Planspiel - Lernen - Lerntransfer - Sebastian Schwägele - E-Book

Planspiel - Lernen - Lerntransfer E-Book

Sebastian Schwägele

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Beschreibung

Seit über drei Jahrhunderten werden Planspiele entwickelt, um Menschen zu ermöglichen, in einer realitätsnahen Umgebung zu lernen. Es steht außer Frage, dass Planspiele oder planspielähnliche Methoden heute in nahezu allen großen Unternehmen und Hochschulen in Deutschland zum Einsatz kommen. Obwohl der Einsatz der Planspielmethode meist eine nachhaltige Veränderung bei den Teilnehmenden und in deren zukünftigem Wissen und Handeln bewirken soll, wurde die Frage des Lerntransfers im wissenschaftlichen Diskurs bislang kaum beleuchtet. Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Lücke. In der interviewbasierten, qualitativen Studie wird der Einsatz der Planspielmethode als Lernumgebung untersucht. Analysiert werden die Lernprozesse während einer Planspielteilnahme, sowie zwei verschiedene Lerntransferprozesse – der Transfer von Gelerntem in den Kontext des Planspiels und von dort in den Alltag des Subjekts. Im Fokus steht die Identifikation von Einflussfaktoren auf diese Prozesse, die aus subjektiver Perspektive als förderlich oder hinderlich erachtet werden. Die Ergebnisse bieten eine empirisch fundierte Basis, um zukünftige Planspielseminare aus didaktischer und methodischer Perspektive lerntransferförderlich zu optimieren.

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ZMS-Schriftenreihe

Band 7

Die Schriftenreihe des Zentrums für Managementsimulation (ZMS) der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart fördert Innovationen rund um die Planspielmethode.

ISSN: 2192-7502

Gliederung

Vorwort

Einleitung

1.1 Problematik der Planspielforschung

1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise

Systematik der Planspielmethode

2.1 Historische Entwicklungen – Wurzeln heutiger Planspiele

2.1.1 Entwicklungen bis ca. 1950 innerhalb des Militärs

2.1.2 Entwicklungen bis ca. 1950 außerhalb des Militärs

2.1.3 Vergleich der Entwicklungslinien und Weichenstellungen

2.1.4 Neuere Entwicklungen der Lehr-Lern-Methode ab ca. 1950

2.1.5 Schlussfolgerungen aus der Entwicklungsgeschichte

2.2 Analytische Methodenbeschreibung und begriffliche Abgrenzung

2.2.1 Komponente „Simulation“

2.2.2 Komponente „Spiel / Regelspiel“

2.2.3 Komponente „Rolle / Rollenspiel“

2.2.4 Komponente „Lernen“

2.2.5 Begriffsdiskussion

2.2.6 Zusammenfassung und Abgrenzung zu anderen Methoden

2.3 Systematisierung von Ausprägungen der Planspielmethode

2.3.1 Perspektive „Realitätsabbildung und -modellierung“

2.3.2 Perspektive „Einsatzgrundlagen und -voraussetzungen“

2.3.3 Perspektive „Methodische Nutzungsmöglichkeiten“

Lernen und Planspiele

3.1 Exkurs: Das lernende Subjekt

3.2 Erfahrung und Lernen

3.2.1 Annäherung an einen didaktisch gehaltvollen Erfahrungsbegriff

3.2.2 Verknüpfung von Erfahrung und Lernen

3.2.3 Zusammenfassung

3.3 Handeln und Lernen

3.3.1 Annäherung an einen didaktisch gehaltvollen Handlungsbegriff

3.3.2 Klassifikation von Handlungsformen und -arten

3.3.3 Verknüpfung von Handeln und Lernen

3.3.4 Zusammenfassung

3.4 Lernen in Planspielen

3.4.1 Erfahrungs- und handlungsorientiertes Lernen in Planspielen

3.4.2 Planspiele als Lernumgebung

3.4.3 Rollen der Planspielleitung

3.4.4 Lernchancen / -potenziale

Lerntransfer

4.1 Klärung des Lerntransferverständnisses

4.2 Klassifikation von Lerntransferleistungen

4.3 Dimensionen des Lerntransfers

4.3.1 Dimension „Zeit“

4.3.2 Strukturelle Dimensionen

4.3.3 Dimension „Art des Wissens“

4.3.4 Zusammenfassung

4.4 Ausgewählte Lerntransfermodelle

4.4.1 Modell nach Baldwin und Ford (1988)

4.4.2 Modell nach Colquitt, LePinn und Noe (2000)

4.4.3 Modell nach Cheng und Hampson (2008)

4.4.4 Modell nach Gegenfurtner, Veermans, Festner und Gruber (2009)

4.5 Schlussfolgerungen und Konsequenzen für die vorliegende Arbeit

Forschungsmethodisches Vorgehen

5.1 Präzisierung der Fragestellung

5.2 Forschungskonzeption

5.2.1 Forschungsablauf und Erhebungszeiträume

5.2.2 Auswahl und Einschränkung der Datengrundlage

5.3 Erhebungsverfahren

5.4 Aufbereitungsverfahren und erste Analyseschritte

5.5 Auswertungsverfahren und Interpretation der Daten

5.6 Pre-Studie

5.7 Dokumentation des tatsächlichen Vorgehens

5.8 Kritische Diskussion des Forschungsvorgehens

Empirische Ergebnisse

6.1 Deskription und Analyse beschriebener Lerntransfersituationen

6.1.1 Unterscheidung verschiedener Lerntransferprozesse

6.1.2 Analyse der Lerntransferinhalte

6.1.3 Vergleich der Lerntransferkontexte

6.1.4 Herausforderungen der Lerntransferforschung

6.2 Besondere dimensionsübergreifende Einflüsse

6.2.1 Subjektives Erleben von Konsistenz und Realitätsnähe

6.2.2 Subjektives Erleben von Relevanz und Alltagsnähe

6.2.3 Subjektives Erleben der Anforderungen

.

6.2.4 Subjektives Erleben der sozialen Situation

6.2.5 Zusammenfassung

6.3 Strukturelle Lerntransferdimensionen

6.3.1 Didaktische Dimension

6.3.2 Situative Dimension

6.3.3 Subjektive Dimension

Wissenschaftlicher Fortschritt und mögliche Konsequenzen

7.1 Zusammenführende Darstellung: Lerntransfer beim Planspieleinsatz

7.2 Vergleich der beiden Lerntransferprozesse

7.3 Mögliche didaktische und methodische Konsequenzen

7.4 Weiterführender Forschungsbedarf

7.5 Abschließendes Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Anhang

Vorwort

Lehrveranstaltung „Planspieldesign“: „Planspiele (engl. Simulation-Games) ermöglichen es den Spielern, komplexe Zusammenhänge spielerisch zu begreifen, sich selbst und andere beim Handeln in kritischen oder komplexen Situation ‚von außen‘ zu betrachten. […] Die TeilnehmerInnen erhalten zu Beginn des Seminars den Auftrag, ein Planspiel für einen vorgegeben Einsatzzweck zu entwerfen“ (Hoyer 2005)

Diese Seminarbeschreibung im Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 2005 an der Universität Bamberg war der Auslöser für die vorliegende Forschungsarbeit. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Studierender unterschiedlichster Fachrichtungen (Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, Lehramt für Geschichte und Deutsch sowie Pädagogik) machte ich mich im Frühjahr 2005 hochmotiviert an die Entwicklung eines Planspiels. Was sich zunächst einfach anhörte, entpuppte sich als extrem zeitaufwendiges, intensives, aber auch spannendes Unterfangen. Noch viele Monate nach dem offiziellen Ende des Seminars beschäftigten unsere Gruppe Fragen wie: „Was ist eine geeignete Geschichte für ein gutes Planspiel? Wie komplex oder komplexitätsreduziert muss die Abbildung eines Realitätsausschnittes sein, um damit am Ende Lernen zu ermöglichen? Wie bildet man diese Zusammenhänge ab, damit am Ende ein durchführbares Spiel entsteht?“

Die Faszination für die Methode Planspiel lässt mich seither nicht mehr los. Während des Studiums nutzte ich alle Möglichkeiten, mehr darüber zu erfahren und auszuprobieren. Nach dem Abschluss ergab sich die einmalige Gelegenheit, mich mit diesem Thema auch beruflich auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit Birgit Zürn durfte ich 2008 die Leitung des neugegründeten Zentrums für Managementsimulation (ZMS) an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Stuttgart (zu dieser Zeit noch Berufsakademie) übernehmen. Zusammen mit unserem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Friedrich Trautwein begannen wir, die Planspielaktivitäten an der DHBW Stuttgart zu bündeln, zu professionalisieren und auszubauen. In zahlreichen Schulungen und eigenen Seminaren konnte ich neue Planspiele kennenlernen und die Methode immer weiter durchdringen.

Unsere praktische und theoretische Arbeit ermöglichte uns, an nationalen und internationalen Konferenzen teilzunehmen und selbst ein aktiver Teil der „Planspiel-Community“ zu werden. In den letzten Jahren habe ich sehr viele Menschen aus aller Welt mit ihren unterschiedlichen Ideen und Sichtweisen auf das Themenfeld sowie ihrer Begeisterungs- und Reflexionsfähigkeit kennengelernt. Ich war und bin berührt von ihrer Herzlichkeit, dem vertrauensvollen Umgang miteinander und teile mit ihnen die Faszination für das Thema Lernen insgesamt und die „Sichtbarkeit des Lernens“ beim Einsatz der Planspielmethode.

Meine Perspektive auf die Planspielmethode unterlag in den letzten Jahren einer ständigen Veränderung. Zunächst interessierte mich vor allem das Design von Planspielen. Im Lauf der Zeit rückte zunehmend die Frage in den Vordergrund, wie der Einsatz der Planspielmethode erfolgen soll, um möglichst lernförderliche Umwelten zu gestalten. Gemeinsam mit den Kollegen im ZMS setze ich mich beispielsweise mit Fragen des Seminardesigns und der Gestaltung geeigneter Infrastruktur für Planspielseminare auseinander. Wir diskutieren Möglichkeiten der Professionalisierung der Leitung von Planspielseminaren und Wege zu einer stärkeren Einbindung in die Curricula des Hochschulstudiums.

Ich bin dankbar für die vielen Gespräche, Anregungen und Ermutigungen, die mich bestärkt haben, „am Ball zu bleiben“. Dankbar bin ich Prof. Dr. Walter Bender, der mich bestärkte, mein Promotionsvorhaben umzusetzen und die Betreuung übernommen hat. Prof. Dr. Thomas Eberle habe ich im Fachverband SAGSAGA (Swiss Austrian German Simulation And Gaming Association) und im Rahmen verschiedener Projekte kennengelernt. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, die Zweitbetreuung zu übernehmen. Dafür möchte ich mich bedanken.

Ein Dank, der nur schwer in Worte zu fassen ist, richtet sich an meine Frau Sarah. Es sind die Höhen und Tiefen und die zeitweilige geistige wie körperliche Abwesenheit während der Erstellung einer solchen Arbeit, mit denen ein Partner klar kommen muss. Wertvoll waren für mich die vielen Gespräche und Gedankenspiele, um Wege aus meinem geistigen Chaos zu finden. Ohne dich, dein Verständnis und deine Rücksicht wäre die Arbeit nie fertig geworden.

