Pflegende Angehörige stärken - Christa Büker - E-Book

Pflegende Angehörige stärken E-Book

Christa Büker

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Beschreibung

Tagtäglich kümmern sich zahlreiche Angehörige zu Hause um hilfe- und pflegebedürftige Familienmitglieder. Die Versorgung einer pflegebedürftigen Person ist häufig mit hohen Anforderungen und vielfältigen Belastungen verbunden. Die Leistung pflegender Angehöriger findet jedoch selten angemessene Würdigung und viele Angehörige erfahren nur eine unzureichende Beachtung ihrer eigenen Bedürfnisse. Der professionellen Pflege kommt eine zentrale Rolle in der Unterstützung häuslicher Pflegearrangements zu. Das Buch stellt dar, wie Pflegefachpersonen durch Information, Einzel- und Gruppenschulungen sowie Beratung pflegende Angehörige wirksam unterstützen können. Neu in der überarbeiteten 3. Auflage ist die Vorstellung von speziellen Internetportalen für pflegende Angehörige, von Möglichkeiten der Online-Beratung und der Begleitung von Angehörigen bei Entscheidungsfindungen.

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Die Autorin

Prof. Dr. Christa Büker, Gesundheitswissenschaftlerin (MPH), Dipl.-Pflegemanagerin, Krankenschwester. Sie arbeitet als Professorin für Pflegewissenschaft an der Fachhochschule Bielefeld.

Christa Büker

Pflegende Angehörige stärken

Information, Schulung und Beratung als Aufgaben der professionellen Pflege

3., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Gesetzestext

3., erweiterte und überarbeitete Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-038686-0

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-038687-7

epub:     ISBN 978-3-17-038688-4

mobi:     ISBN 978-3-17-038689-1

Inhalt

 

 

