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Ein gefährliches Spiel
Als Wynn Watson das Herz gebrochen wird, scheint ihr Traum von der großen Liebe für immer zerplatzt. Sie schwört, all ihre Gefühle von nun an auf Eis zu legen - bis sie eines Abends auf den erfolgreichen Pokerspieler Cullen "Playboy" Carmichael trifft. Es knistert gewaltig zwischen ihnen, und sie lassen sich auf eine Wette ein, die sie mit Haut und Haaren verschlingt. Tief in ihrem Innern weiß Wynn jedoch, dass sie noch immer nach der wahren Liebe sucht. Aber lässt sich Cullens ewige Jagd nach dem Glück mit ihrer Sehnsucht vereinbaren?
"Katy Evans’ Bücher sind wie Achterbahnfahren! Die Aufregung, die Spannung bringen mich immer wieder zurück zu ihren grandiosen Liebesromanen!" KYLIE SCOTT, SPIEGEL-Bestseller-Autorin
Band 5 der MANWHORE-Serie
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Seitenzahl: 428
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Die Frau
Vierling
Das Fest
Die Wette
Highroller
Rotschopf
Jobs
Flush
Heute Abend
Showdown
Herzkönig
Craps
Konzert
Was in Vegas passiert …
Vorwarnung
Verräterische Zeichen
Win und Wynn
Mischen
Einsatz erhöhen
Full house
Royal flush
Bluff
Vegas, Baby
Spieler
Poker
Texas hold’em
Der Finaltisch
Epilog
Top pair
Junggesellinnenabschied
Jungs
Für immer
Liebe Leserinnen und Leser
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Katy Evans bei LYX
Impressum
KATY EVANS
Playboy
WENN DU DICH VERLIERST
Roman
Ins Deutsche übertragen von Hans Link
Nachdem der dreißigjährigen Galeristin Wynn Watson das Herz gebrochen wurde, beschließt sie, Beziehungen ein für alle Mal aus dem Weg zu gehen. Sie will sich nur noch ihrer Passion, der Kunst, widmen und Männern nicht mehr als eine heiße Nacht zugestehen. Als Wynn sich auf ein mittelmäßiges Date einlässt, das sie zu einem fragwürdigen Pokerspiel führt, trifft sie auf den geheimnisvollen und gut aussehenden Cullen Carmichael – auch bekannt als »Playboy«. Cullen ist ein erfolgreicher Glücksspieler, der ganz genau weiß, was er will und wie er es bekommen kann. Sofort knistert es zwischen den beiden, und als sie sich auf der Hochzeit ihrer besten Freundin wiedersehen, ist die Anziehung noch genauso stark. Doch ihre Lebenswelten sind einfach zu verschieden. Beide gehen eine verruchte Wette ein, bei der sie den Beruf des anderen kennenlernen und bewerten sollen. Kunst gegen Spiel. Vernunft gegen Risiko. Mit seinen eisig silbernen Augen zieht Cullen die junge Galeristin in seinen Bann, und Wynn ist ohnehin nur darauf aus, sich etwas Ablenkung zu gönnen. Was dürfte also mehr Spaß versprechen als ein solch brandheißes Spiel? Doch für Wynn könnte es allerdings gefährlicher werden als sie es je hätte ahnen können. Denn der Einsatz ist hoch – und beide haben viel zu verlieren …
Für die Risikobereiten und die Liebesbereiten …
»Ist das hier nicht gefährlich?«, frage ich, als mein Date seinen Wagen neben einem Dutzend anderer Autos einparkt.
Die Wagen sind alle zu elegant für diese Gegend.
Meine Finger zittern, als ich die Tür öffne und in die unheimliche Stille trete. Dann beobachte ich, wie mein Date aus dem Wagen hüpft und ein Selfie von sich neben einem königsblauen Sportwagen knipst. Ich runzle verwirrt die Stirn. Was macht der da?
Oh Gott. Bin ich wirklich auf einem Date mit diesem Typen? Wirklich?
»Entspann dich, das wird Spaß machen.« Er deutet auf eine riesige, bedrohlich aufragende Lagerhalle. Mein Herz hämmert ängstlich schneller, doch ich gehe mit.
Als er mich abgeholt hat, eröffnete mein Date mir, dass er mich zu einem geheimen Pokerspiel in der Unterwelt von Chicago ausführen werde. Jetzt zweifele ich an meinem Urteilsvermögen und frage mich, ob es sich damit so ähnlich verhält wie mit der Jungfräulichkeit? Wenn sie einmal weg ist, kriegt man sie nicht zurück.
Schließlich befinden wir uns hier im schlimmsten Teil der Stadt, deren Wolkenkratzer in der Ferne wie Bodyguards aus Beton aufragen. Das ist beängstigend und gleichzeitig tröstlich, aber ich bin nicht so naiv zu glauben, ich wäre hier sicher. Wir befinden uns im Hoheitsgebiet von Straßengangs. Wer immer dieses Pokerspiel organisiert hat, zahlt eine hohe Abgabe, um hier spielen zu dürfen.
Als ich mich auf dem Parkplatz umschaue, um sicherzugehen, dass uns niemand mit vorgehaltener Waffe den Weg verstellt, bevor wir das Gebäude erreichen, streiche ich nervös über mein Kleid. Dieser Abend sollte eigentlich Spaß machen.
Er sollte eine nette Abwechslung für mich sein.
Ein Tapetenwechsel.
Ein Abend, an dem ich mal aus der Wohnung komme.
Gefängnis stand allerdings nicht auf dem Programm. Und wahrscheinlich mache ich mich schon dadurch strafbar, dass ich durch die verdreckten, schiefen Türen dieser riesigen Lagerhalle trete.
Ich mache nie etwas Ungesetzliches.
Ich bin mit meinen dreißig Jahren eine solide, verantwortungsbewusste Frau. Himmel, ich bin längst über das Alter hinaus, ab dem ich früher glaubte, ich wäre sicher verheiratet und hätte Kinder. Alle meine Freundinnen sind verheiratet. Rachel hat einen Sohn und eine Tochter, Gina hat eine Tochter, und Livvy heiratet dieses Wochenende. Und ich? Ich habe eine lange Abfolge von Trennungen vorzuweisen. Der Höhepunkt war die letzte, durch die sich vier Jahre Beziehung zu einem großen Nichts reduziert haben.
Ich war mit einem Bindungsphobiker zusammen. Ich wusste es damals nicht, und er hat es auch nicht gewusst. Er konnte sich nicht zu dem Schritt durchringen, mir einen Antrag zu machen – geschweige denn zu dem Dutzend Schritten, die nötig gewesen wären, um zum Altar zu gehen und dort auf mich zu warten. Er bat mich immer wieder um Zeit, und ich gab sie ihm. Ich habe ihm alles gegeben. Ich dachte, er wäre der Richtige. Ich dachte, der Richtige würde kommen, wenn ich bereit sei.
»Nein, das war er nicht. Er war nicht der Richtige, das sage ich dir. Wenn er es gewesen wäre, wärst du …«
»Verheiratet und würdest haufenweise Babys bekommen«, hat Rachel letzte Woche Ginas Satz beendet, als wir über meine Trennung sprachen.
Ich saß in düsterem Schweigen da und starrte auf die Schachtel mit den Papiertaschentüchern vor mir. Außerstande zu glauben, dass er mich auf diese Art weggeworfen hatte. Selbst jetzt kämpfe ich noch darum, die Scherben meines Lebens wieder aufzusammeln.
»Wenn ich diesen Typen besiegen kann, kann ich verdammt noch mal alles schaffen. Alles. Sogar die Hold’em Championship in Texas gewinnen.«
In der Stimme meines Dates schwingt ein leichtes Beben der Erregung mit.
Wenn Rachel oder Gina mich jetzt sehen könnten, würden sie vor Schreck umkippen. Sie haben mich immer als die Süße gesehen. Die Unschuldige. Ich habe noch nie auch nur einen Strafzettel beim Parken bekommen.
Und jetzt gehe ich mit einem Mann, den ich gerade erst kennengelernt habe, zu einem illegalen Pokerspiel?
