Polizei & Wissenschaft -  - E-Book

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Beschreibung

Kompetentes Handeln basiert allgemein auf der Kombination praktischer Erfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Grundlage hierfür ist die Kommunikation und Diskussion zwischen Wissenschaftlern und Praktikern. Dies gilt ganz besonders für eine moderne Polizei. Die Zeitschrift Polizei & Wissenschaft bietet die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Kommunikation polizeirelevanter Themenbereiche. Sie versteht sich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Polizei. Durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung werden unterschiedlichste wissenschaftliche und praktische Perspektiven miteinander vernetzt. Dazu zählen insbesondere die Bereiche Psychologie, Rechtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft, Medizin, Arbeitswissenschaft und Sportwissenschaft. Aber natürlich wird auch polizeirelevantes Wissen der Disziplinen genutzt, die nicht klassisch mit dem Begriff Polizei verknüpft sind, wie z.B. Wirtschaftswissenschaften, Sprachwissenschaften, Informatik, Elektrotechnik und ähnliche. Polizei & Wissenschaft regt als breit angelegtes Informationsmedium zur Diskussion an und verknüpft Themenbereiche. Sie erscheint vierteljährlich und geht mit ihrer interdisziplinären Interaktivität über einen einseitigen und fachlich eingeschränkten Informationsfluss hinaus. Dazu nutzt sie die Möglichkeiten des Internets und fördert durch die Organisation von Veranstaltungen auch eine direkte Kommunikation.

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Inhalt

Inhaltsangabe

Matthias Frey & Kamal Barini-Gambarov

Gesichert rechtsextrem?Das Wesen der identitären Bewegung Deutschland. Ideologie, Straftatenaufkommen, Gefährdungspotenzial, Aufgaben für Polizei, Politik und Gesellschaft

Daniela Gutschmidt

Interkulturelle Kompetenz in der Polizei. Eine sozialpsychologische Betrachtung allgemeiner Faktoren und der spezifischen Rolle von Vorurteilen

István Kovács

Prostitution aus Sicht von Prostituierten

Steffen Zdun

Ethnische Heterogenisierung jugendlicher Freundeskreise in sozial benachteiligten Wohngebieten und deren Bedeutung für die Polizeiarbeit

Matthias Weber

Neue Autorität in der Polizei – die Entwicklung eines Modells zur neuen Autorität in der Polizei

Buchbesprechungen

Impressum

 

Content

Content

Matthias Frey & Kamal Barini-Gambarov

Validated right-wing extremist?The essence of the Identitarian Movement in Germany.Ideology, crime rate, potential threats, tasks for police, policy and society

Daniela Gutschmidt

Intercultural competence in the police.A socio-psychological perspective on general factors and on the specific role of prejudices

István Kovács

Prostitution in the view of prostitutes

Steffen Zdun

Ethnic heterogenization of juveniles circles of friends in disadvantaged neighborhoods and their impact on police work

Matthias Weber

New Authority in the Police – a Development of a Modell of a New Authority in the Police

Literature & Media

Impressen

Gesichert rechtsextrem? Das Wesen der identitären Bewegung Deutschland

Ideologie, Straftatenaufkommen, Gefährdungspotenzial, Aufgaben für Polizei, Politik und Gesellschaft

