Tagespflege für ältere Menschen - Christa Büker - E-Book

Tagespflege für ältere Menschen E-Book

Christa Büker

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Beschreibung

Einrichtungen der Tagespflege leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Eigenständigkeit älterer Menschen sowie zur Entlastung privater Pflegepersonen. Angesichts der wachsenden Anzahl an pflegebedürftigen Menschen wird diesem Versorgungsangebot in Zukunft verstärkt Bedeutung zukommen. Das Praxisbuch zeigt ein umfassendes Bild der Tagespflege. Im Mittelpunkt stehen die vielfältigen Möglichkeiten der Beschäftigung, Aktivierung und Alltagsgestaltung. Thematisiert werden ferner die Entstehung und Entwicklung der Tagespflege in Deutschland, ihre gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie Erkenntnisse zu den Wirkungen der Tagespflege.

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Christa Büker

Maria Niggemeier

Tagespflege für ältere Menschen

Ein Praxisbuch

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

 

 

 

1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Copyright und Abdruck der Fotografien im Buch mit freundlicher Genehmigung der AWO Ostwestfalen-Lippe e. V.

Print:

ISBN 978-3-17-023454-3

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-026774-9

epub:    ISBN 978-3-17-026775-6

mobi:    ISBN 978-3-17-026776-3

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

Vorwort

Einleitung

1

Entstehung und Entwicklung der Tagespflege

1.1 Gründung der ersten Einrichtungen

1.2 Nutzung der Tagespflege

1.3 Gründe für das »Schattendasein« der Tagespflege

Exkurs: Tagesbetreuung für ältere Menschen in den USA

2

Tagespflege im Blick der Forschung

2.1 Forschungsentwicklung

2.2 Wirkungen auf die Nutzerinnen und Nutzer

2.3 Bedeutung der Tagespflege für Angehörige

2.4 Auswirkungen auf eine institutionelle Versorgung

3

Konzeptionelle Grundlagen der Tagespflege

3.1 Begriff der Tagespflege

3.2 Ziele und Zielgruppen

3.3 Gesetzliche Grundlagen und Qualitätsmanagement

3.4 Finanzierung der Inanspruchnahme

3.5 Räumlichkeiten und Ausstattung

3.6 Personalkonzept und Öffnungszeiten

3.7 Leistungen der Tagespflege

3.8 Grundhaltung und professionelles Selbstverständnis

4

Tagesgestaltung – Ideen und Konzepte

4.1 Grundsätze der Tagesstrukturierung

4.1.1 Phasen und Fixpunkte im Tagesablauf

4.1.2 Angebotsplanung

4.1.3 Gruppen- und Einzelangebote

4.2 Geselligkeit und Unterhaltung

4.2.1 Musikalische Aktivitäten

4.2.2 Gesellschaftsspiele

4.2.3 Kreatives Gestalten

4.2.4 Sonstige Gemeinschaftsaktivitäten

4.3 Bewegung und Training

4.3.1 Allgemeine Mobilisationsmaßnahmen

4.3.2 Verbesserung von Kraft und Ausdauer

4.3.3 Programme zur Sturzprävention

4.3.4 Feinmotorische Übungen

4.4 Kognitive Aktivierung und Förderung von Orientierung

4.5 Alltagsorientiertes Training

4.6 Geschlechtsspezifische Aktivitäten

4.7 Wohlfühlangebote

4.8 Spirituelle Begleitung

4.9 Kulturelle Aktivitäten, Bildungsangebote und soziale Teilhabe

4.10 Digitale Welten

5

Angehörigenarbeit in der Tagespflege

5.1 Situation von pflegenden Angehörigen

5.2 Angehörigenkontakte in der Tagespflege

5.3 Maßnahmen der Angehörigenunterstützung

5.4 Angehörige als Tagespflegefürsprecher

5.5 Informationsmaterialien für die Angehörigenarbeit

6