Einleitung

1     Situation pflegender Angehöriger

1.1 Pflege in der Familie

1.2 Belastungen von pflegenden Angehörigen

1.3 Häusliche Pflege als Bereicherung

1.4 Notwendigkeit der Unterstützung pflegender Angehöriger

1.5 Unterstützungsmöglichkeiten und Inanspruchnahme

2     Rechtliche Grundlagen der Angehörigenunterstützung

2.1 Pflegeberufegesetz

2.2 Pflegeversicherungsgesetz – SGB XI

2.3 Krankenversicherungsgesetz – SGB V

2.4 Nationale Expertenstandards

3     Bausteine der Kompetenzförderung

3.1 Kompetenzförderung durch Information

3.2 Kompetenzförderung durch Schulung und Anleitung

3.3 Kompetenzförderung durch Beratung

4     Information pflegender Angehöriger

4.1 Grundsatz der verständlichen Informationsvermittlung

4.2 Evidenzbasiertheit von Informationen

4.3 Beurteilung von schriftlichen Informationsmaterialien

4.4 Erstellung von Informationsmaterialien

4.5 Informationen aus dem Internet

4.6 Hilfreiche Informationsportale für pflegende Angehörige

5     Einzelschulung pflegender Angehöriger

5.1 Schulungsprozess

5.2 Vorbereitung der Schulung

5.2.1 Organisatorische Vorbereitung

5.2.2 Sachanalyse

5.2.3 Zusammenstellung der Schulungsmaterialien

5.3 Orientierungsgespräch

5.3.1 Situationsanalyse

5.3.2 Feststellung von Vorwissen und Haltung

5.3.3 Vereinbarung von Lernzielen

5.4 Durchführung der Schulung

5.4.1 Vermittlung von Wissen

5.4.2 Demonstration

5.4.3 Einübung durch den Angehörigen

5.4.4 Beantwortung von Fragen

5.4.5 Aushändigung von Info-Material

5.4.6 Überprüfung der Zielerreichung

5.4.7 Feedback und Verabschiedung

5.5 Nachbereitung

5.5.1 Nachgespräch

5.5.2 Dokumentation des Schulungsverlaufs

5.5.3 Reflexion

5.6 Verschriftlichung des Schulungskonzepts

6     Gruppenschulung pflegender Angehöriger

6.1 Planung eines Pflegekurses

6.1.1 Kursziele

6.1.2 Zielgruppe und Gruppengröße

6.1.3 Zeitliche Gestaltung

6.1.4 Örtlichkeit und Ausstattung

6.1.5 Öffentlichkeitsarbeit

6.1.6 Kursleitung

6.1.7 Kursinhalte

6.1.8 Planung einer Kurseinheit

6.2 Durchführung einer Kurseinheit

6.2.1 Vorbereitung der Treffen

6.2.2 Begrüßung und Vorstellung

6.2.3 Klärung der Erwartungen und Vorstellung der Kursreihe

6.2.4 Regeln der Zusammenarbeit

6.2.5 Vermittlung der Sachinhalte

6.2.6 Feedback

6.2.7 Verabschiedung

6.3 Evaluation

6.4 Online-Pflegekurse

7     Beratung pflegender Angehöriger

7.1 Beratungsbedürfnisse pflegender Angehöriger

7.2 Formen der Beratung

7.3 Beratungsansätze

7.3.1 Systemischer Beratungsansatz

7.3.2 Lösungsorientierter Beratungsansatz

7.3.3 Ressourcenorientierter Beratungsansatz

7.4 Grundhaltung in der Beratung

7.5 Der Beratungsprozess

7.6 Gestaltung eines Beratungsgesprächs

7.6.1 Vorbereitung der Beratung

7.6.2 Durchführung der Beratung

7.6.3 Abschluss und Nachbereitung der Beratung

7.7 Telefon- und Online-Beratung

7.8 Beratung zur Gewaltprävention in der Pflege

8     Gestaltung des Lernklimas

8.1 Leitidee der »Hilfe zur Selbsthilfe«

8.2 Beachtung der Grundsätze der Erwachsenenbildung

8.3 Lernförderliche Faktoren

9     Qualitätsmanagement

9.1 Qualitätskriterien der Angehörigenschulung und -beratung

9.2 Evaluationsmethoden

9.3 Gestaltung eines Fragebogens zur Evaluation

9.4 Reflexion der Evaluationsergebnisse

10  Handlungsfelder der Kompetenzförderung pflegender Angehöriger

10.1 Tägliche Pflegepraxis

10.2 Entlassungsmanagement

10.3 Pflegeberatungseinsätze

10.4 Pflegekurse

10.5 Häusliche Einzelschulungen

10.6 Beratungsstellen undPflegestützpunkte

10.7 Case Management

10.8 Patienteninformationszentren

10.9 Pflegegeleitete Entscheidungsberatung

11  Schlüsselqualifikationen beruflicher Handlungskompetenz

11.1 Qualifikationsprofil

11.1.1 Fachkompetenz

11.1.2 Methodenkompetenz

11.1.3 Sozialkompetenz

11.1.4 Personale Kompetenz

11.1.5 Systemkompetenz

11.2 Qualifikationsanforderungen der Kostenträger

11.3 Qualifizierungsmöglichkeiten

12 Bedeutung für die Professionalisierung der Pflege

Anhang

Anlage: Häusliche-Pflege-Skala HPS (BSFC: Burden Scale for Family Caregivers) ( Kap. 1.2)

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

 

Einleitung

 

 

 

Tagtäglich kümmern sich Millionen Angehörige um hilfe- und pflegebedürftige Familienmitglieder. Dank ihrer Unterstützung können pflegebedürftige Menschen trotz ihres Hilfebedarfs ein weitgehend selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden führen. Pflegende Angehörige erbringen damit eine Leistung, die von der Gesellschaft mehr oder weniger stillschweigend erwartet, in ihrer Bedeutung jedoch kaum angemessen gewürdigt wird. Nur selten finden sie für ihre Probleme und Sorgen ein offenes Ohr. Wen interessiert es schon, wenn der demenzkranke Vater sich nicht mehr zurechtfindet und keinen Moment aus den Augen gelassen werden kann? Wer möchte hören, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege kaum noch möglich ist? Mit wem kann man über den Schmerz und die Trauer reden, die durch das langsame Abschiednehmen von einem geliebten Menschen zu bewältigen sind?

Das ständige Gebundensein an eine pflegebedürftige Person führt oftmals dazu, dass eigene Bedürfnisse stark vernachlässigt werden. Ein Großteil der pflegenden Angehörigen ist ausgebrannt und erschöpft, ohne dass dies von ihrer Umgebung wahrgenommen wird. Dabei benötigen Angehörige selbst Unterstützung, um auf Dauer den Belastungen des Pflegealltags standhalten zu können. Der pflegebedürftigen Person kann es nur gut gehen, wenn es auch den sie versorgenden Angehörigen gut geht.

Um die Gesundheit und Ressourcen von Angehörigen zu erhalten und zu fördern, bedarf es einer stärkeren Beachtung ihrer Bedürfnisse sowie wirkungsvoller Unterstützungsmaßnahmen. Dazu gehören Information und Schulung zur Förderung der Pflegekompetenz. Auf diese Weise wird den Familien der eigenverantwortliche und selbstbestimmte Umgang mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit im Alltag erleichtert. Ein weiterer Bereich ist die Beratung, z. B. zum Umgang mit problematischen Verhaltensweisen einer pflegebedürftigen Person oder über Möglichkeiten der Selbstpflege und Entlastung. Letzteres ist besonders wichtig, da pflegende Angehörige oftmals regelrecht ermutigt werden müssen, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und zuzulassen.

Eine zentrale Rolle in der Förderung der Kompetenzen von Angehörigen kommt der professionellen Pflege zu. Als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen hat sie häufig den intensivsten Kontakt zu pflegebedürftigen Menschen und ihren Familien. Anliegen des Buchs ist es daher, professionell Pflegende stärker für die Situation betroffener Familien sowie für die Bedeutung der Kompetenzförderung pflegender Angehöriger durch edukative Aktivitäten zu sensibilisieren. Außerdem soll Pflegefachpersonen praxisorientiertes Wissen für die konkrete Ausgestaltung von Information, Schulung und Beratung an die Hand gegeben werden.

