Pflugfrauen - Frederick Helmut Pinggera - E-Book

Pflugfrauen E-Book

Frederick Helmut Pinggera

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Beschreibung

Ein Pflug, der die Erde schrammt, sie aufreißt. Zwei Frauen, eingespannt in ein eisernes Geschirr. Sie sind verdammt, es zu ziehen. Wie zwei Öchsinnen. Doch während die Eine loslassen kann, zu dem Kind läuft, das da im Horizont erscheint, driftet die Andere seitlich, durch das steile Feld bis hinunter in die Furt. Wie ein weidwundes Tier bleibt sie stehen, harrt. Die Marsala war hängengeblieben, irgendwo. Am Ende wird es ein Wort sein, das ihre Seele erlöst. „Was für ein Finale!“ Angelika Klammer, Lektorin, Wien Ein Seelenkrimi, Band 3.

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Für Angelina

Was erträgt ein Menschenkind nicht alles, ehedem genug ist?

Inhaltsverzeichnis

FEUERVÖGEL, VON HANS KRUPPA

#1 FES/MAROKKO (MAI 2014)

#2 MINE SCHLÄFT

#3 DIE MINE TAPES/ DAS ORANGE TONBAND

#4 BERTA UND MINE, PROZESSION NACH HOCHKREUZ

#5 DIE SIEBEN LEBEN EINER KATZE

#6 AUSFLUG NACH TIRANO

#7 DAS KIND AUF DEM SCHAFFELL

#8 DER FALKE/ IL FALCO È IN VOLO

#9 DIE RÜCKKEHR DER MARIA MARSALA

#11 PFLUGFRAUEN

#12 AN LICHTWEER

#13 SPÖTTERSÄULEN

#14 RÜCKKEHR IN DAS DORF MEINER KINDHEIT

#16 MARSALAS MASKE

#17 TAFELTÜCHER/NARR, NARR

#18 MONDGEHEN

#19 ROSENSCHNEE

#20 DIE AUGEN DES FAHRERS

#21 HEIMKEHR

# EPILOG

ÜBER DEN AUTOR

FEUERVÖGEL, VON HANS KRUPPA

Als Feuervögel flogen wir

in das Land ohne Worte

und ohne Erinnerung,

wo jeder Augenblick

aus sich selbst entsteht

und nichts aufeinander aufbaut,

weil es keine Zeit gibt –

nur den Zauber,

der Träumen Wirklichkeit schenkt,

nur die berauschende Musik

ineinander versunkenen Lebens.

Als Feuervögel flogen wir

dem Himmel in die Arme

und kannten keine Grenzen.

Das war vor Tagen;

seitdem hat die Erde uns wieder.

Aber wer einmal so zusammen flog,

der will nichts andres mehr.

#1 FES/MAROKKO (MAI 2014)

Ein Falke steht über dem Hohen Atlas. In dem maurischen Patio liege ich, schaue in den Himmel. Wie zerschlagene Fliesenstückchen schwirren da Sterne.

In meinem Rücken ein riesiges blaues Mosaik: Majolikasteine. Losgelöst, wie betrunken tanzen sie.

Es ist heiß, obwohl es immer noch Nacht ist.

Spätsommerfieber.

Das Handy scheppert.

Mine, meine Mutter am anderen Ende der Leitung. »Sie sei müde«, sagt sie.

Ich war überrascht, hatte sie vergessen. Irgendwie waren wir uns wohl aus der Zeit gefallen.

Alle.

Am Morgen steht der Muezzin auf seinem Minarett, leiert ein Lied schon zu früher Stunde. Er betete, plärrte, weinte. Sein zu lauter Lautsprecher erschreckte die Nacht.

So verging die, machte Platz einem anfangs leicht rötlichen Licht. Südwandschauspiel über dem Hohen Atlas. Lichtgeplänkel, das sich in den Gezeiten des Himmels ewig wiederholt.

Als der Mann ablässt, um den Turm herumgeht, oben auf seinem hohen kreisförmigen Balkon, ist es, als wolle er für uns beide eine gemeinsame Mitte markieren.

Am Tag dann mein Bruder: »Mine, unsere Mutter, ist tot«.

Es redete wie mechanisch aus dem Telefon.

»Ich weiß«, sage ich.

»Du weißt. Wie?«.

»So.«

Ich wusste.

Ich sitze da bei Tee, Zucker, Orangenmarmelade, mein Frühstück „pacific“ vor mir.

Sie hatten mir ein Telegramm geschickt: »Mine ist tot«, steht da, »+++stopp+++«.

