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Thomas Schmidt läuft seit 2009 spanische und portugiesische Jakobswege. "Damals habe ich mich infiziert mit dem Camino-Virus. So wie Herpesviren nach der Erkrankung im Körper persistieren und sich bei Schwächung wieder akut manifestieren, so treibt mich in mehr oder weniger großen Abständen das Camino-Virus auf einen der zahlreichen Jakobswege in Spanien und Portugal. Die Heilung gelingt meist schnell, aber sie ist nicht von langer Dauer." Coronabedingt konnte der im Jahre 2019 in Porto begonnene Caminho da Costa erst im Sommer 2021 von Vigo aus fortgesetzt werden. Zum ersten Mal pilgert er mit seiner Partnerin und stellt die Beziehung damit auf eine Probe. Ob das "Experiment" gelungen ist, lesen Sie hier. In diesem Buch finden Sie die beiden Abschnitte als Sammelband.
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Seitenzahl: 151
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Das vorliegende Buch besteht aus zwei Abschnitten, die jeweils als Band in der Reihe Caminosplitter erschienen sind. Der erste Teil führt mich und meine Partnerin im Juli 2019 auf den portugiesischen Küstenweg bis Vigo. Den zweiten Abschnitt laufen wir im Sommer 2021 von Vigo aus zunächst nach Pontevedra und von dort aus entlang der spirituellen Variante nach Santiago. Da wir beide in unseren Berufen zeitlich stark eingebunden sind, spalten wir den etwa 250 Kilometer langen Caminho portugues da Costa in zwei Teile auf. Als wir unseren Pilgerweg 2019 starteten, ahnten wir noch nichts von einem Virus mit dem Namen Covid 19. Die Pandemie verhinderte, dass wir unseren Weg bereits 2020 fortsetzen konnten.
Bisher waren Kerstin und ich der Meinung, dass es besser sei, wenn ich meine Jakobswege in Spanien und Portugal allein gehen würde. Ein weinseliger Abend auf der Gartenterrasse machte uns mutig, es gemeinsam zu versuchen. Vielleicht auch übermütig – Das Ergebnis und die Folgen unseres Experimentes erfahren Sie in diesem Buch!
Abschnitt 1 - Juli 2019
Prolog
Kapitel 1 Porto Cale – Die Schöne | Bocholt - Porto
Kapitel 2 Pasteis de Nata | Porto - Vila do Conde
Kapitel 3 Moito obrigado | Vila do Conde - Esposende
Kapitel 4 Akrobat S. | Esposende - Viana do Castelo
Kapitel 5 S. Gonzales | Viana do Castelo - A Guarda
Kapitel 6 Depression und Glück | A Guarda - O Serrallo
Kapitel 7 Playas Americas | O Serrallo - Nigran
Kapitel 8 Pulporandale | Nigran - Braga
Schlussbetrachtungen
Abschnitt 2 - Juli 2021
Prolog
Kapitel 1 „Machens et jut!“ | Bocholt - Vigo
Kapitel 2 „Espanol Por Favor“ | Vigo - Redondela
Kapitel 3 „Dziekuje“ | Redondela - Pontevedra
Kapitel 4 „Ryan like Ryanair“ | Pontevedra - Armenteira
Kapitel 5 „Einen Schluck trinken, Maske auf!“ | Armenteira - Vilanova de Arousa
Kapitel 6 „Pimientos" | Vilanova de Arousa - Padron
Kapitel 7 „Sultans of Swing“ | Padron - Santiago
Kapitel 8 Santiago „I am off then“
Schlussbetrachtungen
Die Frage kam aus dem Nichts. „Wann laufen wir zusammen auf dem Jakobsweg?“, hatte ich verstanden. Ich musste mich wohl verhört haben oder irgendeinem Tagtraum „zum Opfer“ gefallen sein. Nach unserer Erfahrung vor einigen Jahren in Sevilla war klar, dass es MEIN Hobby sein sollte und nicht unser gemeinsames. „Kannst du deine Frage bitte noch einmal wiederholen?“, bat ich Kerstin, um Gewissheit zu erlangen, dass ich mich nicht verhört hatte.