Perspektiven der Tagespflege

6.1 Herausforderungen der Zukunft

6.2 Handlungsempfehlungen für Tagespflegeeinrichtungen

6.2.1 Vernetzung in die Region

6.2.2 Schwerpunkt Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation

6.2.3 Gestaltung von attraktiven Beschäftigungsangeboten

6.2.4 Marketing und Öffentlichkeitsarbeit

6.2.5 Flexibilisierung der Öffnungszeiten

6.2.6 Kontinuierliche Verbesserung durch Qualitätsmanagement

6.2.7 Förderung des Einsatzes von Freiwilligen

6.2.8 Steigerung der Präsenz in der Fachdiskussion

6.3 Handlungsbedarf für Politik und Gesellschaft

6.4 Forschungsbedarf

6.5 Tagespflege als Chance für die professionelle Pflege

6.6 Fazit

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Vorwort

 

 

Die Idee zu diesem Buch entstand Mitte 2012 bei einer Tagung des Demenz-Servicezentrums Region Ostwestfalen-Lippe in Bielefeld, die den Titel »Für alle, die noch etwas vorhaben« – Menschen mit Demenz in der Tagespflege trug. Rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Tagespflegeeinrichtungen in ganz Nordrhein-Westfalen nahmen an dieser Tagung teil. Neben Vorträgen und Workshops präsentierten sich zahlreiche Tagespflegeeinrichtungen mit Infoständen, an denen sie Bewährtes und Innovatives aus ihrem Betreuungs- und Pflegealltag von Menschen mit Demenz vorstellten. In einem »Feuerwerk der Ideen« wurde die Vielfältigkeit des Repertoires an Beschäftigungsaktivitäten in der Tagespflege deutlich.

Die große Resonanz auf die Tagung und die zahlreichen positiven Reaktionen der Teilnehmenden zeigten, dass mit der Veranstaltung ein Nerv getroffen wurde. Mit Bedauern wurde geäußert, dass nur selten Fortbildungen dieser Art, die sich speziell den Besonderheiten und Anforderungen der Tagespflege widmen, stattfinden. Mehrfach wurde der Wunsch nach Folgeveranstaltungen laut.

Wie die weitere Beschäftigung mit dem Thema zeigte, mangelt es nicht nur an spezifischen Fortbildungen für Mitarbeitende von Tagespflegeeinrichtungen, sondern auch an praxisorientierter Fachliteratur für die Tagespflege. Hier will dieses Buch einen Beitrag zum Schließen der Lücke leisten. Die Leserinnen und Leser mögen entscheiden, inwieweit uns dies gelungen ist.

Danken möchten wir an dieser Stelle den fünf leitenden Mitarbeiterinnen aus Tagespflegeeinrichtungen des Bezirksverbandes der Arbeiterwohlfahrt Ostwestfalen Lippe, die uns für ein Interview zur Verfügung standen und uns dadurch wertvolle Impulse und Anregungen für die inhaltliche Ausgestaltung des Buches gegeben haben.

Christa Büker und Maria Niggemeier

Einleitung

 

 

Vor dem Hintergrund der steigenden Anzahl an pflegebedürftigen Menschen wird teilstationären Versorgungsangeboten in Zukunft wachsende Bedeutung zukommen. Zu solchen Angeboten gehören Einrichtungen der Tagespflege, die bereits heute einen wichtigen Baustein in der Versorgungskette bilden. Zentrale Ziele dieser deutschlandweit mehr als 2.000 Einrichtungen sind die Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebensführung älterer Menschen in der eigenen Häuslichkeit, die Förderung der Alltagsaktivität, die Vermeidung vollstationärer Versorgung sowie die Entlastung privater Pflegepersonen. Zu den Leistungen der Tagespflege gehören u. a. soziale Betreuung, tagesstrukturierende Maßnahmen, Aktivierung und pflegerische Betreuung.

