Phänomene der Weltwirtschaft - Egon W. Kreutzer - E-Book

Phänomene der Weltwirtschaft E-Book

Egon W. Kreutzer

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Beschreibung

Gibt es zwischen Arbeitslosigkeit, Überbevölkerung und dysfunktionalen Sozialsystemen einen Zusammenhang? Wer ernsthaft versucht, die Ursachen für die Probleme unserer Welt zu erkennen, wird nicht darum herumkommen, sich diese Frage zu stellen. Wann endlich werden die großen Verheißungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems wahr werden? Wer in der Lage ist, ein paar Jahrzehnte zu überblicken, wird feststellen, dass die Versprechungen im Wesentlichen gleich geblieben sind, weil sich an der Situation nichts zum Guten verändert hat. Hunger, Kriegen und Ausbeutung steht nach wie vor das nie eingelöste Versprechen vom Wohlstand für alle gegenüber. Warum steigt Asien auf, während Europa im internationalen Ranking immer weiter abrutscht und die USA ihre Position nur mit Krieg und Gewalt halten können? Was stimmt mit unseren 'westlichen Werten' nicht? Warum ist Geld der wichtigste Anreiz für Leistung, die dann oft genug nicht zum Wohle, sondern zum Schaden der Gesellschaft erbracht wird? Der Versuch, diese Fragen und Probleme in einen einzigen, großen Zusammenhang zu stellen, bringt weit mehr Erkenntnisse und Lösungsmöglichkeiten hervor, als das untaugliche Herumkurieren an Symptomen. Innerhalb der Gesamtausgabe nimmt Band II der wahnwitzigen Wirtschaftslehre einen besonderen Platz ein. Darin findet sich nicht nur eine umfassende und tiefgehende Analyse der Ursachen der durch die Art unseres Wirtschaftens überall auf der Welt zwangsläufig entstehenden Probleme, die sich in Arbeitslosigkeit, Überbevölkerung und versagenden Sozialsystemen zeigen, sondern auch Antworten auf die Frage, warum die großen Verheißungen des Kapitalismus immer noch auf sich warten lassen. Aus der Analyse der Probleme hat Kreutzer Lösungsideen entwickelt, die er in seinem 'Credo der Vernunft' zusammengefasst hat. Das Schöne daran: Für die Verwirklichung braucht es nicht erst den neuen, besseren Menschen, auf dessen Erscheinen Kommunisten und Sozialisten schon lange vergeblich warten, sondern nur eine geringfügige Veränderung im Anreizsystem.

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Inhalt

Vorwort

Arbeitslosigkeit

ein unsinniger, verwirrender und irreführender Begriff.

ein knappes Wirtschaftsgut

ein Katalysator für Mobilität und Flexibilität

ein Bewertungsmaßstab für die Arbeitsleistung

eine einzigartige Chance und ein paradiesischer Zustand

eine Folge der Rationalisierung

eine Folge der Überbevölkerung

ein Irrtum in der Planwirtschaft

der Ursprung der Dienstleistung

die Seite der Medaille, die wieder nach hinten gebracht werden sollte

Die Fehlbeschäftigung

Die Unterversorgung

Der Müllhaldeneffekt

Überbevölkerung

ein unsinniger, verwirrender und irreführender Begriff

eine katholische Krankheit?

ein afrikanisches, asiatisches, südamerikanisches Phänomen?

ein Klassen- und Kastenproblem?

Synonym für hohe Bevölkerungsdichte?

eine Frage der Kaufkraft?

ein Indiz für hohen Ressourcenverzehr?

Gesundheits- und Sozialwesen

ein unsinniger, verwirrender und irreführender Begriff?

eine Sünde wider die Evolution?

eine deutsche Ungeschicklichkeit?

ein weltweiter Mangel?

ein Motor für die positive Veränderung der Sterbetafeln?

eine Frage der Kaufkraft?

ein nichtkommunistisches System außerhalb marktwirtschaftlicher Regeln.

Die großen Ziele

Zum allgemeinen Wohl der Menschheit

Chancengleichheit

Lebensqualität

Fortschritt

Lebensverlängerung

Wissensvermehrung und Wissensgesellschaft

Arbeitserleichterung

Sieg über den Hunger

Sieg über den Krieg

Wohlstand für alle

Credo der Vernunft

Was uns fehlt

Ein vernünftiges Wertesystem

Ein vernünftiges Anreizsystem

Wirkungen und längerfristige Folgen von Auflagen

Wirkungen und längerfristige Folgen von Steuern und Abgaben

Wirkungen und längerfristige Folgen von Subventionen

Was sind gute Projekte und wer stellt das fest?

Was heißt es, ein Projekt durch eine großzügige Anschubfinanzierung "rentabel" zu machen?

Wo kommt die großzügige Anschubfinanzierung her?

Ein vernünftiges Sanktionssystem

Vernünftige gesellschaftliche Zielvereinbarungen

Vernünftige gesellschaftliche Organisation

Vernünftige gesellschaftliche Tabuisierungen

Gott war gar nicht so schlecht

Auch ein weiser König ist nicht schlecht

Jeder ist ganz alleine verantwortlich, für sich selbst und ein bisschen auch für uns alle.

Vorwort

Das ist nun, zwanzig Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe, die dritte aktualisierte und ergänzte Neuauflage des zweiten Bandes meiner wahnwitzigen Wirtschaftslehre. Vieles hat sich im Laufe dieser Zeit verändert. Die Weltbevölkerung ist von sechs auf acht Milliarden Menschen angewachsen. Die USA und ihre Verbündeten, die 2001 ihren Krieg gegen Afghanistan begonnen haben, haben das Land nach 20 Jahren „fluchtartig“ wieder verlassen, zwischenzeitlich wurden der Irak und Libyen „befreit“. Donald Trump war vier Jahre lang Präsident der USA, in Russland war Putin seit 1999 Präsident und ist es heute - mit einer kurzen Unterbrechung – immer noch. Angela Merkel hat 2005 Gerhard Schröder als Bundeskanzler abgelöst und ist Ende 2021 nicht mehr als Kandidatin angetreten. China hat sich zur Weltmacht gemausert und die erste von der WHO global gemanagte Pandemie soll aus einem Labor in Wuhan freigesetzt worden sein.

Doch die Prinzipien, nach denen Handel und Wandel funktionieren, Reichtum hier und Armut da hervorbringen, sind die gleichen geblieben. Es stehen zwar immer wieder neue Schauspieler in veränderten Kulissen und erfrischen das Gemüt immer wieder mit ganz neuen Pointen, aber nimmt man das Vordergründige weg, ist es immer wieder das gleiche, alte Theater.

Es sind diese Prinzipien, denen dieses Buch gewidmet ist, es sind die Sachzwänge, die von diesen Prinzipien ausgehen, die beleuchtet werden und die Entscheidungen und das Handeln von Produzenten und Konsumenten gleichermaßen bestimmen, und dabei ein einziges großes Pumpwerk bilden, das die Umverteilung von unten nach oben in Gang hält.

Häuptlinge und Barone, Schamanen und Fürstbischöfe, Wucherer und Kaufherren haben es von jeher verstanden, sich die größten Stücke des Kuchens zu sichern. So entstanden die prunkvollen Residenzen und eine aufs Höchste verfeinerte Lebensart für eine kleine, elitäre Herrschaftsschicht direkt aus der Arbeitsleistung ihrer Leibeigenen und anderen Untertanen. Ein in der Diskussion wegen seiner nur tendenziellen Wirksamkeit weitgehend übersehener oder verdrängter Wandel dieses Systems verdient heute unsere besondere Beachtung:

Während fast der gesamten Menschheitsgeschichte war es selbstverständlich, dass tiefste Armut und äußerster Reichtum auf Sicht- und Rufweite nebeneinander existieren. Die reichtumsbegründenden Systeme waren nur auf verhältnismäßig kurze Distanz zu kontrollieren und Herrscher und Beherrschte kannten sich von Angesicht. Das Verhältnis zwischen Untertanen und Obrigkeit war gottgegeben und die Kirchen sahen nicht den geringsten Anlass, diesen Glaubensirrtum zu korrigieren. Beginnend mit der von Europa ausgehenden "Kolonialisierung" der Welt, hat sich über die letzten Jahrhunderte ein leicht verändertes Modell herausgebildet, das die Vorteile und die Nutznießer des Wirtschaftens in Europa und Nordamerika konzentrierte. Hier saßen jetzt die Herrscher und der Hofstaat und die hochentwickelte bürgerliche Intelligenz. Die Nachteile (Raubbau, Hunger, Armut, Krankheit, Schmutz und Müll) wurden mehr und mehr nach Asien, Afrika und Südamerika ausgelagert. Am Höhepunkt dieses Prozesses, der scheinbar in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, stehen eklatante Unterschiede in der Verteilung von Wirtschaftskraft und Reichtum. Im Vergleich der statistischen Werte finden wir – Stand 2021 - in Deutschland ein Bruttosozialprodukt (BSP) von 51.238 US$ pro Einwohner; im südafrikanischen Namibia stehen dem gerade noch 4.826 US$ gegenüber. In Nordamerika bringt es Kanada auf 52.015 US$ und die Vereinigten Staaten legen 69.227 US$ vor. Die Nepalesen müssen sich mit 1.209 US$ bescheiden, und Burundi bildete 2021 mit einem BIP pro Einwohner von gerade einmal 274 US$ das Schlusslicht vor 22 weitern von 192 Staaten, bei denen es nicht für 1.000 US$ pro Jahr und Kopf reichte.