Natürlich ist mein Date nett und einigermaßen gut aussehend. Mittelgroß, hübsches, braunes Haar, braune Augen mit Lachfältchen drumherum. Wir haben uns in der Galerie kennengelernt, als er ein Werk aus meiner letzten Ausstellung gekauft hat, und ich bewundere Menschen, die Kunst so lieben wie ich. Ich bin mir nicht einmal sicher, warum ich dem Date überhaupt zugestimmt habe. Nur dass die Sache klar war, als ich die Wahl zwischen einem Abend allein in meiner Wohnung und Ausgehen hatte. Obwohl ich kein Interesse daran habe, mir noch einmal das Herz brechen zu lassen oder überhaupt irgendetwas mit irgendeinem Mann anzufangen, weiß ich auch, dass ich über meinen Ex hinwegkommen muss, und das kann nicht klappen, wenn ich nicht offen für neue Dinge in meinem Leben bin. Ich habe vor, mich auf meine Galerie zu konzentrieren und von Männern gänzlich die Finger zu lassen – oder zumindest von etwas Ernstem mit irgendeinem Mann. Aber ich muss mich trotzdem ablenken, wenn ich über ihn hinwegkommen will.
Emmett, ein aufstrebender Koch, hätte mich nicht ein paar Häuser weiter auf einen Hotdog eingeladen, außer wenn er ihn selbst in seiner Restaurantküche hätte zubereiten können. Und selbst dann hätte ich einen Termin vereinbaren müssen.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich hier bin.
Doch sobald mein Blick auf die schiefen Türen der Lagerhalle fällt, die wir gleich betreten werden, fühle ich mich an all die schlechten Entscheidungen erinnert, die ich in meinem Leben schon getroffen habe. Lebensentscheidungen in Bezug auf Männer, mit denen ich auszugehen bereit war.
Als wir eintreten, beschließe ich, weniger fordernd zu sein – ein Problem, das ich Emmett zufolge hatte – und einfach etwas guten alten illegalen Spaß zu haben.
Über einer Reihe von runden Tischen hängt eine Rauchwolke in der Luft, und etliche Spiele sind im Gang.
Dunkles Holz. Abgehängte Decken. Der Raum scheint mit seinen Bochara-Teppichen und den Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden direkt aus einem alten Film zu stammen. Ich erkenne auf den Fotos einige legendäre Chicagoer Verbrecher.
Das ist ein Zeichen. Diese Spiele laufen ohne behördliche Genehmigung. Ein Pokerraum wie dieser kann im Handumdrehen hochgehen. Ich weiß das, weil ich Filme gesehen habe, nicht weil ich gern Bonnie wäre und beschlossen habe, mich mit Clyde einzulassen.
»Scheiße, er ist hier.«
Mein Date atmet aus, dann kneift er sich in die Nase und versucht, Luft zu holen.
»Wer ist hier?«
»Der verdammte Zar des Pokerspiels. Aktueller Weltmeister. Eine regelrechte Legende. Eiskalte Augen, man weiß nie, was er denkt. Das beste Pokerface überhaupt. Ich sage dir, wenn ich den schlage, bin ich nicht mehr aufzuhalten. Mein Name wird überall zu sehen sein.« Carson, mein Date, schaut sich im Raum um.
Ich bin kein Pokerfan, aber wenn man bedenkt, wie mein Date sich benimmt, sollte ich den Typen vielleicht um ein Autogramm bitten.
»Scheiße, er ist es wirklich. Tut mir leid, meine Hand ist verschwitzt.« Er scheucht mich weiter, und ich bin froh, dass er nicht nach meiner Hand greift, denn in letzter Zeit mag ich es wirklich nicht mehr, wenn Männer mich ungefragt anfassen. Ich folge ihm zu einem Tisch am Ende des Raums und spüre, dass ein Typ am Ende des Tisches mich beobachtet.
Ich schlucke.
Der Mann hat kein glattes Äußeres, kein bisschen. Er hat eine weltliche, ungeschliffene, unwiderstehliche Präsenz. Wie ein Magnet scheint er den ganzen Raum in seinen Bann zu ziehen. Ich schätze ihn auf Anfang dreißig. Und er ist so heiß wie Feuer.
Ein Schauer überläuft mich, da sein Blick auf mir ruht.
Silberne Augen wie Diamanten, die in Platin getaucht wurden, kalt wie Eis, glänzend wie Glassplitter. Sein Kinn ist kantig und fest, seine Lippen unbewegt, obwohl sie unverschämt samtig aussehen. Sein schwarzer Pullover liegt straff über breiten, kräftigen Schultern, und ich kann die Muskeln darunter erkennen. Der Stoff spannt sich über seinem Bizeps, und seine Hände liegen auf dem Tisch. Aus irgendeinem Grund bemerke ich die Tatsache, dass er lange, starke Finger und gebräunte Hände hat.
Ich schlucke erneut. Sein Blick ist wie eine Berührung. Ich spüre ihn auf mir, und er lässt meine Haut ganz seltsame Dinge tun. Der Mann mustert mein schwarzes Stretchkleid bis hinunter zu meinen Oberschenkeln. Begutachtet meine Beine. Bis hinunter zu meinen High Heels. Atme, Wynn. Ich stoße nervös die Luft aus und folge meinem Date. Und der heiße Glücksspieler mit den Silberaugen folgt mir mit seinem Blick.
Während ich einen Fuß vor den anderen setze. Unablässig.
Mein Mund wird trocken, und ich fühle mich plötzlich unsicher, wenn ich daran denke, wie kurz und eng anliegend mein schwarzes Kleid ist.
»Er sieht uns direkt an, Alter, fick mich«, sagt Carson.
Richtig. Alter, fick mich.
Carson zieht dem Typen gegenüber einen Stuhl an den Tisch, und ich pflanze meinen Hintern darauf, in dem Bewusstsein, dass die Männer am Tisch mich beobachten. Ganz besonders er.
»Sie sind spät dran.« Seine Stimme ist tief und klangvoll und schrecklich, schrecklich sexy.
»Tut mir leid, tut mir leid. Es hat eine Weile gedauert, bis mein Date runtergekommen ist …«
Ich hasse die Röte, die meine Wangen hinaufkriecht, als Carson mir die Schuld daran gibt, nicht rechtzeitig fertig gewesen zu sein. Ich bin rothaarig, daher hasse ich es, ein rotes Gesicht zu bekommen. Ist es nicht üblich, dass eine Frau beim ersten Date fünf Minuten zu spät kommt – mindestens? Man darf nicht zu bedürftig wirken. Aber andererseits bin ich dreißig und Single. Vielleicht muss diese Strategie ein wenig überdacht werden.
Der Typ sieht ihn nur an, und irgendwie spüre ich, dass er seine Ausrede abstoßend findet. Ich bin rot wie eine Tomate und habe das Gefühl, ich müsste die Reste meines Kadavers aus den Zahnzwischenräumen der Wölfe pulen, denen mich dieser Mistkerl von Date gerade zum Fraß vorgeworfen hat.
Silberauge wirft mir einen kurzen Blick zu, und zwischen meinen Beinen kribbelt es. Ich schaue weg, als mein Date ein paar Geldscheine hervorzieht und im Gegenzug ein Tablett mit Chips bekommt.
»Ich bin übrigens Carson …«, stellt er sich verspätet vor, steht auf und zieht mich am Ellbogen zu dem Typen hinüber.
»Ich bin Carson«, wiederholt er. »Und das ist … mein Date«, stellt er uns unbeholfen vor.
»Hey. Ich bin, ähm …« Hat Carson gerade meinen Namen vergessen? Ich will ihn sagen, aber als die silbergrauen Augen des Typen mich aus dieser Nähe mustern, verliere ich offenbar gänzlich die Gabe, zu sprechen.
Gott, existieren Augen von dieser Farbe überhaupt?
Ja, das tun sie. Metallisch, scharf und hypnotisierend. Ich strecke die Hand aus. Er ergreift sie, und seine Hand ist warm und fest.
»Was wollten Sie sagen?« In seiner Stimme schwingt ein Lächeln mit. In seiner tiefen, schrecklich maskulinen Stimme.