Trotz ihrer potentiellen Bedeutung führt die Tagespflege in Deutschland bislang eher ein »Schattendasein«. So nutzt lediglich ein kleiner Teil der pflegebedürftigen Personen dieses Angebot. Auch die Fachöffentlichkeit schenkt dieser Versorgungsform vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit, unter anderem erkennbar an der überschaubaren Anzahl an Publikationen zum Thema. Vorliegende Schriften befassen sich vorwiegend mit den gesetzlichen, finanziellen und organisatorischen Belangen und weniger mit der inhaltlichen Ausgestaltung des Angebots. Auch mangelt es in Deutschland an (pflege-)wissenschaftlichen Untersuchungen in diesem Feld, während im Ausland durchaus empirische Erkenntnisse, z. B. zu den Wirkungen der Tagespflege auf ihre Nutzerinnen und Nutzer, vorliegen.

Vor diesem Hintergrund möchte das Buch die Tagespflege aus ihrem Schattendasein holen, zu einer Erhöhung ihres Stellenwerts und zu einer Attraktivitätssteigerung dieses Versorgungsangebots beitragen. Ein weiteres Anliegen ist die Sensibilisierung für das Potenzial der Tagespflege in Bezug auf Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation älterer Menschen. Außerdem sollen ganz konkret Anregungen für die Alltagsgestaltung in der Tagespflege gegeben werden.

In diesem Buch fließen sowohl pflegewissenschaftliche auch als pflegepraktische Erkenntnisse zusammen. Zielgruppen sind in erster Linie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Tagespflegeeinrichtungen, insbesondere aus der Alten- und Krankenpflege, aber auch hauswirtschaftliche, therapeutische und ehrenamtliche Kräfte. Neuen Mitarbeiterinnen kann es im Rahmen der Einarbeitung zur Lektüre dienen. Ferner richtet es sich an Leitungskräfte und Trägerorganisationen sowie an Studierende, Auszubildende und Ausbildungseinrichtungen in der Pflege. Nicht zuletzt könnte das Buch auch für Pflegebedürftige und Angehörige von Interesse sein.

Das erste Kapitel widmet sich der Entstehung der Tagespflege in Deutschland und ihrer Entwicklung bis in die heutige Zeit. Angesichts der nach wie vor marginalen Rolle der Tagespflege im Versorgungssystem werden die Gründe der geringen Inanspruchnahme diskutiert. In einem Exkurs wird ein Blick ins Ausland geworfen, um am Beispiel der USA Anregungen und Ideen für eine Weiterentwicklung des bundesdeutschen Angebots zu gewinnen.

Welche Wirkungen die Tagespflege auf ihre Nutzerinnen und Nutzer sowie die pflegenden Angehörigen haben kann, zeigt das zweite Kapitel. Hier werden wissenschaftliche Erkenntnisse aus der nationalen und internationalen Forschung präsentiert. Auch wenn noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht, lassen die vorliegenden Erkenntnisse eine Reihe an positiven Wirkungen der Tagespflege erkennen.

Im dritten Kapitel stehen die konzeptionellen Grundlagen der Tagespflege im Mittelpunkt der Betrachtung. In Form eines Überblicks werden ihre gesetzlichen, finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen dargestellt sowie das Leistungsspektrum der teilstationären Pflege erläutert. Thematisiert wird auch das pflegerische Selbstverständnis, welches für die Tätigkeit in einer Tagespflege von zentraler Bedeutung ist.

Den Kern des Buches bildet das vierte Kapitel, welches sich mit den vielfältigen Möglichkeiten der Beschäftigung, Aktivierung und Alltagsgestaltung in der Tagespflege beschäftigt. Bekannte und weniger bekannte Ideen einer abwechslungsreichen Programmgestaltung werden präsentiert, die als Vorschläge, Anregungen und Impulse verstanden werden sollen. Je nach Art des Angebots sind die Ausführungen hinterlegt mit Hinweisen zu den notwendigen Materialien und personellen Voraussetzungen sowie mit sonstigen hilfreichen Tipps.

Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die Tagespflege ist den pflegenden Angehörigen ein eigenes Kapitel gewidmet. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der professionellen Gestaltung von Angehörigenkontakten sowie mit Maßnahmen der Angehörigenunterstützung durch die Tagespflegeeinrichtung.

Das sechste Kapitel widmet sich den Perspektiven der Tagespflege. Es diskutiert, welche Maßnahmen erforderlich sind, damit sich die Tagespflege von einem derzeit randständigen Angebot hin zu einer tragenden Säule der ambulanten Pflegeinfrastruktur entwickeln kann. Verwiesen wird auch auf die Chance für die professionelle Pflege zur Darstellung ihrer Fachkompetenz in der Tagespflege.

Im Verlauf der Erstellung dieses Buches fand ein Interview mit leitenden Mitarbeiterinnen von Tagespflegeeinrichtungen statt. Anliegen war die Erfassung der Perspektive der Praxis sowie die Gewinnung von Anregungen für die inhaltliche Gestaltung der Publikation. Thematisch passende Auszüge aus dem Interview begleiten und illustrieren die einzelnen Kapitel, erkennbar an dem Rahmen und dem Symbol in der Marginalspalte.

Hinweis: In dem Buch wird wechselweise die weibliche und die männliche Form genutzt. Hierbei ist jeweils auch das andere Geschlecht mit eingeschlossen.

1          Entstehung und Entwicklung der Tagespflege

 

 

Seit nunmehr vierzig Jahren gibt es das Angebot der Tagespflege in Deutschland. Nachfolgend wird der Entwicklung von den Anfängen bis in die heutige Zeit nachgegangen. Dabei wird aufgezeigt, in welchem Ausmaß die Tagespflege von den pflegebedürftigen Menschen genutzt wird und warum die teilstationäre Versorgung immer noch eine eher marginale Rolle im System der Altenhilfe spielt. Ideen und Anregungen zur Weiterentwicklung lassen sich möglicherweise mit einem Blick in andere Länder gewinnen, die bereits über eine längere Tradition der Tagespflege verfügen. Am Beispiel der USA soll in einem Exkurs ein solcher »Blick über den Tellerrand« vorgenommen werden.

1.1       Gründung der ersten Einrichtungen

»Hufeland-Haus«

Die erste Tagespflege in Deutschland wurde im Jahr 1973 in Frankfurt-Seckbach im »Hufeland-Haus«, einer Vorzeigeeinrichtung im Bereich der Altenhilfe, eröffnet. Auch heute noch gehört die dortige Tagespflege zum Angebot der in Trägerschaft des Evangelischen Vereins der Inneren Mission in Frankfurt/Main betriebenen Einrichtung (Hufeland-Haus 2013). Angeregt wurde die Gründung der Tagespflege durch Vorbilder aus England, Skandinavien, der Schweiz, den Niederlanden sowie den USA. Die Verbreitung der Idee wurde maßgeblich forciert durch das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), welches sich seit jeher für die Entwicklung neuer Versorgungskonzepte einsetzt (vgl. KDA 2010; Großjohann 1989). Neben der fachlichen Beratung von interessierten Trägerorganisationen leistete das KDA zeitweise auch finanzielle Starthilfe, um weitere Einrichtungen auf den Weg zu bringen.

Entwicklung bis heute

Von Beginn an zeigte sich, dass ein wirtschaftlicher Betrieb von Tagespflegeeinrichtungen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Einige Zentren mussten aufgrund mangelnder Auslastung und fehlender Kostendeckung den Betrieb wieder einstellen. Dennoch wuchs die Zahl der Zentren langsam aber stetig an. 1989 gab es ca. 60 Einrichtungen, im Jahr 2001 waren es schon mehr als 1.000 und heute bieten schätzungsweise 2.000 Tagespflegeeinrichtungen in Deutschland mit insgesamt ca. 33.000 Plätzen ihre Dienste an (vgl. Statistisches Bundesamt 2013; KDA 2010).1 Diese auf den ersten Blick hoch erscheinende Anzahl an Einrichtungen nimmt sich angesichts von 12.300 ambulante Pflegediensten und 12.400 Pflegeheimen (vgl. Statistisches Bundesamt 2013) dennoch eher bescheiden aus. Ein Problem stellt zudem die ungleichmäßige geografische Verteilung in Deutschland dar. So sind auch heute noch ländliche Regionen im Vergleich zu Ballungsgebieten eher unterversorgt.