Je näher nun aber die Nationen und die Kontinente zusammenwachsen, desto deutlicher tritt der Unterschied zwischen den reicheren und den ärmeren Menschen zutage. Gleichzeitig wird die Erkenntnis immer klarer, dass das Ende der Strategie mit dem Motto: "Aus den Augen, aus dem Sinn!", gekommen ist, und dass eine Entwicklung begonnen hat, in der die Verteilungsprobleme eine neue Völkerwanderung ausgelöst haben, deren Höhepunkt erst noch bevorsteht.

Wir haben allerdings keine Chance, die alten Zustände wieder herzustellen, denn die Welt ist kleiner geworden.

Von den 80 Tagen, die Jules Verne im Jahre 1873 als Rekordzeit für eine Erd-Umrundung ansetzte, sind gerade noch jene 92 Minuten und 25 Sekunden übriggeblieben, die die Raumstation ISS braucht, um die Erde auf einer Flugbahn in knapp 400 Kilometern Höhe einmal zu umkreisen, genauso wie vorher die russische MIR.

Wir haben keine Chance, die alten Zustände wieder herzustellen, denn die Weltbevölkerung ist gewachsen.

Hatte Jules Verne noch rund 1,5 Milliarden Zeitgenossen auf dem Globus, so müssen wir uns unsere Welt heute mit über 8 Milliarden Menschen teilen.

Wenn wir diese Informationen miteinander verknüpfen, so kommen wir zu der (streng wissenschaftlich natürlich nicht haltbaren) Aussage, dass die Erde in den letzten 125 Jahren in der Wahrnehmung des einzelnen Menschen auf ein Siebentausendstel ihrer ehemaligen Größe geschrumpft ist, denn die Durchschnittsgeschwindigkeit der schnellsten Verkehrsmittel hat sich ungefähr um den Faktor 1250 erhöht und die Zahl der anzutreffenden Menschen um den Faktor 5,3. Ein Tag auf der Autobahn zwischen München und Hamburg, ein Tag in der Abflughalle des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt, vielleicht auch nur ein paar Stunden im Münchner Hauptbahnhof dürften reichen, um jeden Skeptiker zu überzeugen, dass es eng ist, auf der Welt. Natürlich rasen wir nicht alle mit der Geschwindigkeit der ISS durch das Land, aber schon die gigantische Zahl der jährlich in der zivilen Luftfahrt zurückgelegten Passagierkilometer zeigt ganz deutlich, wie sich die Menschen immer schneller immer näherkommen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

Wir leben auf diesem einen Globus, der tatsächlich und unaufhaltsam immer enger wird. Das Näherkommen ist unvermeidlich und Menschen, die sich näherkommen, werden vermehrt Handel miteinander treiben, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, sich zu höherem Wohle in kriegerischen Auseinandersetzungen gegenseitig zu dezimieren. Globalisierung findet längst statt. Ihre Triebkräfte sind das Bevölkerungswachstum und die rasant wachsende Potenz unserer Verkehrs- und Kommunikationsmittel, deren wirtschaftliche Dimension ist problematische Folge, nicht Ursache oder Ziel. Gerade eben durfte die Menschheit erkennen, dass diese kleine blaue Kugel, am Rande der Galaxie, ungefähr 8 Lichtminuten von ihrer Sonne entfernt, die gemeinsame Heimat aller Menschen, unser einziger "Globus" ist und schon stehen wir vor der dringlichen Frage, wie wir es schaffen können, diese Heimat gemeinsam und friedlich zu nutzen, sie in ihrer Substanz zu erhalten und die Lebensqualität aller Menschen zu verbessern.

Die Spielregeln enger Nationalstaatlichkeit, die den Nutzen des eigenen Volkes nur zu Lasten anderer Völker mehren können, taugen nicht mehr. Die auf endloses Wachstum ausgerichteten Strategien der Global Player arten zur reinen Ressourcenvernichtung aus, und können als Modell für eine globale Optimierung ebenfalls nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden.

Alles, was bisher dem Wirtschaften des "Einen" gegen den "Anderen", was dem Wettbewerb und dem Konkurrenzkampf einen Sinn gab, alles was als individueller Nutzen aus den Nullsummenspielen verbucht werden konnte, was die grausame Niederschlagung jedes Gegners rechtfertigte, was zum Machterhalt und zur Gewinnmehrung an öffentlichen und geheimen Allianzen geschmiedet, und zur Not auch mit physischer Gewalt verteidigt wurde, alles das taugt nicht mehr, wenn wir die Herausforderungen der Globalisierung meistern wollen.

Nur wenn wir rechtzeitig erkennen, dass wir uns auf unserem engen Globus genau so umsichtig verhalten müssen, wie eine einzige, kleine Familie in der zu engen Mietwohnung, wie eine Familie, die darauf angewiesen ist, ihr Leben möglichst optimal aufeinander abzustimmen und möglichst viele Synergien des Zusammenlebens zu nutzen, nur dann haben wir eine Chance, den erbitterten, alles und alle vernichtenden Kampf um die letzten Ressourcen zu vermeiden.

Das Ergebnis der Globalisierung wird daher nicht so aussehen können, dass wenige Reiche in einem kleinen Staat in paradiesischen Wonnen leben, während ihre Statthalter den Rest einer hungernden Welt beherrschen und ausbeuten, wie es sich die Protagonisten der New World Order vorstellen.

Auch das Modell "Nord-Süd-Gefälle" hat ausgedient, weil es sichtbar geworden ist. Die Sklaven in Mississippi und Virginia sind frei! Es gibt keinen Grund, warum die Menschen in Namibia, Kambodscha und Ecuador sich nicht auch von den wirtschaftlichen Fußfesseln befreien sollten, die sie sich einst von den reichen Nationen anlegen ließen. Das noch in weiter Ferne stehende Endergebnis der Globalisierung wird eine sehr dezentral und bürgernah organisierte, global vernetzte, und von einer Ethik globaler Verantwortlichkeit geprägte Menschheit sein, die gelernt hat, ihre Kräfte und ihr Vermögen gemeinsam zu nutzen, anstatt beides in immer neuen Verteilungskämpfen sinnlos zu verschwenden.

Sehen Sie dieses Buch nun bitte nicht als einen Aufruf zum Klassenkampf an, nicht als ein verspätetes, prokommunistisches Pamphlet oder als modernisierte Neuauflage marxistischer Lehren. Nehmen Sie zu unser aller Gunsten an, dass die Dualität von Kapitalismus und Kommunismus nicht schon das Ende aller wirtschafts- und gesellschaftstheoretischen Erkenntnis sein kann, und arbeiten Sie aktiv an der Entwicklung von neuen, besseren Lösungen mit. Auch der zweite Band von "Wolf's wahnwitziger Wirtschaftslehre" ist eine Aufforderung zum Handeln, weil das Ergebnis eines resignierenden: "Weiter so, es geht nicht anders", vorhersagbar schlecht und für uns alle ungemütlich ausfallen muss.

Die Ursachen für unsere Probleme sind erkennbar. Es mag großer Anstrengungen bedürfen, um sie zu lösen, aber ich denke, wir müssen es tun. Besser früher als später.

Elsendorf im Juni 2023

Egon W. Kreutzer

Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosigkeit,

ein unsinniger, verwirrender und irreführender Begriff.