Ein ganz besonderer Dank gilt meiner lieben Kollegin Birgit Zürn. Die vielen inhaltlichen Diskussionen, die Ermöglichung von Arbeitssessions während des laufenden Betriebs und nicht zuletzt das unermüdliches Redigieren waren zentral für die Erstellung und Fertigstellung dieser Arbeit. Bei unserem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Friedrich Trautwein möchte ich mich bedanken für die gemeinsamen Diskussionen und das gemeinsame Lernen über die Methode. Dank der Freiheiten in der Ausgestaltung des ZMS konnte ich viele Themen verfolgen, die mich bei dieser Arbeit weiter gebracht haben. Ein Dank gilt auch Daniel Bartschat, der zwar erheblich kürzer Teil unseres Teams ist, aber dennoch bereits deutlich Spuren hinterlassen hat. Das intensive Von- und Miteinanderlernen sowie das erfrischend kritische Hinterfragen machen nicht nur Freude in der täglichen Arbeit, sondern haben mir in der finalen Phase dieses Forschungsprojekts immer wieder neue Energie gegeben. – Es ist schön mit Euch zusammenzuarbeiten und mit Euch zu lernen, jeden Tag aufs Neue!

Bei meinem Bruder Leonhard Wölfl möchte ich mich bedanken für die kritischen Anmerkungen und Diskussionen. Ich hoffe, dass diese nicht nur die Fertigstellung meiner Arbeit ermöglicht haben, sondern auch für deine eigene Arbeit fruchtbar sind.

Bedanken möchte ich mich bei Eric Treske, meinem ersten Kontakt zum Netzwerk der SAGSAGA. Besonders schätze ich die gemeinsamen Diskussionen, das gedankliche Experimentieren mit Ideen und die Freundschaft mit dir, weit über die Grenzen der Methode hinaus.

Vieles von dem, was ich über die Vielfalt der Planspielmethode in den letzten Jahren lernen durfte, verdanke ich den vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem Netzwerk des ZMS und der SAGSAGA. Besonders eng habe ich mit den Vorstandskollegen der SAGSAGA zusammengearbeitet und von deren Erfahrungen profitiert. Neben den bereits genannten sind dies Prof. Dr. Willy Kriz, Prof. Dr. Stefan Rappenglück, Dr. Herbert Schmidt, Michael Johner und Christof Döhren. Viele andere haben meinen Weg die letzten Jahre begleitet und meine Entwicklung sowie meine Arbeit mehr oder weniger bewusst unterstützt und vorangetrieben.

Danke!

Stuttgart, November 2015

1. Einleitung

Seit über drei Jahrhunderten werden methodische Bausteine entwickelt, die Menschen ermöglichen sollen, in einer realitätsnahen Umgebung zu lernen. Sie sollen das Verständnis über einen spezifischen Ausschnitt der Realität erhöhen und das Reflektieren und Optimieren des eigenen Handelns in diesen fördern. Von besonderem Interesse sind Realitätsbereiche, in denen das Ausprobieren im realen Leben mit hohen Budgets oder Risiken verbunden ist, die nicht jederzeit zur Verfügung stehen oder die vorstellbar, aber noch nicht eingetroffen sind.

Unterstützend kamen schon immer Spielmechanismen zum Einsatz. Erst diese ermöglichen, dass die Teilnehmenden1 selbst Entscheidungen treffen können und so zu einem Teil der abgebildeten Umwelt werden. Die Rede ist von der Planspielmethode.

In den letzten 70 Jahren erfuhr diese ein bedeutendes Wachstum, welches sich vor allem in einer extrem großen Heterogenität der Ausformungen hinsichtlich der Methodik, als auch der Breite der abgebildeten Inhaltsbereiche und Einsatzzwecke zeigt. Während die Ursprünge im militärischen Bereich liegen, gibt es heute Planspiele in einer Vielzahl an zivilen Themenfeldern wie Wirtschaft oder Politik.

Es steht außer Frage, dass Planspiele oder planspielähnliche Methoden heute in nahezu allen großen Unternehmen in Deutschland zum Einsatz kommen. Auch in deutschen Hochschulen sind sie Bestandteile der Curricula. Wie häufig Planspiele tatsächlich verwendet werden und wie sich der Einsatz in den letzten Jahren entwickelt hat, ist nicht bekannt. Es gibt keine aktuellen und belastbaren Zahlen. Bekannt hingegen ist, dass die Entwicklung eines guten Planspiels und dessen Einsatz zeit- und ressourcenintensiv sind.

Der breiten Verwendung in der Praxis steht eine relativ unzureichende wissenschaftliche Begleitung und Reflexion gegenüber, nicht nur innerhalb der deutschsprachigen Forschungslandschaft. Es mangelt speziell an einer integrierenden und abgrenzenden Systematisierung der Methode, an einer strukturierten Evaluationsbzw. Lerntransferforschung und einer Zusammenführung der vorhandenen, auf singuläre Aspekte ausgerichteten Forschungsarbeiten (vgl. Tsuchiya, Tsuchiya 1999, Lainema 2003, S. 75).

1.1 Problematik der Planspielforschung

Es stellt sich die Frage, warum die Forschung im Zusammenhang mit der Planspielmethode über solche Defizite verfügt.

Bereits bei der Betrachtung eines einzelnen (insbesondere umfassenderen) Planspiels gibt es viele Ausprägungsformen und Variablen, die situativ modifiziert werden können. Anpassungen werden nicht nur vor dem Beginn eines Planspiels vorgenommen, sondern auch während der Durchführung. In der Praxis erfordert dies von der Planspielleitung nicht nur hohe Ambiguitätstoleranz, sondern auch eine hohe Flexibilität in der Reaktion auf neue Situationen (siehe Kapitel 3.4.3). Eine systematische, analytische und übergreifende Forschung wird durch die vielen Variationen erheblich erschwert. Beispielsweise führt die Reduktion der Forschungsperspektive auf die Planspielkonzeption zu dem Eindruck, dass relevante Aspekte unberücksichtigt bleiben, die erst während des Einsatzes zum Tragen kommen.

Ein weitaus größeres Problem liegt vermutlich darin, dass die Planspielmethode nicht einer einzelnen Fachdisziplin zuzuordnen ist (vgl. Klabbers 2008, S. 141). Es gibt Planspiele zu wirtschaftlichen, politischen oder soziologischen Fragestellungen, aber auch zu psychologischen und übergreifenden Themen, wie zum Beispiel das Thema Nachhaltigkeit. Darüber hinaus werden in jedem Planspiel Aspekte verschiedener Wissenschaftsdisziplinen miteinander kombiniert2, um Zusammenhänge der Realität adäquat abzubilden (vgl. Kriz, Nöbauer 2002, S. 80). Häufig wird die Methode zur Ermöglichung von Lernprozessen eingesetzt. Das bedeutet, dass immer Kernthemen der Erziehungswissenschaften bzw. der Pädagogik und der Psychologie berührt werden.

Die begrenzte interdisziplinäre und systematische Erforschung der Planspielmethode (unter aktiver Partizipation, ggf. sogar Moderation der Pädagogik) als Lernmethode oder Lernumwelt hat Konsequenzen. Sowohl die Entwicklung neuer Planspiele als auch die theoretischen Fundierung als Lerninstrument erfolgt in inhaltlichen Fachdisziplinen wie zum Beispiel der BWL (vgl. etwa Trautwein 2011, Forberg 2008). Seitens der Pädagogik und der Erwachsenenbildung werden kaum Anstrengungen unternommen, die theoretische Fundierung der Planspielmethode voranzubringen. Deutlich wird dies im Vergleich zur Publikationstätigkeit im Zusammenhang mit anderen aktuellen methodischen Ansätzen (z. B. E-Learning) (vgl. bspw. die Literaturdatenbank des Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Bonn). Um das Potenzial und die Grenzen fundiert zu analysieren und darauf aufbauend eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, ist intensive Beteiligung einer Wissenschaftsdisziplin notwendig, welche sich primär mit dem Themenfeld Lernen auseinandersetzt.

Neben der Problematik der Zuordnung zu klassischen wissenschaftlichen Disziplinen besteht darüber hinaus ein fließender Übergang zwischen einer analytischen und einer entwickelnden Perspektive. Es ist zu beobachten, dass in vielen Fällen Autoren wissenschaftlicher Publikationen im Themenfeld ebenfalls als Entwickler von Planspielen auftreten oder zumindest Planspiele weiterentwickeln. Dies ermöglicht einerseits eine intensive Auseinandersetzung mit und ein erhöhtes Verständnis des methodischen Instruments. Andererseits steigt die Schwierigkeit, objektive Forschung zu betreiben, die das eigene Betätigungs- und Interessensfeld kritisch hinterfragt. Außerdem konzentrieren sich die Forschungsaktivitäten meist auf eben gerade diesen, im subjektiven Fokus stehenden Ausschnitt.

Insgesamt besteht noch immer ein dringender Bedarf an grundlegender, systematischer und interdisziplinärer Forschung über die Planspielmethode und deren Einsatz.

1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht der Einsatz der Planspielmethode als Lernmethode. Analysiert werden der Lerntransferprozess sowie die hierfür vorausgehenden Lernprozesse beim Einsatz der Planspielmethode. Dabei sollen Einflüsse identifiziert werden, die aus subjektiver Perspektive als förderlich oder hinderlich erachtet werden. Ausgangspunkt dieser Herangehensweise ist die Problematik, dass eine Erhebung tatsächlicher Transferleistungen aufgrund der Vielfalt der Methode und der unterschiedlichen Lebensverläufe im Anschluss an eine Teilnahme nur sehr begrenzt verallgemeinerbar sind. Intersubjektive Einflussfaktoren bieten hingegen das Potenzial, das Verständnis für die Prozesse zu erhöhen und so einen wichtigen Beitrag zur systematischen Erforschung zu leisten.

Entsprechend der bisherigen Ausführungen ist es zunächst notwendig, eine tragfähige Grundlage in Bezug auf die Planspielmethode zu schaffen (Kapitel 2). Von besonderem Interesse ist die Identifikation des eigentlichen methodischen Kerns. Aufbauend auf einer etwas ausführlicheren Rekonstruktion der geschichtlichen Entwicklung der Methode erfolgen eine analytische Methodenbeschreibung und Abgrenzung gegenüber anderen Methoden. Im Anschluss werden Ausprägungsformen unter dem speziellen Fokus des Einsatzes als Lerninstrument systematisiert.

Im nächsten Schritt wird die lerntheoretische Verortung der Planspielmethode vorgenommen (Kapitel 3). Anhand zweier theoretischer Ansätze und den mit diesen einhergehenden Konstrukten Erfahrung und Handeln wird das Lernen in Planspielen aus theoretischer Perspektive reflektiert. Darauf aufbauend wird die theoretische Verortung der Planspielmethode fortgesetzt. Im Fokus steht deren Aufarbeitung als Lernumgebung sowie die Diskussion der Rolle der Planspielleitung als Lernbegleitung. Anhand der erarbeiteten Grundlagen werden Lernchancen und -potenziale identifiziert und strukturiert.