Ich ziehe die Hand zurück und reibe das Kribbeln, das er hinterlassen hat, an meinem Kleid weg. Tausend Augen ruhen auf uns, als wir zu unseren Plätzen zurückkehren. Das ist also der Mann, über den mein Date die ganze Zeit gefaselt hat?
Offensichtlich kapiere ich das Gefasel jetzt.
Diese ganze Sache macht mich nervös. Ich schaue mich im Raum um und bemerke, dass jede Menge Frauen hier sind – viele von ihnen schauen in die Richtung des Mannes, der wohl der größte Pokerspieler in der Stadt ist.
Ich glaube nicht, dass ich jemals so auf einen Mann reagiert habe wie auf diesen. Mein Herz hämmert so heftig, dass es mir vorkommt, als würde es über Lautsprecher übertragen und durch den ganzen Raum dröhnen.
Als sich der Tisch für das nächste Spiel organisiert, versuche ich zu atmen, mich zu beruhigen und daran zu erinnern, dass mir das hier Spaß machen sollte.
Silberauge beobachtet mich unverhohlen.
Als er mir ein laszives, schiefes Lächeln schenkt, ist mein Unterleib Feuer und Flamme – viel zu sehr für meinen Geschmack. Scheiiiiße, wie soll ich hier sitzen und unbeteiligt tun?
Ich schließe die Augen und atme.
»Na, Ersttäterin?«, fragt er, als säße niemand sonst am Tisch außer uns beiden.
Verflucht noch mal. Hat er eine Kristallkugel? Offensichtlich hat er Eier aus Stahl, etwas, was manche Männer niemals haben werden.
»Kommt drauf an, was Sie unter ›Ersttäterin‹ verstehen«, sage ich hinhaltend.
Er hebt die Hand, und sofort ist ein Kellner an seiner Seite. »Einen Whisky on the rocks für die Dame. Und einen für mich.«
Nun. Geschmeidig, nicht wahr?
»Erstes Spiel?«, konkretisiert er.
»Ja. Poker-Jungfrau.« Ich bin bewusst anzüglich.
»Gut. Ich komme gern als Erster zum Zug.« Sein Gesichtsausdruck bleibt völlig neutral. Für eine Sekunde glaube ich, er könnte mich gleich in die nächste dunkle Ecke zerren, und es überrascht mich, wie sehr mir dieser Gedanke gefällt.
»Dann wollen wir anfangen.« Er verzieht kaum merklich die Lippen.
Er beobachtet mich, als wüsste er genau, was ich denke.
Und wow. Dieser Typ ist noch krimineller als dieses ganze Glücksspiel-Etablissement.
Karten werden gemischt und dann ausgeteilt. Jeder Spieler bekommt zwei Karten, und nachdem sie ihr Blatt betrachtet haben, platzieren sie ihre Einsätze. Es gibt eine Reihenfolge, aber ich habe keine Ahnung, wonach sie sich richtet. Wahrscheinlich hat sie etwas mit diesem weißen Plastikknopf auf dem Tisch zu tun. Ich werde schon dahinterkommen, vorausgesetzt, mein Date bleibt lange genug im Spiel.
Silberauge nimmt seine Karten in Augenschein, um zu sehen, was er auf der Hand hat. Mit einer fließenden Handbewegung legt er sie verdeckt auf die Filzdecke, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Seine Züge sind undurchschaubar, während er seine Gegner mustert, bis … sein Blick wieder auf mich fällt.
Diesmal lächelt er nicht.
Und das macht mich nervös.
Er fährt fort, mich anzuschauen. Ich spüre, dass er weiß, wie ich mich innerlich winde, aber es ist ihm egal. Ein heißes kleines Prickeln beginnt in meiner Magengrube, als ich seinen Blick erwidere. Ich sitze ganz reglos da und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass er eine Wirkung auf mich hat. Aber wie könnte er keine haben? Er hat sogar eine Wirkung auf mein Date, das spürbar nervös neben mir sitzt.
Silberauge greift schließlich in seinen Stapel Chips und wirft die Hälfte seines Geldes in den Pot.
Einige Männer steigen sofort aus. Ein oder zwei sagen: »Fold.« Mein Date schiebt widerstrebend die Hälfte seiner Chips rüber und sagt: »Ich gehe mit.«
Dann decken sie ihre Karten auf. Mein Date verliert, und Silberauge gewinnt mit einem Drilling. Drei Damen.
Die Ironie entgeht mir nicht.
Die Karten werden erneut ausgeteilt.
Ich versuche, den Typen nicht anzusehen, aber einmal mehr spielt er sein Blatt aus, und dann tut er nichts anderes, als mich zu beobachten. Es verunsichert mich, sein Blick ist laserscharf und direkt und sehr, sehr greifbar. Ich spüre ihn auf meinem Gesicht. Seine Männlichkeit erweckt meine Weiblichkeit zum Leben.
Gott sei Dank sitze ich, denn wenn ich stehen würde, wären meine Knie weich, und ich würde mich lächerlich machen.
Rachel wüsste, wie man mit einem heißen Hengst wie diesem umgeht. Der legendärste Aufreißer der Stadt, Malcolm Saint, hat ihr den Hof gemacht, und sie hat es geschafft, seinem Werben zu widerstehen, ohne einzuknicken. Jedenfalls für eine kurze Zeit. Und ich? Drei Minuten, und mein Höschen ist bereits feucht.
Dieser Typ … er kann offensichtlich jede Frau haben, die er will. Die Kellnerinnen, die im Lagerhaus herumlaufen, werfen ihm interessierte Blicke zu. Aber er ignoriert sie. Ich bemerke außerdem, dass er sehr, sehr interessiert daran ist, mit meinem Date Karten zu spielen, denn jetzt ruht seine Aufmerksamkeit auf Carson. Das scheint mein Date nervös zu machen, und die Anspannung im Raum ist beträchtlich gestiegen.
Einige der Spieler steigen aus, als sie spüren, dass es bei dem Spiel um mehr geht als darum, Chips zu gewinnen. Silberauge mustert Carson und streicht dann nachdenklich über seine Chips, bevor er einen Stapel hinter den anderen schiebt. Carson wirft seinen kleinen Stapel aus Versehen um, ist offensichtlich wahnsinnig nervös.
Da es mir stellvertretend für ihn peinlich ist, wende ich schnell meinen Blick ab.
»Sind Sie eine Spielernatur?«, fragt mich ein älterer Herr, der dicht über dem Filz drei Chips in einer Hand herumschiebt.
»Nein.« Ich klinge zu ausweichend. »Ich meine, ich könnte spielen.« Jeder kann hier Geld verlieren, richtig?
»Wollen Sie eine Nebenwette abschließen?« Ich antworte nicht, und er fügt hinzu: »Ihr Freund wird in fünf Runden oder weniger seine Pokerkasse verloren haben.«
»Er ist nicht mein …«
»Ich erhöhe«, sagt Silberauge schließlich und platzt in einem günstigen Augenblick in das Gespräch. Er gebietet Aufmerksamkeit und bekommt sie. Die anderen Spieler richten sich auf und registrieren es.
Mein Date stottert: »Ich … ich kann nicht mitgehen … ich habe keine Chips mehr.«
Silberauge lässt den Blick langsam wieder zu mir wandern, sein Gesichtsausdruck undeutbar. »Die Frau.«
Meine Augen weiten sich.
Mein Date sieht mich mit ebenso weit aufgerissenen Augen an.
Mein Herz stottert.
Ich springe unbeholfen auf, aber Carson hält mich am Ellbogen fest. »Er will, dass du hierbleibst«, zischt er. »Er zwingt mich, All-in zu gehen.«
»So wie es aussieht, zwingt er mich, All-in zu gehen.« Ich senke die Stimme. »Hör mal, es ist mir egal, wer …«
»Ich habe ein großartiges Blatt. Bitte …« Carson zeigt mir diskret seine Karten. Er hat ein Full House. Er klingt verzweifelt, und ich fühle mich mies. Gleichzeitig bin ich sauer. Dieser Typ spielt in einer ganz anderen Liga.