Wer schon einmal arbeitslos war, und das sind gar nicht so wenige, der weiß, dass es nicht unbedingt die Arbeit ist, die man vermisst, sondern dass es der Lohn ist, der fehlt, und der weiß auch, dass der fehlende Lohn nicht so schlimm wäre, wenn man nur genügend Geld hätte. Gleichzeitig wird sich aber auch derjenige, der immer Arbeit hatte, recht gut daran erinnern können, wie er an so manchem Tag nur darauf gewartet hat, dass diese schrecklichen acht Stunden doch zu Ende gehen möchten, und dass er an so manchem Wochenende sehnsuchtsvoll die Ziehung der Lottozahlen verfolgte, in der kleinen, aussichtslosen Hoffnung, mit sechs Richtigen nie wieder arbeiten zu müssen. Eine Beschäftigung, die Spaß macht, würde er, wenn ihm denn danach sein sollte, schon finden...

Die Begriffe, mit denen wir umgangssprachlich zu hantieren haben, wenn es um das geht, was die Juristen der Finanzbehörden vorsichtig, aber schon viel korrekter, als "nichtselbständige Arbeit" bezeichnen und was im strafrechtlichen Zusammenhang ebenfalls zutreffend als "abhängig beschäftigt" umschrieben wird, sind von seltsamer Widersprüchlichkeit. Das liegt vermutlich daran, dass in unserem Sprachgebrauch immer noch jene Zeit lebendig ist, in der Arbeit als gottgefällige Lebenserfüllung angesehen wurde und das Nichtstun als sündhaftes Laster galt. Kein Wunder, dass seinerzeit derjenige, der im eigentlichen Sinne nicht arbeitete, sondern (lediglich) die Arbeit anderer zu seinem Nutzen einkaufte und nach seinen Vorstellungen organisierte, großen Wert darauflegte, als "Arbeit-Geber" einen Anteil am gottgefälligen Schaffen zu erlangen. So kam es, dass derjenige, der seine Arbeit gegen Lohn hin-gab, nicht mehr Arbeit-Geber heißen konnte, weil dieser Rollenname schon besetzt war. Es wäre nicht mehr als recht und billig und dem Verständnis nützlich gewesen, den Arbeiter weiterhin einfach nur als Arbeiter zu bezeichnen, oder man hätte ihn, wenn schon unbedingt neue Begriffe hermussten, der gleichen irreführenden Logik folgend, auch als "Lohngeber" bezeichnen sollen. Damit konnten sich die "die Arbeit annehmenden" Arbeitgeber aber nicht anfreunden, und erklärten, dies sei ja wohl unlogisch, weil schließlich sie es seien, die den Lohn gäben, da müsse ein weniger verwirrender Begriff gefunden werden. Es kam, wie es kommen musste, die Arbeiter wurden zu Arbeitnehmern und Lohnempfängern, sie stehen also doppelt in der Schuld der Arbeitgeber, denn diese geben nicht nur die Arbeit, sondern obendrein auch noch den Lohn, was den Arbeiter, der in dieser Sprachlogik gar nichts geben kann, zu doppelter Dankbarkeit verpflichtet. Das ist beileibe kein Witz!

Diese prachtvolle, logisch-rhetorische Kunstfigur bringt den Arbeiter in die Klemme, die ihn Schuld empfinden lässt, sobald er eine Forderung zu stellen hat. Schließlich bekommt er von seinem Gönner doch schon Arbeit und Lohn und jetzt will er auch noch Freizeit, wie kann er nur so undankbar sein, und die Arbeit, die ihm geschenkt wird, zurückweisen?

Betrachten wir, nur zum Spaß, die vergleichbare Situation dessen, der in ein Unternehmen nicht seine Arbeit einbringt, sondern sein Geld. Beides ist unter dem Oberbegriff "Produktionsfaktor" durchaus gleichzusetzen! Wie schrecklich falsch klingt es uns hier im Ohr! Den Finanzier einen "Geldnehmer" zu nennen, lächerlich! Den Schuldner, als "Geldgeber" anzusprechen, das ist doch völlig verdreht! Wir kämen, und das ist jetzt der Punkt der höchsten Verwirrung, auch niemals auf die Idee, einen Finanzier, dessen Geld gerade nicht verliehen ist, weil ihm die angebotenen Zinsen zu niedrig sind, als einen Geldlosen zu bezeichnen, und ihn, unter Angabe seines Barvermögens, in einer Geldlosenstatistik aufzuführen.

Der Arbeiter, der seine volle Arbeitsfähigkeit hat, der sie, um Geld zu verdienen, auch gerne zur Verfügung stellen würde, den bezeichnen wir, ohne nachzudenken als arbeitslos, obwohl ihm eigentlich nur jemand fehlt, der bereit ist, seine Arbeit zu kaufen. Die gesamte Arbeitslosenstatistik ist also im Kern eine Statistik über diejenigen, die sich aus Geldmangel bereit erklären, für Geld das zu tun, was ein anderer von Ihnen verlangt. Verfälscht wird diese Geldlosenstatistik nur durch die Wenigen, die zwar genügend Geld hätten, um auch ohne Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit ganz gut über die Runden zu kommen, die aber trotzdem nicht auf Leistungen des Arbeitsamtes verzichten wollen. Doch damit nicht genug: Rings um die Arbeitslosenstatistik wurde ein Denkgebäude errichtet, das Arbeitslosigkeit zuallererst und ohne große Mühe als das Versagen der Regierung erklärt, der vorgeworfen wird, die längst geforderten Bedingungen für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln einfach nicht herzustellen. Daraus ergäben sich unzureichende Gewinne, und ein Unternehmen, das sich nicht richtig rentiert, brauche auch keine, oder nicht so viele oder doch wenigstens keine zusätzlichen Arbeitskräfte. Würde die Regierung nur immer alle Forderungen der Wirtschaft erfüllt haben, wir hätten seit 50 Jahren ein dauerhaftes Paradies der Vollbeschäftigung genießen können. Regierungen stehen aber regelmäßig vor dem Problem, sich irgendwann auch beim besten Willen eingestehen zu müssen, dass die Forderungen der Wirtschaft unter Berücksichtigung aller relevanten Rahmenbedingungen nicht zu erfüllen sind, jedenfalls nicht sofort und nicht in vollem Umfang.

Weil die wahren Zusammenhänge zu kompliziert und außerdem unbequem sind, und eine Lösung innerhalb einer Wahlperiode unmöglich ist, neigen die Regierungen dazu, der Wirtschaft weitgehend Recht zu geben, einen Teil der Forderungen zu erfüllen, und dann zu erklären, dass - nachdem die Regierung das ihre getan habe - nun die Bevölkerung, also die Arbeiter und insbesondere die Arbeitslosen, um die es ja ginge, endlich auch das ihre zu tun hätten, damit die Wirtschaft dann endlich tun könne, was sie wolle. Danach übertreffen sich Opposition und Regierung in der Auslegung dessen, was man von den Arbeitslosen erwartet. Wenn der Aufschwung nicht kommt, kann es leicht passieren, dass die Politiker mit Feuereifer unter den Arbeitslosen nach den Schuldigen suchen, weil diese "Schmarotzer" in einem viel zu gut gepolsterten "Sozialen Netz" nur die Wohltaten des Sozialstaates genießen, und sich darum drücken, die Konjunktur anzukurbeln. … als ob sie das wirklich könnten.

"Wer arbeiten will", so tönt es allenthalben, "der wird auch Arbeit finden!" Zum Beweis wird dann darauf verwiesen, dass die Wirtschaft händeringend nach Fach- und Saisonarbeitern, nach Computer- und BioTech-Spezialisten suche, und dass noch nicht einmal die Finanzämter ausreichend personell besetzt seien. Wer in den letzten Jahren in der Situation war, eine Stelle besetzen zu müssen, der hat erlebt, wie auf ein einziges Inserat hin Dutzende und oft auch Hunderte von Bewerbungen eingehen. Er hat diese Bewerbungen durchlesen und aussortieren müssen, bis die paar wenigen Bewerber übrig waren, die das Glück hatten, sich vorstellen zu dürfen. Er hat mit Menschen gesprochen, die zu wenig qualifiziert waren, aber auch die kleinste Chance nicht ungenutzt lassen wollten, und er hat mit Hoch- und Überqualifizierten gesprochen, die ebenfalls die kleinste Chance nicht ungenutzt lassen wollten. Außerdem hat er Bewerbungsgespräche mit Menschen führen müssen, die sehr schnell deutlich machten, dass sie eigentlich keine Arbeit suchten, aber - zum Nachweis ihres Bemühens - sich doch immer wieder auch bewerben und vorstellen müssten.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es wirkliche Arbeitslosigkeit gibt und wenn man versuchen will, abzuschätzen, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die arbeitslos gemeldet sind, aber nicht arbeiten wollen, dann fallen zuallererst die "Frühpensionäre" ins Gewicht, deren Ex-Arbeitgeber schöne Pläne entwickelt haben, wie man sich unter Kostenbeteiligung des Staates frühzeitig von Menschen trennen kann, die als zu teuer eingeschätzt werden. Menschen, denen von ihrem Unternehmen ein Plan unterbreitet wurde, mit dem ihnen ein ausreichender Geldzufluss ohne Arbeit vorgerechnet wurde, Menschen, die deshalb glauben, mit Fug und Recht einen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu haben, obwohl sie nicht die Absicht haben, nochmals zu arbeiten. Hier sind die Unternehmer diejenigen, die den von ihnen stets angeprangerten Missbrauch der Sozialsysteme selbst in ungeheurem Ausmaß vorangetrieben haben.

