Wirkung diese Mittel auf die Gesellschaft im allgemeinen und auf die Priester selbst hatten. Dann sollte die Geschichte der Geißler, der Albigenser und Waldenser, der Wiedertäufer, der Inquisition, der Juden-Verfolgungen usw. nachfolgen.
Die Einleitung bot sehr große Schwierigkeiten, denn ein seit Jahrhunderten angesammeltes Material sollte in den engen Rahmen eines mäßigen Bandes gezwängt werden. Ferner geboten die Umstände ganz besondere Sorgfalt und Vorsicht in der Auswahl dieses Materials. Die Zensur existierte noch, und abgesehen von dieser Beschränkung durfte ich nur solche Tatsachen benutzen und anführen, deren Wahrheit nicht allein mir als unzweifelhaft schien, sondern die auch von den römischen Priestern selbst nicht angefochten werden konnten.
Der damalige Zensor in Leipzig war ein Professor Hardenstern. Er sandte mir häufig mein Manuskript mit dicken Strichen versehen zurück, allein er hatte die mißliebigen Stellen meistens wieder freizugeben, wenn ich ihm bewies, daß sie dem von der römischen Kirche approbierten Buche eines Heiligen oder andern großen Kirchenlichtes entnommen waren.
So erschien also die Einleitung zu meinem Werk gewissermaßen bestätigt durch die sächsische Regierung, an deren Spitze ein römisch-katholischer König stand. Das Buch wurde auch, außer in Österreich, nirgends konfisziert, und die Wahrheit nicht einer einzigen der darin angegebenen Tatsachen ist selbst von der römischen Geistlichkeit, obwohl sie das Buch wie begreiflich höchlich verdammte, angefochten oder gar widerlegt worden.
Von der Kritik wurde mein Buch durchweg äußerst günstig aufgenommen und meinem Fleiß und Bestreben die vollste Anerkennung zuteil.
Einige wohlmeinende Freunde sprachen gegen mich die Meinung aus, daß mein Buch eine noch bessere Wirkung hervorgebracht haben würde, wenn ich die empörendsten Tatsachen weggelassen und bei Beurteilung der mitgeteilten mehr Mäßigung beobachtet hätte.
Gegen diese Ansicht muß ich mich entschieden erklären. Wollte ich handeln, wie diese Wohlmeinenden es verlangen, so handelte ich jesuitisch. Eine Linie, die nicht gerade ist, ist krumm, und entstellte Wahrheit ist Lüge.
Es ist allerdings möglich, daß einigen Katholiken die von mir mitgeteilten Tatsachen so unglaublich scheinen, daß sie dieselben für böswillige Erfindungen halten, worin sie natürlich von ihren Geistlichen bestärkt werden; allein sollte ich aus diesem Grunde mich gerade der wirksamsten Waffen berauben? Wer mich der Lüge beschuldigt, der mag offen auftreten; ich will ihm beweisen, daß, was er als Lüge bezeichnet, den Schriften eines verehrten Heiligen, Bischofs oder Prälaten wörtlich entnommen ist.
Was nun meine Urteile anbetrifft, so sind sie allerdings oft in herben und derben Worten ausgedrückt, allein ich frage, welche Ansprüche hat denn die römische Kirche auf eine rücksichtsvolle und zarte Behandlung? Die Wahrheit sagen ist in der Tat nicht so grob als jemand verbrennen, weil er an eine handgreifliche Lüge nicht glauben kann! Nein! was ich für schlecht halte, das werde ich schlecht nennen. Der Ausdruck meiner Entrüstung über diese oder jene römische Niederträchtigkeit muß dieser Entrüstung angemessen sein, und ist dies absichtlich nicht der Fall, dann lüge ich und bin ebenso verächtlich wie diejenigen, welche ich tadle.
Die römische Kirche ist kein Freund der Menschheit, dessen Schwächen und Gebrechen aufzudecken und zu verhöhnen mir Schande bringen könnte. Torheit und Schwäche wäre es, im offenen und ehrlichen Kampfe mit dem Todfeinde dieser Freiheit die Blößen nicht zu benutzen, die er bietet: ich stoße hinein mit aller Kraft, und wenn ich kann, nach dem Herzen.
Das Buch ist nicht für den Gelehrten, auch nicht für den Salon bestimmt, es ist für das Volk geschrieben, und damit dasselbe es lese, ist es geschrieben wie es geschrieben ist. Sind darin vorkommende Tatsachen und Worte nicht immer anständig, dann halte man sich deshalb an diejenigen Heiligen, Päpste oder Priester, welche solche unanständige Handlungen begingen oder unanständige Worte gebrauchten; – auf die zarten Nerven parfümierter Dandys kann man nicht Rücksicht nehmen, wenn man gegen einen frechen, unverschämten Feind und für die Wahrheit kämpft.
Der zweite Band, »Die Geißler«, folgte bald dem ersten; allein ehe der dritte noch erscheinen konnte, brach der Sturm von 1848 los, der mich in Paris fand, wo ich Zeuge der Februar-Revolution wurde. Die Zeit des Schreibens war nun vorläufig vorüber, und mit Tausenden Gleichgesinnter griff ich zum Schwert. Ich focht in erster Reihe und bis zuletzt. Die fürstliche Gewalt hatte bereits überall in Deutschland gesiegt, als wir die Festung Rastatt übergaben, deren Verteidigung ich als Chef des Generalstabes geleitet hatte.
Ich wurde zum Tode verurteilt, aber nicht einstimmig. Die eine dissentierende Stimme, die Anwendung eines in bezug darauf erlassenen Gesetzes und ein Zusammentreffen anderer glücklicher Umstände erretteten mich vom Tode; allein ich ward volle sechs Jahre in der einsamen Zelle eines pennsylvanischen Gefängnisses lebendig begraben.
Wen die Einsamkeit eines solchen Gefängnisses nicht geistig zertrümmert, den läutert und kräftigt sie. Manche meiner Leidensgefährten starben, manche kehrten mit zerstörtem Körper und Geist hilflos in die Welt zurück. Es war im Herbst 1855, als ich mein Grab verließ. Weder mein Geist noch meine Gesundheit hatten gelitten; im Gegenteil, was andere zerstörte, hatte mich gekräftigt. Von der regierenden Gewalt verfolgt und von Ort zu Ort getrieben, hatte ich nach England zu fliehen, »to eat the bitter bread of banishment«, das bittere Brot der Verbannung zu essen.
Der große Bürgerkrieg in Amerika brach aus, und im Herbst 1861 schiffte ich hinüber als Spezial-Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung und Korrespondent der London Times.
Ich sah dort viel und lernte viel. In der sechsjährigen Einsamkeit des Gefängnisses machte ich innere Entdeckungen und Erfahrungen, und durch den sechsjährigen Aufenthalt mitten in dem jugendkräftigen Leben und Treiben der großen Republik wurde mir reichliche Gelegenheit gegeben, die praktischen Resultate der Prinzipien zu beobachten und zu prüfen, für deren Verwirklichung wir in Europa Gut und Blut darangesetzt hatten.
In Amerika wird man häufig von Amerikanern und Deutschen hören, »um Amerika und die Amerikaner zu verstehen, muß man wenigstens fünf Jahre im Lande gelebt haben«, und ich kann das zur Beherzigung für die Leute hier bestätigen, welche so schnell und absprechend über amerikanische Zustände urteilen.
Vertrieben aus meinem Vaterlande, wurde ich zwar ein Bürger der großen Republik, in welcher meine Ansichten und Überzeugungen mich nicht zum Verbrecher stempelten; allein wenn auch dem erweiterten Verstände die ganze Welt als Vaterland nicht zu klein ist, so hängt doch das Herz jedes Menschen mehr oder weniger an dem Lande, in welchem seine Wiege stand und in dem er seine Jugend verlebte. Das Herz des Deutschen bleibt überall deutsch, wenn auch seine Zunge englisch redet, und jeder sehnt sich danach, Deutschland wiederzusehen.