Nach einer kurzen Einführung in die Situation pflegender Familien werden zunächst die rechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen der Angehörigenunterstützung vorgestellt. Der Hauptteil des Buchs ist den verschiedenen Bausteinen der Kompetenzförderung gewidmet: In vier Kapiteln werden die Grundlagen der Information, Einzelschulung, Gruppenschulung sowie Beratung pflegender Angehöriger behandelt. Dabei werden auch neuere Interventionsformen wie Online-Schulungen, Online-Beratung oder die pflegegeleitete Entscheidungsberatung vorgestellt. Weitere Kapitel widmen sich der Gestaltung des Lernklimas, der Qualitätssicherung, den verschiedenen Arbeitsfeldern der Angehörigenunterstützung sowie den dafür erforderlichen Schlüsselqualifikationen. Abschließend soll die Bedeutung edukativer Aktivitäten für die Professionalisierung der Pflege thematisiert werden.

Das Buch richtet sich in erster Linie an Praktizierende in der Pflege. Zielgruppe sind Pflegefachpersonen, die in Bereichen mit häufigen Angehörigenkontakten tätig sind: in der ambulanten Pflege, im Krankenhaus- und Rehabilitationsbereich und in der stationären Langzeitversorgung. Ebenso zur Zielgruppe gehören Mentor*innen1 und Praxisanleiter*innen in der Pflegeausbildung sowie Pflegende, die bereits im Beratungsbereich tätig sind (Beratungsstellen, Pflegestützpunkte, Case Management etc.).

1     In diesem Werk wird überwiegend der »Gender-Stern« genutzt, um alle Geschlechter anzusprechen. Wenn bei bestimmten Begriffen, die sich auf Personengruppen beziehen, nur die männliche Form gewählt wurde, so ist dies nicht geschlechtsspezifisch gemeint, sondern geschah ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit.

 

1          Situation pflegender Angehöriger

 

 

 

Zum besseren Verständnis der Bedarfs- und Problemlagen pflegender Angehöriger soll in diesem ersten Kapitel ein kurzer Einblick in ihre Lebens- und Belastungssituation gegeben werden. Zugleich wird aufgezeigt, in welchen Bereichen Angehörige am dringendsten einer Unterstützung bedürfen.

»Angehörige« und »Familie« – begriffliche Klärung

Zuvor gilt es noch zu klären, wer nachfolgend gemeint ist, wenn von »Angehörigen« gesprochen wird. In diesem Buch wird nicht generell ein enges Verwandtschaftsverhältnis zwischen einer pflegebedürftigen Person und den Personen, die sich um sie kümmern, vorausgesetzt. Hilfeleistungen erfolgen in zunehmendem Maße auch durch Wahlverwandte, Lebenspartner, Freunde, Nachbarn und andere nahe Bezugspersonen aus dem privaten Umfeld. Demzufolge schließt der Terminus »Angehörige« alle Personen ein, die sich einem pflegebedürftigen Menschen verwandtschaftlich und/oder emotional verbunden fühlen und im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Verpflichtung (Bauernschmidt & Dorschner 2018, S. 307) Hilfe, Pflege und Betreuung leisten. Ebenso ist der Begriff der »Familie« zu betrachten, entsprechend der Definition von Friedemann & Köhlen (2017), nach der die Familie einer bestimmten Person aus all jenen Mitmenschen besteht, mit denen sich die Person verbunden fühlt und Kontakt pflegt. Auch hier ist nicht unbedingt die unmittelbare verwandtschaftliche Beziehung ausschlaggebend für das Zusammengehörigkeitsgefühl von mehreren Personen als Familie.

1.1       Pflege in der Familie

Pflegebedürftige Menschen in Deutschland

In Deutschland gelten 4,1 Millionen Menschen als pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (Statistisches Bundesamt 2020). Seit 1999 hat sich ihre Zahl verdoppelt. Diese Entwicklung ist zum einen der demografischen Entwicklung, zum anderen aber auch der vor einigen Jahren erfolgten Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs geschuldet. Die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren weiter erhöht. Der weitaus größte Teil von ihnen sind ältere Menschen: 80 % von ihnen sind 65 Jahre und älter, 34 % sind 85 Jahre und älter. Bei der Gruppe der 85- bis unter 90-jährigen sind 49 % pflegebedürftig (ebd.). Daran wird sichtbar, dass mit zunehmendem Alter das Risiko, pflegebedürftig zu werden, steigt.

Pflege zu Hause und im Heim

Mehr als 3,3 Millionen der als pflegebedürftig anerkannten Menschen (80 %) werden zu Hause versorgt; ca. 818.000 Pflegebedürftige (20 %) leben in Heimen (ebd.). Von den häuslich versorgten Personen erhalten wiederum ca. 2,2 Millionen ausschließlich Pflegegeld, d. h. sie werden in der Regel allein durch Angehörige oder sonstige Pflegepersonen versorgt und betreut. Knapp 983.000 Pflegebedürftige werden durch ambulante Pflegedienste unterstützt, aber auch hier ist es in vielen Fällen die Familie, die den Großteil der Versorgung leistet.

Hervorgerufen wird die Pflegebedürftigkeit oftmals durch chronisch-degenerative Erkrankungen; viele der Betroffenen sind mehrfach erkrankt (Multimorbidität). Langjährige Krankheitsverläufe sind keine Seltenheit, mit entsprechenden Konsequenzen für die Versorgungsgestaltung und das Leben der gesamten Familie (Schaeffer 2006). Der Hilfebedarf gestaltet sich häufig sehr umfangreich und umfasst die Hilfe bei der Haushaltsführung, körperbezogene Unterstützung und spezielle pflegerische Maßnahmen, Begleitung zu Arztbesuchen, Ermöglichung sozialer Kontakte, emotionale Unterstützung sowie – im Falle kognitiver Beeinträchtigung – eine mitunter permanente Beaufsichtigung.