Im Anschluss an die Diskussion des Lernens in Planspielen wird das Konstrukt Lerntransfer beschrieben und theoretisch fundiert (Kapitel 4). In diesem Rahmen erfolgt die Einführung einer Strukturierung des Lerntransfers anhand mehrerer Dimensionen. Diese Grundstruktur bildet den Rahmen für den empirischen Teil der Arbeit. Nach der Einführung dieses Rahmenmodells werden ausgewählte Lerntransfermodelle vorgestellt und diskutiert.

Die aufbereiteten theoretischen Grundlagen hinsichtlich der Planspielmethode, dem Lernen in Planspielen sowie des Lerntransfers sind die Basis für den empirischen Teil dieser Arbeit. Im Rahmen der Deskription des forschungsmethodischen Vorgehens (Kapitel 5) wird zunächst eine Präzisierung der Fragestellung vorgenommen. Im Anschluss erfolgen die Deskription der Forschungskonzeption, die Dokumentation des tatsächlichen Vorgehens und deren kritische Reflexion. Für die Datenerhebung wurden problemzentrierte Interviews mit Teilnehmenden verschiedener Planspielseminare geführt. Die Aufbereitung der Daten wurde mittels verschiedener Verfahren vorgenommen.

Im Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Erhebung dargestellt und mögliche Schlussfolgerungen diskutiert.

Zum Abschluss der Arbeit erfolgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse (Kapitel 7) sowie eine integrierende Gesamtdarstellung. Ergänzend werden mögliche didaktische und methodische Konsequenzen angedeutet und weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt.

1 Sämtliche Begriffe in dieser Arbeit gelten geschlechtsunabhängig. Aus Gründen der Vereinfachung und der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet, sofern es sich nicht explizit um weibliche Akteure handelt. Darüber hinaus wurde versucht, soweit möglich geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden.

2 Dies könnte beispielsweise die Fachdisziplin BWL für die Inhalte sein, die Mathematik für die Abbildung der Zusammenhänge in realitätsadäquate Wirkzusammenhänge, die Pädagogik für eine geeignete Reduktion und die methodische Ausgestaltung, die Informatik für die Softwareprogrammierung, Designer für die grafische Aufbereitung, etc.

2. Systematik der Planspielmethode

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es weder ein einheitliches Verständnis des Begriffs „Planspiel“, noch der dahinter stehenden Methode (vgl. u. a. Geier 2008, S. 7, Rogel 2007, S. 6f, Rebmann 2001, S. 9). Für eine wissenschaftliche Abhandlung ist ein klares Verständnis aber notwendig. Gleichzeitig werden Planspiele und planspielähnliche Methoden in sehr vielen verschiedenen Disziplinen für verschiedenste Fragestellungen eingesetzt, sowohl als Lern- als auch als Forschungsmethode. Geilhardt spricht daher von der „Omnipräsenz des Planspiels“ (Geilhardt 1995, S. 45).

Um die Sachlage zunächst zu dokumentieren und zu sortieren, wird in einem ersten Schritt die Entwicklungsgeschichte der Methode aufgezeigt. Daraus resultierende Gemeinsamkeiten bilden den Ausgangspunkt für eine analytische Methodenbeschreibung. Am Ende dieser wird die Frage nach einer passenden Bezeichnung aufgeworfen3. Die Aufarbeitung der Entwicklungsgeschichte ist zudem die Basis für eine abschließende Systematisierung der Ausprägungen der Planspielmethode.

2.1 Historische Entwicklungen – Wurzeln heutiger Planspiele

Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der heutigen Planspielmethode, so gibt es zwei zentrale Ereignisse. Den ersten entscheidenden Schritt in die Richtung der heutigen Methode macht Weickhmann 1664 mit seiner Modifikation und Erweiterung des Schachspiels mit der Zielsetzung, dieses als Lerninstrument nutzen zu können. Für die heutige inhaltlich breite Nutzung der Methode ist der Übergang von rein militärischer zu ziviler Nutzung ein zweiter zentraler Einschnitt. Dieser erfolgt in den 1950er Jahren. Während bis zu diesem Übergang die Geschehnisse eher chronologisch nachvollziehbar und klare Entwicklungsschritte erkennbar sind, überschlagen sich die Ereignisse ab der Mitte des letzten Jahrhunderts. Entsprechend dieser beiden Phasen wird auch die Entwicklungsgeschichte in zwei Abschnitten aufgearbeitet.

2.1.1 Entwicklungen bis ca. 1950 innerhalb des Militärs

Die im Folgenden beschriebenen Phasen sind angelehnt an den geschichtlichen Abriss bei Rohn (1964, S. 19ff) und Geuting (1992, S. 318ff). Allerdings wurde ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, Originalquellen heranzuziehen und die Ideen und Intentionen der Wegbereiter der modernen Planspielmethode herauszuarbeiten.

2.1.1.1 Ausgangspunkt: Schach und Königs-Schach

Der Ursprung der Planspielmethode wird in der Literatur sehr heterogen gesehen: in ersten Kriegsspielen um 3.000 v. Chr. in China (vgl. Kaiser, Kaminski 1999, S. 171, Taylor, Walford 1974, S. 25), in Indien um 1.000 v. Chr. (vgl. Högsdal 1996, S. 17, Rohn 1964, S. 25) oder erst um 600 n. Chr. in Persien (vgl. Geuting 1992, S. 467). Gemeinsam ist allen eine mehr oder weniger abstrakte und spielerische Abbildung von territorialen und machtpolitischen Konfliktszenarien. Einzureihen ist hier das Schachspiel, dessen Ursprung in eben jenen Ländern gesehen wird (vgl. Thieme 1994, S. 20, Banaschak 2001, S. 30, Petzold 1987, S. 18f).

Mitte des 17. Jahrhunderts wurde dieses von Johann Weickhmann zum „großen Königsspiel“ weiterentwickelt, die erste eindeutige Verbindung zwischen dem Schachspiel und der Entstehung der Planspielmethode. Er versuchte, den Bezug zum realen Kriegsgeschehen auszubauen (vgl. Weickhmann 1664, S. 6f, Bilguer 1843, S. 364) und erweiterte das Spielbrett für bis zu acht Parteien (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Großes Königs-Spiel: Spielbrett für sechs Parteien (Weickhmann 1664, S. Tab. V)

Weickhmann betont mehrfach, sein „Königs-Spiel nicht nur allein zur Kurzweil und Vertreibung der Zeit inventirt und erfunden“ (Weickhmann 1664, S. 7) zu haben. Es kann als eines der ersten Brettspiele gesehen werden, welches vorrangig zu Lehrzwecken (u. a. Entwicklung von Strategien, Wissensweitergaben innerhalb des Militärs; vgl. Smith 2010, S. 8) entwickelt wurde. Die Abweichungen vom originalen Schachspiel waren noch relativ gering (vgl. Young 1956, S. 3). Durch die hohe Komplexität wurde es vermutlich selten als Lehrinstrument verwendet. Die häufige Bezugnahme auf Weickhmanns Spiel in der Literatur in den folgenden Jahrhunderten lässt jedoch auf eine hohe Bekanntheit schließen.

2.1.1.2 Phase des „Kriegs-Schachspiels“ (ab 1780)

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu einer zunehmenden Mathematisierung und Verwissenschaftlichung der Kriegsführung (vgl. Young 1956, S. 3f). In dieser Zeit veröffentlichte Johann Hellwig seinen „Versuch eines aufs Schachspiel gebaueten taktischen Spiels“ (Hellwig 1780, 1782). Hellwig, seiner Zeit Pagenmeister und Hofmathematiker an der Braunschweiger Pagenschule und für die Ausbildung zukünftiger Offiziere zuständig, versuchte, „eine kostengünstige und spielbare Kriegssimulation zu erschaffen“ (Nohr 2008, S. 32). Basierend auf dem Schach- und dem Großen Königsspiel wollte er die Ähnlichkeiten zum realen Kriegsgeschehen weiter ausbauen (vgl. Tressan 1840, S. 136f). Um auch Auswirkungen verschiedener Geländeeigenschaften zu berücksichtigen, integrierte er weitere Spielfeldtypen und vergrößert das Spielfeld. Insgesamt versuchte Hellwig, „den Zufall systematisch auszuschalten“ (Nohr 2008, S. 35) und alle Spielzüge zu reglementieren.

In den folgenden Jahren arbeiteten neben Hellwig weitere Personen an der Modifizierung und Verbesserung der Ideen (z. B. Allgaier 1796, Venturini 1798). Ihr Ziel war die Entwicklung einer kurzweiligen Methode zur Förderung des Interesses am Krieg und dem komplexen und vernetzten Denken (vgl. ebd., S. XVI, Hellwig 1780, S. XIX). Die dabei entstandene extreme Komplexität war ihnen durchaus bewusst (vgl. ebd., S. XIVff, Venturini 1798, S. XIX–XX). Von Zeitgenossen wurden die Spiele, insbesondere jenes von Hellwig als „überladen und schwierig“ (Waidder 1837, S. B/30, s. a. o. V. 1829, S. 393, Nohr, Böhme 2012) und aufgrund der Dauer sowie des Aufwands als „verdrüßlich, und […] abschreckend“ (Allgaier 1796, S. Vorrede, s. a. Tressan 1840, S. 137) beschrieben. Trotz dieser negativen Äußerungen zweifelte keiner der Kritiker öffentlich am Nutzen und Wert dieser Methode.

2.1.1.3 Phase des „Strengen Kriegsspiels“ (ab ca. 1775 / 1812)

Durch die Erfolge Napoleons veränderten sich die Rahmenbedingungen. Die immer noch stark an das Schachspiel angelehnten Kriegsspiele waren zu abstrakt und starr für die unkonventionelle neue Art der Kriegsführung und ihr Einsatz zur Ausbildung nicht mehr zeitgemäß (vgl. Young 1956, S. 5f). Durch Napoleon vorangetrieben wurde auch das Kartenwesen revolutioniert (vgl. Torge 2009, S. 100). Es entstand eine bis dahin unbekannte flächendeckende Kartographierung mit hoher Genauigkeit und weit mehr Informationen (z. B. topografische Angaben). Napoleon nutzte diese für seine Kriegsführung und soll mithilfe von Pinnadeln seine Manöver an den Karten ausgearbeitet haben (vgl. Young 1956, S. 6, Perla 1990, S. 23). Auch andere Veränderungen im militärischen Bereich gegen Ende der napoleonischen Zeit haben die Weiterentwicklung des Kriegsspiels begünstigt (z. B. die Preußische Heeresreform mit der Einrichtung von Kriegsschulen ab 1810; vgl. o. V. 1867).

Die Vorbereitung der nächsten Entwicklungsstufe des Kriegsspiels begann bereits während Napoleons Wirken. Diese sind auf Georg Leopold Baron von Reißwitz (1764 – 1828) zurückzuführen. Als Kind lernte er das Hellwig’sche Kriegsspiel kennen (vgl. Reiswitz 1812, S. X). Da er sich dieses jedoch nicht kaufen konnte und wollte, machte er sich mit Freunden daran, ein eigenes Kriegsspiel zu entwickeln. Ein erster Prototyp existierte bereits 1785. Jahrzehnte später stellte er dieses gemeinsam mit seinem Sohn Georg Heinrich fertig, 1812 wurde es erstmals öffentlich präsentiert (vgl. ebd. S. Xf).