»Schau, da drüben der Falke. Er fliegt Mines Seele zu Gott.«

Meine Frau stutzte. Behändes Gleiten in lauwarmer Thermik, Falkenstoß und Sichelform. Ich schaue dem Vogel zu wie er südwärts driftet. Er hatte sein Ziel, glitt unter schneebedeckten Bergen dem Atlas entlang.

Der Falke fliegt Mines Seele zu Gott

Als der Muezzin gegen neun schon wieder aus Leibeskräften von seinem Minarett schreit, lasse ich alles liegen und stehen und gehe hinüber zu ihm, klettere auf seinen Zauberturm, starre ihn an:

»Totenruhe!«, brülle ich. Er lachte, wie ein Verrückter.

#2 MINE SCHLÄFT

Mine schläft.

Da vorne lag sie, meine Mutter Mine, gefangen in einem honigfarbenen Sarg. »Sie hat sich zur Ruhe niedergelegt«, sagte einer der beiden Herren. Sie waren gekommen, um »zu konzelebrieren«.

Die Priester trugen ihre prächtigsten Kleider. Wintermäntel in langen Schleppen, hingen die ihnen von den Leibern und sie schliffen sie hinter sich her wie Ballast.

In leicht mutig hellen feierlichen Gesängen suchte ein kleiner Chor und eine überschaubare Menge an Beteiligten der grauen Stunde da zu entkommen.

Singend hielten wir Schiedung, flankiert von einer Schar willfähriger Ministranten.

Jetzt bellten die Glocken. Eine ohrenbetäubende Trauer, die herabsank von dem hohen Turm unserer Kirche, herabfiel zu uns Menschen.

Wir hatten uns versammelt, in dem Dorf oben am Hang, standen verwirrt am Platz vor dem Gasthaus der Tante Bernarda und schauten betreten auf Mutter Mines Sarg.

Wie Stahl klang das Getöse. Nur Mine, sie blieb tot.

Mine schläft

Zärtlichkeiten, die der Wind heranbläst. Aus der Ferne herein trägt er milde Luft.

Meine Seele liegt blank inmitten meiner Organe. Vorsichtig schaute sie. Ich stand da und war durchsichtig wie Zellophan. Finger saßen tief, hingen hilflos an verlängerten Venen. Meine Gedanken tasteten die Arterien ab und die Ohren fahnden in der näheren Umgebung nach brauchbaren Signalen.

Ich schaue dieser friedlichen Armee zu, wie sie sich raunend um mich herum immer weiter aufbaut.

Da beginnt der Chor sein delirierendes Requiem. Totenmusik, die schon tot war, ehe sie gesungen kam.

Im Reflex ziehe ich das Telefon aus der Tasche, halte es an mein Ohr:

»Mine«, sage ich, »hab keine Eile. Genau, du bist müde, aber ich finde dich. Doch ja, ich bleibe dein Kind, dieser Schmetterling mit den goldenen Flügelchen, und an den Augen aus Brombeer kannst du mich erkennen.«

Als der Priester sagt, dass es »Nacht« sei, »nun, bei Mine«, sage ich:

»Schlaf, Mine, der Tod ist nicht das Ende, denn ich, ich sehe dich in meinen Träumen.«

Mine schaute herab zu uns mit gütigen Augen, sah uns verzeihend zu.

»Du Mine, bist meine Religion«, sage ich: »Ich bin dein Atem, deine Erinnerung.«

Mit raufenden Händen schaffe ich mir eine Gasse durch die Menge, dränge vor bis zu diesem einsam dastehenden Sarg.

Mir fielen die Lider in die Augen. Übriggeblieben, noch irrend, war ich im Ankommen, und es sauste die Stille, die nachfolgte, mit mir in die Leere.

Mines Gesicht und ihre pfirsichfarbene Haut zerflossen in meinen mir schützend vor den Kopf gehaltenen Händen. Durch die rosa getönten Fingerschlitze sehe ich eine Frau, die draußen im Horizont steht, und ihr Schatten floh kerzengerade herein da bis eben vor meine Füße.

Viel zu nahe stand ich, schloss also die Augen. Als ich sie wieder aufmache, ist die Frau draußen an der Krümmung der Erde verschwunden. Ich wäre der Nächste. So viel war klar.

Resonanzplätschern in eine verdammt leere See.

Ein Brimborium von Kerzen und Weihrauchwolken und ein aufbrausender, sich selbst begeisternder Chor. Mines Sarg, ein Schatten auf der Erde.

Ich bin hellwach.