Stabilität häuslicher Pflegearrangements

Die Pflegebereitschaft von Familien zeigt sich seit etlichen Jahren ungebrochen hoch. Betrachtet man Tab. 1, wird ein Trend zur professionellen Pflege in Pflegeheimen oder durch ambulante Pflegedienste nicht erkennbar:

Tab. 1: Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform im Zeitvergleich (Statistisches Bundesamt 2001 und 2020)

19992019

Diese nüchternen Zahlen entkräften das hartnäckige Vorurteil, pflegebedürftige Menschen würden häufig in ein Heim »abgeschoben«. Sie zeigen vielmehr, dass die meisten Pflegebedürftigen so lange wie möglich in der Familie versorgt werden und die häuslichen Pflegearrangements bemerkenswert stabil sind. Inwieweit sie als Beleg für den Erfolg gesundheitspolitischer Maßnahmen im Sinne des Grundsatzes »ambulant vor stationär« gewertet werden können, muss allerdings dahingestellt bleiben, denn es ist weniger das Angebot an ambulanten Dienstleistungsstrukturen, welches den Verbleib pflegebedürftiger Menschen in der häuslichen Umgebung sichert, sondern die beeindruckend hohe Pflegebereitschaft von Familien. Inwieweit diese in Zukunft jedoch aufrechterhalten werden kann, darf angesichts gesellschaftlicher und demografischer Entwicklungen bezweifelt werden.

Hauptpflegeperson

Im Durchschnitt sind in den Familien zwei Personen an der Betreuung eines pflegebedürftigen Menschen beteiligt, bei einem Drittel der Fälle ist es sogar nur eine Person (Gräßel & Behrndt 2018; Rothgang & Müller 2018). Hierin spiegelt sich die soziale Veränderung unserer Gesellschaft: Immer kleiner werdende Familien und die räumliche Trennung der Generationen führen dazu, dass die »Last der Pflege« sich auf eine Hauptpflegeperson konzentriert.

Die Hauptpflegeperson gehört in aller Regel zum engeren Kern der Familie. Bei verheirateten Pflegebedürftigen pflegt häufig der Ehepartner, bei verwitweten die Tochter oder der Sohn, bei pflegebedürftigen Kindern ist es die Mutter, die sich für das Pflegegeschehen zuständig zeigt. In etwa zwei Drittel aller Fälle ist die Hauptpflegeperson weiblich. Der Anteil der Männer nimmt seit einigen Jahren zu. Sie treten zumeist in Erscheinung, wenn es sich um die Pflege ihrer Ehefrau/Partnerin handelt.

Die meisten Hauptpflegepersonen befinden sich im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, das Durchschnittsalter beträgt 59 Jahre (ebd.). Damit pflegt gar nicht mehr unbedingt die so genannte »Sandwich-Generation«, also jene, die sowohl noch eigene, jüngere Kinder als auch die Eltern zu versorgen hat. Vielmehr findet Pflege hauptsächlich innerhalb der älteren Generation statt. Es sind in erster Linie Menschen in der »dritten Lebensphase«, die jene in der »vierten Lebensphase« pflegen (Schneekloth 2006, S. 408). Dementsprechend steht der größte Teil der pflegenden Angehörigen nicht (mehr) im Erwerbsleben. Allerdings sind es immerhin noch 30–40 % der Hauptpflegepersonen, die in mehr oder weniger großem Umfang einer Berufstätigkeit nachgehen und damit einer Mehrfachbelastung von Arbeit, Familie, Haushalt und Pflege unterliegen. Nicht wenige Angehörige reduzieren wegen der Pflege ihre Arbeitszeit oder müssen sie ganz aufgeben. Ein nicht unerheblicher Teil der Hauptpflegepersonen (ca. 10 %) ist übrigens älter als 80 Jahre. Dabei geht es in aller Regel um die Partnerpflege. Diese Pflegearrangements mit hochaltrigen Beteiligten werden – bezogen auf die Unterstützungsleistungen – viel zu wenig beachtet, obwohl sie ausgesprochen fragil sind und jederzeit zusammenbrechen können.

Pflege als Selbstverständlichkeit

Die Übernahme der Pflege wird von den Familien und der Gesellschaft häufig als Selbstverständlichkeit betrachtet. Zentrale Motive sind Liebe und Zuneigung zur pflegebedürftigen Person, Vertrautheit und Familienzusammenhalt, aber auch Pflichtgefühl sowie der Wunsch, etwas zurückgeben zu wollen (Bestmann et al. 2014). Weitere Gründe liegen in religiösen Überzeugungen bzw. Wertvorstellungen oder finanziellen Erwägungen vor dem Hintergrund der hohen Kosten einer professionellen Versorgung. Eine Rolle spielen ferner die Erwartungen anderer, sowohl der übrigen Familienmitglieder oder Nachbarn als auch die des Pflegebedürftigen selbst. Ein Großteil der pflegebedürftigen Menschen lehnen es ab, von jemand anderem gepflegt zu werden (Rothgang & Müller 2018).