Matthias Frey & Kamal Barini-Gambarov

1. Einleitung:Rechte Gewalt vs. Hassrhetorik

Die verspätete Aufdeckung der politisch motivierten Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) als wohl noch für längere Zeit fortwirkender Tiefpunkt in der Geschichte der bundesrepublikanischen Kriminalitätsbekämpfung und die nachfolgenden Maßnahmen auf verschiedenen administrativen Ebenen markieren nicht das Ende rechtsextremer Gewalttaten in der Bundesrepublik. „Trotz eines Rückgangs der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten seit dem Jahr 2017 ist die Gewaltorientierung in der rechtsextremistischen Szene nach wie vor unverändert hoch“, schreibt das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) im November 20181. Dass rechtsextreme Gesinnung nach wie vor auch in tödliche Gewaltverbrechen münden kann, zeigt etwa die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019.2 Und jüngst wurde dies erneut durch die Ermordung von zwei Menschen durch einen rechtsextremistisch motivierten Terroristen am 09.10.2019 illustriert, der sich anlässlich eines geplanten Massenmords in einer Synagoge in Halle an der Saale via Livekamera und Online-Manifest auf den sog. „großen Austausch“3 beruft, einen zentralen Begriff der „Neuen Rechten“4, der in Deutschland auch als „Umvolkung“ bekannt ist.5 Nicht nur die Bereitschaft zu unmittelbarer Gewalt und deren Anwendung birgt in diesem Kontext Gefahren, sondern ebenso verbales Zündeln und rechtsextreme Agitation. Im Kontext rechtsextremistischer Gewalt spricht das Bundesinnenministerium insbesondere sozialen Netzwerken bei der Radikalisierung von bisher nicht in Erscheinung getretenen Personen „angesichts der im virtuellen Raum einfachen Kontaktaufnahme eine bedeutende Rolle“ zu.6 Für Gesellschaft, Politik und Polizei lässt sich dabei hinsichtlich der gesellschafts- und kriminalpolitischen Bedeutung – und impliziten Gefährlichkeit – nicht immer trennscharf zwischen der Verbreitung von Xenophobie und Hassrhetorik, aktionsorientiertem Rechtsextremismus, dem impliziten oder expliziten Aufrufen zu Straftaten oder der konkret drohenden oder zu verzeichnenden Ausübung von Gewalt gegen Sachen oder Personen bis hin zu Tötungsdelikten differenzieren. Die Gefahren des Rechtsextremismus manifestieren sich vielmehr in all diesen Erscheinungen.

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich anlässlich einer aktuellen Kontroverse um ihre Kategorisierung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit dem Wesen der Identitären Bewegung Deutschland, einer wesentlichen Akteurin der sog. Neuen Rechten, die mit nachhaltigen Social-Media-Kamagnen und öffentlichenkeitswirksamen Aktionen rechtes Gedankengut, Kulturrassismus und EU-Feindlichkeit verbreitet. Der Artikel beschreibt ihre Ziele, gibt Auskunft über Erkenntnisse zu Vorgehen und Straftaten ihrer Anhänger_innen und stellt die Ergebnisse von Experteninterviews, die im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin geführt wurden, zu ihrem Gefährdungspotenzial und daraus resultierenden Aufgaben für Polizei, Politik und Gesellschaft dar.

Rechtsextremismus, Identitäre Bewegung, Neue Rechte, Kulturrassismus, Europabegriff, „Großer Austausch“, Verfassungsschutz, Hassrhetorik, Social Media, AfD.

Abstract

On the occasion of a current controversy about its categorization by the Federal Secret Service of Germany, this article deals with the nature of the Identitarian Movement in Germany, an essential actor of the so-called New Right, which disseminates right-wing ideas, cultural racism and EU hostility by means of sustainable social media campaigns and high-profile actions. The article describes their goals, provides information about their supporters‘ proceedings and crimes, and presents the results of expert interviews conducted as part of a bachelor‘s thesis at the Berlin School of Economics and Law on their potential dangers and the resulting challenges for police, policy and society.

Right-wing extremism, Identitarian Movement, New Right, cultural racism, concept of Europe, „great replacement“, security intelligence, hate speech, social media, AfD.