Ja, ich hatte sie korrekt verstanden. Die Sache mit Sevilla war vergessen. Zu häufig und allzu begeistert hatte ich von meinen Caminos in Spanien und Portugal berichtet. Vielleicht war der Stimmungsumschwung schon im Juni 2018 erfolgt, als es im Anschluss an meine Wanderung auf dem Camino del Norte ein freudiges Wiedersehen in Bilbao gab. Nach meiner letzten Etappe von Gernika nach Bilbao trafen wir uns in der baskischen Metropole, um die Stadt gemeinsam zu erkunden .Einige Jahre zuvor waren wir während unseres Urlaubs in Andalusien die erste Etappe der Via de la Plata von Sevilla nach Guillena zusammen gelaufen. Für mich war es ein Herzenswunsch, nachdem ich bereits einige Male zuvor in Spanien Richtung Santiago gepilgert war. Ich erinnere mich noch gut, wie Kerstin damals sagte „Ich wandere gerne mit dir, wo und wohin du willst - pilgern kannst du besser allein“. Irgendwie war ich ihr seltsam und fremd erschienen: Kontemplativ versunken in die eigene Gedankenwelt anstatt im gemeinsamen Gespräch.
Ich ließ mich nicht lange bitten. Kerstin hatte ihre Frage gerade bestätigt, da begann ich im Geiste die einzelnen Caminos, die in Frage kamen, im Kopf durch zu deklinieren: Camino Frances – zu voll. Camino del Norte – zu feucht, Via de la Plata – zu einsam. Camino Portugues – bin ich schon mit meinem Sohn Luca gelaufen. Obgleich: Eine Variante des Portugiesischen Jakobsweges, der Camino Portugues da Costa stand bereits seit geraumer Zeit auf der Liste meiner zukünftigen Camino - Optionen. Der Küstenweg verläuft von Porto aus weitgehend am atlantischen Ozean entlang, um später auf den inneren Weg zu stoßen. Der würde passen: Das Meer -- zumindest im ersten Teil - immer in Blickweite, ausreichende Auswahl an Unterkünften und von der Frequenz der Pilger her überschaubar. So, wie Kerstin es sich vorstellte, würde unsere gemeinsame Wanderung auf dem Jakobsweg jedoch nicht den üblichen Verlauf nehmen. Einfache Pensionen wären passend. Große Schlafräume in Herbergen, die ich sonst auf meinen Solotripps bevorzuge, kamen für sie nicht in Frage. 20 bis 30 Kilometer Wandern und keine feste Unterkunft zu haben, war mir im Beisein von Kerstin zu unsicher. So galt es, die Etappen aufzuteilen und entsprechende Unterkünfte im Voraus festzulegen. Eine neue Erfahrung für mich. Deutschsprachige Reiseführer vom Camino Portugues da Costa suchte ich vergeblich. Ich beschränkte meine Recherchen daher zunächst auf Berichte und Blogs im Internet. Im März 2019 erschien das bewährte Format von Cordula Rabe über den portugiesischen Küstenweg mit interessanten geschichtlichen Informationen zu den jeweiligen Etappenzielen Mit Hilfe des Reiseführers fiel es leichter, die Etappen festzulegen. Die Etappenlänge sollte im Schnitt ca. 25 km betragen, um nach sechs Tagen in Vigo anzukommen. Bei den vorgebuchten Unterkünften entdeckte ich sogar zwei private Herbergen, die auch Doppelzimmer anboten. So ließe sich zumindest ein Hauch von Herbergsromantik mitnehmen. Mein ans Herz gewachsener blauer Deuter - Rucksack hatte nach zehn Jahren seinen Dienst eingestellt. Ein passender neuer Rucksack in bewährtem Material und gleichem Ausmaß lag auf dem Weihnachtstisch.