Häufiges Fehlen einer bewussten Entscheidung zur Übernahme der Pflege

Eher selten wird der Entschluss zur Pflege bewusst gefällt, insbesondere wenn sich Pflegebedürftigkeit schleichend entwickelt. Geht es zunächst nur darum, häufiger als früher nach dem Rechten zu sehen oder Einkäufe zu erledigen, entwickelt sich allmählich ein immer umfassenderer Hilfebedarf bis hin zur Unterstützung beim Waschen, Anziehen oder Toilettengängen. Aber auch bei plötzlicher Pflegebedürftigkeit, z. B. bedingt durch einen Schlaganfall, ist die Übernahme der Pflege oftmals keine bewusste Entscheidung, vielmehr werden Angehörige mit der neuen Aufgabe förmlich überrumpelt. Unter Umständen liegt in dieser fehlenden Entscheidungsfreiheit bereits ein gewichtiger Faktor für die Schwere der empfundenen Belastung durch die Pflege.

1.2       Belastungen von pflegenden Angehörigen

Die Übernahme der Pflege einer nahestehenden Person geht für die Angehörigen mit zahlreichen Herausforderungen einher, die sowohl positiv als auch negativ empfunden werden können. Zahlreiche Untersuchungen zeigen auf, dass es sich bei den pflegenden Angehörigen um eine vulnerable Personengruppe handelt, die vielfältigen Belastungen ausgesetzt ist (u. a. Rothgang & Müller 2018; Gräßel & Behrndt 2016; Rothgang et al. 2015). Zu den hauptsächlichen Belastungsfaktoren gehören:

Belastungsfaktoren

•  Zeitliche Belastung: Die Versorgung eines Pflegebedürftigkeiten ist häufig ein Full-Time-Job: Durchschnittlich 37,5 Stunden pro Woche werden für Hilfe, Pflege und Betreuung aufgewendet (BMG 2011). Viele pflegende Angehörige stehen in permanenter Einsatzbereitschaft rund um die Uhr zur Verfügung. Äußerst belastend ist es, wenn regelmäßig die Nachtruhe gestört wird und die Zeit für eine nachhaltige Regeneration fehlt.

•  Gesundheitliche Belastung: Da – wie bereits angesprochen – ein Großteil der Hauptpflegepersonen 50 Jahre und älter ist, liegen in vielen Fällen bereits eigene gesundheitliche Beschwerden vor. Pflegebedingt kommen u. U. physische und psychische Beschwerden wie Rückenschmerzen, Herz- und Magenbeschwerden, Schlafstörungen, Erschöpfung, Burnout und Depressionen hinzu. Pflegende Angehörige sind häufiger und länger krank als andere Menschen (Billinger 2011), so dass häusliche Pflege durchaus als Gesundheitsrisiko bezeichnet werden kann. Trotz dieser Erkenntnis gibt es bislang kaum gezielte Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung für pflegende Angehörige.

•  Emotionale Belastung: Der körperliche und geistige Abbau eines Familienmitglieds ist für viele Angehörige schwer zu ertragen. Sich unausweichlich verschlechternde Krankheitszustände lösen Gefühle der Hilflosigkeit und Trauer aus. Besonders hoch ist die Belastung, wenn bei der pflegebedürftigen Person eine dementielle Erkrankung vorliegt und es zu Veränderungen der Persönlichkeit und einer zunehmenden Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten kommt. Sie erhöhen bei den betroffenen Angehörigen im Vergleich zu Angehörigen, die eine Person ohne dementielle Erkrankung pflegen, das Risiko für eigene psychosomatische Beschwerden (Tab. 2).

•  Soziale Belastung: Pflegende Angehörige haben oftmals wenig bis gar keine Zeit, um soziale Kontakte zu pflegen, Hobbys aktiv auszuüben oder gar Urlaub zu machen. Spontane Besuche bei Freunden sind nicht mehr möglich. Einladungen können nicht wahrgenommen werden, wenn niemand anderes zur Verfügung steht, der sich in dieser Zeit um die pflegebedürftige Person kümmert. Soziale Isolierung und Spannungen im Familienleben können die Folge sein.

Hinzu kommt mitunter auch eine finanzielle Belastung, wenn beispielsweise Angehörige aufgrund der Anforderungen der Pflege ihre Berufstätigkeit reduzieren oder ganz aufgeben müssen.