»Bitte, Wynn.«
Und jetzt erinnert sich der Mistkerl an meinen Namen.
Also setze ich mich.
Es findet ein stummer Austausch zwischen dem mysteriösen Spieler und dem alten Herrn statt. Der alte Herr schüttelt missbilligend den Kopf, dann steigt er aus. »Wenn Sie es sagen.«
Ich höre nicht, dass sie weitere Worte wechseln.
Der Typ auf der anderen Seite des Tisches macht mich nervös. Er sieht mich im Moment nicht an und beäugt stattdessen Carson, aber ich kann nicht aufhören, ihn anzustarren – Silberauge. Er hat diese Art Mund, der starr ist, bei dem man sich aber fragt, wie er sich anfühlt, und ein entschlossenes Kinn und … lass das, Wynn! Du hast Männern abgeschworen, erinnerst du dich? Außer Sex, aber du wirst nicht einmal in die Nähe dieses Casanovas da drüben gehen!
Ich kaue auf meiner Unterlippe und tue so, als würde der Mann gegenüber am Tisch mich nicht in ein ebenso großes Nervenbündel verwandeln, wie er es gerade mit meinem Date zu tun scheint.
Sobald alle bis auf Carson ausgestiegen sind, zeigt mein Date sein Blatt, und der Typ deckt seine Karten auf und verschränkt die Arme vor der Brust. Er hat einen Straight Flush. Alles Asse.
Ich blinzle.
Was zur Hölle ist gerade passiert?
Mein Date hat verloren? Und hat mich dabei an diesen Typen verkauft?
In den Augen des Mannes schimmert Sieg. »Wollen Sie Ihren Stuhl hier herüberbringen?«, fragt er mich und deutet langsam mit dem Kopf neben sich.
Ich weiß wirklich nicht, worauf ich mich da eingelassen habe, aber ich beschließe, dass ich am besten dran bin, wenn ich mich rausziehe. Also stehe ich auf und wirbele herum, um zu gehen, und zu Carson sage ich: »Ich werde ganz bestimmt nicht …«
Silberauge steht auf, kommt um den Tisch herum, und plötzlich ist seine Brust wie eine Mauer, in die ich fast hineinkrache, als ich versuche zu gehen.
»Bleiben Sie«, sagt er mit leiser Stimme und legt seine Hand warm und stark auf meinen Unterarm.
Ich spüre diese Berührung überall.
Ich reiße den Arm weg, als hätte ich mich verbrannt, und seine Wirkung auf mich beunruhigt mich ein wenig.
Er ist so groß, dass ich den Hals recken muss, um zu ihm aufzuschauen.
»Hören Sie, mein Date mag mich geopfert haben, aber ich habe dem nicht zugestimmt.«
»Nennen Sie Ihren Preis«, sagt er.
Und Gott, er riecht wirklich, wirklich gut, nach Seife und Eau de Cologne und dem Duft eines Siegers.
»Preis wofür?«
»Dafür, dass Sie Ihren zauberhaften Hintern auf diesem Stuhl parken, direkt neben mir, und spielen.«
Ich atme aus. »Nur das?«
»Vorläufig.« Seine Mundwinkel zucken abermals, kaum merklich, und in meinem Körper regen sich Lustgefühle. Verdammt.
Ich habe Ein unmoralisches Angebot gesehen. Um ehrlich zu sein, habe ich Robert Redford eine ganze Weile angeschmachtet. Ich gebe Hollywood und meinem Unterbewusstsein die Schuld dafür, dass ich es für keine schlechte Idee halte, vielleicht einfach zu tun, was er sagt. Schließlich stimme ich nur zu, meinen »zauberhaften« Hintern auf diesen Stuhl zu verfrachten und zu spielen. Findet er wirklich, ich hätte einen zauberhaften Hintern? »Also schön«, höre ich mich sagen.
Der Mann winkt den Kellner heran, lässt ihn meinen Stuhl neben seinen stellen und führt mich dann dorthin, damit ich Platz nehme. Er lässt seinen schwarz gekleideten, sexy riechenden männlichen Körper neben mir auf seinen eigenen Stuhl sinken und bittet darum, dass die Karten ausgeteilt werden. Sobald man das tut, schiebt er seinen Stapel mit Karten in meine Richtung.
»Spielen Sie.«
»Was?«
Er begegnet meinem Blick mit zielsicher auf mich gerichteten, silbernen Augen. »Sie haben mich gehört.«
»Sie sind verrückt.«
Er lehnt sich zurück und verschränkt die Hände hinterm Kopf. »Ich habe schon Schlimmeres gehört.«
»Es tut mir leid, Wynn«, sagt mein Date, als er aufsteht, um zu gehen.
»Wynn«, wiederholt der Typ neben mir mit seinem tiefen, volltönenden Timbre.
Ich wende mich ihm errötend zu. »Nennen Sie mich nicht so.«
»Erklären Sie mir, warum nicht.«
»Weil das mein Name ist, und ich Ihren nicht kenne. Ich bin hier vollkommen im Nachteil.«
»Playboy.«
»Hm?«
»Man nennt ihn Playboy«, sagt mein Date, bevor er zur Tür eskortiert wird.
Playboy lächelt.
Ich bin sprachlos und schüttele ungläubig den Kopf. »Wow, mein Glück in puncto Männern hat einen neuen Tiefpunkt erreicht.«
»Keine Panik. Ich bezahle nicht dafür, flachgelegt zu werden. Korrigieren Sie mich, falls ich mich irre, aber ich habe Sie gerade von dem lahmsten Date befreit, das Sie jemals hatten.«
»Tatsächlich war es gar nicht lahm. Schließlich waren Sie dabei.«
»Und ich bin aufregend?«
»Nein. Eher wie … ein Slasherfilm.«
»Sie spielt diese Runde für mich«, eröffnet er dann den anderen Männern am Tisch. »Sind Sie alle damit einverstanden, dass ich ihr erkläre, wie sie spielen muss?«
»Fangen Sie an, Playboy«, stimmen die anderen gleichzeitig zu.
Er tappt mit einem Finger auf den grünen Filztisch und deutet mit dem Kopf auf die Karten in meiner Hand. »Zeigen Sie mir unser Blatt.«
»Mein Blatt«, widerspreche ich ihm.
»Was Ihres ist, ist mein«, flüstert er, als ich ihm die Karten zeige und er den Kopf dabei dicht neben mein Ohr hält.
Er sagt mir, welche Karten ich zurückgeben und wie viele neue ich verlangen soll. Ich tue, was er anordnet, und habe am Ende immer noch nur ein Paar.
»Warum spiele ich hier?«, frage ich sein Profil, als wir verlieren und neue Karten bekommen.
»Weil ich am Verlieren war, bis Sie aufgetaucht sind.«
»Wir verlieren jetzt auch.«
Er beäugt mich nachdenklich, dann die neuen Karten in meinen Händen. »Offensichtlich brauchen Sie ein wenig Unterweisung.« Er zieht mir die Karten weg und fängt an, das Spiel zu spielen. »Bleiben Sie einfach hier und lenken Sie mich nicht ab. Lenken Sie die anderen ab.«
Als ich seinen Ton höre, der keinen Widerspruch duldet, spiele ich mit meinem Haar, zwirbele die losen, roten Strähnen um den Zeigefinger und starre jeden der Männer nacheinander so eindringlich an, dass sie aufblicken.
»Wenn ich so recht darüber nachdenke, vergessen Sie das.«
»Hm? Das verstehe ich nicht.« Ich funkele den Typen an, und er funkelt zurück.
»Ich habe Mühe, mich im Moment selbst zu verstehen. Hören Sie einfach auf, mit Ihrem verdammten Haar rumzuspielen.«
Er gewinnt dieses Spiel und auch die folgenden acht. Seine Stapel an Chips sind so groß, dass die Manager des Etablissements ihm immer wieder die weniger wertvollen Chips gegen höherwertige eintauschen, damit er auf dem Tisch Platz sparen kann.
Als alles vorbei ist, zerstreuen sich die anderen Männer, während wir sitzen bleiben. Mit neuen Drinks, unsere Stühle einander beinahe ganz zugewandt, erkundigt er sich nach mir.