Das starre Schachbrett wurde durch eine dreidimensionale, modular zusammensteckbare Modelllandschaft abgelöst. Integriert wurde außerdem der Würfel als Zufallselement und die Darstellung einzelner Einheiten zur Abbildung von Teilverlusten. In der aktualisierten Version von 1824 wurden erstmals die neuen topografisch korrekten Karten sowie Maßbänder zur Bemessung von Schuss- und Bewegungsweiten integriert (vgl. Deterding 2008, S. 89).

Berücksichtigt wurden auch die Aspekte Raum und Zeit (vgl. Pias 2000, S. 174). Hierfür wurden die gegnerischen Parteien räumlich getrennt, die Zugzeiten zeitlich begrenzt und die Informationsweitergabe zeitlich an reale Bedingungen angepasst. Dies ermöglichte ein Handeln unter Zeitdruck (vgl. Deterding 2008, S. 89).

Das von Reißwitz’sche Kriegsspiel fand allgemein große Anerkennung. In den folgenden Jahrzehnten wurden nur geringe Veränderungen am Spielkonzept vorgenommen, nur einzelne Spielregeln wurden modifiziert und ausgebaut, um das Spielgeschehen noch mehr an die Realität anzupassen (vgl. Altrock 1908, S. 163ff, Tschischwitz 1862, Trotha 1870). Diese Entwicklungsstufe war geprägt durch eine immer stärkere Differenzierung des Regelsystems zur Erhöhung der Realitätsnähe (vgl. Unbekannt 1828, S. 78). Darin liegt sowohl der Fortschritt, aber auch die Problematik dieser Phase.

2.1.1.4 Phase der „Freien Kriegsspiele“ (ab 1873)

Fast ein halbes Jahrhundert wurden Kriegsspiele in der von Reißwitz’schen Tradition weiterentwickelt und in der Offiziersausbildung eingesetzt. Die bereits angedeutete Problematik beschrieb der Zeitzeuge Meckel: „Wenn […] das Kriegsspiel einen neuen, ausserordentlichen und allgemeinen Aufschwung genommen hat, so ist dies nicht durch die bisherigen Anleitungen mit ihren Spielregeln, sondern trotz derselben geschehen“ (Meckel 1875, S. 5f). Er kritisierte die entstandene Unnatürlichkeit, den schleppenden Spielverlauf und die hohen Anforderungen an die Spielleitung

Die Ideen von Meckel können als Ausgangspunkt für ein Gegenkonzept zu den starren Spielen gesehen werden. Vereinfacht werden sollten die Regeln und die Anforderungen an Spielleitung und Teilnehmende (vgl. Verdy du Vernois 1876, Reichenau 1879). Während Meckels Entwürfe noch große Ähnlichkeiten zu den starren Kriegsspielen aufwiesen (vgl. Naumann 1881, S. VIII, Altrock 1908, S. 169), gelang es Julius von Verdy du Vernois einen neuen Typus zu gestalten: das freie Kriegsspiel. Die bestehenden Spielpläne und Spielfiguren wurden beibehalten (vgl. Verdy du Vernois 1876, S. VIII), anstelle der Spielregeln jedoch bewertete die Spielleitung mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und basierend auf den „modernen“ strategischen Grundsätzen die Auswirkungen der Entscheidungen der gegnerischen Parteien (vgl. Altrock 1908, S. 2, Rohn 1995, S. 62).

Die starren Kriegsspiele wurden weiterhin eingesetzt, insbesondere für kleinere taktische Übungen. Für größere strategischer Manöver wurden hingegen freie Kriegsspiele bevorzugt (vgl. Pias 2000, S. 82). Ausgehend von Deutschland verbreitete sich die Kriegsspielmethode gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Durch Captain Evelyn Baring gelangte die Methode 1872 nach England, wo die vermutlich ersten Marine-Kriegsspiele entwickelt wurden (vgl. Young 1956, S. 11, Baring 1896). Von dort aus wurden Kriegsspiele in die USA weitergegeben (vgl. Lane 1995, S. 608). Zur gleichen Zeit verbreitete sich die Kriegsspielmethode auch nach Österreich-Ungarn, Russland, Japan und die Türkei.

Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden Elemente der Kriegsspiele auch genutzt, um militärische Operationen zu planen und zu testen. Ein bekanntes Beispiel ist der Schieffen Plan (vgl. Wolfe 1993, S. 450, Goldhamer, Speier 1959, S. 71f). Lange wurden Kriegsspiele insbesondere für Angriffs- und Verteidigungsszenarien an Land entwickelt, ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts wird auch von Nachschubs-, Verpflegungs-, Festungs-, Sanitäts- und Seekriegsspielen berichtet (vgl. Altrock 1908, S. 2). 1926 wurden erstmals Planspiele für den paramilitärischen Bereich veröffentlicht, beispielsweise für den „Kampfeinsatz der Schutzpolizei bei inneren Unruhen“ (Hartenstein 1926).

2.1.2 Entwicklungen bis ca. 1950 außerhalb des Militärs

Neben diesen bereits skizzierten Anpassungen und Verwendungen kriegsspielähnlicher Methoden im paramilitärischen Bereich sind für die Zeit vor 1950 zumindest zwei Entwicklungen außerhalb des Militärs erwähnenswert.

Schon früh entstanden für die Ausbildung im wirtschaftlichen Umfeld, vor allem im Bereich des Handels und der damit verbundenen Buchhaltung Lernmethoden mit Ähnlichkeiten zur heutigen Planspielmethode.

Ausschlaggebend für diese Entwicklungen waren ebenfalls die Herausforderung, dass manches nicht in der Realität ausprobiert werden kann, weil dies zu teuer, zu riskant oder weil eine entsprechende Situation nicht gegeben ist. Während es lange Zeit üblich war, dass Handwerker die Geschäfte im direkten Kontakt mit den Kunden machten, änderte sich dies mit der Gründung von Städten. Diese ermöglichten einen Handel, welcher aus der Ferne organisiert und abgewickelt wurde. Das hierfür notwendige Wissen wurde durch ein „Lernen am Modell“ weitergegeben (vgl. Zabeck 2006, S. 271). Durch Korrespondenzen wurde nicht nur Handel betrieben, es wurden auch Informationen zu Entwicklungen politischer, wirtschaftlicher und technischer Art ausgetauscht (vgl. Tramm 1996, S. 63). Die Ausweitung des Handelsnetzes steigerte auch die Anforderungen an die Händler. Das Beherrschen mehrerer Sprachen, die Umrechnung von Gewichten und Währungen sowie das Wissen um spezifische rechtliche Belange wurden zur Voraussetzung. Entsprechend wurde auch das Erlernen dieser Fertigkeiten immer aufwendiger, beispielsweise durch Auslandsaufenthalte und „Praktika“ in Handwerksbetrieben (vgl. Zabeck 2006, S. 271).

Diese Veränderungen begünstigten das Entstehen alternativer Ausbildungsmethoden. Schon früh entstanden handlungsorientierte Ansätze zur Ausbildung von Buchhaltern. So soll bereits Luca Pacioli4 im Jahr 1504 empfohlen haben, fiktive Handelsbriefe und -kopien zur Ausbildung von Buchhaltern zu verwenden (vgl. Schlieper 1956, Halfpap 2006, S. 1)5. Auch in dem Buchführungswerk „Commission und Factorey“ des Danziger Rechenmeister Lerice aus dem Jahr 1610 wurden solche Buchungsübungen vorgeschlagen und aufgeführt (vgl. Söltenfuss 1983, S. 11).

In seinen Ausführungen zur Buchführung empfahl Marperger, „Lehr-Schülern nicht alte abgeschmackte/ etwan von Groß=Eltern her ererbte/ Formularien“ (Marperger 1701, S. 2) vorzulegen, sondern vielmehr nach einer kurzen Einführung über (drei Jahre hinweg) praktische Aufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad aus dem praktischen Alltag des Buchhalters bearbeiten zu lassen. Die Aufgaben waren nah am Alltag, allerdings von diesem abgekoppelt. Diese Methode wird als Kontorübung bezeichnet.

Eine weitere Entwicklungsstufe erreichten die methodischen Ideen der Philanthropisten Ende des 18. Jahrhunderts. Sie werden als gedankliche Erben Rousseaus gesehen, ihr Ziel war es jedoch, die jungen Menschen schnell auf einen Beruf vorzubereiten und sie zu „tüchtigen, praktischen und aufgeklärten“ (Lausberg 2010) Bürgern zu erziehen. Beschrieben wurden die methodischen Ideen für die Kaufmannslehre des Leiningischen Philanthropins, insbesondere zur Vermittlung der doppelten Buchführung. Im Mittelpunkt stand eine fiktive Situation, die den Schülern die Möglichkeit eröffnete, realitätsnahes Handeln auszuprobieren und zu lernen. „Der Lehrer läßt sie selbst eine Art Handlung und Handlungsplatz wählen, wozu sie Lust haben; so daß den ganzen Kursus hindurch, der eine beständig ein Seidenhändler, ein anderer ein Spediteur, ein dritter ein Fabrikant und so fort, auf einem besonderen Handelsplatz vorstellen“ (Bahrdt 1776, S. 10). Entsprechend der Realität betrieben die Schüler untereinander Handel, führten Korrespondenz in den verschiedenen Sprachen und lernten so – in Begleitung durch die Lehrer – mit Währungen, Gewichten und Maßeinheiten umzugehen. Während der Ausbildungszeit wurden Komplexität und Schwierigkeit stufenweise gesteigert (vgl. ebd., S. 11). Ähnliche, praxisorientierte Übungskontore wurden auch in den um 1800 gegründeten Handelsschulen oder „Handlungsakademien“ durchgeführt (vgl. Söltenfuss 1983, S. 11, Ebeling 1789, S. 320).

Die Idee der Übungskontore ging über die Marperger‘schen Kontorübungen hinaus. Bei den Übungskontoren wurden die Aktionen (z. B. Buchungssätze) nicht mehr durch den Lehrer definiert, die Situation wurde vielmehr durch die Schüler selbst belebt. Der Lehrer trat aus der aktiven Rolle innerhalb der „Parallelrealität“ heraus, gestaltete die Rahmenbedingungen, begleitete von außen, beriet und gab Impulse.

Die Kontorübungen, auch „beleggestützte[r] Buchführungsunterricht“ (Penndorf 1913, S. 232f) und die Konzeptionen zum Übungskontor beinhalten interessante methodisch-didaktische Aspekte (vgl. Hopf 1971, S. 24, Reinisch 1989, S. 203, Tramm 1996, S. 43f):

Konzentration und Komprimierung kaufmännischer Aspekte

Förderung der Nachvollziehbarkeit und Anschaulichkeit

Förderung der Selbstständigkeit und Vorbereitung auf die Praxis

In der „simulierten Geschäftssituation“ (Tracey et al. 1995, S. 44) übernehmen die Schüler selbst die Rolle des Kaufmanns und übernehmen Aufgaben, die sie später ausüben werden. Durch die steigende Komplexität und die Verzahnung mit anderen Ausbildungsteilen wird die Praxis erlebbar. Sie kann gleichzeitig strukturiert und durch weitere Inhalte angereichert werden. Das „Szenario“ zieht sich über einen längeren Zeitraum und die Schüler müssen mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen umgehen. Der Lehrer übernimmt die Begleitung und Gestaltung der Rahmenbedingungen.