Konnte 2002, bei Erscheinen der ersten Ausgabe unter diesen Prämissen noch davon ausgegangen werden, dass von rund 4 Millionen gezählten Arbeitslosen etwa 2,5 Millionen tatsächlich arbeiten wollten, musste schon im Jahre 2007 – nach Wirksamwerden der Hartz-Reformen, festgestellt werden, dass zwar nur noch 3,x Millionen Menschen statistisch als Arbeitslose erfasst wurden, tatsächlich aber mehr als 5 Millionen Menschen immer verzweifelter nach Arbeit suchten, denen jedoch bestenfalls Arbeitsgelegenheiten und Minijobs zugewiesen werden.

Die statistisch ausgewiesene Zahl der "Offenen Stellen" muss übrigens ebenfalls nach unten korrigiert werden, weil sie nicht nach der Art der Stellenangebote differenziert, und neben dem tatsächlichen, zusätzlichen Bedarf auch Pseudobedarfe mitzählt, die sich als Ausdruck des Verdrängungswettbewerbes (Verschiebung von Arbeitsplätzen), der natürlichen Fluktuation und einer raffinierten Form der Imagepflege (Stellenangebot als PR-Maßnahme) verfälschend auswirken. Wir können daher durchaus davon ausgehen, dass von einer Gesamtzahl von 1.000.000 angebotenen Stellen tatsächlich nur 200.000 oder 300.000 arbeitsmarktwirksam als offene und zu besetzende Stellen zu Buche schlagen. Natürlich sind auch diese Stellen nicht Tag für Tag unverändert die gleichen. Offene Stellen werden mit schöner Regelmäßigkeit besetzt, und neue offene Stellen kommen hinzu. Auch Arbeitslose finden schließlich immer wieder einmal einen Job und gleichzeitig kommen wieder viele neue Arbeitslose dazu.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass zurzeit in Deutschland, wenn man die Sozialgeldempfänger ausklammert, immer noch mindestens 4,7 Millionen geldlose und arbeitswillige Menschen von den Arbeitgebern nicht gebraucht werden.

Kategorien

April 2023

April 2007

ALG I:

768.000

1.189.919

ALG II:

3.915.000

5.204.567

Sozialgeld:

1.571.000

1.919.509

In Summe

6.254.000

8.313.995

Ausgewiesene Arbeitslose

2.586.000

3.966.648

Sie werden nicht gebraucht, weil es sich für die Wirtschaft und für die finanzierenden Banken und deren Geldgeber nicht lohnt, weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Sie werden nicht gebraucht, weil die Nachfrage nach den Produkten zusätzlicher Arbeitsplätze weltweit nicht vorhanden ist. Immerhin handelt es sich dabei um ein jährliches Umsatzvolumen in der Größenordnung von 350 bis 400 Milliarden Euro. Sollte das innerhalb Deutschlands abgenommen werden, müsste jeder Bürger (vom Kleinkind bis zum Greis) jährlich weitere Artikel im Wert von rund 2000 € verkonsumieren1, was auch bedeutet, dass jeder Erwerbstätige pro Jahr rund 5.000 € netto(!) mehr verdienen müsste, um das bezahlen zu können. Wollten wir die sich ergebende Mehrproduktion exportieren, so entspräche das einer Steigerung des Exportvolumens um etwa ein Drittel.

Wer sich diese Zahlen vor Augen hält, und die aufgezeigten gigantischen Dimensionen zu würdigen vermag, wird die gesamte politische Auseinandersetzung der letzten 15 Jahre zum Thema Arbeitslosigkeit als das erkennen, was sie immer noch ist, nämlich pure Augenwischerei. Die Ursachen für den Rückgang der Beschäftigung liegen nun einmal nicht im unzureichenden wirtschaftspolitischen Bemühen der Bundesregierung und auch nicht darin, dass sich ein Teil der Bevölkerung ein Recht auf Faulheit herausnimmt. Die Ursache liegt darin, dass die Nachfrage nach Gütern und Leistungen weltweit kleiner ist als die bei Vollbeschäftigung erreichbare Gesamtproduktion. Das war schon immer so, nur ist es den Industrienationen früher besser gelungen, diese Nachfrageschwäche aus dem eigenen Wirtschaftsraum herauszuhalten. Jetzt wächst global zusammen, was auf engstem Raum zusammenlebt, und die globale Bilanz bringt es an den Tag, dass die Weltwirtschaft in Teilen auf "Wechselreiterei" gegründet ist. Wie schon im ersten Band ausführlich dargelegt, sind die "Endbezahler" überfordert, wenn von ihnen verlangt wird, den Gesamtoutput der Wirtschaft zu Verkaufspreisen abzunehmen. Die Löhne können dafür nämlich nicht ausreichen, und weil das so ist, muss versucht werden, im internationalen Handel einen Vorteil für die eigene Volkswirtschaft zu Lasten der Handelspartner zu erringen. Dank Globalisierung schwindet diese Möglichkeit zusehends, und damit wächst zwangsläufig die Zahl der Arbeitslosen auch in den reichen Ländern.

Arbeitslosigkeit, das ist und bleibt ein unsinniger, verwirrender und irreführender Begriff!

Es ist unsinnig zu glauben, Arbeitgeber gäben dem Arbeitnehmer Arbeit und Lohn und der Arbeiter gäbe im Gegenzug gar nichts. Es ist irreführend, wenn Arbeitgeber und Regierung die Schuld an der schlechten Konjunktur ausgerechnet denen zuschieben, die als Arbeitslose am wenigsten damit zu tun haben. Es ist verwirrend, wenn die Arbeitslosigkeit von der damit verbundenen, bitteren Geldlosigkeit der Arbeitslosen gedanklich abgekoppelt wird. Arbeitslosigkeit ist ein unsinniger, verwirrender und irreführender Begriff für die Geldlosigkeit vieler Menschen, die eine zwangsläufige, unvermeidliche Folge unseres Wirtschaftssystems ist. Arbeitslosigkeit ist eben grundsätzlich nicht das persönlich verschuldete Schicksal des Einzelnen, sondern der zwangsläufige, unvermeidliche Ausgleich für einen nicht gerechtfertigten Geldüberschuss bei anderen.

Was heißt das: "gerechtfertigter Geldüberschuss"? Mehr Geld, also Kaufkraft zu besitzen, nach allen Tauschvorgängen Geld übrigbehalten, einen Überschuss anzusammeln, das ist dann gerechtfertigt, wenn dem eine entsprechende produktive Leistung zugrunde liegt. Der Unternehmer soll Gewinne machen und der Kapitalgeber Zinsen erhalten, aber eben nur in dem Maße, wie der Produktivitätsfortschritt das zulässt und wie die Arbeiter und Angestellten ihrerseits direkt an der wachsenden Produktivität partizipieren. Dies kann eigentlich nur so geschehen, dass sowohl kürzere Arbeitszeiten als auch steigende Löhne bzw. sinkende Preise ein "Mehr" an Lebensqualität ermöglichen und dabei die Kaufkraft aller Bürger stetig so gesteigert wird, dass der mögliche Umsatz nicht durch fehlendes Geld behindert wird. Leider hat sich unsere Wirtschaft so entwickelt, dass Kapitalgeber, Unternehmer und Leitende Angestellte immer größere Anteile des Produktivitätszuwachses für sich behalten können, während die Mitarbeiter über Löhne und Arbeitszeiten mit immer kleineren Anteilen zufrieden sein müssen. Dass die Lebensbedingungen der Arbeiter in Deutschland heute besser sind als vor 60 Jahren ist zwar richtig, aber das ist weder ein Beweis für ausreichende Gerechtigkeit noch eine annehmbare Rechtfertigung für das weitaus stärkere Anwachsen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Kapitalvermögen. Die Balance ist um einen Betrag von 400 bis 600 Milliarden Euro p. a. zu Ungunsten der Beschäftigten gestört. Würde dieses Geld nicht in Steueroasen gebunkert, und von dort aus in wilden Spekulationsgeschäften um den Globus gejagt, wir könnten Vollbeschäftigung haben, bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 34 Stunden und danach auf weiteres Wachstum verzichten.