Die Sehnsucht erfaßte auch mich, und es verlangte mich, an Ort und Stelle zu sehen, wie die Saat stände, welche wir vor zwanzig Jahren mit Blut und Tränen eingesät hatten. Ich kehrte daher im vorigen Jahre als Korrespondent der New Yorker »Times« für »Deutschland und angrenzende Länder« in mein Geburtsland zurück.
»Der aus dem Jahr 1848 bekannte Corvin ist aus Amerika zurückgekehrt«, berichtete eine befreundete Zeitung, und die anderen druckten es nach. Als ich diese brillante Anerkennung für ein der Freiheit und dem Volke gewidmetes Leben las, lachte ich hellauf; nicht bitter, sondern mit dem glücklichen, heitern Sinn, der mich in den Stand setzte, ruhigen Auges den standrechtlichen Kugeln entgegenzusehen, in der wehedurchzitterten, brotsuppendurchdufteten Einsamkeit der entsetzlichen Zuchthauszelle geistig und körperlich gesund zu bleiben; die großen und kleinen Miseren des Flüchtlingslebens mit Humor zu tragen; in des »Schiffbruchs Knirschen«, wo die Gläubigen zittern, ruhig zu schlafen und mitten im »Schlachtendonnerwetter« meinen Zeitungsbericht zu schreiben.
Wer kümmert sich heute noch um die Leute, welche die Bäume pflanzten, die uns Schatten und Nutzen gewähren! – Ich war mit dem zufrieden, was ich in Deutschland sah. Das Blut der Märtyrer von 1848 und 49 und die Tränen ihrer Weiber und Kinder sind nicht umsonst geflossen. Die Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft entwickeln sich eben in ähnlicher Weise wie die in der Natur, – allmählich und langsam, und es ist unvernünftig von denen, die doch sonst die Wunder leugnen, Wunder zu verlangen.
Von den politischen Folgen der Jahre 1848 und 49 will ich indessen hier nicht reden; ich habe mit ihnen hier nichts zu tun, ich will nur den geistigen Fortschritt in Betracht ziehen.Der unvernünftige Glauben hat in diesen zwanzig Jahren viel Terrain verloren, und die Hauptstütze desselben, das Papsttum, hängt noch an einem schwachen Lebensfaden. Die Macht der Pfaffen ist unterwühlt selbst in Österreich, Italien und Spanien, und die ungeheuren Anstrengungen, die gemacht werden, sie aufrechtzuerhalten, sind nutzlos. Die Presse ist frei, und sogar die dem Papsttum treuesten Regierungen sind von der öffentlichen Meinung gezwungen worden, die Wissenschaft gewähren zu lassen, und selbst in die Notwendigkeit versetzt, die Anmaßung der Pfaffen zu bekämpfen.
Unsere Aufgabe ist es, die errungenen Vorteile zu benützen, und der zweckmäßigste Weg dazu, das Wissen unter dem Volke zu verbreiten und vor allem danach zu streben, den Pfaffen mit und ohne Tonsur die Erziehung der Jugend aus den Händen zu winden.
Wohl weiß ich, daß die protestantischen orthodoxen Pfarrherrn ebenso fanatisch sind wie die dummgläubigen Mönche und daß sie, wenn sie die Macht hätten, ihre despotischen Gelüste zu befriedigen, dies mit ähnlichen Mitteln tun würden, wie sie die römische Kirche gebrauchte; allein wir können Herrn Knaak und ähnliche Stillstandshelden ruhig ihre Glaubensdummheiten zu Markte bringen lassen, das protestantische Volk lacht darüber, und die paar alten Weiber, die ihnen glauben, tun wenig Schaden. Ich lasse daher die innerhalb der protestantischen Kirche auftauchenden Dummheiten unberücksichtigt, wenigstens sind sie nicht der Hauptgegenstand dieses Buches. Ich habe es hier speziell mit den von Rom ausgehenden Dummheiten und Nichtswürdigkeiten zu tun und zeige dem Volk das Gesicht der römischen Pfaffheit, wie es in dem Spiegel der Geschichte erscheint.
Die erste Auflage dieses Buches war bald vergriffen, und meine lange Abwesenheit von Deutschland hinderte mich daran, eine zweite zu veranstalten. Als ich jedoch im vorigen Jahr von Amerika zurückkehrte, wurde ich von sehr verschiedenen Seiten dringend dazu aufgefordert. Im Buchhändler-Börsenblatt wurde das Buch fast wöchentlich gesucht, und es war selbst antiquarisch nirgends zu haben. Ich selbst konnte kein Exemplar auftreiben und hatte es mir von einem Privatmanne zu borgen, welcher es jemand verliehen, der es wiederum einem Freunde in einer anderen Stadt mitgeteilt hatte!
Obwohl mit mancherlei Arbeiten überhäuft, entschloß ich mich nun zu einer zweiten Auflage. Die Veränderungen, die während dieser zwanzig Jahre in Deutschland stattgefunden hatten, machten eine teilweise Umarbeitung notwendig. Die ganze Einleitung paßte nicht mehr, und ich schrieb eine andere. Zeitanspielungen durchzogen das ganze Buch, und ich hatte es durchaus zu revidieren und vermehrte dasselbe durch ein Kapitel, welches ich hauptsächlich dem zweiten Bande entnahm. Ich veränderte auch den Titel, da mir christlicher Fanatismus eine contradictio in adjecto schien.
Wenn ich an den mitgeteilten Tatsachen nichts änderte, höchstens einige hinzufügte, und ebensowenig an dem Stil und Ton des Buches, so tat ich das mit voller Überlegung. »Narren muß man mit dem Kolben lausen«, heißt das derbe deutsche Sprichwort, und wie ein Anatom, der zum Besten der Menschheit in faulen Körpern wühlt, keine Handschuhe anziehen kann, so kann auch ich den faulen Pfaffenkörper nicht mit Glacéhandschuhen anfassen. Daß ich mir aber bei dem ekelhaften Geschäft eine humoristische Zigarre anstecke, kann mir kein Mensch übelnehmen, und sie kommt ja auch dem Leser zugut. Ebensowenig halte ich es für angemessen, es aufzugeben, die Dinge beim rechten Namen zu nennen. Wenn ich einen für unanständig gehaltenen Gegenstand überhaupt so bezeichnen muß, daß man versteht, was ich meine, so wird der Gegenstand dadurch nicht anständiger, daß ich umschreibe, was ich mit einem deutschen Wort bezeichnen kann.
Hoffentlich wird mein Buch noch zur Kirchenversammlung fertig, von der sich der Papst die Wiederherstellung der römischen Herrlichkeit verspricht; mein Buch mag den Herren zum Nachschlagen dienen, wenn sie vielleicht vergessen haben sollten, was die römische Kirche vorschreibt und glaubt.
1868, im Oktober Corvin
Vorrede zur dritten Auflage
Ich war freilich vollständig davon überzeugt, daß mein Pfaffenspiegel ein zeitgemäßes Buch sei; allein dennoch überraschte es mich sehr angenehm, daß bereits nach einigen Wochen eine dritte Auflage nötig wurde, welche hoffentlich nicht die letzte sein wird.
Ein günstiges Geschick unterstützte die in dem Buche vertretene gute Sache dadurch, daß es gerade um die Zeit seines Erscheinens Dinge an das Tageslicht brachte, welche die in demselben aufgestellte Behauptung bewahrheiteten, daß die in früheren Zeiten innerhalb der römischen Kirche, namentlich in den Klöstern, verübten Ruchlosigkeiten und himmelschreienden Verbrechen keineswegs allein barbarischen Zeitaltern angehörten, sondern daß sie eine natürliche Folge des in der römischen Kirche herrschenden, unwandelbaren Prinzips sind und heute noch ebenso vorkommen wie vor tausend Jahren, nur in vielleicht noch schrecklicherer und mehr raffinierter Nichtswürdigkeit.