2. Die Identitäre Bewegung Deutschland und die aktuelle Kontroverse um ihre Kategorisierung

Eine vielbeachtete Gruppierung, die in den vergangenen Jahren in ihrer Öffentlichkeitsarbeit verstärkt auf soziale Medien und das Netz im Allgemeinen gesetzt hat, um rassistische und rechtsextreme Ideologien zu verbreiten, ohne dabei ihrerseits durch explizite Gewalttaten aufzufallen, ist die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD). Um ihre Charakterisierung hat sich in jüngster Vergangenheit eine Kontroverse entwickelt. So wird die IBD im Verfassungsschutzbericht 2018, der am 27. Juni 2019 veröffentlicht wurde, vor dem Hintergrund „tatsächlicher [vorliegender] Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Bestrebung“ als entsprechender „Verdachtsfall“ kategorisiert. Am 11. Juli 2019 ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dann einen Schritt weiter gegangen und hat die Bewegung als „gesichert rechtsextrem“ beschrieben.7 Zur Begründung merkte der Präsident des BfV, Thomas Haldenwang, an: „Als Frühwarnsystem dürfen wir unser Augenmerk nicht nur auf gewaltorientierte Extremisten legen, sondern müssen auch diejenigen im Blick haben, die verbal zündeln.“8 Wie der Tagespiegel in diesem Zusammenhang berichtet, hatte auch Bundesinnenminister Seehofer im Juni 2019 vor der IBD als „geistige Brandstifter“ gewarnt: „Auch wenn die IBD ‚noch nicht‘ mit Gewalt auf sich aufmerksam mache, sei sie ‚nicht minder gefährlich‘, so der Minister“.9 Offenbar hatte das BMI der IBD aber im Dezember 2018 sowie im Januar 2019 schriftlich zugesichert, in künftigen Verlautbarungen klarzustellen, dass es sich lediglich um einen entsprechenden „Verdachtsfall“ handele, solange die IBD im Verfassungsschutzbericht als solcher eingestuft werde – wie eben im jüngsten Bericht 2018 geschehen.10 Nach einem Eilantrag der IBD11 stellte das Verwaltungsgericht Köln in der Folge am 25.09.2019 fest, dass das BfV gegen die genannte Zusage des BMI verstoßen habe; die IBD sei insoweit in ihrem sozialen Achtungsanspruch und Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden12. Die Erkenntnisse für eine Neubewertung hätten zudem in der kurzen Zeit zwischen Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts und der Pressemitteilung des BfV nicht gewonnen werden können. Redaktionsschluss für den Verfassungsschutzbericht ist jeweils zum Jahresende. Erkenntnisse, die danach gewonnen werden, finden keinen Eingang mehr in den Bericht. Das Verwaltungsgericht untersagte dem BfV im Ergebnis, die IBD weiter als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ zu bezeichnen und die Pressemitteilung vom 11.07.2019 zu widerrufen. Die Sicherheitsbehörden dürfen demnach in vorliegenden Fall ihre offizielle Einschätzung nicht auf aktuelle Erkenntnisse zu Äußerungen und Aktionen einer Gruppierung und darauf basierende Bewertungen stützen, sondern bleiben an den Stand des einmal jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichtes gebunden, dessen Redaktionsschluss Monate vor dem Erscheinungstermin liegt.

3. Das Wesen der IBD:Daten und Erkenntnisse

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion ist es angezeigt, eine Zwischenbilanz zum Phänomen der IBD zu ziehen. Was ist das Wesen dieser Gruppierung? Welche Ziele verfolgt sie? Welche Erkenntnisse zu Vorgehen und Straftaten von Anhänger_innen der IBD liegen vor? Lässt sich über die transportierte Gesinnung hinaus auch aus den konkreten Aktionen der IBD eine wie auch immer geartete Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung ableiten? Welche Aufgaben ergeben sich für Politik und Gesellschaft, und insbesondere für die Polizei?

Diesen Fragen wurde im Sommer 2019, vor Beginn der o. g. Kontroverse, in einer am Fachbereich 5 – Polizei und Sicherheitsmanagement – der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin betreuten Bachelorarbeit nachgegangen, deren Ergebnisse hier maßgeblich einfließen.13 In der Arbeit wurden die oben genannten Fragen sowohl mittels einer umfangreichen Literaturrecherche zur Phänomenologie und zur Einordnung der Bewegung innerhalb der Ideologie der Neuen Rechten behandelt als auch in Ergänzung hierzu durch eine aufgrund forschungsethischer Erwägungen anonym behandelten Befragung von Experten aus den Bereichen Politik, NGOs, Wissenschaft und Polizei. Die Befragungen fanden in Form von leitfadengestützten Interviews statt.

Die Anhängerschaft der IBD wird bundesweit auf etwa 600 Personen geschätzt14, in Berlin und Brandenburg sind es etwa 40.15 Die Aktivisten sind vornehmlich jung (bis 30 Jahre alt) und verstehen sich als „elitäre und intellektuelle Stichwortgeber“16. Die erst 2012 gegründete Bewegung, bei der es sich rechtlich gesehen um einen Verein handelt, hat ihre Wurzeln in Deutschland in der kulturrassistisch geprägten „Sarrazin-Bewegung“17, die sich auf das 2010 erschienene Buch „Deutschland schafft sich ab“ des SPD-Politikers und Publizisten Thilo Sarrazin18 beruft. Die IBD hat mit ihren bemüht spektakulären Aktionen immer wieder mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wie Kamal Barini-Gambarov in seiner Arbeit ausführt19. Vor allem im Zuge derartiger Aktionen, wegen derer sie mitunter als „rechte Spaßguerilla“20 bezeichnet wird, versucht sie demnach, ihre Ideologie an die Bevölkerung zu übermitteln. Als elitär ausgerichtete Strömung der Neuen Rechten scheint sie darauf bedacht, eine Gratwanderung zwischen Rechtskonservatismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus zu vollziehen.21