Wir planten die weitere Reise von Vigo aus etappenweise mit dem Zug durch Portugal mit Zwischenstationen in Braga, Coimbra und Evora bis zur Algarve. Was den Zeitpunkt unserer Reise betraf, waren wir bei Kerstin berufsbedingt auf die Schulferien angewiesen. Die Herbstferien kamen für mich nicht in Frage, da ich im Oktober zum ersten Mal in Kalkutta bei „German Doctors“ mitarbeiten wollte. So blieben noch die Sommerferien: Klimatisch gesehen für diese Region keine schlechte Zeit, soweit man im Stande ist, auch mal einen heißeren Tag unter physischen Belastungen zu ertragen. Anderseits kann man davon ausgehen, dass meistens vom Atlantik her eine frische Brise weht und nicht wie etwa auf der Via de la Plata in der Extremadura im Sommer Höllenqualen zu erwarten sind.
Wir legten uns schließlich auf die ersten beiden Wochen der Sommerferien im Juli fest.
„Bin ich eigentlich noch bei Sinnen?“, frage ich mich, nachdem ich auf den Button „Buchen“ gedrückt habe. Die Belastbarkeit unserer wunderbaren Beziehung derartig zu testen, scheint mir angesichts unserer Erfahrungen von Sevilla in diesem Moment wenig plausibel. Damals wurden uns bereits nach einigen Stunden die Grenzen aufgezeigt. Jetzt trauen wir uns zu, den unterschiedlichen Redebedarf und die Reflektion auf sich selbst über eine ganze Woche in Einklang bringen zu können. „Think positive“, meldet sich zaghaft eine andere Stimme aus dem limbischen System. Vielleicht erweitert das gemeinsame Erleben gar das positive Spektrum unseres Zusammenlebens und eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten. Ist es nicht schöner, spannendes neues mit einem geliebten Menschen zu teilen?
Vamos a ver!
Die Feierlichkeiten anlässlich Kerstins Geburtstages am zwölften Juli fallen moderat aus. Das Ziel, unsere Reise möglichst ausgeschlafen anzutreten, wollen wir nicht aufs Spiel setzen. Es gelingt.
Die Abflugzeit um 13.15 Uhr von Köln erlaubt uns, noch ein sättigendes Frühstück in Bocholt einzunehmen. Der Flieger startet mit einer Stunde Verspätung von Köln. Ob wir wollen oder nicht: Gedanklich sind wir bereits auf dem Pilgerweg angekommen. Riesige Muscheln an Rucksäcken herunterbaumelnd vermitteln uns, dass wir nicht die einzigen Pilger auf dem Weg von Porto nach Santiago sein werden. Oder führt ihre Wanderung die beiden Damen vor uns gar nach Fatima, der berühmtesten Pilgerstätte in Portugal? Der Weg dorthin orientiert sich jedoch in südliche Richtung und kennt andere Symbole als Muschel, strahlende Sonne oder gelbe Pfeile. Eine der Damen nimmt den Platz im Flugzeug neben mir ein, die andere zwei Reihen dahinter neben Kerstin. Man könnte sich auf einen Austausch über diverse Camino-Erfahrungen bzw. -Erwartungen einlassen oder… Wir nehmen „oder“ und wechseln die Plätze: Meine Nachbarin nach hinten und Kerstin nach vorne. Die nicht unerheblichen Turbulenzen beim Anflug auf Porto lassen sich händchenhaltend besser überstehen.