Als die römische Kirche noch über Kaiser, König und Volk unumschränkt gebot, hielten es die Pfaffen kaum für der Mühe wert, ihre Gewalttätigkeiten zu verbergen, da die Kirche selten den Willen und das weltliche Gesetz nicht die Macht hatte, die unter dem Deckmantel der Religion verübten Scheußlichkeiten zu verhindern oder zu bestrafen. Das hat sich indessen seit der Reformation und den aus derselben sich entwickelnden Revolutionen geändert. Selbst solche Kaiser und Könige, welche noch sehr geneigt wären, die römische Kirche gewähren zu lassen, weil die durch dieselbe geförderte Verdummung der Despotie günstig ist, sind von der öffentlichen Meinung, welche durch den Arm des Volkes manchmal Throne zertrümmert und Kronen – samt den Köpfen – herunterschlägt, gezwungen worden, ihrer unumschränkten Gewalt feierlich zu entsagen und ihre despotischen Gelüste hinter sogenannten Konstitutionen zu verbergen, über welche sie lachen mögen, die aber das Volk sicher zur Wahrheit machen wird, wenn es sich erst von der geistigen Knechtschaft der Kirche befreit und damit unehrlichen Fürsten alle Hoffnung auf die Rückkehr zur alten despotischen Herrlichkeit abgeschnitten hat. Die Fürsten, die sich jetzt selbst dem Gesetz fügen müssen, können die Pfaffen nicht länger schützen, welche verfassungsmäßige Gesetze verletzen, denn die öffentliche Meinung verlangt gleiches Recht für alle und will Privilegien der Kirche und ihrer Diener nicht länger dulden.
Die römische Kirche hält jedoch ihre Grundsätze und Gesetze für vollkommen und erklärt, daß der Zeitgeist auf Abwegen sei und durch ein Konzil wieder in das althergebrachte Geleise gebracht werden müsse. Daß bei einem solchen Zustande die Opfer kirchlicher Tyrannei nicht besser wegkommen als im Mittelalter, liegt auf der Hand.
Nach den Enthüllungen, welche innerhalb der letzten zwanzig Jahre gemacht worden sind, läßt es sich mit Bestimmtheit annehmen, daß alle Verbrechen, welche in meinem »Pfaffenspiegel« nach authentischen Quellen berichtet sind, auch noch heutzutage innerhalb der römischen Kirche und namentlich in den Klöstern begangen, aber nur sorgfältiger geheimgehalten werden und daß es daher eine von der Menschlichkeit gebotene Pflicht ist, die Regierungen auf dem gesetzlichen Wege zu veranlassen, die strengsten Untersuchungen anzuordnen und ferner alle Ausnahmegesetze für Priester, oder die Kirche im allgemeinen, aufzuheben und die Gleichheit vor dem Gesetz eine Wahrheit werden zu lassen.
Schließlich ersuche ich nochmals alle Leser, welche es mit der Menschheit wohlmeinen, mir unter der Adresse der Verlagshandlung Mitteilungen über pfäffische Nichtswürdigkeiten zu machen, die zu ihrer Kenntnis kommen und deren Untersuchung an geeigneter Stelle angeregt werden soll, ohne den Namen der Mitteiler zu nennen. Unzweifelhafte Fälle sollen dann in folgenden Auflagen und auch durch Zeitungen zur Kenntnis des Publikums gebracht werden.
Rorschach am Bodensee, August 1869 Corvin
Vorrede zur vierten Auflage
Die Notwendigkeit einer vierten Auflage des »Pfaffenspiegel« in so kurzer Zeit ist der beste praktische Beweis, daß dies Buch den Zweck erfüllt, den ich mir vorsetzte, als ich es schrieb. Aus verschiedenen streng katholischen Ländern der Welt, wie Spanien, Italien, Südamerika, erhielt ich zustimmende und ermutigende Briefe und hatte auch die Freude, ein eigenhändiges Schreiben von dem alten Helden Garibaldi zu empfangen, in welchem er sich freudig anerkennend über die Tendenz meines Buches ausspricht.
Der Gedanke der Verlagsbuchhandlung, eine wohlfeile Volksausgabe des Pfaffenspiegels zu veranstalten, ist ein sehr glücklicher und mit meinen Ansichten durchaus übereinstimmender.
Für die gebildeten Klassen der Gesellschaft ist überall die Macht des Papstes, sofern sie ihren Glauben betrifft, ein toter Buchstabe; allein diese Macht hat noch immer eine fühlbare praktische Bedeutung, solange das Fundament einigermaßen zusammenhält, auf dem sie erbaut wurde, das ist die Dummheit des Volkes – oder, um es milder auszudrücken, der »blinde Glaube« des Volkes an ihre Berechtigung.
Der offene Zweck dieses Buches ist es, auf offene und ehrliche Weise dieses Fundament zu stürzen, indem auf authentischem, historischem Wege nachgewiesen wird, daß dieser Glaube, den die römische Kirche als erste Bedingung verlangt, auf handgreiflichen Lügen und Fälschungen beruht, die von bewußten und unbewußten Betrügern dem vertrauenden Volke als Wahrheiten und Tatsachen aufgetischt wurden, und daß eigennützige Pfaffen diesen »frommen Glauben« des Volkes stets zu ihrem eigenen Nutzen und zum Schaden der Menschheit ausbeuteten.
Die alten Heiden pflegten zu sagen: »Wen die Götter verderben wollen, schlagen sie zuerst mit Blindheit.« Es scheint in der Tat, als ob eine höhere Macht die geistigen Augen des gegenwärtigen Papstes geblendet und ihn unfähig gemacht hätte zu sehen, was das gegenwärtige Zeitalter erfordert.
Jesuiten, die nichts weniger als blind für ihre speziellen Interessen sind und im Trüben zu fischen hoffen, umgarnen den altersschwachen Mann, nähren seine krankhafte Neigung zu mystischer Schwärmerei und zugleich seinen geistlichen Hochmut und veranlassen ihn, dem in Rom versammelten Konzil Beschlüsse aufzuzwingen, gegen welche sich der gesunde Menschenverstand und praktische Sinn der würdigsten Bischöfe empört, und welche, wenn sie zur Ausführung kommen sollten, die geistliche Macht unfehlbar stürzen müssen, welche länger als ein Jahrtausend den Geist der Menschen knechtete und den Fortschritt aufhielt.
Ich halte es für ein verdienstliches Werk, zur Beschleunigung dieses Umsturzes nach Kräften beizutragen, indem ich dem gläubig vertrauenden Volke die Gestalt der römischen Kirche zeige, wie sie erscheint, wenn sie von dem sie verhüllenden Plunder der Lüge und Falschheit befreit ist.
London, im Februar 1870 Corvin
Vorrede zur fünften Auflage
Zur Zeit der bedrückendsten Reaktion (1846) schrieb ich zur Unterstützung der deutsch-katholischen Bewegung unter dem Titel: »Historische Denkmale des christlichen Fanatismus« ein Buch, welches in der Gebauerschen Buchhandlung in einer Auflage von 3000 Exemplaren erschien. Damals bestand noch die Zensur in aller Strenge, und der damalige Leipziger Zensor, ein Professor namens Hardenstern, durchforschte mein Manuskript mit ganz besonderer Sorgfalt, und sein Rotstift strich manche Stellen weg. Dieses Schicksal betraf besonders lange Passagen aus den Schriften römisch-katholischer Heiliger und Kirchenväter, die der Herr Professor nicht kannte. Er ersuchte mich, die Quellen stets mit Bleistift am Rande zu bemerken, da er imstande sei, sich selbst zu überzeugen. Da das Buch nur historische Tatsachen enthielt, welche entweder direkt nur römisch-katholischen Schriftstellern oder Werken entnommen waren, die seit Jahren in Deutschland bestanden, so erteilte der strenge Zensor dem Buche das Imprimatur.