Inhaltlich arbeitet die IBD vielfach mit Ressentiments gegenüber Menschen muslimischen Glaubens.22 So fügte die IBD 2017 in einem Blogbeitrag dem Bild einer Moschee das Meme23 „Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung 2050 bei 20 Prozent“24 hinzu. Damit soll augenscheinlich suggeriert werden, dass der Islam bzw. ein bestimmter Bevölkerungsanteil von Anhängern dieser Religionsgemeinschaft Gefahren für die wie auch immer zu definierende deutsche kulturelle Identität konstituieren. Mit dieser Auffassung korrespondiert der für die IBD zentrale Begriff des „Ethnopluralismus“. Die dem sogenannten Ethnopluralismus zugrunde liegende Idee ist, dass ethnische Gruppen strikt räumlich und kulturell abgegrenzt werden müssten.25 Erfolgt dies nicht, drohe der Zerfall „der eigenen Kultur durch eine vermeintliche Überfremdung“.26 Der Ansatz ist also im Ergebnis als Gegenentwurf zu multikulturellen Gesellschaften zu verstehen. Der irreführende begriffliche Bezug zum Pluralismus ist lediglich so aufzufassen, dass die Kulturen in ihrer jeweiligen Reinform nebeneinander existieren und sich grundsätzlich nicht vermischen sollen. Damit hängt wiederum unmittelbar der Begriff der „Remigration“ zusammen, in deren Zuge multikulturelle Gesellschaften in räumlich-kulturell abgegrenzte Gesellschaften verwandelt werden sollen. „Remigration“ sei demnach erforderlich, um den sogenannten „großen Austausch“27 zu verhindern, nämlich die perzipierte Verdrängung der „europäischen Ethnie“ durch fremde „Invasoren“.28 Der aus der „Blut und Boden“-Ideologie der „Alten Rechten“29 entstammende Begriff der „Rasse“ wird dabei durch eine angebliche „ethnokulturelle Identität“ ersetzt.

Die IBD ist eine der jüngsten Strömungen innerhalb der Neuen Rechten, die zur Verbreitung ihrer Ideologie insbesondere Wege sucht, die für die Generation der Digital Natives30 so alltäglich wie selbstverständlich sind: Memes, Social Media, gestreamte Inhalte. Die Bewegung greift zeitgenössische Themen auf und transportiert ihr Gedankengut dazu unter anderem auch mittels Flashmobs. So stellten sich etwa 2013 Schild- und Fahnenträger mit dem Logo der Bewegung direkt vor dem symbolträchtigen Brandenburger Tor in der Bundeshauptstadt auf.31 Im selben Jahr kam es zu einer Transparentaktion anlässlich der geplanten Umwandlung eines Altenheims in eine Unterkunft für Geflüchtete im Berliner Bezirk Reinickendorf32. Die IBD setzt Slogans wie „100 Prozent Identität – Null Prozent Rassismus“33 ein; sie filmt ihre Aktionen regelmäßig und stellt sie ins Netz; die soeben referenzierte Transparentaktion etwa mit dem Text „Nicht reden. Handeln. Und was tust du? Identitäre Bewegung.de“34. Im August 2016 kletterten Aktivisten der Bewegung auf das Brandenburger Tor und hängten neben ihrem Logo noch ein Transparent mit der Aufschrift „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“ auf, bis die Polizei dem ein Ende setzte.35 Am 21. Dezember 2016, zwei Tage nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, blockierten sie den Eingang zur CDU-Parteizentrale in Berlin und forderten „die sofortige Schließung der Grenzen, die Ausweisung illegaler Einwanderer, den Stopp der Islamisierung Europas sowie die Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel, um zu verhindern, dass sich solche Taten wiederholen“.36 Die Aktionen haben gemein, dass sie mit geringem Aufwand planbar sind und konsequent dokumentiert werden, um sie zielgerichtet über verschiedene Kanäle zu verbreiten.37