Die Uhr wird bei unserer Ankunft um eine Stunde auf 15.30 Uhr Ortszeit in Porto zurückgestellt. Oporto steht an der Eingangshalle. So nennen die Einwohner ihre Stadt selbst, den männlichen Artikel dem Namen vorangesetzt. Die Griechen nannten die Siedlung in der Gegend der heutigen Stadt Porto ursprünglich „Kalos – die Schöne“. Decimus Junius Brutus Callaicus, der römische Eroberer der Region übernahm die griechische Bezeichnung. So wurde im ersten Jahrhundert n. Chr. aus Kalos Portus Cale. Für Kerstin, wie auch für mich ist Porto kein unvertrautes Terrain. Kerstin besuchte die Stadt vor etlichen Jahren mit ihren Kolleginnen. Ich habe hier meinen Camino Portugues 2011 begonnen. Damals lief ich den ersten Teil bis Valenca durch das Landesinnere allein und dann 2012 mit meinem ältesten Sohn Luca von Valenca nach Santiago. Anders als vor sieben bzw. acht Jahren werden wir dieses Mal bis Vigo an der Küste entlanglaufen, um dann – wenn meine Liebste noch mag – im Jahr darauf von dort in Redondela auf den inneren Weg zu gelangen. Das jedoch ist Zukunftsmusik. Es bleibt abzuwarten, wie wir das gewagte Experiment beziehungsmäßig bestehen.
Wir nehmen die Metro in die Innenstadt über Trinidade bis zur Station Bolhao. Von hier aus sollte es nicht mehr weit zu unserer vorgebuchten Unterkunft „My Stay Bolhao“ sein.
Erwartungsfroh verlassen wir die dunklen Katakomben der Metro und erblicken das grelle Tageslicht auf der belebten Einkaufsstraße Santa Katharina des Stadtteils Bolhao, ein paar hundert Meter entfernt vom eigentlichen Zentrum. Vor uns stoßen wir mit der Nase auf die mit prunkvollen hellblauen Azulejos verzierte Kapelle Almas. Sie wird morgen unsere erste Anlaufstation sein.
Zehn Minuten später stehen wir vor dem etwas unscheinbar wirkenden Entree unserer Unterkunft für die heutige Nacht. Der Empfang ist freundlich, das Einchecken an der winzigen Rezeption unkompliziert. Wir legen unsere Rucksäcke ab und beginnen unverzüglich die Stadterkundung bei angenehmen 25 Grad Celsius und azurblauem Himmel.
Direkt um die Ecke lockt eine Eisdiele. Vor der Theke erörtern wir, welche Geschmacksrichtung bei dem vielfältigen Angebot in Frage kommt. – „Darf ich Ihnen etwas empfehlen?“, fragt die charmante junge Dame hinter dem Tresen in perfektem Deutsch mit südländischer Einfärbung. Sie ist Schweizerin und studiert in Porto.
Unser Weg führt uns hinunter zum Bahnhof Sao Bento. Nicht einfach ein Bahnhof – nein, der 1916 eröffnete Estacao de Sao Bento präsentiert sich mehr als ein kleines Museum mit Azulejos - Motiven aus dem Verkehrswesen in der Vorhalle.
Die Rua dos Clerigos heraufschauend lässt sich bereits die Igreja und der Torre dos Clerigos als höchster Punkt der Stadt erspähen. Ein klassischer Blickfang für die Stadt Porto ist die Trambahn (Electrico) mit Wagons aus dem Jahre 1922, die sich quietschend den Berg hinauf quält. Statt den Torre zu besteigen, wenden wir uns, dort angekommen, nach rechts und erreichen kurze Zeit später an der 1911 gegründeten Universidade do Porto entlanglaufend die berühmte Livraria da Lello, die von einigen bekannten Magazinen als die schönste Buchhandlung der Welt bezeichnet wurde. Die lange Menschenschlange vor dem Gebäude hält uns von einer Besichtigung der Räume ab. Stattdessen bewegen wir uns zurück in Richtung Kathedrale, die auf einer Anhöhe mit Blick auf den Duoro über der Stadt thront. Auf dem Weg dorthin finden sich an den Hauswänden die ersten gelben Pfeile, die uns in den nächsten Tagen den Weg weisen sollen. Die im romanischen Stil im 12. Jahrhundert erbaute Kathedrale Se do Porto ist gleichzeitig der Ausgangspunkt des Caminho portugues de Santiago. So gerade noch rechtzeitig vor Toresschluss erhalten wir die ersten Stempel in unsere Pilgerausweise (Credential). Um in den Genuss der Compostela am Ende der Reise in Santiago zu gelangen, benötigt man das sogenannte „Credential“, zum Nachweis der täglich absolvierten Kilometer.