Das Werk wurde vom Publikum sowohl als der Presse ganz außerordentlich günstig aufgenommen, wenn auch einige zartbesaitete Kritiker meine Sprache hin und wieder zu offen und derb fanden. Ich habe aber für jedes meiner Bücher einen besonderen Stil, wie ich ihn für den behandelten Gegenstand und für die Klasse des Publikums, für welche das Buch bestimmt ist, für zweckmäßig halte. Der Erfolg hat bewiesen, daß ich, was die »Historischen Denkmale usw.« betrifft, das Richtige getroffen hatte. Die 3000 Exemplare waren bald abgesetzt.
Es kamen nun die Jahre 1848 und 1849, an deren politischen Ereignissen ich einen sehr regen Anteil nahm, infolgedessen ich zum Tode verurteilt, allein zu Zellengefängnisstrafe begnadigt wurde, die ich sechs volle Jahre, die höchste vom Gesetz gestattete Zeit, in Bruchsal in Baden erduldete.
Als ich im Jahre 1855 frei wurde, zwang mich die fortgesetzte Verfolgung des Preußischen Polizeipräsidenten von Hinkeldey, nach England zu flüchten, wo ich sechs Jahre in London lebte. Als der große Sezessionskrieg in Amerika ausbrach, ging ich dorthin als Spezialkorrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung und der Londoner Times. Ich trat in amerikanischen Staatsdienst und wurde Bürger der großen Republik.
Im Jahre 1867 ging ich als Spezialkorrespondent der New-York-Times nach Berlin, von wo ich nach der Schweiz und später nach Wertheim in Baden zog.
Schon gleich nachdem meine Rückkehr nach Deutschland bekannt wurde, erhielt ich von den verschiedensten Seiten die allerdringendsten Aufforderungen, eine neue Auflage meiner historischen Denkmale herauszugeben. Diese zweite Auflage erschien bei Vogler & Beinhauer in Stuttgart (5000 Exemplare) unverändert unter dem Titel »Pfaffenspiegel,Historische Denkmale des Fanatismus in der römisch-katholischen Kirche«. Die Auflage wurde bald abgesetzt, und es erschien die gleichfalls 5000 Exemplare starke dritte Auflage, die in sechs Wochen vergriffen war. Dieser günstige Erfolg veranlaßte die Verlagshandlung, eine wohlfeile Volksausgabe von 8000 Exemplaren zu veranstalten, und sie hatte – ohne meinen Rat einzuholen – den unglücklichen Gedanken, diese Auflage illustrieren zu lassen. Diese Illustrationen lieferten der damaligen württembergischen Regierung den Vorwand, das mit königlich sächsischer Zensur erschienene Buch mit Beschlag zu belegen und seinen Verkauf bei Strafe zu verbieten.
Während die drei ersten Auflagen erschienen, war von keiner deutschen Behörde eine Klage gegen den Inhalt des Buches erhoben worden, ja nicht einmal von Seiten der römischen Geistlichkeit ein Versuch gemacht worden, eine der darin enthaltenen historischen Tatsachen zu bestreiten, obwohl ich dringend darum ersucht hatte, mir etwaige Irrtümer nachzuweisen. – Die Umstände verhinderten die Veranstaltung neuer Auflagen. Ein Buchhändler, welcher einen großen Teil der verbotenen illustrierten Auflage erworben hatte, behauptete fälschlicherweise, von den früheren Verlegern das Verlagsrecht erkauft zu haben, welches diese aber nie besessen hatten, wie aus Verträgen und Briefen dieser Verleger bewiesen ist.
Der Verlagsbuchhändler Herr A. Bock in Rudolstadt, welcher durch Verkaufskontrakt Eigentümer des Verlagsrechtes geworden ist, hat beschlossen, nachdem die entgegenstehenden Hindernisse beseitigt sind, eine fünfte Auflage des sehr gesuchten Buches (es erschien auch französisch unter dem Titel La Prêtraille Romaine) herauszugeben. Ich freue mich darüber und hoffe, daß es jetzt noch beifälliger aufgenommen werden wird als 1846, weil die Reaktion im gegenwärtigen Augenblick noch drückender wirkt als damals und die Pfaffheit mit erneuter Dreistigkeit die alten Künste, das Volk in der Dummheit zu erhalten, anwendet, welche sich in früheren Zeiten als so wirksame Stütze des fürstlichen Absolutismus bewährt haben.
Bad Elgersburg, im Juli 1885 Corvin
Je erhabener göttliche Dinge sind, je ferner sie von der Sinnenwelt abliegen, desto mehr muß sich das Streben unserer Vernunft nach ihnen richten; der Mensch wird wegen der ihn auszeichnenden Vernunft mit dem Bilde Gottes verglichen; daher soll der Mensch sie auf nichts lieber richten als auf den, dessen Bild er durch sie vorstellt.«
Abélard
Wenn der schwache Mensch sich unter den Schlägen des Unglücks erliegen fühlt und weder in sich selbst noch in andern, noch überhaupt irgendwo auf Erden Trost und Hilfe für seine Leiden findet, dann treibt ihn ein natürlicher Hang dazu, sich mit der in Gefühlen, Gedanken oder Worten ausgedrückten Bitte an die von jedem geahnte, wenn auch nicht begriffene Macht zu wenden, welcher er den Ursprung und die Erhaltung alles Bestehenden, der Welt, zuschreibt und die wir mit dem allgemeinen Namen Gott bezeichnen.
Es kann nur eine Weltursache, einen Gott geben, aber das Wesen – die Beschaffenheit und Art dieser schaffenden und erhaltenden Kraft ist das große Weltgeheimnis, welches nie ergründet wurde, nie ergründet werden wird und nie ergründet werden kann.
Jeder Mensch, der überhaupt eines Gedankens fähig ist, macht sich indessen von diesem Wesen eine Vorstellung, welche dem Grade der Ausbildung der ihm mit der Geburt gegebenen Vernunft angemessen ist. Diese Vorstellung ist sein Gott und somit jeder Mensch der Schöpfer seines Gottes.
Die Vernunft entwickelt sich infolge sehr mannigfaltiger Einflüsse sehr verschieden, und wie es kaum zwei Menschen gibt, die durchaus körperlich gleich sind, so gibt es auch nicht zwei, deren geistige Ausbildung oder Entwicklung genau dieselbe ist. Daraus folgt, daß es, streng genommen, ebenso viele Götter als Menschen gibt – das heißt Vorstellungen von Gott.
Was verschiedene Menschen für eine Ansicht über die Natur der Sonne haben, ändert die Sonne nicht, und Gott bleibt derselbe, wie verschieden sich auch die Vorstellung der Menschen gestalten mag. Der Neger, der vor dem von ihm selbst geschnitzten Fetisch kniet, welcher der verkörperte Ausdruck seiner Gott-Vorstellung ist, wie der Inder, der Feueranbeter, der Mohammedaner, Jude oder Christ – alle beten zu demselben Gott, und die sogenannten Materialisten und Atheisten, die nicht beten, haben nur eine von der mehr allgemeinen abweichende Ansicht. Die sogenannten Gottesverleugner verneinen nicht eigentlich das Vorhandensein Gottes, was eine absolute Dummheit wäre, sondern erklären sich nur gegen die Vorstellung von einem persönlichen Gott.
Alle Gottvorstellungen sind zwar aus ein und derselben Urquelle geschöpft; allein je nach den Einfluß übenden verschiedenen Verhältnissen bildeteten sie sich verschieden und oft zu so seltsam und wunderlich erscheinenden Formen aus, daß es selbst dem kundigen, denkenden Forscher schwer wird, den gemeinschaftlichen Ursprung nachzuweisen.