Es ist zu vermuten, dass die stark utilitaristische Ausrichtung dazu führte, dass dieser methodische Ansatz im 19. Jahrhundert sowohl in der Praxis als auch der Pädagogik in Deutschland keine große Bedeutung mehr spielte (vgl. Tramm 1996, S. 45). Eingesetzt und weiterentwickelt wurden die Ideen in den Handelsakademien in Österreich, der Schweiz und der Tschechei. Bekannt wurde der 1856 eingerichtete „Mustercomptoir“, in der Literatur meist „Prager Kontor“ genannt (vgl. Tramm 1996, S. 45, Söltenfuss 1983, S. 12). Die Besonderheit bestand vor allem in der konsequenten curricularen und didaktischen Einbindung und Ausgestaltung.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewann die Idee der Übungskontore auch in Deutschland langsam wieder an Relevanz, begünstigt vor allem durch den „Deutschen Verband für das Kaufmännische Unterrichtswesen“ (vgl. Hopf 1971, S. 32, Tramm 1996, S. 46). In den 1920er und 1930er Jahren setzte sich dieses methodische Vorgehen in kaufmännischen Schulen immer mehr durch. Übungskontore wurden eingesetzt, um die ausdifferenzierten Unterrichtsfächer wieder zueinander in Bezug zu setzen und mit praktischen Erfahrungen zu verknüpfen (vgl. Halfpap 2006, S. 2). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden vermehrt überregionale Übungs- bzw. Scheinfirmenaktivitäten, die von Gewerkschaften und Verbänden initiiert und unterstützt wurden, beispielsweise die 1933 gegründete „Deutsche Übungswirtschaft“ (vgl. Tramm 1996, S. 88f).

Eine weitere, von der militärischen Entwicklungslinie und der Entstehungsgeschichte der Übungsfirmen weitgehend unabhängige Entwicklung ist ebenfalls an dieser Stelle zu erwähnen. Bereits 1932 entwickelte Mary Birshtein (Marie Mironovna Beershtain) in Russland das vermutlich erste wirtschaftliche Planspiel „Red weaver“ am Leningrad Institute of Engineering and Economics. Hingegen der häufig anzutreffenden Meinung sind die ersten wirtschaftlichen Planspiele demnach in Russland zu verorten. Mithilfe dieser Methode sollte die Idee und Umsetzung von Rationalisierungen in der Industrie, welche auch im sozialistischen System notwendig wurden, vorangetrieben werden. In den 1930er Jahren wurden in der Sowjetunion mehrere Dutzend Planspiele zu verschiedenen Fragestellungen der industriellen Produktion entwickelt (vgl. Gagnon 1987, S. 6ff). Für die weiteren Entwicklungen der Planspielmethode im europäisch-amerikanischen Raum nach 1950 blieben diese Ideen aus Russland ohne Bedeutung. Erst in den 1980er Jahren begann auf internationalen Kongressen, insbesondere der ISAGA, ein Austausch beider Entwicklungslinien (vgl. Dzhukov et al. 1993).

2.1.3 Vergleich der Entwicklungslinien und Weichenstellungen

Für die Zeit bis ca. 1950 wurde eine Entwicklungslinie innerhalb und eine außerhalb des Militärs aufgezeigt. Trotz der Ähnlichkeiten der methodischen Ansätze ist es auf Basis der vorliegenden Quellen nicht möglich, einen Austausch zwischen beiden nachzuweisen. Am ehesten scheint ein solcher zum Ende des 18. Jahrhunderts unter den Philanthropen bestanden zu haben. Insbesondere zwischen den Bildungstheoretikern und Pädagogen wurde zu dieser Zeit ein reger Austausch gepflegt (vgl. Nohr, Böhme 2009, S. 29). Zu diesen sind sowohl Hellwig als Vertreter der Entwicklungslinie der Kriegsspiele, als auch Bahrdt als Vertreter der Entwicklungslinie der Übungskontore, zu zählen. Beide setzen sich nicht nur mit diesen Methoden auseinander, sondern waren breiter interessiert. Zu etwa dieser Zeit entwickelten verschiedene, den Philanthropen zuzurechnende Personen theoretische Ansätze, die wiederum auch mit den Kriegsspielen und den Übungskontoren in Verbindung gebracht werden können, beispielsweise Johann Bernhard Basedow, welcher „die Forderung nach einer eben auf Erfahrung bzw. Erfahrbarkeit ausgerichteten Darstellungsform von Inhalten“ (Nohr, Böhme 2009, S. 29) fordert oder Johann GutsMuths, einer der Begründer der pädagogischen Spieltheorie (vgl. März 2003, S. 364ff). Wenngleich bislang kein direkter Austausch rekonstruierbar ist, so liegt im Philanthropismus des 18. Jahrhunderts zumindest ein ideengeschichtlicher Zusammenhang.

Interessant ist ein Vergleich der beiden Entwicklungslinien. Bei beiden steht die Frage im Zentrum, wie der Umgang mit speziellen Situationen erlernt werden kann, auch wenn ein Erlernen in der Realität nicht oder nur bedingt möglich ist. Für eine systematische Ausbildung erforderten sowohl das Handeln im Krieg als auch das kaufmännische Handeln in einer zunehmend komplexer werdenden Realität neue methodische Herangehensweisen. In beiden Fällen wurden Umgebungen kreiert, in denen die Lernenden selbst aktiv werden konnten. Fehler bzw. Fehlentscheidungen haben bei beiden keine Auswirkung auf die Realität, sie können jedoch reflektiert und korrigiert werden.

Die in beiden Fällen (zunächst) vorgenommene Vereinfachung der Realität erfolgt auf unterschiedliche Weise. Im militärischen Bereich wurde die Realität abstrahiert, d. h. die relevanten Strukturen werden in vereinfachter Form abgebildet und die übergreifenden Zusammenhänge beibehalten. Man spricht von einer Abstraktionspyramide, der „cone of abstraction“ (Capaul, Ulrich 2003, S. 28, s. a. Kriz 2011, S. 16, Duke 1974, S. 57ff, siehe Abb. 2).

In der kaufmännischen Entwicklungslinie wurde die Komplexität über die gezielte Auswahl bzw. die Konzentration auf bestimmte Realitätsbereiche reduziert, die wiederum nahezu originalgetreu abgebildet werden. Dieser Unterschied besteht bereits im sehr frühen Entwicklungsstadium: während das Schachspiel eine sehr abstrakte Abbildung einer kriegerischen Auseinandersetzung darstellt, wurden im kaufmännischen Bereich zunächst realitätsgetreue Briefe zur Bearbeitung durch den Lernenden verwendet.

Abb. 2: Komplexitätsreduktion – Vergleich von militärischer (links) und kaufmännischer (rechts) Entwicklungslinie (eigene Darstellung)

Diese unterschiedlichen Arten der Komplexitätsreduktion werden auch hinsichtlich der Abbildung der Zeit (Zeitraffer zur Abbildung mittel- und langfristige Entwicklungen vs. Realzeit oder Verlangsamung (vgl. Tramm 1996, S. 77)) oder der Definition der Rollen der Teilnehmenden (Rollen- und Aufgabenbündelung vs. realitätsgetreue Verteilung oder weitere Ausdifferenzierung (vgl. ebd. S. 78f)) deutlich. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit der Auswahl des Lerngegenstands beiden Entwicklungslinien: bei den Übungskontoren und den Kontorübungen steht eine „administrativ-operative[]“ (ebd. S. 71), bei den Kriegsspielen hingegen eine strategische Perspektive im Fokus.

Trotz der Gemeinsamkeiten der beiden methodischen Ansätze verlaufen die Entwicklungen lange Zeit unabhängig voneinander, auch noch nach 1950. Wann und wo der Austausch zwischen den beiden Entwicklungslinien beginnt, ist schwer nachvollziehbar. Feststellbar ist nur, dass es heute zum Teil fließende Übergänge zwischen den beiden methodischen Strängen gibt. Während die Tradition der Übungskontore und Kontorübungen zunächst als Übungsfirmen bzw. Bürosimulationen fortgesetzt wird, entwickelt sich aus der militärischen Tradition nach 1950er die heutige, auch in verschiedenen zivilen Bereichen eingesetzte Planspielmethode.

Die ersten Schritte in das privat-wirtschaftliche bzw. zivile Umfeld sind in den USA zu verorten (von den bereits existierenden wirtschaftlichen Planspielen in Russland abgesehen). Innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums kommen viele Aspekte zusammen, die diesen Prozess begünstigen.

Operations Research

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts und intensiv während des zweiten Weltkriegs wurden Kriegsspiele verwendet, um geplante Kriegssituationen abzubilden und so fundierter Entscheidungen zu treffen (s. o.). Naumann integrierte bereits 1877 aktuelle Statistiken realer Kriegssituationen (vgl. Pias 2000, S. 82). Die 1948 durch das „Army Operations Research Office“ an der Johns Hopkins Universität entwickelte „Air Defense Simulation“ wurde aufgrund der immensen Komplexität und dem damit verbundenen Aufwand in der Berechnung für Rechenmaschinen entwickelt. Sie gilt als eine der ersten vollständig computerbasierten Kriegssimulationen (vgl. Smith 2010, S. 11).

Mathematische Spieltheorie

Die mathematische Spieltheorie hat ihren Ursprung in den theoretischen Überlegungen von Neumann (1928). Er ging der Frage nach, wie sich ein Spieler verhalten muss, um in einem Gesellschaftsspiel mit anderen ein für sich möglichst günstiges Ergebnis zu erzielen (vgl. Geuting 1992, S. 204). Gemeinsam mit Morgenstern überträgt Neumann seine Überlegungen auf den wirtschaftlichen Bereich (vgl. Neumann, Morgenstern 1953). Diese Herangehensweise der wissenschaftlichen Analyse von Entscheidungssituationen findet schnell Zuspruch, verspricht sie doch Möglichkeiten, die optimale Verhaltensweise in konflikthaltigen Situationen zu ermitteln. Genutzt wurde sie auch im militärischen Bereich für Operations Research (s. o.).

RAND

6

Corporation

Die RAND Corporation ist ein gegen Ende des zweiten Weltkriegs als „Think-Tank“ gegründetes Netzwerk von Wissenschaftlern mit dem Ziel, das in den USA generierte Wissen dem US-Militär und der Politik zur Verfügung zu stellen. Viele Impulse für die Nutzung der Planspielmethode in anderen Bereichen kommen aus diesem Netzwerk. Beispielsweise entwickelte die RAND Corporation gemeinsam mit der US Air Force Mitte der 1950er Jahre ein Simulationslabor zur Optimierung logistischer Fragestellungen, ein erster Schritt hin zu nicht mehr rein militärischen Fragestellungen. Um dramatische Fehler zu verhindern, wurden geplante Veränderungen zunächst eingehend getestet. Für jeden Versuchsaufbau wurden über 100 Mitarbeiter und Wissenschaftler beschäftigt, die Bearbeitungszeit (Konzepterstellung, Programmierung, eigentliche Forschungsarbeit) betrug je ca. zwei Jahre und verursachte je über eine Million Dollar an Kosten (vgl. Geisler 1962, S. 240f). Eine dieser Forschungsumgebungen wurde unter dem Namen „Monoplogs“ bekannt (vgl. Jackson 1959, S. 92, Faria 1987, S. 208). In enger Verbindung zum Netzwerk der RAND standen auch beispielsweise Richard Bellmann, Mitentwickler des ersten computergestützten Unternehmensplanspiels, John McKinsey, in dessen Beratungsfirma das erste Wirtschafts-Brettplanspiel („Business Management Game“) entwickelt wurde sowie Herbert Goldhamer und Harald Gutzkow, beide bekannt für ihre politischen Planspielkonzepte.