Das Eis hat uns kurzfristig Kraft für die Stadtbesichtigung verliehen. Mittlerweile machen sich unsere Mägen jedoch akustisch so deutlich bemerkbar, dass wir ihnen eine ordentliche Mahlzeit nicht länger vorenthalten wollen. Unser Ziel ist die andere Seite des Douros, an dessen Ufer sich einige nette Restaurants zwischen den Bodegas aller namhaften Portweinerzeuger befinden sollen. Die Überquerung des Flusses über die von Theophile Seyrig, einem Schüler Gustavo Eiffels 1886 erbaute ca. fünfzig Meter hohe Brücke „Ponte Luis“ fordert mir einiges an Selbstdisziplin ab. Auch ein heroischer Selbstheilungsversuch mittels Canopying im Dschungel von Costa Rica vor zwei Jahren konnte meine Höhenangst nicht signifikant vermindern. In einem Anfall von Übermut hatte ich mich überreden lassen, an einem Drahtseil über eine 200 Meter tiefe Schlucht zu „fliegen“. Während ich mir - körperlich unbeschadet, mental jedoch am Limit – mit zittrigen Knien schweißgebadet und erleichtert nach dem Kick die Ketten vom Leibe riss, setzte meine Liebste noch eine Schippe drauf: Scheinbar völlig gelassen schwebte Kerstin wie Supermann mit ausgebreiteten Armen über dem mittelamerikanischen Dschungel, den Blick stets in den Abgrund gerichtet.
Meine feuchten Hände klammern sich an Kerstins Flanke. Lieber lasse ich den Blick in die Ferne schweifen, anstatt länger als drei Sekunden herunter auf die spiegelnde Oberfläche des Douros zu starren. Ein nur flüchtiger Blick nach unten ruft bereits ein mittleres Beben in der Magengrube und eine gruselige Achterbahnfahrt unter der Schädeldecke hervor.
Vor den gut gefüllten Lokalen müssen wir uns ein wenig gedulden, um einen Platz mit Aussicht auf den Fluss zu ergattern. Es lohnt sich: Wie auf einem kitschigen Gemälde beleuchtet die untergehende Sonne orangeglühend die Dschunken auf dem Douro. Am gegenüberliegenden Ufer zeigt sich erhaben die noch vor einigen Minuten von uns besichtigte Kathedrale zwischen den Häusern mit ihren pittoresken Fronten. Schon vor acht Jahren bei meinem ersten Caminho in Porto haben mich die farbigen Gebäude derartig fasziniert, dass ich gedankenverloren wie „Hans Guck in die Luft“ nach oben schaute und die Bekanntschaft mit einem Eisenpfahl machen durfte, der partout nicht von der Stelle weichen wollte. Meine Unachtsamkeit bescherte mir eine nicht unerheblich blutende Gesichtsplatzwunde und einen Brummschädel. Freundliche Portugiesen stürzten sich auf mich, um die klaffende Wunde an der Stirn zu versorgen. Nur mit großer Mühe konnte ich sie davon abhalten, einen Rettungswagen herbeizurufen.
Tempi passati. Die Wunden sind verheilt.