Die Gruppierung stützt sich auf ein internationales Netzwerk, das sich von Organisationen wie der französischen „Génération Identitaire“ ausgehend ausgebreitet hat und verfolgt in strikter Ablehnung des Liberalismus die „Kulturrevolution von Rechts“, um ihre Ideologie umzusetzen38. Dabei kommt der IBD auch ihr publizistisches und politisches Netzwerk zupass, das in Deutschland eine Reihe von Publikationen wie die alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift „Sezession“ umfasst, die sich als „bedeutendste rechtsintellektuelle Zeitschrift in Deutschland“ beschreibt39, oder das mehrmals jährlich erscheinende Magazin „Blaue Narzisse“40 aus Chemnitz. Dazu kommen Organisationen wie die Junge Alternative, namentlich die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD), oder der Verband Deutscher Burschenschaft.41 Zwar haben AfD und Junge Alternative, nachdem das BfV 2016 die Beobachtung der IBD aufgenommen hat, einen Unvereinbarkeitsbeschluss erlassen, der besagt, dass es nicht zulässig sei, gleichzeitig in den genannten politischen Organisationen und der IBD Mitglied zu sein. Dennoch scheinen einige AfD-Politiker dieses Verbot de facto zu ignorieren und sich ungeniert an Aktionen der IBD zu beteiligen.42

Abbildung 1: Logo Identitäre Bewegung43

Das Logo und „Markenzeichen“ der IBD besteht aus dem elften Buchstaben des griechischen Alphabets, dem Lambda, das die Spartaner44 als Erkennungszeichen verwendeten.45 Die IBD vertreibt bedruckte T-Shirts, die Aufschriften wie „Our city, our rules“ oder „Islamists not welcome“ tragen, Letzteres in Anlehnung an die 2015 bekannt gewordenen Aufkleber und T-Shirts mit dem Slogan „Refugees welcome“46, und versucht so erkennbar, ihre Marke popkulturell aufzuladen. Im Verfassungsschutzbericht Niedersachsen von 2016 heißt es zu dieser Art von Vorgehen: „Die IBD zielt auf eine Anschlussfähigkeit ihrer Kampagnen an breitere gesellschaftliche Kreise und ist deshalb bemüht, sich nach außen als eine gemäßigt islamkritische, lediglich um das Wohlergehen des deutschen Volkes und dessen Fortbestand besorgte Bewegung zu inszenieren.“47 Eine ihrer Vermarktungsstrategien, nämlich die Möglichkeit, ihre Besetzungsaktionen und/oder Flashmobs ohne großen Aufwand viral zu verbreiten, ist durch Inkrafttreten des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes 2017 deutlich beschnitten worden, als die Profile der Bewegung aus Facebook und Instagram entfernt wurden; seitdem versucht die Bewegung augenscheinlich, auf die russische Plattform vk.com48 auszuweichen, was ihr bislang nur mit mäßigem Erfolg gelingt49, und parallel eine eigene Internetpräsenz inklusive eigener App aufzubauen.50

Was das der IBD zuzuschreibende Straftatenaufkommen angeht, so zeigt die folgende Grafik, basierend auf der Bundestags-Drucksache 19/3913 vom 22.08.2018, S. 3 ff. (Kleine Anfrage zu „Verbindungen der extrem rechten ‚Identitären Bewegung‘ in Deutschland und Österreich“), die am häufigsten begangenen Straftaten der IBD im Phänomenbereich „PMK-rechts“51 im Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 06.08.2018:

Abbildung 2: Übersicht der am häufigsten begangenen Straftaten der IBD im Phänomenbereich „PMK-rechts“52

Die Aktionen der IBD kulminieren keineswegs immer in Straftaten. Soweit im Zuge der Aktionen der IBD Straftaten begangen werden, stellen sich diese erfahrungsgemäß überwiegend aktionsbezogen als Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz dar, nachrangig auch als Hausfriedensbrüche oder gemeinschädliche Sachbeschädigungen53; bei scheinbar überwiegendem Aktionsbezug strafrechtlich relevanter Vorfälle wurden der IBD im Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 7. August 2018 insgesamt 210 politisch motivierte Straftaten zugeordnet, davon wurden 144 als PMK-rechts klassifiziert.54 In der Gesamtschau entsteht durchaus der Eindruck, die Bewegung sei darum bemüht, sich ein weitgehend sauberes, insbesondere gewaltfreies Image zu geben, das zu der kalkuliert intellektuell-trendigen Anmutung der Aktionen und der öffentlichen Abgrenzung vom Nationalsozialismus passt.