Tab. 2: Ausmaß der subjektiven Belastung bei Demenz bzw. Nicht-Demenz (Gräßel & Behrndt 2016, S. 175)

Ausmaß der subjektiven Belastungbei Demenz der pflegebedürftigen Personbei Nicht-Demenz der pflegebedürftigen PersonRisiko für psychosomatische körperliche Beschwerden

Verschiedene Gruppen pflegender Angehöriger

77 % der Hauptpflegepersonen empfinden die Belastungen der Pflege als eher stark bis sehr stark (BMG 2011). Wie bereits erwähnt, wird die Belastung als besonders hoch empfunden, wenn es sich bei dem zu Pflegenden um einen demenziell erkrankten Menschen handelt. Hier zeigt sich, dass pflegende Angehörige keineswegs eine homogene Gruppe mit gleich empfundener Belastung und ähnlichen Unterstützungserfordernissen bilden. Vorliegende Erkenntnisse legen vielmehr nahe, ein differenziertes Bild dieser Zielgruppe zu entwickeln und Unterkategorien zu bilden, die sich z. B. auf das Verwandtschaftsverhältnis zwischen der pflegenden und der pflegebedürftigen Person oder die Art der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Pflegebedürftigen beziehen. So haben beispielsweise Eltern, die ein behindertes Kind pflegen, andere Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse als ein Ehemann mittleren Alters, der sich um seine schwer krebskranke Ehefrau kümmert oder eine Tochter, die ihren demenzkranken Vater versorgt. Auch berufstätige pflegende Angehörige unterscheiden sich in ihrer Belastungsituation von Angehörigen, die sich bereits in der nachberuflichen Phase befinden (Seidl & Voss 2020).

Heterogenität pflegender Angehöriger

Pflegende Angehörige sind keine homogene Gruppe!

Sie lassen sich charakterisieren …

•  … anhand soziodemografischer Merkmale (Alter, Geschlecht).

•  … durch Beschreibung der (Verwandtschafts-)Beziehung zur pflegebedürftigen Person.

•  … bezogen auf die gesundheitliche Beeinträchtigung der pflegebedürftigen Person.

•  … bezogen auf Umfang, Dauer und Phase der Pflegesituation.

•  … bezogen auf Bildungsgrad, Herkunft, Lebenssituation und sozio-ökonomischen Status.

•  … bezogen auf die räumliche Entfernung zur pflegebedürftigen Person.

Distance Caregiver

Eine bislang wenig beachtete Gruppe pflegender Angehöriger sind die sogenannten distance caregiver, die Hilfe und Unterstützung aus der Ferne leisten. Bedingt durch ihre berufliche Tätigkeit leben erwachsene Kinder heutzutage oftmals in erheblicher geografischer Entfernung von den Eltern. Gleichwohl haben sie den Wunsch, sich im Falle von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit um die Eltern zu kümmern. Auch wenn sie keine unmittelbare pflegerische Tätigkeit vor Ort leisten können, so tragen sie dennoch Sorge für ein gelingendes Pflegearrangement, indem sie die Versorgung organisieren und koordinieren. Sie kommunizieren mit dem Pflegedienst und dem Hausarzt/der Hausärztin, organisieren den Mahlzeitendienst und eine Reinigungshilfe, leisten emotionale Unterstützung durch regelmäßige Anrufe, erinnern die Eltern telefonisch an die Medikamenteneinnahme, regeln die finanziellen Angelegenheiten und vieles mehr (Kricheldorff et al. 2019). Auch diese Angehörigen haben besondere Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse. Sie sind z. B. in hohem Maße auf eine gelingende Kommunikation mit dem ambulanten Pflegedienst angewiesen.

Belastungen durch die Corona-Pandemie

Seit der Corona-Pandemie sehen sich pflegende Angehörige mit zusätzlichen Herausforderungen und Belastungen konfrontiert. Dazu gehören die Verringerung der sozialen Kontakte mit Isolation und Einsamkeitsgefühlen, der (zeitweise) Wegfall von Unterstützungsleistungen, wie beispielsweise Tagespflege, und damit ein erhöhter Betreuungs- und Pflegeaufwand. Hinzu kommt die Sorge vor einer COVID-19-Infektion sowohl der pflegebedürftigen als auch der eigenen Person (Eggert et al. 2020; Geyer et al. 2020). Eine unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (2020) entstandene Leitlinie enthält wichtige Hinweise für ambulante Pflegedienste zur Unterstützung pflegender Angehöriger unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie. Sie steht zum Download auf der Homepage der DGP oder der Homepage der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften) bereit.

Erfassung der Belastung pflegender Angehöriger

Tipp

Für die Erfassung der subjektiven Belastung pflegender Angehöriger stehen verschiedene Assessment-Instrumente zur Verfügung. Ein häufig genutztes Instrument ist die Häusliche-Pflege-Skala HPS ( Anlage), die wissenschaftlich entwickelt wurde (Gräßel et al. 2014), internationale Anerkennung findet (Burden Scale for Family Caregivers BSFC) und auch in der Leitlinie der DEGAM »Pflegende Angehörige von Erwachsenen« empfohlen wird (DEGAM 2018). Die Skala kann in Beratungsgesprächen mit pflegenden Angehörigen eingesetzt werden, um sich zu Beginn ein Bild von der Situation der Ratsuchenden machen zu können. Das Instrument steht als Langversion mit 28 Items sowie als Kurzversion mit 10 Items zum Download im Internet in 20 Sprachen frei zur Verfügung (www.caregiver-burden.eu).