Da nun die Gottvorstellung die Grundlage jeder Religion ist, so erklärt sich einerseits das Vorhandensein so vieler verschiedener Religionen und andrerseits wieder der Umstand, daß Völker, die sich unter denselben oder ähnlichen Verhältnissen entwickelten, dieselbe Religion haben.
Das Nachweisen des gemeinschaftlichen Ursprunges der verschiedenen Religionen würde ein eigenes Werk erfordern, und da es für den mir vorliegenden Zweck genügt, so beschränke ich mich darauf, eine Skizze von dem allgemeinen Entwicklungsgange aller Religionen zu geben.
Als die Erde in ihrer Entwicklung auf dem dazu geeigneten Punkte angelangt war, entstanden Menschen. Diese empfanden die angenehmen und unangenehmen Wirkungen der verschiedenen Naturerscheinungen zum erstenmal, und da sie mit Vernunft begabt waren, so forschten sie bald, oder vielmehr machten sich Gedanken über deren Ursprung.
Die unmittelbarsten Eindrücke empfanden sie von der Witterung, und Regen, Wind, Gewitter, Hitze und Kälte waren um so mehr geeignet, ihre Neugierde zu erregen, als deren Urheber ihren Augen verborgen waren.
Die Veränderungen, welche vor Regen und Gewitter am Himmel vorgingen, konnten sie indessen sehen, und da der Regen und der Blitz aus den Wolken kamen, so lag es sehr nahe, die verborgenen Urheber »im Himmel«, das heißt in den Wolken zu suchen.
Die Sonne, von welcher Tag und Nacht, Hitze und Kälte mit ihren Wirkungen abhängen, mußte natürlich ebenfalls ein hauptsächlicher Gegenstand ihrer verwunderten Betrachtung werden.
Auch der Wechsel der Jahreszeiten mit seinen Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten mußte die Frage nach dessen Ursache erzeugen.
Da die Erfahrung, die Mutter aller Wissenschaft, noch in der Kindheit war, so bewegte sich die Phantasie, das ungeregelte Spiel der Vernunft, nur in dem sehr beschränkten Kreise des Sichtbaren und knüpfte daran ihre Schlüsse in bezug auf das Verborgene. Als handelnde Wesen kannte man nur Tiere und Menschen, und die Geschöpfe der Phantasie, die man als die Urheber der genannten Naturerscheinungen dachte, konnten nur tier- oder menschenähnliche Wesen sein.
In manchen Menschen ist die Phantasie reger als in andern, und sie teilten mit, was sie über die Handlungen und Verhältnisse dieser Wesen zueinander dachten und aus den Äußerungen der ihnen zugeschriebenen Tätigkeit erfanden. So entstanden Märchen und Sagen, welche durch die mit besonders lebhafter Phantasie begabten Menschen, Dichter, immer weiter ausgesponnen, in mehr oder minder vernünftigen Zusammenhang gebracht und mit Personen bevölkert wurden.
Solche in der Kinderstube des Menschengeschlechts entstandene Märchen pflanzten sich als wirklich geschehen von Geschlecht zu Geschlecht fort, und ihre Spuren sind noch nach Jahrtausenden selbst unter den am weitesten entwickelten Völkern nachzuweisen und üben noch heute einen gewissen Einfluß. Das wird einem jeden begreiflich sein, der sich über seine eigenen Gefühle und Empfindungen Rechenschaft gibt. Selbst der aufgeklärteste und gebildetste Mann wird noch am Ende seines Lebens Anklänge der Eindrücke entdecken, die er in seiner Kinderstube empfing; es wird keinem gelingen, sich absolut von dem Ammenmärchen loszumachen.
Da sich die Urmenschen die in den Wolken oder an andern ihnen unzulänglichen Orten vermuteten Urheber der Naturerscheinungen – »Götter« – nur als mächtigere Tiere oder Menschen dachten, so schrieb man ihnen natürlich auch dieser Vorstellung angemessene Empfindungen zu, wie Zorn, Haß, Rache, Wohlwollen, Güte usw. Da sich nun der Zorn von Menschen besänftigen und dessen Äußerung abwenden läßt, so lag der Gedanke nahe, dies auch mit den Göttern zu versuchen, und so entstanden die Opfer.
Diese Opfer bestanden in Gegenständen, die Menschen angenehm waren, und da die Götter im Himmel wohnten und diese Opfer nicht abholten, so mußte man sie ihnen in den Himmel senden, was in keiner andern Weise geschehen konnte als dadurch, daß man sie verbrannte, da doch wenigstens der Geruch und Rauch zum Himmel aufstiegen.
Die geschäftige Phantasie bildete sich bald eine Theorie über die Wirkung dieser Opfer, und da man dabei nie den menschlichen oder rein sinnlichen Standpunkt verließ, so kam man natürlich zu dem Schluß, daß das, was Menschen ganz besonders angenehm, was selten und daher schwer zu verschaffen, was ihnen vorzüglich lieb war, den Göttern das angenehmste Opfer sein müsse.
Da nun aber auch der Zorn der Götter schwer zu besänftigen war, das heißt da unangenehme Naturerscheinungen oft lange dauerten und man viele Opfer gebrauchte, bis sie mit ihren Wirkungen aufhörten, solche seltene den Göttern besonders angenehme Opfer aber schwer zu verschaffen waren und dem einzelnen oft fehlten, so vereinigten sich viele, den Bedarf für die Götter herbeizuschaffen, da alle den Wunsch haben mußten, sie zu versöhnen. So bildeten sich Opfervereine, die wohl als der Anfang der Religion bezeichnet werden können.
Die herbeigeschafften Opfervorräte mußten aufbewahrt und endlich den Göttern dargebracht werden, und es wurden bald besondere Personen mit diesem Geschäft beauftragt. So entstanden Priester.
Da diese Priester diejenigen Personen waren, welche den Göttern, die man sich stets als mehr oder weniger idealisierte Menschen dachte, die Opfer darbrachten, also mit ihnen in unmittelbare Verbindung traten, so lag der Gedanke nahe, daß die Götter ihnen als den wirklichen Spendern besonders günstig seien und ihnen zunächst ihre Wünsche mitteilten. Daraus folgte wieder, daß man ihnen einen gewissen Einfluß auf die Entschlüsse der Götter zuschrieb und sich um ihre Gunst bemühte, damit sie diesen vorausgesetzten Einfluß für diejenigen anwendeten, welche sich ihre Zuneigung zu erwerben verstanden.
Herrschsucht liegt aber in der Natur jedes Menschen, und es ist begreiflich, daß den Priestern der von ihnen erlangte Einfluß angenehm war und sie denselben zu erhalten und zu vermehren trachteten. Sie wußten freilich, daß die in bezug auf ihr Verhältnis zu den Göttern gehegten Voraussetzungen irrtümliche waren; allein der Irrtum hatte dieselbe Wirkung wie ihn die Wahrheit gehabt haben würde, und es lag in ihrem Interesse, denselben zu erhalten und zu vermehren.
Die Priester in dieser Kinderperiode der Menschheit glaubten übrigens selbst an die Götter und hatten von ihrer Natur im Hauptsächlichen dieselbe Vorstellung wie die übrigen Menschen; sie hielten daher eine unmittelbare Verbindung mit denselben für keineswegs unerhört oder unmöglich, und Träume und Visionen, über deren Ursprung und Natur die Erfahrungen noch gering waren, mochten sie darin bestärken, daß ein solcher Verkehr mit den Göttern nicht nur möglich sei, sondern auch wirklich stattfinde.