Inhaltliche Nähe und Methodentransfer durch ehemalige Soldaten

Begünstigt wurde der Übergang durch die Ähnlichkeiten in den Anforderungen an das militärische und zivile Management. In beiden Bereichen wird von den Führungskräften erwartet, in Stresssituationen schnell die richtigen Entscheidungen treffen, die auch mittel- und langfristig Bestand haben und mit deren Auswirkungen im Anschluss umgegangen werden muss. Auf diese Nähe wird wiederholt von den Pionieren der Methode im zivilen Bereich hingewiesen (vgl. Ricciardi et al. 1957, S. 59, Andlinger 1958a, S. 117, Dickey 1958, S. 94, Adamowsky 1964, S. 8). Wie bereits bei den Kriegsspielen begünstigt die Möglichkeit, vor dem Ernstfall Erfahrungen zu sammeln, die Entwicklungen (vgl. Martin 1959, S. 101). Die Rückkehr von Soldaten, die im Militär mit Simulationen und Planspielen ausgebildet wurden, in zivile Berufe beschleunigte die Übertragung (vgl. Lane 1995, S. 608).

Entwicklung der Computertechnologie

Auch die zunehmende Nutzung der Computertechnologie im zivilen und kommerziellen Bereich nach dem zweiten Weltkrieg begünstigte die Planspielentwicklungen (vgl. Wiemer 2011, S. 6, Cohen, Rhenman 1961, S. 134). Trotz der Einfachheit erster computergestützter Planspiele war die Zeitersparnis im Vergleich zur Berechnung von Hand gewaltig7. Insbesondere die Idee der dynamischen Programmierung, komplexe Berechnungen in einzelne Teilrechnungen zu zerlegen und die Speicherung der Ergebnisse in Tabellen für weitere Berechnungen erleichterte die Programmierung erheblich (vgl. Bellman 2003). Dies ermöglichte nicht nur komplexere und realistischere Algorithmen, sondern hatte auch positive Auswirkungen auf die Dramaturgie und den Spielfluss.

Computergestützte Planspiele und die zunächst exklusiven Teilnehmenden (das Management großer Industrieunternehmen) eröffneten die Möglichkeit, von den Vorteilen und Möglichkeiten der neuen Technologien zu überzeugen (vgl. Cohen et al. 1960, S. 316, Wiemer 2011, S. 5). Von einigen Herstellern wurden Planspiele sogar als „wichtiges Werbemittel und gutes Verkaufsargument“ (Rohn 1964, S. 29) entwickelt.

Begünstigend für die Entwicklungen sind darüber hinaus die Notwendigkeit des Umgangs mit der schnell steigenden Komplexität des Wirtschaftsumfeldes (vgl. Williams 1962, S. 127) und die zunehmende Bereitschaft der Auseinandersetzung mit neuen Lernmethoden (vgl. Wolfe 1993, S. 450).

2.1.4 Neuere Entwicklungen der Lehr-Lern-Methode ab ca. 1950

In der Literatur sind nur wenige Versuche einer systematischen Analyse der Entwicklungen der Planspielmethode nach dem zweiten Weltkrieg dokumentiert. Wenn überhaupt, wird auf eine Systematisierung von Wolfe und Teach (1987) Bezug genommen (aktualisiert von Wolfe 1993, erweitert von Faria et al. 2009). Diese bezieht sich jedoch nahezu ausschließlich auf die Entwicklungen in den USA. Die aufgeführten Phasen werden nicht weiter ausgeführt. Im Fokus bei Faria stehen nur die Wirtschaftsplanspiele, Wolfe und Teach geben hierzu keine Auskunft. Darüber hinaus orientieren sich alle drei nahezu ausschließlich an technischen Entwicklungen. Entsprechend bleibt die Systematisierung sehr vage und ungenau. Klarer und nachvollziehbarer sind Farias Analysen der Entwicklung anhand von Einzelaspekten (z. B. Faria 2001, Faria, Wellington 2004, Faria et al. 2009).

Auf ca. 500 Seiten sortiert und analysiert auch Geuting (1992) unzählige Quellen und Spiele. Diese Arbeit ist eine der besten verfügbaren Aufarbeitungen der Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. An vielen Stellen bleibt sie aufgrund des immensen inhaltlichen Umfangs jedoch unübersichtlich und trotz der sehr großen verarbeiteten Datenmenge oberflächlich.

Eine umfassende und systematische Aufbereitung der letzten 60 Jahre steht weiterhin aus. Die Schwierigkeit liegt insbesondere in der starken Verzahnung von Anwendungsfeldern und Inhaltsbereichen. Internationale Entwicklungen verlaufen zum Teil parallel, zum Teil auch zeitlich versetzt. Die Aufarbeitung erfordert auch die Analyse der Quellen hinsichtlich der jeweiligen Relevanz in Bezug auf die tatsächlichen Entwicklungen. Weniger umfassend dokumentierte Bereiche, insbesondere außerhalb der Hochschulen, müssen in Detailarbeit rekonstruiert werden.

Diese Arbeit kann dies nicht leisten, sie soll jedoch einen Beitrag dazu leisten. Hierfür werden die Entwicklungen anhand verschiedener Perspektiven skizziert.

2.1.4.1 Ausbreitung in verschiedene Themen- und Inhaltsfelder

Erste Schritte zur Ausweitung der Planspielmethode auf zivile Bereiche wurden in Japan bereits während des zweiten Weltkriegs unternommen. Kriegsspiele wurden zu gesamtpolitischen Spielen weiterentwickelt und neben Armee und Marine beispielsweise auch das Kabinett abgebildet (vgl. Goldhamer, Speier 1959, S. 72). Das steigende Interesse an politischen und weniger militärischen Lösungen von Konflikten ist der Ausgangspunkt für politische Planspiele.

Mitte der 1950er Jahre erarbeitete Herbert Goldhamer in den USA erste Konzepte für eine neue Art von politischem Spiel. Ein bekanntes Beispiel ist das „Cold War Game“, mit welchem in teils über Wochen andauernden Durchführungen verschiedene politische Strategien ausprobiert und bewertet wurden. Die Teilnehmenden übernahmen die Aufgaben der Regierungen der beteiligten Länder. Die Geschehnisse der „Natur“ und Ereignisse wie technische Entwicklungen wurden durch andere Teilnehmende, später durch Schiedsrichter repräsentiert. Deren Aufgabe war es, nur realistische Entscheidungen durchführen zu lassen und die Auswirkungen zu bewerten (vgl. ebd. S. 72ff). 1957 entwickelte Harald Gutzkow die „Inter-Nation Simulation“ und Lincoln Bloomfield 1958 das Planspielkonzept „Endicott House Game“ (vgl. Ghamari-Tabrizi 2000, S. 177). Bei beiden handelt es sich um Verhandlungsspiele, die zunehmend zu einem wichtigen Element in der Ausbildung von Studierenden der Politikwissenschaften wurden (vgl. Bloomfield, Padelford 1959, S. 1105).

In den folgenden Jahren entstanden Planspiele zu verschiedenen politischen Themenbereichen wie Außenpolitik, Innenpolitik oder Gesellschaftspolitik (vgl. Geuting 1992, S. 330).

Abgesehen von einer Ausnahme, die bereits in die 1930er Jahre zu datieren ist8, wurden in Deutschland erst ab ca. 1970 Planspiele zu politischen Fragestellungen entwickelt (u. a. Kern, Rönsch 1972 im Bereich der politisch-historischen Bildung). Ähnlich dem „Endicott House Game“ kombiniert Haubrich (1975) Rollenspielelemente und dynamisierte Fallstudien – Geuting bezeichnet diese Art als „Konferenzspiele“ (Geuting 1992, S. 352). In den folgenden Jahren entstanden ebenfalls Spiele basierend auf Ideen betriebswirtschaftlicher und militärischer Planspiele. Die Basis-Konzeption wurde von Reimann (1972) entwickelt, dauerte ca. eine Woche und umfasste ein komplexes Regelwerk sowie eine dominante Spielleitung. Diese Spiele kamen nahezu „ohne jede Programmierung, Formalisierung und Quantifizierung“ (Geuting 1992, S. 362) aus.

Neben den politischen Spielen, die zunächst eine große Nähe zu militärisch-politischen Spielen aufwiesen, entstanden ab Mitte der 1950er Jahre erste (betriebs-) wirtschaftlich orientierte Planspiele.

Das erste rein ökonomische Planspiel wurde 1956 fertiggestellt, die „Top Management Decision Simulation“ der American Management Association (AMA). Dieses für einen Großrechner programmierte Spiel, auch „mainframe game“, wurde für einen neuen Lehrgang „decision making for executives“ (Ricciardi et al. 1957, S. 111) entwickelt und als Lerninstrument in diesen integriert. Trotz vieler Weiterentwicklungen ist die Struktur dieses Spiels (u. a. mit ihren Entscheidungsbereichen, den Marktforschungsberichten und dem periodischen Ablauf) auch in vielen aktuellen Unternehmensplanspielen wiederzufinden.

Nahezu zeitgleich entstand auch das erste bekannte wirtschaftliche Brettplanspiel, das „Business Management Game“. Dieses wurde von Gerhard Andlinger und Jay Greene in Auftrag von McKinsey & Company entwickelt und 1956 / 1957 fertiggestellt. Die Spielbeschreibung wurde im „Harvard Business Review“ veröffentlicht, für einen Dollar konnten die vollständigen Spielunterlagen sowie die Spielpläne bestellt werden (vgl. Andlinger 1958a). Hierdurch gelang nicht nur eine große Verbreitung des Spiels, sondern auch der Methode insgesamt (vgl. Rohn 1964, S. 28).

Basierend auf dem Erfolg des AMA-Spiels entstanden in den folgenden Jahren weitere, sehr ähnliche Spiele, beispielsweise die „UCLA Games“ (vgl. Jackson 1959, S. 100) oder das „IBM Management Decision-Making Laboratory“ (vgl. ebd. S. 107). Letzteres basierte bereits auf einem deutlich komplexeren Marktmodell, erstmals waren die Entscheidungsgrößen auch frei festsetzbar (vgl. Cohen, Rhenman 1961, S. 136f).