Dagegen spricht indes die rassistisch und islamfeindlich anmutende Ideologie, die in der Rhetorik der Bewegung deutlich wird, die oft fremdenfeindlich geprägte Ausrichtung ihrer Flashmobs55 und der rechtsextremistische Hintergrund einiger Aktivisten. Letzteres und die nachhaltige Anti-Asyl-Agitation der IBD waren ausschlaggebend für das BfV, um die Bewegung ab 2016 zu beobachten (vgl. Fn. 4). Schon mit Blick auf die stete Begehung von Straftaten im Rahmen ihrer Aktionen wird darüber hinaus das polizeilich relevante Gefahrenpotenzial der IBD deutlich, und zwar auch jenseits der unbestreitbaren Gefahren des oben zitierten „verbalen Zündelns“. Die der IBD eigene Sicht auf Europa, ihre politischen Verbindungen zu Mandatsträgern sowie die internationale Vernetzung der Aktivisten bergen in diesem Zusammenhang zumindest eine abstrakte Gefahr für das demokratische Zusammenleben in Europa.56 Personelle Überschneidungen mit Vertretern der parlamentarischen Ebene (z. B. AfD, JA) könnten darüber hinaus etwa dazu führen, dass die IBD mit erhöhter Wahrscheinlichkeit sensible Informationen erhält, die ihr sonst verwehrt blieben.57

4. Einschätzungen von Experten zum Gefährdungspotenzial der IBD

Die gesammelten Erkenntnisse werden in der genannten Bachelorarbeit mit vier leitfadenbasierten Experteninterviews zur Einschätzung des von der IBD ausgehenden Gefährdungspotenzials ergänzt. Bei den befragten Experten handelt es sich um einen zum Rechtsextremismus forschenden Professor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg58, einen dem Thema nahe stehenden Abgeordneten der die aktuelle Regierungskoalition anführenden SPD im Abgeordnetenhaus von Berlin59, einen Mitarbeiter des Landeskriminalamts Berlin (LKA 53, zuständig für die Bekämpfung politisch rechts motivierter Straftaten)60 und einen Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin61. Die Auswertung der Experteninterviews erfolgte auf Basis deduktiver Kategorienbildung.62 Dabei wurden fünf Oberkategorien gebildet, die sich auf Vorgehen und Wirkung von Aktionen der IBD, Social-Media-Aspekte, Netzwerkaktivitäten einschließlich internationaler Bezüge, Straftaten und damit in Zusammenhang stehende Gefahren beziehen sowie ferner sonstige Assoziationen der Befragten und Einschätzungen zur perzipierten Zielgruppe und Popularität der Gruppierung.63

Die Einschätzung des Gefährdungspotenzials der IBD hinsichtlich polizeilicher und gesellschaftspolitischer Relevanz erfolgte durch die befragten Experten in teils deutlich unterschiedlicher Nuancierung. Dies ist allerdings auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass sowohl der fachliche als auch der örtliche Fokus der befragten Experten teils deutlich voneinander abweichen; so ist einmal naturgemäß ein stärkerer Bezug zu polizeistatistischen Hellfelddaten zu verzeichnen, ein anderes Mal sind die Überlegungen stärker politisch-weltanschaulich geprägt und haben potenzielle Schäden für das demokratische Zusammenleben in Deutschland und Europa im Fokus. In der Folge wird einmal mit Blick auf die Natur und Intensität der zu verzeichnenden Straftaten kein nennenswertes Gefahrenpotenzial gesehen, ein anderes Mal die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit potenzieller politischer Gegner und das Gemeinwesen insgesamt.64 Und während etwa bei der Ortsgruppe der IBD in Halle offenbar eine vergleichsweise deutliche Gewaltbereitschaft zu verzeichnen ist („Die heftigeren Sachen sind tatsächlich in Halle vorgefallen, […] da haben dann bewaffnete, ich glaube mit Pfefferspray und Stangen Studierende […] mit Bewaffnung bedroht. Und dann natürlich im November 2017, da attackierten, ich glaube, auch vermummte IB-ler mit Baseballschlägern und Pfefferspray zwei Zivilpolizisten, die dann erst mit gezückter Waffe das Ganze unterbinden konnten.“)65, finden sich derzeit in Berlin und Brandenburg kaum Hinweise auf eine Gewaltaffinität.66 Für die Zwecke dieses Aufsatzes erfolgt überwiegend eine kumulative Betrachtung der wichtigsten, meist übereinstimmend durch die befragten Experten dargestellten Aspekte.