So entstand denn allmählich infolge unabsichtlicher und absichtlicher Täuschung über die Beziehung zwischen Göttern, Priestern und den anderen Menschen ein System, welches auf dem Glauben beruhte, den das Volk den Aussagen der Priester schenkte. Diese, die vertraut mit den Göttern waren, wußten, was diesen angenehm und unangenehm war, und sie verstanden es, die Sprache zu deuten, durch welche sie sich den Erdenkindern mitteilten. Die Priester ordneten die Art und Weise an, wie die Opfer gebracht werden sollten, und daß sie bei all diesen Anordnungen sich selbst nicht vergaßen, versteht sich wohl von selbst. So wuchs das Ansehen der Priester von einem Menschenalter zum andern immer mehr, und sie waren die eigentlichen Herrscher des Volkes.
Außer den im Himmel, das heißt in den Wolken, wohnenden Göttern gab es aber auch auf der Erde dem Menschen mehr oder weniger furchtbare Gewalten; zunächst starke und reißende Tiere und endlich Menschen, die ihre größere körperliche Kraft zum Nachteil anderer anwandten. Gegen diese mußte man sich schützen, und es ist begreiflich, daß diejenigen, welche vermöge größerer Kraft, größeren Mutes und Geschicklichkeit sich bei der Jagd und im Kriege auszeichneten, Einfluß und Macht unter ihren Mitmenschen erwarben. Sie wurden Häuptlinge, – Fürsten.
Verstand und Körperkraft sind nur selten in gleichem Maße in denselben Menschen vereinigt, und als im Laufe der Zeit die Verhältnisse der Gesellschaft verwickelter wurden, ward auch das Herrschen schwieriger, und Fürsten und Priester fanden es zweckmäßig, sich gegenseitig zu unterstützen, wobei je nach den Umständen bald die Gewalt der Fürsten, bald die der Priester überwog.
Die Religion wurde daher die Stütze der Despotie und umgekehrt.
Viele sind stärker als Einer, und da sich die Interessen des Einen nicht immer mit denen der Vielen vertragen, so würde es noch häufiger vorkommen, als es der Fall war und ist, daß die Vielen den Einen zwingen, nach ihrem Willen zu regieren, wenn nicht die Religion, die auf die Furcht vor den verborgenen, mächtigen Göttern gegründet war, ein solches Auflehnen durch den Mund ihrer anerkannten Vertreter, der Priester, als ein Verbrechen gegen diese Macht schon deshalb gestempelt hätte, weil durch die Verminderung der Macht der Despoten die der Priester gefährdet wurde, indem diese sie dazu gebrauchten, den gefährlichsten Feind der von ihnen erfundenen Religion zu bekämpfen.
Dieser Feind ist die Vernunft, das Denken und die daraus folgende Erkenntnis, die Wissenschaft.
Die Macht der Priester und alle Religion beruhte auf der Phantasie, welche in der Kinderperiode der Menschheit die Götter erschuf. Die Spekulation der Priester bildete diesen traditionellen Glauben zu einem komplizierten System aus, welches aus Täuschungen und Erdichtungen zusammengesetzt und von vornherein auf Einbildungen erbaut war.
Je mehr sich in den Menschen die Vernunft entwickelte und sie anfingen zu beobachten und zu denken, das heißt aus Erfahrungen Schlüsse zu ziehen, desto häufiger entdeckten sie, daß manche von den Priestern als positive Wahrheiten ausgegebene Dinge gerade das Gegenteil waren, was natürlich Mißtrauen gegen andere Behauptungen erzeugte, auf denen die Priestergewalt hauptsächlich gestützt war. Jeder Schritt, den die Wissenschaft vorwärts tat, trat irgendeiner Priesterlüge auf den Kopf.
Es war daher eine Lebensfrage für das Ansehen der Priester, oder was sie mit sich selbst zu identifizieren verstanden, der Religion, die Entwicklung der Vernunft nach Kräften zu hemmen und die Verbreitung der unvertilgbaren Resultate der Wissenschaft zu verhindern, was zunächst durch die despotische Macht geschehen konnte.
Da nun aber häufig Konflikte zwischen der Herrschsucht der Priester und derjenigen der Fürsten entstanden, so waren die ersteren darauf bedacht, für ihre Macht eine noch festere Begründung zu schaffen, als sie das sie mit den Despoten verbindende gemeinschaftliche Interesse darbot, welches nur bis zu einer gewissen Grenze gemeinschaftlich war. Das Verfahren der Priester, um diesen selbstsüchtigen Zweck zu erreichen, war ebenso praktisch als für die Menschheit und deren geistige Entwicklung verderblich; der menschliche Geist mußte der Aufklärung möglichst unzugänglich und schon von Kindheit an in eine Form gezwängt werden, welche ihn nötigte, sich in der gewünschten Weise zu entwickeln. Zu diesem Ende bemächtigten sie sich der Erziehung der Jugend.
Das genügte indessen ihrer Vorsicht noch nicht. Dieses Lehrerverhältnis mußte für das ganze Leben beibehalten und die Herrschaft der Priester über die Seele der Menschen in solcher Weise ausgedehnt werden, daß diese von der Wiege bis zum Tode keinen Gedanken denken konnten, von dem die Priester nicht Kenntnis erhielten.
Das Mittel, dies vollkommen zu erreichen, war, in den Menschen die Furcht zu pflanzen vor entsetzlichen Gefahren (die einzig in dem Gehirn der Priester ihren Ursprung fanden) und gegen welche allein die Priester die Mittel zu vergeben hatten.
Es ist hier keineswegs gesagt, daß alle Priester bewußte Betrüger waren. Das wohlersonnene und konsequent durchgeführte System verfehlte seine Wirkung auf die Priester selbst nicht, welche aus dem Volke hervorgingen und nach der als zweckmäßig und notwendig erkannten Art erzogen worden waren. Ein großer Teil der Priester glaubte wirklich, was sie lehrten, und diejenigen, die nicht glaubten, begriffen bald den Vorteil, den es ihnen brachte, den Glauben im Volke zu erhalten.
Der Glaube war der Hauptpfeiler des ganzen von den Priestern erbauten Religionsgebäudes, und da mit seiner Zerstörung dasselbe durchaus fallen mußte, so war es die Hauptsorge aller Priester, diesen Glauben als das Heiligste und Unantastbarste hinzustellen und schon den bloßen Zweifel, welcher der Vernunft den Weg bahnte, als ein Verbrechen darzustellen, welches die Götter als das schrecklichste von allen bestraften.
Dieser Gedanke, welcher schon seit Jahrtausenden von Priestern aller Religionen den Kindern eingeprägt wurde und sich von Generation zu Generation forterbte, behauptete sich unter den Menschen mit solcher Gewalt, daß noch heute, nachdem die Vernunft und die trotz aller Hemmnisse unaufhaltsam fortschreitende Wissenschaft die Abgeschmacktheit aller auf den Glauben gegründeten Religionen erkannt hatte, selbst Nichtgläubige es nicht wagen dürfen zu sagen: ich glaube nicht an Gott, ohne unter Millionen Entsetzen zu erregen, obwohl mit diesen Worten doch weiter nichts ausgedrückt ist als: die Vorstellung, welche ich, ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, von der Weltursache, von Gott habe, ist eine durchaus andere als diejenige, welche die Mehrzahl der Menschen vor Jahrtausenden hatte und welche noch die Basis der heutigen herrschenden Religion bildet.
Da nun der Glaube sich als der Hauptfeind des menschlichen Fortschritts erwies und noch erweist und es Zweck dieses Buches ist, zu der Wegräumung dieses mächtigen Hindernisses beizutragen, so wird es nötig sein, die Natur desselben zu untersuchen.
Was ich aus eigener Erfahrung kenne, brauche ich nicht zu glauben, das weiß ich; ich kann nur glauben oder nicht glauben, was ich aus dieser Erfahrung schließe oder was mir andere als ihre Erfahrung, oder als Schlüsse, die aus derselben gezogen sind, mitteilen.