In vielen Ländern führt Geldlosigkeit auf direktem Wege vor die Alternative: "Hunger oder Kriminalität", und in deren Folge nicht selten auch zum Tode. Deutschland ist gerade noch reich genug, um Geldlose so weit zu unterstützen, dass ein unauffälliges Überleben gesichert ist und der sogenannte soziale Frieden gewahrt bleibt. Es fragt sich nur, wie lange noch? Die folgenden Kapitel beleuchten die Arbeitslosigkeit im Detail.

Sie haben es schon längst vermutet: "Für die Wirtschaft ist ein gerüttet Maß an Arbeitslosigkeit ein Segen!". Aus der kurzen Sicht von Quartalsbericht und monatlicher Gewinnwarnung ist das dicke Ende überhaupt nicht zu erkennen. Ob vielleicht das Gerücht in Umlauf gebracht wurde, dass auch jene Vergebung erlangen werden, die sich schlicht weigern, zu wissen, was sie tun?

Es ist ein Gerücht!

1 Hier habe ich der Einfachheit halber unterstellt, dass von der öffentlichen Hand keine zusätzliche Nachfrage ausgeht, weil die zwangsläufig entstehenden Steuermehreinnahmen vollständig zur Schuldentilgung verwendet werden und das steigende Aufkommen der Sozialbeiträge zu Beitragssenkungen genutzt wird.

Die Arbeitslosigkeit,

ein knappes Wirtschaftsgut

Bei knappen Wirtschaftsgütern, so haben wir es in der Schule gelernt, funktioniert der Markt. Bei knappen Wirtschaftsgütern bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis und sonst gar nichts. Die Frage, die wir uns in diesem Kapitel stellen, klingt abstrus: Ist Arbeitslosigkeit überhaupt ein Wirtschaftsgut und wenn ja, ist sie dann auch noch ein knappes Wirtschaftsgut und wie bildet sich an welchem Markt der Preis für dieses knappe Gut?

Nun, Arbeitslosigkeit ist sicherlich kein materielles Gut, keine Hardware. Aber für die Wirtschaft liegt im richtigen Umgang mit der Arbeitslosigkeit ein erhebliches Kostensenkungspotential, das ähnliche Wirkungen hervorbringen kann wie der Einsatz einer modernen, leistungsfähigeren Maschine oder wie auch der Einsatz eines besonders qualifizierten Mitarbeiters.

Arbeitslosigkeit ist also anders als Arbeit, aber genauso wie Kapital, ein Produktionsfaktor.

Arbeitslosigkeit kann – wie Kapital – in einem Unternehmen oder einer Volkswirtschaft selbst erwirtschaftet, oder bei Bedarf gegen eine Art Zins ausgeliehen werden. Der Preis für die Arbeitslosigkeit besteht in einem Verzicht auf Nachfrage, auf Absatzmöglichkeiten und damit auf den Gewinn aus der eventuell möglichen Produktionssteigerung. Dem steht als positive Folge die durch den Einsatz von Arbeitslosigkeit erreichbare Kostensenkung (= Gewinnsteigerung) gegenüber. Die ganze Mühe mit der (Mehr-)Produktion erweist sich nämlich als überflüssig, wenn der Unternehmensgewinn durch Kosteneinsparungen auf der Lohnseite und durch öffentliche Subventionen, wie sie im Gefolge der Arbeitslosigkeit gerne verteilt werden, schneller und nachhaltiger gesteigert werden kann als per Mengenwachstum.

Arbeitslosigkeit mindert zwar die Binnennachfrage, doch derjenige, der Arbeitslosigkeit schafft, muss davon nicht betroffen sein, weil sich Nachfrageschwäche in den einzelnen Branchen sehr unterschiedlich auswirkt.

Wenn Arbeitslosigkeit so hervorragend positive Wirkungen hat, warum nutzt man sie nicht stärker, warum ist die doch so leicht herzustellende Arbeitslosigkeit ein knappes Wirtschaftsgut?

Stellen Sie sich bitte für einen Augenblick vor, Sie würden zum Vorsitzenden aller deutschen Unternehmer- und Wirtschaftsverbände ernannt, und sie hätten von nun an darüber nachzudenken, ob Vollbeschäftigung besser sei, als Arbeitslosigkeit, oder umgekehrt, und bei nicht eindeutigem Ergebnis hätten Sie zu erklären, wie viel Arbeitslosigkeit denn am besten für die Wirtschaft sei.

Keine Scheu, solche Überlegungen sind für einen Menschen in einer derart wichtigen Position eine ganz selbstverständliche und absolut nicht anstößige Fragestellung. Die Kenntnis der richtigen Antwort und ihre Umsetzung sind schließlich ein ganz eminent wichtiger Pluspunkt für den Standort Deutschland! Natürlich brauchen Sie für diese Überlegungen jemanden, der Ihnen die Fakten präsentiert und aufbereitet. Vielleicht können Sie sich aber auch selbst noch erinnern, schließlich hatten wir schon Vollbeschäftigung. Damals wurden rings um das Mittelmeer Gastarbeiter angeworben, während zu Hause die Löhne und Gehälter in atemberaubendem Tempo stiegen. Der ganze Gewinn musste sofort wieder investiert werden, damit der steigende Bedarf einer immer anspruchsvolleren Bevölkerung mit immer neuen Produkten aus immer neuen Fabrikhallen befriedigt werden konnte. Das Kapital der Wirtschaft war damals hochgradig in den Unternehmen gebunden und konnte nur in völlig unbefriedigendem Maße in Privatvermögen umgewandelt werden. Der Anteil der Beschäftigten am Produktivitätsfortschritt war hoch und der Wohlstand des Volkes stieg und stieg in völlig unsinnige Höhen, während das Geldvermögen durch eine lebhafte Inflation vernichtet wurde. Nein, die Vollbeschäftigung wünscht sich wirklich nicht jeder zurück. Was hilft denn ein galoppierendes Wirtschaftswachstum, wenn das private Einkommen aus der wirtschaftlichen Betätigung nicht mindestens mitwächst? Zu Zeiten der Vollbeschäftigung war zwar Geschäft, aber nicht wirklich Gewinn zu machen. Die Unternehmer waren auf einem leergefegten Arbeitsmarkt den Forderungen der Beschäftigten schutzlos ausgeliefert und hatten große Mühe, aus dieser Falle wieder herauszukommen.

Ob es auch schon zum Gegenteil gekommen sei, möchten Sie wissen? Aber sicher, dabei war das gar keine Absicht, sondern nur die Folge von wilden Börsenspekulationen, als es so weit gekommen war, dass es praktisch gar keine Arbeit mehr gab. Zum Schluss nannten sie es die "Weltwirtschaftskrise". Der Schwarze Freitag, der 24. Oktober 1929, ist noch lange in Erinnerung geblieben. Es gab Arbeitslose, soweit das Auge reicht, Arbeitslose, die für einen Schluck Wasser eine Woche lang geschuftet hätten, aber niemand konnte sich einen Arbeiter leisten. Das Geld war weg. Verschwunden, wie das Meer bei Ebbe, und es kam erst sehr spät wieder. Angeblich musste Neues gedruckt werden, um wieder anfangen zu können.

Es war die verrückte Situation, dass die Leute, die man gebraucht hätte, um die Dinge zu erzeugen, die eben diese Leute gerne gekauft hätten, durchaus da waren und auch arbeiten wollten. Die Unternehmer hätten sie auch gerne arbeiten lassen, nur gab es kein Geld, um die Löhne zu bezahlen, und natürlich gab es deshalb erst recht kein Geld, um die Waren zu bezahlen, und so lohnte es sich nicht, die Sachen herzustellen, und fast wäre das Volk verhungert, nur weil das Geld weg war, und dass, obwohl man auch schon damals wusste, dass man Geld nicht essen kann. Ganz ohne Nachfrage funktioniert die Wirtschaft eben auch nicht, das war eine der Erkenntnisse aus jenen Jahren nach dem Oktober 1929, als weder im Inland noch im Ausland die notwendige Nachfrage anzutreffen war. Eigentlich kam die Wirtschaft erst wieder in Gang, als der Staat begann, gewaltig zu investieren und diese Investitionen mit frisch gedrucktem Geld bezahlte. Also, ganz im Vertrauen: Mit der ganz hohen Arbeitslosigkeit ist auch kein Geschäft zu machen.