»Asche zu Asche«, rief wer, »und Staub geht zu Staub«. Die Stimme sie hätte meine Mine »bei ihrem Namen gerufen«. Nun sei sie, »eben vorausgegangen.«

Der Priester tat so, als wäre er da dabei gewesen und meinte es wäre »großartig den Prüfungen Gottes ausgesetzt zu sein«. »Mines Seele ist nun auf ihrer letzten Reise zu Gott, ihrem Herrn!«

»Nein, nie!«, rufe ich: »Mine, hat keinen Herrn. Denn Mine, die Meine, ist vogelfrei!«

Eine Hand, die sich mir auf die Schulter legt. Eine Tatze, die nach Lanolin riecht. »Schutzengelehermann«, sage ich, »wie hast du mich gefunden, gewusst, dass ich da bin?«

Ich lege meinen Kopf schräg in die offene Kuhle, lasse ihn da hineinfallen. Eine Tatzenhand in Prankenstärke, die mich birgt, weich wie die Hand eines Kindes.

Ein Gluckern in seinem Bauch. Durch seinen Hohlkörper sank Wasser. Er hatte die Blumen aus der Vase an dem Krankenhausfenster genommen, das Wasser ausgetrunken in der Nacht. Am Morgen hatte man ihn tot gefunden: »Blinddarmdurchbruch«, hatte auf dem Attest gestanden.

Er habe »Durst gehabt, wie ein toller Hund«, sagt er.

Jetzt stand er da, hinter mir.

Leicht nasal, verdeckt durch eine vor den Mund gehaltene Hand, rede ich ihm nach: »Dass deine Marsala da unten in dem feuchten Loch liegt, das kann man kleinen Kindern vormachen, nicht aber uns, sagtest du, und das gilt wohl gleichfalls für meine Mine?«

Er hatte mich damals am offenen Grab der Marsala darauf aufmerksam gemacht.

Jetzt löst er mich sicher und bestimmt aus der Menge, schiebt mich abwärts vor sich her. Der Hirte führte mich wie ein Schaf. Durch enge Gassen rutschen wir nach dorthin, wo mein Vaterhaus steht. Aus dem Dorf oben dringen von leichter Luft getragene Fetzen zu uns durch.

Worte, in Bruchstücken gesungen.

#3 DIE MINE TAPES/ DAS ORANGE TONBAND

Die Tür unseres Hauses steht offen.

Da wo Mines Leichnam gestern noch gelegen hatte, thront nun ein orangefarbenes Tonband. Ein Museumsstück mit zwei tellergroßen, schon eingelegten Rollen. Während die eine leer ist, verwaist, ist die andere prallvoll und dicht aufgezogen, so als platze sie demnächst. Lange wartete sie wohl schon angespannt auf ihren Auftritt.

Dünn, dieses brüchige braune Band, das der Hüne Hermann zärtlich zwischen seine wurstgroßen Finger nimmt. Er strafft es, sodass es sich in den Magnetkopf einspannen lässt.

Dann drückt dieser seltsame Herr der Schafe mit seinen fleischigen Tatzenfingern die Taste: »Goto«. Abgegriffen, verwischt, fast aufgebraucht war die Schrift vor dem Knopf aus Perlmutt.

Ein Knacken. Wie das Bersten von Knochen. Ein tanzendes, geschleudert drehendes Karussell.

Nun, als das Band langsam anzieht, die Stimme aus dem Gerät da hervorkriecht, ist mir augenblicklich klar, wer mir den Hünen geschickt hat:

Es ist »Er«, Großvater, Gabriel.

Gabriel, »Er«

»Er« ist mir so nahe, als säße er vor mir, ist ein Priester, der ernsthaft seine Messe liest: »Mines Seelenrosenkranz«, so tönt es aus dem Lautsprecher.

»Er« sucht nun tastend seinen Weg aus der Box, will mich langsam gewinnen. Wort für Wort lässt er dazu seine Stimme anschwellen: Zuerst trockenes Wetterleuchten, das weit vorne aus der Ferne heranläuft, vorsichtig hereinrollt, gefolgt von leichtem Donner, der sich zeitverzögert über diese weite, ausgedörrte Ebene vorschiebt.

Ein Hüsteln, sein kratzendes Warten.

War ich zu unaufmerksam?

Als die Geschichte Fahrt aufnimmt, schleifen die Spulen. Die Zylinder der Spulenräder schleudern in der Geschwindigkeit des Gesagten, werfen leiernde Wortschleifen von sich und da »Ihm« nun seine Stimme anschwillt, spüre ich Blut aufsteigen in mir, in heiß atmosphärischer Hitze, wie gespien kommt »Er« hervor aus seinem heiligen Gral.

Eine von selbst drehende Walze lädt sich zum Sturmwind: Wetterwarnung! Langhaarige Pferde, die aufgescheucht über eine weitläufige Ebene jagen. Nun, da die Stimme fliehend wird, sprengten sie:

Trommelnde Hufe. Wortsatzstampede.