Ich zucke die Achseln. »Sie kennen meinen Namen. Wynn. Alter: dreißig. Galeristin. Frisch getrennt und vollkommen über die Liebe hinweg.«
»Mmm. Ich glaube, Sie haben die besten Details ausgelassen. Wie zum Beispiel das, was Sie hier machen.«
Ich nehme langsam einen Schluck von meinem Whisky. »Ich muss zugeben, Sie haben hier was Cooles am Laufen. Aber ich versuche selbst immer noch herauszufinden, warum ich hier bin.«
»Ich soll Ihnen glauben, Sie hätten nicht gewusst, dass ich hier sein würde?«
»Wie bitte?«
»Ich soll Ihnen glauben, dass Sie nicht scharf auf mich sind und nicht darauf aus waren, meine Aufmerksamkeit zu erregen? Einfallsreich, das gebe ich zu. Ich bin neugierig.«
»Wow, Sie sind aber kein bisschen eingebildet. Ähm, nein. Sie sind viel zu skandalös, um Sie zu Hause meiner Mom vorzustellen. Aber ich habe fest vor, neue Erfahrungen zu sammeln …« Ich schwöre, ich erfinde diesen Mist, noch während ich rede. »Vor allem, da ich gerade aus einer vierjährigen Beziehung komme …«, erzähle ich offenherzig, »… bin ich entschlossen, Männer so zu benutzen, wie sie uns Frauen gern benutzen.«
»Ist das so?«
»Natürlich ist es so. Fragen Sie sich je, warum Ihnen so viele Frauen zu Füßen liegen?« Ich deute auf die deprimierte Kellnerin, die von Ferne Augengranaten auf mich abschießt.
»Ich schlafe nachts kaum, weil mich das so sehr beschäftigt.« Er ist amüsiert. Mich amüsiert sein Spötteln ebenfalls, aber ich spreche weiter.
»Nun, es liegt daran, dass Sie wissen, wie man spielt. Ich will sehen, wie Sie das machen. Dann weiß ich, wann jemand mit mir spielt«, sage ich.
»Ist das so?«
Er kauft es mir nicht ab.
Mist, er lacht innerlich.
»Ja, genauso ist es. Glauben Sie mir nicht?«
Er lächelt, immer noch amüsiert. »Irgendwie höre ich die Worte, aber ich glaube kein einziges, das aus Ihrem hübschen Mund kommt.«
Als sein Blick auf meinem Mund landet, macht sich tief in mir etwas Heißes und Sehnendes breit. »Wow, Sie sind aber desillusioniert. Was denken Sie denn, was ich will?«, kontere ich.
Er kratzt sich am Kinn, und das raspelnde Geräusch seiner Bartstoppeln klingt sinnlich in der Dunkelheit. »Was immer es ist, ich werde liefern.«
»Na schön«, sage ich, denn ich weiß, dass ich nichts zu verbergen habe. »Finden Sie heraus, was Sie wollen, und lassen Sie mich herausfinden, was ich brauche: Wie Sie Frauen betören.«
»Nichts da, Rotschopf.«
»Obwohl ich mich extra wie eine Schlampe angezogen habe, um hier reinzukommen?«, necke ich ihn.
»Sehen Sie sich um, Rotschopf. Sie sehen aus wie eine Nonne in einem Strip-Club. Sie sind die konservativste Schlampe, die mir je begegnet ist.«
»Na schön. Also hätte ich den Saum meines Kleides ein wenig höher ziehen sollen. Lassen Sie mich einfach zuschauen, wie Sie eine Frau betören. Irgendeine Frau. Rufen Sie eine von ihnen her.«
»Sie wollen zusehen, wie ich eine Frau betöre?«, fragt er ungläubig.
»Ja.« Ich lasse den Blick über die Anwesenden im Raum schweifen und entdecke eine sexy Kellnerin, die wie verrückt um ihn herumscharwenzelt ist, und die auf der Stelle vor Glück sterben würde, da bin ich mir sicher. »Die da.«
»Ich will die nicht betören.«
»Okay, wen wollen Sie dann betören?«
Er sieht mich an. »Ich hab’s nicht nötig, irgendjemanden zu betören, Rotschopf.«
»Aber Sie spielen taktische Spielchen, um flachgelegt zu werden. Also. Spielen Sie, um heute Nacht flachgelegt zu werden.«
»Nicht heute Nacht.«
»Warum nicht?«
Er zuckt die Achseln.
Dann streckt er die Hände aus, zieht mich auf die Beine und legt mir die Hand auf den Rücken, um mich hinauszuführen. Ich verliere fast das Gleichgewicht, meine Sinne sind außer Kontrolle. Ich verstehe es nicht.
»Und warum nicht heute Nacht?« Meine Stimme ist halb Flüstern, halb Keuchen.
»Sie sind Wynn Watson, nicht wahr? Galeristin und serienmäßige Daterin.«
»Ich bin doch keine …« Woher kennt er meinen Nachnamen? Und dann begreife ich.
Ich bin außer mir vor Schreck, und mein Gehirn braucht einen Moment, um sich neu zu sortieren.
»Sie sind Cullen Carmichael. Der Glücksspieler. Serienmäßiger Aufreißer, Anti-Monogamist und Bruder des Verlobten meiner besten Freundin Livvy.«
»Das Leben ist überraschend.« Er mustert mich, öffnet meine Hand und legt mir einen Zehntausend-Dollar-Chip hinein. »Bitte schön, Schätzchen. Geben Sie es nicht alles auf einmal aus. Sparen Sie es für unser nächstes Spiel auf.«
»Niemals, danke. Und vielleicht lege ich es an. Wahrscheinlich. Ich werde Ihren Bruder um Anlagetipps bitten.«
»Gern geschehen.«
»Das wollte ich gerade sagen.«
Ein überraschend leises Kichern kommt ihm über die Lippen, als er den Kopf schief legt und mich betrachtet. »Danke«, sagt er ernsthaft, und einfach so küsst er mich auf die Lippen. »Seien Sie ein braves Mädchen und gehen Sie jetzt nach Hause«, sagt er und klopft mir auf meinen Hintern.
»War das …? Versuchen Sie jetzt, mich zu betören?«
»Ich muss niemanden betören.«
»Haben Sie taktische Spielchen …«
»Ich werde Sie wissen lassen, wann das Spiel beginnt. Gehen Sie jetzt nach Hause.«
Der Mann öffnet die Tür eines Uber, das aus dem Nichts aufzutauchen scheint. Und weil es bereits drei Uhr morgens ist, steige ich ohne Widerrede ein und fahre nach Hause, immer noch ein wenig aus dem Gleichgewicht.
Cullen Carmichael. Offensichtlich ist er wegen der Hochzeit in der Stadt, und ich habe es idiotischerweise nicht verstanden. Himmel, ich habe es in der Nähe dieses Typen nicht einmal verstanden, die Beine zusammenpressen.
Ich kann nicht glauben, dass er mich auf diese Art gekauft hat. Wie … ein Auto. Als würde er mich verdienen und als könnte er alles bekommen, was er haben will. Und als er die Chips auf den Tisch geworfen hat, als wären sie gar nichts, da ging eine Summe über den Tisch, die dem entsprach, was ich in meinem ganzen Leben verdienen werde. In einem einzigen Spiel.
Ich drehe den Chip in meiner Hand und leuchte mit meinem Handylicht darauf, um ihn zu inspizieren.
Zehntausend Dollar!
Ich frage mich, was passieren würde, wenn er mir beibrächte, mit meinem Geld zu spielen. Ich wäre endlich in der Lage, mein Geschäftsdarlehen zurückzuzahlen, nachdem ich jahrelang immer wieder Aufschübe verhandeln musste.
Nein. Ich würde alles verlieren, und was dann? Ich mag Glücksspiele nicht; sie sind absolut oberflächlich. Ich glaube an Arbeit, nicht an Glück.
Ich glaube außerdem nicht mehr an die Liebe … oder zumindest rede ich mir das ein.