Während in den ersten wirtschaftlichen Spielen nur acht bis zwölf Entscheidungen getroffen werden mussten und pro Zeitintervall meist ein ganzes Quartal abbildet wurde, erforderte die erste Version des „Carnegie Tech Management Games“ von 1959 bereits zwischen 100 und bis zu 300 Entscheidungen für jeden simulierten Monat. Entsprechend wurden auch viele hundert Einzelinformationen zur Verfügung gestellt (vgl. ebd. S. 139). Parallel zu den Entwicklungen der „mainframe games“ vollzog sich eine Diversifikation von „hand-scored“-Spielen sowie von „short-term exercises“ für Spezialbereiche wie die Personalentwicklung (vgl. Wolfe, Teach 1987, S. 181).

In den 1960er und 1970er Jahren entstanden Planspiele zu nahezu allen betriebswirtschaftlichen Themen und „nahezu ‚inkonsumerabler Quantität‘“ (Geuting 1992, S. 336, s. a. Greenblat 1975, S. 374).

In Deutschland beginnt die Auseinandersetzung mit Planspielen für wirtschaftliche Fragestellungen gegen Ende der 1950er Jahre, ausgehend von der Wirtschaft. Aufbauend auf Spielen aus dem angloamerikanischen Raum werden manuelle als auch maschinengestützte Planspiele entwickelt. Eines der ersten konzipierte Kurt Bleicher in enger Zusammenarbeit mit der BP-Benzin und Petroleum AG, der Ausgangspunkt für die Planspielreihe UB (vgl. Bleicher 1962a, S. 23), welche vor allem zu Beginn sehr ähnlich sind zu dem Spiel von Andlinger und Green. UB-5 wurde lange Zeit sowohl in Unternehmen und Hochschulen eingesetzt. Viele der in Deutschland entwickelten Unternehmensplanspiele lehnen sich bis heute an dieses Grundmodell mit einer strengen und transparenten Logik, einer quantitativen Modellkonstruktion, dokumentierten Informationsflüssen, einer klaren Rundenstruktur zur Simulation des Zeitverlaufs sowie einem durch die „Spielleitung gesteuerte[n] Rückkopplungssystem“ (Geuting 1992, S. 355f) an. Fast zeitgleich zu Bleicher entwickelt Eugen Sieber für RKW ein Handspiel mit dem Namen „Beschaffung und Lagerhaltung“ (vgl. Rohn 1964, S. 30). Interessant ist hier die Fokussierung auf einen Funktionsbereich.

1961 wird das vermutlich erste in Deutschland entwickelte Unternehmensplanspiel für einen Großrechner fertiggestellt. Entwickelt wurde es von den Farbwerken Hoechst zunächst als firmeninternes Ausbildungsinstrument. Das Spiel wurde später der Universität Frankfurt zur Verfügung gestellt. Neben Neuentwicklungen gab es auch Bemühungen, bestehende Planspiele wie UCLA-II oder IBM-II in Aus- und Fortbildungsprogramme in Deutschland zu integrieren (vgl. ebd.).

Erwähnenswert erscheinen die insgesamt positiven Bewertungen des Planspieleinsatzes von Zeitzeugen. Kritisch angemerkt werden jedoch die häufig zu gering bemessenen Zeiträume für die Entscheidungsfindung (vgl. Albach 1969, S. 9), die häufig zu hohe Anzahl von Entscheidungen je Spielrunde und die hohe Anzahl berücksichtigter Parameter im Spielmodell (vgl. Adamowsky 1964, S. 17).

Bereits sehr früh in der Entwicklung der Unternehmensplanspiele waren „top management games, functional games, and concept simulations“ (Faria et al. 2009, S. 466) unterscheidbar. Bei den Managementplanspielen übernehmen die Teilnehmenden die Aufgaben der obersten Führungsebene und die Verantwortung für ein ganzes Unternehmen. Bei den Funktionsplanspielen liegt der Fokus auf einem speziellen Bereich eines Unternehmens, beispielsweise dem Marketing, der Logistik oder der Produktion. Eine „concept simulation“ greift hingegen nur einen Aspekt heraus und vertieft diesen.

An der John Hopkins University wurden ab 1962 unter der Leitung von James Coleman soziologische Fragestellungen in Spielen abgebildet, beispielsweise der Präsidentschaftswahlkampf in den USA. In dem für Schüler entwickelten Spiel übernahmen diese in zwei Teams je ein Wahlkampfteam. Das Wechselspiel zwischen einzelnen Aktionen und den Reaktionen und Auswirkungen auf ein Gesellschaftssystem wurden über einen Computer simuliert (vgl. Boocock 1994, S. 172f). Den Nutzen von soziologischen Planspielen sieht Coleman sowohl bei den Entwicklern als auch den Teilnehmenden, da beide über das komplexe Zusammenspiel in einem Gesellschaftssystem lernen (vgl. Coleman 1975, S. 74). Das noch heute eingesetzte, gesellschaftspolitisch (und -kritisch) ausgerichtete Spiel „StarPower“ von Garry Shirts zum Thema Macht, Machtverteilung und Kommunikation lässt sich hier ebenfalls einsortieren (vgl. Allen, Carroll 2008, S. 142).

Ab 1960 entstand eine Reihe von Spielen, bei welchen die Probleme und Herausforderungen städtischer und ländlicher Regionen aufgegriffen wurden, beispielsweise der Umgang mit Ressourcen. Das vermutlich erste dieser Art ist ein „relativ einfaches Experimentalmodell“ (Geuting 1992, S. 333) von Francis Hendricks mit dem Namen „P.O.G.E. – Planning Operational Gaming Experiment“ von 1960. Neben der Abbildung eines begrenzten städtischen oder ländlichen Bereichs (z. B. „Metropolis“ von Richard Duke (vgl. Duke 1964) oder „C.L.U.G. – Community Land Use Game“ von Allen Feldt (vgl. Feldt 1966, S. 160)) entstanden ab 1969 auch sogenannte „lange-scale urban simulation models“ (Starr 1994). Auslöser hierfür war u. a. das Buch „Urban Dynamics“ von Jay Forrester (1969)9. Diese Planspielart vereinte meist mehrere Bereiche wie Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Ökologie zu einer Gesamtsystem-Perspektive.

Die beiden amerikanischen Planspiele „C.L.U.G.“ und „Metropolis“ dienten auch im europäischen und deutschen Raum als Vorbilder für regionenspezifische Planspielmodelle. Das erste in Deutschland ist vermutlich das 1969 entwickelte Stadtplanungs-Planspiel mit dem Namen „USP: Unser Spiel“. Es wurde in Anlehnung an eine Schweizer Regionalvariante konzipiert und basiert auf Realdaten der Stadt Kornwestheim (vgl. Geuting 1992, S. 334). Entwickelt wurde es im Rahmen einer Diplomarbeit an der Universität Stuttgart (vgl. Fezer 2007, S. 48) und in den folgenden Jahren auch an anderen Hochschulen eingesetzt.

Nahezu zeitgleich arbeitete auch Hans Hansen vom Zentrum für Regionalforschung in Bad Godesberg an einem ähnlichen Spiel und nahm in diesem Zusammenhang Kontakt mit Duke und Feldt auf. Aus diesem entstand die immer noch existierende ISAGA (International Simulation And Gaming Association), ein zunächst loser Zusammenschluss von Planspielinteressierten (vgl. Geuting 1992, S. 334).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Methode insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren schnell in verschiedenste Inhaltsbereiche ausbreitete. Die Entwicklung in Deutschland verlief nahezu identisch zu jener in den USA, jedoch zeitlich versetzt (vgl. Tramm 1996, S. 57). Neben den bereits genannten großen Bereichen entstanden Planspiele zu fast allen komplexen Themen, auch zu Themen wie Umwelt und zum Gesundheitswesen (vgl. Klabbers 2009, S. 31). Durch das frühe Aufgreifen nahezu aller Inhaltsbereiche war in den letzten Jahrzehnten keine größere inhaltliche Expansion mehr zu verzeichnen. Insbesondere an Hochschulen wurden Planspiele zu unzähligen speziellen Fragestellungen und für spezielle Branchen oder einzelne Unternehmen entwickelt.

2.1.4.2 Einflüsse technischer Entwicklungen

Wenngleich immer auch Planspiele ohne technische Unterstützung entwickelt wurden, ist der Einfluss technischer Innovationen auf die Entwicklungen der Methode beachtlich. Ein Blick auf die Integration der neuen Möglichkeiten verdeutlicht die Flexibilität der Methode. Trotz der schnellen Änderungen gelang es, die Chancen und Potenziale der jeweiligen Technologien zu nutzen und die Methode insgesamt weiterzuentwickeln.

Bereits vor 1950 wurden Großrechner im militärischen Umfeld eingesetzt, ab 1955 zunehmend auch für zivile Fragestellungen. Charakteristisch war die Kombination von Menschen mit quantitativ abgebildeten Systemen, sogenannten „man-machine simulation[s]“ (Geisler 1962, S. 241). Nach ähnlichem Prinzip entstanden die ersten wirtschaftlichen Planspiele mit einfachen und recht statischen Modellen (vgl. Ricciardi et al. 1957, S. 85f). Mit besseren Programmiermöglichkeiten stieg auch die Komplexität der Spiele, beispielsweise durch eine steigende Anzahl und freie Entscheidungen (vgl. Rohn 1964, S. 29). Die ersten Planspiele wurden häufig für die firmeninterne Entscheidungsfindung (vgl. ebd.) oder zu Marketingzwecken entwickelt (vgl. Bleicher 1962b, S. 105ff). Trotz deren vielfacher Nennung in der Literatur, ist deren Verbreitung als sehr begrenzt zu bewerten10.

Mit einer neuen Generation günstigerer, kleinerer, leistungsstärkerer und benutzerfreundlicherer Großrechner kam es ab Anfang der 1960er Jahre zu einer zunehmenden Kommerzialisierung und breiteren Nutzung, auch an Universitäten (vgl. Wolfe, Teach 1987, S. 181). In dieser Phase wurden einige ursprünglich als „handscored“ konzipierte Spiele auf Großrechner übertragen (vgl. Fritzsche, Burns 2001, S. 87, Duke 2011, S. 346, Starr 1994).

Die Erfindung der Tischrechner Ende der 1960er und des Taschenrechners 1975 eröffneten vergleichsweise günstige und transportable, wenn auch leistungsschwächere Alternativen (vgl. Faria et al. 2009, S. 474). Bereits Ende der 1970er Jahre kamen erste sogenannte Personal Computer auf den Markt, die sich bis Mitte der 1980er zunehmend durchsetzten (vgl. Leimbach 2010, S. 324, 334). Nahezu zeitgleich wurde auch eine deutlich optimierte grafische Benutzeroberfläche entwickelt, das Grafical User Interface (GUI). Innerhalb kurzer Zeit spielten Großrechner für Planspiele keine Rolle mehr. Einige Spiele wurden auf die neue Technologie transferiert, die meisten jedoch verschwanden (vgl. Wolfe 1993, S. 452).

Mit den Veränderungen der Hardware veränderten sich auch die Programmiersprachen und -möglichkeiten (vgl. Schultz, Sullivan 1972, S. 18ff). Zu Beginn des Einsatzes von Computern wurden Programme für spezielle Großrechner entwickelt und waren nur auf diesen nutzbar (vgl. Bleicher 1962b, S. 98ff, Rohn 1964, S. 108ff). Erst mit den ersten Standard-Betriebssystemen (z. B. MS DOS, MS Windows) vereinfachten sich die Programmierung und die Nutzung auf verschiedenen Systemen.