Widerstand zuerst, Betroffenheit dann. Am Ende: Berührung.

Diese Stimme, es war die meine, und so kommt es, dass ich einsteige in »Ihn«. »Er« umfasst meine Hände, klammert mich an sich. Um Atem ringend schließe ich meine Augen, sage: »Wir beide sind da wohl in eine böse Sache geraten. Das Bild unserer zwei Frauen, sprachlos am Ende der Stiege. Es ist unsere Stunde Null.«

»Sprachlos zu bleiben, ist eine Sünde«, sagt »Er«, lapidar.

Hermann war aufgestanden.

Das Schloss draußen schlug in schweres Eisen.

Die Schallwelle aus dem orangen Gerät, die in mir anschlug, war Ohrschock gefolgt von Bildern.

Wie Stigmata brannten die sich in die Haut.

Nun redete »Er«.

#4 BERTA UND MINE, PROZESSION NACH HOCHKREUZ

In den Bänken knien die Weiber bei den Weibern. Sie beten jede für sich und Gott gegen alle. Alle haben sie Angst vor ihm. Er sei ein Mann, sagt Berta: »Schon wieder.«

Die Kinder werden unruhig als der Pfarrer drohend den Finger hebt: »Gott bestraft alle Ungläubigen mit dem Jüngsten Gericht«, rezitiert er. Sie fürchten den erhobenen Zeigefinger, er ist ihr todernster Religionslehrer.

Offenbar stand es da, in dem heiligen Buch, das vor ihm lag. So gab der Ministrant ihm Weihrauch, so aufmerksam intensiv, bis nur mehr seine Stimme aus der Mitte der Rauchwolke zu den Menschen nach draußen drang.

Berta stand da neben Mine in einer Bank und kommentierte. Ein gebrochenes, vorsichtig intoniertes, auf Stelzen gehendes Deutsch: »Welcher Gott, der seine«, fragt sie, »der deine oder der meine?«

Beide Frauen schauten.

Mines Stimme waren ihre Augen.

Atmen taten sie erst wieder, als sie ins Freie kamen. Karg und sparsam, wie die von Trockenheit verdorrten Böden, beteten die Menschen ihrem Pfarrer einfach nur das Allernotwendigste nach.

»Die Saat ist erst halb hoch, muss noch werden, oh Gott und unsere Tiere sind hungrig«, betet der, »lass das Gras endlich wachsen, damit die wieder hinauskönnen und gib unseren Frauen, den Fluren und dem Wetter Beständigkeit, unserer Hoffnung gib Zuversicht. Wir haben zu lange schon zu viel vom Schnee gesehen. Jetzt haben wir genug davon.«

Waren da drinnen alle wie gelähmt gewesen, jetzt, da draußen auf dem Kirchplatz, begann das Leben in die Menschen zurückzukehren.

Es holte sich sie.

Kinder in schneeweißen Kleidern führten die Prozession. Vor ihnen ging die Lehrerin Trude, die die Rangordnung exakt kannte und diese präzise beherrschte. Der Herr Pfarrer stand unter einer Überdachung, seinem Baldachin, ging den Buben voraus, dann folgten die Männer. Es kamen die Mädchen aus der Kirche, nach denen die Frauen.

Die Fremden, sie zogen verloren dahin am Ende der Kolonne.

An frisch abgeschnittenen Zweigen zogen Berta und Mine mit dem Zug der ganzen Anderen verloren durch das Dorf. Die Gassen waren geschmückt mit frischem Trieb.

»Er« hätte sie »geschwängert, da unten«, sagt Berta. Mine schaute, drehte sich zu ihr. »Nicht der da vorne, der Meine«, sagte Berta, »da bin ich ihm einfach nachgereist.«

Sie schaute: »Bis ich ihn gefunden habe, hier.«

»Samt Kind?«, fragte Mine zurück.

»Samt Kind«, sagt Berta, »Slatko, da vorne geht er!«

Mine lächelte, hatte verstanden, sagte knapp: »Ein Soldatenkind.«

Mine und Berta, »die Zwei«, sie haben sich etwas hinter der Alten in den Zug eingereiht und führen Karlchen, Mines Kind, an der Hand.

Ein Stück lang zumindest, dann hakt der sich auf der anderen Seite bei der Welschlehrerin unter. Er mochte die, weil sie »aus der Ferne« kam, »da lontano«, sagt er, aus dem Südland, Sizilien, und da die anderen Kinder sie frech »Zittella« riefen, nahm Karlchen sie in Schutz.