Selbst in diesem Moment fühle ich mich versucht, mich Fantasien hinzugeben, wie es sich wohl anfühlen würde, von Cullen Carmichael geliebt zu werden, und ich kann bei dem Gedanken daran kaum atmen. Hör auf damit, Wynn. Hör auf, jeden Mann, den du triffst, in einem romantischen Licht zu sehen. Sie sind es nicht wert. Kein Mann ist es wert, erst recht nicht einer, der Playboy genannt wird.
Der Rausch der Nacht vergeht zusammen mit meinem Lächeln, sobald ich meine Wohnung betrete – die Wohnung, die ich gemietet habe, nachdem ich bei Emmett ausgezogen bin. Manchmal ist der Schmerz so grausam, dass ich mich im Bett zusammenkrümme. Die Nächte sind schlimm. Die Einsamkeit – die Leere – ist überall. Sie steckt in dem unberührten Kissen neben mir. In den kalten Bettlaken, gewärmt nur auf meiner Seite. In der schrecklichen, verfluchten Stille meiner Wohnung.
Aber auch morgens ist es nicht viel besser. Irgendwie lasse ich nachts in meiner Wachsamkeit nach. Entspanne mich – manchmal. Wache sicher in meinem Bett auf und starre zu dem vertrauten, weißen Ventilator an der Decke empor. Und für eine Sekunde geht es mir gut. Bis ich mich erinnere. Er will mich nicht mehr. Und die Folter beginnt wieder ganz von vorn. Ich zwinge mich aus dem Bett, um zu leben, aber nur mit knapper Not. Zwinge mich zu essen; zu essen, nicht zu schmecken. Zwinge mich zu duschen und dann abzutrocknen. Mich anzuziehen, um so zu tun, als wäre ich normal. Menschlich. Zwinge mich weiterzumachen, obwohl ich immer noch an all dem hänge, was ich hatte und was an dem Tag implodiert ist, an dem er mir mitgeteilt hat, er habe sich entliebt. Liebe. Wahre Liebe. Glück. Eine Zukunft, die sich vollständig anfühlte. Jetzt habe ich nichts mehr von alledem.
Die Wochenenden sind am schlimmsten. Meine arbeitsfreien Tage, an denen keine Ablenkungen mich daran hindern, an all das zu denken. Es in meinem Kopf hin und her zu drehen, wie jemand unter Schock es tut. Um im Nachhinein einen neuen Hinweis zu finden. Irgendein Zeichen, dass sich etwas Schlimmes angebahnt hatte.
Ich bin in der Nacht rastlos, und am nächsten Tag halte ich mittags eine Kaffeetasse in den Händen und überfliege auf meinem Laptop die Nachrichten. Mir graut vor der Hochzeit heute Abend. Es ist nicht einmal das Ereignis selbst. Nicht wirklich. Es ist die Erinnerung an das, was ich hier und jetzt habe. In der Gegenwart. Und an das, was ich nicht habe. Es ist höllisch deprimierend, wenn man keine Zukunft hat, der man entgegenblicken kann, jedenfalls keine romantische.
Ich bin nicht allein. Eine Million anderer Frauen sitzen zweifellos im selben Boot. Sie sind heute Morgen aufgewacht, nur um begreifen zu müssen, dass der Rest ihres Lebens nicht so sein wird, wie sie es sich erhofft haben. Dieser Tag ist anders, weil ihre Aussicht auf ein Happy End sich in nichts aufgelöst hat.
Dieser Tag ist Tag »minus 1«.
Ich bin entnervt, denn ich bin schon so oft an diesem Punkt gewesen und habe es schon so häufig durchlebt, dass es nicht mal mehr um die gebrochenen Versprechen und die enttäuschten Erwartungen geht. Es geht um die verlorene Zeit und die gescheiterten Träume.
Wenigstens habe ich noch die Galerie, die Fifth Street Gallery.
Der Klang gefällt mir. Pepper, auch bekannt als die unglaublichste Assistentin aller Zeiten, hat sich den Namen ausgedacht.
Ich nippe gerade an meinem Kaffee, als ich das Klappern von Schlüsseln höre, und ich stelle meine Tasse beiseite, als Gina und Rachel, zwei meiner besten Freundinnen, in meine Wohnung gestürmt kommen.
»Okay. Wir haben es gewusst! Wir haben gewusst, dass du dich nicht fertig machen würdest.« Rachel und Gina, die eine blond, die andere brünett, beide glücklich verheiratet, schlagen die Tür hinter sich zu und stürzen sich auf mich.
»Ich habe euch gesagt, dass ich anrufen würde, wenn ich Hilfe brauche«, protestiere ich, als sie meinen Laptop zuschlagen und mich auf die Füße ziehen.
»Du hättest nie angerufen.«
»Woher weißt du das?«, frage ich Gina.
»Weil du es nie tust. Wir lassen uns jetzt die Haare machen.«
Rachel geht zu meinem Schrank, nimmt ein Sweatshirt und eine Jogginghose heraus und bringt sie mir. »Komm, du wirst dich fabelhaft fühlen, und wenn du Emmett heute Abend siehst, wirst du ihm unter die Nase reiben, was ihm entgeht.«
»Ich bin spät nach Hause gekommen und habe kaum geschlafen! Können wir das später machen? Ich bin nicht deprimiert, ich schwöre es!«
»Das werden wir ja sehen«, antwortet Rachel zweifelnd und drückt mir meine Anziehsachen in die Arme.
»Argh. Ich hasse euch.«
»Du liebst uns.«
Ich stöhne und ziehe mich um. »Ja, das tue ich«, räume ich ein. »Aber nur der Vollständigkeit halber, ich bin eine zauberhafte, ledige Frau, und ich habe mein Leben voll im Griff. Ich habe gestern zwei Bilder verkauft, und ich hatte abends ein Date, also komme ich wirklich bestens zurecht«, verkünde ich ihnen.
»Wirklich? Oh, Wynn, das ist ja wunderbar!« Rachels Augen weiten sich vor Aufregung, und sie vollführt bei der Neuigkeit buchstäblich einen Luftsprung und klatscht in die Hände. In der Zwischenzeit bringt Gina meine Sneakers und meine Tasche her.
»Ist es jemand, den du behalten willst?«, fragt sie zweifelnd.
»Nein. Gott, nein. Er hat mich verkauft.« Ich bringe meine leere Kaffeetasse zur Spüle und wasche sie ab, bevor ich gehe.
»Er hat was getan?«
»Er hat mich verkauft. Es war ein Spiel. Und am Ende habe ich diesen anderen Typen kennengelernt. Der war unerwartet, aber … tja, er war heiß. Also haben zumindest meine Hormone Training bekommen.«
»Er war was? Wynn!«
Ich lächle über die Aufregung der beiden und beschließe, nichts weiter zu erzählen. Einmal, weil sie sich wahrscheinlich Sorgen machen werden, und was mich und Cullen betrifft, gibt es keinen Grund zur Sorge. Wirklich! Ich werde mich nicht in einen solchen Mann verlieben – ich werde mich in überhaupt keinen Mann verlieben, Punkt. Und außerdem, weil Cullen Carmichael aussieht wie irgendjemandes schmutziges kleines Geheimnis, und anscheinend ist er auf irgendeine verdrehte Art jetzt meins.
Wir treffen Livvy draußen vor dem Accents, einem der exklusivsten Salons in der Stadt, und Alessandra, die Besitzerin, winkt uns herein. »Kommt, ich bin gleich bei euch.« Sie winkt einige andere Frisörinnen heran. Der Salon ist normalerweise gerammelt voll, und als wir keine anderen Kundinnen entdecken, begreifen wir vier gleichzeitig, dass Callan, Livvys Verlobter, vorhat, seine zukünftige Frau und ihre Freundinnen so zu verwöhnen, als wären wir die einzigen Frauen auf dem Planeten.
»Hast du davon gewusst?«, fragt Gina Livvy und dreht sich staunend im Kreis.
Der Salon ist überall mit weißen Rosen mit fliederfarbenen Spitzen geschmückt, die zarten Farben lieblich und wunderhübsch.
»Nein!« Livvy bleibt mit einem entzückten Lachen lange genug stehen, um eine Rose aus einem Arrangement zu zupfen. Sie atmet verträumt den Duft ein, während ich mir eine dekadente Trüffelpraline gönne.