Die »typische« Tagespflege verfügt über zwölf bis vierzehn Plätze. Häufig besteht eine Anbindung an eine stationäre Einrichtung. Andere sind verknüpft mit einem ambulanten Dienst oder fungieren als eigenständige Einrichtung (Solitäreinrichtung). Immer häufiger finden sich Tagespflegen innerhalb größerer Institutionen als Baustein einer Versorgungskette, bestehend aus verschiedenen ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten.

1.2       Nutzung der Tagespflege

Tagespflegeeinrichtungen werden von älteren Menschen in Anspruch genommen, die in der Regel als pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes anerkannt sind. Sie werden üblicherweise als »Gäste« bezeichnet (während im Unterschied dazu Krankenhäuser und ambulante Pflegedienste vom »Patienten« und vollstationäre Einrichtungen vom »Bewohner« sprechen). Mit dem Terminus des »Gastes« wird zum einen der Besuchscharakter der Tagespflege deutlich. Zum anderen spiegelt sich in ihm die Haltung der Einrichtung, den Besucher freundlich aufzunehmen und professionell zu versorgen.

»Profil« der Nutzerinnen und Nutzer

Die Mehrzahl der Tagespflegegäste ist von somatischen und psychischen Einschränkungen betroffen. Nahezu 60 % von ihnen leiden unter gerontopsychiatrischen Erkrankungen oder affektiven Störungen, wie beispielsweise Demenzen unterschiedlicher Genese, depressive Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten (vgl. Weyerer et al. 2004). Etliche Einrichtungen richten sich als »gerontopsychiatrische Tagespflege« explizit an diese Zielgruppe der Menschen mit Demenz.

In einer Vergleichsstudie zwischen Tagespflegegästen und Heimbewohnern in acht badischen Städten stellen Weyerer et al. (2004) fest, dass Klienten der Tagespflege weniger stark in ihren Alltagsfähigkeiten, vor allem im Bereich der Mobilität, eingeschränkt sind als Heimbewohner. Dies spiegelt sich auch in der Pflegestufe wider. Die meisten Gäste der Tagespflege sind in der Pflegestufe I oder II, deutlich seltener in der Pflegestufe III (vgl. Statistisches Bundesamt 2013).

Inanspruchnahme der Tagespflege

Der überwiegende Teil der Gäste ist weiblich, das Durchschnittsalter liegt bei ca. 80 Jahren. Im Jahr 2011 nutzten unter den 1,76 Millionen zu Hause versorgten Pflegebedürftigen etwa 43.000 Personen das Angebot der Tagespflege. Im Vergleich zu 2009 ist dies ein Anstieg um 39,5 % (vgl. Statistisches Bundesamt 2011), der auf den ersten Blick hoch erscheinen mag. Bei Betrachtung der absoluten Zahlen und ihrer Entwicklung seit Ende der 1990er Jahre (Tab. 1.1) wird jedoch erkennbar, dass nach wie vor ein nur geringer Teil des anspruchsberechtigten Personenkreises die Tagespflege in Anspruch nimmt. Während 1998 ein Prozent der Pflegebedürftigen in Privathaushalten teilstationäre Leistungen nutzten, waren es im Jahr 2010 zwei Prozent (vgl. BMG 2011). Bei der Häufigkeit der Inanspruchnahme zeigen sich große Unterschiede, längst nicht alle Gäste besuchen die Tagespflege täglich. Die schwankende Auslastung erschwert auch heute noch eine wirtschaftliche Betriebsführung bei etlichen Einrichtungen.