Ein bisschen Arbeitslosigkeit dagegen ist paradiesisch. Das braucht Sie jetzt nicht zu verwundern. Das haben Sie doch bis heute miterlebt. Wenn sich die Bosse untereinander einig sind und am gleichen Strick ziehen, dann funktioniert das schon. Sehen Sie sich doch um, wie perfekt das heute läuft: Braucht ein Unternehmer einen Zuschuss, ein Baugrundstück, eine Investitionshilfe oder besondere Abschreibungserleichterungen, dann verspricht er (das reicht eigentlich immer), ein paar Arbeitsplätze zu schaffen. Die Drohung mit dem Abbau von Arbeitsplätzen oder gar der Schließung einer kleinen Fabrik befreit prompt und nachhaltig von den störendsten Auflagen, egal ob es sich dabei um den Umweltschutz, oder um die Sonntagsarbeit handelt. Abgesehen von der übergroßen Qual der Wahl ist es einfach, einen Mitarbeiter einstellen, denn mit der Möglichkeit, befristete Arbeitsverhältnisse zu vereinbaren, ergeben sich "Probezeiten", von denen ein Unternehmer in den Jahren der Vollbeschäftigung nicht einmal träumen konnte. Mitarbeiter und Betriebsräte machen auch kaum noch Ärger. Nur die unvermeidlichen rituellen Tänze werden noch aufgeführt, aber da ist kein Druck dahinter, und das Schönste dabei ist, dass man nicht einmal mehr drohen braucht. Die haben ihre Angst ganz von alleine, und das macht den Arbeitgeber wieder zum echten Wohltäter. Tarifverträge entpuppen sich plötzlich als geduldiges Papier. Alle Vereinbarungen sind dehnbar, eine Schmerzgrenze ist nicht in Sicht. Und diejenigen Gewerkschaftsfunktionäre, die das nicht begreifen wollen, müssen sich von den eigenen Leuten als Arbeitsplatzkiller beschimpfen lassen.

Ein neutraler Beobachter muss ernstlich am Verstand der Akteure zweifeln...

Da, wo Polen, Senegalesen und Vietnamesen - legal und illegal unter Tarif arbeiten, da muss der Deutsche Michel sehen, wo er bleibt, und dankbar sein für Arbeit und Lohn. Die Politik sieht das Dilemma, fürchtet aufkeimenden Rassismus und versucht, die Wirtschaft mit Steuersenkungen zu besänftigen, was in sich ein Witz ist, weil eben diese Unternehmenssteuern letztlich ja auch von den Verbrauchern, den Endbezahlern, den Arbeitnehmern zu bezahlen sind.

Herrliche Zeiten! Schöner kann es gar nicht sein, als auf einem soliden Fundament von ca. drei bis fünf Millionen Arbeitslosen in größtmöglicher Freiheit wirtschaften zu können. Die Kostenvorteile der Arbeitslosigkeit ermöglichen es, den Export zu vergrößern, und auf diese Weise fällt das bisschen verlorene Binnennachfrage überhaupt nicht ins Gewicht. Es ist doch für den Wirtschaftslenker nicht wirklich von Belang, dass die Volkswirtschaft im übersprudelnden Export – unterstützt durch einen niedrigen Euro-Kurs und durch niedrige Löhne – die Leistung der Bevölkerung unter Wert in die internationalen Märkte verscherbelt. Für den Unternehmer ist ausschließlich wichtig, was dabei – nach allen Steuern und Abgaben – in der eigenen Kasse bleibt, und wie sich dadurch die zukünftigen Chancen beeinflussen lassen. Weil sich das Umsatz- und Produktionswachstum allmählich und überschaubar entwickelt, können Gewinne verstärkt entnommen werden und lassen sich, über Spekulationen an den Finanzmärkten und Börsenplätzen, schnell – und steuerlich kaum belastet – noch immens vergrößern. Es ist so: Die Wirtschaft braucht kein rasantes Wachstum, um Gewinne zu steigern. Schnelles und steiles Wachstum bräuchte es nur, um wieder zu Vollbeschäftigung zu kommen. Die Betrachtung der drei unterschiedlichen Szenarien zeigt ganz deutlich, dass Arbeitslosigkeit als knappes Wirtschaftsgut vorteilhaft für das Wachstum der Privatvermögen der Unternehmer, Wirtschaftsführer und Kapitalbesitzer ist. Zu viel Arbeitslosigkeit schadet allen und nutzt keinem. Zu wenig Arbeitslosigkeit schadet den Gewinnen und nutzt Wirtschaft und Beschäftigten. Ein bisschen Arbeitslosigkeit, so um die 8 bis 12 %, das nutzt den Gewinnen – und gute Gewinne, so steht es in den seriösen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern, sind von jeher die Voraussetzung für Wachstum und Vollbeschäftigung.

Wie hat es die Wirtschaft geschafft, die richtige Dosis Arbeitslosigkeit herzustellen und einigermaßen stabil zu halten? Einfach war es nicht, sich aus dem unbefriedigenden Zustand der Vollbeschäftigung zu lösen, doch die Vorgänge lassen sich rekonstruieren. Es war ein hartes Stück Arbeit, die besten Köpfe aus den Entwicklungs- und Organisationsabteilungen sowie aus der gerade aufkommenden Datenverarbeitung in eine Art Goldgräberstimmung zu versetzen, damit sie, aufgeputscht von Kaffee und Zigaretten, in endlosen Überstunden nach immer neuen Möglichkeiten suchten, menschliche Arbeit überflüssig zu machen. Die Prinzipien und Methoden, nach denen Fertigung und Verwaltung rationalisiert wurden, waren schnell allgemein verbreitet, und man konnte Mitte der 70er Jahre davon ausgehen, dass ein Team von 7 bis 8 hochqualifizierten Leuten in einem Planungs- und Realisierungszeitraum von etwa einem Jahr, die Freistellung von 30-50 Mitarbeitern ermöglichte, was eine Gewinnverbesserung von 1,5 bis 2,5 Millionen DM pro Jahr bedeutete. So ein Team kostete, mit allen großzügigen Spesen, nicht mehr als eine Million, hatte sich also nach spätestens einem Jahr amortisiert. Die cleveren Jungs und die ersten in solchen Funktionen ernst genommenen Frauen von der Rationalisierungsfront haben aber noch einen zweiten, kaum bemerkten Wandel ermöglicht. Sie waren mit den wahren Zielen der Unternehmen sehr vertraut, und ihre Chefs vermittelten gerne den Eindruck, es bestünde zwischen der Geschäftsleitung und den Mitgliedern dieser Rationalisierungsteams eine sehr enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit, ja eigentlich eher sogar eine intime Komplizenschaft, die dem Wohl des Unternehmens in einer Art und Weise diente, wie es sich einfachere Gemüter gar nicht vorstellen könnten. Damals entstand die Phrase von den "sicheren Arbeitsplätzen nach der Reorganisation" und diejenigen, die dafür die "Drecksarbeit" zu verrichten hatten, fühlten sich schon sehr bald nicht mehr als Arbeitnehmer, sondern als Unternehmer; zumindest waren sie stolz darauf, als "unternehmerisch denkende" Arbeitnehmer zu gelten. Das hat sie dann davon abgehalten, kleinlich auf Arbeitszeitregelungen und Überstundenabgeltung zu achten und sie am Ende dazu bewegt, sich, zum eigenen Nachteil, über jede Art von Arbeitnehmerschutzbestimmung hinwegzusetzen. Die meisten davon konnten nach 2 bis 3 erfolgreichen Projekten eine Führungsaufgabe in den Linienabteilungen übernehmen. Dort sitzen sie noch immer und haben gar kein Problem damit, ihr einstiges, vorbildliches Verhalten jetzt auch von ihren Mitarbeitern einzufordern.