1.3       Häusliche Pflege als Bereicherung

Häufig herrscht eine einseitig defizitorientierte Sichtweise auf die Situation von pflegenden Angehörigen. Dabei gibt es – neben den zweifellos vorhandenen Belastungen – auch positive Aspekte häuslicher Pflege. Die Sorge umeinander ist eine besondere soziale Fähigkeit von uns Menschen und bringt auch die Möglichkeit mit sich, Beziehungen zu vertiefen. Als Benefit kann auch das Gefühl, gebraucht zu werden und die Freude darüber, mit der pflegebedürftigen Person zusammen sein zu können, gesehen werden (Gräßel & Behrndt 2016). Häusliche Pflege bietet ferner die Chance zur persönlichen Weiterentwicklung und Bereicherung des eigenen Lebens, denn pflegende Angehörige entwickeln im Laufe der Zeit vielfältige Kompetenzen. Viele Familien übernehmen komplexe und verantwortungsvolle Versorgungsaufgaben. Ihre Expertise, Autonomie und Selbstbestimmung zu fördern, sie ernst zu nehmen und wertzuschätzen sollte daher für alle professionellen Akteure selbstverständlich sein.

Faktoren einer gelingenden Bewältigung

Inwieweit pflegenden Angehörigen eine positive Bewältigung gelingt, hängt entscheidend von den Ressourcen und Fähigkeiten einer Person ab (Mischke 2012, S. 170):

Bedeutsame Ressourcen aus der Perspektive pflegender Angehöriger

•  Eigenes Wohbefinden

•  Pflegerechte Wohnsituation

•  Soziale Netzwerke/Beziehungen im weiteren Bekanntenkreis

•  Optimistische, positive Lebenseinstellung

•  Das Gefühl, mit der Situation umgehen zu können

•  Zeit haben für sich selbst

•  Das Gefühl, eine gute Beziehung zur pflegebedürftigen Person zu haben

•  Familienstabilität, Erleben eines familiären Zusammenhalts

•  Das Gefühl, eine gute Pflegearbeit zu leisten

•  Kenntnisse über Ursachen und Folgen der Erkrankung der pflegebedürftigen Person

•  Die Unterstützung durch engagierte Pflegedienste

•  Die Möglichkeit von Nähe und Distanz/Abstand zum Pflegebedürftigen

•  Kontakte zu anderen pflegenden Angehörigen

•  Finanzielle Mittel/Möglichkeiten

Professionell Pflegende, wie beispielweise ambulante Pflegedienste, können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diese Ressourcen zu fördern, beispielsweise durch Information, Schulung und Beratung sowie das Aufzeigen von Entlastungsmöglichkeiten.

Ohne die Belastungen der häuslichen Pflege negieren zu wollen, bleibt festzuhalten, dass es als durchaus bereichernd erlebt werden kann, sich um eine andere Person zu kümmern. Das Wissen darum, eine gute Pflege zu leisten und damit den Verbleib des pflegebedürftigen Familienmitglieds in der Häuslichkeit sicherzustellen, kann pflegende Angehörige berechtigterweise mit Stolz und Zufriedenheit erfüllen.

1.4       Notwendigkeit der Unterstützung pflegender Angehöriger

Erhalt der Tragfähigkeit des Familiensystems

Insgesamt kann von einer hohen Bereitschaft der Familien ausgegangen werden, sich um ihre pflegebedürftigen Mitglieder zu kümmern. Sowohl die Angehörigen als auch die Betroffenen selbst bevorzugen den Verbleib in der häuslichen Umgebung (Gräßel & Behrndt 2016). Allerdings kann die Versorgung eines pflegebedürftigen Menschen auf Dauer nur durch ein tragfähiges und belastbares Familiensystem geleistet werden. Die Unterstützung pflegender Angehöriger ist notwendig, um:

•  die eigene Gesundheit und die Lebensqualität der Angehörigen zu erhalten,

•  familiale Pflegebereitschaft zu erhalten und zu fördern,

•  Autonomie und Selbstbestimmung von Familien zu stärken,

•  Eigenverantwortung der Familie im Umgang mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu fördern und

•  eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Versorgung der Pflegebedürftigen sicherzustellen und ihre Lebensqualität zu erhalten.

Eine Überlastung der Angehörigen kann negativen Einfluss auf die Art des Umgangs mit der pflegebedürftigen Person haben. Insbesondere bei der Pflege von Menschen mit Demenz besteht ein erhöhtes Risiko für »abusive behavior«, d. h. problematische Verhaltensweisen wie beispielsweise Vernachlässigung, verbale Aggressivität oder körperliche Gewalt (Kap. 7.8).

Kostengründe

Auch ökonomische Gründe spielen eine Rolle: Pflege in der Familie ist fast immer kostengünstiger als in einer stationären Pflegeeinrichtung, wo die Kosten für Pflege und Unterbringung durchschnittlich bei 1.891 Euro liegen (Statista 2021). Volkswirtschaftlich betrachtet, macht es also durchaus Sinn, Angehörige zu stützen und zu stärken, um den Verbleib von pflegebedürftigen Menschen in der Familie so lange wie möglich sicherzustellen.

Rückgang der professionellen Pflege

Und noch ein weiterer Grund spricht für die Unterstützung pflegender Angehöriger: Die demografische Entwicklung mit der abnehmenden Zahl junger Menschen wird auch Auswirkungen auf die Beschäftigten in der Pflege haben. Professionell Pflegende werden in Zukunft nicht mehr in hinreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Bereits jetzt gestaltet sich beispielsweise die Personalgewinnung für stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen schwierig. Bei gleichzeitiger Zunahme der pflegebedürftigen Menschen zeichnet sich eine prekäre Entwicklung ab, die mehr denn je den Erhalt des Pflegepotenzials in der Familie erforderlich macht.