Jahr Anzahl der Nutzer

Tab. 1.1: Nutzung der Tagespflege (vgl. Statistisches Bundesamt 2013, 2011, 2009, 2007, 2005, 2003, 2001)

An der geringen Nutzung der Tagespflege hat sich in den vier Jahrzehnten seit Gründung der ersten Einrichtungen in Deutschland nur wenig geändert. Zwar hat sich mit Schaffung des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes in 2008 sowie dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz 2012 und damit ausgeweiteter Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Leistungen der Pflegeversicherung ein Aufschwung ergeben (vgl. Glaser et al. 2013) (Näheres zu den gesetzlichen Regelungen und der Finanzierung unter Kap. 3). Gleichwohl führt die Tagespflege immer noch ein »Schattendasein« in der bundesdeutschen Versorgungslandschaft.

1.3       Gründe für das »Schattendasein« der Tagespflege

Problem der Finanzierung einer Inanspruchnahme

Seit Gründung der ersten Tagespflegeeinrichtungen wird über die Ursachen der geringen Inanspruchnahme diskutiert (vgl. ex. KDA 2010; BMFSFJ 2002; Kirchen-Peters 1999; Großjohann 1989). Als wesentliches Hemmnis wurden immer wieder finanzielle Gründe genannt, da es über lange Zeit an einer regelhaften, sicheren Finanzierung der Inanspruchnahme von Tagespflege fehlte und der Aufenthalt von den Nutzern selbst bezahlt werden musste. Für Menschen mit geringer Rente war die Tagespflege nicht bezahlbar, außer ggf. über einen Antrag auf Leistungen der Sozialhilfe. Mit Einführung der Pflegeversicherung in 1995 besserte sich die Situation, da von Beginn an teilstationäre Leistungen der Tages- und Nachtpflege aufgenommen waren. Allerdings konkurrierte die Tagespflege mit der Geldleistung und mit der ambulanten Sachleistung. Vor die Entscheidung gestellt, Pflegegeld bzw. Sachleistungen oder die Tagespflege in Anspruch zu nehmen, entschieden sich viele Familien gegen die Tagespflege.

Verbesserung durch gesetzliche Neuerungen

Erst mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PfWG) im Jahr 2008 konnte die Finanzierung der Inanspruchnahme der Tagespflege auf eine solide Basis gestellt werden. Als pflegebedürftig anerkannte Personen können seit dieser Zeit sowohl Pflegegeld und/oder ambulante Sachleistungen als auch Mittel für den Besuch einer Tagespflegeeinrichtung erhalten. Weitere finanzielle Verbesserungen für demenziell erkrankte Menschen wurden 2012 mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) geschaffen. Die größere Flexibilität in der Kombinierung der verschiedenen Leistungen ermöglicht eine stärker auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete Versorgungsgestaltung; allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass durch die Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten das Berechnungsverfahren kompliziert und für viele Nutzer nur schwer nachzuvollziehen ist.

Ausbleibender »Boom« der Tagespflege

Die genannten leistungsrechtlichen Verbesserungen haben zwar zu einer verstärkten Nachfrage und höheren Nutzerzahlen geführt, gleichwohl ist nicht erkennbar, dass es seit 2008 einen regelrechten »Boom« der Tagespflege gegeben hat. Trotz bestehender Ansprüche werden Monat für Monat Leistungen »verschenkt«. So rufen beispielsweise nur etwa 20 % der Anspruchsberechtigten die zusätzlichen Betreuungsleistungen ab (vgl. KDA 2010). Dies weist darauf hin, dass es noch weitere gewichtige Gründe gibt, die einer Nutzung der Tagespflege entgegenstehen. Nachfolgend sollen die aus Sicht der Autorinnen wesentlichen Faktoren dargestellt werden.