Die Verfügbarkeit des Internets für zivile Nutzung ab 1991 bezeichnen Faria et al. als weiteres „seminal event“11 (Faria et al. 2009, S. 469). Erst ab Beginn des neuen Jahrtausends wurde damit begonnen, Planspiele vollständig ins Internet zu verlagern und die umfänglich Möglichkeiten zu nutzen (z. B. schneller Datenaustausch über große Entfernungen, Einsatz von Netzservern zur Berechnung, asynchrones Arbeiten; vgl. ebd., S. 469ff, Högsdal 2013, S. 44f). Dies führte vor allem bei Fernplanspiel-Konzeptionen zu erheblichen Erleichterungen. Im Gegensatz zu der Erfindung des PCs führte das Internet zu keinem umfassenden Technologiewechsel. Seit einigen Jahren wird zunehmend auch mit einem Einsatz mobiler Endgeräte experimentiert. Wie sich dies mittelfristig auswirkt, ist noch nicht absehbar.

2.1.4.3 Differenzierung der Einsatzzwecke

Bereits angesprochen wurde die Verwendung der Planspielmethode bzw. deren methodischen Kerns als Trainings- und Ausbildungsmethode und als Entscheidungshilfe bzw. als Forschungsinstrument. Beide Formen gab es bereits vor den Veränderungen in den 1950er Jahren. Weitere Einsatzzwecke kristallisierten sich im Laufe der Zeit heraus.

Einsatz als Trainings- und Ausbildungsmethode

Als Trainings- und Ausbildungsinstrument wurde die Planspielmethode zunächst für das obere Management eingesetzt (vgl. Rohn 1964, S. 28). Viele der frühen betriebswirtschaftlichen Planspiele wurden gemeinsam mit Universitäten entwickelt und entsprechend auch dort getestet und eingesetzt. Die vermutlich erste Nutzung eines Unternehmensplanspiels im Rahmen einer Lehrveranstaltung erfolgte an der University of Washington und kann auf 1957 datiert werden (vgl. Faria et al. 2009, S. 465), bei politischen Planspielen ist dies bereits früher, spätestens jedoch im gleichen Jahr der Fall (vgl. Bloomfield, Padelford 1959, S. 1105, Goldhamer, Speier 1959, S. 81). Bereits Ende der 1950er Jahre stand eine große Anzahl an möglichen Planspielen für Hochschulen zur Verfügung (vgl. Bassler, Litterer 1959, S. 128). Spätestens ab 1962 mit dem Start des „Hopkins Games Program“ von James Coleman begann auch die Erforschung und Erprobung des Einsatzes von Planspielen als Lehrinstrument im Sekundarbereich an Schulen (vgl. Boocock 1994, S. 174). Die Ausweitung des Einsatzes im schulischen Bereich erfolgte insbesondere in den 1970er Jahren (vgl. Tramm 1996, S. 57). Wissenschaftlich tragfähige Aussagen über den derzeitigen Umfang des Einsatzes von Planspielen als Ausbildungs- und Lerninstrument sind nicht verfügbar.

Einsatz als Experimental- und Forschungsumgebung

Schon bei der Deskription der geschichtlichen Entwicklung wurde auf die Verwendung der simulierten Umgebungen für die Entscheidungsfindung (Operations Research) hingewiesen. Einen Höhepunkt fand diese Nutzungsform während des zweiten Weltkriegs (s. o.). Auch in der Wirtschaft wurden die Simulationsmodelle als Entscheidungshilfe genutzt, insbesondere in den ersten Jahren (s. o.). Ab den 1950er Jahren wurden Simulationsumgebungen verstärkt zur Verbesserung des Systemverständnisses entwickelt. Zum einen wurden problemorientierte Modelle erstellt, um während des Konstruktionsprozesses die Realität zu durchdringen. Zum anderen wurde die Simulationen als Experimentalumgebung genutzt. Im Vergleich zu klassischen Experimenten musste nur ein Modell, nicht aber die Realität manipuliert werden (vgl. Schultz, Sullivan 1972, S. 22ff).

Aufgrund der Erfahrungen mit den unterschiedlichen Verhaltensweisen der beteiligten Menschen entstand gegen Ende der 1950er Jahre eine weitere Forschungsperspektive, die Erforschung menschlichen Verhaltens in verschiedenen Situationen (vgl. Babb et al. 1966, S. 468f). Beispielsweise wurde in der psychologischen Abteilung der Universität von Princeton ein Projekt zur Erforschung der Entscheidungsgründe für eine Strategie oder Taktik mit einem Planspiel durchgeführt, in welchem mehrere Teams als Autohändler gegeneinander antraten (vgl. Stewart 1961, S. 176)12. Ab den 1970er Jahren nutzte in Deutschland insbesondere Dietrich Dörner diese Methode zur Erforschung der „Bedingungen und Formen des Handelns in Unbestimmtheit und Komplexität“ (Dörner et al. 1983, S. 13). Hierfür wurden spezielle Umgebungen gestaltet, beispielsweise „Lohhausen“ (vgl. Strohschneider, Schaub 1995, S. 188, Funke 1995, S. 206).

Einsatz als Instrument zur Personalauswahl

Im Anschluss an die Erforschung des menschlichen Handelns diskutierte Eilon bereits 1963 die Verwendung von Planspielen für die Personalauswahl (vgl. Eilon 1963, S. 144). Erst 20 Jahre später wird die Diskussion über die Verwendung von Planspielen in dynamisierten Assessment-Centern auch in Deutschland geführt (vgl. Jeserich 1985, Trauernicht 2001, S. 50, Kreuzig 1983). Die Erkenntnisse von Dörner gaben entscheidende Impulse für die Weiterentwicklungen (vgl. Kreuzig 1995b, S. 93ff, Trauernicht 2001, S. 56). Insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren gab es vielfältige Entwicklungen, Versuche und kontroverse Diskussionen zum Einsatz von Planspielen zum Zweck der Personalauswahl (z. B. Berthel et al. 1988, Gust 1995, Obermann 1995, Kreuzig 1995a, Trauernicht 2001, S. 58f). Derzeit wird die Verwendung von planspielähnlichen Verfahren für die Personalauswahl kaum mehr diskutiert, vermutlich auch aufgrund des vergleichsweise hohen Aufwands.

Einsatz im Rahmen von Wettbewerben

Durch diese implizierte Wettbewerbssituation insbesondere bei Unternehmensplanspielen lag die Nutzung der Methode für Wettbewerbe nahe. Basierend auf Beispielen aus England und Dänemark wurde in Deutschland 1971 die Planspielmethode erstmals für einen großen Wettbewerb eingesetzt. Dieser Fernplanspielwettbewerb wurde vom Universitätsseminar der Wirtschaft (USW) und der Zeitschrift „Plus“ ausgeschrieben und richtete sich ausschließlich an Manager aus Wirtschaft und Verwaltung. Die Entscheidungen der deutschlandweit verteilten Teams wurden per Post eingesendet, mit einem zentralen Großrechner verarbeitet und die Ergebnisse erneut zurück gesendet (vgl. Högsdal 2013, S. 17). Dieser Wettbewerb wird noch heute regelmäßig durchgeführt (vgl. Florschuetz, Nill 2009, 3, Heinen, Nill 2009, S. 11). Während zu Beginn vor allem der Wettbewerb im Fokus stand, steht heute der Lernaspekt im Fokus.

Begünstigt durch die Verbreitung des Internets entstanden in den 1990er Jahren Wettbewerbe für Einzelpersonen oder Gruppen, als Fernplanspielwettbewerb oder in Präsenzform und zu verschiedenen Themen. Während sich die Angebote zunächst an Studierende und Erwachsene richteten, rückten ab Ende der 1990er Jahre auch Schüler in den Fokus (vgl. Högsdal 2013, S. 32ff). Zu Beginn wurden meist Planspiele eingesetzt, die auch als Lerninstrumente genutzt wurden, bei späteren kamen Spezialentwicklungen zum Einsatz, die für den Seminarkontext gänzlich ungeeignet sind. Einige der Wettbewerbe wurden von Unternehmen zur Markenbildung oder als Recruiting-Instrument genutzt (z. B. die Zeitschrift „Plus“, WestLB, Focus, Detecon, Wirtschafts-Woche). Andere wurden aus öffentlichen Mitteln finanziert und sollen für spezielle Themen (z. B. Existenzgründung) sensibilisieren.

Einsatz zur Unterhaltung

Eine nur selten angemerkte und nicht umfassend analysierte Nähe gibt es zwischen Planspielen und einigen Gesellschaftsspielen. Grund hierfür ist vermutlich auch die Angst vor Legitimationsproblemen. Ein Beispiel ist das über Jahrzehnte erschienene Wirtschaftsspiel „bigboss“ (1968), dass bis 1998 unter verschiedenen Namen („Hallo Boss“ 1969, „Play Boss“ 1972, „Playboss“ 1977 / 1991, „Econy“ 1998) mit nur kleineren Modifikationen in verschiedenen Verlagen erscheint. Es wurde von Harald Riehle, dem damaligen Geschäftsführer der Esslinger Rechenschieberfabrik entwickelt.

Erstaunlich ist, dass das zur Unterhaltung entwickelte Spiel wiederum im Bildungsbereich eingesetzt wurde. So berichtet DIE ZEIT 1970 in einem Beitrag von verschiedenen damals aktuellen Gesellschaftsspielen, die in Schulen und Unternehmen sowie von Privatpersonen genutzt wurden, um etwas über das jeweilige Themenfeld zu lernen. Als Beispiele werden neben anderen „Das Börsenspiel“, „Öl für alle“ und das bereits erwähnte „Big-Boss“ genannt (vgl. Lawrenz 1970). Aktuell werden beispielsweise an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg Gesellschaftsspiele als spielerische Umgebung zum Trainieren von Führungssituationen verwendet (vgl. Hettfleisch 2010, S. 10).

Interessant ist, dass viele Planspiele für verschiedene Zielsetzungen verwendet wurden. Eine wie hier vorgenommene analytische Differenzierung ist für ein einzelnes Planspiel deutlich schwerer oder gar nicht möglich. Entsprechend des Themas dieser Arbeit werden nicht alle Formen, sondern nur die Verwendung von Planspiel als Lernumgebung weiter verfolgt.

2.1.4.4 Begleitende Institutionalisierung

Parallel zur inhaltlichen und technischen Entwicklung sowie der zunehmenden Verbreitung der Methode ab den 1950er Jahren entstehen weltweit Interessensverbände und Netzwerke. In den USA sind vor allem zwei Verbände von Bedeutung, das 1962 gegründete „East Coast War Games Council“ mit Fokus auf militärische Anwendungsbereiche und das als Gegenpol 1974 entworfene interdisziplinäre Netzwerk ABSEL (Association for Business Simulation and Experiential Learning). In Folge dessen wurde auch das das „East Coast War Games Council“ geöffnet und 1975 in NASAGA (North American Simulation And Gaming Association) umbenannt, ihren noch heute gültigen Namen (vgl. Faria et al. 2009, S. 468f).