1.5       Unterstützungsmöglichkeiten und Inanspruchnahme

Inanspruchnahme von Hilfen

Mit Inkrafttreten der Pflegeversicherung Mitte der 1990er Jahre wurden verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung von pflegenden Angehörigen auf den Weg gebracht. Dazu gehören Pflege- und Betreuungsangebote (ambulante Pflege, Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Betreuungsgruppen, Haushaltshilfe, betreuter Urlaub), Beratungsangebote (Pflegeberatungseinsätze, Einrichtung von Pflegestützpunkten und andere Beratungsstellen) sowie Schulungsangebote (Pflegekurse, häusliche Einzelschulungen). Für berufstätige Angehörige wurden das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz geschaffen. Unterstützung leisten ferner Selbsthilfegruppen und Angehörigengesprächskreise.

Allerdings nimmt trotz des erheblichen Belastungspotenzials der häuslichen Pflege nur ein vergleichsweiser geringer Teil der Angehörigen Hilfe in Anspruch. Eine BARMER-Versichertenbefragung aus 2018 kam zu folgenden Erkenntnissen:

•  Lediglich ein knappes Drittel der Familien erhielt Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst in Form von Pflegesachleistungen oder Kombinationsleistungen.

•  Leistungen der teilstationären Pflege (Tagespflege, Nachtpflege) wurden von knapp 4 % der anspruchsberechtigten Personen genutzt, wobei die Nachtpflege so gut wie gar nicht ins Gewicht fiel.

•  Verhinderungspflege wurde von einem Drittel der Familien in Anspruch genommen, entweder durch einen ambulanten Pflegedienst oder eine andere Person.

•  Kurzzeitpflege wurde von etwa 20 % der pflegebedürftigen Personen wahrgenommen.

•  Betreuungs- und Haushaltshilfe nutzten 27 % der Pflegebedürftigen.

•  Nur sehr wenige Familien nahmen niedrigschwellige Betreuungsgruppen oder betreute Urlaube in Anspruch.

•  Ebenfalls im einstelligen Prozentbereich lagen die Inanspruchnahme eines Pflegekurses, einer häuslichen Einzelschulung oder der Besuch einer Selbsthilfegruppe. (Rothgang & Müller 2018)

24-Stunden-Pflege

Gesetzliche Regelungen, wie das Pflegezeitgesetz oder das Familienpflegezeitgesetz, die als Erleichterung für berufstätige pflegende Angehörige gedacht sind, werden ebenfalls nur vereinzelt angenommen. Um so größer ist mutmaßlich ein anderer Bereich der Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen, nämlich die sogenannte 24-Stunden-Pflege. Insbesondere Frauen aus Osteuropa üben hierzulande diese Arbeit aus. Ihre genaue Anzahl ist unbekannt, da viele in Schwarzarbeit tätig sind. Vorsichtige Schätzungen gehen von 115.000–300.000 Personen aus (Böning & Steffen 2014). Problematisch sind die prekären Arbeitsbedingungen und fehlende Qualitätskontrollen der Versorgung.

Ursachen der geringen Inanspruchnahme

Der Nichtinanspruchnahme von Hilfen liegen verschiedene Ursachen zugrunde, wie Kostengründe, Informationsdefizite, Angebotslücken in einer Region oder Unzufriedenheit mit der Qualität von Leistungen (Rothgang & Müller 2018). Einer der wesentlichen Gründe kann darin gesehen werden, dass das vorhandene Angebot nicht der Hilfe entspricht, die Angehörige eigentlich benötigen oder erwarten. Immer noch steht bei vielen professionellen Akteuren die pflegebedürftige Person im Mittelpunkt, während die Bedürfnisse und Wünsche der Familien kaum wahrgenommen oder berücksichtigt werden. Zudem wird die bereits angesprochene Heterogenität der pflegenden Angehörigen bislang viel zu wenig in den Blick genommen.

Da die Nutzung von Entlastungsangeboten auch immer mit einem gewissen bürokratischen Aufwand sowie Organisations- und Koordinationsaufwand verbunden ist, müssen sie als hilfreich und zufriedenstellend empfunden werden. Externe Hilfe kann in den Augen von Angehörigen sogar eine zusätzliche Belastung darstellen, wenn beispielsweise die eingespielte Tagesroutine gestört wird oder Veränderungen der Wohnumgebung die Folge sind. Pflegende Angehörige nehmen Hilfe nur an, wenn sie ihnen eine echte Entlastung im Pflegealltag bringt (Büscher 2007). Ist dies nicht der Fall, werden sie versuchen, die »Störung« ihres Alltags durch professionelle Helfer so gering wie möglich zu halten.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt auch die Ablehnung externer Hilfe durch die pflegebedürftige Person selbst sowie die generelle Zurückhaltung gegenüber Hilfeangeboten. Schneekloth und Wahl (2008, S. 235) sprechen von einer fehlenden Kultur des »Sichhelfenlassens«. Mitunter werden auch die eigenen Ressourcen überschätzt, insbesondere zu Beginn einer Pflegesituation, wenn der Umfang der Beanspruchung durch die häusliche Pflege noch nicht erfasst werden kann.

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