»Irgendjemand wird heute flachgelegt«, sagt Gina neckend.
»Wir würden uns über den Zustand ihres Ehebundes sorgen machen, wenn sie nicht flachgelegt werden würde«, kichere ich.
»Ich meinte Callan.« Gina grinst, und ich lache noch lauter.
Aber dann durchzuckt mich aus heiterem Himmel ein Stich. Als hätte sich ein schwarze Loch in mir aufgetan, und darin ist nichts als Leere.
Ich will nicht eifersüchtig auf meine Freundinnen sein. Ich habe tolle Freundinnen und will immer für sie da sein. Nun gut, ich wünschte manchmal, ich hätte auch schon den Richtigen gefunden, aber das bedeutet nicht, dass ich ihn niemals finden werde … richtig? Malcolm betet den Boden an, auf dem Rachel geht. Gina hat Tahoe unter der Fuchtel, weil er so in sie verliebt ist. Und Callan ist vollkommen vernarrt in Livvy und hat immer die besten Überraschungen für sie parat, wie romantische Flitterwochen an einem noch unbekannten Ort.
Meine Freundinnen sind mit diesen Männern auf Gold gestoßen, und ich habe den Jackpot gewonnen, weil ich alle drei von ihnen als meine liebsten und engsten Freundinnen habe.
»Was haltet ihr davon, wenn wir diese Party jetzt starten?« Gina setzt sich hin und wirbelt mit dem Frisörstuhl herum.
Ein Kellner erscheint mit Champagner, und ich nehme das erste Glas entgegen und kippe es hinunter, als stünde Alkohol auf meinem Programm für den Tag. Was auch stimmt. Ich werde ihn heute brauchen.
Rachel hebt ihr Glas. »Auf Liebe und sündhaft sexy Männer!«
Als wir mit unseren Gläsern klirrend anstoßen, drängt sich mir ein Gedanke auf, und ich schaudere.
Ich denke nicht an die sündhaft sexy Männer, die meine Freundinnen dazu herumgekriegt haben, lebenslange Bindungen mit ihnen einzugehen. Meine Gedanken gehen tiefer, sind heißer, wilder.
Silberauge. Ein Kinn zum Sterben. Seine ganze Art spukt mir im Kopf herum.
Der heiße Glücksspieler ist vielschichtig.
Aufregend. Elektrisierend. Absolut magnetisch.
Ich bin so verloren in den Erinnerungen an die vergangene Nacht, dass ich die Frisörin hinter mir kaum bemerke.
Sie rafft mein Haar im Nacken zusammen. »Wollen wir sanft und sexy oder elegant und gewagt?« Während ich über ihre Frage nachgrübele, erklärt sie: »Natürliche Widersprüche sind eine subtile Methode, die Neugier eines Mannes zu wecken.«
»Und da hast du’s«, sage ich grinsend zu Gina. »Der einzige Grund, warum ich als Single auf diese Hochzeit gehe.«
Gina wirbelt herum und sieht ihre Frisörin an. »Wir machen das, was Wynn vorschlägt. Die Braut ist die Einzige, die heute berechenbar sein darf.«
»Sie ist alles andere als berechenbar«, widerspreche ich und lache, während ich mir Livvy anschaue, deren wunderschönes, blondes Haar bereits ein wenig Zuwendung von ihrer Frisörin erhält. Sie ist die Redseligste und Freundlichste von uns vieren, und der heutige Tag stellt keine Ausnahme dar, als sie der Frisörin erzählt, wie Callan ihr seinen Antrag gemacht hat. Bei dem Gedanken an den Antrag muss ich an Callan denken, und beim Gedanken an Callan muss ich an seinen Bruder denken.
Oh Mann. Silberauge würde es lieben, dass ich an ihn denke.
Gestern Nacht hat mich dieser teils empörende, teils sexy Mann alles vergessen lassen. Er hat Interesse an mir gezeigt, mich in sein Pokerspiel einbezogen und mir das Gefühl gegeben, dazuzugehören. Wann hat Emmett mir jemals das Gefühl gegeben, irgendwo hinzugehören? Himmel, er wollte mich ja nicht mal in seiner Küche haben! Aus genau dem Grund hätte ich dem Date gestern Abend nicht zustimmen sollen. Ich muss Männer wirklich allesamt vergessen und mich auf meine Galerie konzentrieren, die Fifth Street Gallery, meine einzige wahre Liebe.
»Du denkst zu viel nach«, flüstert Gina diskret, bevor sie sich eine Locke ihres schwarzen Haares hinters Ohr streicht. Sie sagt etwas zu der Frisörin, dann erhebt sie sich von ihrem Stuhl, um sich meine neue Frisur anzuschauen. »Wir werden für die Party unseres Lebens herausgeputzt. Und es wird die Party unseres Lebens, Wynn, du kleiner Knaller, du.«
»Wie meinst du das? Natürlich bin ich ein Knaller. Ich bin von uns jetzt der einzige Single.«
»Nur, dass du fantastisch aussehen wirst, und wir wollen, dass Emmett sich heute Abend nach dir verzehrt.«
»Vergiss das Arschloch Emmett. Sein Essen war grauenhaft, nichts für ungut, Wynn. Ich habe es nur deinetwegen gegessen«, sagt Rachel verschlagen, als sie näher kommt, atemberaubend schön wie immer. »Du bist ohne ihn besser dran. Glaub mir. Wenn der richtige Mann auftaucht, wird es keinen Zweifel daran geben, dass er es ist.«
»Ach, es ist mir inzwischen fast egal. Nach dem Date von gestern Abend habe ich beschlossen, dass ich mich auf meine Arbeit konzentrieren und die Männer insgesamt vergessen sollte.«
Als ich anfange mich zu fragen, ob Silberauge ein Date mitbringen wird, reiße ich mich aus meinen Gedanken heraus und konzentriere mich auf Livvy, die gerade von ihrem Stuhl aufsteht, ihr Haar perfekt frisiert und bereit für ihren Schleier. »Du siehst aus wie ein Engel«, sage ich und greife nach Livs Hand, als sie näher kommt. »Callans Welt wird stillstehen, sobald er dich sieht.«
»Ich werde noch ganz rot, wenn du so weiterredest«, erwidert sie und fächelt sich Luft zu.
»Sie bringt dich zum Weinen!« Rachel umarmt sie.
»Vorsicht mit dem Haar!«, ruft Alessandra.
»Du wirst so glücklich sein«, sage ich zu Liv.
Während wir von ihrer Schönheit schwärmen, denke ich an Callan und an seine Liebe zu Livvy. Es war bestimmt nicht billig, Alessandras Salon für uns zu mieten, aber er hat es nicht getan, um andere zu beeindrucken. Er will nur, dass Livvy einen denkwürdigen Hochzeitstag hat.
»Bist du glücklich?«, fragt Gina sie.
»Unendlich glücklich!« Sie wartet auf die Maniküre und geht eine Liste mit Callans Plänen für ihre Zukunft durch. »Er will ein Haus auf dem Land, wo wir oft hinfahren werden, um aus der Stadt rauszukommen … und er redet von Kindern. Ständig.« Sie verstummt und sieht mich besorgt an.
Ich blinzle und begreife plötzlich, dass sie sich meinetwegen zurückhält. Weil sie weiß, ich habe mir … nun, genau das immer gewünscht. Es tut manchmal weh, wenn ich das höre, weil es etwas ist, das so weit außerhalb meiner Reichweite zu liegen scheint. Auf der anderen Seite würde ich, wenn ich nichts davon hören würde, die Highlights im Leben meiner Freundinnen verpassen, und das kann ich nicht zulassen. Was für eine beste Freundin wäre ich, wenn ich nicht bleiben würde, um ihr dabei zuzuschauen, wie sie in den Sonnenuntergang davonreitet? Ich will wissen, wie die Geschichte ausgeht. Ich muss die Aufregung miterleben, denn dann wird mein Glaube vielleicht wiederhergestellt werden.