Ursachen der geringen Nutzung

•  Strukturelle Schwächen: Wie bereits angesprochen, fehlt es in Deutschland immer noch an einer flächendeckenden Verteilung von Tagespflegeeinrichtungen. Insbesondere in ländlichen Gebieten zeigen sich Lücken. Dort gibt es Regionen, in denen im Umkreis von 25 Kilometern keine entsprechende Einrichtung zu finden ist (vgl. Moldenhauer 2008). Dadurch hervorgerufene weite Wege und lange Fahrtzeiten wirken sich ungünstig auf die Nutzung aus.

•  Unzureichende Beratung: Pflegebedürftige und ihre Familien haben oftmals nur einen geringen Informationsstand über das Leistungsgeschehen, die vielfältigen Möglichkeiten und positiven Effekte der Tagespflege. Auch in Bezug auf die Kosten ist vielen Familien nicht bewusst, dass eine Inanspruchnahme der Tagespflege inzwischen nur geringfügig zu einer finanziellen Mehrbelastung führt. Trotz durchaus vorhandener Beratungsmöglichkeiten fehlt es immer noch an frühzeitiger und kompetenter Beratung über Angebote und Preise sowie über eine bedarfsgerechte Kombination der verschiedenen Leistungen. Auch Hausärzte, die für viele ältere Menschen ein zentraler Ansprechpartner sind, wissen oftmals zu wenig über teilstationäre Versorgungsangebote. Dies kann dazu führen, dass Betroffenen und Angehörigen eine vollstationäre Unterbringung unvermeidlich erscheint, ohne zuvor die Tagespflege als stabilisierende Maßnahme überhaupt in Betracht zu ziehen.

•  Generelle Zurückhaltung gegenüber außerhäuslicher Versorgung: Viele ältere Menschen lehnen es ab, die gewohnte Umgebung zu verlassen, in der sie sich sicher und geborgen fühlen. Sich in eine Institution zu begeben und in die dortigen Strukturen einordnen zu müssen, wird zudem als gewisser Verlust der Selbstständigkeit betrachtet. Hinzu kommt, dass die Pflege und Betreuung durch Angehörige oftmals einer professionellen Versorgung vorgezogen wird. Auch die Angehörigen selbst scheuen oftmals davor zurück, ein pflegebedürftiges Familienmitglied in eine außerhäusliche Versorgung zu geben. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von Pflicht- und Schuldgefühlen bis hin zu Schamgefühlen. Schneekloth und Wahl (2008, S. 235) sprechen von einer fehlenden Kultur des »Sichhelfenlassens«. Insbesondere im ländlichen Raum wird die Inanspruchnahme fremder Hilfe abgelehnt, um nicht den Eindruck zu erwecken, man wolle den alten Menschen abschieben.

•  Bürokratischer Aufwand: Das Aufnahmeverfahren in die Tagespflege ist mit einem nicht unerheblichen bürokratischen Aufwand verbunden. Die Klärung der Finanzierung mit der Pflegekasse und/oder dem Sozialhilfeträger, die Aushandlung des Vertrags und der Vertragsabschluss, das Beibringen einer ärztlichen Verordnung im Falle der Vergabe von Medikamenten in der Tagespflege, etc. stellen Herausforderungen dar, mit denen sich Angehörige – insbesondere wenn sie selbst ebenfalls im fortgeschrittenen Alter sind – mitunter überfordert fühlen.

•  Koordinationsaufwand: Im Falle einer Inanspruchnahme der Tagespflege bedarf es einer entsprechenden Organisation, um morgens pünktlich bereitzustehen, wenn der Fahrdienst kommt. Unter Umständen müssen familiäre Routinen geändert werden, was als belastend empfunden wird. Auch in Verbindung mit Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes sind genaue Absprachen erforderlich, da dieser seinen Tourenplan auf die jeweilige Abholzeit des Transportfahrzeuges der Tagespflege abstimmen muss.