So ist zu einem frühen Zeitpunkt eine weitgehende Entsolidarisierung zwischen den Beschäftigten unterschiedlicher Qualifikationen eingeleitet worden. Die soziale Trennung zwischen den so genannten Sachbearbeitern und den Softwareentwicklern, Systemadministratoren und ähnlichen Rationalisierern besteht bis heute fort, und hat sich da, wo die beiden Beschäftigungsgruppen im einzelnen Unternehmen nahezu gleich groß sind, auch schon zu offenen Feindschaften entwickelt. Ein falsches Wort beim Mittagessen in der Kantine, zu laut zum eigenen Kollegen gesagt, kann den Arbeitsplatz kosten, weil der "Feind" aus der Organisationsabteilung am Nebentisch aus allem, was er aufschnappt, eine neue Rationalisierungsmaßnahme entwickeln könnte. Vorstände und Geschäftsführer sehen sich daher auf Betriebsversammlungen und bei ähnlichen Anlässen immer öfter genötigt, Erklärungen abzugeben, die ungefähr so klingen: "Wissen Sie, das darf keiner persönlich nehmen. Niemand in der Geschäftsleitung will sich gerade von diesem einen konkreten Mitarbeiter trennen. Wir tun unser Bestes, um eine möglichst sozialverträgliche Auswahl zu treffen". Gemeint ist damit sinngemäß: "Uns ist es doch völlig gleichgültig, wer für uns arbeitet und wer gerade nicht, Hauptsache es ist immer die richtige Quote draußen und diejenigen, die vorerst noch bleiben, machen sich nicht gegenseitig das Leben schwer. Die Freigestellten sollen doch froh sein und die Freizeit genießen. So schlecht geht es unseren Arbeitslosen doch gar nicht. Da gibt’s auf der Welt ganz andere Regionen!"

Als Mitte der 80er Jahre kein Zweifel mehr daran bestehen konnte, dass die Vollbeschäftigung glücklich überwunden war, schlug das Pendel nach der anderen Seite aus, nicht zuletzt deshalb, weil die Gastarbeiter nicht nach Hause gingen, was die Wirtschaft erhofft, und dann von der Regierung ergebnislos eingefordert hatte. Das Bremsen dieser Bewegung war einfacher. Schon alleine dadurch, dass die Zahl der Einstellungen von Studienabgängern aus den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, von Ingenieuren und frisch gebackenen Naturwissenschaftlern zügig zurückgefahren wurde, konnte das Rationalisierungstempo etwas verlangsamt werden. Natürlich war es Verschwendung, dass sich solche hochqualifizierten jungen Leute als Taxifahrer oder Animateure in Ferienclubs durchschlagen mussten, aber ein zu schneller, weiterer Arbeitsplatzabbau hätte insgesamt schlimmere Folgen für die Wirtschaft haben können.

Die "neuen" Arbeitsmarktmechanismen funktionierten Ende der 80er Jahre dann schon so gut, dass auch die notwendige "Eingemeindung" der 17 Millionen Brüder und Schwestern aus der ehemaligen DDR ohne ein erneutes Wirtschaftswunder und damit ohne schädliche Vollbeschäftigung vonstatten gehen konnte, was aber diejenigen, die aus wahltaktischen Gründen vorschnell und vollmundig von "blühenden Landschaften" geschwärmt hatten, kaum verwundert haben dürfte. Nach Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen sah es dann zwar so aus, als ginge die Arbeitslosigkeit zurück – doch dies war ausschließlich den erheblichen Veränderungen der Gesetzeslage und der daraus folgenden, veränderten statistischen Erfassung zu verdanken. Die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen ist seit den Hartz-Reformen kaum noch zu ermitteln, liegt aber zweifellos stets deutlich über den monatlich in der Tagesschau verkündeten Arbeitslosenzahlen (sh. auch Tabelle S.17)

Die Arbeitslosigkeit,

ein Katalysator für Mobilität und Flexibilität

All denen, die sich bei jeder Gelegenheit lauthals über die mangelnde Mobilität und Flexibilität der Arbeitnehmer im Allgemeinen und der Arbeitslosen im Besonderen erregen, und all denen, die sich davon beeinflussen lassen, ob sie nun Betroffene sind, oder nicht, empfehle ich die Lektüre von John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns". In diesem spannend zu lesenden Buch über das Schicksal einer amerikanischen Farmerfamilie, die durch legales wirtschaftliches Handeln ganz gezielt in den Stand besitzloser Wanderarbeiter versetzt und bis aufs Blut ausgebeutet wurde, finden Sie alle Konsequenzen aufgezeigt, die mit der harmlosen Forderung nach Flexibilität und Mobilität ihren Anfang nehmen.

Sie sollten dieses Buch wirklich lesen und begreifen, dass es nicht der Fantasie des Autors entsprungen ist, sondern die Wahrheit einer ganz realen, grausamen Episode in der Geschichte Nordamerikas abbildet. Lassen Sie uns ganz bewusst sehr naiv an das Thema Mobilität und Flexibilität herangehen, und dazu ein idyllisches Klischee von engen Familienbanden und Heimatromantik strapazieren. Versetzen wir uns in den Bayrischen Wald, wo es zwischen Deggendorf und Passau einen kleinen Waldbauernhof gibt. Seit Generationen hat der kärgliche Boden Jahr für Jahr so viel abgeworfen, dass nicht nur der Bauer, die Bäuerin und ihre Kinder, sondern auch noch die Alten auf dem Austrag davon in gewohnter, wenig üppiger Weise leben konnten. Vom Verkauf überschüssiger Feldfrüchte blieb immer gerade so viel übrig, dass Tisch und Kasten, Wäsche und Seife, Geschirr und Besteck, Kaffee und Bier gekauft, und zuletzt auch noch der Doktor bezahlt werden konnte. Natürlich ist der Fortschritt längst auch in diese Idylle eingedrungen. Maschinen haben mehr und mehr die schwere Arbeit der Bauern übernommen und von dem, was vierhundert Jahre lang mit Fug und Recht ein Hof genannt wurde, ist nichts übriggeblieben, als ein lächerlich kleiner landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb. Ein Nebenerwerbsbetrieb, der, um überhaupt bestehen zu können, spezialisiert wurde, auf Ferkelzucht. Ein Gewerbe, das einen Mann nicht auslasten und eine Familie nicht ernähren kann.

Vor einigen Jahren war im kostenlosen Werbeblättchen die folgende Stellenanzeige zu lesen: "Kräftige Arbeiter für moderne Glashütte gesucht". Die beiden Söhne des Bauern, die seit Jahren nur hin und wieder einen Gelegenheitsjob bekamen, sahen ihre Chance. Mit den unterschriebenen Arbeitsverträgen bekamen sie von der Bank die 20.000 Euro, die sie brauchten, um sich ein gebrauchtes, aber ordentliches Auto zu kaufen, mit dem sie von nun an Tag für Tag gemeinsam nach Zwiesel fahren wollten, zur Arbeit in der Glashütte. Die Straßen "im Wald" waren noch nie die besten und im Winter sogar oft sehr schwierig zu befahren, so dass die beiden jeden Tag 11 Stunden und mehr von zuhause weg waren, um 8 Stunden in der Glashütte zu arbeiten. Kein Wunder, dass danach am Abend keine Zeit mehr war, die kleinen Hilfeleistungen zu erbringen, über die vorher nie ein Wort verloren wurde und es dauerte nicht lange, bis sie beschlossen, sich in Zwiesel eine Wohnung zu nehmen, um die Kosten für das Auto zu senken und um wieder ein bisschen mehr Zeit zu haben. Vor zwei Jahren musste der Bauer einsehen, dass er die schwere Arbeit mit seinen kaputten Bandscheiben nicht mehr schaffen konnte. Heute ist der Hof verkauft. Der Bauer und seine Frau sitzen in einer Mietwohnung und weil der magere Erlös aus dem Verkauf des Hofes schnell verbraucht war, sind sie jetzt Kunden des Sozialamtes. Natürlich versucht das Sozialamt die Söhne zur Unterhaltsleistung für die Eltern heranzuziehen, aber da sieht es heute auch schlecht aus. Beide beziehen nämlich Arbeitslosenunterstützung, weil die Leitung der Glashütte erkennen musste, dass das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens dauerhaft nur dadurch gesichert werden konnte, dass man sich von einem Teil der Belegschaft - sozial verträglich - wieder trennte. Vom Lohn ist nichts übriggeblieben. Sie hatten es gerade geschafft, den Kredit für das Auto zurückzuzahlen, bevor das Wägelchen endgültig nicht mehr durch den TÜV kam. Der Waldbauernhof gehört jetzt übrigens dem Direktor der Glashütte. Er lässt das Hauptgebäude gerade zum Gästehaus für seine Jagdfreunde umbauen. Der Kredit dafür war leicht zu bekommen, weil die 20 Hektar Ackerland, die er gleich mit gekauft hat, schon im nächsten Jahr als Gewerbefläche ausgewiesen sein werden.