Es gibt zwei Arten von Glauben: der vernünftige und der unvernünftige, und ihre Erklärung liegt schon im Beiwort. Was meine Vernunft als möglich annimmt, kann ich glauben ohne unvernünftig zu sein, selbst wenn das mir als Faktum Mitgeteilte nicht wahr sein sollte; glaube ich aber an das Geschehensein einer Handlung, welche meine Vernunft als unmöglich erkennen muß, so ist mein Glaube ein unvernünftiger.
Der Maßstab, den die Vernunft für die Möglichkeit einer Sache hat, ist ursprünglich einzig und allein die Erfahrung. Beispiele werden meine Ansicht klarer machen als Definitionen.
Erzählt mir jemand, er habe im Oktober einen Kastanienbaum blühen gesehen, und ich glaube ihm, so ist mein Glaube ein vernünftiger, selbst wenn derjenige, der mir die Sache erzählt, eine Unwahrheit sagen sollte. Ich selbst habe Kastanienbäume oder andere Pflanzen um diese Zeit blühen gesehen, welche sonst nur im Frühjahr zu blühen pflegen, und dasselbe ist mir von vielen Personen bekannt, von denen ich keinen Grund habe anzunehmen, daß sie eine Unwahrheit sagen.
Man sagt, die Sonne sei einundzwanzig Millionen Meilen entfernt. Ich glaube es, und mein Glaube ist kein unvernünftiger, obwohl ich die Entfernung nicht gemessen habe, da mir dazu die Mittel, das heißt die nötigen Kenntnisse fehlen. Ich habe aber Kenntnisse genug, um durch Berechnung die Entfernung von mir zu Punkten zu messen, zu denen ich nicht mit dem Maßstab gelangen kann, und habe die Richtigkeit meiner Rechnung durch Abschreiten oder mit dem Maßstab nicht selten geprüft, wenn das Hindernis, welches mich von dem Gegenstand trennte, vielleicht später hinweggeräumt wurde. Ich weiß daher, daß die Wissenschaft Mittel bietet, die Entfernung von Punkten zu messen, zu denen man nicht gelangen kann. Mein Glaube ist daher auf Erfahrung begründet, also vernünftig.
Es teilt mir jemand mit, ein Mensch sei von Liverpool nach New York durch die Luft geflogen. Wenn ich es glaube, so mag man mich leichtgläubig nennen, allein mein Glaube ist kein absolut unvernünftiger, denn ich weiß aus Erfahrung, daß der Unterschied zwischen der Schwere des Körpers und der Luft durch verschiedene Mittel ausgeglichen werden kann, und sehe Vögel fliegen mit Hilfe einer mechanischen Vorrichtung, der Flügel.
Sagt man mir aber, es habe ein Mensch durch sein Wort einen Körper geschaffen, das heißt ohne andere vorhandene Stoffe zur Hilfe zu nehmen, aus dem Nichts hervorgerufen, und ich glaube es, so ist mein Glaube ein unvernünftiger, denn ich selbst kann durch meinen Willen nicht einmal ein Staubkorn schaffen, noch ist es jemals bewiesen worden, daß es von einem Menschen geschehen ist.
Glaubt man, daß ein Gemälde oder ein Steinbild geredet oder eine willkürliche Bewegung gemacht habe, so ist dieser Glaube ein unvernünftiger, da eine solche Tat allen Erfahrungen widerspricht. Trotzdem mögen Personen, welche behaupten, Ähnliches erlebt zu haben, nicht absolut Lügner zu nennen sein, da die Erfahrung lehrt, daß es Seelenzustände gibt, in denen sich Menschen so fest einbilden, Dinge zu sehen oder zu hören, daß sie dieselben für Wahrheit halten, während sie in der Tat nur auf Sinnestäuschung beruhen.
Der Kreis unserer persönlichen Erfahrung kann wegen der Kürze unseres Lebens selbst bei dem Gebildetsten nur beschränkt sein, und wir würden uns gewissermaßen in die hilflose Lage der ersten Menschen versetzen, wenn wir allein das als wahr annehmen oder glauben wollten, was wir von unsern eigenen Erfahrungen und den daraus gefolgerten Möglichkeiten auf dem Wege des vernünftigen Denkens ableiten. Die wirklich festgestellten Erfahrungen vor uns lebender Beobachter sind das kostbarste, nie wieder zu verlierende Erbteil des lebenden Geschlechts.
Die Vernünftigkeit des Glaubens an diese die Erfahrung begründenden Tatsachen hängt von den Gründen ab, welche wir haben, an die Wahrhaftigkeit der Personen zu glauben, von welchen sie uns mitgeteilt wurden, wie auch von dem Grad ihrer geistigen Ausbildung, ihrem Charakter und ob sie fähig sind, eine absichtliche Unwahrheit zu sagen, wenn es ihrem Interesse dienen kann; ferner, ob die berichtete Tatsache isoliert dasteht, ob gleichartige von andern beobachtet wurden, ob sie ganz bekannten Naturgesetzen in bestimmter Weise zuwider sind und von vielen andern Gründen. Die Glaubwürdigkeit einer mitgeteilten Tatsache beruht daher zunächst auf der Autorität der Person, von welcher sie berichtet wird, und ob sie wirklich als selbst gesehen oder erfahren, oder als geglaubt, von Hörensagen angegeben wird.
Auf Erfahrung beruht die Wissenschaft; die Tatsachen sind die Sprossen der Leiter, welche unsere Vernunft zur Erkenntnis der Wahrheit führen, und daher ist die Wissenschaft der Todfeind des unvernünftigen Glaubens, da sie ihn als solchen erkennen lehrt und mit dieser Erkenntnis vernichtet.
Unvernünftigen Glauben nennt man gewöhnlich Aberglauben, und nach der Erklärung, die ich von der Entstehung der Religion gegeben habe, kann ich ohne alles Bedenken den religiösen Glauben als unvernünftigen oder Aberglauben bezeichnen. Dies gilt nicht nur von den Religionen der ersten Menschen, sondern von allen noch jetzt auf der Erde bestehenden Religionen, von denen sich ohne Schwierigkeit nachweisen läßt, daß sie nur eine in der Form veränderte Erweiterung der »vom Himmel«, das heißt aus den Wolken gekommenen Urreligion sind.
»Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.«
Wenn wir die vergangenen und bestehenden Religionen untersuchen, so finden wir, daß sie alle, ohne Ausnahme, auf Wunder gegründet sind, welche der Dichter sehr richtig als das Kind des (religiösen) Glaubens bezeichnet.
Im allgemeinen nennt man Wunder jede Erscheinung, Handlung oder Tatsache, deren Ursprung die Wissenschaft nicht angeben und nachweisen kann; ja, wir dehnen den Begriff dieses Wortes auch auf solche Erscheinungen aus, deren Ursachen wir wohl kennen, die uns aber als ungewöhnlich oder besonders merkwürdig auffallen, und in diesem Sinne reden wir zum Beispiel von Naturwundern.
Obwohl nun auch die Religion, das heißt die Priester, solche natürliche Wunder zu ihren Zwecken benutzte, als deren Ursachen dem Volk noch unbekannt waren, so ist doch das eigentlich religiöse Wunder ganz anderer Art und charakterisiert sich dadurch, daß es gegen die Natur ist, das heißt eine Aufhebung der bekannten Naturgesetze voraussetzt.
Den Völkern früherer Zeiten erschien eine Sonnen- oder Mondfinsternis oder ein Komet als ein Wunder, und derselbe Fall war es mit einer Menge von Erscheinungen, deren Ursprung die jetzige Wissenschaft nicht nur ganz klar nachweist, sondern auch ganz genau im voraus berechnet. – Manchen wilden Völkern ist ein Streichhölzchen noch ein Wunder, und selbst unsern eigenen niedern Volksklassen erscheint manches als Wunder, was dem Gebildeten eine alltägliche Erscheinung ist.