Insgesamt lässt sich dabei hinsichtlich des allgemeinen Gefährdungspotenzials der IBD zunächst der bereits festgestellte Umstand konstatieren, dass die sichtbaren Aktionen der IBD zumindest überwiegend frei von Gewalt gegen Personen verlaufen. Dennoch werden, wie oben beschrieben, immer wieder Straftaten etwa in Form von Sachbeschädigungen und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz begangen, die meist aktionsbezogener Natur sind. Und einer der Experten führt zur Gewaltbereitschaft der IBD aus: „Gewaltfrei sind die Identitären nur situativ und taktisch, in vielen Situationen in Halle waren sie dagegen immer wieder auch gewalttätig, sowohl gegenüber politischen Gegnern wie auch gegenüber Polizeibeamten“. Mit Blick auf die wiederholte Begehung auch von Straftaten, bei denen es sich nicht notwendigerweise um Gewalttaten handelt, lässt sich jedenfalls naturgemäß bereits eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bejahen. Dass insbesondere der Polizei dabei die Aufgabe der Verfolgung eben jener Straftaten und der Abwehr damit korrespondierender konkreter – wenn auch teils latenter – Gefahren durch die IBD zukommt, steht insoweit außer Zweifel. Gleiches gilt insoweit auch mit Blick auf die potenzielle Gefährdung von Personen, die sich Aktivisten der IBD im Rahmen öffentlicher Aktionen entgegenstellen oder die von Identitären für politische Gegner gehalten werden67. Mehrere der Experten befürworten in diesem Zusammenhang gezielte polizeiliche Sensibilisierungsmaßnahmen bis hin zu Gefährderansprachen bei Aktivisten der IBD. Aus repressiver Sicht werden darüber hinaus in einem Fall bei zu verzeichnenden Straftaten möglichst schnelle Anklagen und konsequente Verurteilungen als erstrebenswert angesehen, um potenziell strafrechtlich relevante Aktivitäten im Rahmen von Aktionen der IBD einzudämmen und in der Szene einen diesbezüglichen Lerneffekt zu befördern.68

Gefährdungspotenziale durch die IBD werden daneben als überwiegend abstrakt charakterisiert, wobei dem teilweise besondere Bedeutung beigemessen wird. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen stehen etwa Aktivisten der IBD mit extrem rechter Vergangenheit, Verbindungen der IBD zu verschiedenen Akteuren im rechtsextremen Milieu und in den politischen Raum sowie die zielgruppengerechte Proklamation rechtsradikaler Ideologie. So seien etwa Verbindungen zum sog. „Burschenschaftsmilieu“ sowie personelle Bezüge zu Kameradschaften und zur NPD zu verzeichnen.69 Mehrere der befragten Experten sehen die gute Vernetzung der IBD und einiger Protagonisten auf nationaler wie europäischer politischer Ebene mit Sorge; Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden werden in diesem Zusammenhang auch in mutmaßlich noch unbekannten Verbindungen von IBD-Aktivisten zu verbotenen Organisationen gesehen („Ich glaube aber […] die Verbindungen von Identitären zu rechtsextremen, teilweise verbotenen Organisationen oder vorbestraften Neonazis und so weiter, ich glaube da […] gibt es sehr viele noch unaufgedeckte Verbindungen, die […] an sich so ein Gefahrenpotenzial bergen“).70

Langfristig wird eine nicht unerhebliche, wenn auch insbesondere gesellschaftspolitisch konnotierte Problematik darin gesehen, dass die IBD sehr gewissenhaft darauf bedacht sei, ihre eigentlichen Ziele zu verschleiern („Das deckt ein bisschen auch dieses falsche Spiel der IB auf, zu sagen: ‚Wir sind doch nur die harmlosen Patrioten von nebenan‘ und ‚Wir wollen doch nur reden‘. Das wollen sie nicht. Sieht man ja auch hin und wieder, wenn es dann in Gewalt ausbricht.“)71 Entsprechend schwer sei es mitunter, die rechtsradikale Botschaft72