»Sprich weiter«, dränge ich sie mit einem Lächeln, nehme ihre Hand und drücke sie, um ihr zu sagen: Ich freue mich für dich, und um nichts in der Welt würde ich deinen großen Tag verpassen wollen.
Und es ist wahr. Ich werde die Hochzeit überleben, und wenn es mich umbringt. Der Champagner wird fließen, und wenn Emmett auftaucht, werde ich jede Menge davon hinunterkippen.
Fünf Stunden später sind wir auf der Hochzeit, wir und unsere tollen Frisuren. Ich stehe mit den anderen Brautjungfern, meinen Schwestern von anderen Müttern, in einem Rosengarten. Wegen der dicht belaubten Bäume können wir nur flüchtige Blicke auf die Männer erhaschen.
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um nach Silberauge Ausschau zu halten, aber ich kann ihn nicht entdecken, also lasse ich das wieder. Die meisten der Männer dort draußen sind ohnehin verheiratet.
Callan ist ganz der stilsichere Bräutigam. In seinem Hemd mit Spitzkragen, der Fliege und dem schwarzen Smoking sieht er aus, als wäre er mehr als bereit für den Quantensprung, diesen mutigen Schritt, den so viele Männer nie tun.
Der, den Emmett um jeden Preis vermieden hat.
Er ist überhaupt nicht wie Emmett.
Callan sieht … aufgedreht aus. Ich glaube, Callan wollte Livvy von der Sekunde an heiraten, in der er sie das erste Mal gesehen hat. Jetzt wartet er auf die Liebe seines Lebens, und ich weiß, dass sie es kaum erwarten kann, direkt in seine Arme zu laufen.
Liv ist mehr als bereit für ihren großen Tag. Und auch wenn Callan ungeheuer attraktiv ist, ist Livvy doch atemberaubend.
Die Musik setzt ein.
Für einen Sekundenbruchteil gerate ich in Panik. Ich fürchte, dass meine Knie unter mir nachgeben werden, bevor ich zu dem mit Efeu umwickelten Torbogen trete, der zu den festlichen Gärten führt.
Bevor meine Knie genau das tun, ist plötzlich Cullen an meiner Seite. Sobald ich ihn sehe, fühle ich ihn. Er hakt seinen Arm unter meinen, und die Wärme seines Körpers umfängt mich unmittelbar.
Er war nicht bei der Hochzeitsprobe letzte Woche; ich wusste nicht, dass er mein Begleiter sein würde.
Ich sollte allein gehen. Plötzlich bin ich dankbar dafür, dass ich es nicht bin, aber ich werde ihn das nicht wissen lassen.
Ich umfasse seinen Arm fester, und Cullen murmelt: »Ich dachte, Sie und Livvy wären beste Freundinnen.«
»Sind wir auch.«
Er zieht eine Braue hoch und schaut immer noch geradeaus. »Irgendjemand hätte der Brautjungfer sagen sollen, dass es unhöflich ist, heißer auszusehen als die Braut.«
Meine Haut wird warm. Es ist ein langsames Brennen von innen nach außen. Ich fühle mich unbehaglich, muss aber mehr hören. Ich frage mich, ob Playboy noch mehr Spielzüge in seinem Handbuch stehen hat.
Als wir unseren Schritt an Ginas und Tahoes anpassen, denen wir folgen, streicht er mit den Fingern über meinen Handrücken. Ich schaudere bei seiner Berührung, bleibe aber äußerlich gefasst, beherrscht.
»Hören Sie auf, mich betören zu wollen«, flüstere ich.
»Betören war gestern Nacht. Heute Abend beginnt das eigentliche Spiel. Sie werden verführt.«
»Hier?« Mein Gang stockt, aber er hilft mir, meinen Rhythmus wiederzufinden. »Lassen Sie das.«
»Ich komme nicht dagegen an.«
»Es funktioniert nicht.«
»Das wird es schon noch.«
Wir erreichen gemeinsam das Ende unseres Weges. »Wir werden sehen.« Dann trennen wir uns.
Cullen tritt neben Callan. Ich schwenke nach links ab, um auf die Braut zu warten, vollkommen atemlos von dieser kurzen Begegnung.
Unsere Blicke treffen sich, lösen sich voneinander, begegnen sich abermals. Wenn er nicht sofort damit aufhört, werde ich ein feuchtes Nervenbündel sein, noch bevor Callan und Livvy zu Mann und Frau erklärt werden.
Der Rest unserer Freunde schreitet den Gang entlang, um für Callan und Livvy stehen zu bleiben.
Die ganze Bande ist hier.
Das gefällt mir an uns. Wir sind alle füreinander da.
Mein Blick findet den von Cullen, und ich weiß nicht, warum. Ich schätze, ich stehe auf Bestrafung. Vielleicht hat er einen Glücksbringer in seiner Tasche. Mein Blick wandert tiefer. Als mir klar wird, was ich tue, schaue ich schnell nach oben.
Seine Mundwinkel zucken, und ich verfluche mein Dasein. Ich befinde mich auf der Hochzeit meiner besten Freundin und ziehe einen Mann mit Blicken aus. Was noch schlimmer ist? Ich denke darüber nach, es mit dem Bruder des Bräutigams zu treiben.
Wie tief kann ich noch sinken?
Ein Wispern geht durch die Menge. Ich reiße den Blick von ihm los.
Rachel und Saint stehen unter dem Torbogen. Sie sind so umwerfend zusammen und stehlen dem Brautpaar fast die Show. Rachel hält die Hand ihres dreijährigen Sohnes, während ihre kleine Tochter, sicher geborgen in den Armen ihres Vaters, auf Saint zeigt und sagt: »Mein Daddy.«
Fotos werden geschossen. Eine bekannte Lifestyle-Bloggerin kritzelt Notizen, während eine Reporterin der Times ihr Smartphone hervorholt, ihre Aufnahme macht und hastig eine E-Mail abschickt. Malcolms und Rachels Tochter hat es gerade in die Nachrichten geschafft. Sie patscht noch immer auf den Arm ihres Daddys.
Gedämpftes Gekicher bricht aus. Cullen beobachtet sie amüsiert. Und jetzt?
Ich fühle mich schrecklich betört.
Während wir auf Callans wunderschöne Braut warten, spielt ein Orchester »Never Tear Us Apart«, und es ist zauberhaft. Absolut perfekt.
Als ich Livvy und Callan ihre Gelübde sprechen höre, muss ich weinen. Er sagt, er wolle ihr die Welt zu Füßen legen und sie sei das Wichtigste in seinem Leben. Und aus irgendeinem Grund weine ich noch immer, als der Hochzeitsmarsch gespielt wird.
Ich weine, weil ich glücklich für sie bin und traurig für mich.
Ich weine, weil ich mir erst vor wenigen Monaten vorgestellt habe, dass ich eines Tages, eines baldigen Tages, mit dem Mann, der mich liebte, am Altar stehen würde – einem Mann mit Emmetts Augen und Haar und Gesicht. Dass er »Ich will« sagen würde.
Ich kann nicht glauben, dass ich das bin, dass ich der einzige Single unter meinen Freundinnen bin. Dass ich nicht nur Emmett nicht mehr habe, sondern dass ich wirklich nicht glaube, der Traum von Hochzeit und Liebe und geliebt werden »bis der Tod uns scheidet«, wird für mich jemals wahr werden.
Beim Empfang gehe ich ins Badezimmer, um mein Gesicht in Ordnung zu bringen, und ich schimpfe mit mir: Sei keine Heulsuse, Wynn. Es ist Livvys großer Tag. Freu dich für sie. Lenk dich ab. Denk nicht an Emmett.
Das ist leichter gesagt als getan … bis er auftaucht.
Cullen.
Ich entdecke ihn, und irgendwie ist der Drang zu weinen verschwunden, ersetzt durch den seltsamen Drang, umwerfend auszusehen.
Ich weiß nicht, warum ich umwerfend aussehen will, aber vielleicht liegt es einfach daran, dass ich finde, er braucht etwas Konkurrenz.
Weil er so verdammt gut aussieht.
Ich sage leise zu Rachel: »Wenn er nicht nur Pokerspieler, sondern auch Feuerwehrmann ist, dann steck mich in Brand, ja?«