Die Priester, welche hauptsächlich mit den Göttern zu verkehren und ihren Willen zu erforschen hatten, der sich, wie wir gesehen haben, für sie in Naturerscheinungen äußerte, mußten durch Beobachtung wohl zunächst mit der Tatsache bekannt werden, daß es bestimmte Naturgesetze gebe. Indem sie ihre Erfahrungen von Priestergeschlecht zu Priestergeschlecht fortpflanzten, kamen sie auf dem Wege der Wissenschaft allmählich zur Kenntnis von Dingen, die sie für sich behielten, da sie diese Kenntnis zur Erhöhung ihres Ansehens im Volke äußerst brauchbar fanden. Einen Beweis dafür finden wir in dem Verhalten der alten ägyptischen Priester, die in der Erkenntnis der Natur und der Eigenschaft vorhandener Dinge sehr weit vorgeschritten waren und Erfindungen und Entdeckungen machten, die erst nach sehr vielen Jahrhunderten auf anderen Wegen ebenfalls entdeckt und allgemein bekannt wurden. Man fand z.B. in ägyptischen Gräbern metallene Gegenstände, deren Hervorbringung man sich gar nicht erklären konnte, bis man erst in diesem Jahrhundert durch die Erfindung der Galvanoplastik in den Stand gesetzt wurde, zu erkennen, daß sie auf galvanoplastischem Wege gemacht waren. Diese Kunst setzt aber schon bedeutende andere Erfahrungen und Entdeckungen in bezug auf die Eigenschaften natürlicher Substanzen voraus.
Daß die ägyptischen Priester die Wissenschaft zu dem eben angeführten Zwecke benutzten, wissen wir mit Bestimmtheit. Sie verrichteten Handlungen, welche die übrigen Menschen als Wunder betrachteten, und viele Schriftsteller der alten Zeit berichten von ägyptischen Künsten und ägyptischer Wissenschaft.
Ich erwähne diese ägyptische Wissenschaft insbesondere deshalb, weil sie die Mutter der in der Bibel erzählten Wunder ist, die wieder die Veranlassung zu den Wundern der römisch-katholischen Kirche wurden, welche jedoch meistens keineswegs mit Hilfe der Wissenschaften hervorgebracht, sondern von den Priestern erfunden wurden. Wunder, wie sie die Ägypter taten, setzten Kenntnisse voraus, die schwer zu erlangen waren; allein die römischen Priester fanden, daß sich noch wunderbarere Dinge erfinden ließen, die mit Rücksicht auf ihren Zweck ganz dieselbe Wirkung hervorbrachten, da sie geglaubt wurden; geglaubt, weil sie als Tatsachen von Männern erzählt wurden, an deren Autorität man nicht zweifelte und die zum Teil selbst glaubten.
Eigentliche Wunder, das heißt Dinge, welche gegen die Naturgesetze sind, kann es nicht geben; was geschieht, geschieht auf natürliche Weise und entspringt aus natürlichen Ursachen, und wenn wir diese Ursachen nicht erkennen können, da unsere Kenntnis von den Eigenschaften und Kräften der Natur noch beschränkt ist, so ist die Annahme doch eine durchaus vernünftige, wie aus den folgenden Auseinandersetzungen hervorgehen wird.
Viele gebildete Leser werden sich darüber wundern, daß ich mich bei den Wundern so lange aufhalte, da dies, um eine Modephrase zu gebrauchen, »ein längst überwundener Standpunkt« ist; allein wenn dies auch in bezug auf den Gebildeten der Fall sein mag, so hat doch das Volk im allgemeinen diesen Standpunkt noch keineswegs überwunden, und selbst der größte Teil derer, die sich zu den Gebildeten zählen, werden aus den folgenden Beweisen erkennen, daß sie an Wunder glauben.
Die Verteidiger des Wunderglaubens sagen zum Beispiel: Gott ist allmächtig, aus Nichts hat Gott die Welt gemacht; und Millionen nehmen das als eine so unumstößliche Wahrheit an, daß sie es mit Abscheu als ein Verbrechen betrachten, wenn jemand sagt: »Gott ist nicht allmächtig, Gott hat nicht die Welt aus Nichts gemacht, denn ein solcher Glaube ist unvernünftig.«
Daß das Weltall, welches aus getrennten Körpern besteht, die nach bestimmten Gesetzen zusammengesetzt und vermöge der jedem Körper innewohnenden Eigenschaften miteinander zu dem großen Ganzen vereinigt sind, einen Ursprung, eine Ursache haben muß, muß jeder mit Vernunft begabte Mensch zugeben. Die Ursache oder Macht, welche das, was ist, bewegt und erhält, ist Gott; und was ich in dem hier Folgenden sage, bezieht sich durchaus auf diesen Begriff und auf keine subjektive Vorstellung der Weltursache, wie sie irgendeiner der bestehenden oder vergangenen Religionen zugrunde liegt.
Ich rede auch nicht von der Vorstellung, die ich mir selbst von Gott mache, denn diese, so vernünftig sie auch sein oder erscheinen mag, hat doch immer nur einen subjektiven Wert wie jede andere Gottvorstellung; ich untersuchte mit meiner Vernunft einfach, inwieweit sich die Idee der Allmacht und einer Erschaffung aus dem Nichts mit dem von mir oben definierten Begriff Gott verträgt. Ein Streben, das Wesen Gottes zu erkennen, ist gewiß der erhabenste Gebrauch, den der Mensch von dieser ihm von Gott gegebenen Vernunft machen kann.
Wir erkennen die Beschaffenheit einer Ursache einzig aus ihrer Wirkung, und zunächst erscheint uns als eine solche das Weltall mit den Gesetzen, die es erhalten und bewegen. Wir haben keinen anderen Anhaltspunkt für die Beurteilung dieser Kraft, welche den Stoff zu organischen Körpern vereinigt, als unsern eigenen Gedanken, kraft dessen wir imstande sind, aus vorhandenem Material, dessen Eigenschaften wir aus Erfahrung kennen, Zusammensetzungen herzustellen, durch deren Aufeinanderwirken ein bestimmter Zweck erreicht wird, wie es durch eine Maschine oder durch ein chemisches Präparat geschieht.
Vergleichen wir eine Sperlingsfalle, die sich ein Kind aus Ziegelsteinen erbaut, mit einer Dampfmaschine, die ein Schiff bewegt, so ist es klar, daß ein bedeutend mehr ausgebildeter Geist dazu gehörte, diese letztere zu erdenken, allein die Tätigkeit oder Kraft, durch die beide hervorgebracht wurden, die Ursache aber, ist gleichartig.
Vergleichen wir indessen den gewöhnlichsten Organismus, der einen Teil des großen Ganzen, der Welt, bildet, zum Beispiel eine Blume oder einen Baum, mit der allervollkommensten Maschine, welche der menschliche Gedanke hervorbrachte, so sieht auch der oberflächliche Beobachter, daß beide in bezug auf Vollkommenheit noch unendlich verschiedener sind als die Falle des Kindes und die Dampfmaschine; allein trotzdem ist der Schluß vernünftig, daß der Organismus, den wir bewundern, seinen Ursprung einer geistigen Tätigkeit verdankt, die derjenigen ähnlich ist, welche die Sperlingsfalle und die Dampfmaschine zusammensetzte.
Wenn wir aber den wunderbaren Organismus der ganzen Welt betrachten, soweit wir denselben erkennen können, so schließen wir aus der Vollkommenheit, die wir überall entdecken, daß der Geist, welchem dieser Organismus seinen Ursprung verdankt, die höchste Potenz geistiger Vollkommenheit sein müsse.