•  »Heimnähe« und fehlende eigene Identität der Tagespflege: Schon die Ausweisung als so genanntes »teilstationäres« Angebot kann bei älteren Menschen die Befürchtung wecken, die Tagespflege sei eine Vorstufe zum Heim, insbesondere bei Anbindung an eine vollstationäre Einrichtung. Verstärkt wird dieser Eindruck, wenn es der Tagespflege nicht gelingt, ein klar abgegrenztes, eigenes Profil und eine eigene Identität zu entwickeln.

•  »Verstaubtes« Image der Tagespflege: Tagespflegeeinrichtungen gehören in der Regel nicht zu den Unternehmen, die in der öffentlichen Wahrnehmung als modern und innovativ gelten. Viele Einrichtungen investieren zu wenig in die Imagepflege und vernachlässigen es, ihre Leistungen und die Qualität ihrer Arbeit nach außen hin transparent zu machen.

Die dargelegten Ursachen decken sich weitgehend mit den Ergebnissen der »Eichstätter Angehörigenstudie Demenz« (vgl. Frey & Heese 2011) und der dort vorgenommenen Befragung von Angehörigen zu den Gründen der Inanspruchnahme bzw. Nichtinanspruchnahme der Tagespflege. Als ein wesentlicher Grund für die Nichtinanspruchnahme wird hier die generelle Ablehnung einer außerhäuslichen Versorgung durch die Angehörigen oder die pflegebedürftige Person selbst genannt. Ferner spielen finanzielle und strukturell-organisatorische Gründe eine zentrale Rolle. Dass diese Faktoren nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern von Relevanz sind, zeigt eine kanadische Studie (vgl. Ritchie 2003). Auch hier werden Informationsmangel, ein hoher bürokratischer Aufwand sowie die Ablehnung außerhäuslicher Versorgung als wesentliche Hinderungsgründe einer Nutzung der Tagespflege festgestellt.

Verbreitetes Informationsdefizit

Die Reserviertheit gegenüber einer Inanspruchnahme der Tagespflege resultiert offensichtlich zu einem erheblichen Teil aus einem verbreiteten Informationsdefizit darüber, was in einer Tagespflegeeinrichtung eigentlich genau passiert. Unsicherheit und sogar Ängstlichkeit gegenüber diesem Versorgungsangebot sind die Folge, wie die nachfolgenden Interviewauszüge mit Leiterinnen von Tagespflegeeinrichtungen zeigen.

»Die Vorstellungen der Gäste über die Tagespflege sind zu Beginn viel zu unsicher und verschwommen. Sie wissen gar nicht so genau, was da eigentlich kommt.«

»Viele haben zu Beginn erst einmal Angst!«

»In der ganzen Gesellschaft besteht ganz wenig Vorstellungskraft darüber, was wir in der Tagespflege überhaupt machen.«

»Viele wissen gar nicht, dass es uns gibt, was wir wirklich machen, wie es finanziert wird, usw.«

Wenig attraktive Bezeichnung des Angebots

Und schließlich mag eine weitere, bislang kaum diskutierte Ursache für den Akzeptanzmangel in der Bezeichnung dieses Versorgungsangebotes liegen. Der Begriff der Tagespflege erscheint wenig attraktiv und wird in der öffentlichen Wahrnehmung eher mit der Betreuung von Kindern in Verbindung gebracht. Bestätigt wird dies durch die Eingabe des Begriffs in Internetsuchmaschinen, wo in der angezeigten Trefferliste vorwiegend Angebote der Kindertagesbetreuung erscheinen. Hierin unterscheidet sich Deutschland im Übrigen nicht von englischsprachigen Ländern. Der dort in aller Regel verwendete Ausdruck »day care« wird ebenfalls mit Kinderbetreuung assoziiert. Es darf vermutet werden – und angloamerikanische Studien bestätigen dies (vgl. Ritchie 2003; Douglass & Visconti 1998) – dass sich auch aus diesem Grund ältere Menschen gegen die Inanspruchnahme dieses Versorgungsangebots sträuben.