Genug Heimatromantik? Die Details der Geschichte sind gar nicht so wichtig! Wichtig ist die grundsätzliche Erkenntnis, dass es zwar einfach und billig ist, Mobilität als das Allheilmittel gegen Arbeitslosigkeit anzupreisen, dass es aber verdammt schwierig und teuer ist, Mobilität tatsächlich und mit allen sozialen und ökonomischen Konsequenzen zu leben. Jeder, der aus einem Familienverband herausgeht, um eine Arbeit anzunehmen, die zu weit entfernt ist, um gleichzeitig die bisherige Rolle im familiären Kreis noch ausfüllen zu können, schafft zwei schwerwiegende Probleme: Einerseits verzichtet er auf alle sozialen und wirtschaftlichen Vorteile, die ihm aus der Nähe zur eigenen Familie entstanden sind. Andererseits entzieht er der Familie seinen familiären Leistungspart und stört damit auch die symbiotischen Beziehungen der Restfamilie. Auch diejenigen, die längst nicht mehr dem elterlichen Haushalt angehören, mit Frau und Kindern aber noch im gleichen Ort, oder doch zumindest im näheren Umkreis wohnen, haben aus der familiären Nähe noch so viele Vorteile (denken wir nur an kinderbetreuende Großmutter, an das frische Gemüse und die Marmelade aus dem Garten, an so manches gar nicht tiefschürfende, aber wohltuende Gespräche zuhause, das sich in zwangloser Begegnung ergibt), dass das Angebot eines weit entfernten Arbeitsplatzes schon ganz erhebliche, und vor allem auch dauerhafte Vorteile bieten muss, um darauf einzugehen. Man verlangt man von den Arbeitslosen hohe Mobilität, viele fühlen sich angesprochen, aber die wenigsten machen sich vorher eine Vorstellung davon, was sie wirklich aufgeben. Man trennt sich ja nicht nur von einer alten Adresse. Verlässt nicht nur die eigene Familie. Das gesamte soziale Umfeld, die Menschen, mit denen man die Schulzeit verbracht hat, mit denen man gemeinsam im Sport- oder Kleingärtner-Verein tätig war, bilden über die Familie hinaus doch auch ein Netzwerk von Freundschaften, Verständnis, Hilfsbereitschaft und sogar von in Euro und Cent ausdrückbaren Vorteilen, die niemand mitnehmen kann. Weder von Passau nach Düsseldorf noch von Zwiesel nach München!

Wer sich dazu bewegen lässt, seine Heimat zu verlassen, um anderswo einen Job anzunehmen, muss dem dort erwarteten Gehalt nicht nur eventuelle, bisher erhaltene, staatliche Unterstützung (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe) gegenrechnen, sondern auch bedenken, welche Kosten, die sich bisher im Familienverband teilen oder vermeiden ließen, neu entstehen. Aber es passiert noch etwas Schlimmes! Dadurch, dass der Arbeitslose seine angestammte Heimat verlässt, verstärkt er die wirtschaftliche Unausgewogenheit zwischen seiner Heimat und dem neuen Beschäftigungsort. Sowohl seine Ersparnisse als auch sein zukünftiges Einkommen wird er "fern der Heimat" in die dortige Wirtschaft stecken, wird dort zum Wirtschaftswachstum beitragen und zuhause die rezessiven Tendenzen verstärken. Mobilität ist eben doch keine Tugend an sich, auch wenn es immer wieder behauptet wird. Mit der Forderung nach mehr Flexibilität ist es das Gleiche. Ein Mensch wird arbeitslos. Diese Entscheidung wird in nahezu allen Fällen von seinem Arbeitgeber für ihn getroffen! Dafür kommen die unterschiedlichsten Ursachen in Frage, in aller Regel hat aber der betroffene Mensch den geringsten Anteil an dieser Entwicklung. Der Arbeitslose darf nach der herrschenden Rechtslage eine gewisse Zeit lang versuchen, eine Stelle zu finden, die ihm eine gleichwertige Arbeit bietet. Eine Arbeit, für die er sich ausbilden ließ, die er beherrscht, die ihm möglicherweise sogar Spaß macht, von der er auf jeden Fall bisher gelebt hat. Die Forderung nach Flexibilität heißt nichts anderes, als die eigenen Fähigkeiten zu vergessen und stattdessen eine andere Arbeit anzunehmen. Die Argumentation ist einfach: Am Ort selbst gibt es für diese Qualifikation keine Arbeit mehr. Der bisherige Arbeitgeber war der Einzige, der Leute mit diesem Können brauchte, und der hat sie ja entlassen. Wer also nicht mobil sein will, der muss eben flexibel sein, und weil er hier in der bisherigen Funktion sowieso nicht mehr unterkommt, kann er sich doch auch sofort als Hilfsarbeiter verdingen. Wozu erst lange suchen, wenn klar ist, dass da nichts zu finden ist. Damit ist dann allen geholfen: Die Statistik sieht etwas besser aus, die Bundesanstalt für Arbeit braucht etwas weniger Geld, der neue Arbeitgeber kann mit der schlecht bezahlten Stelle seinen Umsatz um 100.000 Euro und seinen Gewinn um 25.000 Euro steigern und der "wieder Beschäftigte" braucht sich nicht mehr vorwerfen lassen, ein Drückeberger und Faulenzer zu sein.

Dem Arbeitslosen haftet der Makel des Versagers an. Seine Qualifikation kann so gut nicht gewesen sein, wenn er jetzt auf der Straße steht. Seine Führungsfunktion hat er wohl auch nicht so erfolgreich wahrgenommen, wenn er sie jetzt nicht mehr wahrnehmen darf. Eine hohe und gute Qualifikation gerät so ganz schnell zum Fachidiotentum und man bekommt schon auch einmal zu hören, dass es die überspezialisierten Arten sind, die am schnellsten aussterben. Auch diejenigen, die verlangen, Arbeitslose müssten bei der Wahl eines neuen Jobs schneller und flexibler sein, wissen, dass damit gut qualifizierte Leute für wenig Geld an Arbeitsplätze kommen, bei denen die Qualifikation vom neuen Unternehmen zwar als vorteilhafter Nebeneffekt angenommen wird, aber letztendlich nicht bezahlt zu werden braucht.

Kein vernünftiger Mensch kommt auf die Idee, sein Kapital zu verschenken, in die Fremde zu ziehen und dort neu anzufangen. Das tut nur der, der keine andere Chance sieht, weil sein Kapital die Familie und die Freunde und das Beziehungsnetz sind, die er nicht mitnehmen kann, und weil sein Wissen und seine Fähigkeiten sein Kapital sind, für die ihm kein Pfandleiher etwas geben will. Das tut nur derjenige, der als Geldloser darauf angewiesen ist, die Arbeit, die ihm angeboten wird, dort, wo sie ihm angeboten wird, anzunehmen, und den Lohn zu akzeptieren, den der Arbeitgeber freiwillig dafür auswirft.

Wenn Ihnen also das nächste Mal ein Politiker oder ein Wirtschaftsfunktionär erklärt, Arbeitsplätze gäbe es ja genug, aber die Arbeitslosen seien zu wenig mobil und zu wenig flexibel, dann versuchen Sie, die konkreten Fakten herauszubekommen, auf die sich diese Argumente beziehen. Sie werden feststellen, dass außer den Arbeitslosen, die nicht arbeiten wollen, weil sie von ihren ehemaligen Arbeitgebern im Rahmen von Frühverrentungs- und Vorruhestandsprogrammen dazu angestiftet worden sind, sich arbeitslos zu melden, kaum einer zu finden ist, der sich weigern würde, ein vernünftiges Maß an Flexibilität und Mobilität zu zeigen. Dummerweise hilft das nichts, weil die Zahl der offenen Stellen viel kleiner ist als die Zahl der Arbeitslosen, und weil die Arbeitgeber bevorzugt diejenigen einstellen, die in der Nähe wohnen (da gibt es für den Arbeitgeber viele gute Gründe!) und die außerdem die exakt passende Qualifikation für den Job haben, denn mit Überqualifizierten hat man mehr Ärger, als man glauben mag. Man braucht die Flexiblen und Mobilen eigentlich nur, um denen vor Ort, mit dem Hinweis darauf, welche Opfer andere auf sich nähmen, um den Job zu bekommen, ein Einstiegsgehalt abzuhandeln, das deutlich unter dem liegt, was eigentlich angemessen wäre.

Arbeitslosigkeit

ein Bewertungsmaßstab für die Arbeitsleistung