Hic Rhodos hic salta. Landestypische Speisen sollen auf unsere Teller. Wir entscheiden uns für Backalhau (Stockfisch) und Francesinhas. Bei letzterem handelt es sich um eine Spezialität aus Porto, die allerhöchsten kalorischen Ansprüchen gerecht wird: Ein Toastbrot, belegt mit gekochtem Schinken, einer Chorizo ähnlichen Wurst und Rindfleisch, bzw. Beef. Das Ganze wird mit Käse überbacken und mit einer dickflüssigen heißen Soße aus Tomaten, Bier und Senf übergossen. Die Luxusversion erhält zur Krönung noch ein Spiegelei obendrauf. Läuft einem da nicht das Wasser im Mund zusammen? Ordert man dazu noch Batatas Fritas, darf man sicher sein, dass die Produktion der Magensäfte auf eine ernsthafte Probe gestellt wird. Mein durch unzählige „Currywurst-Pommes-Mayo“-Mahlzeiten trainierter Verdauungstrakt schafft das!
Auf dem Weg zu unserer Unterkunft genehmigen wir uns einen Absacker in einer Hinterhofkneipe. Die Orientierung im Dunkeln beschert mir ein unerwartetes Déjà vu-Erlebnis: Als ich vor acht Jahren zum ersten Mal nach Porto flog, um den klassischen portugiesischen Weg zu laufen, irrte ich nach der Ankunft nachts oberhalb der Igreja da Trinidade umher, um mein Hotel zu finden. Dabei drehte ich mich mehrmals im Kreis, sodass ich nach wenigen Minuten immer wieder wie das täglich grüßende Murmeltier an der gleichen Stelle auskam. Erst als mir ein englisches Paar den Weg zu meiner Unterkunft direkt um die Ecke wies, erreichte ich mein Ziel. Genau an dieser Bar, an der ich damals meine Retter fand, stehen wir jetzt. Es sind nur ein paar Meter von hier zu unserer heutigen Schlafstätte. Erfüllt vom Zauber der Stadt schlummern wir erwartungsfroh unserer ersten Etappe entgegen.
Auch wenn es kein richtiges Frühstück gibt, ein paar Plätzchen mit Honig und Marmelade sowie ein Teebeutel liegen auf unserem Nachttisch. Mit den Tassen in der Hand laufe ich aus dem dritten Stock barfuß über das warme Parkett in das Erdgeschoss. Hier an der noch nicht besetzten Rezeption steht der Warmwasserkocher für unseren Tee. Als ich auf dem Rückweg an die Tür unseres Zimmers klopfe und um Einlass bitte, passiert nichts. Ich klopfe erneut. Keine Reaktion, kein Geräusch. Hat es sich meine Liebste doch noch einmal überlegt oder ist sie wieder eingeschlafen? Ich ziehe an der Klinke. Die Tür bleibt verschlossen. Gemurmel hinter der Tür. Ich ahne plötzlich, dass es gleich Ärger geben wird, wenn sich die Tür öffnet … und sprinte nach oben einen Stock höher. Aufwärmtraining für den ersten Caminotag! Kerstin fragt sich, wo ich mich so lange herumgetrieben habe.
Um viertel nach acht sind wir raus. Den Segen für unseren Jakobsweg holen wir uns in der außen wie innen mit fast 16.000 Azulejos ausgestatteten Kirche Capela das Almas auf der Rua Catarina; dort, wo wir gestern die Stadt betreten haben. Gewidmet wurde die Kapelle der „Nossa Senora da Almas“, also unserer lieben Frau der Seelen. Die Kacheln zeigen u.a. Szenen aus dem Leben des Franz von Assisi und der Jungfrau Katharina. Betritt man die Kapelle von der quirligen Einkaufsstraße, so fühlt es sich an, als sei man von einem Augenblick auf den nächsten in eine andere, viel ruhigere Welt eingetaucht. Ein würdiger Ort der Stille für unseren Start auf dem portugiesischen Jakobsweg.
Von hier aus fahren wir mit der Metro, die nach zwei Stationen weitgehend überirdisch verläuft, in Richtung Matosinhos. So verkürzen wir unsere erste Etappe um zwölf Kilometer, in dem wir uns den Marsch durch die Vorstädte Portos ersparen. Unser Ziel ist Vila do Conde, ca. 35 Kilometer vom Ausgangspunkt Kathedrale Porto entfernt. Das